Ein Engel namens Stefanie - Nina Kayser-Darius - E-Book

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Nina Kayser-Darius

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Beschreibung

Mit den spannenden Arztromanen um die "Kurfürstenklinik" präsentiert sich eine neue Serie der Extraklasse! Diese Romane sind erfrischend modern geschrieben, abwechslungsreich gehalten und dabei warmherzig und ergreifend erzählt. Die "Kurfürstenklinik" ist eine Arztromanserie, die das gewisse Etwas hat und medizinisch in jeder Hinsicht seriös recherchiert ist. Nina Kayser-Darius ist eine besonders erfolgreiche Schriftstellerin für das Genre Arztroman, das in der Klinik angesiedelt ist. 100 populäre Titel über die Kurfürstenklinik sprechen für sich. »Frau Wagner?« Die Stimme von Frank Hellmer, dem jungen Mann, der seit einiger Zeit an der Rezeption des Hotels King's Palace in Berlin-Charlottenburg arbeitete, klang unsicher. »Könnten Sie bitte einmal nach unten kommen? Wir haben hier ein kleines Problem.Stefanie Wagner unterdrückte einen Seufzer. Es gehörte zu ihren Aufgaben, Probleme zu lösen, schließlich war sie die Assistentin des Hoteldirektors, aber gerade an diesem Morgen hatte sie ohnehin schon einen sehr vollen Terminkalender. Zusätzliche Schwierigkeiten konnte sie überhaupt nicht gebrauchen.»Worum handelt es sich denn, Herr Hellmer?« fragte sie. Vielleicht konnte sie dem sympathischen Kollegen ja auch am Telefon helfen.»Eine alte Frau sitzt hier unten in der Halle, sie ist offenbar überfallen worden, will aber nicht, daß ich die Polizei rufe. Sie scheint mir verwirrt zu sein und sieht…« Er räusperte sich, während er offenbar überlegte, wie er sich am besten ausdrücken sollte. »Also, sie sieht nicht besonders gepflegt aus.Das also war das Problem. Das King's Palace war eines der führenden Häuser am Platze. Es war erst vor einigen Jahren gebaut worden – ein luftiges, elegantes, modernes Gebäude, bei dessen Inneneinrichtung es hervorragend gelungen war, Altes und Neues miteinander in Einklang zu bringen.Stefanie fand, daß es ein Glück war, daß das Hotel auch ›normale‹ Menschen beherbergte – zum größten Teil jedoch waren die Gäste gekrönte Häupter, Diplomaten, Manager und Politiker aus aller Herren Länder oder auch reiche Touristen. Da mußte natürlich eine ungepflegt wirkende alte Frau im Foyer unweigerlich Aufsehen erregen. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie ihr Chef Andreas Wingensiefen reagieren würde, wenn er davon erfuhr.»Ich bin sofort unten«, sagte sie.

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Kurfürstenklinik – 81–

Ein Engel namens Stefanie

Auch der Chefarzt ist von ihr beeindruckt

Nina Kayser-Darius

»Frau Wagner?« Die Stimme von Frank Hellmer, dem jungen Mann, der seit einiger Zeit an der Rezeption des Hotels King’s Palace in Berlin-Charlottenburg arbeitete, klang unsicher. »Könnten Sie bitte einmal nach unten kommen? Wir haben hier ein kleines Problem.«

Stefanie Wagner unterdrückte einen Seufzer. Es gehörte zu ihren Aufgaben, Probleme zu lösen, schließlich war sie die Assistentin des Hoteldirektors, aber gerade an diesem Morgen hatte sie ohnehin schon einen sehr vollen Terminkalender. Zusätzliche Schwierigkeiten konnte sie überhaupt nicht gebrauchen.

»Worum handelt es sich denn, Herr Hellmer?« fragte sie. Vielleicht konnte sie dem sympathischen Kollegen ja auch am Telefon helfen.

»Eine alte Frau sitzt hier unten in der Halle, sie ist offenbar überfallen worden, will aber nicht, daß ich die Polizei rufe. Sie scheint mir verwirrt zu sein und sieht…« Er räusperte sich, während er offenbar überlegte, wie er sich am besten ausdrücken sollte. »Also, sie sieht nicht besonders gepflegt aus.«

Das also war das Problem. Das King’s Palace war eines der führenden Häuser am Platze. Es war erst vor einigen Jahren gebaut worden – ein luftiges, elegantes, modernes Gebäude, bei dessen Inneneinrichtung es hervorragend gelungen war, Altes und Neues miteinander in Einklang zu bringen.

Stefanie fand, daß es ein Glück war, daß das Hotel auch ›normale‹ Menschen beherbergte – zum größten Teil jedoch waren die Gäste gekrönte Häupter, Diplomaten, Manager und Politiker aus aller Herren Länder oder auch reiche Touristen. Da mußte natürlich eine ungepflegt wirkende alte Frau im Foyer unweigerlich Aufsehen erregen. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie ihr Chef Andreas Wingensiefen reagieren würde, wenn er davon erfuhr.

»Ich bin sofort unten«, sagte sie.

»Danke, Frau Wagner«, sagte der Rezeptionist erleichtert.

Sie legte auf, zog sich rasch die Lippen nach, fuhr sich mit der Hand noch einmal durch die dichten blonden Locken und verließ, nachdem sie ihrer tüchtigen Sekretärin Alice Hübener Bescheid gesagt hatte, eilig ihr Büro. Wie fast immer waren ihre Absätze ziemlich hoch, und ihr Kostümrock war eng, dennoch lief sie bemerkenswert schnell – sie war gut im Training. In ihrem Beruf wurde von ihr erwartet, daß sie stets elegant und gepflegt aussah, und eilig hatte sie es auch meistens. Nach kaum drei Minuten traf sie unten an der Rezeption ein und warf Herrn Hellmer einen fragenden Blick zu.

Er machte eine unauffällige Kopfbewegung zu einer der Sitzgruppen. »Ich habe ihr angeboten, ihr ein Taxi zu rufen und es zu bezahlen, aber sie will nichts davon hören«, sagte er leise. »Sie will hierbleiben, das wiederholt sie ständig.«

Stefanie drehte sich um, bis sie die Frau sah, die zusammengesunken dort saß. Sie mußte weit über siebzig Jahre alt sein, ihrer Haltung nach zu urteilen. Ihr Gesicht allerdings war erstaunlich glatt, fast faltenlos, die Wangen jedoch waren eingesunken, die Augen klein geworden. Die grauen Haare standen verfilzt vom Kopf ab und erinnerten ein wenig an ein verlassenes Vogelnest. Stefanie bemerkte, daß die Hände der Frau, die in ihrem Schoß lagen, ein wenig zitterten, und nun sah sie auch, daß sie offenbar verletzt war. An der Schläfe hatte sie eine frisch verkrustete Wunde, ebenso an einem Arm.

Merkwürdig war ihre Kleidung. Sie trug einen Rock und eine Bluse, die von guter Qualität waren, wie Stefanie mit sicherem Blick erkannte – ebenso war es mit den Schuhen. Doch ihre graue Strickjacke war billig und fadenscheinig, sie hatte Löcher und Flecken und war bestimmt schon seit langer Zeit nicht mehr gewaschen worden.

Stefanie ging auf die Frau zu und sagte freundlich: »Guten Tag. Mein Name ist Stefanie Wagner, ich bin die Assistentin des Hoteldirektors.«

Die andere hob den Kopf. Der Blick ihrer Augen, eben noch trüb und abwesend, wurde überraschend klar und lebhaft. Sie sah Stefanie einige Sekunden konzentriert an und sagte dann mit strahlendem Lächeln: »Kind­chen, ich kann Ihnen ja nicht sagen, wie ich mich freue, Sie zu sehen!«

Mit allem hatte Stefanie gerechnet, nur nicht mit einer solchen Begrüßung. Sie setzte sich neben die Frau und sagte lächelnd: »Ich habe ein gutes Personengedächtnis – ich bin sicher, wir kennen uns nicht. Oder irre ich mich?«

Die Frau ging nicht auf diese Frage ein. Sie griff ohne zu zögern nach Stefanies Hand. »Sie werden mir helfen, das weiß ich. Ich habe es an Ihren Augen gesehen. Sie wissen natürlich, daß Sie wunderschöne Augen haben?«

Stefanie nickte verlegen. Sie versuchte, ihre Hand zurückzuziehen, doch die andere hielt sie fest.

»Eine seltene Farbe, dieses Veilchenblau«, fuhr die alte Frau fort. »Meine Enkelin hat ähnliche Augen wie Sie. Sie sind nicht meine Enkelin, oder?«

»Ich heiße Stefanie Wagner. Wie heißt denn Ihre Enkelin?« fragte Stefanie vorsichtig.

»Amelie. Sie heißt Amelie, und sie ist gerade zweiundzwanzig ge­worden. Ein sehr liebes Mäd­chen. So ähnlich wie Sie. Eigentlich wollte ich sie besuchen.« Sie brach ab, als wisse sie nicht weiter.

»Sagen Sie mir doch, wie Sie heißen«, bat Stefanie. »Ich möchte Ihnen wirklich gern helfen, aber wie soll ich das tun, wenn ich nicht weiß, wer Sie sind!«

Die dunklen Augen verschleierten sich, das Gesicht der Frau wurde traurig. »Ich heiße Anna, mehr weiß ich nicht«, sagte sie und ließ den Kopf hängen. »Und ich weiß auch nicht mehr, wo ich wohne. Oder wo Amelie wohnt. Aber Sie müssen mir helfen, ich bin nämlich in Gefahr. Deshalb bin ich weggelaufen.«

»Sie sind weggelaufen. Von wo?«

»Ich weiß nicht.« Das kam nur als Flüstern heraus.

»Und was ist dann passiert, Anna? Nachdem Sie weggelaufen waren?«

Anna sah an sich herunter. »Das sehen Sie doch«, antwortete sie unglücklich. »Ich bin überfallen worden. Ich hatte eine Pelzjacke an, die haben sie mir weggenommen und mir dafür diese Strickjacke gegeben. Meine Tasche haben sie auch genommen, in der all mein Geld war. Und meinen Schmuck.« Sie griff unsicher zu ihrer Wange. »Meine Ohrringe haben sie mir einfach abgerissen, das hat weh getan. Einer hatte ein Messer.«

Stefanie war erschrocken. Es war durchaus möglich, daß das alles der Wahrheit entsprach, es klang keineswegs unwahrscheinlich, wenn man sich Annas Verletzungen ansah. Andererseits: Sie konnte sich nicht an ihren vollständigen Namen erinnern. Wie sicher also konnte man sein, daß das, was sie erzählte, stimmte?

»Wenn Sie überfallen worden sind, Anna«, sagte sie behutsam, »dann sollten wir die Polizei benachrichtigen. Und zu einem Arzt müssen Sie auch.«

Die alte Frau wehrte erschrocken ab. »Nein, nein, bloß keine Polizei. Dann finden sie mich doch gleich!«

»Wer findet Sie?«

Anna dachte nach. Dann sah sie Stefanie traurig an. »Meine Kinder?« fragte sie, als sei sie nicht sicher.

»Ihre Kinder?« wiederholte Stefanie verblüfft. »Aber die würden Ihnen doch bestimmt helfen, Anna! Vor denen können Sie doch nicht weggelaufen sein.«

»Ich weiß nicht«, sagte Anna vage. »Kann ich ein bißchen auf diesem Sofa schlafen? Ich bin nämlich schrecklich müde.« Sie machte Anstalten, sich auf der eleganten Sitzgruppe auszustrecken.

Viele Gedanken schossen Stefanie gleichzeitig durch den Kopf. Sie wußte, was sie riskierte, als sie schließlich sagte: »Nein, hier nicht, Anna. Dieses ist das Foyer, da schläft niemand. Ich bringe Sie auf Ihr Zimmer, kommen Sie.«

»Auf mein Zimmer? Habe ich denn ein Zimmer hier?«

»Ich gebe Ihnen eins. Ein kleines. Und dort werde ich auch Ihre Verletzungen versorgen.«

Die dunklen Augen belebten sich wieder. »Ach, ich wußte es ja, Kindchen, daß Sie mir helfen. Früher bin ich oft hier gewesen, wissen Sie das?«

»Hier?« fragte Stefanie ungläubig. »Hier im Hotel?«

Anna schüttelte den Kopf. Ihre Stimme klang fast mitleidig, als sie antwortete: »Aber nein, so lange steht doch das Hotel noch gar nicht. In Berlin, meine ich! Wir sind früher immer in einem der anderen Häuser abgestiegen. Aber ich habe dieses Hotel wachsen sehen und mir immer vorgenommen, wenn es fertig ist, möchte ich einmal hier wohnen. Haben Sie auch Suiten?«

»Ja, natürlich«, antwortete Stefanie. »Ich fürchte nur, eine Suite kann ich Ihnen nicht geben. Sie haben doch gar kein Geld mehr, nicht wahr?«

»Nein«, antwortete Anna niedergeschlagen. »Das haben sie mir ja gestohlen. Aber ich habe auch kein Geld für ein kleines Zimmer.«

»Das regele ich schon«, sagte Stefanie, die freilich noch keine Ahnung hatte, wie sie das tun sollte. An ihren Chef durfte sie in diesem Zusammenhang nicht denken. Er würde sie schlichtweg für verrückt erklären.

»Sie haben ziemlich lange an diesem Hotel gebaut«, sagte Anna in diesem Augenblick. »Das weiß ich noch. Jedes Mal, wenn wir kamen, waren sie ein bißchen weiter, ich habe mich immer richtig über die Fortschritte gefreut.«

Es stimmte, was sie sagte. Der Bau hatte lange gedauert, das wußte Stefanie. Noch einmal fragte sie behutsam: »Und Sie können sich nicht an Ihren Nachnamen erinnern, Anna? Wo Sie doch noch so gut wissen, wie dieses Hotel gebaut wurde?«

Schweigend schüttelte die andere den Kopf. »Nein«, sagte sie dann und klang wieder sehr traurig. »Und ich weiß noch nicht, wo ich wohne. Mein Kopf funktioniert nicht mehr richtig. Das ist ja das Problem.«

Stefanie stand auf. »Kommen Sie, ich bringe Sie auf Ihr Zimmer. Sind Sie hungrig?«

»Schrecklich hungrig«, gestand Anna, als sie sich mit Stefanies Hilfe erhob. »Hungrig und durstig. Ich glaube, ich habe seit gestern nichts mehr gegessen und getrunken.«

»Aber warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt?« rief Stefanie erschrocken. »Dann hätte ich sofort etwas bestellt.«

»Aber Kindchen«, erwiderte Anna, die sich schwer auf Stefanies Arm stützte, als sie nun, argwöhnisch beobachtet von zahlreichen Augenpaaren, zum Aufzug gingen, »Sie mußten mich doch erst einmal kennenlernen!«

*

In der Notaufnahme der Kurfürsten-Klinik in Berlin-Charlottenburg herrschte wieder einmal Hochbetrieb. Dr. Adrian Winter, der die Notaufnahme leitete, hatte selbst Dienst – und zum Glück waren die Internistin Dr. Julia Martensen und der Assistenzarzt Dr. Bernd Schäfer an seiner Seite. Die drei waren ein eingespieltes Team, das schon zahlreiche überaus schwierige Situationen zusammen gemeistert hatte.

Adrian war vor einigen Jahren Chefarzt geworden – wegen seiner besonderen Verdienste um die Notfallmedizin. Es war sein Spezialgebiet, regelmäßig veröffentlichte er Artikel darüber, die häufig breite Diskussionen in der Fachwelt anregten. Er war noch jung, erst fünfunddreißig Jahre alt, aber er hatte sich längst über die Grenzen des Landes hinaus einen Namen gemacht. Er leitete die Notaufnahme mit großer Umsicht und ließ sich nur selten aus der Ruhe bringen.

»Adrian«, rief Bernd Schäfer in diesem Augenblick, »wir bekommen noch eine ältere Patientin mit ihrer kleinen Enkelin. Die beiden sind offenbar eingeschlafen, während auf dem Herd das Essen kochte. Rauchvergiftung, kleinere Brandwunden…«

»Wie alt ist das Kind?«

»Fünf oder sechs – aber dem Kind scheint es besser zu gehen als der alten Dame.«

»Gut, dann laß uns schnell alles vorbereiten. Wo sind Julia und Moni?«

Bernd zuckte mit den Schultern, er wußte es auch nicht.

Sie eilten in eine der Notfallkabinen und begriffen schnell, daß sie auf die Unterstützung der anderen würden verzichten müssen. Julia Martensen behandelte einen Mann, der mit einer schweren Gallenkolik eingeliefert worden war, und Monika Ullmann, eine sehr erfahrene Schwester, die ebenfalls oft in der Notaufnahme arbeitete, stand ihr zur Seite.

»Übernimm du das Kind, ich kümmere mich um die Großmutter«, entschied Adrian, und Bernd nickte.

Sie hatten ihre Vorbereitungen kaum abgeschlossen, als die Sanitäter die beiden angekündigten Patientinnen auch schon hereinbrachten. Während das kleine Mädchen bei Bewußtsein war und leise wimmerte, war die alte Dame bewußtlos – Adrian erkannte auf den ersten Blick, daß sie in der Tat in größerer Gefahr schwebte als das Kind. Sie ließen sich von den Sanitätern sämtliche Informationen geben, über die diese verfügten.

Und dann begann wieder einmal der Kampf um das Leben zweier Menschen – etwas, das für Adrian und seine Kolleginnen und Kollegen immer von neuem eine Herausforderung darstellte.

*

»Schade, daß du am Wochenende nicht hierbleiben kannst«, sagte Nina Kampfhausen zu ihrer Freundin und Studienkollegin Amelie Harmsen. Die beiden jungen Frauen studierten in Berlin und hatten sich bereits in ihrem ersten Semester angefreundet. Mittlerweile bewohnten sie eine kleine Drei-Zimmer-Wohnung zu­­sammen und kamen sehr gut miteinander aus.

»Komm doch mit nach Bremen«, meinte Amelie. »Ich hab’ dich schon so oft eingeladen, aber du willst mich ja nie begleiten.«

»Nee«, sagte Nina verlegen, »du weißt doch, warum, Amelie. Reichtum macht mir Angst. Ich hätte ständig Angst, etwas falsch zu machen.«

»Hätte ich dir bloß nicht erzählt, daß meine Eltern Geld haben«, ärgerte sich Amelie. »Wenn ich gewußt hätte, daß dir das etwas ausmacht, hätte ich es dir einfach verschwiegen.«

Nina schüttelte den Kopf. »Das hätte nicht geklappt«, stellte sie sachlich fest. »Du meinst vielleicht, man merkt es dir nicht an – aber ich merke es auf jeden Fall.«

»Ja?« fragte Amelie verwundert. »Woran denn? Wir führen doch hier das gleiche Leben, du und ich. Ich gebe bestimmt nicht mehr Geld aus als du.«

»Nein, das tust du nicht. Aber du könntest es, und das weißt du. Du hast schon Hummer und Trüffel gegessen, dir schon mal ein Kleid für sehr viel Geld gekauft, hast schon weite Reisen gemacht, bist mit einem eigenen Pferd aufgewachsen – ach, was weiß ich alles noch. Das kann man doch nicht verleugnen, Amelie. Geld prägt – und kein Geld prägt auch.«

»Hm.« Amelie starrte nachdenklich vor sich hin. »Ich mache mir Sorgen um meine Oma, Nina – das fällt mir ein, wenn du über Geld redest.«

»Wieso fällt dir dazu deine Oma ein?« fragte Nina verblüfft.

»Sie ist ziemlich reich, meine Oma, noch reicher als meine Eltern. Und sie will ihnen ihr Geld noch nicht überlassen, obwohl mein Vater es im Augenblick ziemlich gut gebrauchen könnte, weil er sein Geschäft erweitern will. Sie streiten schon länger darüber, aber meine Oma ist immer stur geblieben.«

Amelies Eltern besaßen eines der ältesten Teehandelshäuser in Bremen – die Familie lebte schon sehr lange dort und hatte in den vergangenen Generationen ein enormes Vermögen angehäuft.

»Das ist ja ihr gutes Recht, schließlich ist es ihr Geld«, meinte Nina. »Warum machst du dir Sorgen um sie?«

»Weil sie manchmal ein bißchen verwirrt ist«, sagte Amelie. »Sie vergißt Sachen, die man gerade zu ihr gesagt hat. Oder sie weiß deinen Namen nicht mehr – so was in der Art. Und dann ist sie wieder völlig klar.«

»Das ist bei vielen alten Leuten so. Darüber mußt du dir keine Sorgen machen«, versuchte Nina sie zu beruhigen.