Ein Märchenbuch - Elsbeth Montzheimer - E-Book

Ein Märchenbuch E-Book

Elsbeth Montzheimer

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Beschreibung

Von Heinzelmännchen, Nixen, Hexen, dem Vogel Greif und vielen anderen märchenhafte Gestalten erzählen die Geschichten von Elsbeth Montzheimer. Aus dem Märchen "Das dankbare Heinzelmännchen": ... Zu jener Zeit, als es noch Heinzelmännchen gab, da lebte in Köln am Rhein ein Goldschmied namens Anselm Schmitz, der sich bei seinen Mitbürgern großen Ansehens erfreute, denn er galt als streng rechtlicher Mann, der überdies in seinem Handwerk der geschickteste Meister weit und breit war. Er wohnte auf alt ererbtem Grund und Boden, und sein Haus mit den spitzen Giebeln und bleigefassten Fenstern, hinter denen Lavendel und Rosmarin dufteten, blitzte von oben bis unten vor Sauberkeit. Das machte, weil dort Regina, des Meisters einziges Töchterlein, schaltete und waltete, die trotz ihrer Jugend - sie zählte kaum achtzehn Jahre - mithilfe der alten, treuen Brigitte alles so hielt, wie es die verstorbene Mutter bei Lebzeiten getan. ...

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Ein Märchenbuch

Ein MärchenbuchDie wilde MarinkaDie Harfe der KöniginDer ErdbeerkönigWas Hannchen im Walde erlebteSpringmännchen und GoldfasanStiefmütterchenDas dankbare HeinzelmännchenImpressum

Ein Märchenbuch

Elsbeth Montzheimer

Die wilde Marinka

Vor vielen Jahren lebte ein Graf, Udo von Wolfenstein, der ein gar schönes Töchterlein hatte. Marinka hieß das Mägdlein, das das einzige Kind des Grafen war.

Weil Marinka keine Brüder besaß, ihre Mutter ihr aber viel freien Willen ließ, so lernte sie schon früh, mit ihrem Vater hinauszureiten in Wald und Feld, was ihr größtes Vergnügen war. Ebenso verstand sie bald mit der Armbrust zu schießen wie ein Bube, und kaum erwachsen, übte sie mit ihrem Vater das Waidwerk aus und ritt mit ihm zur Reiherbeize.

Die Gräfin sah dies alles zwar nicht gern, da sie fürchtete, solche mehr den Männern obliegende Tätigkeit würde sich für eine Jungfrau nicht geziemen und deren Sittsamkeit beeinträchtigen, doch Marinka wusste durch Schmeicheln und Bitten, oder gar durch eigenwilligen Trotz immer mehr ihren Willen durchzusetzen, je größer sie wurde.

Zu spät sah die Gräfin ein, dass sie früher zu nachsichtig gegen die Tochter gewesen war, und selbst der Graf wünschte öfter, Marinka möchte nun als erwachsene Jungfrau mehr Geschmack an weiblicher Tätigkeit finden.

Nähen, Spinnen und feine Stickereien, wie auch die sonstigen Pflichten und Beschäftigungen einer vornehmen Dame damaliger Zeit waren Marinka ein Gräuel; sie blieb darum auch ungeschickt darin. Wollte man sie zu solchen Arbeiten zwingen, so warf sie bald das Spinnrad um oder zerriss die Fäden, sprang ungeduldig auf und rief eigensinnig:

»Mag nicht nähen und mag nicht spinnen, Mag nicht hocken im Zimmer drinnen,«

und husch war sie hinaus, ehe man sich dessen versah, um gleich darauf über Stock und Stein davon zu galoppieren.

Ja, ruhig zu reiten, wie früher, das genügte Marinka bald nicht mehr. Sie ward vielmehr immer tollkühner und wagehalsiger, trieb übermütig ihr Ross mit der Gerte an, dass es hoch aufbäumend wie toll mit ihr dahinraste, und es schier verwunderlich war, wenn Ross und Reiterin jedes Mal mit heilen Gliedern wieder heimkehrten.

Weniger verwunderlich schien es, dass man im Schloss und der ganzen Umgegend das schöne Grafenkind nur die »wilde Marinka« nannte. Sie wusste das, machte sich aber nichts daraus, trieb es vielmehr immer toller, ja, lachte, dass ihre weißen Zähne blitzten, wenn die Leute, sobald sie in Sicht kam, sich erschreckt bekreuzten und irgendwo am Wege Deckung suchten.

Eines Tages nun, da die »wilde Marinka« diese Bezeichnung wieder so recht verdiente, humpelte ein altes Weiblein über den Weg. Marinka sah es, kehrte sich aber nicht daran.

»Alte, weich’ mir aus!«, rief sie befehlend.

Die Alte schien nicht zu hören, trottete vielmehr gleichmütig vor Marinka her.

»Mein Ross ist ungeduldig, Alte, ich warn’ dich!« Ganz nahe war Marinka der Alten auf den Fersen. Diese blickte sich jetzt erschreckt um, rieb sich den aufwirbelnden Staub aus den rotgeränderten Augen und wollte aus dem Wege humpeln. Doch schon lag sie da. Das Pferd hatte sie zur Seite gestoßen.

Davon gestoben waren Ross und Reiterin; Letztere hatte den Unfall kaum beachtet, vielleicht nicht einmal bemerkt.

Die Alte suchte ihren Krückstock, der ihr entfallen war. Ihre Glieder waren heil. Auch Ihre Zunge schien keinen Schaden erlitten zu haben, denn während die Gestürzte sich mühsam erhob, murmelte sie allerlei böse Worte.

Und nun stand sie kaum wieder auf den Füßen, als sie in der geballten Faust drohend den Krückstock erhob und der längst nicht mehr sichtbaren Reiterin kreischend nachrief:

»Wilde Marinka! – Stachliger Dorn! – Jagt auch dein Ross, als fühlt’s Gerte und Spor’n, Ist doch noch schneller mein’ Rache und Zorn. – Wilde Marinka, sei jetzt auf der Hut: Kränkst du mich nochmals, geht’s nimmer dir gut. Rächt sich dann furchtbar die ›Alte‹ – die Ut’!«

Hätte Marinka diese Worte vernommen und die bösen Blicke der Alten sehen können, wäre ihr das Lachen vielleicht vergangen. So aber war sie übermütig und guter Dinge. Sie lachte vor sich hin; es klang silberhell, und ihre Augen blitzten dabei wie die eines Kobolds, als sie ihr Ross an der Mähne zupfte und fragte: »Hast du’s geseh’n, Salto, was du angerichtet? Es war doch zu lustig, ha, ha, ha, wie die alte Ute beinahe einen Purzelbaum schlug. Aber gräm’ dich nicht, mein braves Tier; weißt ja, die Katzen fallen immer weich, und die alte Ute, von der die Leute munkeln, dass sie eine Hexe sei, soll sich des Nachts in ein Kätzlein verwandeln können.«

Salto spitzte die Ohren und nickte mit dem Kopfe, als ob er die Worte verstanden hätte.

Und recht hatte Marinka: Der alten Ute, die so einsam in ihrem Waldhüttlein hauste, ging jeder gern aus dem Wege. Ja, man bekreuzte sich bei ihrem Nahen noch eifriger als bei dem der »wilden Marinka«.

Niemand begriff, dass Marinkas Vater den Sohn der alten Ute als Koch angenommen hatte, noch dazu, da er ganz verwachsen war.

Aber freilich, in seiner Kunst war er Meister, und der Graf schätzte ein gutes Mahl gar sehr.

Hanko, so hieß der Koch, wusste, dass er bei seinem Herrn in Gunst stand. Die Küchenjungen und das Gesinde merkten es auch, denn Hanko führte ein strenges Regiment, dem sich alle fügen mussten. Der Graf gab stets dem schlauen Hanko recht; wem das nicht passte, der musste sich eben einen anderen Dienst suchen.

Nur Marinka kehrte sich nicht daran. Sie behandelte den Koch, den sie nicht leiden konnte, nicht respektvoller als die Küchenjungen, die manchen Verweis von ihr erhielten; ja, es war nichts Ungewöhnliches, dass sie ihnen oder selbst dem allmögenden Hanko eine nach ihrer Meinung missratene Speise einfach vor die Füße warf.

Sie hatte es bisher ungestraft tun dürfen, denn des Vaters Zorn ob ihres unartigen Benehmens war bald verraucht, und des verwachsenen Hanko Zähneknirschen beachtete sie nicht.

Nun begab es sich eines Tages, dass beim Grafen ein großes Gastmahl hergerichtet ward, zu dem mehrere Freier Marinkas als Gäste erschienen. Es waren Grafen und Ritter, die von Marinkas Schönheit, aber auch von ihrem Spitznamen gehört hatten und sich überzeugen wollten, wie viel Wahres an dem Gerede der Leute sein möchte.

Das Mahl verlief auch zur Zufriedenheit der Gäste, die von Marinkas Schönheit ganz entzückt waren, denn das Grafenkind schien sein ungestümes und wildes Wesen völlig abgestreift zu haben. Marinka war heiter und voll muntrer Einfälle, sodass die Freier geneigt waren, den Leuten, die die Tochter ihres Gastgebers »wilde Marinka« nannten, ernstlich ob ihrer anscheinenden Ungerechtigkeit zu zürnen.

Eben ward der letzte Gang, Marinkas Lieblingsspeise, nämlich ein Ragout, oder wie man damals sagte: Gemengsel von Wildfleisch mit feiner Gewürztunke, serviert. Es schien den Gästen zu munden.

Doch Marinkas spitzes Zünglein schmeckte prüfend; sie runzelte die weiße Stirn, stocherte auf ihrem Teller herum, schmeckte nochmals und erhob sich dann zum Erstaunen der Tafelrunde. Sie nahm ihren Teller mit sich, festen Schrittes dem Vorgemach zuschreitend, in dem Hanko eben einige Fruchtschalen ausschmückte. Er blickte die Nahende nicht eben freundlich an, da er gerade im Begriff war, die schönsten Ananaserdbeeren zu schmausen.

»Hanko!« Es klang vorwurfsvoll.

»Was begehrt Ihr, Gräfin?«

»Wo ist das Fleisch der Birkhühner, die ich selbst erlegte und gerade darum für diese Speise bestimmte? Kein Bröcklein davon ist darin.«

Hanko machte ein mürrisches Gesicht. »Die Küchenjungen müsst Ihr dafür schelten, Gräfin, weil sie vergaßen, das Geflügel zu rupfen und auszunehmen. Und ich wusste vor Arbeit nicht, wo mir der Kopf stand, sonst hätt’ ich die Birkhühner im Kessel gleich vermisst.«

Marinka kräuselte spöttisch die Lippen. In gereiztem Ton erwiderte sie: »Mich dünkt, Hanko, weniger deine viele Arbeit als deine Kleinheit trägt die Schuld an dem Versehen. Man soll dir künftig eine Leiter an den Herd stellen, damit du sehen kannst, was du in deinen Töpfen kochst!«

Mit ebenso bösem Blick, wie kürzlich Frau Ute, sah Hanko zu Marinka hin, die das nicht bemerkte. »Meine Gestalt, Gräfin dürfte euch nicht kümmern; freut Euch, dass Ihr tadellos gewachsen seid. Und ich denk’, auch ohne die Birkhühner ist Eure Lieblingsspeise trefflich geraten!«

Sprachlos ob der in trotzigem Ton erteilten Antwort stand Marinka einen Augenblick regungslos, denn ihr erschien Hankos Kühnheit ganz unerhört. Obendrein merkte sie, wie jetzt neugierige Köpfe durch die Tür spähten. – Die Gäste hatten gewiss Hankos Worte auch vernommen; das ärgerte Marinka noch mehr und raubte ihr den letzten Rest Selbstbeherrschung und Überlegung.

»Wie?«, herrschte sie den Koch an, »du wagst, mir so zu antworten? Da, nimm dein ›treffliches‹ Gericht!« Und krach – flog der Teller mit dem Essen direkt vor Hankos Füße. Marinka aber verließ, ohne den Gemaßregelten noch eines Blickes zu würdigen, stolz wie eine Königin das Gemach.

Hanko jedoch murmelte zähneknirschend: »Wilde Marinka, warte, das gedanke ich dir! Wohl zum letzten Mal kränktest du mich ungestraft.«

Wenige Stunden später saßen die drei Freier ganz heimlich in eifriger Beratung beisammen.

Die Gemütlichkeit des Festes war durch Marinkas ungezogenes Benehmen, dessen Zeugen die Gäste zum Teil gewesen waren, recht gestört worden.

Marinka war dann ohne irgendwelche Entschuldigung einfach in ihrem Zimmer geblieben und nachher fortgeritten. Graf und Gräfin hatten vergebens versucht, ihren Zorn und ihre Empörung über der Tochter Benehmen zu verbergen, zumal Hanko sogleich um seine Entlassung bat.

Ein Goldstück des Grafen und dessen Zureden schienen den Gekränkten zwar zu beruhigen, doch hatten die Gäste sich bald in ihre Gemächer zurückgezogen, um den Fall noch zu besprechen. Ihre gute Meinung von der Grafentochter war mit einem Schlage dahin. Sie waren alle drei einmütig entschlossen, auf die Werbung um die »wilde Marinka« zu verzichten. Nur wollten sie jeder erst einen schicklichen Vorwand suchen, um den Grafen Udo von Wolfenstein nicht durch plötzliche Abreise zu kränken.

»Nein«, sprach der erste Freier, der schon etwas bejahrte, aber sehr begüterte Ritter Dirk von Dirksberg, »wie konnte ich so töricht sein, um solch ungebärdiges Fräulein werben zu wollen. Mord und Totschlag hätt’ es da bald auf meiner Burg gegeben, wenn ich bedenk’, dass das spitze Zünglein der ›wilden Marinka‹ auch meiner ehrenwerten Frau Mutter nicht geschont haben würde, zumalen Frau Gerlindes Rücken vom Alter gebeugt und ähnlich dem des Hanko geworden ist.«

»Ihr könntet recht haben«, entgegnete der stattliche Graf Kunibert von Weichselburg. »Auch ich hätte wohl schweren Stand mit dem wilden Fräulein vom Schloss Wolfenstein bekommen, denn mein Besitz liegt nahe dem breiten Weichselfluss, in waldloser Gegend, wo es kaum Wild gibt. Höchstens hätte die ›wilde Marinka‹ dort dann und wann einen Fischreiher erlegen können.«

»Ei, da konnte sie sich ja einen solchen einmal zur Fischjagd abrichten«, spöttelte Graf Eitel von Eulenstein, der jüngste und wohlgelittenste der drei Freier. »Die Eulen und Käuzchen in der Nähe der Burg Eulenstein werden frohlocken, wenn sie erfahren, dass sie vor den Pfeilen der ›wilden Marinka‹ sicher sind.«

Als alles im Schloss längst der Ruhe pflegte, schlich eine kleine Gestalt aus einem Hinterpförtlein dem Walde zu. Hanko war es, der lautlos wie ein Kätzlein dahin eilte, bis er endlich die Hütte der alten Ute erreicht hatte.

Frau Ute schlug die knochigen Hände zusammen, als sie ihren Sohn mit finsterm Antlitz über die Schwelle treten sah. Da sie aber nun von Hankos Kränkung vernommen hatte, ballte sie die Faust und rief gellend:

»So schlimm hat die Wilde mein Söhnlein gekränkt – Das wird ihr fürwahr diesmal nimmer geschenkt!«

Hanko nickte seiner Mutter Beifall, indem er sich schadenfroh die Hände rieb und murmelte: »Ja ›wilde Marinka‹, ich habe mir manche Kränkung von dir gefallen lassen, aber heut’ hast du meine Gestalt geschmäht, hast mich vor allen lächerlich gemacht, und das vergeb’ ich dir nimmermehr!« Dann wandte er sich zu Frau Ute und fragte: »Was soll ich tun, Mütterlein?«

Die Alte tätschelte Hankos Wangen, indem sie kicherte:

»Jetzt, Hanko, mein Söhnchen, – hi – hi – gib acht, Merk’ auf, was ich sag’, dann wird Rache vollbracht: Aus neunerlei Kräutern koch’ schmackhaft ein Süpplein, Das reiche zum Imbiss dem garstigen Püpplein. Es wird davon sanft – hi – hi – wirst es bald seh’n, Hi – hi – alle Wildheit wird dann wohl vergeh’n. Nur ein Tag im Monat vergönnet ihm sei, Wo Püpplein des Zaubers werd’ ledig und frei; Doch ist er vergangen, der einzige Tag – Kehrt wieder der Zauber, nichts bannen ihn mag. Die neunerlei Kräuter hab’ ich schon im Haus. Du ›wilde Marinka‹, dein Glück ist jetzt aus: Die Hexe, die Ute, dir’s jetzo gedenkt, Dass oft du ihr Söhnlein und sie hast gekränkt!«

Geschäftig kramte die Alte dann in ihrem großen Kräutersack, wahrend Hanko einen in engem Käfig kauernden Raben neckte. Dann griff er hastig nach den dargereichten Kräutern. Mutter und Sohn flüsterten beide noch miteinander, dann huschte Letzterer wieder in den dunkeln Wald hinaus dem Schlosse zu.

Nichts regte sich hier. Leise wie ein Mäuslein schlich der Koch in die Küche, wo es bald nach einem absonderlichen Kräutersüpplein roch.

»Heut’ mundet mein Süpplein sonderlich«, dachte Marinka, als sie ihren Morgenimbiss verzehrte; »Hanko wollte mir sicherlich einen Beweis seiner Kochkunst geben.«

Gleich danach ging Marinka zu ihren Eltern, um ihnen, wie sie das gewöhnt war, ihren Morgengruß zu entbieten. Sie fand beide im Burggärtlein.

Doch plötzlich ward ihr so eigen, ihr war, als ob alle ihre Glieder zusammenschrumpften.

Entsetzt sprangen die Eltern herzu, als sie die unheimliche Veränderung im Aussehen ihrer schönen Tochter gewahrten, die plötzlich nichts Menschenähnliches mehr in ihrer Gestalt hatte.

»Marinka, wo bist du?«, schrie die unglückliche Mutter auf, als sie statt der Tochter einen hohen Busch Rittersporn umklammert hielt.

Ja, auch der Graf ward kreidebleich vor Schrecken, als er das Unfassliche sah. Dort, wo seine Tochter gestanden, mitten im Wege, stand festgewurzelt urplötzlich der über und über mit den zierlichen blauen Blumen bedeckte Busch.

Er rieb sich die Augen, fühlte die Blätter an, rief angstvoll den Namen seiner Tochter, es half nichts: Er und seine Gemahlin mussten sich mit der unfassbaren Tatsache vertraut machen, dass Marinka einem unheilvollen Zauber verfallen und in jenen Rittersporn verwandelt war.

Wer aber konnte das Schreckliche vermocht haben? Die gebeugten Eltern legten sich verzweifelt diese Frage vor. Einen Augenblick dachten sie wohl an die alte Ute; doch sie verwarfen diesen Gedanken gleich wieder, denn solche Zauberkräfte standen ihr unmöglich zu Gebot, sonst – meinten sie – würde sie doch längst den Höcker ihres Sohnes weggezaubert haben. Hankos offenbares Erstaunen über den »Rittersporn«, zu dem man ihn führte, bestärkte das gräfliche Paar in dieser Ansicht.

Freilich konnte Hanko erstaunt sein, denn seine Mutter hatte ihm nicht gesagt, welcher Art die Wirkung des Kräutersüppleins sein würde. Er hatte nur irgendeine Verunstaltung der »wilden Marinka«, etwa durch einen Höcker oder dergleichen, erwartet. Diese gänzliche Verzauberung kam ihm selbst überraschend. Nicht etwa, dass er Marinka bedauert hätte, doch das böse Gewissen schaffte ihm Unruhe.

Die drei Freier verließen nach diesem, allen unerklärlichen Ereignis das Schloss, in das nun eine fast unheimliche Stille einzog. Die Gräfin saß fast den ganzen Tag bei dem Rittersporn, der mit größter Sorgfalt gepflegt ward, damit er nicht etwa eingehen möchte. Dieser aber, oder vielmehr die verzauberte Marinka, merkte mit Verzweiflung ihre Hilflosigkeit und der Eltern Schmerz, denn sie sagte sich, dass sie durch ihr wildes Wesen wohl alles verschuldet habe.

O, wie gern hätte sie jetzt gesponnen oder genäht, wie gern in der Kemenate der Mutter gesessen! Aber es war zu spät.

Auf Burg Eulenstein saß Graf Eitel von Eulenstein in eifrigem Gespräch mit einem jungen Verwandten, dem er immer wieder von den Ereignissen auf Schloss Wolfenstein und von der »wilden Marinka« erzählen musste, bis Graf Eitel lachte: »Schade, dass der wilden Gräfin nun kein Freier mehr nützen kann, sonst könnte der edle Junker Albrecht von Löwensprung gleich seinem Ohm als Bewerber um die Hand der Schönen gen Wolfenstein ziehen.«

»Das will ich auch, Ohm!«

Der Eulensteiner lachte, dass es dröhnte.

»Du willst auf dem Wolfenstein um einen Strauch Rittersporn werben? Das kannst du bequemer haben: Drunten im Burggärtlein muss auch irgendwo solch’ blaues Zeug stehen; – vielleicht ist’s gar eine verwunschene Prinzessin. Geh’ flugs und wirb um sie.«

»Lasst den Spott, Ohm. Mir träumte diese Nacht, ich hätte die ›wilde Marinka‹ erlöst. Ich will versuchen, ob ich nicht ein Mittel erfahre, solchen Traum zur Wirklichkeit zu machen.«

Sprachlos vor Erstaunen musterte der Graf das edle Jünglingsantlitz, das ihn so offen anblickte.

»Meiner Treu’, von größerer Torheit hörte ich nimmer«, brummte der Eulensteiner dann.

Doch alles Abreden half nichts, Albrecht ließ sich von seinem Vorhaben nicht abbringen. Der Ohm gab ihm noch alle gewünschte Auskunft und ließ ihn endlich ziehen.

Albrecht von Löwensprung war ein armer, verwaister Verwandter des Grafen, der ihn wie einen jüngeren Bruder hielt und im Grunde Freude an dessen kühnem Jugendmut hatte. Er geleitete Albrecht mit einigen Knappen eine Tagereise weit, dann begehrte der Jüngling, allein und in einfachstem Wams zu Fuß weiter zu wandern. So geschah es.

Viele Stunden war er gegangen. Die Sonne neigte sich schon zum Untergang, und Albrecht hoffte, noch vor Abend den Ausgang des Waldes und das Ziel seiner Wanderung zu erreichen. Seine Hoffnung, irgendwo eine Quelle zu entdecken, erfüllte sich nicht.

Die Vögel hüpften in den Zweigen, nach einem Plätzchen für die Nachtruhe suchend, und äugten neugierig hinab auf den einsamen Wanderer. Dieser rastete endlich, müde und durstig. Er hatte nur hin und wieder einige reife Erdbeeren gefunden.

Da, ganz dicht an seinem Platz entdeckte er etwas, das er noch nicht gesehen. An einem eigenartig gewachsenen Strauch gewahrte er eine einzelne Beere, die ihm durch ihr absonderliches Aussehen auffiel. So groß wie eine Kirsche, hing sie auch an langem Stiel wie solche, schillerte aber in allen Farben und war durchsichtig wie Glas. O, sie musste saftig und durststillend sein!

Ehe Albrecht noch überlegte, was er tat, hatte er die Beere schon im Munde. Sie schmeckte köstlich; er fühlte sich merkwürdig erfrischt.

Da plötzlich saß dicht vor ihm auf dem nämlichen Strauch ein Rotkehlchen, das anmutig zwitscherte.

Doch was war das? Albrecht verstand aus diesem Vogelsang ja plötzlich Worte:

»Tirli – die Beere ›All’sverstund‹ Hast du, o Jüngling, funden! Sie wächst nur alle hundert Jahr’ Und reift in wenig Stunden. Tirli – tirli – Beer’ ›All’sverstund‹ Ist wertvoll ungemessen: Verstehst nun jede Vogelsprach’, Weil du die Beer’ gegessen.

Tirli – tirli –, tu’ niemand kund, Und schweig’ von Beere ›All’sverstund‹.«

»Ei, mein Vöglein, ich danke dir«, lächelte Albrecht ganz beglückt. Vöglein nickte ihm zu und flog weiter.

Albrecht fühlte jetzt vor Freude weder Durst noch Ermüdung; er hätte nur gern wegen der Richtung Bescheid gewusst.

Da schimmerte Gemäuer durch das Grün. Vielleicht waren Menschen dort, die er fragen konnte.

Kaum hatte er einige Schritte in jener Richtung getan, als er dicht vor sich im Gestrüpp wieder ein Vöglein erblickte, das sein Liedlein sang. Auch jetzt verstand er Worte:

»Tiu – tri – tiu – dort im Walde, schau, schau, Haust einsam im Hüttlein ein’ arglist’ge Frau. Vor ihr und dem Sohne sei recht auf der Hut, Und merk’, was Frau Ute und Hanko wohl tut.«

Das Vöglein wer längst davongeflogen. Albrecht war überzeugt, dass es jene Hütte gemeint hatte, der er nun ziemlich nahe war. Seine Neugierde war erwacht.

Vorsichtig näherte er sich. Da gewahrte er draußen neben der niedrigen Tür in engem Käfig einen Raben. »Krah – krah –«, rief der, als wolle er den Junker rufen. »Warum soll ich nicht hingehen?«, dachte dieser. »Vielleicht erzählt mir der Schwarzrock auch wichtige Dinge.«

Und richtig: Kaum war Junker Albrecht nahe genug, als der Gefangene rief:

»Frau Ute, die Hexe, ist waldwärts gangen Und ließ mich ohn’ Futter hier draußen hangen; Sie sperrt’ mich zur Kurzweil ins Bauer eng, Darin ich mit Kummer der Freiheit denk’. Zur Strafe für früheres Stehlen und Lungern Lässt oft sie mich jämmerlich darben und hungern.

Krah – krah – krah – krah – Komm schnell ganz nah, Mach’ auf mein’ Tür – Ich lohn’ es dir.«

Albrecht tat, wie der Rabe bat. Der flog nun schnell von der Hütte fort, bis dahin, wo der Wald sich lichtete, aber dichtes Unterholz Deckung bot. Der Junker folgte eilends. Da begann der Rabe wieder:

»Hexenbrut Ist Frau Ut’ Und ihr Sohn – Kennst ihn schon?«

Albrecht verneinte. Darauf schnarrte der Rabe noch eifriger:

»Hat Höcker im Rücken Und sitzt voller Tücken. Ist just nicht gar groß, Doch dient er im Schloss; Führt’s Kochregiment. Brät, kocht, bäckt ohn’ End’: – Mit schneeweißen Schürzen – Manch’ Braten mit Würzen, Geflügel und Suppen, Auch Karpfen mit Schuppen, Gemüs’ und Rouladen, Pasteten und Fladen. Der Hanko versteht’s, Denn trefflich gerät’s.«

Der schwarze Gesell flatterte erregt mit den Flügeln, hüpfte auf einen anderen Zweig und krächzte dann gallig:

»Frau Ute, die geizige Hex’, kann wohl lachen, Schleckt oftmals ganz heimlich gar leckere Sachen. Die gibt ihr der Koch; Das merk’ ich ja doch. Ich Schwarzrock rab – rab – Krieg’ nie etwas ab, Trotzdem sie versprochen Mir lang’ einen Knochen.«

»Armer Pracher im Federkleid«, lächelte der Junker. »Wart’ nur, wenn ich erst ins Schloss komme, will ich für dich sorgen. Sollst an meinem Fenster stets einen Knochen finden, wenn Frau Ute dich nicht wieder einfängt.«

»Schwarz ist Nacht und mein Gefieder – Sieht bei Tag mich nimmer wieder. Soll mich niemals wieder fangen Und ins enge Bauer hangen. Willst ins Schloss, beeil’ den Schritt; Rab’, – krah – krah – verrät dich nit.«

lautete die Antwort des Schwarzen, der jetzt höher hinauf hüpfte, gleich aber wieder von seinem hohen Posten zu Albrecht hinflog und ängstlich mit den Flügeln schlagend mahnte:

»Schnell buck’ dich Und duck’ dich In Eile, – krah – krah –! Die Fraue, Die schlaue Hex’ Ute ist nah.«

Albrecht tat, wie der Vogel riet, und konnte eben noch im Zwielicht die Alte erkennen, die in einiger Entfernung zwischen den Bäumen daherkommend ihrer Hütte zuschritt.

Kaum war sie den Blicken der beiden Beobachter entschwunden, als der Rabe trieb:

»Nun schnelle von dannen – Vorbei an den Tannen, Krah – krah bis zum Steg – Dort siehst du den Weg.«

Noch ein Stück flog der Rabe mit, bis er krächzte:

»Schreite weiter diesen Pfad, Kommst zum Schlosse sonst zu spat, Flieht sonst letzter Tagesschimmer; – Brauchst mich Schwarzgesellen nimmer.«

Wirklich war es inzwischen ziemlich dunkel geworden, sodass Albrecht schnell von seinem gefiederten Führer schied. Er überlegte, als er so dahin schritt, auf welche Art er sich wohl am besten im Schloss einführen könnte, da er sich nicht gleich als Verwandten des Grafen zu erkennen geben mochte. Auch glaubte er klüger zu handeln, wenn er zunächst den Zweck seiner Reise verschwieg, denn nach allem, was er durch den Ohm sowohl im Allgemeinen als auch durch die Vögel vorhin im Besonderen erfahren hatte, traute er weder dem Koch noch der alten Ute viel Gutes zu.

Nun hatte er das Schloss erreicht. Es war ein stattlicher Bau, aus dessen Tor eben zwei Jünglinge traten, die in erregtem Gespräch begriffen den Nahenden nicht gewahrten.