Ein Mann mit vielen Talenten - Castle Freeman - E-Book

Ein Mann mit vielen Talenten E-Book

Castle Freeman

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Beschreibung

„Faust und Mephisto sind angekommen in den Wäldern von Vermont. Castle Freeman ist der Meister der coolen Verzauberung.“ Michael Köhlmeier

Taft, ein dem Alkohol zugeneigter Eigenbrötler, steckt in einer Sinnkrise. Da kommt der schneidige Fremde namens Dangerfield gerade recht, der ihm auf der Veranda ein verführerisches Angebot macht: Taft hat sechs Monate Zeit, alles zu bekommen, was er jemals wollte – zu einem hohen Preis. Mit der Gewissheit, nichts zu verlieren zu haben, lässt sich Taft auf den Pakt ein und versucht auf seine Art, das teuflische Spiel zu unterlaufen. Doch der Stichtag rückt näher, und Dangerfield denkt nicht daran, von seiner Forderung abzurücken. Freeman besticht durch lakonische Dialoge und tiefe Kenntnis der menschlichen Psyche und „sorgt einfach nur – sehr, sehr komisch – für gute Laune“ (Deutschlandfunk).

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Über das Buch

»Faust und Mephisto sind angekommen in den Wäldern von Vermont. Castle Freeman ist der Meister der coolen Verzauberung.« Michael KöhlmeierTaft, ein dem Alkohol zugeneigter Eigenbrötler, steckt in einer Sinnkrise. Da kommt der schneidige Fremde namens Dangerfield gerade recht, der ihm auf der Veranda ein verführerisches Angebot macht: Taft hat sechs Monate Zeit, alles zu bekommen, was er jemals wollte — zu einem hohen Preis. Mit der Gewissheit, nichts zu verlieren zu haben, lässt sich Taft auf den Pakt ein und versucht auf seine Art, das teuflische Spiel zu unterlaufen. Doch der Stichtag rückt näher, und Dangerfield denkt nicht daran, von seiner Forderung abzurücken. Freeman besticht durch lakonische Dialoge und tiefe Kenntnis der menschlichen Psyche und »sorgt einfach nur — sehr, sehr komisch — für gute Laune« (Deutschlandfunk).

Castle Freeman

Ein Mann mit vielen Talenten

Roman

Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren

Hanser

Denkst du, der Himmel sei solch herrlich Ding?

Ich sag’ dir, Faust, er ist nicht halb so schön

Als du und jeder andre Mensch auf Erden.

Christopher Marlowe, Die tragische Historie

vom Doktor Faustus (1604) II/2

Prolog Der Bevollmächtigte und die Polizistin

Es ging flott dahin, mit offenem Verdeck, der Fahrtwind strich an seinen beinahe spitzen behaarten Ohren entlang. Dangerfield, der Kundenbetreuer und Bevollmächtigte, war auf einer nagelneuen Mission und fühlte sich frisch und munter, als er an diesem warmen Vorfrühlingsnachmittag am Steuer seines geliebten MGA — wie sein Fahrer ein klassischer Oldtimer — in das Tal fuhr. Er jagte den Wagen durch die Kurven der schmalen Landstraße und freute sich an den blühenden Bäumen, den blühenden Büschen und den blühenden Narzissen oder wie zum Teufel die Dinger rechts und links der Straße hießen, und so bemerkte er den Streifenwagen, der ihm mit eingeschalteten Einsatzlichtern folgte, zunächst nicht.

Verdammt, knurrte Dangerfield und hielt am Straßenrand.

Er beobachtete den Streifenwagen im Außenspiegel. Dann lächelte er. Denn dem Wagen entstieg nicht der massige, stiernackige Bulle mit Kurzhaarschnitt, den er erwartet hatte, sondern eine schlanke junge Frau, die bestimmt nicht viel mehr als fünfzig Kilo wog, und davon entfielen die meisten auf den Einsatzgürtel, den sie nach dem Aussteigen auf ihren schmalen Hüften zurechtrückte. Sie setzte den State-Police-Hut mit der flachen Krempe auf und ging auf den MGA zu. Dangerfield wartete. Das würde ein Spaß werden.

Gibt es ein Problem, Officer?, fragte Dangerfield, als sie neben der Fahrertür stand.

»Nein, Sir«, sagte sie, »aber es wird bald eins geben. Diese Straße ist hinter der nächsten Kurve mehr oder weniger zu Ende — von da an ist sie nicht mehr asphaltiert und für ein, zwei Kilometer ziemlich schlammig. Ich habe Sie in diese Richtung fahren sehen und wollte Sie vorsorglich warnen.«

Danke, meine Liebe, sagte Dangerfield, aber wegen einem bisschen Schlamm mache ich mir keine Sorgen.

»Das sollten Sie aber, Sir. Mit dem Ding kommen Sie da nicht durch.« Die junge Polizistin musterte den MGA mit einem zweifelnden Blick.

Doch, doch. Ich komme immer da hin, wo ich hinwill.

Jetzt musterte die Polizistin ihn. Spürte sie, dass irgendetwas nicht stimmte, dass irgendetwas anders war?

»Wohin wollen Sie denn, Sir?«, fragte sie.

Zu einem gewissen Mr Taft. Kennen Sie ihn?

»Nein, Sir, aber ich weiß, wo er wohnt, nämlich da drüben, nach dem schlammigen Stück. Und wie gesagt: Da kommen Sie nicht durch. Sie sollten lieber einen anderen Weg nehmen.«

Aber klar doch, sagte Dangerfield. Er lächelte sie an. Sagen Sie, meine Liebe: Sind Sie wirklich Polizistin?

»Trooper Madison, Sir. Von der Vermont State Police in Brattleboro.«

Ich frage nur, sagte Dangerfield, weil ich für einen ganz kurzen Augenblick dachte, Sie sind vielleicht Pfadfinderin.

Trooper Madison kniff ein wenig die Augen zusammen. »Sir?«

Andererseits, fuhr Dangerfield fort, kann ich mir nicht vorstellen, dass man Pfadfinderinnen mit .357ern ausrüstet, nicht mal in Vermont. Oder doch? Wieder lächelte er sanft und wies mit dem Kinn auf den Revolver am schweren Gürtel der Polizistin.

Trooper Madison lächelte nicht.

»Führerschein und Fahrzeugpapiere, Sir.«

Dangerfield heuchelte Überraschung. Aber natürlich, Officer — nur: Warum? Ich dachte, Sie wollten mich bloß vorsorglich warnen.

»Führerschein und Fahrzeugpapiere, Sir, bitte.«

Dangerfield reichte ihr beides. Sie warf einen Blick darauf.

»Was für ein Führerschein ist das, Sir?«

Eine Sondererlaubnis.

»Warten Sie hier. Ich muss das überprüfen.«

Was dagegen, wenn ich mich inzwischen ein bisschen strecke?, sagte Dangerfield und wollte die Tür öffnen.

»Bitte bleiben Sie sitzen, Sir. Verlassen Sie nicht Ihr Fahrzeug.«

Dangerfield blieb sitzen. Jetzt kam der unterhaltsame Teil.

Trooper Madison ging zum Streifenwagen, nahm den Hut ab und setzte sich auf den Fahrersitz. Sie beugte sich zum Funkgerät. Plötzlich kam der Mann in dem kleinen Wagen ihr in jeder Hinsicht dubios vor, als brächte er viel Ärger. Sie würde seinen Führerschein überprüfen, sofern es überhaupt ein Führerschein war. Und sie würde, wenn auch ungern, Verstärkung anfordern. Sie drückte die Tasten des Funkgeräts, sah auf, um das Kennzeichen des Sportwagens durchzugeben, und traute ihren Augen nicht.

Der MGA war weg. Der Fahrer ebenfalls. Aber er war nicht davongefahren — er und sein Fahrzeug waren einfach verschwunden. Die Straße war leer. Und neben der Straße, wo der Wagen gestanden hatte, waren nichts als knospende Bäume und nickende Narzissen. Dangerfield hatte sich in Luft aufgelöst.

Mit dem Rucksack durch den dunklen Wald

Stoff, sagte Taft, Inhalt, Story. Wo ist die Story? Ich brauche eine. Läuft nicht gut. Könnte besser laufen. Ein bisschen festgefahren, keine Frage. Warum? Was fehlt? Ich bin gesund, hab Freunde (na ja, einen), genug Geld, ein Haus, ein gutes Haus — ein Heim. Und doch fühle ich mich wie auf dem Trockenen, abgehängt, festgefahren, als wäre der Zug stehen geblieben, aber noch nicht angekommen. Kein Bahnhof, keine Leute. Draußen nichts als Schotter, vertrocknetes Unkraut und Abfall: Folien, alte Reifen, kaputte Einkaufswagen, Plastiktüten. Ödland. Dieses Gefühl — was ist das? Das Alter? Klingt so. Das Alter, also nichts Neues: noch einer, der mit seinem Rucksack durch den dunklen Wald stapft. Hat den Weg verloren. Sich verlaufen. Alte Geschichte …

Langeweile.

… Alte Geschichte. Und jetzt? Muss einen Weg finden, mich aufraffen. Was war das?

Ich sagte: Langeweile. Langeweile, Langeweile, Langeweile.

Taft zuckte zusammen. »Was?«, sagte er. »Wer?«

Langeweile. Sie langweilen sich zu Tode, Chief.

»Wer ist da?«

Hier drüben.

Taft fuhr herum. In dem Schaukelstuhl zu seiner Linken auf der Veranda saß Dangerfield. Der Schaukelstuhl schien ihm zu gefallen. Er schaukelte vor und zurück, vor und zurück. Diese kindliche Freude an den kleinsten Dingen — in mancher Hinsicht war er wirklich wie ein kleiner Junge.

»Wer sind Sie?«, fragte Taft.

Ihr Kumpel. Ihr Partner. Ich bin Ihr Führer.

»Und wohin führen Sie mich?«

Wohin Sie wollen. Überallhin.

»Ich brauche keinen Führer«, sagte Taft.

Anscheinend doch, Chief. Hab ich recht oder nicht? Sie haben’s gerade selbst gesagt: Sie haben sich verlaufen. Darum brauchen Sie einen Führer. Und da bin ich.

»Aha«, sagte Taft. »Na gut, okay. Was verkaufen Sie?«

Ich verkaufe gar nichts, Chief. Ich kaufe. Sie verkaufen.

»Ha — nicht, dass ich wüsste. Wie sind Sie hergekommen?«

Das war nicht so einfach, sagte Dangerfield. Stellen Sie sich vor: Ich wäre beinahe von einer Jungpolizistin hopsgenommen worden, von einer Pfadfinderin in State-Police-Uniform. Ich hab ihr gesagt, ich hätte zwar gehört, dass das hier eine ziemlich wilde Gegend ist, aber nicht gewusst, dass Pfadfinderinnen in Vermont mit .357ern herumlaufen. Den fand ich ziemlich gut — Pfadfinderinnen mit .357ern —, aber sie hat nicht gelacht, die blöde Ziege. Was zum Teufel ist sie eigentlich? Etwa das, was ihr hier oben euch unter Polizei vorstellt?

»Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte Taft. »Was für eine Polizistin?«

Sie haben nicht so oft mit der Polizei zu tun, nehme ich an.

»Nein.«

Kein Wunder, dass Sie sich langweilen. Mein Rat? Brechen Sie Gesetze.

»Nicht mein Stil.«

Machen Sie eine Kreuzfahrt.

»Uninteressant.«

Haben Sie mal eine gemacht?

»Nein.«

Also bitte, Chief — wie können Sie dann sagen, so was ist uninteressant?

»Von wegen also bitte«, sagte Taft. »Man muss nicht unbedingt was gehabt haben, um zu wissen, dass man es nicht haben will. Oder haben Sie schon mal die Pest gehabt?«

Ein paarmal. Ist gar nicht so schlimm, wenn man sich mal daran gewöhnt hat.

Taft musterte ihn. Er war ein kräftiger Mann, etwa in Tafts Alter, wohlhabend, gepflegt, kultiviert, das dunkle, grau melierte Haar war straff nach hinten gekämmt, der Bart sorgfältig gestutzt. Seine schmucke Aufmachung als Vorort-Automobilist war allerdings ein bisschen geckenhaft: Tweedjackett mit Hahnentrittmuster, blaues Oxfordhemd, Kordhose, Ziegenlederhandschuhe, Stoffmütze. Dangerfield schaukelte auf seinem Stuhl und betrachtete die Umgebung: Tafts Veranda, den Garten neben dem Haus, die Straße, den Wald gegenüber, die Berge dahinter, erst grün, dann blau, dann grau, dann in der Ferne verschwimmend.

Kein Wunder, dass Sie sich langweilen, sagte er schließlich. Hier ist man zehn Kilometer jenseits von nirgendwo. Was macht man hier, wenn man mal Spaß haben will?

»Dasselbe wie alle anderen«, sagte Taft. »Dasselbe wie Sie.«

Das bezweifle ich, Chief.

»Was wollen Sie?«, fragte Taft.

Ich will gar nichts. Sie wollen was. Sie wollen sich besser fühlen. Sie wollen nicht festgefahren sein. Sie wollen sich nicht langweilen. Sie wollen aus diesem Zug aussteigen. Sie wollen, dass was passiert. Sie haben es selbst gesagt: Sie wollen eine Story. Ich kann Ihnen eine geben. Ich kann Ihnen eine verdammt gute Story geben. Ich mache Ihnen ein Angebot, Chief.

»Was für ein Angebot?«

Es ist eigentlich ganz einfach, sagte Dangerfield. Dann hielt er inne und sah nach rechts, an Tafts Schulter vorbei. Plötzlich war er auf der Hut. Wer ist das?, flüsterte er.

Eli Adams kam um die Ecke des Hauses. Er hatte im ersten Stock eine zerbrochene Fensterscheibe ersetzt. »Fertig«, sagte er. »Hast du Besuch? War jemand da?«

Sagen Sie nein, flüsterte Dangerfield.

»Nein«, sagte Taft.

Eli sah zum Schaukelstuhl, der sich sacht bewegte. »Und was ist mit dem Stuhl?«, fragte er.

Der Wind, murmelte Dangerfield. Sagen Sie, das ist der Wind.

»Nichts ist damit«, sagte Taft. »Das ist der Wind.«

»Mit wem hast geredet?«, fragte Eli. »Ich dachte, ich hätte dich mit jemand reden hören.«

»Nur mit mir selbst.«

»Aha«, sagte Eli. »Okay. Irgendwann komme ich mal mit der Leiter und säge an dem großen Baum da den Ast ab, damit er bei Sturm nicht ans Fenster schlägt. Sonst ist die Scheibe bald wieder kaputt.«

»Irgendwann«, sagte Taft. »Was schulde ich dir?«

»Keine Ahnung«, sagte Eli. »Ich schreib’s an.«

»Tu das«, sagte Taft.

Eli warf einen letzten Blick auf den Schaukelstuhl. »Tja, ich muss jetzt zu Marcia«, sagte er.

»Marcia, ja«, sagte Taft. »Wie geht’s Billy?«

»Sean. Ihr Sohn heißt Sean. Nicht so gut. Gar nicht so gut.«

»Das tut mir leid«, sagte Taft.

Eli drehte sich um und ging zur anderen Seite des Hauses, wo sein Pick-up stand. »Okay«, sagte er.

»Wir sehen uns«, rief Taft ihm nach.

Wer war das?, fragte Dangerfield, als Eli fort war.

»Das war Eli«, sagte Taft. »Wohnt auf dem Berg da drüben. Er hilft mir. Er ist geschickt, ich nicht. Ein Freund.«

Er stellt viele Fragen, nicht?

»Ich weiß nicht. Tut er das?«

Auf den müssen Sie ein Auge haben, sagte Dangerfield. Seien Sie vorsichtig. Aber wie Sie gerade reagiert haben, das war gut. Der Wind und dass Sie mit sich selbst gesprochen haben — das war sehr gut. Das hat funktioniert. Sie kapieren schnell, Chief.

»Eli konnte Sie nicht sehen, stimmt’s?«

Nein, er konnte mich nicht sehen.

»Kann irgendjemand Sie sehen?«

Ja, Sie.

»Sonst noch jemand?«

Keiner, den Sie kennen, Chief, sagte Dangerfield.

»Aha«, sagte Taft.

So werden wir das machen, verstehen Sie?, fuhr Dangerfield fort. Das ist unsere Abmachung. Wir sind Partner. Ich bin der stille, der sehr, sehr stille Teilhaber. Wir sind diskret. Wir halten es geheim. Sie und ich. Ich bin bei Ihnen, Sie sind bei mir. Wir wissen Bescheid, alle anderen nicht. Wenn Sie mit mir zusammen sind, denken alle anderen, Sie sind allein. Verstanden?

»Nicht so schnell«, sagte Taft. »Was meinen Sie mit: ›Das ist unsere Abmachung‹? Wir werden gar nichts machen. Wir haben keine Abmachung.«

Nein?

»Nein.«

Was ist das Problem?

»Was das Problem ist? Zum einen glaube ich Ihnen kein Wort, okay? Was Sie sagen, passt nicht zusammen. Zum Beispiel, dass Sie auf dem Weg hierher von einer Polizistin angehalten worden sind.«

Ja. Und?

»Wie denn«, wollte Taft wissen, »wenn Sie doch unsichtbar sind? Die Polizistin hat Sie also gesehen?«

Sie dachte, sie hätte mich gesehen. Aber dann nicht mehr.

»Was soll das denn nun heißen?«

Sehen Sie, Chief, sagte Dangerfield, das hat etwas mit den Talenten zu tun.

»Mit was für Talenten?«

Dangerfield wedelte ungeduldig mit der Hand. Begabungen, sagte er, Fähigkeiten, Mittel. Kräfte. Talente eben. Wir sollten uns jetzt nicht in Einzelheiten verlieren. Die Talente sind meine Abteilung, überlassen Sie die ruhig mir. Ich will nur so viel sagen: Sie sind beeindruckend. Sie sind das, was Sie brauchen, Chief. Ich habe sie. Ich verleihe sie Ihnen. Oder vielmehr: Ich leihe sie Ihnen. Damit Sie sie nach Belieben einsetzen können. Es macht Spaß. Sie können Ihren Spaß damit haben.

»Spaß?«

Alle Arten von Spaß, sagte Dangerfield. Die Story, nach der Sie suchen? Die Talente sind die Story. Sie sind das Wichtigste an der Story. Und sie sind wirklich beeindruckend, Chief, Sie werden sehen. Aber denken Sie dran: immer schön vorsichtig. Wenn Sie mit mir sprechen, sprechen Sie mit niemand. Sie müssen vorsichtig sein, sonst denken Ihre Nachbarn oder der Typ, der gerade da war, Sie sind verrückt.

»Das denken die sowieso«, sagte Taft. Er sah Dangerfield mit zusammengekniffenen Augen an. »Und vielleicht haben sie ja recht. Vielleicht haben sie endlich recht. Vielleicht ist es jetzt so weit.«

Dass Sie nicht mehr alle Tassen im Schrank haben?, sagte Dangerfield. Nein. Sie sind nicht verrückt. Sie waren’s vielleicht — oder jedenfalls auf dem besten Weg dorthin. Aber jetzt nicht mehr. Das hier passiert wirklich.

»Das hier passiert wirklich«, sagte Taft.

Na, was sagen Sie, Chief? Das ist mein Angebot. Wie gefällt es Ihnen?

»Wie es mir gefällt? Woher soll ich das wissen? Bisher ging’s doch nur um Sie — ob Sie wirklich hier sind oder nicht, um Ihre sogenannten Talente. Jeder hat Talente, oder nicht? Was sind Ihre? Können Sie Ukulele spielen? Mit den Ohren wackeln? Können Sie fliegen? Und wenn, was hat das mit mir zu tun? Was ist Ihr Angebot an mich? Was können Sie für mich tun?«

Das ist nicht die Frage, Chief. Die Frage ist: Was wollen Sie?

»Aha«, sagte Taft.

Sie verstehen?

Taft schwieg.

Chief?, drängte Dangerfield. Doch Taft war noch nicht so weit.

»Warum sollte ich glauben, dass Sie sind, was Sie behaupten?«, fragte er.

Was behaupte ich denn zu sein, Chief?

»Das wissen Sie so gut wie ich«, sagte Taft. »Keine Haarspaltereien. Wie soll ich wissen, ob Sie wirklich können, was Sie behaupten?«

Probieren Sie’s aus.

Taft dachte kurz nach. Dann lächelte er und sah Dangerfield an. »Na gut«, sagte er. »Wissen Sie, was ich brauche? Was mir wirklich gut gefallen würde? Neue Reifen für meinen Pick-up, sonst schafft er’s dieses Jahr nicht durch die Inspektion. Vier neue Reifen. Wie wär’s?«

Also bitte, Chief, sagte Dangerfield. Erforschen Sie die Möglichkeiten. All die Macht und Herrlichkeit der Königreiche der Erde will ich Ihnen geben. Reichtümer, die alle Vorstellungen übersteigen, will ich Ihnen geben. Und Sie wollen neue Reifen?

»Ich brauche die Königreiche der Erde nicht, und den ganzen Rest brauche ich ebenfalls nicht«, sagte Taft. »Aber ich brauche neue Reifen. Das ist ein Test, oder? Ich höre Ihren Spott, Ihre großen Sprüche und Ihre hübschen Zitate, aber ich sehe Sie nichts tun. Können Sie überhaupt was tun?«

Sehen Sie nach.

Taft ging die Verandatreppe hinunter und zur Scheune, wo sein Pick-up stand. Kurz darauf war er wieder zurück.

»Ich wollte vier neue Reifen«, sagte er zu Dangerfield. »Aber das sind keine vier neuen Reifen, das ist ein neuer Pick-up.«

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Chief.

»Jedenfalls haben Sie mir nicht gegeben, was ich wollte.«

Dangerfield seufzte. Wollen Sie wirklich schwierig sein, Chief?, fragte er. Na gut. Okay. Wie Sie wollen. Sie haben wieder Ihre alte Schrottmühle, mit einem Satz neuer Reifen. Wollen Sie nachsehen?

»Nein.«

Nur zu. Verlassen Sie sich nicht auf mein Wort. Überzeugen Sie sich. Mit eigenen Augen.

»Nicht nötig.«

Dann glauben Sie also, dass ich kann, was ich behaupte zu können?

»Ja.«

Dann sollten wir übers Geschäft reden.

»Vielleicht.«

Kein Vielleicht, Chief. Ja oder nein.

»Ach, kommen Sie«, sagte Taft. »Wofür halten Sie mich? Wir haben keine Abmachung, stimmt’s? Noch nicht. Wir haben eine halbe Abmachung: Ich kriege, was immer ich will. Sie geben mir Ihre berühmten Talente, und ich setze sie ein. Das ist Ihr Teil. Aber ich weiß noch immer nicht, was mein Teil ist.«

Ich glaube schon, Chief. Ich glaube, das wissen Sie verdammt gut.

Taft dachte kurz nach. Er nickte. Dann sagte er: »Das ist dann wie ein Vertrag, nicht?«

Es ist nicht wie ein Vertrag. Es ist ein Vertrag. Und was für einer.

»Und wenn die Frist abgelaufen ist, kommen Sie und holen mich?«

Genau.

»Aber bis dahin besorgen Sie mir, was ich will. Was immer es ist, Sie sorgen dafür, dass ich es kriege. Sie sind mein Diener.«

Absolut.

»Und dieser Vertrag«, sagte Taft, »wie lange läuft der? Etwas über zwanzig Jahre, oder?«

Wie kommen Sie denn auf diese Idee?

»Hab ich mal irgendwo gelesen«, sagte Taft.

Laut lachend warf sich Dangerfield im Schaukelstuhl zurück. Als er wieder nach vorn kam, schlug er sich auf die Schenkel.

Ach, Chiefy, Chiefy!, rief er. Das haben Sie irgendwo gelesen? Sie hatten Englisch als Hauptfach, stimmt’s? Was zitieren Sie mir da? Doch nicht etwa Christopher Marlowe? ›Nach Ablauf von vierundzwanzig Jahren, sofern bis dahin die oben geschriebenen Artikel von ihm nicht verletzt worden sind, et cetera, et cetera, unumschränkte Gewalt, besagten Langdon Taft zu holen, et cetera, et cetera, mit Leib und Seele, und ihm eine beliebige Behausung bei sich anzuweisen.‹ Ha! Zum Totlachen, Chief.

»Was ist zum Totlachen?«

Sie. Sie leben im Mittelalter. Ihr Freund Marlowe ist seit vierhundert Jahren tot, und unter uns: Als er noch auf Erden wandelte, hatte er nicht besonders viel auf der Pfanne. Ein zweit- bis drittklassiger Dichter und dilettantischer Spion, der bei einer Kneipenschlägerei ums Leben gekommen ist. Was für ein Kerlchen! Tatsächlich hat er hauptsächlich Fehlinformationen verbreitet und eine Menge Schaden angerichtet. Die Welt hat sich verändert, sie dreht sich ein bisschen schneller als damals, als die gute Königin Lizzie auf dem Thron saß. Wir vergeben keine Hypotheken, Chief. Bei uns ist alles kurzfristig. Unsere Darlehen laufen nur bis zum nächsten Zahltag.

»Wie lange also?«, fragte Taft.

Ich kann Ihnen sechs Monate bieten.

»Sechs Monate?«

Ich könnte vielleicht sieben daraus machen, sagte Dangerfield. Aber das habe ich nicht in der Hand. Ich setze die Verträge nicht auf.

»Wer dann?«

Die Rechtsabteilung natürlich. Und der Chef. Der CEO. Mein Boss. Mein Vorgesetzter. Für alles, was über sechs Monate hinausgeht, brauche ich seine Unterschrift. Aber wahrscheinlich kann ich sieben rausschlagen. Der Chef hat ein weiches Herz. Er sollte keins haben, aber so ist es.

»Sieben Monate«, sagte Taft. »Bis Oktober.«

Sagen wir, bis zum 12. Oktober, bis zum Columbus Day. Das ist ein guter Vertrag, Chief. Das heißt, dass Sie den Indian Summer nicht verpassen.

Aber selbst jetzt war Taft nicht ganz überzeugt. Er sah Dangerfield an. »Was ich nicht verstehe«, sagte er, »sind Sie. Wie kommt’s, dass Sie überhaupt hier sind? Ich hab nicht darum gebeten.«

Ach nein, Chief? Wie war das noch mit der Story, beziehungsweise dem Mangel daran? Wie war das mit dem Gefühl, festgefahren zu sein? Wie war das mit dem Zug und dem dunklen Wald? Sie haben geschrien, Chief. Und wir haben Sie gehört.

»Wir?«

Meine Firma.

»Sie meinen, von Ihnen gibt’s noch mehr?«

Absolut. Wir sind eine große Firma. Wirklich groß. Verfügen wir über Ressourcen? Aber ja. Und was Ihre Situation betrifft — Dangerfield zuckte die Schultern —, damit kennen wir uns aus. Das ist unser täglich Brot.

»Aber wie?«, fragte Taft.

Kein Sperling fällt auf die Erde, ohne dass wir es wissen, Chief.

»Na gut, aber warum die Geheimniskrämerei?«, fragte Taft. »Wenn ich mit Ihnen zusammen bin, bin ich allein, wenn ich mit Ihnen rede, rede ich mit mir selbst. Niemand darf irgendwas von Ihnen und unserer … Abmachung wissen. Ich muss es geheim halten, vor Eli und allen anderen. Warum?«

Das sind die Richtlinien, Chief. Zur Qualitätskontrolle. Verstehen Sie: Wenn die Leute von der Abmachung, die wir gerade treffen, erfahren würden — von den Vorteilen, den Talenten und so weiter —, würde die ganze Welt uns die Tür einrennen. Wir wüssten nicht mehr, wo oben und unten ist. Der Service würde leiden. Wir müssen das gemeine Volk draußen halten.

»Und wenn ich es einem verrate?«, fragte Taft.

Das wäre ein Fehler. Ein sehr großer Fehler. Wenn Sie reden, ist die Abmachung hinfällig. Dann bleibt uns nichts Anderes übrig, als auf sofortige Bezahlung zu bestehen. Kein gutes Ende, besonders für Sie. Eine ganz schlechte Idee, Chief. Denken Sie nicht mal daran.

Taft nickte. »Okay«, sagte er.

Also?, sagte Dangerfield. Da wären wir. Zeit für eine Entscheidung, Chief. Wie sieht’s aus? Rein oder raus? Rauf oder runter? Hier und jetzt.

Taft nickte erneut. Er schluckte. Kratzte sich am Kopf. Ließ den Blick über den Garten gehen. Dann klatschte er leise in die Hände.

»Abgemacht«, sagte er.

Sehr gut, Chief. Sie werden es nicht bereuen.

»Sieben Monate«, sagte Taft. »Columbus Day. Und dann kommen Sie mich holen. Und bringen mich irgendwohin.«

Nicht irgendwohin, Chief. Ich bringe Sie an einen bestimmten Ort.

Taft lächelte. »An den heißen Ort«, sagte er.

Ziemlich heiß.

»Darüber mache ich mir keine Sorgen«, sagte Taft. »Ich hab ein paar Jahre in Philadelphia gearbeitet. Wissen Sie, wie heiß es da im August ist? Nein, Hitze macht mir nichts aus.«

Tja, sagte Dangerfield, was es so unangenehm macht, ist nicht so sehr die Hitze als vielmehr die Zeit. Wir reden hier von der Ewigkeit, Chief.

»Darüber mache ich mir auch keine Sorgen — die werde ich schon aushalten. Vergessen Sie nicht: Wir sind hier in Vermont. Bei uns ist Ewigkeit ein anderer Name für März.«

Ihre Haltung gefällt mir, Chief.

»Wo muss ich unterschreiben?«

Oh, Sie haben bereits unterschrieben. Vor ein paar Minuten, als Sie Ihren Freund belogen haben.

»Aha«, sagte Taft.

Sie haben nicht zufällig was zu trinken im Haus?, fragte Dangerfield.

»Eine Flasche Sir Walter’s.«

Was ist das?

»Ein Scotch.«

Nie gehört, sagte Dangerfield.

»Eine kleine Brennerei«, sagte Taft. »Zweitklassig, könnte man sagen.«

Wunderbar. Was meinen Sie, Chief? Sollen wir auf unsere Partnerschaft trinken?

»Ein Drink?«, sagte Taft. »Da bin ich Ihr Mann.«

Noch nicht. Aber später.

»Kommen Sie«, sagte Taft und stand auf.

Nach Ihnen, Chief, sagte Dangerfield und ließ Taft den Vortritt.

Glücklich der Mann, dessen Vater zum Teufel geht