Ein hundsgemeiner Mord - Cathrin Geissler - E-Book
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Ein hundsgemeiner Mord E-Book

Cathrin Geissler

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Beschreibung

Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt! In ihrer Tierarztpraxis in im norddeutschen Städtchen Plön behandelt Tierärztin Tina Deerten liebevoll ihre kleinen Patienten. Als jedoch eines Tages ein Greyhound mit zwei Schusswunden eingeliefert wird, wird nicht nur Tinas Helferinstinkt, sondern auch ihr Spürsinn geweckt: Hat die Verletzung der Hündin, die vom nahegelegenen Gut Finkenstein stammt, etwas mit dem angeblichen Selbstmord des dortigen Hundetrainers zu tun? Neugierig geworden beginnt Tina, gemeinsam mit ihrer flippigen Praxishelferin Sanne und ihrem Hund Swatt, nachzuforschen – sehr zum Unmut des ermittelnden Kommissars Jan Voss. Schon bald stößt das Team auf ein dunkles Geheimnis, das die Finkensteins unbedingt verbergen wollen … Der erste Fall für Tierärztin und Hobby-Detektivin Tina Deerten – für alle Fans von Gisa Pauly und Christiane Franke & Cornelia Kuhnert. In Band 2, »Ein kaltschnäuziges Verbrechen« führt ein beunruhigender Fund im Magen eines tierischen Patienten Tina auf die Spur des Hundefutterherstellers »Canis et Felis«.

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Seitenzahl: 522

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

In ihrer kleinen Tierarztpraxis im norddeutschen Dörfchen Plön behandelt Tierärztin Tina Deerten liebevoll ihre kleinen Patienten. Als jedoch eines Tages ein Greyhound mit zwei Schusswunden eingeliefert wird, wird nicht nur Tinas Helferinstinkt, sondern auch ihr Spürsinn geweckt: Hat die Verletzung der Hündin, die vom nahegelegenen Gut Finkenstein stammt, etwas mit dem angeblichen Selbstmord des dortigen Hundetrainers zu tun? Neugierig geworden beginnt Tina, gemeinsam mit ihrer flippigen Praxishelferin Sanne und ihrem Hund Swatt, nachzuforschen – sehr zum Unmut des ermittelnden Kommissars Jan Voss. Schon bald stößt das unfreiwillige Team auf ein dunkles Geheimnis, das die Finkensteins unbedingt verbergen wollen …

Über die Autorin:

Cathrin Geissler wurde im Jahr 1967 in Hamburg geboren. Nach dem Abitur studierte sie Tiermedizin an der Freien Universität in Berlin und eröffnete kurze Zeit später eine Kleintierpraxis in Hamburg, in der sie nach wie vor tätig ist. Das Schreiben faszinierte sie schon lange und nachdem sie das Onlinestudium des kreativen Schreibens absolviert hatte, schrieb sie mit »Ein hundsgemeiner Mord« ihren ersten Tierarzt-Krimi. Cathrin Geissler hat einen erwachsenen Sohn und lebt mit ihrem Mann und drei Hunden in der Nähe von Hamburg.

Bei dotbooks erscheinen von Cathrin Geissler ihre Tierarzt-Krimis »Ein hundsgemeiner Mord«, »Ein kaltschnäuziges Verbrechen« und »Ein exotischer Todesfall«.

Die Website der Autorin: autorin-cathrin-geissler.de/

Die Autorin im Internet: instagram.com/autorin_cathrin_geissler/ und instagram.com/tierarztkrimi/

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eBook-Neuausgabe Februar 2025

Copyright © der Originalausgabe 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Kristin Pang, unter Verwendung von einen Motiven von shutterstock.com (IndustryAndTravel81037579) und Adobe Stock (leremy, bittedankeschön, lovelyday12, Smileus, jcalvera)

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (vh)

ISBN 978-3-98952-763-8

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Cathrin Geissler

Ein hundsgemeiner Mord

Kriminalroman

dotbooks.

Widmung

Für Serry, den wahren Swatt.

Ich werde Dich nie vergessen.

Kapitel 1

Der Tag hatte schlecht angefangen und ging weiter den Bach runter. Tierärztin Tina Deerten stand kurz vor dem Ortseingang zu der kleinen Stadt Plön im Stau. Plön war die Hauptstadt des gleichnamigen Kreises und lag inmitten der Holsteinischen Schweiz am Nordufer des Großen Plöner Sees. Es war sonnig an diesem Augusttag, was Tina normalerweise freute, doch heute nervte sie alles. In ihrem Isuzu-Pick-up war es unerträglich heiß, und die Klimaanlage hatte es bisher nicht geschafft, die Luft auch nur um ein Grad abzukühlen. Tina ließ alle Scheiben herunter, doch statt einer kühlen Brise waberten nur Autoabgase herein. Sie hustete und fuhr die Fenster wieder hoch.

»So ein verdammter Mist! Heute klappt aber auch gar nichts. Fahrt doch endlich mal weiter, ihr Trödelbacken!«

Tina schlug mit der flachen Hand auf das Lenkrad. Ihr schwarzer Mischlingshund Swatt, der bis dahin auf dem Beifahrersitz gelegen und gehechelt hatte, sprang auf und bellte. In seinem imposanten Bart hingen ein paar Speicheltröpfchen, und seine im oberen Drittel abgeknickten großen Ohren wackelten im Takt des Bellens. Tina schor ihm jedes Jahr im Frühjahr und im Spätsommer die Haare kurz, was dazu führte, dass er im Sommer eher aussah wie ein Riesenschnauzer, im Winter mit seinem nachgewachsenen Fell eher wie ein Schäferhund mit Bart.

»Swatt, beruhige dich! Aus, Schluss jetzt!«

Swatt bellte noch ein letztes Mal und ließ sich wieder auf den Sitz sinken.

Tina blickte auf die Uhr am Armaturenbrett. Mist, schon Viertel nach drei! Wenn es hier nicht bald mal weiterginge, käme sie zu spät zur Arbeit. Wenn ihre blöde Karre schneller angesprungen wäre, hätte sie jetzt nicht so einen Stress. Aber es hatte fast zehn Minuten gedauert, bis der Motor hustend zum Leben erwacht war. Eigentlich brauchte Tina gar kein so großes Auto, aber sie hatte den Wagen von ihrem Bruder geschenkt bekommen, als der sich einen Jeep angeschafft hatte.

Und jetzt auch noch der Stau. Heute war aber auch ein Scheißtag. In der Morgensprechstunde waren nur nervige Leute gewesen, eine Französische Bulldogge hätte sie fast in den Finger gebissen, und dann war auch noch das EC-Gerät ausgefallen. Doch der Hauptgrund für Tinas schlechte Laune war, dass heute vor genau einem Jahr ihr langjähriger Freund Sven mit ihr Schluss gemacht hatte.

»Weißt du, Tina, du bist mit deinem Beruf verheiratet, und ich habe es satt, immer erst an dritter, vierter oder fünfter Stelle nach deinen Viechern zu kommen«, hatte er ihr damals gesagt.

»Aber das stimmt doch gar ni...«

»Lass mich ausreden. Wenn du mal ehrlich zu dir selbst bist, musst du zugeben, dass ich recht habe. Und im Bett lief es ja in letzter Zeit auch nicht mehr so doll. Und außerdem habe ich eine andere kennengelernt.«

Tina schossen vor Wut die Tränen in die Augen, als sie an das Gespräch dachte, und sie fasste das Lenkrad so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß wurden. Dieses Oberarschloch! Und sie war fest davon überzeugt gewesen, sie hätte die Liebe ihres Lebens gefunden!

Eigentlich hatte Tina gedacht, sie hätte die Wutphase hinter sich gelassen und wäre schon in der Ein-Glück-dass-du-ihn-los- bist-Phase angekommen, doch anscheinend hatte sie gerade einen Rückfall.

Der einzige Lichtblick war, dass sie sich am Abend mit ihrer besten Freundin Mareike verabredet hatte. Sie wollten zum Koreaner, der seit Neuestem eine Happy Hour anbot, und ein paar Cocktails schlürfen. Bei Tina lief es normalerweise darauf hinaus, dass sie nach dem ersten Mojito müde wurde und nach dem zweiten einschlief. Zum Glück wohnte Mareike mit ihrem frisch gebackenen Ehemann Costa schräg gegenüber des Restaurants und hatte Tina ihr Gästezimmer angeboten.

Endlich setzte sich die Schlange in Bewegung, doch der dänische Mazda vor ihr blieb stehen. »Was ist los?« Tina hupte. »Jetzt fahr schon, du schnarchgesichtiger Wikinger! Es gibt Leute, die müssen pünktlich bei der Arbeit sein!«

Kurz nach Beginn der Sprechstunde öffnete sich die Tür zum Wartezimmer mit einem lauten »Ding-Dong«, dicht gefolgt von einem heftigen Klopfen an der Tür des Behandlungszimmers.

Tinas Angestellte Sanne runzelte die Stirn, sodass ihr Augenbrauenpiercing zuckte. »Immer mit der Ruhe«, sagte sie und öffnete die Tür.

Ein Mann um die sechzig mit Halbglatze, der einen Hund auf dem Arm trug, drängte sich an Sanne vorbei. »Das ist ein Notfall«, sagte er.

Tina warf einen Blick auf den Hund und deutete auf den Behandlungstisch. »Legen Sie ihn hierhin.«

Der Mann ließ den Hund etwas unsanft auf den Tisch gleiten, und Tina sah, dass sein kariertes, kurzärmliges Hemd und sein Arm blutverschmiert waren.

»Passen Sie doch auf!«, rief sie und konnte den Kopf des Hundes gerade noch auffangen, bevor er auf dem Tisch aufgeschlagen wäre.

»Was ist passiert? Ein Autounfall?«, fragte sie und begann den braun gestromten Greyhound zu untersuchen.

»Wir vermuten es«, erwiderte die rundliche Frau mit blond gefärbter Dauerwelle, die sich hinter dem Mann in den Behandlungsraum gedrängt hatte.

»Wir haben ihn kurz vor Dersau an der Straße gefunden«, fuhr der Mann fort.

»Wir wohnen in Dersau, wissen Sie«, ergänzte die Frau. »Direkt gegenüber dem Restaurant.«

»Also ist es gar nicht Ihr Hund?«, erkundigte sich Tina.

»Um Gottes willen! So ein Köter kommt mir nicht ins Haus!« Der Mann schüttelte den Kopf und hob abwehrend die Hände.

»Wir schätzen, dass sie von Gut Finkenstein kommt. Ich habe auf der Fahrt hierher schon dort angerufen«, sagte die Frau.

»Stimmt, auf dem Gut werden Greyhounds gezüchtet.« Sanne strich dem Hund über das braun gestromte kurze Fell. »Er ist ganz kalt.« Sie warf einen Blick unter den Bauch des Hundes. »Sie. Es ist ein Mädel.«

»Wissen Sie schon, was sie hat? Sie wird es doch schaffen, oder?«, fragte die Frau.

Schon als der Mann die Hündin auf den Tisch gelegt hatte, hatte Tina zwei blutverkrustete Wunden bemerkt.

»Bis jetzt weiß ich nur, dass sie eine Wunde an der Brust und eine am Oberschenkel hat.«

»Renate, lass uns endlich los. Ich verpasse noch das Snookerturnier auf Eurosport.«

»Gleich, Heinz.« Die Frau blickte Tina auffordernd an. »Nun machen Sie schon weiter. Sie hören ja, Heinz will nach Hause.«

»Ich will Sie nicht aufhalten«, erwiderte Tina und merkte, dass sie sauer wurde.

»Ich will aber wissen, was sie hat.«

Tina zuckte mit den Schultern und maß die Temperatur der Hündin. »Untertemperatur«, stellte sie fest. Sie blickte zu Sanne, die nickte.

»Ich mache die Wärmematte fertig«, sagte sie und verschwand in Richtung des Käfigraumes.

Tina kontrollierte den Kreislauf und die Atmung. Die Hündin hatte sich auf die Seite gelegt. Nur an den Bewegungen ihrer braunen Augen, die Tina ängstlich anblickten, sah sie, dass das Tier bei Bewusstsein war. Noch. Tina spritzte Medikamente gegen den Schock, nahm Blut für einen großen Check-up ab und legte einen Tropf an. Während die Flüssigkeit in die Vene des Hundes tropfte, untersuchte sie das Hinterbein. Die Hündin jaulte auf und hob den Kopf, als Tina das Bein bewegte. Sie streichelte ihr sanft über den Rücken, und die Hündin ließ den Kopf wieder auf die blaue Matte des Behandlungstisches sinken. Sie atmete tief ein, stöhnte und schloss die Augen.

»Ist es gebrochen?«, erkundigte sich die Frau.

»Ich werde sie röntgen müssen, um es sagen zu können.« Tina nahm sich mehrere Tupfer und eine Flasche mit Desinfektionsmittel und begann, die dicken Krusten geronnenen Blutes am Hinterbein abzuwischen. Mitten im Oberschenkel war eine tiefe, rundliche Wunde zu sehen, aus der es wieder anfing zu tropfen, als Tina die Blutkrusten entfernte. »Merkwürdig«, sagte sie und begutachtete die Wunde genauer.

»Was denn?«, fragte Sanne, die zurück ins Behandlungszimmer gekommen war.

»Ich habe nur gedacht, dass es eine ungewöhnliche Form für eine Wunde ist, die durch einen Autounfall verursacht wurde. Sie lag am Straßenrand, oder?«, fragte sie den Mann.

»Ja, direkt neben der Straße. Heinz musste sogar einen kleinen Schlenker machen, um sie nicht zu überfahren«, antwortete die Frau. Sie drängelte sich neben Tina, um einen Blick auf die Wunde werfen zu können. Eine Wolke ihres penetrant nach künstlichem Lavendel duftenden Parfüms waberte in Tinas Nase, und sie verzog unwillkürlich das Gesicht. »Was meinen Sie denn, was sie hat?«

»Das weiß ich noch nicht. Das Röntgenbild wird uns Genaueres sagen.«

»In dieser Tierarztserie – kennen Sie Tierärztin Dr. Sabine Martens?, die guck ich immer total gern – also, da weiß die Frau Doktor immer sofort, was los ist. Die ist wenigstens kompetent.«

Tina drängte die Frau etwas unsanft zur Seite. »Sie wissen schon, dass das ein Film ist, oder? Im echten Leben ist es nicht damit getan, einen Blick auf das Tier zu werfen und sofort die Diagnose parat zu haben.«

Die Frau blickte Tina zweifelnd an. »Vielleicht hätten wir den Hund doch zu dem Tierarzt am Bahnhof bringen sollen, zu diesem Doktor ... Wie heißt der noch, Heinz? Der hat so einen lustigen Namen.«

»Kather. Dr. Kather.«

»Genau, der wüsste bestimmt schon, was der Hund hat.« Die Frau piekte mit ihrem Zeigefinger in Tinas Richtung.

Tina sah, dass der rosafarbene Nagellack anfing abzublättern. Sie verdrehte die Augen. Was für eine unsympathische Frau!

»Ist doch egal, was der Köter hat. Ich verpasse das Finale, wenn wir jetzt nicht endlich losfahren«, sagte der Mann und sah auf seine Uhr.

»Ich will Sie auf gar keinen Fall länger aufhalten. Snooker ist ja so viel wichtiger als ein Hund«, sagte Tina mit mühsam gezügelter Wut. »Haben Sie eine Telefonnummer für uns, falls wir Sie erreichen müssen?«

»Wir müssen die Rechnung aber nicht bezahlen, oder?«, fragte der Mann, während er seine Nummer auf einen Zettel schrieb, den Sanne ihm hingelegt hatte. »Ich hab Renate gleich gesagt, wir zahlen die Behandlung nicht. Ist ja schließlich nicht unser Hund!« Er sah Tina mit einem lauernden Ausdruck an.

»Natürlich nicht. Wenn sie vom Gut kommt, werde ich die Rechnung dorthin schicken.«

»Aber wenn sie nicht von Finkenstein kommt?«

»Dann versuchen wir, den Besitzer zu finden. Danke, dass Sie sie hergebracht haben.« Tina sah die Frau an, und diese verzog den Mund zu einem schmallippigen Lächeln.

»Wir konnten sie da ja nicht liegen lassen, nicht wahr.«

»Renate, mein Hemd ist voller Blut. Das geht doch nie wieder raus!«, rief der Mann, der die Blutflecken entdeckt hatte. Er wischte hektisch an seinem Hemd herum. »Das war mein Lieblingshemd! Wir hätten das Vieh doch liegen lassen sollen.«

Die Frau warf Tina einen Blick zu. »Er meint das nicht so.« Und an ihren Mann gewandt: »Das geht wieder raus, Heinz, ich hab zu Hause ein Mittel gegen Blutflecken.«

»Von wegen, er meinte das nicht so. Was für ein Arsch«, stellte Sanne fest, als die beiden die Praxis verlassen hatten.

»Mach mal das Röntgen fertig, danach kommt sie in die Box. Und lüfte mal, dieses Parfüm stinkt ja abartig.«

»Was ist das denn?«, fragte Sanne und zeigte auf ein weißliches, unregelmäßig geformtes Gebilde, das auf dem Bildschirm zu sehen war.

Tina beugte sich vor und betrachtete das Röntgenbild genauer. »Sieht aus wie eine Kugel.«

»Sie ist angeschossen worden? Hammer!«

Tina zoomte die Kugel näher heran. »Ja, eindeutig.«

»Und was machen wir jetzt?« Sanne wippte auf den Fersen, bereit, in Aktion zu treten.

»Wir warten, bis sie sich ein bisschen stabilisiert hat, dann operieren wir. Das Blutbild ist okay, bis auf den Blutverlust, aber das wussten wir ja schon vorher.«

Die Türklingel kündigte einen weiteren Kunden an.

»Wir machen die Sprechstunde zu Ende, dann sollte sie fit genug für die OP sein.«

Nachdem die letzte Kundin, eine dünne Frau mit einem übergewichtigen Mops, die Praxis verlassen hatte, schloss Tina den Schrank mit den Betäubungsmitteln auf und holte die Narkosemittel heraus. Sie zog sie in eine Spritze auf und ging zu dem Käfig, in dem die Hündin lag. Als Tina an die Box trat, hob das Tier den Kopf und sah ihr aus seinen dunkelbraunen Augen direkt ins Gesicht. »Wir bringen dich wieder auf die Beine, Mädchen«, versprach Tina, und die Hündin wedelte zweimal schwach mit dem Schwanz, bevor sie den Kopf wieder auf die Flauschmatte sinken ließ. Tina untersuchte sie und maß nochmals die Temperatur.

»Wie sieht es aus?«, erkundigte sich Sanne.

»Besser.« Tina spritzte die Narkose in den unverletzten Oberschenkel. Die Hündin zuckte noch nicht einmal mit den Ohren. »Braver Hund.« Tina kraulte ihr kurz den Kopf und ging zu Sanne in den OP.

Sanne hatte bereits alles vorbereitet und stellte gerade das Narkosegerät an. Es erwachte mit einem Brummen zum Leben. Ein lautes Zischen kündigte an, dass es einsatzbereit war.

Als die Hündin eingeschlafen war, bereitete Sanne sie für die Operation vor. Tina schob einen Tubus in die Luftröhre des Hundes und schloss das Narkosegerät an. Sie wusch sich gerade die Hände, als das Telefon klingelte.

»Wer ist das denn jetzt noch?«, fragte Sanne genervt und nahm den Hörer ab. »Tierarztpraxis Deerten, Sie sprechen mit ...« Sie lauschte in den Hörer. »Ja, sie ist hier. Wir wollen sie gerade operieren.« Sanne verzog das Gesicht und rollte mit den Augen. »Moment, ich verbinde Sie mit der Tierärztin.« Sie wedelte mit der Hand vor den Augen hin und her. »Total meschugge«, flüsterte sie und drückte Tina den Hörer in die feuchte Hand.

»Deerten.«

»Ich verlange, dass Daisy’s Dawn sofort zu uns gebracht wird. Wir haben hier auf dem Gut einen hervorragend ausgestatteten OP und eine überaus kompetente Tierärztin.« Die Stimme aus dem Hörer klang sehr kühl. Man hörte, dass die Frau am anderen Ende es gewohnt war, Anweisungen zu geben, die sofort befolgt wurden.

»Mit wem spreche ich?«, erkundigte sich Tina.

»Das habe ich Ihrer Angestellten bereits gesagt. Ich bin Gräfin von Finkenstein, und ich verlange, dass Daisy’s Dawn ...«

»Das sagten Sie bereits, Frau von Finkenstein, doch das wird schlecht möglich sein. Sie liegt bereits auf dem OP-Tisch, und wir wollen gerade anfangen.«

»Ist die Operation überhaupt nötig? Was hat sie denn?«

»Sie hat eine Kugel im Oberschenkel und bereits viel Blut verloren.«

»Das ist völlig unmöglich.« Die Stimme aus dem Hörer wurde sogar noch kühler.

»Auf dem Röntgenbild ist eine Kugel zu sehen, die ich jetzt gern herausoperieren würde.« Auch Tina konnte kühl sein, und Sanne gab ihr das Daumen-hoch-Zeichen.

»Nun gut, dann ist es nicht mehr zu ändern. Ich erwarte, dass Sie keinen Pfusch abliefern. Die Hündin ist ein internationaler Derbygewinner und 75.000 Euro wert.«

»Ihr Hund wird von mir bestmöglich behandelt werden. Wie alle Tiere, die in meine Praxis kommen, sei es ein Hamster oder ein wertvoller Zuchthund.«

»Ich hoffe sehr, dass Ihr Bestes gut genug ist. Sollte ich feststellen, dass Daisy nicht optimal behandelt wurde, werde ich Sie verklagen. Halten Sie mich auf dem Laufenden.« Es klickte, und die Leitung war tot.

Tina schluckte und legte das Telefon neben dem Blutanalysegerät ab.

»Was war das denn?«, erkundigte sich Sanne. Sie desinfizierte sich die Hände und zog ihre OP-Handschuhe an.

»Die Alte hat ja nicht alle an der Klarinette. Angeblich ist der Hund 75.000 Euro wert, und sie will mich verklagen, wenn was schiefgeht.«

»Ach du Scheiße! Sollen wir sie nicht doch lieber zu denen bringen?« Sanne blickte das Telefon an. »Ich kann sofort anrufen.«

Tina beobachtete die Hündin. Daisy hieß sie also. Sie atmete ruhig. Aus der Wunde am Oberschenkel floss ein stetiges Rinnsal aus Blut auf den OP-Tisch, wo es durch einen Abfluss in einen darunterhängenden Edelstahleimer tropfte. Während Tina überlegte, was sie tun sollte, hörte sie, wie die Blutstropfen mit einem tickenden Geräusch in dem Eimer aufschlugen.

»Nein, wenn sie jetzt transportiert wird, dauert die Narkose viel zu lange. Außerdem blutet sie zu stark.«

»Du bist der Boss. Meinst du, sie ist wirklich 75.000 Euro wert? Die übertreibt doch bestimmt.«

Tina schrubbte sich die Hände und gab anschließend ordentlich Desinfektionsmittel darauf. »Anscheinend ist sie ein internationaler Champion oder so was.«

»Oh Mann, ich hab kein gutes Gefühl.«

»Es wird schon schiefgehen. Außerdem bin ich versichert.« Tina machte eine Pause und überlegte.

»Was ist? Du bist doch versichert, oder?«

»Ja klar.«

Bestimmt. Höchstwahrscheinlich. Sie hatte die Rechnung doch schon überwiesen, oder? Tina schüttelte den Kopf, um die Gedanken an die Versicherung zu vertreiben. Jetzt musste sie sich ganz auf die OP konzentrieren. Sie zog sich die Handschuhe an und wandte sich der Hündin zu.

Sanne hatte das OP-Feld bereits mit einem grünen Schlitztuch abgedeckt und das OP-Besteck ordentlich auf dem Beistelltisch aufgereiht.

Tina nickte ihr zu. »Also los.«

Es klimperte leise, als Tina die Pinzette öffnete und die blutige Kugel, die sich in ein flaches Gebilde verformt hatte, in eine Nierenschale fallen ließ.

»Tupf bitte noch mal.«

Sanne griff nach einem sterilen Tupfer und beugte sich vor, um ihn auf die Wunde in der Oberschenkelmuskulatur zu drücken. »Sie hat Glück gehabt, dass der Knochen nichts abgekriegt hat«, stellte sie fest.

»Offensichtlich haben die Rippen schon einen Teil der Wucht aus dem Schuss genommen und die Kugel abgelenkt. So ist sie schließlich in den Oberschenkelmuskeln stecken geblieben.« Tina begutachtete die Wunde. Es waren keine Haare oder Dreck mehr darin zu sehen. »Aber merkwürdig ist es schon. Wenn ein Jäger auf sie geschossen hat – und wer sonst sollte auf einen Hund schießen? –, muss sie direkt auf den Jäger zugelaufen sein, denn sonst hätte er sie nicht von vorne erwischt. Und welcher Jäger schießt auf einen Hund, der direkt auf ihn zuläuft? Ich verstehe das nicht.«

Ein schrilles Piepen erklang und hallte in dem weiß gekachelten OP wider. Tina blickte auf den etwa handygroßen Apparat, der an der Zunge des Hundes angeschlossen war und die Atmung und den Sauerstoffgehalt des Blutes kontrollierte. Bisher hatte er nur leise und gleichmäßig gepiept.

»Nur noch 80 % Sättigung! 75! 70!«

»Scheiße, Tina, sie atmet nicht mehr!« Sanne rannte zum Schrank und holte das Notfallset.

»Fahr erst mal das Gas auf null. Und dreh den Sauerstoff höher«, befahl Tina mit ruhiger Stimme. »Und dann zieh mal an der Zunge, oft reicht das ja schon.«

Sanne drehte das Narkosegas aus und zog die Zunge des Hundes nach vorn. Ihr entfuhr ein leises Wimmern, als sie auf die Zunge blickte. »Die wird schon ganz blau!« Sie zog nochmals an der Zunge. Mit angstvollem Blick beobachtete sie den Brustkorb des Hundes. »Es tut sich nichts!«

»Ich spritze ihr Doxa.« Tina zog das atmungsanregende Medikament in eine Spritze auf und injizierte es routiniert in die Vene des Hundes. Anschließend hörte sie den Brustkorb des Greyhounds ab. »Das Herz schlägt noch.« Sie nahm den Beatmungsbeutel und drückte ihn Sanne in die Hand. »Mach den Narkoseschlauch ab, und fang mit der Beatmung an.«

Sanne drückte den Ambu-Beutel zusammen, und Tina beobachtete, wie die Luft, die in die Lunge strömte, ein Heben und Senken des Brustkorbes verursachte. Doch sobald Sanne aufhörte, den Beutel zusammenzudrücken, war keine Atmung mehr zu sehen. Das Schrillen des Überwachungsgeräts hallte weiterhin durch den OP. Tina schaltete das Gerät aus und griff nach ihrem Stethoskop. Sie horchte konzentriert. »Das Herz schlägt nicht mehr. Zieh Adrenalin und Effortil auf«, bat sie und begann mit der Herzmassage.

»Scheiße, verlieren wir sie?«, rief Sanne und ließ die Medikamente in zwei Spritzen fließen. »Hier.«

Tina nahm die Spritzen und ließ die Medikamente in die Vene des Hundes laufen. Dann fuhr sie mit ihren Reanimierungsmaßnahmen fort. »Sanne, du machst mit der Beatmung weiter.«

Sanne nickte und drückte immer dann den Ambu-Beutel zusammen, wenn Tina dreimal das Herz massiert hatte. Sie fanden ihren Rhythmus und hielten nur manchmal kurz inne, um nach der Atmung zu sehen oder das Herz abzuhören. In der fast gespenstischen Stille, die eingetreten war, nachdem Tina das Überwachungsgerät ausgeschaltet hatte, waren nur das Geräusch von ihren Händen auf dem Fell des Windhundes und das Geräusch der Luft, die aus dem Beatmungsbeutel in die Lunge des Hundes strömte, zu hören.

»Sie atmet immer noch nicht, Tina! Das Doxa hat nichts genützt. Soll ich noch mehr spritzen?«

»Zieh noch mal einen Milliliter auf, aber warte noch einen Moment. Ich will erst noch mal das Herz abhören.« Tina legte das Stethoskop an die linke Brustwand des Hundes und lauschte konzentriert. Nichts. Verdammt! Das durfte doch nicht wahr sein. »Spritz das Doxa, und zieh noch mal Adrenalin auf«, sagte sie und reanimierte die Hündin weiter.

Durch die wochenlange Hitze hatte sich die Praxis mittlerweile auf knapp dreißig Grad aufgeheizt, und der Schweiß lief Tina in Strömen über das Gesicht. Sie wischte ihn ungeduldig mit dem Ärmel ihres OP-Kittels ab und bearbeitete den Hund weiter.

Sanne spritzte die Medikamente, und Tina hörte den Hund erneut ab. Da, war da ein leises Herzgeräusch zu hören gewesen? Tina lauschte angestrengt. Ganz leise, von den Darmgeräuschen fast übertönt, hörte Tina ein zaghaftes »Bu-dupp«.

»Sie kommt! Sanne, sie kommt!« Tina lauschte weiter, und der Herzschlag wurde kräftiger. Sie lachte erleichtert. »Okay, noch mal Doxa für die Atmung, dann sollten wir es geschafft haben. Brave Daisy«, sagte sie und strich der Hündin über den Kopf.

Während Sanne noch ein weiteres Mal das atmungsanregende Medikament spritzte, hörte Tina die Hündin weiter ab. Mit einem leisen Seufzer nahm diese einen tiefen Atemzug.

»Sie hat geatmet!«, rief Sanne und hielt Tina die Hand zu einem High five hin.

Tina schlug ein, ein breites Lächeln auf dem Gesicht. Dann wandte sie sich wieder der Hündin zu. »Feiner Hund, immer schön weiteratmen.«

Als ein regelmäßiger Herzschlag und eine gleichmäßige Atmung zu hören waren, wechselte Tina ihre Handschuhe und spülte die Wunde mit Desinfektionsflüssigkeit aus. Anschließend griff sie nach einem Nadelhalter und einer Pinzette und begann mit der ersten Schicht der Wundnaht.

»Das war knapp«, stellte sie fest. »Diese Windhunde sind wirklich nicht ohne in der Narkose. Dabei hatte ich ihr schon deutlich weniger gegeben, als sie aufgrund ihres Gewichts gebraucht hätte.«

»Ich hätte nicht gedacht, dass sie es schafft.«

»Ich hatte auch so langsam meine Zweifel, aber Hauptsache, es ist gut gegangen.« Tina wechselte die Nadel und den Faden für die Hautnaht. »Ich überlege immer noch, wieso auf Daisy geschossen wurde. Wenn sie gewildert hätte, müsste das Reh, oder was auch immer es war, das sie gehetzt hat, auf den Jäger zugelaufen sein.«

»Vielleicht saß der Jäger auf einem Hochsitz«, schlug Sanne vor und schnitt die weißen Fäden ab, die Tina ihr hinhielt.

»Ich verstehe nicht viel von Ballistik, aber der Jäger muss auf dem Boden und nicht auf einem Hochsitz gewesen sein, denn sonst wäre der Schuss von viel weiter oben eingedrungen. Und welches Reh läuft direkt auf einen Menschen zu?«

»Es soll schon Leute gegeben haben, die von einem Reh umgerannt wurden. Meine Mutter hat von einem Typen gehört, der ging ganz harmlos im Wald spazieren, und plötzlich – zack! – kam ein Reh und haute ihn aus den Pantinen.«

Tina blickte auf und sah Sanne mit gerunzelter Stirn an. »Also, nichts gegen deine Mutter, aber das kann ich mir kaum vorstellen. So ein Reh ist doch nicht blind. Und es wäre dem Menschen ausgewichen, jede Wette.«

»Aber wenn das Reh sich gerade nach Daisy umgedreht hat? Dann hätte es den Jäger nicht gesehen, oder?«

»Nehmen wir an, es wäre so gewesen, nach wem hat sich Daisy dann umgedreht? Oder willst du mir erzählen, dass sie so blind war, dass auch sie den Jäger nicht gesehen hat? Und der Jäger auch noch von dem Hund umgerannt wurde?«

»Nee, natürlich nicht, denn da hatte er ja schon auf sie geschossen.« Sanne sah Tina triumphierend an.

»Also suchen wir nach einem Jäger mit den Abdrücken von Rehspuren auf dem Gesicht und einer rauchenden Waffe in der Hand«, stellte Tina mit ernster Miene fest.

»Du bist blöd«, erwiderte Sanne und schnitt den letzten Faden ab.

Tina grinste und legte den Nadelhalter und die Pinzette auf den Beistelltisch. »Fertig. Spritz ihr das Antibiotikum und das Schmerzmittel, und mach einen Verband, ich desinfiziere inzwischen die Wunde an den Rippen.«

Tina spülte die Wunde mehrere Male mit einem Desinfektionsmittel und legte einen antibiotikumgetränkten Tupfer darauf, den sie mit Klebestreifen auf der Haut fixierte. Anschließend zog sie ihre OP-Handschuhe aus, die dabei ein lautes Schnalzgeräusch von sich gaben. Erleichtert schälte sie sich aus ihrem OP-Kittel, der bei diesen Temperaturen viel zu warm war.

Es roch nach Hund und Desinfektionsmittel. Außerdem lag der leicht metallische Geruch von Blut in der Luft. Keine wohlriechende Kombination, doch für Tina repräsentierte es den Teil ihres Berufs, den sie besonders liebte: die Chirurgie. Sie blickte sich in dem weiß gefliesten Operationsraum um. Mit rund zwanzig Quadratmetern nicht gerade riesig, aber für sie reichte es. Hier befanden sich auch die Röntgenanlage, der Sterilisator für das OP-Besteck und die OP-Tücher sowie das Labor. Und das Ultraschallgerät, das zwar mehr gekostet hatte, als sie eigentlich geplant hatte – deutlich mehr, um genau zu sein –, das ihr aber schon wertvolle Dienste geleistet hatte, und auf das sie besonders stolz war. Alles bis auf das übliche Chaos nach einer größeren Operation – blutige Tupfer, blutverschmiertes OP-Besteck und blutbefleckte OP-Tücher – war aufgeräumt, die Ablagen blinkten vor Sauberkeit. Zu Hause war sie nicht besonders ordentlich, doch in ihrer Praxis musste alles tipptopp sein.

Zusammen mit Sanne hob sie den Greyhound vom OP-Tisch und legte ihn in einer Aufwachbox auf eine Wärmematte.

»Behalt sie im Auge. Wenn sie sich regt, zieh ihr den Tubus raus. Der Tropf kann noch einen Moment dranbleiben. Ich hole das Lesegerät. Ich will noch schnell den Chip auslesen.«

Mit einem Piepton zeigte das Lesegerät an, dass es einen Mikrochip gefunden hatte. Tina notierte die Nummer in der Kartei der Hündin, die sie vorhin zunächst ohne Namen und Besitzer eingetragen hatte. Außerdem ergänzte sie den Namen der Gräfin, die Adresse und Daisys Namen.

»Sie kommt langsam hoch«, rief Sanne aus dem Aufwachraum. Sie hatte den Beatmungsschlauch bereits gezogen, als Tina zu ihr trat.

Sie beobachtete, wie die Hündin versuchte, ihren Kopf anzuheben.

»Ich mache hier noch grob Klarschiff und komme morgen etwas eher, um das Besteck sauber zu machen. Ist das okay?«, fragte Sanne.

»Ja, sicher, es ist ja schon spät. Deine beiden Jungs schlafen bestimmt schon.« Tina bückte sich und zog das Unterlid der Hündin ein Stück herunter, um die Farbe zu prüfen. Blassrosarot, so, wie es sein sollte. Zufrieden richtete sie sich auf, als ihr etwas einfiel. »Oh Mist, ich habe vergessen, Mareike Bescheid zu sagen! Die sitzt jetzt bestimmt im Goldenen Kegel und fragt sich, wo ich bleibe.«

»Das glaube ich kaum. Sie kennt dich ja schon länger«, erwiderte Sanne, die das OP-Besteck in eine Wanne mit Reinigungsmittel legte, damit es über Nacht einweichen konnte.

»Die Arme ist Kummer gewohnt«, gab Tina zu.

Sie kannte Mareike schon, seit sie beide drei Jahre alt waren. Am ersten Tag im Kindergarten sollten sich alle Kinder eine Sonnenblume bei Frau Reisig, der Leiterin der Kita, abholen, doch Tina hatte sich geweigert und sich auf den Boden geschmissen. Als ihre Eltern noch mit peinlich berührten Gesichtern neben ihr hockten und sie überreden wollten, wieder aufzustehen, war plötzlich eine große gelbe Blume vor ihren Augen aufgetaucht. Aus Reflex hatte Tina danach gegriffen, und dahinter kam Mareikes herzförmiges, lächelndes Gesicht zum Vorschein, das von zwei festen hellblonden Zöpfen umrahmt wurde. Tina hatte zurückgelächelt, und seitdem waren sie die allerbesten Freundinnen. Ihre Freundschaft hatte auch die Studienzeit unbeschadet überstanden, die Tina in München und Mareike in Hamburg verbracht hatte. Mareike hatte Pharmazie studiert und vor fünf Jahren die Alte Apotheke in Plön von ihrem Vater übernommen.

Tina holte ihr Handy aus dem Büro und sah, dass sie drei Anrufe und eine WhatsApp von Mareike verpasst hatte. Schnell wählte sie ihre Nummer.

»Na, Tina, was war es diesmal? Eine Taube, die aus dem Nest gefallen ist, ein überfahrenes Kätzchen, oder ist Colin Firth in deiner Praxis aufgetaucht?«

Tina musste grinsen. Anscheinend hatte Mareike schon den einen oder anderen Bahama Mama gekippt, denn ihre Aussprache war etwas verwaschen.

»Alles falsch, leider auch kein Colin Firth. Aber ein Hund mit einer Schussverletzung, den ich notoperieren musste. Sorry, dass ich nicht kommen konnte. Ich hatte so viel zu tun, dass ich es nicht geschafft habe, dich anzurufen.«

»Alles gut. Wie geht es dir? Soll ich in der Praxis vorbeikommen?«

»Es geht schon«, erwiderte Tina und stellte überrascht fest, dass dem tatsächlich so war. Sie hatte seit dem Beginn der Sprechstunde nicht mehr an Sven gedacht. »Ich warte nur noch, bis der Hund wacher ist, dann fahre ich nach Hause.«

»Sicher?«

»Lass Costa nicht so lange warten, euch Turteltäubchen fällt bestimmt etwas ein, wie ihr den Abend verbringen könnt.«

Mareike lachte. Im Gegensatz zu Tinas röhrender Lache klang es so perlend wie ein Gebirgsbach, der über ein Kieselbett floss.

»Ich trink noch einen Bahama und mache mich dann auf den Weg. Wir sehen uns!«

»Lass dir von Li vorher aber noch eine Kleinigkeit zu essen geben, sonst kriegst du Ärger mit Costa, wenn du nach Hause getorkelt kommst.«

»Ich habe mir schon Frühlingsrollen bestellt, die saugen den Alkohol auf wie nichts.«

Tina grinste. »Bis dann.« Sie legte das Handy weg und ging zurück in den OP.

Sanne hielt die Nierenschale in der Hand und nahm die deformierte Kugel heraus. »Krass, wie die sich verformt hat.«

»Mensch, Sanne! Nicht anfassen!«

Erschrocken ließ Sanne die Kugel zurück in die Schale fallen.

Tina seufzte. »Falls da Fingerabdrücke drauf waren, hast du sie jetzt mit deinen überdeckt.«

»Ach du Scheiße! Nicht, dass ich jetzt wegen des Schusses verhaftet werde!« Sanne blickte Tina alarmiert an.

»Keine Sorge, ich kann doch bezeugen, dass du die Kugel hier in der Praxis angefasst hast.«

Sanne atmete erleichtert aus. »Puh, ich hab schon einen Schrecken bekommen.«

»Hau ab, der Rest kann bis morgen warten. Ich mache noch ein wenig Buchhaltung, bis die Hündin wacher ist. Dann nehme ich sie mit nach Hause. Zum Glück bin ich heute mit dem Auto da und nicht mit dem Rad.«

»Wie sind denn unsere Zahlen für diesen Monat?«, fragte Sanne, als sie sich den OP-Kittel über den Kopf zog und in den Wäschekorb warf.

»Könnte besser sein, aber noch sind wir nicht pleite, keine Sorge.«

Tina erzählte Sanne nicht, dass sie sie entweder entlassen oder ihre Stundenzahl drastisch kürzen müsste, wenn sie nicht bald mehr Umsatz machte. Es war sogar fraglich, ob sie sich die Miete für die Praxis, die mitten in der Fußgängerzone lag, noch würde leisten können. Sie hatte vor drei Jahren ihre gesamten Ersparnisse in die Ausstattung der Praxis gesteckt und keine weiteren Rücklagen mehr. Es war frustrierend. Sie wusste, sie war gut in ihrem Job. Sie war eine solide Diagnostikerin und eine gute Chirurgin, und durch ihre offene und ruhige Art konnte sie sowohl gut mit Menschen als auch mit Tieren umgehen. Nur wenn sie merkte, dass den Besitzern das Wohl ihres Tieres nicht wichtig war, konnte sie ungemütlich werden.

In der Stadt Plön mit seinen knapp neuntausend Einwohnern gab es alleine drei weitere Tierarztpraxen, in den umliegenden Gemeinden noch mindestens zehn weitere, sodass die Konkurrenz recht groß war. Natürlich waren auch Großtier- und Pferdepraktiker darunter, doch es gab noch genügend weitere Kollegen im Kleintierbereich. Wie den Kollegen Kather zum Beispiel.

Vielleicht hätte sie das eine Jahr, das sie in Kenia für den Verein »Tierärzte ohne Grenzen« verbracht hatte, nicht machen sollen? Aber das Jahr war wichtig für sie gewesen, und sie hatte Erfahrungen gesammelt, die sie hier in Plön sicher nicht hätte machen können.

Leider halfen sie ihr in keiner Weise, um die Unterlagen für den Steuerberater zusammenzustellen. Außerdem musste sie unbedingt kontrollieren, ob sie ihre Berufshaftpflicht bezahlt hatte. Missmutig ging Tina in ihr Büro und wühlte in dem chaotischen Stapel Rechnungen herum.

»Ich bin weg!«

Sanne hatte sich ein hautenges T-Shirt in grellen Farben mit einem unregelmäßigen Muster angezogen, das in Tina den Wunsch weckte, ihre Augen mit Bleichmittel zu behandeln, dazu eine enge limonengrüne Shorts, die so kurz waren, dass man fast Sannes Unterhose sehen konnte. Sie trug eine kleine silberne Blume im linken Nasenflügel sowie einen silbernen Ring in der rechten Augenbraue, und Tina wusste, dass sie sich auch die Zunge hatte piercen lassen. Sanne zupfte sich ihre grün-pink gefärbten und mit viel Gel zu kurzen Stacheln frisierten Haare zurecht und winkte Tina zum Abschied zu.

»Schönen Abend! Bis morgen!«

Tina wandte sich wieder den Rechnungen zu und zog an einem leicht zerknitterten Beleg, der sich etwa in der Mitte eines fast zwanzig Zentimeter hohen Stapels Rechnungen auf ihrem Schreibtisch befand. Der Stapel hatte bereits eine leichte Schlagseite nach rechts, und als Tina den Beleg ganz herauszog, kippte der Stapel, und die Papiere ergossen sich niagarafallartig auf den dunkelgrünen, flauschigen Teppich, auf dem Swatt gern sein Nickerchen machte. »Scheiße, verdammt!«

Swatt, der bisher ruhig unter dem Schreibtisch gelegen hatte, sprang auf, trampelte über die Rechnungen und schüttelte sich.

»Swatt, komm da runter!« Tina bückte sich, sammelte die zerknitterten und zerdrückten Rechnungen auf und warf sie zurück auf den Schreibtisch. »Ich hasse Buchhaltung!«

Ihr Blick fiel auf eine Rechnung mit dem Logo ihres Versicherers. Die Berufshaftpflicht. Natürlich noch nicht bezahlt. Tina faltete die Rechnung achtlos und stopfte sie in ihre Jeanstasche. Sie würde sie gleich morgen früh überweisen.

»Ach, Mist!« Ihr war eingefallen, dass sie auf dem Gut anrufen musste, dass die OP gut verlaufen war. Dass Daisy fast in der Narkose gestorben wäre, würde sie natürlich nicht erwähnen. Das Telefonat mit der arroganten Gräfin würde sowieso schon anstrengend genug werden. Sie seufzte und holte sich die Nummer aus der Anrufliste des Praxistelefons.

»Gut Finkenstein, Sie sprechen mit Stefan Harders.«

Glück gehabt, es war nicht die Durchwahl der Gräfin.

»Deerten, Tierarztpraxis. Ich wollte nur kurz Bescheid geben, dass Daisy die Operation gut überstanden hat. Ich möchte sie gern bis morgen hierbehalten, damit ich die Aufwachphase überwachen kann.«

»Einen Augenblick, ich verbinde.«

»Das ist nicht nö...«

»Von Finkenstein.«

Mist!

»Deerten. Die OP von Daisy ist gut verlaufen. Sie liegt jetzt in der Aufwachbox.«

»Ich möchte, dass Sie den Hund so schnell wie möglich zu uns bringen. Unsere Tierärztin weiß bereits Bescheid.«

»Ich gebe Daisy nicht heraus, bevor sie wach ist. Die Narkose fällt in meine Verantwortung, und deshalb bleibt sie bis morgen bei mir.«

»Auf gar keinen Fall. Ihre Feld-Wald-und-Wiesen-Praxis ist mit Sicherheit deutlich schlechter ausgestattet als unsere auf dem Gut. Sie bringen den Hund zu uns.«

Tina schoss das Blut ins Gesicht, und sie umfasste das Telefon so fest, dass das Plastik knirschte.

»Da Sie vorhaben, mich zu verklagen, wenn etwas schiefgeht, bleibt Daisy hier. Ich bringe sie morgen Mittag bei Ihnen vorbei.«

Tina legte auf und atmete tief durch. Ein Blick auf die Funkuhr auf ihrem Schreibtisch zeigte, dass es schon fast halb zehn war. Hoffentlich wachte Daisy langsam mal auf, damit sie nach Hause kam.

»Uhuhuhuu!« Das Jaulen kam aus dem Käfigraum.

Swatt legte den Kopf schief und lauschte. Er setzte sich hin und legte den Kopf in den Nacken.

»Swatt, wehe! Ein heulender Hund reicht mir!«

Swatt ließ den Kopf wieder sinken und sah Tina erwartungsvoll an.

»Madam ist anscheinend wach genug. Dann können wir ja los.« Tina hob eine letzte Rechnung vom Boden auf und warf sie auf den Schreibtisch.

Swatt sprang auf, rannte ins Wartezimmer und wartete vor der Eingangstür auf sie. Mit ihrem Hund auf den Fersen trat Tina auf die Lange Straße. Diese war als Haupteinkaufsstraße für den Verkehr gesperrt und führte von der kleinen Johanniskirche unterhalb des imposanten weißen Schlosses im Renaissance-Stil, das über Plön thronte wie eine Glucke über ihren Küken, zum Marktplatz mit der roten Backsteinkirche. Die gepflasterte Straße wurde von historischen, vorwiegend zweistöckigen roten Backsteinhäusern mit spitzen Dächern gesäumt, in denen sich kleine Geschäfte, Restaurants und Cafés befanden.

Touristen aus ganz Deutschland und Skandinavien schlenderten die Straße entlang, saßen vor Restaurants an kleinen Tischen, aßen Pasta oder Fischbrötchen und amüsierten sich offensichtlich hervorragend. Von dem italienischen Restaurant gegenüber wehte eine Brise von Knoblauch, Rosmarin und in Olivenöl gebratenem Fleisch herüber. Tina lief das Wasser im Mund zusammen, und ihr fiel auf, dass sie seit der Mittagspause, in der sie sich ohne Appetit ein Fischbrötchen mit Räuchermaräne reingezwängt hatte, nichts mehr gegessen hatte. Sie reihte sich in den Strom der Touristen ein und nutzte die erste Gelegenheit, um dem Gewimmel zu entkommen.

Tina trat durch einen schmalen Durchgang auf den großen Parkplatz hinter den Häusern und ging zu ihrem Pick-up. Sie stieg ein und ließ schnell die Scheiben herunter, denn im Auto waren es gefühlt mindestens hundert Grad. Swatt sprang auf den Beifahrersitz, seinen Stammplatz. Tina hatte den Sitz zwar mit einer Wolldecke abgedeckt, dennoch sammelte sich innerhalb kürzester Zeit so viel Sand auf den Polstern wie im Fell eines Kamels nach einem tagelangen Sandsturm. Sie drehte den Schlüssel im Zündschloss. Der Motor machte ein paar hustende Geräusche und ging aus.

»Oh nein, nicht schon wieder! Verdammte Karre!« Tina kuppelte, drehte den Schlüssel erneut und gab Gas.

Diesmal hustete der Wagen ein wenig länger.

»Schiet noch mal! Du blöde Scheißkarre! Ich hasse dich!« Tina schlug auf das Lenkrad ein, dann seufzte sie.

Sie würde wohl nicht drum herumkommen, das Auto in die Werkstatt zu bringen. Mit etwas Glück bräuchte sie nur eine neue Batterie. Hoffentlich. Sie machte einen erneuten Startversuch. Der Motor gab gequälte Laute von sich, doch endlich sprang er an.

Sie fuhr vom Parkplatz und bog gegenüber der Johanniskirche in die Lange Straße ein. In Fällen wie diesem, in denen Tina schwere Fracht zu transportieren hatte, setzte sie sich über das Autoverbot hinweg. Sie schlängelte sich vorsichtig zwischen den Menschen hindurch, hielt vor der Praxis, ging hinein und hob die Hündin mitsamt ihrer Unterlage aus der Aufwachbox. Swatt trottete heran und wedelte. Die Hündin hob kurz den Kopf und versuchte einen zaghaften Schwanzwedler, bevor sie den Kopf wieder auf die weiße Flauschmatte sinken ließ. Swatt beschnupperte sie intensiv an der linken Halsseite und leckte sie.

»Was machst du denn da, Swatt?« Tina legte die Hündin vorsichtig auf den Fliesenboden und schob ihn zur Seite. »Nur eine kleine Kruste. Die hat sie sich bestimmt im Wald geholt. Mach dir keine Sorgen, mein Alter, das ist nicht ihr Hauptproblem.«

Sie ging in die Knie und schob ihre Hände unter die Hündin. Mit einem leisen Ächzen richtete sie sich auf, trug den Greyhound zum Auto, legte ihn vorsichtig auf den Rücksitz und wunderte sich wieder einmal, wieso ein Hund in Narkose scheinbar so viel schwerer war als im wachen Zustand.

Auf dem Weg nach Hause dachte Tina über das Rätsel des angeschossenen Hundes nach, kam jedoch zu keiner schlüssigen Erklärung.

Die Sonne war bereits untergegangen, und der dunkelorangefarbene Himmel ging in ein tiefes Dunkelblau über, als Tina ihren Isuzu auf den Deertenhoff lenkte.

Der Hof war ursprünglich als Gutshof angelegt gewesen, doch das Herrenhaus war schon vor über zweihundert Jahren abgebrannt und nie neu erbaut worden. Die ehemaligen Besitzer hatten das Gut kurze Zeit später aufgegeben, und Tinas Ururururopa hatte es den von Schnackenburgs abgekauft. Neben dem Tor stand ein fast zwei Meter langes und einen Meter hohes geschnitztes Schild mit dem Namen »De Deertenhoff«. Der Name war von grasenden Kühen, Schafen und rennenden Hunden umgeben. Tina hatte das Schild selbst mit der Kettensäge geschnitzt und ihrem Vater zum sechzigsten Geburtstag geschenkt. Langsam fuhr sie an dem weiß geklinkerten Gebäude der alten Meierei vorbei, das links hinter einigen hohen Rhododendren lag und inzwischen als Altenteil für ihre Eltern diente. Der Sandweg führte zwischen dem Kuhstall und der alten, reetgedeckten Saatscheune hindurch direkt auf das ebenfalls reetgedeckte Hauptgebäude des ehemaligen Gutes zu. In dessen kleinem, quadratischem Turm, der das Dach des Gebäudes nur um ein kurzes Stück überragte, schlug die Uhr gerade die Viertelstunde. Der Weg umrundete das Haupthaus, führte am Kälberstall und an einer großen Schafsweide vorbei, um sich schließlich am See entlang durch die Felder des Deertenhoffs in Richtung des nächstgelegenen Ortes Bosau zu schlängeln. Hinter der Weide, auf denen sich die Schafe als helle Flecken abhoben, lag das Wasser des Sees wie ein dunkler Spiegel, darauf glitzerte der Sonnenuntergang in dunkelorangefarbenen Tupfen.

Tina bremste ab und bog vor dem Hauptgebäude zu ihrem Häuschen ab. Der Sandweg war durch die wochenlange, für Schleswig-Holstein absolut untypische Hitze und Dürre so trocken, dass sie eine riesige Staubwolke hinter sich herzog.

Ihr kleines Reetdachhaus aus rotem Backstein mit großen Sprossenfenstern, das vor dem Umbau in ein gemütliches Heim ein Pferdestall gewesen war, lag etwa dreißig Meter vom Ostufer des Sees entfernt in einem großen, etwas ungepflegten Bauerngarten. Giersch, Sauerampfer und Hahnenfuß hatten einen Großteil der Beete erobert, und Tina hatte den Kampf gegen das Unkraut als aussichtslos deklariert und mähte die Beete zwischen den Stauden alle paar Wochen mit dem Rasenmäher. Der Rasen war im Frühjahr üppig grün gewesen, aber nun in ein verbranntes Beigebraun übergegangen. Lediglich direkt am Ufer war ein dunkelgrüner Streifen Gras stehen geblieben. Auf der anderen Seeseite funkelten hinter dem Schatten der Möweninsel die Lichter der Stadt und des Plöner Schlosses.

Als Tina vor das Haus fuhr, sprangen die Bewegungsmelder an und tauchten den Garten und die Auffahrt in ein helles Licht. Sie parkte, stieg aus und nahm einen tiefen Atemzug. Die klare Luft machte ihren Kopf frei und vertrieb die Reste des Narkosegases und des Blutgeruchs, der sich in ihrer Nase festgesetzt hatte. Swatt sprang aus dem Auto und wollte gegen eine der vielen Holzskulpturen pinkeln, die im Garten verstreut standen. Hunde und Adler standen neben Bären, Katzen und einer Wildschweinfamilie.

»Swatt! Wehe! Mit dem Adler habe ich den Wettbewerb in Rendsburg gewonnen! Du weißt genau, dass du das nicht darfst.«

Ein wenig schuldbewusst trabte Swatt weiter in den Garten und erleichterte sich schließlich an einer großen Sonnenblume.

»Da auch nicht, du Dödel!«

»Na, hast du Spaß, Schwesterherz?«

Tina blickte auf und sah ihren Bruder auf sich zukommen. Sein blondes Haar hätte mal wieder einen Schnitt nötig gehabt, doch sein Vollbart war kurz und gepflegt. Er trug ein altes beigefarbenes T-Shirt, das Tina ihm vor ein paar Jahren aus München vom Oktoberfest mitgebracht hatte, mit aufgedruckten Hosenträgern und dem Schriftzug: »Meine Lederhose ist in der Wäsche«. Seine ausgefransten Jeansshorts wiesen diverse Flecken und Risse auf und rochen dezent nach Kuh.

»Kai! Du kommst gerade richtig. Ich muss den Hund aus dem Auto holen.«

Kai grinste, und seine blauen Augen funkelten. »Hast dir wieder Arbeit mit nach Hause genommen, was?«

»Ich baue nur schnell den Faltkäfig auf, dann kann sie rein.« Tina verschwand im Haus.

Kai folgte ihr und beobachtete, wie sie den Käfig mitten im Wohnzimmer auseinanderklappte. »Was ist mit dem Hund?«

»Sie wurde angeschossen. Autofahrer haben sie kurz vor Dersau direkt neben der Straße gefunden und in die Praxis gebracht.«

»Konnte wohl den Rehen nicht widerstehen. Obwohl die meisten Jäger heutzutage nicht mehr auf einen wildernden Hund schießen würden.« Kai war, wie die meisten Landwirte, selbst auch Jäger. »Ich würde es zumindest nicht tun.«

»Die Kugel steckte im Oberschenkel. Sie hat auch eine Wunde an den Rippen, die ist aber nicht so dramatisch. Ich schätze, die Kugel ist von den Rippen abgeprallt und im Oberschenkel stecken geblieben.«

»Wie groß war denn die Wunde?«

»Eher klein, vielleicht einen Zentimeter breit, aber trotzdem hat es ganz schön geblutet.« Tina ließ den letzten Riegel des Käfigs einrasten und richtete sich auf.

»Wenn sie gewildert hat und ein Jäger auf sie geschossen hat, hätte er seine Büchse dabeigehabt. Eine Büchsenkugel macht normalerweise ein Riesenloch. Der Tod soll ja schnell eintreten.«

Tina starrte ihren Bruder an. »Was willst du damit sagen? Dass es kein Jäger war?«

Kai zuckte mit seinen breiten Schultern. »Wer sollte sonst auf einen Hund schießen? Merkwürdig ist es aber schon.«

»Zumal der Eintrittswinkel darauf hindeutet, dass der Schütze nicht auf einem Hochsitz saß. Glaube ich zumindest.«

»Du hast wohl ein bisschen zu viel CSI geguckt«, stellte Kai fest und grinste wieder.

»Ich krieg den, der das getan hat, das schwöre ich dir!«

»Meine kleine Schwester hat mal wieder eine Mission. Hast du nicht genug damit zu tun, die Wale zu retten, die Straßenhunde weltweit, Pelztiere aus Farmen zu befreien und ...«

Tina baute sich vor ihrem Bruder auf. Mit seinen beinahe 1,90 Meter war er fast fünfundzwanzig Zentimeter größer als sie. Sie wippte auf den Fußballen und stemmte die Arme in die Seiten.

»Das mit den Nerzen war in meiner Jugend, das würde ich heute nicht mehr machen, aber da du schon davon anfängst beziehungsweise so vielsagend verstummt bist ... Hast du endlich mal durchgerechnet, wie es mit einer Umstellung des Hofes auf Bio wäre?«

Kai seufzte. »Ich hatte ...«

»... noch keine Zeit, ja, ja. Hör endlich auf, unser Land und den See mit Glyphosat zu verseuchen, oder benutz wenigstens keine Neonicotinoide, sonst gibt’s bald gar keine Insekten mehr!«

»Wie du diese komplizierten Wörter immer so raushaust, beindruckend!«, erwiderte Kai wütend.

Tina trat einen Schritt zurück, sodass sie ihm ins Gesicht blicken konnte.

»Solche komplizierten Wörter lernt man im Studium. Im Fach Bienenkrankheiten!«

»Vadder ist auch dagegen.«

»Mensch, Kai, du hast es in der Hand, etwas Gutes für die Umwelt zu tun. Mach was draus! Vadder leitet den Hof nicht mehr.«

Kai wandte sich ab. Sein Gesicht hatte eine rötliche Farbe angenommen. Er atmete ein paar Mal tief durch, und Tina sah, dass er versuchte, sich zu beherrschen. Sie hatten diese Diskussion schon sehr oft geführt. Zu oft.

»Lass uns den Hund reinholen, dann gehe ich rüber. Sabrina wartet bestimmt schon.« Kai stapfte zum Auto, öffnete die Seitentür und hob den Greyhound mit Leichtigkeit heraus. Er trug ihn zum Käfig und legte ihn behutsam hinein, dann schloss er die Tür und wandte sich zum Gehen. »Nacht.«

»Schlaf gut.«

Tina sah ihm nach, während er über den Hof zum Haupthaus ging, in dem er mit seiner schwangeren Frau Sabrina und seinem Hund Jule wohnte. Wenn er doch nur ein klein wenig risikofreudiger wäre.

Das Sirren der Mücken, die um ihren Kopf kreisten, trieb sie ins Haus.

Sie überlegte, sich ein Omelette zu braten, riss stattdessen eine Packung Schokoerdnüsse auf und ließ den Korken eines Proseccos knallen. Wenn sie schon keinen Mojito mehr bekam, wollte sie wenigstens noch etwas Blubberwasser trinken.

Sie setzte sich auf das etwas abgewetzte Ledersofa und legte die Füße auf den Couchtisch. Während sie das erste Glas Prosecco trank, dachte sie an Kais Bemerkung über die Waffe. Was für eine konnte es gewesen sein? Eine Pistole? Sie würde morgen früh etwas eher nach Plön fahren, damit sie vor der Arbeit zur Polizei gehen könnte, um Anzeige gegen Unbekannt wegen Tierquälerei zu erstatten. Die Kugel würde sie mitnehmen, damit sie ballistisch untersucht werden konnte. Zumindest hoffte Tina, dass die Polizei den Fall ernst genug nahm, um eine ballistische Untersuchung vorzunehmen.

Kapitel 2

Als Tina am Freitagvormittag um kurz nach neun Uhr mit den beiden Hunden in die Praxis kam, schob Sanne gerade das OP- Besteck in den Sterilisator.

Swatt preschte auf sie zu.

»Na, Junge, bist schon wieder tagelang nicht gestreichelt worden, was?«

Er wedelte enthusiastisch und presste sich an Sannes rechtes Bein.

»Wie geht es unserer Patientin?«

Tina beobachtete die Hündin, die langsam ins Behandlungszimmer humpelte. Ihr Schwanz klemmte so weit zwischen den Hinterbeinen, dass er fast unter der Brust wieder herauskam, und sie hielt den Kopf gesenkt. »Deutlich besser, sie hat heute Morgen ein wenig getrunken und einen kleinen Happen gefressen.«

Daisy drehte sich um und trottete zurück ins Wartezimmer, wo sie sich direkt vor die Eingangstür stellte.

»Das ist deutlich, sie möchte sofort wieder gehen«, stellte Tina fest.

Sanne seufzte theatralisch. »Immer macht man sich unbeliebt.«

Tina lachte. »Bring sie in den Käfig, und bereite schon mal den Verbandswechsel vor. Ich gehe noch kurz zur Bank, danach erstatte ich bei der Polizei Anzeige und gebe die Kugel ab. Ich sage denen am besten gleich, dass du sie angefasst hast.«

Sanne verzog das Gesicht. »Erinnere mich nicht daran.«

Kurz vor Beginn der Sprechstunde kam Tina zurück.

»Der Polizist meinte, es sieht nicht nach einer Büchsen-, sondern nach einer Pistolenkugel aus.«

»Wer schießt denn mit einer Pistole auf einen Hund?« Sanne drehte sich um. Sie hielt eine Rolle Verbandsmull in der Hand.

»Das kann nur ein Gestörter sein«, sagte Tina wütend. »Der Polizist wollte keine ballistische Untersuchung machen lassen. Ist ja ›nur‹ ein Hund.«

»Dann werden wir wohl nie erfahren, was passiert ist.«

»Ich werde mich auf jeden Fall umhören. Vielleicht finde ich doch noch was raus.«

Sanne nickte. »Hast du schon auf dem Gut angerufen?«

»Bei der Eiskönigin? Gestern Abend noch. Ich bringe Daisy in der Mittagspause vorbei.«

»Da kann ich mitkommen! Meine Mutter holt Leon und Finn heute aus dem Kindergarten ab. Ich wollte immer schon mal auf das Gut. Graf von Finkenstein soll ja sehr charmant und gut aussehend sein!«, sagte Sanne mit leuchtenden Augen.

Tina grinste. Wer Sanne sah, mit ihrer bunten Punkerfrisur, den Piercings und ihren hauteng anliegenden Klamotten, würde nie auf die Idee kommen, dass sie mit Begeisterung die Klatschspalten in den bunten Blättern las und sich besonders über den Adel Europas auf dem Laufenden hielt.

»Was man von seiner Frau nicht behaupten kann.«

Das Leuchten in Sannes Augen erlosch. »Meinst du, sie ist auch da?«

»Mit Sicherheit. Daisy ist doch 75.000 Euro wert, und sie wird bestimmt gucken, ob ich nicht gepfuscht habe.«

»Egal, ich komme trotzdem mit. Denk dran, schon mal die Rechnung fertig zu machen, dann können wir sie der Gräfin gleich in die Hand drücken.«

»Wenn ich dich nicht hätte!«

»Wenn du mich nicht hättest, wärst du schon pleite.«

Es stimmte, Sanne drängte immer darauf, die Rechnungen sofort zu schreiben und direkt in bar oder per ec-Karte bezahlen zu lassen. Tina hatte es in ihrer Zeit als Assistenztierärztin in einer großen Tierklinik in Lübeck so kennengelernt, dass alles auf Rechnung lief, doch auf diese Weise häufte man nur immense Außenstände an. Seit sie Sanne vor zwei Jahren eingestellt hatte, waren die Außenstände immerhin nicht noch weiter angewachsen.

Die Sprechstunde war trotz der Hitze recht gut besucht, und Tina war zufrieden, als sich die Tür hinter dem letzten Kunden schloss. Sanne war die ganze Zeit total hibbelig gewesen und konnte es kaum erwarten loszufahren.

»Meinst du, ich muss mich noch umziehen?«, fragte sie.

Tina musterte Sannes Garderobe des Tages, nachdem diese ihre Praxisklamotten – einen dunkelgrünen, kurzen Kittel, eine dazu passende Baumwollhose und die weißen Birkenstocks – gegen ihre Alltagskleidung getauscht hatte. Sie trug ein hautenges, kirschrotes, kurzärmeliges Kapuzenshirt mit Hundepfotenprint, eng sitzende lilafarbene Jeansshorts mit tief hängendem Bund, aus denen ihr Tribaltattoo über dem Steißbein herausschaute, und rosafarbene Stoffschuhe mit einem Keilabsatz aus Kork.

»Du siehst toll aus, perfekt für den Eintritt in die gehobene Gesellschaft.«

Tina nahm den Weg über Dersau, nachdem sie den Vorschlag von Sanne abgelehnt hatte, auf dem Deertenhoff vorbeizufahren, damit sie sich zu Hause noch umziehen könne.

»Du kannst doch nicht in Schlabber-T-Shirt und uralten Shorts beim Grafen aufschlagen. Das muss schon etwas peppiger sein. Guck dir mich an«, hatte Sanne so nachdrücklich gesagt, dass Tina an ihre Mutter erinnert wurde.

»Zieh doch mal was Flottes an«, war deren Standardsatz in Tinas Teenie- und Studentenjahren gewesen. Zum Glück hatte ihre Mutter inzwischen resigniert und verdrehte nur noch die Augen, wenn Tina ihrer Meinung nach zu schlunzig aussah.

Tina bog in die von Eichen und Buchen gesäumte winzige Straße zum Gut ein. Links von der Straße lag eine Wiese, die mindestens so groß war wie zehn Fußballfelder. Auf dem verdorrten Gras war ein Hindernisparcours aus großen und schweren Hindernissen aufgebaut. Eine Reiterin in grüner Jacke und heller Reithose trainierte ein braunes Pferd mit dunkler Mähne. Die beiden flogen in perfekter Einheit über die Hindernisse.

»Die kann aber reiten«, sagte Sanne und verdrehte den Hals, um die Reiterin noch etwas länger im Auge behalten zu können.

»Wir sind da.«

Tina bremste und bog in Richtung des weiß gestrichenen Haupttores des Gutes ab, auf dem in goldenen Buchstaben »Gut Finkenstein« stand. Rechts daneben hing ein Schild mit der Aufschrift »Privat. Durchfahrt verboten!«.

Sie musste anhalten, weil ein schwarzer Porsche mit Hamburger Kennzeichen die Durchfahrt blockierte. Der Fahrer in schwarzem Leinenhemd hatte den Arm auf das heruntergelassene Fenster gelehnt und unterhielt sich mit einem hochgewachsenen Mann in dunkelblauer Jeans und hellem Jeanshemd. Dieser hatte die Ärmel bis zu den Oberarmen hochgekrempelt, sodass Tina seinen muskulösen Bizeps sehen konnte. Er blickte kurz in Tinas Richtung, dann konzentrierte er sich wieder auf sein Gegenüber. Tina drückte auf die Hupe. Der Porschefahrer wedelte mit dem Arm in ihre Richtung und unterhielt sich weiter.

»Das ist doch nicht zu fassen!« Tina riss die Fahrertür auf und sprang aus dem Wagen. Mit schnellen Schritten ging sie auf den Porsche zu. »Macht es Ihnen sehr viel aus, den Weg freizugeben? Ich möchte durch das Tor fahren!«

Widerwillig unterbrach der Mann seine Unterhaltung und blickte Tina aus seinen grünen Augen so angewidert an, als sei sie gerade aus einem Schlammloch gekrabbelt. »Aber das hat doch keine Eile.«

»Brauchen Sie Starthilfe? Ich habe ein Überbrückungskabel im Auto.«

Der Mann zog eine Augenbraue hoch. »Was wollen Sie überhaupt auf dem Gut? Dies ist Privatbesitz. Das Gut steht für eine Besichtigung durch die Öffentlichkeit nicht zur Verfügung.«

»Ich bin Tierärztin und bringe den verschwundenen Greyhound der Gräfin.«

»Noch so ein blöder Köter! Als hätten wir nicht schon genug von den Viechern.«

Der Mann nickte seinem Gesprächspartner kurz zu. »Wenn Sie noch Fragen haben, ich bin im Herrenhaus.«

Der Mann in Jeans reichte dem Porschefahrer eine Visitenkarte. »Vielleicht fällt Ihnen ja noch etwas ein«, sagte er.

Der Fahrer nahm die Karte, startete den Porsche und fuhr mit röhrendem Motor auf das Gut. Tina sah ihm nach, als er nach links auf die kiesbestreute Auffahrt des imposanten weißen Herrenhauses abbog. Mit seinen beiden Flügelbauten sah es eher wie ein Schloss aus.

»Vollidiot!«

Sie sprang zurück in ihren Wagen und fuhr auf das Gutsgelände, vorbei an einem modernen Stallgebäude, durch dessen offenstehendes Tor sie eine Reihe von Pferdeboxen erkennen konnte. Rechts des Weges lag eine mindestens fußballplatzgroße, perfekt gepflegte Rasenfläche, die auf beiden Seiten von einer Reihe alter Lindenbäume begrenzt wurde. Hinter den Linden standen zwei lange reetgedeckte Fachwerkscheunen.

Als Tina langsam weiterfuhr, sah sie vor einem Nebengebäude eine schlanke Frau in blütenweißem Arztkittel stehen, die ihnen entgegenblickte und auf sie zu warten schien. Sie winkte Tina zu.

»Ach du Scheiße!«, entfuhr es ihr.

Sanne blickte sie neugierig an. »Was ist? Kennst du die etwa?«

»Das ist Dr. Irene Müller. Die blöde Kuh hat mir die Idee für meine Doktorarbeit geklaut, als ich in Kenia war. Es war ein Fehler, dass ich ihr davon erzählt habe. Als ich zurückkam, hatte sie mit meinem Thema bereits promoviert. Ich könnte mich schon wieder aufregen!« Tina nahm einen tiefen Atemzug und fuhr fort: »Wir haben in München zusammen studiert und waren damals recht gut befreundet. Sie kommt übrigens auch aus Plön, wir waren eine Zeit lang in derselben Klasse.«

Tina fuhr auf Irene zu und hielt vor ihr an.

Irene schaute ins Auto. »Tina! Was für eine Überraschung!«

»Ich dachte, Plön wäre dir zu provinziell?«, erwiderte Tina und stieg aus.

Irene lachte und warf ihre schulterlangen blondierten Haare schwungvoll zurück. »Ach, weißt du, von hier aus bin ich ja schnell in Hamburg. Und für den täglichen Einkauf ist Kiel nicht weit. Und als mir der Graf ...«, sie machte eine Pause und sah Tina vielsagend an, »... diesen Job hier angeboten hat, ach, was sage ich, auf Knien hat er mich angefleht, da konnte ich nicht Nein sagen.«

»Plön hat auch Supermärkte und andere Läden für den täglichen Bedarf«, sagte Tina. »Wir haben sogar eine Bank und einen Schuhladen.«

»In dem du anscheinend deine Schuhe kaufst«, erwiderte Irene mit einem Blick auf Tinas ausgetretene Sneakers.

»Lieber bequem als Blasen an den Füßen. Sag mal, wer ist denn dieser arrogante Schnösel im Porsche?«

»Du meinst sicher Graf Ferdinand von Finkenstein.« Irene lächelte affektiert. »Er ist der jüngere Bruder der Gräfin. Wir beide sind so ...« Sie presste Zeige- und Mittelfinger ihrer perfekt manikürten rechten Hand zusammen.

»Was du nicht sagst«, sagte Tina unbeeindruckt.

Wahrscheinlich grüßte Ferdinand Irene, wenn sie sich zufällig trafen, aber damit hatte es sich auch schon. Irene hatte immer schon damit angegeben, dass sie angeblich auf Du und Du mit irgendwelchen Prominenten war.

»Wieso heißt er auch Finkenstein? Das ist doch unlogisch«, sagte Sanne, die ebenfalls ausgestiegen war.

»Von Finkenstein ist der Mädchenname der Gräfin, also heißt ihr Bruder auch so. Ihr Mann hat bei der Hochzeit ihren Namen angenommen, weil sie den Namen von Finkenstein auf keinen Fall abgeben wollte.«

»Wahnsinnig spannend«, warf Tina ein. »Können wir mal zum Thema kommen? Ich bringe Daisy zurück.«

»Daisy’s Dawn, ja. Wir haben sie schon überall gesucht. Geht es ihr gut?«

»So gut es einem eben geht, wenn man eine Kugel im Bein hatte.«

Irene wich ein Stück zurück und strich sich durchs Haar. »Die Gräfin hat mir davon erzählt. Wie kann das sein?«

»Das frage ich dich. Wieso ist sie überhaupt weggelaufen?«

Bevor Irene antworten konnte, hörten sie eine kultiviert klingende, sonore Stimme hinter sich.

»Sie bringen uns Daisy’s Dawn zurück, nehme ich an?«

Tina drehte sich zu dem Mann um. Er lächelte Tina an und ließ seine offensichtlich gebleichten Zähne aufblitzen. So ein reinweißes Lächeln konnte niemand von Natur aus haben. Er hatte dunkle kurze, sich an der Stirn lichtende Haare, die an den Schläfen grau meliert waren. Den Haarschnitt hatte er bestimmt nicht bei Susis Haarmanufaktur in Preetz machen lassen, wo sich Tina alle halbe Jahre die Haare stutzen ließ, sondern in einem der teuren Salons in Hamburg. Seine dunkelbraunen Augen musterten Tina, als er vor ihr stehen blieb. Tina schätzte ihn auf Mitte vierzig. Sein gut geschnittenes Jackett in Blautönen, das, wie Tina annahm, ein Vermögen gekostet hatte, passte hervorragend zu dem dunkelblauen Hemd und der unauffällig gemusterten nachtblauen Krawatte. Das Einzige, was nicht auf seine Garderobe abgestimmt war, war ein leuchtend weißer Verband an seiner linken Hand.

»Falk von Finkenstein. Ich bin entzückt.« Er nahm Tinas Hand und beugte sich darüber.

Sie brauchte sich nicht zu Sanne umzudrehen, um zu wissen, dass der die Kinnlade auf die Brust gefallen war.

»Tina Deerten.«