Ein kleiner Held - Fjodor M Dostojewski - E-Book

Ein kleiner Held E-Book

Fjodor M. Dostojewski

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Beschreibung

Wenn einen die eigenen Gefühle zum Spielball der Gesellschaft werden lassen. Als ein 11-Jähriger an einer mehrtägigen pompösen Feier auf einem Landgut unweit von Moskau teilnimmt, begegnet er nicht nur seiner persönlichen Tyrannin, sondern auch seiner ersten Liebe. Die Blonde macht sich fortlaufend über ihn lustig und lässt ihn zum Spott der Gesellschaft werden. Und doch will der Junge nichts anderes als seine geliebte Natalie beeindrucken. Als sich bei mehreren Mutproben die Gelegenheit dafür bietet, zeigt der Junge sein wahres Ich. Gelingt es ihm, seine Tyrannin ein für alle Mal in die Schranken zu weisen und Natalie zu beeindrucken?-

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Fjodor M Dostojewski

Ein kleiner Held

Übersezt von Hermann Röhl

Saga

Ein kleiner Held

 

Übersezt von Hermann Röhl

 

Titel der Originalausgabe: Malen’kij geroj

 

Originalsprache: Russisch

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1849, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726981414

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Ich war damals noch nicht ganz elf Jahre alt. Im Juli wurde ich nach einem in der Nähe von Moskau gelegenen Gute zum Besuche bei einem Verwandten von mir, Herrn T***w, geschickt, bei dem zu jener Zeit etwa fünfzig Gäste versammelt waren; vielleicht waren es auch noch mehr, ich erinnere mich nicht, gezählt habe ich sie nicht. Es ging lärmend und lustig her. Es machte den Eindruck, als würde ein Fest gefeiert, das dort begonnen hätte, um niemals zu enden. Unser Wirt hatte sich, wie es schien, vorgenommen, sein ganzes riesiges Vermögen so schnell wie möglich alle zu machen, und es ist ihn auch vor kurzem gelungen, diese Vermutung zu bestätigen, das heisst alles, aber auch absolut alles, bis auf die letzte Kopeke durchzubringen. Alle Augenblicke kamen neue Gäste angefahren; Moskau war ja nur einen Katzensprung weit entfernt; so machten denn die Wegfahrenden nur anderen Gästen Platz, und das Fest nahm seinen Fortgang. Eine Belustigung löste die andere ab, und von den Amüsements war kein Ende abzusehen. Bald wurden in ganzen Trupps Spazierritte in der Umgegend unternommen, bald Spaziergänge im Tannenwalde oder Kahnfahrten auf dem Flusse; es wurden Picknicks und Diners auf freiem Felde und Soupers auf der grossen Terrasse am Hause veranstaltet. Diese Terrasse war ringsum mit drei Reihen kostbarer Blumen besetzt, die die frische Nachtluft mit ihren Düften erfüllten; dazu kam eine strahlende Beleuchtung, die unsere Damen, welche auch ohnedies fast sämtlich hübsch waren, noch reizender erscheinen liess mit ihren von den Erlebnissen des Tages freudig erregten Gesichtern, mit ihren blitzenden Augen, mit dem Kreuzfeuer ihrer mutwilligen, von glockenhellem Lachen fortwährend untersbrochenen Reden. Da wurde getanzt, musiziert und gesungen; und wenn der Himmel ein finsteres Gesicht machte, wurden lebende Bilder gestellt und Scharaden und Sprichwörter aufgeführt; auch Theater wurde im Hause gespielt. Es fanden sich geistvolle Köpfe, die hübsche Reden, Erzählungen und Bonmots zum besten gaben.

Einige Personen standen, sich von den andern scharf abhebend, im Vordergrunde. Natürlich war auch üble Nachrede und Klatscherei im Gange, da ohne solche die Welt nun einmal nicht bestehen kann und Millionen von Menschen vor Langerweile wie die Fliegen sterben würden. Aber da ich erst elf Jahre alt war, so bemerkte ich damals, von ganz anderen Dingen in Anspruch genommen, diese Personen gar nicht, und selbst wenn ich etwas bemerkte, so bemerkte ich doch nicht alles. Erst später erinnerte ich mich an einiges. Bei meinem kindlichen Alter konnte mir nur die glänzende Seite des Bildes in die Augen fallen, und dieser allgemeine Rausch, Glanz und Lärm, dieses ganze Treiben, wie ich es bis dahin nie gesehen oder gehört hatte, machte auf mich einen so starken Eindruck, dass ich in den ersten Tagen vollständig die Fassung verlor und mein kleiner Kopf ganz wirblig wurde.

Aber ich rede immer von meinen elf Jahren, und allerdings, ich war noch ein Kind, nicht mehr als ein Kind. Viele dieser schönen Frauen liebkosten mich, ohne sich über mein Lebensalter Gedanken zu machen. Aber seltsam: ein mir selbst unverständliches Gefühl hatte sich meiner bereits bemächtigt, und es regte sich in meinem Herzen schon eine mir bisher unbekannte Empfindung, von der mein Herz manchmal zu brennen und, wie erschrocken, heftig zu schlagen begann und mein Gesicht sich oft mit einer plötzlichen Röte überzog. Mitunter schämte ich mich gewissermassen und fühlte mich ordentlich gekränkt dadurch, dass man mir als einem Kinde allerlei Privilegien einräumte. Ein andermal ergriff mich eine Art von Staunen, und ich ging irgendwohin, wo mich niemand sehen konnte, gleichsam um Atem zu holen und mich auf etwas zu besinnen, was ich, wie mir schien, bis dahin sehr gut im Gedächtnisse gehabt und jetzt auf einmal vergessen hatte, woran ich mich aber notwendig erinnern musste, weil ich mich sonst nirgends zeigen und überhaupt nicht existieren konnte.

Und endlich schien es mir auch manchmal, als ob ich etwas vor aller Augen verbärge und um keinen Preis zu jemandem etwas davon sagen würde, weil ich kleiner Knabe mich darüber bis zu Tränen hätte schämen müssen. Bald kam es dahin, dass ich mitten in dem Wirbel, der mich umgab, mich gewissermassen vereinsamt fühlte. Es waren zwar auch andere Kinder da; aber diese waren sämtlich entweder sehr viel jünger oder sehr viel älter als ich; übrigens fühlte ich mich auch nicht zu ihnen hingezogen. Allerdings hätte sich mit mir auch nichts zugetragen, wenn ich mich nicht in einer isolierten Stellung befunden hätte. In den Augen aller dieser schönen Damen war ich immer noch ein kleines, unentwickeltes Wesen, das zu liebkosen ihnen manchmal Vergnügen machte, und mit dem sie wie mit einer kleinen Puppe spielen konnten. Besonders eine von ihnen, eine entzückende Blondine mit so üppigem, dichtem Haar, wie ich es nach her nie wieder gesehen habe und wahrscheinlich nie wieder zu sehen bekommen werde, hatte sich, wie es schien, vorgenommen, mir keine Ruhe zu gönnen. Das um uns herum erschallende Gelächter, welches sie alle Augenblicke durch die ausgelassenen, mutwilligen Streiche hervorrief, die sie mit mir angab, setzte mich in Verwirrung und erheiterte sie; dieses Treiben bereitete ihr offenbar ein riesiges Vergnügen. In einem Pensionate hätte sie unter ihren Freundinnen gewiss den Beinamen ,,die Range“ bekommen. Sie war wunderbar schön, und es lag in ihrer Schönheit etwas, was einem gleich beim ersten Blick in die Augen sprang. Allerdings hatte sie keine Ähnlichkeit mit jenen kleinen, schüchternen Blondinen, die so weiss sind wie Flaumfedern und so sanft wie weisse Mäuschen oder Pastorentochter. Sie war von kleiner Statur und ein wenig voll, aber mit zarten, feinen, wundervoll gezeichneten Gesichtszügen. In diesem Gesichte leuchtete es manchmal blitzartig auf, und in ihrem ganzen Wesen hatte sie mit dem Feuer Ähnlichkeit: so lebhaft, schnell und leicht war sie. Aus ihren grossen, weit geöffneten Augen schienen Funken zu sprühen; diese Augen blitzten wie Diamanten, und niemals würde ich solche blauen funkensprühenden Augen hingeben, um irgendwelche schwarzen dafür einzutauschen, selbst wenn sie schwärzer wären als die schwärzesten Augen, die man bei den Andalusierinnen findet; ja, meine Blondine gab wahrlich jener berühmten Brünette nichts nach, die ein bekannter, vortrefflicher Dichter besungen hat, der in so herrlichen Versen vor ganz Kastilien geschworen hat, er sei bereit, sich den Hals zu brechen, wenn ihm erlaubt würde, auch nur mit einer Fingerspitze die Mantille seiner Schönen zu berühren. Man nehme noch hinzu, dass meine Schdne die lustigste von allen Schönen der Welt, von einer ausgelassenen Lachlust und mutwillig wie ein Kind war, und das alles, trotzdem sie schon seit fünf Jahren einen Mann hatte. Das Lachen wich nie von ihren Lippen, die frisch waren wie eine Rose am Morgen, welche soeben beim ersten Sonnenstrahle ihren purpurroten, duftenden Kelch erschlossen hat, an dem die kalten, dicken Lautropfen noch nicht weggetrocknet sind.

Ich erinnere mich, dass am Tage nach meiner Ankunft eine Theateraufführung im Hause stattfand. Der Saal war gedrängt voll; kein einziger freier Platz war vorhanden, und da ich mich aus irgendwelchem Grunde verspätet hatte, so sah ich mich genötigt, die Vorstellung stehend zu geniessen. Aber das lustige Spiel zog mich immer mehr nach vorn, und ich arbeitete mich uns vermerkt zu den vordersten Reihen hindurch, wo ich endlich stehen blieb, mich mit den Armen auf die Lehne eines Sessels stützend, auf dem eine Dame sass. Es war meine Blondine; aber wir kannten und noch nicht. Und da versenkte ich mich von ungefähr in die Betrachtung ihrer wundervoll gerundeten, verführerischen Schultern, welche voll und weiss wie Milchschaum waren, obgleich es mir im Grunde ganz gleich war, was ich betrachtete: ein Paar wundervolle Frauenschultern oder die mit feuerroten Bändern verzierte Haube, die das graue Haar einer würdigen Matrone in der ersten Reihe bedeckte. Neben der Blondine sass eine alte Jungfer, eine von denen, die, wie ich später Gelegenheit gehabt habe zu beobachten, sich immer gern in möglichster Nähe junger, hübscher Frauen halten, wobei sie sich solche aussuchen, die die junge Männerwelt nicht von sich scheuchen. Indes handelt es sich jetzt nicht darum; aber kaum hatte diese alte Jungfer bemerkt, worauf meine Augen gerichtet waren, als sie sich zu ihrer Nachbarin hinbeugte und ihr kichernd etwas ins Ohr flüsterte. Die Nachbarin wendete sich auf einmal um, und ich erinnere mich noch ganz deutlich: ihre feurigen Augen blitzten mich im Halbdunkel dermassen an, dass ich, auf diese Begegnung nicht vorbereitet, zusammenfuhr, als ob ich mich verbrannt hätte. Die schöne Frau lächelte.

„Gefällt Ihnen das Stück, das gespielt wird?“ fragte sie, indem sie mir schelmisch und spöttisch in die Augen sah.

„Ja,“ antwortete ich und blickte sie dabei immer noch mit einer Bewunderung an, die ihr offenbar gefiel.

„Aber warum stehen Sie denn? Sie werden müde werden; haben Sie denn keinen Sitzplatz?“

„Das ist es ja eben, dass keiner da ist,“ erwiderte ich, in diesem Augenblicke mehr mit meiner Sorge als mit den funkensprühenden Blicken der schönen Frau beschäftigt und aufrichtig darüber erfreut, dass ich endlich ein gutes Herz gefunden hatte, dem ich meinen Kummer mitteilen konnte. „Ich habe schon gesucht; aber alle Stühle sind besetzt,“ fügte ich hinzu, als wenn ich ihr mein Leid klagen wollte, dass alle Stühle besetzt seien.