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Min Jin Lee

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Beschreibung

»Eine überwältigende Geschichte über Widerstandsfähigkeit und Mitgefühl.« Barack Obama Sunja und ihre Söhne leben als koreanische Einwanderer in Japan wie Menschen zweiter Klasse. Während Sunja versucht, sich abzufinden, fordern Noa und Mozasu ihr Schicksal heraus. Der eine schafft es an die besten Universitäten des Landes, den anderen zieht es in die Spielhallen der kriminellen Unterwelt der Yakuza. Ein opulentes Familienepos über Loyalität und die Suche nach der eigenen Identität

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Min Jin Lee

Ein einfaches Leben

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Susanne Höbel

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Ein einfaches Leben

 

 

 

Für Christopher und Sam

BUCH I

Gohyang/Zuhause 1910–1933

»Zuhause ist ein Name, ein Wort, ein starkes Wort; stärker, als was ein Zauberer je gesprochen oder worauf ein Geist je geantwortet hat, noch in der stärksten Zauberformel.«

Charles Dickens

1

Yeongdo, Busan, Korea

Die Geschichte hat uns im Stich gelassen, aber was macht das schon.

Um die Jahrhundertwende beschlossen ein älterer Fischer und seine Frau, Mieter aufzunehmen, um etwas hinzuzuverdienen. Die beiden waren in dem Fischerdorf Yeongdo auf der gleichnamigen fünf Meilen breiten Halbinsel vor der Hafenstadt Busan geboren und aufgewachsen. In ihrer langen Ehe gebar die Frau drei Söhne, von denen nur Hoonie, der älteste und schwächste, überlebte. Hoonie kam mit einer Gaumenspalte und einem verkrüppelten Fuß zur Welt, doch er hatte breite Schultern, einen kräftigen Körperbau und eine leuchtende Gesichtshaut. Auch als junger Mann blieb ihm das sanfte, nachdenkliche Wesen erhalten, das er als Kind gehabt hatte. Wenn Hoonie seinen entstellten Mund mit der Hand bedeckte, was er gewohnheitsmäßig tat, wenn er Fremde traf, ähnelte er seinem freundlich aussehenden Vater, denn sie beide hatten große, strahlende Augen. Er hatte pechschwarze Augenbrauen und eine dauerhaft gebräunte Haut von der Arbeit im Freien. Wie seine Eltern war auch Hoonie kein geschickter Redner, und manch einer kam irrtümlich zu dem Schluss, dass es ihm, weil er nicht flüssig sprach, an Verstand mangelte, doch das war nicht der Fall.

Im Jahr 1910, als Hoonie siebenundzwanzig Jahre alt war, wurde Korea von Japan annektiert. Der Fischer und seine Frau, sparsame und zählebige Bauern, ließen sich nicht ablenken von inkompetenten Adeligen und korrupten Herrschern, die ihr Land an Diebe verloren hatten. Als die Miete für ihr Haus wieder einmal erhöht wurde, gaben sie ihr Schlafzimmer auf und schliefen in dem Vorraum, der von der Küche abging, um noch mehr Logiergäste aufnehmen zu können.

Das Holzhaus, in dem sie seit über drei Jahrzehnten zur Miete wohnten, war mit einer Fläche von knapp fünfzig Quadratmetern nicht groß. Papierene Schiebetüren teilten das Innere in drei bequeme Zimmer, und der Fischer selbst hatte das undichte Glasdach durch rötliche Tonziegel ersetzt, was seinem Vermieter, der prunkvoll in einer Villa in Busan lebte, zupass kam. Mit der Zeit wurde die Küche in einen Anbau im Gemüsegarten verlegt, damit die großen Kochtöpfe und die faltbaren Esstische, die an der gemauerten Außenwand an Haken hingen, Platz hatten.

Sein Vater bestand darauf, dass Hoonie bei dem Dorflehrer in beiden Sprachen, Koreanisch und Japanisch, genügend lesen und schreiben lernte, damit er das Hauptbuch des Logierbetriebs führen konnte, gut im Kopfrechnen war und auf dem Markt nicht betrogen wurde. Nachdem er das gelernt hatte, nahmen seine Eltern ihn aus der Schule. Als Jugendlicher arbeitete Hoonie beinahe ebenso gut wie ein erwachsener Mann mit zwei gesunden Beinen; er war geschickt mit den Händen und konnte schwere Lasten tragen, aber schnell gehen oder gar laufen konnte er nicht. Hoonie und sein Vater waren im Dorf dafür bekannt, dass sie niemals Wein tranken. Der Fischer und seine Frau zogen ihren einzigen Sohn, den Dorfkrüppel, zu einem klugen und fleißigen Mann heran, denn sie wussten nicht, wer sich seiner annehmen würde, wenn sie einmal tot waren.

Wenn es möglich war, dass zwei Eheleute ein und dasselbe Herz teilten, dann war Hoonie dieses stetig schlagende Organ. Ihre anderen Söhne hatten sie verloren – der Jüngste starb an Masern, und der Mittlere, ein Tunichtgut, wurde in einem unsinnigen Unfall von einem Bullen aufgespießt. Außer, dass Hoonie zur Schule und zum Markt ging, behielt das alte Ehepaar ihn nah bei sich, und als Hoonie ein junger Mann war, musste er zu Hause bleiben und sich um seine Eltern kümmern. Ihrem Sohn etwas abzuschlagen, wäre ihnen unerträglich gewesen, doch sie liebten ihn zu sehr, als dass sie ihn verwöhnten. Die Bauern wussten, dass ein verzärtelter Sohn in einer Familie mehr Schaden anrichten konnte als ein toter, und achteten darauf, ihm nicht zu sehr nachzugeben.

Andere Familien im Land waren nicht mit derart vernünftigen Eltern gesegnet, und wie es in Ländern, die von Angreifern oder von der Natur hart gebeutelt werden, nicht ungewöhnlich ist, war das Leben der Schwachen – der Alten, der Witwen und Waisen – auf der kolonialisierten Halbinsel so verzweifelt wie eh und je. Für jeden Haushalt, wo das Essen für einen mehr reichte, gab es Massen von Menschen, die bereit waren, einen ganzen Tag für eine Schüssel Gerstenbrei zu arbeiten.

Im Frühling 1911, zwei Wochen vor Hoonies achtundzwanzigstem Geburtstag, kam die rotwangige Ehevermittlerin aus der Stadt und suchte Hoonies Mutter auf.

Hoonies Mutter ging mit der Ehevermittlerin in die Küche; sie mussten sich leise unterhalten, weil in den vorderen Zimmern die Logiergäste schliefen. Es war später Vormittag, und die Bewohner, die über Nacht mit den Fischerbooten draußen gewesen waren, hatten ihr warmes Essen gegessen, sich gewaschen und schlafen gelegt. Hoonies Mutter gab der Ehevermittlerin eine Tasse kalten Gerstentee, unterbrach aber ihre Arbeit nicht.

Natürlich ahnte die Mutter, was die Frau wollte, aber sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Hoonie hatte seine Eltern nie um eine Ehefrau gebeten. Es war undenkbar, dass eine anständige Familie ihre Tochter einen Menschen mit körperlichen Gebrechen heiraten lassen würde, denn solche Missbildungen traten in der nächsten Generation unvermeidlich wieder auf. Sie hatte ihren Sohn nie mit einem Mädchen sprechen sehen; die meisten Dorfmädchen mieden ihn, und Hoonie war zu klug, um sich etwas zu wünschen, das er nicht haben konnte – jeder in seiner Situation hätte seine Wünsche den Umständen angepasst.

Das komische kleine Gesicht der Ehevermittlerin war rundlich und rosa. Ihre schwarzen Kieselsteinaugen sprangen aufmerksam umher, und sie achtete darauf, nur freundliche Dinge zu sagen. Sie leckte sich die Lippen, als hätte sie Durst. Hoonies Mutter hatte das Gefühl, dass die Frau sie beobachtete und jede Einzelheit im Haus registrierte und die Küche mit ihren wachen Augen ausmaß.

Die Ehevermittlerin hingegen hätte große Mühe gehabt, Hoonies Mutter einzuschätzen, eine stille Frau, die von morgens bis abends arbeitete und alles erledigte, was für diesen und den nächsten Tag nötig war. Sie ging nur selten zum Markt, weil sie für nutzlose Plauderei keine Zeit hatte, und schickte stattdessen Hoonie zum Einkaufen. Während die Ehevermittlerin sprach, blieb der Mund der Mutter still und unbewegt, ein bisschen wie der solide Kieferntisch, auf dem sie die Radieschen in Würfel schnitt.

Die Ehevermittlerin schnitt das Thema als Erste an. Sicher, da war das Pech mit dem Fuß und der gespaltenen Lippe, aber Hoonie war offensichtlich ein guter Junge – gebildet und stark wie ein Joch Ochsen! Hoonies Mutter sei mit einem so feinen Sohn gesegnet, sagte die Ehevermittlerin. Sie machte ihre eigenen Kinder schlecht: Keiner ihrer Jungen sei belesen oder an Handel interessiert, dennoch seien sie nicht missraten. Ihre Tochter habe zu früh geheiratet und wohne jetzt zu weit entfernt. Alle führten gute Ehen, so die Einschätzung der Ehevermittlerin, aber ihre Söhne seien träge. Ganz anders dagegen Hoonie. Nach dieser Ansprache betrachtete die Ehevermittlerin die Frau mit der olivbraunen Haut, deren Gesicht unbewegt blieb, und versuchte zu erkennen, ob sich Interesse regte.

Hoonies Mutter hielt den Kopf gesenkt und führte das Messer mit Geschick – jeder Radieschenwürfel war glatt und präzise geschnitten. Als sich ein stattlicher Haufen weißer Würfel auf dem Schneidebrett angesammelt hatte, kippte sie ihn mit einer einzigen Bewegung in die Schüssel. Hoonies Mutter hörte den Worten der Ehevermittlerin so genau zu, dass sie insgeheim befürchtete, gleich vor Anspannung zu zittern.

Um die finanzielle Lage des Haushalts einzuschätzen, hatte die Ehevermittlerin das Haus umrundet, bevor sie hereingekommen war. Der äußere Eindruck bestätigte das, was die Nachbarn über die Lage sagten, nämlich, dass sie solide sei. Im Gemüsegarten konnten die weißen Radieschen, die nach dem ersten Frühlingsregen dick und rund geworden waren, aus der braunen Erde gezogen werden. Schellfisch und Tintenfisch hingen ordentlich an einer Wäscheleine zum Trocknen in der milden Frühlingssonne. Neben dem Schuppen war ein gemauerter Stall mit drei schwarzen Schweinen. Die Ehevermittlerin zählte sieben Hühner und einen Hahn im Garten. Im Haus selbst war der Wohlstand der Familie noch offensichtlicher.

In der Küche standen Stapel von Reis- und Suppenschalen auf stabilen Borden, und von den Deckenbalken hingen Zöpfe mit weißem Knoblauch und roten Chilischoten. In der Ecke neben dem Waschbecken stand ein großer geflochtener Korb voller frisch ausgegrabener Kartoffeln. Das behagliche Aroma von Gerste und Hirse, die in dem schwarzen Dampfkochtopf garten, zog durch das kleine Haus.

Nachdem sich die Ehevermittlerin von der soliden Lage des Logierhauses in einem zunehmend in die Armut abgleitenden Land überzeugt hatte, glaubte sie, dass auch Hoonie ein gesundes Mädchen zur Frau haben konnte, und wagte den nächsten Schritt.

Das Mädchen war von der anderen Seite der Insel, jenseits des dichten Walds. Ihr Vater war Pachtbauer, einer von vielen, die im Zuge der kürzlich von den Kolonialherren durchgeführten Landvermessungen seinen Pachtvertrag verloren hatte. Der Witwer, der mit vier Töchtern geschlagen war und keine Söhne hatte, konnte seine Familie nur von dem ernähren, was er im Wald sammelte, von den Fischen, die er nicht verkaufen konnte, oder von den gelegentlichen barmherzigen Gaben seiner ähnlich wie er verarmten Nachbarn. Der Vater, ein anständiger Mann, hatte die Ehevermittlerin gebeten, Ehemänner für seine unverheirateten Töchter zu finden, denn es war besser, dass noch unberührte Frauen heirateten, ganz gleich wen, statt dass sie um Essen betteln mussten zu Zeiten, in denen alle Hunger litten und Tugend ein teures Gut war. Das Mädchen, Yangjin, war die jüngste der vier Töchter und würde sich am leichtesten verheiraten lassen, da sie zu jung war, um aufzubegehren, und am meisten gewöhnt war, mit wenig Essen auszukommen.

Yangjin sei fünfzehn Jahre alt und sanft und zart wie ein neugeborenes Kalb, sagte die Ehevermittlerin. »Keine Mitgift, versteht sich, so, wie auch der Vater keine großen Geschenke erwarten würde. Ein paar Legehennen, vielleicht, und Baumwolle für Yangjins Schwestern; sechs oder sieben Sack Hirse, damit sie über den Winter kommen.« Als sie keinen Protest bei der Aufzählung der Geschenke hörte, wurde sie kühner und sagte: »Vielleicht eine Ziege. Oder ein kleines Schwein. Die Familie hat nur wenig, und die Brautpreise sind stark gesunken. Das Mädchen braucht auch keinen Schmuck.« Die Ehevermittlerin lachte leise.

Mit einer Drehung des Handgelenks streute Hoonies Mutter Salz über die Radieschen. Die Ehevermittlerin konnte nicht ahnen, wie aufmerksam die Mutter zugehört hatte und dass sie jetzt überlegte, was die Frau wollte. Die Mutter hätte viel darum gegeben, wenn sie mehr als den geforderten Brautpreis hätte bieten können. Sie war überrascht, welche Vorstellungen und Hoffnungen in ihrer Brust erwachten, aber ihr Gesicht blieb konzentriert und verschlossen; trotzdem, die Ehevermittlerin war nicht dumm.

»Was würde ich nicht darum geben, wenn ich eines Tages einen Enkelsohn hätte«, sagte die Ehevermittlerin zum Abschluss ihrer Offerte und betrachtete das faltige braune Gesicht der Logierhausbetreiberin. »Ich habe eine Enkeltochter, aber keine Enkelsöhne, und das Mädchen weint so viel.«

Die Ehevermittlerin fuhr fort. »Ich erinnere mich, als ich meinen ältesten Sohn im Arm gehalten habe. Wie glücklich ich war! Er war weiß wie ein Korb mit frischen Neujahrsreiskuchen – weich und saftig wie warmer Teig. Und so verführerisch, dass man reinbeißen wollte. Na, und jetzt ist er einfach nur ein großer Tölpel«, sagte sie, weil sie glaubte, ihrer Prahlerei etwas Abwertendes hinzufügen zu müssen.

Hoonies Mutter lächelte, zum ersten Mal, das Bild war einfach zu lebendig. Welche ältere Frau sehnt sich nicht danach, ihr Enkelkind auf dem Arm zu halten? Ein Gedanke, der vor diesem Besuch undenkbar gewesen war. Sie biss die Zähne aufeinander, um sich zu beruhigen, nahm die Rührschüssel und schüttelte sie, damit sich das Salz verteilte.

»Das Mädchen hat ein schönes Gesicht. Keine Pockennarben. Und sie ist auch nicht so dunkel. Sie ist gut erzogen und gehorcht ihrem Vater und ihren Schwestern. Zwar ist sie schmächtig, aber sie hat starke Hände und Arme. Und sie muss etwas auf die Rippen bekommen, aber das werden Sie verstehen. Es sind schwierige Zeiten für die Familie.« Die Ehestifterin lächelte mit Blick auf den Kartoffelkorb, als wollte sie sagen, hier könne das Mädchen sich richtig satt essen.

Hoonies Mutter stellte die Schüssel auf die Arbeitsfläche und wandte sich zu ihrem Gast um.

»Ich werde mit meinem Mann und meinem Sohn sprechen. Für eine Ziege oder ein Schwein ist kein Geld da. Vielleicht können wir zusammen mit den anderen Dingen Baumwolle für den Winter schicken. Ich muss das fragen.«

 

Bräutigam und Braut lernten sich an ihrem Hochzeitstag kennen, und Yangjin war von Hoonies Gesicht nicht abgestoßen. In ihrem Dorf waren drei Menschen so auf die Welt gekommen. Sie hatte Rinder und Schweine damit gesehen. Ein Mädchen, das in ihrer Nähe lebte, hatte zwischen der Nase und der gespaltenen Lippe eine erdbeerfarbene Wucherung, und die anderen Kinder nannten sie Erdbeere, was dem Mädchen nichts ausmachte. Als der Vater zu Yangjin gesagt hatte, ihr Bräutigam habe das Gleiche wie Erdbeere, dazu noch ein verkrüppeltes Bein, hatte sie nicht geweint. Er hatte gesagt, sie sei ein braves Mädchen.

Hoonie und Yangjin wurden in aller Stille miteinander vermählt, und hätte die Familie den Nachbarn nicht kleine Beifußkuchen geschickt, hätte man ihr Knauserigkeit vorgeworfen. Selbst die Logiergäste waren erstaunt, als die Braut am Tag nach der Hochzeit das Frühstück servierte.

Als Yangjin schwanger wurde, war sie besorgt, dass ihr Kind mit Hoonies Missbildungen auf die Welt kommen würde. Ihr erstes Kind wurde mit einer Gaumenspalte geboren, hatte aber gesunde Beine. Weder Hoonie noch seine Eltern waren enttäuscht, als die Hebamme ihnen den Jungen zeigte. »Macht es dir etwas aus?«, fragte Hoonie seine Frau, und sie sagte Nein, denn es machte ihr nichts aus. Wenn Yangjin mit ihrem Erstgeborenen allein war, fuhr sie ihm mit dem Zeigefinger um den Mund und küsste ihn; sie hatte nie jemanden so geliebt wie ihr Baby. Im Alter von sieben Wochen starb es an einem Fieber. Ihr zweites Kind, auch ein Junge, hatte ein perfektes Gesicht und gesunde Beine, aber auch dieses Baby starb vor der Baek-il-Feier an Durchfall und Fieber. Ihre noch unverheirateten Schwestern gaben dem schwachen Milchfluss die Schuld und rieten Yangjin, zu einem Schamanen zu gehen. Hoonie und seine Eltern wollten davon nichts wissen, aber als Yangjin das dritte Mal schwanger war, suchte sie einen auf. Dann war ihr während der Schwangerschaft unwohl, und sie begann, sich damit abzufinden, dass auch dieses Baby sterben könnte. Ihr drittes Kind starb an Pocken.

Ihre Schwiegermutter ging zu einem Herbalisten und braute einen Heiltee. Yangjin trank die Tasse bis auf den letzten braunen Tropfen aus und entschuldigte sich für die hohen Kosten. Nach jeder Geburt kaufte Hoonie seiner Frau Algen für Suppe auf dem Markt, um ihre Gebärmutter zu heilen; und nach jedem Kindstod kaufte er süße, noch warme Reiskuchen vom Markt, gab sie ihr und sagte: »Iss das nur. Du musst wieder zu Kräften kommen.«

Drei Jahre nach der Eheschließung starb Hoonies Vater, wenige Monate darauf seine Frau. Nie hatten Yangjins Schwiegereltern ihr Mahlzeiten oder Bekleidung verweigert. Niemand hatte sie je geschlagen oder gescholten, auch als es ihr nicht gelang, ihnen einen lebenden Erben zu schenken.

Schließlich brachte Yangjin ihr viertes Kind zur Welt, Sunja, das einzige Mädchen, und es gedieh. Als es drei wurde, konnten die Eltern endlich wieder die Nächte durchschlafen, ohne ständig nachzusehen, ob das kleine Wesen auf der Strohmatratze neben ihnen noch atmete. Hoonie schnitzte seiner Tochter Püppchen aus Maiskolben und verzichtete auf seinen Tabak, um ihr Süßes zu kaufen. Die drei aßen alle Mahlzeiten zusammen, obwohl die Logiergäste wollten, dass Hoonie sich zu ihnen an den Tisch setzte. Hoonie liebte sein Kind, so, wie seine Eltern ihn geliebt hatten, aber es war ihm unmöglich, ihm etwas zu verweigern. Sunja war ein durchschnittlich hübsches Mädchen, das oft und hell lachte, aber in den Augen ihres Vaters war sie eine Schönheit, und er staunte über ihre Vollkommenheit. Nur wenige Väter in der Welt vergötterten ihre Töchter so, wie Hoonie das tat, der anscheinend nur dafür lebte, sein Kind zum Lächeln zu bringen.

In dem Winter, als Sunja dreizehn Jahre alt wurde, starb Hoonie still an Tuberkulose. Bei seinem Begräbnis waren Yangjin und ihre Tochter untröstlich. Am nächsten Morgen stand die junge Witwe von ihrem Strohlager auf und ging wieder an die Arbeit.

2

November 1932

Der Winter nach dem Einmarsch Japans in der Mandschurei war hart. Beißende Winde pfiffen durch das kleine Logierhaus, und die Frauen stopften sich Baumwolle zwischen die Schichten ihrer Bekleidung. Die Große Depression, wie sie genannt wurde, gab es überall in der Welt – so erzählten es die Logiergäste bei den Mahlzeiten und wiederholten damit das, was sie auf dem Markt von Männern gehört hatten, die imstande waren, Zeitung zu lesen. Arme Amerikaner hungerten so wie arme Russen und arme Chinesen auch. Selbst gewöhnliche Japaner verzichteten im Namen des Kaisers auf Essen. Zweifellos überlebten die Schlauen und die Robusten den Winter, aber gleichzeitig gab es einfach zu viele schlimme Geschichten – von Kindern, die abends zu Bett gingen und am nächsten Morgen nicht mehr aufwachten, von jungen Mädchen, die ihre Unschuld für eine Schüssel Nudeln verkauften, von älteren Menschen, die sich davonstahlen, damit die Jungen zu essen hatten.

Trotzdem erwarteten die Logiergäste regelmäßige Mahlzeiten, und das Haus war alt und machte immer wieder Reparaturen nötig. Zudem war jeden Monat die Miete an Yangjins Vermieter fällig, der auf Zahlung bestand. Im Laufe der Zeit hatte Yangjin gelernt, mit Geld umzugehen, mit Lieferanten zu verhandeln und Bedingungen abzulehnen, die ihr nicht passten. Als sie zwei verwaiste Schwestern einstellte, wurde sie zur Arbeitgeberin. Sie war eine siebenunddreißigjährige Witwe, die ein Logierhaus führte, und nicht mehr das junge Mädchen, das barfuß und mit einem in Stoff gewickelten Päckchen frischer Wechselwäsche vor der Tür gestanden hatte.

Yangjin musste sich um Sunja kümmern und Geld verdienen; zum Glück hatte sie den Logierbetrieb, auch wenn ihr das Haus nicht gehörte. Am Ersten des Monats bezahlte jeder Mieter dreiundzwanzig Yen für Kost und Logis, und mit der Zeit wurde das für das Getreide auf dem Markt und die Kohle zum Heizen zu knapp. Yangjin konnte die Miete nicht erhöhen, weil die Löhne der Männer nicht stiegen, trotzdem musste sie ihnen bei den Mahlzeiten die gleichen Mengen vorsetzen. Also kochte sie dicke, sämige Brühe aus Beinknochen und bereitete schmackhaft gewürzte Gerichte aus dem Gemüse im Garten; am Ende des Monats, wenn das Geld knapp war, streckte sie Hirse und Gerste mit ein paar Zutaten aus der Vorratskammer. War der Getreidesack fast leer, machte sie herzhafte Plinsen aus Bohnenmehl. Die Logiergäste brachten ihr den Fisch, den sie auf dem Markt nicht verkauft hatten, und Yangjin konservierte das, was in dem Eimer war, Krabben oder Makrelen, mit Gewürzen, um für magere Tage vorzusorgen.

Während der vergangenen zwei Jahre hatten sich sechs Gäste eins der Gästezimmer geteilt: Die drei Brüder Chung aus Jeollado fuhren nachts zum Fischen aufs Meer und schliefen am Tage, während zwei junge Burschen aus Daegu und ein Witwer aus Busan auf dem Fischmarkt am Hafen arbeiteten und sich am frühen Abend schlafen legten. In dem kleinen Zimmer lagen die Männer dicht an dicht, aber sie beklagten sich nicht, denn das Logierhaus war besser als das, was sie aus ihren jeweiligen Heimatorten gewohnt waren. Die Betten waren sauber, und man wurde satt. Die Mädchen wuschen die Bekleidung der Fischer mit Sorgfalt, und Yangjin selbst flickte die Sachen, damit sie noch eine Saison hielten. Da keiner der Männer sich eine Ehefrau leisten konnte, passte ihnen dieses Arrangement gut. Eine Frau hätte einem Arbeiter die Annehmlichkeit körperlicher Nähe gegeben, aber eine Ehe bedeutete Nachwuchs, der Essen, Kleidung und ein Zuhause brauchte, außerdem waren die Frauen armer Männer oft unzufrieden und nörgelig, und diese Männer wussten sehr gut, wo ihre Grenzen lagen.

Die Preise stiegen, und das Geld wurde knapper, eine besorgniserregende Entwicklung, aber die Logiergäste waren mit den Mietzahlungen nur selten im Rückstand. Die Männer, die auf dem Markt arbeiteten, wurden manchmal mit unverkaufter Ware bezahlt, und Yangjin nahm, wenn die Miete fällig war, stattdessen auch einen Krug Speiseöl. Ihre Schwiegermutter hatte ihr erklärt, dass man Logiergäste gut behandeln müsse, denn es gebe immer andere Häuser, in denen sie Unterkunft finden konnten. Sie hatte gesagt: »Männer haben Möglichkeiten, die Frauen nicht offenstehen.« Waren am Ende einer jeden Saison ein paar Münzen übrig, dann warf Yangjin sie in einen dunklen irdenen Topf, der hinter einer Holzlatte im Schrank verborgen war, wo ihr Mann schon die zwei Goldringe versteckt hatte, die seiner Mutter gehört hatten.

 

Bei den Mahlzeiten trugen Yangjin und ihre Tochter das Essen still auf, während die Mieter lautstark über Politik sprachen. Die Brüder Chung konnten zwar nicht lesen, verfolgten aber am Hafen aufmerksam die Nachrichten, und beim Essen im Gästehaus analysierten sie gern das Schicksal ihres Landes.

Es war Mitte November, und die Fischereierträge für den Monat waren besser als erwartet ausgefallen. Die Brüder Chung waren gerade erst aufgestanden. Gleich würden die Abendlogiergäste zum Schlafen eintreffen. Die Fischer aßen ihre Hauptmahlzeit, bevor sie aufs Meer fuhren. Die Brüder waren ausgeruht und wohlgemut und überzeugt, dass Japan China niemals erobern konnte.

»Ja, die Dreckskerle können dran knabbern, aber China kann man sich nicht ganz einverleiben. Unmöglich!«, rief der mittlere der Brüder Chung.

»Diese Zwerge, so ein großes Königreich können die doch nicht an sich reißen. China ist unser großer Bruder! Japan ist einfach ein schlechtes Saatkorn«, rief Fatso, der jüngste der Brüder, und setzte seine Tasse mit warmem Tee heftig auf den Tisch. »China wird sich die Saubande vorknöpfen! Wartet nur ab!«

Innerhalb der armseligen Mauern des Logierhauses mokierten sich diese einfachen Männer über die herrschende Kolonialmacht und wähnten sich in Sicherheit vor der Kolonialpolizei, die lautstarke Fischer wie sie in Ruhe lassen würde. Die Brüder prahlten mit Chinas Stärke, ihre Herzen sehnten sich nach einer starken Nation, denn ihre eigenen Herrscher hatten sie im Stich gelassen. Inzwischen war Korea seit zweiundzwanzig Jahren eine Kolonie. Die jüngeren beiden Brüder hatten nie in einem Korea gelebt, das nicht unter der Herrschaft Japans stand.

»Ajumoni«, rief Fatso freundlich. »Ajumoni.«

»Ja?« Yangjin wusste, dass er einen Nachschlag haben wollte. Er war ein magerer junger Mann, aber er aß mehr als seine beiden Brüder zusammen.

»Noch eine Portion von deiner köstlichen Suppe?«

»Ja, selbstverständlich.«

Yangjin holte die Suppe aus der Küche. Fatso schlürfte sie herunter, dann brachen die Männer zur Arbeit auf.

Kurz darauf kamen die Tagesarbeiter herein, wuschen sich und aßen schnell ihr Abendessen. Sie rauchten ihre Pfeifen und legten sich schlafen. Die Frauen räumten ab und aßen ihr einfaches Abendessen schweigend, weil die Männer schliefen. Die Dienstmädchen und Sunja räumten die Küche auf und putzten die schmutzigen Waschbecken. Yangjin legte Kohle nach, bevor sie sich fürs Bett fertig machte. Die Reden der Brüder über China gingen ihr noch im Kopf herum. Hoonie hatte immer allen Männern, die ihm Nachrichten brachten, aufmerksam zugehört, und er hatte genickt und entschlossen ausgeatmet, dann war er aufgestanden und wieder an seine Arbeit gegangen. »Was macht das schon«, sagte er, »was macht das schon.« Ob China kapitulierte, ob es sich rächte, das Unkraut im Gemüsegarten musste gejätet werden, neue Sandalen mussten aus Hanf geflochten werden, wenn sie Schuhe tragen wollten, und die Diebe, die immer wieder versuchten, ihre Hühner zu stehlen, mussten ferngehalten werden.

 

Der feuchte Saum von Baek Isak’s Wollmantel war steif gefroren, aber Isak hatte das Logierhaus endlich gefunden. Der lange Weg von Pjöngjang hatte ihn ermüdet. Anders als im verschneiten Norden war die Kälte in Busan trügerisch. Der Winter im Süden schien milder, aber die frostigen Winde vom Meer drangen in seine geschwächten Lungen und ließen ihn die Kälte bis ins Mark spüren. Bei seinem Aufbruch von zu Hause hatte Isak sich stark genug gefühlt, die Zugreise anzutreten, aber jetzt war er mit seinen Kräften am Ende, und er wusste, dass er Ruhe brauchte. Vom Bahnhof in Busan hatte er den Weg zu der kleinen Fähre nach Yeongdo gefunden, und nachdem er an Land gegangen war, hatte der Kohlenmann aus der Gegend ihn bis zur Tür des Logierhauses gebracht. Isak atmete lange aus und klopfte mit letzter Kraft, aber er war zuversichtlich, dass er nur eine gute Nachtruhe brauchte, um sich zu erholen.

Yangjin hatte sich soeben auf ihrer Strohmatratze zur Ruhe gelegt, als das jüngere der beiden Dienstmädchen an den Türrahmen des Alkovens klopfte, wo alle Frauen zusammen schliefen.

»Ajumoni, an der Tür ist ein Herr. Er möchte mit dem Haushaltsvorstand sprechen. Er sagte etwas von einem Bruder, der vor Jahren einmal hier war. Der Herr möchte bleiben. Über Nacht.« Das Dienstmädchen war ganz atemlos.

Yangjin runzelte die Stirn. Wer kam wegen Hoonie hierher?, fragte sie sich. Im nächsten Monat wären es drei Jahre seit seinem Tod.

Ihre Tochter Sunja lag auf dem gewärmten Fußboden und schlief schon; sie atmete leise, und ihr offenes Haar war auf dem Kissen ausgebreitet, wellig von den Zöpfen, zu denen es am Tage geflochten war, und schimmerte wie ein Viereck schwarzer Seide. Neben ihr war gerade noch Platz für die Dienstmädchen, wenn die sich abends nach der Arbeit schlafen legten.

»Hast du ihm nicht gesagt, dass der Haushaltsvorstand gestorben ist?«

»Schon. Er schien überrascht. Der Herr sagte, sein Bruder habe dem Haushaltsvorstand geschrieben, aber keine Antwort erhalten.«

Yangjin setzte sich auf und nahm ihre Hanbok, die wattierte Weste aus feiner Baumwolle, die sie eben erst ausgezogen und ordentlich gefaltet neben ihr Kissen gelegt hatte, und zog sie sich über den Rock und die Jacke. Mit wenigen geschickten Handgriffen steckte sie ihr Haar zu einem Knoten auf.

Als sie ihn sah, verstand sie, warum das Dienstmädchen ihn nicht fortgeschickt hatte. Er hatte den Wuchs einer jungen Pinie, aufrecht und elegant, und war ungewöhnlich gut aussehend: schmale, lächelnde Augen, eine starke Nase, ein langer Hals. Dieser Mann hatte eine helle, faltenfreie Stirn und ähnelte in keiner Weise den wettergegerbten Logiergästen, die lautstark nach ihrem Essen verlangten und die Dienstmädchen neckten, weil sie unverheiratet waren. Der junge Mann trug einen Anzug im westlichen Stil und einen dicken Wintermantel. Die importierten Lederschuhe, der Lederkoffer und der Hut – nichts davon passte zu dem engen Hauseingang, in dem er jetzt stand. Seinem Aussehen nach hatte er das Geld für ein Zimmer in einem der größeren Gasthäuser für Kaufleute und Handelsreisende. Fast alle Gasthäuser in Busan, wo Koreaner Unterkunft finden konnten, waren belegt, aber für gutes Geld konnte man ein Zimmer bekommen. In diesem Aufzug hätte er als reicher Japaner durchgehen können. Das Dienstmädchen stierte den Herrn mit leicht offenem Mund an und hoffte, dass er über Nacht bleiben durfte.

Yangjin verneigte sich; sie wusste nicht, was sie zu ihm sagen sollte. Bestimmt hatte der Bruder einen Brief geschickt, aber sie konnte nicht lesen. Alle paar Monate bat sie den Dorflehrer, ihr ihre Post vorzulesen, doch diesen Winter war noch keine Zeit dafür gewesen.

»Ajumoni« – er verneigte sich –, »ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt. Es war schon dunkel, als ich von der Fähre kam. Ich habe erst eben die traurige Nachricht über Ihren Mann erfahren. Es tut mir leid. Ich bin Baek Isak. Ich komme aus Pjöngjang. Mein Bruder Baek Yoseb hat vor vielen Jahren einmal hier gewohnt.«

Sein nördlicher Akzent war kaum wahrnehmbar, seine Sprache gebildet.

»Ich hatte gehofft, ein paar Wochen hier bleiben zu können, bevor ich nach Osaka weiterreise.«

Yangjin sah auf ihre nackten Füße. Das Gästezimmer war belegt, und ein Mann wie dieser würde sein eigenes Zimmer haben wollen. Um diese späte Zeit einen Fährmann zu finden, der ihn wieder zum Festland brachte, wäre schwierig.

Isak zog ein weißes Taschentuch aus der Hosentasche und hielt es sich vor den Mund, bevor er hustete.

»Es ist fast zehn Jahre her, dass mein Bruder hier war. Ob Sie sich wohl an ihn erinnern? Er hat Ihren Mann sehr bewundert.«

Yangjin nickte. Der ältere Baek war ihr in Erinnerung geblieben, weil er weder fischen ging noch auf dem Markt arbeitete. Mit Vornamen hieß er Yoseb, ein Name aus der Bibel. Seine Eltern waren Christen und hatten im Norden eine Gemeinde begründet.

»Aber Ihr Bruder – der Herr damals, er sah Ihnen nicht sehr ähnlich. Er war klein und trug eine runde Metallbrille. Er wollte nach Japan; er hat mehrere Wochen hier gewohnt, bevor er weiterreiste.«

»Ja, ja.« Isaks Gesicht hellte sich auf. Er hatte Yoseb seit über zehn Jahren nicht gesehen. »Er lebt in Osaka mit seiner Frau. Er hat einen Brief an Ihren Mann geschrieben, weil er unbedingt will, dass ich hier wohne. Er hat sogar von Ihrer Fischsuppe geschrieben. ›Besser als zu Hause‹, hat er gesagt.«

Yangjin musste unwillkürlich lächeln.

»Mein Bruder sagte, Ihr Mann sei sehr tüchtig gewesen.« Isak erwähnte weder den Klumpfuß noch die Gaumenspalte, natürlich nicht, Yoseb hatte davon in seinem Brief geschrieben, und Isak war neugierig auf diesen Mann gewesen, der solche Schwierigkeiten überwunden hatte.

»Haben Sie gegessen?«, fragte Yangjin.

»Ich brauche nichts. Vielen Dank.«

»Wir können Ihnen etwas zu essen machen.«

»Meinen Sie, ich könnte mich hier ausruhen? Ich verstehe, dass Sie nicht mit mir gerechnet haben, aber ich bin seit zwei Tagen auf der Reise.«

»Wir haben kein freies Zimmer, Sir. Das Haus ist nicht groß, also …«

Isak stöhnte, dann lächelte er. Er steckte in der Klemme und musste selbst eine Lösung finden. Er sah sich nach seinem Koffer um, der bei der Tür stand.

»Ich verstehe. Dann fahre ich am besten wieder nach Busan und suche mir dort eine Unterkunft. Aber bevor ich das tue – gibt es hier ein Gasthaus, in dem ich ein Zimmer finden könnte?« Er stellte sich aufrecht hin, um nicht mutlos zu wirken.

»Hier in der Nähe gibt es nichts, und wir haben kein Zimmer frei«, sagte Yangjin. Wenn sie ihn bei den Männern unterbrachte, würde er sich möglicherweise an dem Geruch stören. Sooft man sie auch wusch, den Fischgeruch bekam man aus den Sachen nicht heraus.

Isak schloss die Augen und wandte sich zum Gehen.

»In dem Zimmer der Logiergäste ist noch ein bisschen Platz. Es gibt nur das eine Zimmer, müssen Sie wissen. Drei Gäste schlafen dort am Tage, und drei nachts, je nachdem, wann sie arbeiten. Es ist noch Platz für einen, aber es wäre nicht sehr bequem. Sie können es sich ansehen, wenn Sie möchten.«

»Es ist bestimmt in Ordnung«, sagte Isak erleichtert. »Ich wäre Ihnen sehr dankbar. Ich kann für den ganzen Monat im Voraus bezahlen.«

»Wahrscheinlich ist es enger, als Sie es gewöhnt sind. Als Ihr Bruder hier war, hatten wir nicht so viele Logiergäste. Es war nicht so voll. Ich weiß nicht, ob –«

»Nein, nein. Ich brauche nur ein Plätzchen, wo ich mich hinlegen kann.«

»Es ist spät, und heute Nacht windet es sehr stark.« Plötzlich war Yangjin der Zustand ihres Hauses peinlich, eine Regung, die sie bisher nicht gekannt hatte.

Sie nannte den monatlichen Satz, der im Voraus zu bezahlen war. Wenn er nicht den ganzen Monat blieb, würde sie ihm den Rest erstatten. Sie berechnete ihm dreiundzwanzig Yen, dasselbe wie den Fischern. Isak zählte die Yen ab und gab ihr die Münzen mit beiden Händen.

Das Dienstmädchen trug seinen Koffer ins Zimmer und holte eine saubere Bettrolle aus der Kammer. Das Dienstmädchen senkte die Augen, aber es war neugierig.

Yangjin half dem Dienstmädchen, das Bett zu richten, und Isak sah ihnen wortlos zu. Anschließend brachte das Mädchen ihm aus der Küche eine Schüssel mit warmem Wasser und ein sauberes Handtuch. Die Jungen aus Daegu schliefen ordentlich nebeneinander, der Witwer hatte im Schlaf die Arme über den Kopf gestreckt. Isaks Matratze lag parallel zu der des Witwers.

Am nächsten Morgen würden die Männer sich ein bisschen anstellen, weil sie das Zimmer mit noch jemandem teilen mussten, aber Yangjin hätte ihn unmöglich abweisen können.

3

Beim Morgengrauen kamen die Brüder Chung von ihrem Boot zurück. Fatso bemerkte sofort den noch schlafenden neuen Logiergast.

Er lächelte Yangjin an. »Wie gut, dass eine fleißige Frau wie du solchen Erfolg hat. Die Nachricht von deinen fantastischen Kochkünsten ist bis zu den Reichen vorgedrungen. Demnächst nimmst du noch Japaner auf! Hoffentlich berechnest du ihm das Dreifache von dem, was wir bezahlen.«

Sunja schüttelte den Kopf, aber er bemerkte es nicht. Er befühlte die Krawatte, die bei Isaks Anzug hing.

»Tragen Yangbans um ihre langen Hälse so etwas, um wichtig auszusehen? Sieht wie eine Galgenschlaufe aus. Ich habe noch nie eine aus der Nähe gesehen! Waaaah – wie glatt!« Der jüngste Bruder rieb sich die Krawatte an der Wange. »Vielleicht ist es Seide. Eine Galgenschlaufe aus reiner Seide!« Er lachte laut auf, aber Isak regte sich nicht.

»Fatso-ya, lass das«, sagte Gombo streng. Der älteste Bruder hatte ein pockennarbiges Gesicht, und wenn er böse war, färbte sich seine pockige Haut rot. Er kümmerte sich seit dem Tod des Vaters um seine beiden Brüder.

Mit einem betretenen Gesichtsausdruck ließ Fatso die Krawatte los. Es bekümmerte ihn, wenn er seinen Bruder verärgerte. Die Brüder wuschen sich, aßen etwas, dann legten sie sich schlafen. Der neue Gast wachte nicht auf und hustete hin und wieder im Schlaf.

Yangjin ging in die Küche und trug den Dienstmädchen auf, sich um den Mann zu kümmern, wenn er aufwachte. Sunja hockte in der Ecke, bürstete Süßkartoffeln und sah nicht auf, als ihre Mutter hereinkam und dann wieder ging. Seit einer Woche wechselten sie nur die nötigsten Worte. Die Dienstmädchen verstanden nicht, warum Sunja so schweigsam geworden war.

Am Spätnachmittag wachten die Brüder Chung auf, aßen und gingen ins Dorf, um Tabak zu kaufen, bevor sie wieder mit dem Boot rausfuhren. Die Logiergäste von der Abendschicht waren noch nicht von der Arbeit zurück, und im Haus war es ein, zwei Stunden still. Die Meereswinde bliesen durch die porösen Wände und die Fensterritzen, sodass es in dem kurzen Flur zwischen den Zimmern recht zugig war.

Yangjin saß im Schneidersitz auf einer der wärmsten Stellen des geheizten Fußbodens in dem Nebenraum, wo die Frauen schliefen. Sie besserte eine der Hosen aus, die auf einem Stapel mit einem halben Dutzend anderer abgetragener Hosen gelegen hatte. Die Sachen der Männer wurden nur selten gewaschen, da die Männer nur wenig zum Wechseln hatten und es ihnen nicht wichtig genug war.

»Sie werden doch nur wieder schmutzig«, sagte Fatso, obwohl seine älteren Brüder lieber saubere Hosen hatten. Jedes Mal, wenn der neue Gast hustete, schoss Yangjins Kopf in die Höhe. Sie versuchte, sich auf ihre Näharbeit zu konzentrieren und nicht auf ihre Tochter zu achten, die die Fußböden wischte. Zweimal täglich wurden die mit gewachstem Papier ausgelegten Fußböden gefegt und dann feucht gewischt.

Die Haustür ging langsam auf, und Mutter und Tochter sahen von ihrer Arbeit auf. Jun, der Kohlenmann, kam, um sein Geld zu holen. Yangjin stand auf und begrüßte ihn, Sunja nickte kurz und machte mit ihrer Arbeit weiter.

»Wie geht es Ihrer Frau?«, fragte Yangjin. Die Frau des Kohlenmannes hatte einen nervösen Magen und musste bisweilen das Bett hüten.

»Heute Morgen ist sie aufgestanden und zum Markt gegangen. Sie will ihr Geld verdienen, das lässt sie sich nicht nehmen. Sie kennen sie ja«, sagte Jun stolz.

»Sie haben es gut getroffen.« Yangjin nahm ihren Geldbeutel heraus und gab ihm das Geld für den Wochenvorrat Kohle.

»Ajumoni, wenn alle Kunden so wären wie Sie, müsste ich niemals Hunger leiden. Sie bezahlen immer prompt.« Er lachte zufrieden.

Yangjin lächelte. Jede Woche klagte er, dass niemand rechtzeitig bezahlte, aber die meisten Menschen verzichteten eher auf Essen, um ihm sein Geld geben zu können, denn der Winter war kalt, und man brauchte Kohle. Der Kohlenmann war ein rundlicher Herr, der auf seiner Route in jedem Haus ein Tässchen Tee und eine Kleinigkeit zu essen annahm; auch in diesen mageren Zeiten hungerte er nicht. Seine Frau war die beste Algenverkäuferin auf dem Markt und verdiente ihrerseits ein stattliches Sümmchen.

»Ein paar Häuser weiter, Lee-seki, dieser Mistkerl, will mir nicht geben, was er mir schuldet –«

»Es ist nicht leicht zur Zeit. Alle haben Engpässe.«

»Das stimmt, es ist nicht leicht, aber Sie haben das Haus voll mit zahlenden Gästen, weil Sie die beste Köchin in Kyungsangdo sind. Ist der Geistliche jetzt bei Ihnen? Hatten Sie noch ein Bett für ihn? Ich habe ihm gesagt, Ihre Meerbrasse ist die beste in ganz Busan.« Jun hob die Nase und prüfte, ob er vor seinem nächsten Hausbesuch hier noch einen Happen bekommen konnte, aber er nahm keine Kochgerüche wahr.

Yangjin warf ihrer Tochter einen Blick zu, worauf Sunja aufhörte, den Fußboden zu wischen, und in die Küche ging, um dem Kohlenmann etwas zu holen.

»Aber wussten Sie, dass der junge Mann schon von seinem Bruder, der vor zehn Jahren hier war, von Ihren Kochkünsten gehört hatte? Ah, der Magen erinnert sich besser als das Herz.«

»Der Geistliche?« Yangjin sah ihn verstört an.

»Der junge Mann aus dem Norden. Ich habe ihn gestern auf der Straße getroffen, als er Ihr Haus suchte. Baek Isak. Sah ziemlich schick aus. Ich habe ihm Ihr Haus gezeigt und wäre selbst mit reingekommen, aber ich musste noch bei Cho-seki liefern, der hatte nämlich endlich das Geld beisammen, nachdem er mir einen Monat lang aus dem Weg gegangen war –«

»Oh –«

»Jedenfalls, ich habe dem Geistlichen von den Magenproblemen meiner Frau erzählt, und dass sie auf dem Markt so viel zu tun hat, und was soll ich sagen, er hat gesagt, er würde auf der Stelle für sie beten. Er hat den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen! Ich weiß nicht, ob ich daran glauben soll, wenn die Menschen so vor sich hin murmeln, aber eigentlich kann es auch nicht schaden. Sehr nett aussehender junger Mann, finden Sie nicht? Ist er schon unterwegs? Ich sollte ihm guten Tag sagen.«

Sunja brachte ihm ein Holztablett mit einer Tasse heißem Gerstentee und einer Schüssel dampfender Süßkartoffeln und setzte es vor ihm ab. Der Kohlenmann ließ sich auf das Bodenkissen plumpsen und machte sich über die Kartoffeln her. Er kaute andächtig, dann fing er wieder an zu sprechen.

»Und als ich heute Morgen meine Frau fragte, wie es ihr geht, sagte sie, ganz gut eigentlich, und ist zur Arbeit gegangen! Vielleicht ist doch was dran, an dem Beten. Ha! –«

»Ist er kath-o-lisch?« Yangjin wollte ihn eigentlich nicht so oft unterbrechen, aber anders konnte sie nicht zu Wort kommen, denn sonst hätte er stundenlang geredet. Hoonie hatte früher immer gesagt, für einen Mann mache Jun zu viele Worte. »Ein Priester?«

»Nein, kein Priester. Das sind die anderen. Baek ist Pro-tes-tant. Die Sorte, die heiraten darf. Er ist auf dem Weg nach Osaka, wo sein Bruder lebt. Ich glaube nicht, dass ich seinen Bruder kennengelernt habe.« Er kaute weiter und nahm dazwischen kleine Schlucke von dem Tee. Bevor Yangjin etwas sagen konnte, fuhr Jun fort: »Dieser Hirohito-seki hat unser Land genommen, er hat das fruchtbare Land, den Reis und die Fische gestohlen, und jetzt stiehlt er unsere jungen Leute.« Er seufzte und nahm noch einen Bissen Kartoffel. »Tja, ich kann es ihnen nicht verübeln, dass sie nach Japan gehen. Hier kann man kein Geld verdienen. Für mich ist es zu spät, aber wenn ich einen Sohn hätte« – Jun machte eine Pause, denn er hatte keine Kinder, und der Gedanke daran machte ihn traurig –, »dann würde ich ihn nach Hawaii schicken. Meine Frau hat einen cleveren Neffen, der da auf einer Zuckerrohrplantage arbeitet. Es ist harte Arbeit, aber na gut. Er arbeitet nicht für die Mistkerle hier. Als ich neulich am Hafen war, haben diese Hunde gesagt, ich dürfte nicht –«

Yangjin runzelte die Stirn, weil er fluchte. Das Haus war so klein, und die Mädchen in der Küche und Sunja, die im Vorraum sauber machte, konnten alles hören, und zweifellos lauschten sie.

»Darf ich Ihnen noch Tee geben?«

Jun lächelte und schob ihr seine leere Tasse mit beiden Händen hin.

»Wir sind selbst schuld, dass wir unser Land verloren haben, das ist mir klar«, fuhr er fort. »Diese verdammten adligen Hurensöhne haben uns verraten. Keiner dieser Yangban-Mistkerle hat das Zeug zu einem echten Mann.«

Sowohl Yangjin und Sunja wussten, dass die Mädchen in der Küche bei der Schimpftirade des Kohlenmannes, die sich von Woche zu Woche nicht veränderte, leise kicherten.

»Ich bin ein einfacher Mensch, mag sein, aber ich bin ein ehrlicher Arbeiter, und ich hätte den Japanern nicht erlaubt, uns das Land wegzunehmen.« Er zog ein sauberes, weißes Taschentuch aus seiner kohlenschwarzen Jacke und wischte sich die Triefnase ab. »Mistkerle. Ich muss weiter, meine nächste Lieferung.«

Die Witwe bat ihn, noch einen Moment zu warten, und ging in die Küche. Als sie zurückkam, gab sie Jun ein Bündel frisch ausgegrabener Kartoffeln, das mit einem Stoffband umwickelt war. Eine Kartoffel löste sich aus dem Bündel und fiel zu Boden. Er griff danach und steckte sie sich in seine tiefe Jackentasche. »Verlier nie etwas von Wert.«

»Für Ihre Frau«, sagte Yangjin. »Richten Sie ihr Grüße aus.«

Yangjin blieb an der Tür stehen und sah ihm nach, und sie ging erst ins Haus, als er im nächsten Eingang verschwunden war.

 

Ohne die endlosen vollmundigen Reden des Mannes schien das Haus leerer. Sunja war auf Knien und wischte den Flur, der vom vorderen Zimmer nach hinten ins Haus führte. Ihr Körper war wie aus einem hellen Holz geformt – in der Form ganz wie der ihrer Mutter –, mit geschickten, kräftigen Händen, muskulösen Armen und kraftvollen Beinen. Sie war klein und breit und für schwere Arbeit gebaut, in ihren Gliedmaßen und ihrem Gesicht lag keine Feinheit, dennoch war sie attraktiv – nicht hübsch, aber anziehend. Wo immer sie war, fiel sie ihrer lebhaften Bewegungen und ihres freundlichen Wesens wegen auf. Die Logiergäste umschwärmten sie unablässig, doch ließ sie niemanden an sich heran. Ihre dunklen Augen blinkten wie glänzende Flusskiesel, die in eine polierte weiße Fläche eingelassen waren, und wenn sie lachte, fiel man unweigerlich mit ein. Hoonie, ihr Vater, hatte sie über alles geliebt, und schon als Kind hatte Sunja es als ihre erste Aufgabe betrachtet, ihn glücklich zu machen. Kaum hatte sie laufen gelernt, zuckelte sie wie ein treues Haustier hinter ihm her; zwar bewunderte sie ihre Mutter, aber nach dem Tod des Vaters verwandelte sie sich von einem fröhlichen Mädchen in eine nachdenkliche junge Frau.

Keiner der Brüder Chung konnte sie sich als Ehefrau leisten, aber Gombo, der Älteste, hatte mehr als einmal gesagt, dass ein Mädchen wie Sunja für einen Mann, der in der Welt etwas werden wollte, eine würdige Ehefrau sei. Fatso bewunderte sie, fand sich aber damit ab, dass er sie als seine ältere Schwägerin verehren müsste, obwohl Sunja erst sechzehn Jahre alt war, gerade so alt wie er. Wenn die Brüder Chung überhaupt heiraten konnten, würde Gombo, der Älteste, als Erster eine Frau auswählen. All das war jedoch bedeutungslos geworden, denn Sunjas Aussichten waren seit Kurzem zunichte. Sie war schwanger, und der Vater des Kindes war nicht imstande, sie zu heiraten. Eine Woche zuvor hatte sie ihrer Mutter das gestanden, aber natürlich wusste niemand sonst etwas davon.

»Ajumoni, ajumoni!«, rief das Dienstmädchen erschrocken aus dem Zimmer vorne im Haus, wo die Logiergäste schliefen, und Yangjin eilte herbei. Sunja ließ den Lappen fallen und folgte ihr.

»Blut! Auf dem Kissen! Und er ist schweißnass.«

Bokhee, eins der Dienstmädchen und die ältere der Schwestern, atmete tief ein und aus, um sich zu beruhigen. Es war ihr nicht ähnlich, laut zu rufen, und sie hatte die anderen nicht ängstigen wollen, aber sie wusste nicht, ob der Gast tot war oder im Sterben lag, und sie hatte solche Angst, dass sie nicht näher an ihn herangehen wollte.

Einen Moment lang sprach niemand, dann bat Yangjin das Mädchen, aus dem Zimmer zu gehen und bei der Haustür zu warten.

»Ich glaube, das ist Tuberkulose«, sagte Sunja.

Yangjin nickte. Der Anblick erinnerte sie an Hoonie in seinen letzten Wochen.

»Hol den Apotheker«, sagte Yangjin zu Bokhee, dann besann sie sich anders. »Nein, nein, warte. Vielleicht brauche ich dich.«

Isak lag schlafend auf dem Kissen, schwitzend und gerötet, und merkte nichts von den Frauen, die auf ihn niedersahen. Dokhee, die jüngere Schwester, war gerade aus der Küche gekommen und sog entsetzt die Luft ein, worauf ihre Schwester sie mahnte, leise zu sein. Bei der Ankunft des Mannes am Abend zuvor war ihr zwar seine Blässe aufgefallen, aber jetzt, bei Tageslicht, hatte sein attraktives Gesicht eine graue Farbe – die Farbe von schmutzigem Regenwasser, das sich in einem Glas sammelte. Das Kissen war mit roten Punkten übersät, von seinem Husten.

»Uh-muh«, entfuhr es Yangjin; sie war überrascht und besorgt. »Wir müssen ihn sofort woanders hinbringen. Die anderen könnten sich anstecken. Dokhee, räum die Kammer aus. Schnell.« Sie würde ihn in der Kammer unterbringen, wo auch ihr Mann geschlafen hatte, als er krank war, aber es wäre um vieles leichter, wenn der Gast aufstehen und in den hinteren Teil des Hauses hätte gehen können, statt dass sie ihn selbst dorthin schaffen musste.

Yangjin zupfte an dem Zipfel der Strohmatratze und versuchte, ihn zu wecken.

»Pastor Baek, Sir, Sir!« Yangjin berührte ihn am Oberarm. »Sir!«

Endlich schlug Isak die Augen auf. Er wusste nicht, wo er war. Im Traum war er zu Hause gewesen und hatte im Apfelgarten geruht. Die Bäume waren ein Meer weißer Apfelblüten. Als er richtig wach wurde, erkannte er die Betreiberin des Logierhauses.

»Ist etwas geschehen?«

»Haben Sie Tuberkulose?«, fragte Yangjin. Das musste er doch wissen.

Er schüttelte den Kopf.

»Nein, vor zwei Jahren hatte ich Tuberkulose, aber seitdem bin ich gesund.« Isak befühlte seine Stirn und bemerkte den Schweiß am Haaransatz. Er hob den Kopf, der ihm schwer war.

»Oh, ich verstehe«, sagte er, als er die roten Tupfer auf dem Kissen sah. »Das tut mir so leid. Ich wäre nicht hergekommen, wenn ich gewusst hätte, dass ich Ihnen vielleicht schade. Ich sollte gehen. Ich möchte Sie nicht in Gefahr bringen.« Isak schloss die Augen, er war so müde. Sein ganzes Leben lang war er kränklich gewesen, die Tuberkulose zwei Jahre zuvor war nur eine von vielen Krankheiten, die er zu erdulden gehabt hatte. Seine Eltern und sein Arzt waren gegen die Reise nach Osaka gewesen, nur sein Bruder Yoseb war der Meinung, dass es besser für ihn sei, weil Osaka wärmer war als Pjöngjang und er überdies wusste, dass Isak nicht weiterhin als Invalide behandelt werden wollte.

»Ich sollte wieder nach Hause fahren«, sagte Isak und hatte die Augen immer noch geschlossen.

»Sie würden auf der Zugfahrt sterben. Ihr Zustand wird sich verschlimmern. Können Sie sich aufsetzen?«, fragte Yangjin.

Isak richtete sich auf und lehnte sich an die kalte Wand. Auf der Fahrt war er müde gewesen, aber jetzt hatte er das Gefühl, das Gewicht eines Bären laste auf ihm. Er keuchte und drehte sich zum Husten zur Wand um. Blut besprenkelte die Wand.

»Sie bleiben hier. Bis es Ihnen besser geht«, sagte Yangjin.

Sie und Sunja wechselten Blicke. Sie hatten sich nicht angesteckt, als Hoonie die Krankheit hatte, aber die Mädchen, die damals noch nicht da gewesen waren, und die Logiergäste mussten vor Ansteckung bewahrt werden. Yangjin sah ihm ins Gesicht. »Können Sie bis in das Zimmer hinten im Haus gehen? Wir müssen Sie von den anderen getrennt unterbringen.«

Isak versuchte aufzustehen, aber ihm fehlte die Kraft. Yangjin nickte. Sie trug Dokhee auf, den Apotheker zu holen, und Bokhee, in die Küche zu gehen und das Essen für die Logiergäste zuzubereiten.

Yangjin sagte zu Isak, er solle sich wieder hinlegen, und sie zog die Matratze langsam zur Kammer, so, wie sie es drei Jahre zuvor mit ihrem Mann auch gemacht hatte.

Isak murmelte: »Ich wollte Ihnen kein Unglück bringen.«

Der junge Mann verfluchte sich innerlich wegen seines Wunsches, die Welt zu sehen, und weil er sich eingebildet hatte, er sei gesund genug, um die Reise nach Osaka zu machen. Dabei hatte ihm sein Gespür gesagt, dass er sein Leben lang kränklich bleiben würde. Sollte er die Menschen in seiner Umgebung anstecken, dann trug er die Schuld an ihrem Tod. Wenn er sterben musste, so hoffte er, es würde schnell geschehen und die Unschuldigen verschonen.

4

Juni 1932

Gleich am Anfang des Sommers, weniger als sechs Monate, bevor der junge Pastor in dem Logierhaus ankam und krank wurde, hatte Sunja den Fischgroßhändler Koh Hansu kennengelernt.

An jenem Morgen, als Sunja zum Markt ging, um für das Logierhaus einzukaufen, lag eine gewisse Kühle in der Seeluft. Schon als Baby, im Tuch auf dem Rücken ihrer Mutter, hatte sie den Markt in Nampo-dong besucht; später, als kleines Mädchen, ging sie an der Hand ihres Vaters, wenn er mit schweren Schritten den Weg zum Markt machte, für den er wegen seines verkrüppelten Fußes eine Stunde brauchte. Mit ihm einkaufen zu gehen machte mehr Spaß als mit ihrer Mutter, denn die Menschen im Dorf grüßten ihn so herzlich. Hoonies missgestalteter Mund und seine unbeholfenen Schritte schienen in der Gegenwart der Nachbarn, die sich freundlich nach der Familie, dem Logierbetrieb und den Bewohnern erkundigten, überhaupt keine Rolle mehr zu spielen. Hoonie sprach nie viel, aber seiner Tochter fiel selbst damals auf, dass viele seine stille Billigung suchten, den ruhigen Blick seiner ehrlichen Augen.

Nach Hoonies Tod wurde Sunja mit den Einkäufen für den Logierbetrieb beauftragt. Ihr Einkaufsweg unterschied sich nicht von der Route, die Mutter und Vater ihr beigebracht hatten: erst das frische Gemüse, dann die Suppenknochen vom Fleischer, dann ein paar Sachen von den Ajummas, die neben Gefäßen voller Gewürze hockten und ihre Waren ansprechend auf türkisblauem oder rotem Wachstuch auf dem Boden ausgelegt hatten: Reihen von Bandfischen oder runde, fangfrische Meerbrassen. Der riesengroße Fischmarkt – einer der größten in Korea – erstreckte sich auf dem Strand voller Felsen und Kieseln und Bruchsteine, und die Ajummas priesen ihre Waren, so laut sie konnten, an.

Sunja kaufte gerade bei der Frau des Kohlenhändlers Seealgen, denn ihre Ware war von bester Qualität, da bemerkte die Ajumma, dass der neue Fischgroßhändler das Mädchen anstarrte.

»Schamloser Mann. Wie er starrt! Dabei ist er fast alt genug, um dein Vater zu sein.« Die Algen-Ajumma verdrehte die Augen. »Bloß, weil ein Mann reich ist, hat er noch nicht das Recht, sich an ein nettes Mädchen aus guter Familie heranzumachen.«

Sunja hob den Blick und sah den Neuen, der einen hellen Anzug nach westlichem Schnitt und weiße Lederschuhe trug. Er stand mit den anderen Fischgroßhändlern bei dem Gebäude aus Holz und Wellblech, in dem die Büros waren. Koh Hansu hatte einen cremefarbenen Panamahut auf, wie die Schauspieler auf den Filmplakaten, und hob sich wie ein eleganter Vogel mit milchweißem Federkleid von den anderen dunkel bekleideten Männern ab. Er sah sie unverwandt an, während er den Reden der Männer um sich herum nur flüchtige Beachtung schenkte. Die Großhändler auf dem Markt übten die Kontrolle über die Großmarktpreise von allen Fischwaren aus, die hier gehandelt wurden. Sie legten die Preise fest und konnten einen Skipper oder Fischer bestrafen, indem sie sich weigerten, seine Ware abzunehmen; sie waren außerdem das Bindeglied zu japanischen Beamten, die den Hafen kontrollierten. Alle nahmen die Vorrangstellung der Großhändler hin, kaum jemand fühlte sich in ihrer Gegenwart wohl. Die Großhändler blieben ihrerseits unter sich. Für die Logiergäste waren sie arrogante Einmischer, die den Gewinn des Fischhandels einstrichen, sich aber den Fischgeruch von ihren glatten weißen Händen fernhielten. Nichtsdestoweniger mussten sich die Fischer mit den Großhändlern gut stellen, denn diese Männer hatten das Bargeld, um ihnen den Fang abzukaufen oder einen Vorschuss zu geben, wenn ein Fang nichts taugte.

»Ein Mädchen wie du wird eines Tages einem flotten Mann auffallen, aber dieser scheint mir zu scharf. Er ist von der Insel Jeju, lebt aber in Osaka. Ich habe gehört, er spricht perfekt Japanisch. Mein Mann sagt, er ist schlauer als alle anderen zusammen, aber gerissen. Uh-muh! Er guckt dich immer noch an!« Die Algen-Ajumma wurde bis zum Schlüsselbein rot.

Sunja schüttelte den Kopf und weigerte sich hinzugucken. Wenn die Logiergäste mit ihr schäkerten, nahm sie keine Notiz von ihnen und tat weiter ihre Arbeit, so würde sie es auch jetzt machen. Sowieso übertrieben die Ajummas auf dem Markt meistens.

»Kann ich von den Algen bekommen, die meine Mutter mag?« Sunja gab vor, sich für die länglichen Stapel getrockneter Algen zu interessieren, die wie Stoff gefaltet und je nach Qualität und Preis in Reihen geordnet waren.

Die Ajumma besann sich und wickelte eine große Portion Algen für Sunja ein. Das Mädchen zählte das Geld ab und nahm das Päckchen mit beiden Händen entgegen.

»Wie viele Logiergäste hat deine Mutter zurzeit?«

»Sechs.« Aus dem Augenwinkel konnte Sunja sehen, dass der Mann jetzt mit einem anderen Großhändler sprach, aber immer noch in ihre Richtung sah. »Sie hat sehr viel zu tun.«

»Natürlich hat sie das. Sunja-ya, das Leben einer Frau besteht aus endloser Arbeit und ewigem Leiden. Leiden, und noch mehr Leiden. Es ist besser, du stellst sich darauf ein, weißt du. Du wirst langsam zur Frau, da solltest du das lernen. Für eine Frau ist es allein der Mann, den sie heiratet, von dem die Qualität ihres Lebens abhängt. Ein guter Mann bedeutet ein anständiges Leben, ein schlechter Mann ein Leben, auf dem ein Fluch liegt – aber wie es auch ist, rechne immer mit Leid und arbeite weiter. Niemand nimmt sich einer armen Frau an – wir müssen uns um uns selbst kümmern.«

Mrs Jun klopfte sich auf den ständig geschwollenen Bauch und wandte sich der nächsten Kundin zu, und so konnte Sunja nach Hause gehen.

Beim Abendessen erwähnten die Brüder Chung den Großhändler Koh Hansu, der ihren ganzen Fang aufgekauft hatte.

»Als Großhändler ist er in Ordnung«, sagte Gombo. »Mir gefällt ein schlauer Mann wie er, der keine dummen Leute um sich duldet. Koh schachert nicht. Er nennt einen Preis, und er ist fair. Dass er einen übers Ohr hauen will, glaube ich nicht, aber er lässt sich auch nicht abweisen.«

Fatso erwähnte noch, vom Eisgroßhändler habe er gehört, angeblich sei der Fischgroßhändler aus Jeju unvorstellbar reich. Er kam nur an drei Tagen in der Woche nach Busan und lebte in Osaka und Seoul. Er wurde von allen Boss genannt.

 

Koh Hansu war überall, so schien es. Wann immer Sunja auf den Markt kam, war er da und verhehlte sein Interesse nicht. Obwohl sie versuchte, seine Blicke nicht zu beachten und ihre Einkäufe zu erledigen, wurde ihr Gesicht heiß in seiner Gegenwart. Eine Woche später sprach er sie an. Sunja hatte ihre Einkäufe erledigt und war auf dem Weg zur Fähre, sie ging allein.

»Junges Fräulein, was werden Sie heute Abend in ihrem Gästehaus kochen?«

Sie waren allein, aber nicht fern von dem Markttreiben.

Sie sah auf und setzte dann ihren Weg fort, ohne ihm zu antworten. Ihr Herz klopfte heftig vor Angst, und sie hoffte, dass er ihr nicht folgte. Während der Überfahrt mit der Fähre versuchte sie, sich den Klang seiner Stimme in Erinnerung zu rufen; es war die Stimme eines starken Menschen, der sich bemühte, sanft zu klingen. Seine Sprache hatte einen kleinen Jeju-Einschlag, die Dehnung bestimmter Vokale, und unterschied sich im Tonfall von der Sprache in Busan. Er hatte manche Wörter so seltsam ausgesprochen, dass sie ihn im ersten Moment nicht verstand.

Am nächsten Tag holte Hansu sie ein, als sie auf dem Heimweg war.

»Warum sind Sie nicht verheiratet? Sie sind alt genug.«

Sunja ging schneller und ließ ihn hinter sich. Er folgte ihr nicht.

Obwohl Sunja nicht geantwortet hatte, gab Hansu seine Versuche nicht auf. Er stellte immer nur eine Frage, nie mehr, und er wiederholte sie nie, aber wenn er Sunja sah oder wenn sie in Hörweite war, sagte er etwas, und sie eilte weiter, ohne darauf einzugehen.

Hansu war von ihrer abweisenden Haltung nicht entmutigt; hätte sie sich mit ihm eingelassen, hätte er sie für gewöhnlich gehalten. Er mochte, wie sie aussah – das glänzende, zum Zopf geflochtene Haar, die volle Brust, festgeschnürt unter der gestärkten weißen Bluse mit dem ordentlich gebundenen Band, ihre raschen, sicheren Schritte. Ihre jungen Hände zeigten Spuren von Arbeit, denn es waren nicht die weichen, wissenden Hände eines Teehaus-Mädchens, noch die blassen, dünnen einer Adeligen. Ihr Körper hatte eine angenehm kompakte und gerundete Form, ihre Oberarme, bedeckt von den langen weißen Ärmeln der Bluse, wirkten weich und tröstlich. Die verborgenen Teile ihres Körpers erregten ihn, und es verlangte ihn danach, ihre Haut zu sehen. Sie war weder die Tochter eines reichen noch die eines armen Mannes, und sie hatte etwas Würdevolles in ihrer Haltung, eine Zielstrebigkeit. Hansu hatte in Erfahrung gebracht, wer sie war und wo sie lebte. Ihre Einkaufsroute war jeden Tag die gleiche. Sie kam morgens zum Markt und ging sofort, ohne Aufenthalt, nach Hause. Er wusste, dass es mit der Zeit zu einer Begegnung kommen würde.

Es war die zweite Woche im Juni. Sunja hatte ihre Einkäufe erledigt und machte sich auf den Weg nach Hause, an jedem Arm trug sie einen vollen Korb. Drei japanische Schuljungen hatten sich die Jacken ihrer Schuluniformen aufgeknöpft und waren auf dem Weg zum Hafen, wo sie angeln wollten. Es war zu heiß, um still zu sitzen, und die Jungen schwänzten den Unterricht. Als sie Sunja auf dem Weg zur Yeongdo-Fähre sahen, umrundeten sie feixend das Mädchen, und der größte der drei, ein dünner, blasser Kerl, zog eine der langen gelben Melonen aus ihrem Korb und warf sie seinen Freunden über Sunjas Kopf hinweg zu.

»Gib sie mir zurück«, sagte Sunja ruhig auf Koreanisch und hoffte, dass die Jungen nicht auch zur Fähre wollten. Vorfälle dieser Art gab es auf dem Festland oft, aber in Yeongdo waren nicht so viele Japaner. Sunja wusste, dass sie sich aus dieser schwierigen Situation rasch entfernen musste. Japanische Schüler erlaubten sich Scherze mit koreanischen Kindern, und manchmal war es auch andersherum. Kleine koreanische Kinder wurden ermahnt, niemals allein auf der Straße zu gehen, aber Sunja war sechzehn und ein kräftiges Mädchen. Sie vermutete, dass die japanischen Jungen sie für jünger gehalten hatten, und versuchte, selbstbewusst zu klingen.

»Was? Was hat sie gesagt?«, foppten die drei sie auf Japanisch. »Wir verstehen dich nicht, du stinkende Hure.«

Sunja sah sich um, aber niemand schien die Szene zu beobachten. Der Skipper bei der Fähre war in ein Gespräch mit zwei anderen Männern vertieft, und die Ajummas am Rand des Marktes hatten zu tun.

»Gib mir die zurück«, sagte Sunja mit fester Stimme und streckte die rechte Hand aus. Der Korb hing in ihrer Armbeuge, und sie hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Der magere Junge überragte sie um einen Kopf, und sie sah ihn unverwandt an.

Die Jungen lachten und sprachen weiter miteinander auf Japanisch, Sunja konnte sie nicht verstehen. Zwei der Jungen warfen sich die Melone gegenseitig zu, und der dritte kramte in dem Korb an ihrem linken Arm, den sie nicht abzusetzen wagte.

Die Jungen waren ungefähr in ihrem Alter oder jünger, aber sie waren wendig und übermütig.

Ein Junge, der kleinste, zog den Ochsenschwanz aus der Tiefe des Korbs hervor.

»Yobos essen Hunde, und jetzt stehlen sie auch noch das Essen der Hunde! Essen Mädchen wie du gern Knochen? Du Miststück.«

Sunja versuchte, nach dem Suppenknochen zu greifen. Das einzige Wort, das sie richtig verstanden hatte, war Yobo, das normalerweise »Lieber« bedeutete, aber von den Japanern als negatives Beiwort für Koreaner benutzt wurde.

Der Kleinste hielt den Knochen in die Luft und roch daran. Er verzog das Gesicht.

»Ekelhaft! Wie könnt ihr Yobos so einen Scheißdreck essen?«

»He, das kostet viel Geld! Gib mir den zurück!«, rief Sunja und konnte die Tränen nicht zurückhalten.

»Was? Ich verstehe dich nicht, du dumme Koreanerin. Warum sprecht ihr nicht Japanisch? Alle treuen Untertanen des Kaisers sollen Japanisch sprechen. Bist du etwa kein treuer Untertan?«

Der große Junge kümmerte sich nicht um seine Freunde, sondern starrte auf Sunjas Brüste.

»Die Yobo hat echt dicke Titten. Japanische Mädchen sind zierlich, nicht wie diese Kühe.«

Sunja hatte jetzt Angst, und beschloss, lieber auf ihre Einkäufe zu verzichten und weiterzugehen, aber die Jungen versperrten ihr den Weg.

»Lass uns mal ihre Melonen testen.« Der große Junge packte ihre linke Brust mit seiner rechten Hand. »Voll und saftig. Soll ich mal reinbeißen?« Er kam mit dem Gesicht nah an ihre Brust und riss den Mund weit auf.

Der Kleinste hielt sie an ihrem Korb fest, sodass sie sich nicht bewegen konnte, dann zwickte er ihr mit Zeigefinger und Daumen in die rechte Brustwarze.

Der dritte Junge sagte: »Lasst uns mit ihr irgendwohin gehen und gucken, was sie unter dem langen Rock hat. Vergessen wir das mit dem Angeln. Sie ist heute unser Fang.«

Der Lange streckte seine Hüften vor. »Möchtest du mal meinen Aal schmecken?«

»Lasst mich los. Sonst schreie ich«, sagte Sunja, aber sie hatte das Gefühl, dass ihre Kehle sich zuschnürte. Dann sah sie den Mann hinter dem großen Jungen.