Ein Junge zieht es in die Fremde - Cilla Valer - E-Book

Ein Junge zieht es in die Fremde E-Book

Cilla Valer

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Beschreibung

Lenzi, der 14-jährige Bergbauernbub verbringt einen Sommer als Geissenhirt auf der Alp. In seinem neuen Alltag erlebt er viele spannende Dinge und reift so zu einem Jüngling heran.

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Seitenzahl: 126

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Als kleiner Junge gab es eine Zeit in der meine Mutter jeweils, wenn der Vater im Männerchor war und ich im Bett sein sollte, in der Stube fleissig mit der Schreibmaschine hantierte. Damals wusste ich noch nicht, was da entstand und auch die Mutter wollte nicht mit der Wahrheit herausrücken.

Erst nach ihrem Tode fand ich im Nachlass ein Manuskript. Anscheinend hatte sie auch schon versucht es bei einem Verlag unterzubringen – leider ohne Erfolg.

Doch heute gibt es andere Möglichkeiten. Dank Computer und Print on Demand kann man leicht eigene Bücher in kleiner Auflage erstellen.

Das bewog mich, ihr diesen Wunsch posthum doch noch zu erfüllen und habe das Manuskript auf den Computer übernommen und den Text redigiert und formatiert.

Das vorliegende Büchlein widme ich meiner Tochter und den beiden Enkelinnen. Diese hätten ihr Urnani sicher ins Herz geschlossen, wenn sie es noch gekannt hätten.

Wie gewöhnlich an ihrem schulfreien Nachmittag, sassen die drei jüngsten Schwendibuben im Wäldchen hinter der elterlichen Hofstatt. Dort gab sich jeder seiner eigenen Beschäftigung hin. Einer schnitzte an einem Stecken, streckte ihn von sich, um seine Arbeit besser betrachten zu können und schien mit der Arbeit recht zufrieden zu sein, denn eifrig schnitzte er noch schnell seinen Namen hinein.

Sein Bruder Hansi, etwas grösser flickte an einem alten Korb und es war eine Freude, ihm zuzuschauen mit welcher Fachkenntnis er die zarten Weiden bearbeitete.

Nur Lenzi, der älteste der dreien, schien keine rechte Lust zur Arbeit zu haben. Er schaute traumverloren in die Tannen hinauf, wo ein Eichhörnchen von Ast zu Ast hüpfte. Immer wieder tauchte das zierliche Tierchen vor den Augen des Buben auf und das geschmeidige Geschöpfchen mit den kleinen spitzen Öhrchen schaute neugierig auf die Menschenkinder hinunter. Es war, als wollte es ihnen noch extra beweisen wie frei und lustig es sich in der Welt draussen leben liess. Immer wieder warf es seinen buschigen Schwanz in die Luft und landete mit einem kühnen Sprung auf der nächsten Tanne.

Und es war, als ob diese Freiheit und Wanderlust direkt auf Lenzi überspringe, vierzehn Jahre war er jetzt schon alt. Die Spiele seiner Brüder fingen an, ihn grenzenlos zu langweilen. Er sehnte sich plötzlich unheimlich hinaus in die grosse weite Welt.

Noch hatte der gute Lenzi keine Ahnung, wie nahe die Zeit war, wo seine Sehnsucht nach eigenem Erleben gestillt werden sollte. Sein Vater jedoch, Schwendihans, wie man ihn allgemein nannte, hatte schon lange gemerkt, dass etwas im Kopfe seines Jungen vorging. Die aufgetragenen Arbeiten verrichtete er ohne Schneid und Rasse. Ja, manchmal konnte er sogar recht bockig werden. Dem Vater war klar, da musste etwas geschehen - so ging das nicht mehr weiter.

Am grossen Aprilmarkt im Weiler traf er einen alten Militärkameraden. So im Gespräch fragte ihn dieser, ob er ihm nicht einen aufgeweckten Burschen wüsste, der sich als Geissenhirt auf seiner hohen Alp eignen würde?

Da wusste Schwendihans sofort, das wäre etwas für seinen Jungen - da würden ihm die Flausen bald vergehen! Die beiden Freunde waren sich bald einig, dass Lenzi die Stelle antreten könne, und das schon am ersten Mai.

Das gab einen schönen Wirbel, als diese Neuigkeit in der Schwendi bekannt wurde!

Lenzi konnte es erst gar nicht glauben, dass sein sehnlichster Wunsch sich so bald erfüllen sollte. Aber Geissenhirt, nein das war allerdings nicht gerade sein Traum gewesen, denn in Wirklichkeit mochte er diese Viecher gar nicht ausstehen. Aber diese Gedanken behielt er wohlweislich für sich - Hauptsache war jetzt für ihn dass er viel Neues erleben durfte, da nahm er ein wenig Geissengemecker noch so gerne in Kauf.

Aber da war noch die Mutter, die einfach nicht verstehen wollte, dass eines ihrer Kinder schon in die fremde Welt hinaus sollte! Und da war noch das kleine Schwesterchen Cilli, das bittere Tränen vergoss, als es erfuhr, dass ausgerechnet Lenzi, ihr Lieblingsbruder weggehen sollte. Dieser Bruder, mochte er manchmal gegen die andern bös sein, ihr war er immer ein lieber Beschützer gewesen. Wenn die andern Brüder sie auf die von den Eltern verbotenen Pfaden nicht mitnehmen wollten, weil sie nur im Wege stehe - Lenzi gab immer auf sie Acht. Wenn andere Kinder sie plagen wollten, so bekamen sie es oft auf recht unangenehme Weise mit Lenzi zu tun! Begreiflich, dass Cilli alles andere als erfreut von dieser neuen Wende in ihrem Leben war!

Am ersten Mai war wie versprochen Lenzis Reisetag. Mutter Deta hatte den alten Weidenkoffer vom Estrich geholt und mit Liebe und Sorgfalt gepackt. Na - besonders nobel sah das Ding nun wirklich nicht mehr aus, aber sie hatte keinen andern. Zum Glück machte das Lenzi gar nichts aus. Wenn’s nach ihm gegangen wäre, hätte er seine Habseligkeiten in einen Kartoffelsack gepackt und auf den Buckel geschwungen.

Mutter Deta aber machte sich derweil grosse Sorgen! So weit weg von Zuhause - die schweren Gewitter in den Bergen und würde der Bub nicht doch Heimweh bekommen?

Viel leichter, viel froher sah Lenzi in die Zukunft. Er war doch kein Baby mehr. Für ihn sah alles rosig und schön aus. Vor allem freute er sich jetzt auf die lange Eisenbahnfahrt. Denn für die Schwendikinder war das ein seltenes Vergnügen.

Als nun die Stunde des Abschiednehmens kam, zupfte er Hansi kameradschaftlich an den Ohren, während Andi einen kleinen Box in die Seite bekam. Lenzi dachte, nur ja nicht merken lassen, dass er selber ein recht ungutes Gefühl im Magen hatte.

Die Ermahnungen der Mutter liess er diesmal mit Engelsgeduld über sich ergehen. Wie hart es ihm auch ankam, aber Cillis Tränen musste er diesmal einfach übersehen. Er war heilfroh, als der Abschied endlich überstanden war. Nicht etwa, dass ihm in diesem Moment besonders wohl zu Mute war. Er wusste, es kam eine Veränderung in sein Leben und viel wusste er von seiner neuen Heimat auch noch nicht. Aber ein Bergbub zeigt seine Gefühle nicht so offen und so ahnte niemand, wie es wirklich in ihm aussah!

Langsam, als habe er schon jetzt Angst vor der Bergsteigung, fuhr der Zug aus dem Bahnhof seines Heimatdorfes. Nun konnte Lenzi doch nicht anders, als seine Augen zurück schweifen zu lassen nach dem elterlichen Hof. Die schönen Blumenstöcke der Mutter entschwanden seinen Augen - dann die Fenster - er schaute und schaute, bis auch die letzte Spitze des Dachgiebels verschwunden war.

Dann aber gab er sich einen energischen Ruck und fing an die neue Umgebung zu betrachten. Der Zug war angefüllt mit einer laut schwatzenden Menschenmenge. Zum ersten Mal im Leben hörte er Laute die er nicht verstand. Von den Viehmärkten her kannte er das Gewaschel der Italiener, aber was er hier hörte war wieder etwas ganz anderes. Dem Bub wurde es etwas ungemütlich in dieser Umgebung. Als er noch bemerkte, wie ihn sein Gegenüber, eine noble Dame, fast spöttisch musterte, warf er seinen Kopf herum und schaute zum Fenster hinaus.

Und was er da alles sah, liess ihn seine Mitreisenden für eine Weile vergessen.

Durch das enge Bergtal schlängelte sich der Zug immer höher und höher. Plötzlich aber schnellte der Bub auf seinen Sitz zurück. Vor seinen Augen wurde es stockfinster. Erschrocken hielt er seinen Koffer fest - es wäre ja gut möglich, dass so ein Fremder mit ihm abhauen könnte? Als es heller wurde sah er, dass auch die fremde Frau krampfhaft ihre Tasche festhielt und ihn recht misstrauisch ansah. Da stieg Lenzi die Röte ins Gesicht. Welche Gemeinheit, auch nur zu denken, dass er - ein Schwendibub klauen würde!

Stolz kehrte er seiner Begleiterin den Rücken zu und würdigte ihr keinen Blick mehr, er wusste nun, dass er zum ersten Mal ein Tunnel durchfahren hatte. Als der Zug wieder einmal aus einem dunklen Loch herauskam, sah er unter sich ein Dorf liegen, das sie kurz vorher durchfahren hatten. Als dies nochmals geschah, lag das gleiche Dorf noch viel, viel tiefer unten. Das war doch seltsam - gerne wäre er jetzt einmal ausgestiegen, um sich das Ganze aus der Nähe anzuschauen. Nun waren auch die Mitreisenden rege geworden. Wie daheim die Schafe auf Salz, so stürzten alle an die Fenster und ein wahrer Sturm von fremden Worte umschwirrte seine Ohren, aber er verstand kein Wort davon. Dafür spürte er ganz deutlich, wie ihm seine Nachbarin ganz rücksichtslos auf seinen Füssen herum trampelte. Lenzi überlegte schon ganz ernstlich, ob er wohl Gleiches mit Gleichem vergelten sollte. Er liess es denn doch sein, denn das kreischende Organ tönte schon sonst in seinen Ohren.

Der Bub war plötzlich froh, dass die Reise bald zu Ende ging. Er hatte sich diese Fahrt gemütlicher vorgestellt und es war ihm jetzt ein Trost, dass er dem grossen Kurort, dem alle diese noblen Leute zustrebten, bald auf die Alp entfliehen konnte.

Als der Zug an der Endstation hielt, musste der Bub nochmals einen wahren Sturm über sich ergehen lassen. Bevor er seinen Weidenkoffer richtig in der Hand hatte, strebte schon alles dem Ausgange zu. Es gab ein Puffen, ein Stossen, jeder wollte zuerst auf dem Perron sein. Verwundert schaute Lenzi sich um - war da etwa ein Unglück geschehen? So pressierten die Bergler nur, wenn irgendwo Hilfe nötig war!

Nur er und ein alter Herr, mit schlohweissen Haaren waren noch im Zuge. Als sich Lenzi vergewissert hatte, dass nirgendwo etwas brannte, sah er verwundert diesem Treiben zu.

Der alte Mann schien das gewohnt zu sein, denn er schaute nicht auf das nervöse Treiben, sondern auf den staunenden Buben. Vielleicht dachte er dabei an jene ferne Zeit zurück, wo es noch nicht so hektisch zuging. Als Letzte verliessen die zwei den Zug.

Anfangs wollte der Bub sich noch hindurchzwängen, dabei stiess er mit seinem Koffer an das Bein einer Dame und der Blick, den diese zurückwarf, liess ihn schleunigst ins hinterste Glied zurücktreten. Erst als er sich völlig sicher wähnte, verliess er den Zug.

Eine Weile stand der kleine Hirte ganz benommen auf dem grossen Bahnhof. War das ein Gerenne hin und her - Männer mit riesigen Koffern liefen an ihm vorbei. Sie hatten Goldschnüre an ihren komischen Hüten, das sah richtig schön aus.

Waren das wohl fremde Offiziere? Nein - merkte er plötzlich, da hatte er sich arg geirrt! Da waren auch noch Namen auf den Kappen und er merkte bald, dass diese Männer nicht zu beneiden waren, denn sie wurden umher gehetzt, wie die Hunde auf der Weide. Das alles sah der Bub, während er auf seinen neuen Meister wartete, der ihn am Bahnhof abholen sollte. Würde ihn dieser in dem Gewühl von Menschen überhaupt finden? Ganz entmutigt und schon ein wenig von Heimweh gepackt liess er sich auf seinen Koffer nieder. Nicht weit von ihm entfernt spazierte der alte Herr und sah mitleidig auf den verlassenen Buben. Dabei war er fest entschlossen dem Jungen beizustehen, für den Fall, dass ihn niemand abholen sollte.

Doch da hörte man den festen Schritt eines Mannes. Um die nächste Hausecke herum kam ein älterer Mann in der grauen Tracht der Bergler. Freundlich lachend trat er auf den Buben zu und sagte, „du bist sicher mein neuer Geissenhirt?“ Da hatte Lenzi ganz plötzlich keine Angst mehr. Er streckte seinem neuen Meister die Hand entgegen, „ja der bin ich.“ Der feste Händedruck des Mannes gab ihm Mut und Freude für seine neue Aufgabe.

Diesem Manne könne er vertrauen, das wusste Lenzi sofort und er nahm sich fest vor, alles zu tun, damit der Bauer mit ihm zufrieden war.

Ein paar Minuten später standen sie vor dem Bahnhofsplatz, wo an einem Pflock ein junges Pferd angebunden war und schon unruhig von einem Bein auf das andere tänzelte. Darum sagte dann der Bauer auch, „so mein Junge, schwing dich schleunigst auf den Bock, damit wir schnell aus diesem Hexenkessel herauskommen! Dem Fanni und mir ist erst wieder wohl, wenn wir die Bergföhren rauschen hören.“ Mit diesen Worten stieg der Bauer auch auf das Gefährt, ergriff das Leitseil, noch ein leichter Knall mit der Peitsche und los ging die Fahrt.

Der Bub kam sich auf dem sauberen Landauer vor, wie ein König auf seinem Thron. Wohl hatte man daheim in der Schwendi auch Wagen aber nicht so schöne und erst noch gefederte. Auch waren dort schwerfällige Ochsen eingespannt und nicht ein so feuriges Pferd. Ach - wenn mich doch meine Freunde, Tommi und Hitsch, jetzt sehen könnten, die würden ja platzen vor Neid. Doch er wurde bald im Sinnieren unterbrochen, der Bauer zügelte leicht sein Pferd und nahm den verwitterten Hut vom Kopfe, hob die Hand und grüsste ausgerechnet seinen Reisekameraden aus dem Zuge. In seiner Freude winkte auch er dem Manne zu, als ob sie die besten Freunde wären. Und der lachte zurück - ihm gefiel der kleine Naturbursche.

„Willst Du einmal kutschieren?“ mit diesen Worten drückte der Bauer dem überraschten Buben auch schon das Leitseil in die Hand. Das war zu viel für den Buben. In seiner Aufregung hantierte er etwas zu hastig mit den Zügeln, Fanni verstand das falsch, und voll Freude setzte sie sich in Trab, denn sie hatte zu lange auf dem lärmigen Bahnhofplatz stehen müssen. Erschrocken schaute Lenzi auf den Meister und er war heilfroh als ihm der Meister die Zügel wieder aus der Hand nahm. „Weisst du“ - belehrte er den Buben, „die Fanni ist erst zum zweiten Mal in diesen Wagen eingespannt, sie wird auch noch nervös vom Treiben auf der Strasse, das behagt ihr noch gar nicht. Ihr ergeht es wie mir - am wohlsten ist es ihr oben auf der Alp. Hoffentlich ergeht es dir ebenso.“ Unter der starken Hand des Meisters beruhigte sich das Pferd bald wieder.

Nun wurde der Bub gwundrig, „wie alt ist denn die Fanni jetzt?“ Erst drei Jahre, war die Antwort.“ Ein Pferd darf man nicht zu früh einspannen, wenn es ein gutes Zugtier werden soll! Ja-ja, euch zwei ergeht es fast gleich, auch für dich fängt heut ein anderes Leben an!“

Nun hatten sie unter munterem Plaudern den Taleingang erreicht. Lenzi schaute nach rechts, dann wieder nach links, die grossen Hotelpaläste flössten ihm fast Angst ein. „Nahe am Wald, das sind Sanatorien“ sagte der Bauer an seiner Seite, „da kommen die Kranken von weit her, um in unserer herrlichen Gebirgsluft wieder gesund zu werden.“ Dass es so viele Kranke gab wusste Lenzi gar nicht und es stimmte ihn für den Moment recht traurig. Daheim in der Schwendi war man eigentlich nie krank, denn Mutter Deta hatte immer ein Tränklein parat, wenn eines ihrer Kinder muderte, deswegen musste man nicht ins Sanatorium.

Auf der Strasse kam ihnen eine Gruppe Leute entgegen. Die hatten aber eine komische Gesichtsfarbe, so was hatte er noch nie gesehen!

Der Dürrbodenbauer musste lachen, als er das entsetzte Gesicht des Jungen sah. Ja man merkte wohl, dass der Kleine noch nicht viel von der Welt gesehen hatte. Doch tröstend sagte er, „nur keine Angst - dort wo wir daheim sind, sehen wir nicht viel von diesen Leuten. Da ist höchstens das Fräulein Yvette, die einem etwa auf die Nerven geht. Aber - der Bauer blinzelte verschmitzt - ich rate Dir, halte Dich von der fern, mit der ist gar nicht gut Kirschen essen!“

Lenzi war noch zu scheu, als dass er den Mut hatte weiter zu fragen, aber Wunder nahm es ihn doch, was das für ein Wesen war.