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Seitenzahl: 163
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Anmerkungen zur Transkription
Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Text, der im Original in Antiqua gesetzt ist, ist hier kursiv dargestellt, mit Ausnahme der Regentenzahl bei Ludwig XVI. Rechtschreibung und Zeichensetzung des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.
Von
Richard Michaelis,
Redakteur der „Chicagoer Freien Presse“.
Eine Antwort auf:
Ein Rückblick
von Edward Bellamy.
Leipzig.
Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.
Chicago and New York. Rand, McNally & Company, Publishers.
Vor Nachdruck gesetzlich geschützt. Alle Rechte sind vorbehalten.
Jedes Streben nach der Wahrheit und Besserung unserer Zustände verdient Anerkennung; selbst wenn wir die Richtung und die vorgeschlagenen Maßregeln nicht billigen können. Herrn Edward Bellamys Buch, „Ein Rückblick“, stellt einen Versuch dar, die Lage der Menschheit zu bessern und ist deshalb lobenswert; aber wenn wir seine Verbesserungs-Vorschläge des schillernden Mantels entkleiden, mit welchem er sie umgeben hat, so bleibt nichts übrig, als nackter Kommunismus. Und dieser hat sich überall, wo er ohne religiöse Grundlage eingeführt wurde, als ein Fehlschlag erwiesen. Heute ist er nur noch bei Wilden und Menschenfressern „Staatsform“.
Chicago war während der letzten vierzehn Jahre der Mittelpunkt der kommunistischen und anarchistischen Bewegung in den Ver. Staaten. Während ich in der „Freien Presse“ die Grundsätze, auf welchen das amerikanische Staatswesen beruht, gegen jene aus den überbevölkerten europäischen Industrie-Ländern eingeschleppten Lehren verteidigte, wurde ich sowohl mit diesen sehr vertraut, wie auch mit den Schrullen und Sonderheiten der Gesellschaftsretter, die allen Ernstes glauben, sie seien im Besitz eines unfehlbaren Mittels, mit welchem sie nicht nur alle menschlichen Einrichtungen, sondern auch die Menschen selbst vollkommen machen könnten.
Herr Bellamy vertritt allerdings gemäßigtere Ansichten, als diejenigen, welche Spies und Parsons lehrten; aber er hat dies mit den Anarchisten und Kommunisten von Chicago gemein, daß er unfähig geworden ist, die Einrichtungen, Zustände und Menschen der Jetztzeit gerecht zu beurteilen, daß er die Schwierigkeiten unterschätzt, welche der Einführung von ihm vorgeschlagener Änderungen entgegen stehen, daß er wirklich glaubt, seine Staatsluftschlösser würden im Handumdrehen greifbare Gebilde werden und daß er sein Wolkenkuckucksheim mit engelgleichen Wesen bevölkert, welche alle menschlichen Schwächen abgelegt haben und unter keinen Umständen ein Unrecht begehen würden. Die Annahme, daß die Männer und Frauen in einem kommunistischen Staatswesen Selbstsucht, Neid, Haß, Eifersucht, Streitsucht und Herrschsucht gänzlich abstreifen würden, ist ebenso vernünftig oder unvernünftig, wie die Annahme, daß ein Mensch 113 Jahre schlafen und alsdann eben so jung und kräftig aufstehen könnte, wie er sich niederlegte.
Welch sonderbare Maßregeln Gesellschaftsretter doch mitunter vorschlagen! Joh. Most möchte im Namen der Gleichheit erst alle diejenigen umbringen, die nicht in allen Dingen seiner Meinung sind. Dann würde er alle Gesetze und alle Beamten abschaffen und dann der Natur ihren Lauf lassen! —
Herr Bellamy dagegen würde, ebenfalls im Namen der Gleichheit, allen tüchtigen und fleißigen Arbeitern einen namhaften Teil dessen rauben, was sie mit ihrer Thätigkeit geschaffen, das Geraubte würde er den ungeschickten, dummen und faulen Arbeitern geben, und das wäre dann, was Herr Bellamy Gerechtigkeit und Gleichheit nennt!
Und um diese angebliche „Gleichheit“ zu erringen, würde Herr Bellamy natürlich den Wettbewerb opfern müssen, die Riesenkraft, welche uns alle und Herrn Bellamy mit uns auf die Höhe der Bildung und Gesittung erhoben hat, die das Menschengeschlecht jetzt einnimmt. Es ist wahr, daß der Wettbewerb schwere Mißbräuche im Gefolge gehabt hat und noch heute hat. Aber jede Einrichtung kann zu Mißbräuchen führen und der Umstand, daß ein Ding gemißbraucht wird, beweist durchaus nicht, daß das Ding an sich schlecht ist.
Niemand kann leugnen, daß der Wettbewerb während der Jahrhunderte christlicher Civilisation die geistigen und körperlichen Kräfte der Menschheit hoch entwickelt hat, daß der Wettbewerb während dieser Jahrhunderte alle Menschen zur Einsetzung ihrer höchsten Leistungsfähigkeit angespornt und unser Geschlecht auf eine Höhe gehoben hat, auf welcher dem gewöhnlichen Arbeiter mehr Bequemlichkeiten und Genüsse zugänglich sind, als den Königen, von welchen Homer singt.
Jedes Geschlecht hat an großen Aufgaben zu arbeiten und uns liegt es ob, die Beziehungen des Kapitals zur Arbeit zu regeln, welche besonders schwierig geworden sind, seitdem durch die Entdeckung der Dampfkraft auf den Gebieten vieler Erwerbszweige große Umwälzungen stattgefunden haben.
Wir haben Mittel und Wege zu finden, nicht um die Arbeit zu vermeiden, von welcher Herr Bellamy stets als von einem Übel spricht, sondern um den Hirnkrebs unserer Zeit zu heilen: die beständige Unsicherheit und die Furcht vor Armut. Das können wir aber durch Zusammenarbeiten und durch Versicherungs-Gesellschaften, die auf Gegenseitigkeit begründet sind, ohne daß es für uns nötig wird, in den Kommunismus zurück zu fallen, diese niedrigste Form der menschlichen Gesellschaft.
Die Unvollkommenheit, welche der Menschheit anhaftet, muß naturgemäß auch alle ihre Einrichtungen kennzeichnen und nichts ist daher leichter, als in einem „Rückblick“ die Unzulänglichkeit aller Menschen und Dinge nachzuweisen, und alsdann von Engeln bewohnte Luftschlösser zu bauen.
Ich werde jetzt einen „Blick in die Zukunft“ thun. Ich werde zeigen, wie Herrn Bellamys hübsche Geschichte enden muß, wenn sie fortgesetzt wird. Ich beabsichtige nachzuweisen, daß Herr Bellamy den Versuch macht, einen Zustand unbedingter Gleichheit zu errichten; dann aber, an der Möglichkeit verzweifelnd, eine Ungleichheit befürwortet, welche in vieler Hinsicht drückender sein würde, als die jetzigen Verhältnisse. Ich werde darlegen, daß unter der Regierungsform, welche Herr Bellamy vorschlägt, Günstlingswirtschaft und Korruption im öffentlichen und Erwerbs-Leben üppig wuchern müßten. Ich werde beweisen, daß in Herrn Bellamys Vereinigten Staaten von menschlicher Freiheit wenig zu finden sein und daß das selbstbewußte, unabhängige amerikanische Volk eine solche Knechtschaft nimmermehr ertragen würde. Und ich werde über jeden vernünftigen Zweifel hinaus nachweisen, daß das Volk in dem von Herrn Bellamy angepriesenen Staatswesen viel ärmer sein würde, als heute.
Ich bestreite durchaus nicht, daß unsere Gesellschaft dringend umgestaltender Verbesserung bedarf; aber ich bin nicht bereit, Herrn Bellamy, Herrn Most oder irgend jemandem blindlings zu folgen, lediglich weil er behauptet, die Menschheit sofort von allen Übeln befreien zu können. Ich beabsichtige nicht, mich kopfüber in die Dunkelheit zu stürzen.
Wenn Herr Bellamy und seine Anhänger sich so sicher fühlen, das tausendjährige Reich menschlicher Glückseligkeit begründen zu können, so mögen sie es versuchen, wie es die Kommunisten der „Amana Society“ versucht haben, welche im Staate Iowa eine Gemeinde errichteten mit Gütergemeinschaft auf religiöser Grundlage. Die Regierung der Vereinigten Staaten besitzt noch viele Tausende von Ackern guten Landes, wo Herr Bellamy und seine Freunde sich niederlassen und der Welt zeigen können, wie man die Menschheit im Handumdrehen vollkommen macht! Aber sie sollten vom Volke der Vereinigten Staaten nicht verlangen, daß dieses seine jetzige Regierungsform und seine Gesellschaftsordnung aufgeben solle, ehe Herr Bellamy und dessen Freunde bewiesen haben, daß ihre Heilmittel für die Schäden der Gesellschaft in der That unfehlbar sind.
Chicago, April 1890.
Richard Michaelis.
Ein Blick in die Zukunft.
Um mich selbst denjenigen Lesern vorzustellen, welche das von Herrn Edward Bellamy herausgegebene Buch „Looking Backward“ („Ein Rückblick“)[1] nicht kennen, teile ich hier in Kürze die bemerkenswerten Ereignisse meines Lebens mit, welche in jenem Werke erzählt worden sind.
Ich wurde am 26. Dezember 1857 in Boston geboren und Julian West getauft. Ich besuchte eine Schule und eine höhere Bildungsanstalt meiner Vaterstadt; da ich aber im Besitze eines bedeutenden Vermögens war, so widmete ich mich keinem Berufe oder Geschäfte. Ich war mit Fräulein Edith Bartlett verlobt, einer jungen Dame von großer Schönheit. Wir hegten die Absicht zu heiraten, sobald mein neues Haus in bewohnbarem Zustande sein würde. Leider wurde aber der Bau vielfach durch Arbeitseinstellungen der Zimmerleute und Maurer unterbrochen und ich bewohnte immer noch das altväterliche Gebäude, in welchem drei Geschlechter meiner Familie gelebt hatten.
Da ich oft durch Schlaflosigkeit litt, hatte ich unter dem Fundamente meines alten Hauses ein Gewölbe herrichten lassen, in das der Lärm der Großstadt, meinen Schlummer störend, nicht dringen konnte. Das Gewölbe war ganz feuerfest und erhielt frische Luft durch eine eiserne Röhre, welche zum Dache des Hauses hinaufreichte.
Um in Schlaf zu verfallen, war ich oft genötigt, mich der Hilfe eines Mesmeristen zu bedienen. So auch am 30. Mai 1887. Nachdem ich zwei Nächte schlaflos verbracht hatte, sandte ich meinen schwarzen Diener Sawyer zu einem Dr. Pillsbury, welcher sich bei ähnlichen Gelegenheiten stets hilfreich erwiesen hatte. Der Arzt war gerade im Begriff die Stadt zu verlassen, um in New Orleans einen Wirkungskreis zu suchen, und es war daher die letzte Behandlung, die er mir angedeihen lassen konnte. Ich beauftragte Sawyer, mich am nächsten Morgen um 9 Uhr zu wecken und fiel dann unter den Manipulationen des Mesmeristen in einen tiefen Schlaf.
Als ich erwachte, fand ich, daß ich 113 Jahre, 3 Monate und 11 Tage geschlafen hatte.
Ich entdeckte, daß das alte Haus durch Feuer zerstört worden war und daß Sawyer in den Flammen seinen Tod gefunden hatte. Dr. Pillsbury hatte Boston verlassen, die Existenz des unterirdischen Gewölbes war meinen Freunden unbekannt gewesen, das Haus war nicht wieder aufgebaut worden und so hatte ich mehr als hundert Jahre in tiefem Schlafe verbracht, bis ein Dr. Leete, der Bewohner eines Hauses, welches auf einem Teile meines früheren Grundstückes errichtet worden war, im Jahre 2000 mit dem Bau eines Laboratoriums begonnen und bei dieser Gelegenheit mein Gewölbe sowie mich selbst entdeckt hatte.
Ich erfuhr, daß Edith Bartlett mich vierzehn Jahre lang betrauert und dann geheiratet habe, daß Dr. Leetes Gattin Ediths Enkelin und daß seine Tochter Edith demnach die Urenkelin der jungen Dame sei, welche ich vor 113 Jahren heiraten wollte.
Meine ungebrochene Manneskraft widerstand dem gewaltigen Eindrucke, welchen diese Entdeckungen auf mich machten. Ich fühlte mich in dem Hause des Dr. Leete bald heimisch, um so mehr, als die junge Edith in meinem Herzen alsbald den Platz einnahm, welcher einst Edith Bartlett gehört hatte. Und es währte nicht lange, bis Edith Leete, ein romantisch und mitleidsvoll veranlagtes, liebenswürdiges Mädchen, mit Anmut ihre Zustimmung gegeben hatte, die Nachfolgerin ihrer Urgroßmutter, das heißt, meine Braut zu werden.
Aber noch bemerkenswerter als der Wechsel in meinem eigenen Schicksal, waren die Veränderungen, welche auf socialem Gebiete stattgefunden hatten.
Dr. Leete erklärte mir die neue Ordnung der Dinge.
Geschäftliche Unternehmungen einzelner hatten aufgehört. Der Staat besorgt am Ende des 20. Jahrhunderts alles, was früher einzelne Leute oder Gesellschaften und Körperschaften unternommen und geleitet hatten. Alle gesunden Leute, Frauen wie Männer, im Alter von 21 bis 45 Jahren gehören dem Heere der Arbeiter an. Leute über 45 Jahre werden nur ausnahmsweise, in Fällen dringender Notwendigkeit, wieder in Dienst gestellt.
Geld ist abgeschafft worden; aber jeder Bewohner der Vereinigten Staaten erhält einen gleichen Anteil an den Ergebnissen der Arbeit der „industriellen Armee“ in Gestalt eines Guthabens-Scheines, eines Stückes Pappe, auf welchem Dollars und Cents verzeichnet sind. In jedem Stadtteile und in jedem größeren Landbezirke befindet sich ein Lagerhaus, in welchem das Volk alles findet, dessen es bedarf. Der Wert der Waren, welche jemand kauft, wird aus seinem Guthabens-Schein herausgestochen und sein Guthaben in den Regierungsbüchern wird mit dem Betrage der gekauften Waren belastet.
Die Mahlzeiten werden von großen Kochhäusern geliefert. Die Wäsche wird in großen Anstalten gereinigt und ausgebessert. Es steht jedermann frei, seine Mahlzeiten daheim oder im Speisehause einzunehmen. Die Auswahl der Gerichte ist groß und man kann im Kochhause auch eigene Speisezimmer haben. Der Preis der Mahlzeiten richtet sich nach den bestellten Speisen, so wie nach dem Orte, wo diese genossen werden.
Jede Familie bewohnt ein eigenes Haus. Die Einrichtung gehört dem Bewohner. Die Miete richtet sich nach Größe und Einrichtung des Hauses und wird ebenfalls mit einem Kneifzängchen aus dem Guthabens-Schein herausgestochen.
Alle Bewohner der Vereinigten Staaten sind verpflichtet die Schule zu besuchen, bis sie das einundzwanzigste Lebensjahr erreicht haben. Dann werden sie Mitglieder des Arbeiterheeres. Während der ersten drei Jahre ihres Dienstes werden sie Rekruten oder Lehrlinge genannt. Sie müssen die gewöhnlichsten Arbeiten verrichten unter dem unbedingten Befehle ihrer Offiziere oder Aufseher. Über ihr Verhalten wird Buch geführt und die Befähigung wie das Betragen jedes Rekruten angemerkt.
Nach den ersten drei Jahren seines Dienstes kann jeder Rekrut einen Beruf wählen. So viel wie möglich werden die Rekruten in solche Beschäftigungszweige eingereiht, denen sie den Vorzug geben. Zuerst dürfen diejenigen Rekruten wählen, welche die besten Zeugnisse haben. Manche müssen allerdings eine zweite, oder auch eine dritte Wahl treffen, wenn nach einzelnen Berufszweigen ein zu großer Andrang stattfindet. Und noch andere müssen mit solchen Stellungen vorlieb nehmen, welche ihnen von ihren Vorgesetzten angewiesen werden.
Alle Mitglieder des Arbeiterheeres werden nach ihrer Befähigung und nach ihrem Betragen in drei Abteilungen geteilt und Lehrlinge mit besten Zeugnissen können nach dreijähriger Dienstzeit als Rekruten sofort in die erste Abteilung derjenigen Gilde oder Zunft treten, welcher sie sich anschließen wollen.
Der General einer Zunft oder Gilde ernennt alle Offiziere derselben. Die Leutnants müssen den Mitgliedern der ersten Abteilung entnommen werden. Die Hauptleute erwählt der General aus den Reihen der Lieutenants, die Obersten aus den Hauptleuten. Der General selbst wird von den früheren Mitgliedern seiner Zunft erwählt, das heißt, von denjenigen, welche das fünfundvierzigste Lebensjahr überschritten haben. Die früheren Mitglieder aller Zünfte wählen auch die Vorsteher der zehn großen Abteilungen oder Gruppen verwandter Zünfte, in welche das Arbeiterheer eingeteilt ist. Diese Chefs oder Vorsteher werden aus den Generälen der Zünfte gewählt. Die früheren Zunftgenossen erwählen auch den Präsidenten der Vereinigten Staaten, welcher früher Vorstand einer der zehn großen Abteilungen gewesen sein muß. Der Präsident, die Vorsteher der zehn großen Abteilungen des Arbeiterheeres und die Generäle aller Zünfte wohnen in Washington.
Die Angehörigen der Arbeiterarmee haben nicht das Recht bei der Wahl der Offiziere, von welchen sie befehligt werden, mit zu stimmen. Während ihrer vierundzwanzigjährigen Dienstzeit haben sie keine Vertretung; aber wenn sie gegen einen Vorgesetzten Beschwerde führen wollen, so können sie ihre Klage vor einem Richter anhängig machen, dessen Entscheidung endgültig ist.
Die Richter werden vom Präsidenten aus den Reihen der Zunftgenossen gewählt, welche aus dem Arbeiterheere geschieden und mehr als 45 Jahre alt sind. Die Dienstzeit der Richter dauert fünf Jahre.
Gerichtshöfe, Rechtsanwälte, Gefängnisse, Sheriffs, Steuereinschätzer und -einnehmer, und viele andere Beamte sind abgeschafft worden. Verbrecher werden in Heilanstalten als Verstandeskranke behandelt.
Die Bundesregierung regelt alle Thätigkeit. Wenn sie bemerkt, daß nach irgend einem Berufszweige ein starker Andrang von Freiwilligen stattfindet, während andere Zünfte über Mangel an Freiwilligen klagen, so verlängert die Regierung die Arbeitszeit der bevorzugten Gilde und verringert die Zahl der Arbeitsstunden in denjenigen Berufszweigen, welche mehr Freiwillige brauchen.
Die Frauen haben ihre eigenen Offiziere, Generale und Richter, und bilden ein Hilfsheer der Arbeit. Sie erhalten dieselben Guthabensscheine wie die Männer, und da das Kochen, Waschen, sowie das Ausbessern von Haushaltungsgegenständen außerhalb besorgt wird, so haben die Frauen des zwanzigsten Jahrhunderts mehr Zeit für Arbeit, welche Werte erzeugt, als die Frauen am Ende des neunzehnten Jahrhunderts.
Rekruten, welche drei Jahre gedient haben, können in technische, medizinische und andere gelehrte Schulen eintreten; wenn sie aber außer Stande sind, mit ihren Klassen geistig Schritt zu halten, müssen sie wieder austreten. Ärzte, welche von Kranken nicht genügend in Anspruch genommen werden, mithin das Vertrauen ihrer Mitbürger nicht genießen, müssen es sich gefallen lassen, daß ihnen andere Beschäftigung zugewiesen wird.
Wenn Leute die Herausgabe einer Zeitung wünschen, so können sie zusammentreten und gemeinschaftlich genug von ihren Guthabensscheinen an den Staat abgeben, um diesen für den Verlust der Arbeit der Redakteure, Setzer und Drucker zu entschädigen.
Wenn jemand ein Buch herausgeben will, kann er es in seinen Mußestunden schreiben und es drucken lassen, indem er einen Teil seines Guthabensscheines als Bezahlung für Satz, Druck und Papier an den Staat aufgiebt. Für die verkauften Bücher erhält er dann ein entsprechendes Guthaben.
Geistliche werden in ähnlicher Weise wie die Redakteure von solchen Leuten besoldet, welche deren Predigten zu hören wünschen.
Krüppel oder andere Leute, welche außer Stande sind, die den Mitgliedern des Arbeiterheeres obliegenden Pflichten ganz zu erfüllen, erhalten nichtsdestoweniger ihren vollen Anteil an den Arbeitserzeugnissen. Die Thatsache, daß sie Menschen sind, berechtigt sie zu einem vollen Teil an den guten Dingen, welche die Erde bietet; gleichviel ob sie selbst wenig oder gar nichts produzieren können.
Die Staatsregierungen innerhalb des Gebietes der Union sind als nutzlos abgeschafft worden.
Alle anderen civilisierten Völker haben die Arbeit und den Verbrauch ihrer Bürger ähnlich geregelt, wie die Vereinigten Staaten und sie treiben freien Handel miteinander. Am Ende eines jeden Jahres wird das Guthaben der verschiedenen Länder mit solchen Gegenständen ausgeglichen, welche überall verwendbar sind.
Die neue Ordnung der Dinge setzt die Völker in den Stand, ohne alle Sorgen zu leben und die Folge davon ist, daß die meisten Männer und Frauen von gesunder Körperbeschaffenheit 85 bis 90 Jahre alt werden. —
So lautete die Schilderung, welche mir Dr. Leete von der neuen Gesellschaftsordnung in einer Anzahl von Unterredungen machte. Der Doktor spricht sehr begeistert von dem Staate, in welchem er lebt, und steht nicht an, ihn das tausendjährige Reich zu nennen.
Die Besorgnis und Unsicherheit, welche ich in Bezug auf meine eigene Thätigkeit in dem Arbeiterheere empfand, wurden von Dr. Leete beseitigt. Er teilte mir mit, daß mir die Stellung des Professors der Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts am Shawmut Kollege in Boston offen stehe. Ich habe dieses Anerbieten angenommen und werde am nächsten Montag mein neues Amt antreten.
Als ich zum erstenmale den großen Saal im Shawmut Kollege betrat, in welchem ich meine Vorlesungen halten sollte, gewahrte ich nahe der Saalthür einen Herrn im Alter von etwa vierzig Jahren. Er war zu alt, als daß ich ihn hätte für einen Studenten halten können und da ich ihn nicht gesehen hatte, als Dr. Leete mich den Professoren der Anstalt vorstellte, so war ich einigermaßen neugierig zu erfahren, in welcher Eigenschaft er meine erste Vorlesung mit seiner Gegenwart beehrte.
Der herzliche Empfang, welcher mir von seiten der Professoren zu teil geworden war, die Thatsache, daß die Studenten jeden Platz des großen Saales füllten, wirkten außerordentlich anregend auf mich und nachdem Dr. White, der Präsident der Universität, mich mit einigen schmeichelhaften Bemerkungen als einen lebenden Zeugen der Civilisation des neunzehnten Jahrhunderts vorgestellt hatte, begann ich meine erste Vorlesung vom besten Geiste beseelt.
Meine Rede stand naturgemäß unter dem Einflusse dessen, was Dr. Leete mir in unseren Unterredungen über die vergleichsweisen Vorzüge und Nachteile der Gesellschaftsordnung des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts gesagt hatte.
Ich setzte auseinander, daß meine Hörer von mir keine Übersicht der eigenartigen Civilisation in beiden Jahrhunderten erwarten dürften; auch keine Lobpreisungen der jetzigen Ordnung der Dinge. Ich würde nur auf einige Bestimmungen und Einrichtungen verweisen, welche als kennzeichnend gelten können für den Geist der beiden Zeitalter.
Als Merkmal des Zeitgeistes des neunzehnten Jahrhunderts schilderte ich den wahnsinnigen Wettbewerb. In diesem ekelhaften Kampfe sei der Mensch gezwungen worden, zu „übervorteilen, verdrängen, unter dem Werte kaufen und zu teuer verkaufen, das Geschäft zerstören, durch welches sein Nachbar seine Kleinen ernährte, die Menschen verleiten zu kaufen, was sie nicht sollten und zu verkaufen, was sie nicht durften, seine Arbeiter drücken, seine Schuldner peinigen, seine Gläubiger hintergehen,“ [2] um diejenigen unterhalten zu können, welche er zu ernähren hatte. Ich zeigte, daß es unter den Leuten am Ende des neunzehnten Jahrhunderts „viele gegeben habe, welche, wenn es sich um ihr eigenes Leben gehandelt hätte, es lieber aufgegeben, als durch das Brot ernährt hätten, das sie anderen geraubt.“[3]