Ein kleiner Held - Fjodor M. Dostojewski - E-Book

Ein kleiner Held E-Book

Fjodor M. Dostojewski

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Beschreibung

Ein ungewohnt heiteres Leseerlebnis mit dem Meistererzähler Dostojewski

In diesem Band zeigt sich der russische Großklassiker von seiner komischen Seite. «Ein kleiner Held», noch grün hinter den Ohren, lernt den süßen Schmerz der ersten Liebe kennen. Er hat sich ausgerechnet in seine hübsche Cousine Natalie verguckt, die die Nase hoch trägt und ihn nicht für voll nimmt. So muss der Elfjährige all seinen Mut, seine Feinfühligkeit und Redlichkeit unter Beweis stellen, um Natalies Zuneigung doch noch zu erobern … Der Kuss, mit dem sie den kleinen Kavalier belohnt, bereitet seiner kindlichen Unschuld ein freudiges Ende.

Ergänzt wird «Ein kleiner Held» durch zwei weitere Erzählperlen des Autors, «Die Sanftmütige» und «Roman in neun Briefen». In der Neuübersetzung durch Christiane Pöhlmann funkeln alle drei Texte in zeitloser Frische.

PENGUIN EDITION. Zeitlos, kultig, bunt. – Ausgezeichnet mit dem German Brand Award 2022

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Seitenzahl: 226

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Große Emotionen, große Dramen, große Abenteuer – von Austen bis Fitzgerald, von Flaubert bis Zweig.Ein Bücherregal ohne Klassiker ist wie eine Welt ohne Farbe.

Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821–1881) war das zweite von acht Kindern einer verarmten Adelsfamilie aus Moskau. Vier Jahre Zwangsarbeit wegen revolutionärer Umtriebe prägten sein Leben ebenso wie seine Spielleidenschaft und daraus resultierende Geldsorgen. Neben neun Romanen verfasste Dostojewski ab 1846 zahlreiche Erzählungen, Novellen und Essays.

«Hinter dem vermeintlichen Witz stehen die Dramen des Lebens … ein überragender Menschenbeobachter, der die Groteske nutzt, um das Tragische erträglicher zu machen.» Viktor Funk, Frankfurter Rundschau

«Einer der größten Schriftsteller aller Zeiten als anarchistischer Komödiant.» Jan Küveler, Literarische Welt

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Fjodor M. Dostojewski

EIN KLEINER HELD

Aus dem Russischen von Christiane Pöhlmann

Mit einem Nachwort von Eckhard Henscheid

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Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by Manesse Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Regg Media in Adaption der traditionellen Penguin Classics Triband-Optik aus England

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-28237-0V001

www.penguin-verlag.de

ROMAN IN NEUN BRIEFEN

I

Pjotr Iwanytsch1 an Iwan Petrowitsch

Gnädiger Herr und allerteuerster Freund,

bester Iwan Petrowitsch!

Also, nun jage ich, um es einmal so auszudrücken, schon volle drei Tage hinter Ihnen her, mein allerteuerster Freund, habe ich mit Ihnen doch eine Frage von höchster Dringlichkeit zu erörtern, treffe Sie aber nirgends an. Meine liebe Frau erlaubte sich gestern, als wir unserem guten Semjon Alexejitsch unsere Aufwartung machten, gar einen Scherz auf Ihre Kosten, indem sie bemerkte, Sie beide, also Sie, mein Freund, und Ihre Tatjana Petrowna, gäben unterdessen ein rechtes Vagabundenpaar ab: Noch keine drei Monate verheiratet, und schon retirieren Sie von Heim und Herd. Wir haben schallend gelacht – aus reinster, aufrichtigster Zuneigung Ihnen gegenüber, versteht sich –, indes, mein unschätzbarster Freund, Sie haben mir nicht nur die Gelegenheit gegeben, herzhaft zu lachen, sondern mir auch ordentlich die Füße wund zu laufen. Da sagt mir Semjon Alexejitsch, bestimmt seien Sie im Klubraum der «Vereinigten Gesellschaft», wegen des Balls. Lasse ich also meine Frau bei der Gemahlin Semjon Alexejitschs zurück, um allein in die «Vereinigte Gesellschaft» zu sausen. Wenn’s nicht zum Heulen wäre, würd ich ja grad drüber lachen! Denn malen Sie sich doch meine Lage aus: Ich allein auf dem Ball, ganz ohne meine Frau! Iwan Andrejitsch, dem ich im Foyer in die Arme lief, hat bei meinem Anblick denn auch prompt geschlussfolgert, eine merkwürdige Leidenschaft für Tanzveranstaltungen habe mich gepackt, und mich beim Ärmel gefasst und wollte mich schon zu einem Tanzball der Jugend schleifen, wobei er in einem fort versicherte, er bekomme in der «Vereinigten Gesellschaft» keine Luft, ein junger Mensch wie er könne sich hier nicht austoben und dass ihm von all dem Patschuli und Reseda2 schon der Kopf schmerze. Ich entdecke weder Sie noch Tatjana Petrowna. Da behauptet Iwan Andrejitsch steif und fest und schwört sogar, dass Sie ganz bestimmt im Alexandra-Theater3 seien, um sich «Verstand schafft Leiden» anzusehen.

Sause ich also ins Alexandra-Theater: Da sind Sie aber auch nicht. Heute Morgen habe ich mir dann gedacht, dass ich Sie bei Tschistoganow finde – aber auch da keine Spur von Ihnen. Tschistoganow schickt mich zu den Perepalkins – und wieder nichts. Kurz und gut, ich war völlig am Ende. Aber sagen Sie selbst, ist das ein Wunder nach all der Rennerei?! Jetzt schreibe ich Ihnen (etwas anderes bleibt mir ja nicht übrig!). Mein Anliegen ist beileibe nicht literarischer Natur (Sie verstehen). Besser ließe sich das alles unter vier Augen klären, denn ich habe dringend einiges mit Ihnen zu besprechen, noch dazu möglichst bald, weshalb ich Sie und Tatjana Petrowna heute zum Tee und auf eine kleine abendliche Unterhaltung zu mir bitten möchte. Meine liebe Anna Michailowna wird von Ihrem Besuch über die Maßen erfreut sein. Und ich wäre Ihnen aufrichtig oder, wie man so sagt, bis ins Grab verbunden.

Ganz nebenbei, mein unschätzbarster Freund, wo ich nun schon einmal zur Feder gegriffen habe, noch zwei Worte mehr, sehe ich mich doch gezwungen, Sie ein wenig zu schelten, nein, sogar zu tadeln, mein höchstverehrter Freund, wegen eines, wie ich vermute, ausgesprochen unschuldigen kleinen Schabernacks, mit dem Sie sich einen Scherz auf meine Kosten erlaubt haben … Sie Schurke und gewissenloser Mensch, Sie! Etwa Mitte letzten Monats führen Sie einen Ihrer Bekannten, genauer Jewgeni Nikolajitsch, in mein Haus ein, den Sie mir mit Ihrer freundschaftlichen und ebendeshalb für mich hochheiligen Rekommandation anempfehlen. Ich freue mich über das neue Gesicht in unserem Kreis, nehme den jungen Herrn mit offenen Armen auf – und lege mir damit freiwillig die Schlinge um den Hals. Doch Schlinge hin oder her, jedenfalls stellte sich die ganze Angelegenheit am Ende als – anders kann man es nicht bezeichnen – starkes Stück heraus. Ich habe jetzt keine Zeit, die Sache zu erklären, obendrein liegt mir die Feder nicht, deshalb habe ich nur diese allerbescheidenste Bitte an Sie, mein schadenfroher Freund und Herzensbruder, ob Sie diesem jungen Herrn nicht höchst taktvoll und ganz und gar beiläufig einmal leise in sein gepflegtes Öhrchen flüstern könnten, dass es in unserer Hauptstadt neben dem meinen noch zahlreiche andere Häuser gibt. Ich bin am Ende meiner Kräfte, mein Freund! Ich habe die Ehre, mich vorzuwerfen,4 wie es unser guter alter Simoniewicz ausdrückt. Sobald wir uns sehen, werde ich Ihnen alles darlegen. Damit will ich nicht andeuten, der junge Mann habe beispielsweise keine Manieren oder geistigen Qualitäten oder habe sich sonst irgendetwas zuschulden kommen lassen. Im Gegenteil, er ist ein ganz und gar liebenswerter und freundlicher Bursche. Näheres, wenn wir uns sehen. Falls Sie, mein höchstverehrter Freund, ihm jedoch unterdessen begegnen, dann flüstern Sie ihm bei Gott meinen Hinweis ein. Ich würde es selbst tun, aber Sie wissen, wie es um meinen Charakter bestellt ist: Ich kann es nicht, Punktum. Obendrein haben Sie ihn empfohlen. Im Übrigen werden wir heute Abend unbedingt alles genauestens besprechen. Doch nun leben Sie wohl. Der Ihre und dergl.

PS: Mein Kleiner kränkelt bereits seit einer Woche, und mit jedem Tag wird es schlimmer und schlimmer. Die Zähne plagen ihn, sie brechen gerade durch. Meine Frau umsorgt ihn in einem fort und ist schon gänzlich bekümmert, die Arme. Besuchen Sie uns nur! Sie würden uns eine aufrichtige Freude bereiten, mein allerteuerster Freund.

II

Iwan Petrowitsch an Pjotr Iwanytsch

Gnädiger Herr,

guter Pjotr Iwanytsch!

Gestern bekomme ich Ihren Brief, lese ihn und staune. Sie suchen mich an Gott weiß welchen Orten, während ich schlicht zu Hause war. Bis zehn Uhr morgens habe ich auf Iwan Iwanytsch Tolokonow gewartet. Dann schnappe ich mir meine Frau, miete einen Kutscher, stürze mich in Unkosten und erscheine etwa um halb sieben bei Ihnen. Sie sind nicht zu Hause, doch Ihre Gemahlin empfängt uns. Ich warte bis halb elf auf Sie, länger ging es nicht. Ich schnappe mir meine Frau, stürze mich in Unkosten, miete einen Kutscher, setze sie zu Hause ab und fahre selbst weiter zu den Perepalkins, in der Annahme, Sie dort anzutreffen, doch auch diesmal habe ich mich verrechnet. Daraufhin fahre ich nach Hause, mache die ganze Nacht kein Auge zu, weil ich mich um Sie sorge, fahre gleich am nächsten Morgen drei Mal bei Ihnen vorbei, um neun, um zehn und um elf Uhr, stürze mich drei Mal in Unkosten, miete Kutscher, und abermals lassen Sie mich als den Gelackmeierten dastehen.

Nachdem ich Ihren Brief gelesen hatte, konnte ich mich nur wundern. Sie schreiben mir von Jewgeni Nikolajitsch und bitten mich, ihm etwas einzuflüstern, verlieren aber kein Wort darüber, warum. Diskretion lobe ich mir durchaus, nur ist Papier ja wohl nicht gleich Papier, und wichtige Papiere pflege ich meiner Frau nicht für ihre Haarwickel zu überlassen. Allerdings kann ich mir ohnehin keinen Reim darauf machen, wieso Sie mir all das schreiben. Nebenbei bemerkt, wenn es gar so schlimm steht, was ziehen Sie mich dann in diese Angelegenheit hinein? Ich stecke meine Nase ja auch nicht in anderer Leute Angelegenheiten. Ihm das Haus verbieten, das können Sie selbst, aber was uns beide anbelangt, da sollten wir endlich offener und klarer miteinander reden, sonst treten wir auf der Stelle. Zudem bin ich knapp bei Kasse und weiß nicht, was tun, wenn Sie sich weiterhin über all unsere Abmachungen hinwegsetzen. Uns steht eine Reise bevor, diese Reise kostet, obendrein liegt mir meine Frau in den Ohren: Sie müsse sich noch einen samtenen Kapuzenumhang nach der neuesten Mode schneidern lassen. Was nun Jewgeni Nikolajitsch anbelangt, da versichere ich Ihnen, dass ich umgehend, gleich gestern Abend, eben als ich Pawel Semjonytsch Perepalkin meine Aufwartung machte, Erkundigungen über ihn eingeholt habe, die endgültig alle Zweifel aus dem Weg räumen: Er besitzt im Gouvernement Jaroslawl seine fünfhundert Seelen,5 und es besteht Hoffnung, von der Großmutter noch dreihundert Seelen bei Moskau zu erhalten. Wie viel Geld er hat, weiß ich nicht, aber das dürften Sie dafür umso besser wissen. Ich bitte Sie dringend, mir einen Ort für eine Zusammenkunft zu nennen. Sie haben gestern Iwan Andrejitsch getroffen und schreiben, er habe Ihnen versichert, ich sei mit meiner Frau im Alexandra-Theater. Dazu kann ich Ihnen nur sagen, dass er lügt und man ihm in solchen Fragen ohnehin keinen Glauben schenken darf, außerdem hat er auch noch seine Großmutter vor nicht einmal drei Tagen um achthundert Rubel in Papiergeld6 geprellt. In diesem Sinn habe ich die Ehre zu verbleiben.

PS: Meine Frau ist schwanger. Obendrein ist sie schreckhaft und zuweilen melancholisch gestimmt. Bei Theateraufführungen werden jedoch mitunter Schießereien und von Maschinen künstlich erzeugtes Donnern dargeboten. Aus Furcht, meine Frau könne also im Theater erschrecken, führe ich sie deshalb überhaupt gar nicht erst dahin aus. Und ich selbst bin auf Theateraufführungen nicht sonderlich erpicht.

III

Pjotr Iwanytsch an Iwan Petrowitsch

Mein unschätzbarster Freund,

bester Iwan Petrowitsch!

Ich bekenne mich schuldig, schuldig und abertausendmal schuldig, will aber hurtig einiges zu meiner Entlastung vorbringen. Gestern kommt in der sechsten Abendstunde und damit genau zu der Zeit, als wir Ihrer mit aufrichtiger Herzensrührung gedachten, ein vom lieben Onkel Stepan Alexejitsch geschickter Kurier mit der Nachricht zu uns gestürmt, es stehe schlecht um unser Tantchen. Ich möchte meine Frau selbstverständlich nicht in Angst und Schrecken versetzen, sage ihr also kein Wort, sondern schütze ein unaufschiebbares Geschäft vor und fahre zu Tantchens Haus. Ich finde sie halb tot vor. Exactement um fünf Uhr hatte sie der Schlag getroffen, bereits der dritte in zwei Jahren. Karl Fjodorytsch, ihr Arzt, erklärte, sie werde die Nacht aller Wahrscheinlichkeit nach nicht überleben. Vergegenwärtigen Sie, mein allerteuerster Freund, sich doch nur meine Lage: Die ganze Nacht bin ich auf den Beinen, renne mir die Füße wund und vergehe vor Kummer. Erst gegen Morgen legte ich mich, am Ende meiner Kräfte und körperlich wie seelisch gänzlich ermattet, bei ihnen auf den Diwan, vergaß aber, darum zu bitten, dass man mich rechtzeitig weckt, und wachte erst um halb zwölf wieder auf. Dem Tantchen geht es besser. Also fahre ich zu meiner Frau. Sie, die Arme, ist nach all der Warterei auf mich wie gerädert. Ich nahm einen Happen zu mir, herzte unseren Sonnenschein, beschwichtigte meine Frau und fuhr zu Ihnen. Sie sind nicht zu Hause. Dafür treffe ich bei Ihnen Jewgeni Nikolajitsch an. Stehenden Fußes kehre ich nach Hause zurück, greife zur Feder und schreibe Ihnen nun. Zürnen und grollen Sie mir nicht, mein aufrichtiger Freund! Schlagen Sie mich, hauen Sie mir armem Sünder den Kopf ab, aber entziehen Sie mir nicht Ihr Wohlwollen. Wie ich von Ihrer Gemahlin erfuhr, sind Sie heute Abend bei den Slawjanows. Ich werde mich ganz bestimmt einfinden. Dort erwarte ich Sie mit größter Ungeduld.

Vorerst jedoch der Ihre usw.

PS: Unser Kleiner treibt uns in grenzenlose Verzweiflung. Karl Fjodorytsch hat ihm jetzt Rhabarber verschrieben. Das Kind greint, gestern hat es niemanden mehr erkannt. Heute erkennt der Kleine uns immerhin langsam wieder und brabbelt die ganze Zeit über Papa, Mama, buh … Meine Frau ist schon den ganzen Morgen in Tränen aufgelöst.

IV

Iwan Petrowitsch an Pjotr Iwanytsch

Mein gnädiger Herr, guter Pjotr Iwanytsch!

Ich schreibe in Ihrem eigenen Haus an Sie, in Ihrem Zimmer sitzend, an Ihrem Schreibtisch. Und bevor ich überhaupt zur Feder gegriffen habe, habe ich gut zweieinhalb Stunden auf Sie gewartet. Erlauben Sie mir deshalb, Ihnen, Pjotr Iwanytsch, ganz unverblümt meine offene Meinung bezüglich dieses kleinlichen Getues zu sagen. Wie ich Ihrem letzten Brief entnehme, wurden Sie bei den Slawjanows erwartet und bestellten auch mich dorthin, weshalb ich erscheine und dort fünf Stunden herumsitze, ohne dass Sie auftauchen. Habe ich es Ihrer Meinung nach vielleicht nötig, in dieser Weise für irgendjemand den Possenreißer zu spielen?! In dem Fall muss ich doch sehr bitten, mein gnädiger Herr … Ich erscheine also am Morgen bei Ihnen, in der Hoffnung, Sie zu erwischen, denn ich ahme gewiss nicht die Gepflogenheiten manch heuchlerischer Personen nach, die Leute an Gott weiß welchen Orten suchen, wenn sie doch zu jeder schicklich gewählten Zeit zu Hause anzutreffen wären. Bei Ihnen zu Hause nicht die geringste Spur von Ihnen. Keine Ahnung, was mich jetzt daran hindert, Ihnen die ungeschminkte Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Stattdessen begnüge ich mich damit, festzustellen, dass Sie anscheinend nicht gewillt sind, unsere getroffenen Verabredungen einzuhalten. Und nun, wo ich das Ganze durchschaut habe, muss ich zugeben, dass mich Ihre durchtriebene Gesinnung geradezu erschüttert. Für mich steht jetzt außer Frage, dass Sie seit Langem Missgunst gegen mich hegen. Zum Beweise dieser Vermutung lässt sich anführen, dass Sie noch in der letzten Woche in nahezu unverzeihlicher Weise jenen Brief, den Sie an mich adressiert hatten und in dem Sie selbst, wenn auch in Ihrer recht vagen und verschwurbelten Art, unsere Abmachungen bezüglich jener Ihnen bestens bekannten Angelegenheit erläuterten, wieder an sich brachten. Sie misstrauen Schriftstücken und vernichten sie, lassen mich auf diese Weise aber wie einen Einfaltspinsel dastehen. Nur gestatte ich nicht, mich als Einfaltspinsel abzustempeln, denn das hat bisher noch niemand getan, und im Zusammenhang mit besagter Angelegenheit denken alle das Beste von mir. Allerdings sehe ich nun klar: Sie führen mich an der Nase herum, machen mich mit diesem Jewgeni Nikolajitsch ganz kirre, und wenn ich mich endlich mit Ihnen aussprechen möchte, denn Ihr Brief vom Siebten diesen Monats7 ist mir nach wie vor ein Rätsel, dann bestellen Sie mich zu erlogenen Zusammenkünften ein und tauchen selbst nicht auf. Was, gnädiger Herr, glauben Sie eigentlich, mit wem Sie es zu tun haben?! Sie beteuern, sich für gewisse Gefälligkeiten, die ich Ihnen mit der Rekommandation verschiedener Personen erwiesen habe, erkenntlich zeigen zu wollen, richten es dabei aber – und ohne dass klar wäre, wie – so ein, dass Sie erst in der letzten Woche eine Unsumme von mir borgen, noch dazu ohne Schuldschein. Daraufhin tauchen Sie, das Geld in der Tasche, unter und leugnen sogar, dass ich Ihnen mit Jewgeni Nikolajitsch eine Gefälligkeit erwiesen habe. Möglicherweise hoffen Sie ja auf meine baldige Abreise nach Simbirsk8 und rechnen sich aus, wir würden uns vorher nicht mehr ins Benehmen setzen. In dem Fall erkläre ich Ihnen jedoch feierlich und bezeuge dies sogar mit meinem Ehrenwort, dass ich nötigenfalls fest entschlossen bin, noch zwei Monate in Petersburg9 zu bleiben, dass ich mein Anliegen bis zum Schluss verfolgen, mein Ziel erreichen und Sie finden werde. Auch unsereins kann nämlich anders. Lassen Sie mich Ihnen abschließend noch versichern, dass ich mich – sollten Sie sich mir nicht noch heute in zufriedenstellender Weise erklären, und zwar zunächst schriftlich, dann auch mündlich, von Angesicht zu Angesicht, und sollten Sie in Ihrem Brief nicht noch einmal alle wesentlichen Abmachungen, die zwischen uns bestehen, festhalten und sollten Sie mir schließlich nicht klar und deutlich Ihre Absichten bezüglich Jewgeni Nikolajitschs darlegen … dass ich mich dann gezwungen sehe, Maßnahmen zu ergreifen, die für Sie äußerst nachteilig und mir selbst durchaus zuwider wären.

Gestatten Sie zu verbleiben usw.

V

Pjotr Iwanytsch an Iwan Petrowitsch

11. November

Mein liebenswertester, höchstverehrter Freund, bester Iwan Petrowitsch!

Ihr Brief hat mich bis tief ins Mark erschüttert. Und schämen sollten Sie sich, mein teurer, aber ungerechter Freund, Ihren besten Wohltäter so zu behandeln. Voreilige Schlüsse ziehen Sie, in vagen Andeutungen ergehen Sie sich, ja, am Ende beleidigen Sie mich gar mit niederträchtigen Unterstellungen! Gleichwohl will ich hurtig zu Ihren Beschuldigungen Stellung nehmen. Sie, bester Iwan Petrowitsch, haben mich gestern deswegen nicht zu Hause angetroffen, weil ich plötzlich und völlig überraschend an ein Sterbebett gerufen wurde. Unser Tantchen Jewfimija Nikolawna verschied gestern Abend, exactement um elf Uhr. Nach einstimmigem Beschluss aller Verwandten bin ich zum Zeremonienmeister für die schmerzlichen und betrüblichen Feierlichkeiten auserkoren worden. Ich hatte also alle Hände voll zu tun, sodass es mir unmöglich war, Sie heute Morgen zu treffen oder Sie auch nur mit einer Briefzeile in Kenntnis zu setzen. Dieses Missverständnis zwischen uns bereitet mir jedoch größte Seelenpein. Sie haben die von mir nur im Scherz und beiläufig dahingesagten Worte über Jewgeni Nikolajitsch völlig in den falschen Hals bekommen und mir in der ganzen Angelegenheit Absichten unterstellt, die mich zutiefst beleidigen. Sie erwähnen jenes Geld und äußern im Zusammenhang damit Ihre Besorgnis. Ich aber bin – ohne jedes Wenn und Aber – bereit, sämtliche Ihrer Wünsche und Forderungen zu erfüllen, obwohl ich Sie, ganz nebenbei, in diesem Zusammenhang daran erinnern muss, dass ich jenes Geld, jene dreihundertundfünfzig Silberrubel, in der letzten Woche von Ihnen aufgrund gewisser Abmachungen erhalten und nicht etwa geliehen habe. In letzterem Falle gäbe es nämlich unweigerlich einen Schuldschein. Zu Erklärungen bezüglich der anderen in Ihrem Brief genannten Punkte lasse ich mich indes nicht herab. Diese rühren von einem Missverständnis, von Ihrer üblichen Überstürztheit, Ihrer Hitzköpfigkeit und Unverblümtheit her, das steht für mich außer Frage. Ebenso weiß ich, dass Ihre Seelengüte und Ihre offene Art es Ihnen verbieten, im Herzen Zweifel an mir zu nähren, und dass Sie mir schließlich als Erster die Hand reichen werden. Denn Sie haben einen Fehler begangen, Iwan Petrowitsch, einen großen Fehler!

Ungeachtet dessen, dass Ihr Brief mir tiefen Schmerz zugefügt hat, wäre ich jedoch der Erste, der noch heute bereit wäre, mich mit einem Schuldeingeständnis bei Ihnen einzufinden, doch renne ich mir eben seit dem gestrigen Tage die Füße wund, sodass ich mittlerweile völlig erschlagen bin und mich kaum noch auf den Beinen halten kann. Als wäre dies nicht Unglück genug, liegt nun auch noch meine liebe Frau danieder; ich fürchte, es ist eine schlimme Krankheit. Was den Kleinen anbelangt, so geht es ihm Gott sei Dank besser. Doch genug der Worte … die Pflichten rufen, und zwar im Chor.

Gestatten Sie, mein unschätzbarster Freund, daher zu verbleiben und dergl.

VI

Iwan Petrowitsch an Pjotr Iwanytsch

14. November

Mein gnädiger Herr, guter Pjotr Iwanytsch!

Drei Tage lang habe ich gewartet. Sie nicht nutzlos verstreichen zu lassen, darum war ich trotz allem bemüht, während ich mich zugleich – weil ich doch weiß, dass Höflichkeit und Anstand die erste Zier eines jeden Menschen sind – bei Ihnen seit Ihrem letzten Brief vom zehnten diesen Monats mit keinem Wort, mit keiner Geste in Erinnerung gebracht habe, dies teilweise deshalb, weil ich Ihnen Gelegenheit geben wollte, ungestört Ihrer Christenpflicht gegenüber Ihrem Tantchen nachzukommen, teilweise weil es für einige Kalkulationen und Erkundigungen in der gewissen Angelegenheit nun einmal Zeitbedarf bedurfte. Jetzt drängt es mich aber, mich mit Ihnen abschließend und fest entschlossen ins Benehmen zu setzen.

Ich gestehe Ihnen ganz offen, dass ich beim Lesen Ihrer ersten beiden Briefe ernsthaft gedacht habe, Sie hätten überhaupt nicht begriffen, was ich will. Genau deshalb habe ich ja so auf eine Zusammenkunft mit Ihnen und eine Aussprache von Angesicht zu Angesicht gedrängt, denn die Feder lag mir noch nie, und ich weiß ganz genau, dass ich meine Gedanken nur mit vager Klarheit zu Papier bringe. Sie wissen genau, dass ich keine Erziehung und keine guten Manieren besitze und dass leeres, aber wohltönendes Geschwätz nicht meine Art ist, weil bittere Erfahrung mich schließlich gelehrt hat, wie trügerisch mitunter das Äußere ist und dass Blumen manchmal ein Schlangenherz überdecken.10 Nur haben Sie mich sehr wohl verstanden. Wenn Sie mir nicht in gebührender Weise geantwortet haben, dann deshalb, weil Sie mit Ihrer treulosen Seele von vornherein beabsichtigten, Ihr Ehrenwort und unsere freundschaftlichen Beziehungen zu brechen. Durch Ihr widerwärtiges Verhalten, das Sie mir gegenüber in der letzten Zeit an den Tag legten, haben Sie das endgültig unter Beweis gestellt, im Übrigen ein Verhalten, das für meine eigenen Interessen den Tod bedeutet hat, das ich Ihnen nie zugetraut hätte und das ich bis zu dieser Minute nicht glauben wollte. Denn gleich zu Beginn unserer Bekanntschaft haben mich Ihre klugen Manieren, Ihr taktvoller Umgang mit anderen, Ihre Geschäftstüchtigkeit und auch die Vorteile, die mir die Verbindung mit Ihnen womöglich zu bringen versprach, völlig bestrickt, und ich vermutete, dass ich in Ihnen einen aufrichtigen Freund, Gefährten und Wohltäter gefunden hatte. Jetzt ist mir allerdings ganz klar geworden, dass es viele Menschen gibt, die hinter ihrem schmeichlerischen und glänzenden Äußeren nur das Gift in ihrem Herzen verbergen und ihren Verstand einzig dazu gebrauchen, Ränke gegen ihren besten Gefährten zu schmieden, diesen in unverzeihlicher Weise zu betrügen und ebendeshalb Papier und Feder misstrauen, während sie ihre Rede nicht zum Frommen von Freund und Vaterland einsetzen, sondern um den Verstand all derjenigen, die sich mit ihnen in unterschiedliche Geschäfte und auf gewisse Abmachungen eingelassen haben, zu betören und einzulullen. Wie treulos Sie, mein gnädiger Herr, sich mir gegenüber verhalten haben, lässt sich aus Nachfolgendem klar ersehen.

Erstens, als ich Ihnen, mein gnädiger Herr, in meinem Brief mit eindeutigen und unmissverständlichen Formulierungen meine Lage geschildert und Sie gleichzeitig in meinem ersten Schreiben gefragt habe, was Sie unter bestimmten Formulierungen verstanden wissen möchten und was vornehmlich in Bezug auf Jewgeni Nikolajitsch Ihre Absichten seien, da haben Sie es im Großen und Ganzen darauf angelegt, sich in Schweigen zu hüllen, mich dann mit Ihren Verdächtigungen und Zweifeln zu ärgern und anschließend so zu tun, als sei die Sache erledigt. Nächster Punkt: Nachdem Sie sich dann mit mir Dinge erlaubt haben, die beim Namen zu nennen jeder Anstand verbietet, schrieben Sie mir, dass Sie von mir enttäuscht seien. Wie, mein gnädiger Herr, soll man das bitte nennen? Nächster Punkt: Als für mich jede Minute zählte und als Sie mich zwangen, Ihnen von einem Ende zum andern durch die ganze Hauptstadt nachzujagen, da schrieben Sie mir unter der Maske der Freundschaft Briefe, in denen Sie, während Sie sich über unsere Sache stur ausschwiegen, auf völlig nebensächliche Dinge zu sprechen kamen, nämlich auf die Krankheit Ihrer in jedem Fall von mir geschätzten Gemahlin und darauf, dass Sie Ihrem Sonnenschein Rhabarber gegeben haben, weil bei ihm wohl ein Zahn durchbreche. All dies haben Sie in jedem Ihrer Briefe mit widerwärtiger und für mich geradezu beleidigender Regelmäßigkeit erwähnt. Selbstverständlich räume ich jederzeit ein, dass das Leid des eigenen Kindes die Seele des Vaters zerfleischt – aber warum darauf herumreiten, wenn man eigentlich von völlig anderen, weitaus dringenderen und interessanteren Dingen sprechen müsste? Zu alldem habe ich geschwiegen und es ertragen. Da aber auch das nichts geändert hat, halte ich es für meine Pflicht, mein Schweigen zu brechen. Vor allem weil Sie mich wiederholt treulos betrogen haben, indem Sie mich zu erlogenen Zusammenkünften einbestellt und mich damit ganz offensichtlich gezwungen haben, die Rolle Ihres Narren und Possenreißers zu spielen, was aber nie meine Absicht war. Nächster Punkt: Nachdem Sie mich also erst zu sich eingeladen und mich dann nach allen Regeln der Kunst versetzt haben, berichten Sie mir, dass Sie zu Ihrem leidenden Tantchen gerufen worden seien, die exactement um fünf Uhr der Schlag getroffen habe, wie Sie mir entschuldigend und mit peinlicher Genauigkeit erklären. Glücklicherweise, mein gnädiger Herr, konnte ich in diesen drei Tagen jedoch einige Auskünfte einholen, und aus denen geht hervor, dass der Schlag Ihr Tantchen bereits am Vorabend des Achten dieses Monats getroffen hat, kurz vor Mitternacht. Dies zeigt mir klar, dass Sie die Heiligkeit verwandtschaftlicher Beziehungen missbraucht haben, um gänzlich außenstehenden Menschen etwas vorzumachen. Schließlich erwähnen Sie in Ihrem letzten Brief den Tod Ihrer Verwandten in einer Weise, als habe sich dieser genau zu der Zeit zugetragen, als ich bei Ihnen erscheinen sollte, damit wir gewisse Fragen besprechen. Hier nun schert sich die Widerwärtigkeit Ihres Kalküls und Ihrer Phantastereien noch nicht einmal mehr um Glaubwürdigkeit, weiß ich doch aus zuverlässigen Quellen, die ich aufgrund eines überaus glücklichen Zufalls und vor allem gerade noch zu rechter Zeit befragen konnte, dass Ihr Tantchen exactement vierundzwanzig Stunden nach dem von Ihnen auf so gottlose Weise in Ihrem Brief für ihr Ableben genannten Tag gestorben ist. Wollte ich alle Anzeichen aufzählen, die mir Ihre Treulosigkeit mir gegenüber deutlich gemacht haben, ich würde gar kein Ende finden! Jedenfalls dürfte auch einem unvoreingenommenen Beobachter schon ausreichen, dass Sie mich in jedem Ihrer Briefe als Ihren aufrichtigen Freund bezeichnen und mich mit den herzlichsten Anreden bedenken, was Sie meiner Ansicht nach jedoch für keinen anderen Zweck taten als den, mein Empfinden für Sitte und Anstand einzulullen.