Ein neuer Anfang in der Stadt der Sonne - Tauche ab in eine spirituelle Fiktion und lerne uralte Philosophien und Weisheiten kennen, die auf Sanskrit Texten basieren. - Devi Bhaskara - E-Book

Ein neuer Anfang in der Stadt der Sonne - Tauche ab in eine spirituelle Fiktion und lerne uralte Philosophien und Weisheiten kennen, die auf Sanskrit Texten basieren. E-Book

Devi Bhaskara

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Beschreibung

Nach einer großen Flut versuchen die Überlebenden eine neue Kultur aufzubauen. Die Menschheit wird dabei von einer alten Rasse unterstützt, den Elonahim. Diese sind Weltenreisende, welche es sich zur Aufgabe gemacht haben Planeten mit Potential für komplexe Lebensformen zu kultivieren und weiterzuentwickeln. Diesmal wollen sie es richtig machen und die Menschen dazu anleiten ihr volles spirituelles Potential zu entwickeln, im Einklang mit der Natur zu leben und sich gegenseitig zu unterstützen, anstatt miteinander in Konkurrenz zu stehen. Natürlich gibt es auch eine Gruppe von Menschen, die von diesen Idealen nicht viel halten und ihre Energie eher auf eine Art investieren, um ihre Macht zu erhöhen und ihre rein persönlichen Ziele zu verfolgen. Sie wollen ihre Welt endlich für sich alleine haben und die Elonahim vom Antlitz dieses Planeten fegen. Wer steckt hinter diesen Bestrebungen und wie beeinflusst er die Entwicklung der fünf Jugendlichen, welche kurz vor ihrer speziellen Prüfung stehen, um in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen zu werden. Dieses Buch stellt erfrischende alternative Handlungsweisen dar, welche eher auf Liebe denn auf Kampf und Konkurrenz basieren. Es gibt Einblicke in uralte Weisheiten längst vergangener Kulturen und enthält wichtige Informationen für Jugendliche und Erwachsene, die bereits wissen, dass sie mehr sind, als ihr Körper und ihr Verstand. Reinkarnation ist ein zentrales Thema, welche in allen großen Weltreligionen eine Rolle spielt, selbst im Christentum kann man dieses Konzept noch finden, wenn auch versucht wurde diese Spuren aus den heiligen Texten zu eliminieren. Das Konzept einer alten Seele wird hier aufgenommen und weiter entwickelt, wodurch dieses Buch auch Einblicke in Wahrheiten aus dem Buddhismus enthält.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Über die Autoren

Die beiden Autoren dieses Buches wurden in Deutschland geboren und sind seit über 20 Jahren verheiratet.

Devi wuchs in einer Künstlerfamilie auf und studierte parallel zu ihrer Schulausbildung Gesang, Klavier und Tanz an einem Konservatorium. Schon in jungen Jahren gewann sie mehrere Gesangsturniere und nahm an nationalen Auditionen teil. In den kommenden Jahren konzentrierte sie sich auf ihre spirituelle Entwicklung, heiratete Jaspal im Alter von 23 Jahren, wies ihn in ihren Weg ein und führte ein Leben außerhalb des öffentlichen Interesses. Von nun an unterstützte sie Jaspal dabei, sein inneres Licht zu finden, bis sie schließlich gemeinsam beschlossen, ihren Lebensunterhalt als Künstler und Autoren zu bestreiten.

Jaspal studierte Physik, Astronomie und Computertechnik. Schon als Teenager begeisterten ihn vor allem Themen, die ihn an die Grenzen des menschlichen Wissens führten. Leichte und ausgetretene Pfade interessierten ihn nicht. Bevor er dieses Buch schrieb, arbeitete er als Berater für Informationssicherheit. In seinem Leben stieß er immer wieder auf neue Wissensgebiete, die er autodidaktisch erschloss, insbesondere alte Geschichte und antike Hochkulturen. Dies hat ihn dazu getrieben, hinter alte Geheimnisse und ungeklärte Entdeckungen zu schauen und nach relevanten Zusammenhängen zu suchen.

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich bei meiner Frau Devi bedanken, die Spiritualität in mein Leben brachte und nie aufgegeben hat, meinen Fokus immer wieder neu auszurichten, wenn dies notwendig war.

Ihre einzigartige Art zu lieben, welche von Menschen mit einem weltlichen Fokus häufig nicht verstanden wird, hat mich dazu inspiriert, zu ergründen, was Liebe wirklich ist, und in tiefere Weisheiten verschiedener Kulturen und Religionen zu diesem wichtigen Teil des Lebens einzutauchen.

Ich kann noch nicht sagen, dass ich jeden Aspekt und jede Dimension der Liebe vollständig verstanden habe, aber meine Reise an Devis' Seite hat mich viel gelehrt. Nichts anderes ist wichtiger als meine Liebe zu ihr.

Ich bin immer noch jeden Tag gespannt, wohin uns unser gemeinsamer Weg führt.

Danke, Devi, dass Du Seite an Seite mit mir durch dieses Leben und Abenteuer reist!

Devi Bhaskara & Jaspal Dinesh Bhaskara

Ein neuer Anfang in der Stadt der Sonne

Die jungen Jahre von Arakira und Aranis

© 2022 Jaspal Dinesh Bhaskara, Devi Bhaskara

Autor: Jaspal Dinesh Bhaskara

Co-Autor: Devi Bhaskara

Illustration: Devi Bhaskara

Cover Design: Tredition GmbH

Editor: Mentorium GmbH

Webseite der Autoren: https://bhaskara.eu/

Druck & Distribution im Auftrag der Autoren:

tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg

ISBN: 978-3-347-55675-1 (Taschenbuch)

ISBN: 978-3-347-55676-8 (Hardcover)

ISBN: 978-3-347-55677-5 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis

Über die Autoren

Kapitel 1: Die Neuankömmlinge

Kapitel 2: Das erste Gespräch mit einer Eule

Kapitel 3: Unterbrochene Konzentration

Kapitel 4: In Lebensgefahr

Kapitel 5: Die erste Nahtoderfahrung

Kapitel 6: Böse Vorahnungen

Kapitel 7: Die morgendliche Routine einer Königin

Kapitel 8: Die Rettung

Kapitel 9: Große Erleichterung

Kapitel 10: Julichees Erlebnis mit einem Fuchs

Kapitel 11: Beim Bogenschießen

Kapitel 12: Ein ein neuer Freund

Kapitel 13: Neue Erkenntnisse bei der Meditation

Kapitel 14: Göttliche Initiation und Transformation

Kapitel 15: Ein schöner Nachmittag

Kapitel 16: Eine intuitive Initiation

Kapitel 17: Familiengespräche

Kapitel 18: Eine wichtige Entdeckung

Kapitel 19: Die fremden Jäger

Kapitel 20: Ein gemeinsames Bad

Kapitel 21: Die Zwillinge allein

Kapitel 22: Eldaneors Tests und Erkenntnisse

Kapitel 23: Arakira setzt sich durch

Kapitel 24: Gemeinsamkeit und Regeln

Kapitel 25: Erwachsenwerden

Kapitel 26: Beginn der Mut- und Belastungsprobe

Kapitel 27: Eltern

Kapitel 28: Der Beginn der Eroberung

Kapitel 29: Die etwas andere Reifeprüfung

Kapitel 30: Erkundungen

Kapitel 31: Neue Freunde fürs Leben

Kapitel 32: Die Herausforderung

Kapitel 33: Eine neue Antwort auf eine Belagerung

Kapitel 34: Arakiras Geschenk

Kapitel 35: Die totale Überwindung

Kapitel 36: Robynns Herausforderung

Kapitel 37: Aranis und Robynn auf Reisen

Kapitel 38: Im Hochgebirge

Kapitel 39: Nordmänner unter sich

Kapitel 40: Die Rückkehr

Kapitel 41: Die älteste Initiation der Elonahim

Kapitel 42: Ein neuer Anfang beim Frühstück

Kapitel 43: Die Jagd

Kapitel 44: Ein Hauch von Eifersucht

Kapitel 45: Der Bau der neuen Bergterrasse

Kapitel 46: Inakzeptanz

Kapitel 47: Eine Frage der Loyalität

Kapitel 48: Verletzlichkeit

Kapitel 49: Eine verhinderte Reise

Kapitel 50: Ein Hauch von Dunkelheit

Kapitel 51: Späte Hilfe

Kapitel 52: Unerwarteter Widerstand

Kapitel 53: In der Dunkelheit

Kapitel 54: Das Licht

Kapitel 55: Die Erlösung aus der Dunkelheit

Kapitel 56: Neue Liebe

Epilog

Anhang:

Sprachübersetzungen:

Legende der Karte Seite 243

Auflistung der Personen

Vorwort

Das folgende Buch wurde aus alten Schriften zusammengestellt, die in einem antiken Tempel in der Himalaja-Region gefunden wurden. Der Autor, der sich „Marcus, Sohn von Keremvor“ nennt, schrieb den Text teils in Keilschrift auf vielen Tontafeln, teils in Sanskrit auf Papyrus. Es ist derzeit nicht klar, ob Marcus der einzige Autor ist, da ein Vergleich der Handschriften zwischen den Tontafeln und dem Papyrus nicht möglich ist. Archäologische Analysen der Tafeln haben ergeben, dass diese Schriften mindestens elftausend Jahre alt sind. Ob die Geschichte, die Marcus geschrieben hat, seine reine Fiktion ist oder auf tatsächlichen Ereignissen beruht, kann heute nicht mehr abschließend geklärt werden. Bekannt ist, dass mehrere antike Kulturen Legenden über eine verheerende Flut überlieferten. Darunter waren die Griechen, die Hebräer, die Inder, die Isländer, die Ägypter, die Mesopotamier sowie alte asiatische Kulturen. Einige von ihnen sprechen auch von einer Rasse, die von anderen Welten oder anderen Planeten kam und die Menschheit lehrte oder ausbeutete. Es ist offensichtlich, dass viele der genannten Kulturen eine gemeinsame Basis haben, und damit besteht die Möglichkeit, dass diese Geschichte, die wir entdeckt haben, das fehlende Bindeglied ist. Zurzeit laufen weitere Ausgrabungen, weshalb es sehr wahrscheinlich ist, dass wir zusätzliche Informationen erhalten werden, sobald neu gefundene Tafeln entziffert und übersetzt worden sind.

Kapitel 1: Die Neuankömmlinge

Aranis und Arakira saßen hinter einem Holzstapel in der Nähe des südlichen Stadttors und warteten auf den richtigen Moment hervorzuschlüpfen. Von hier aus konnte Arakira ihre Freundin Rebecca auf einem nahe gelegenen Dach sehen, welche die Straße beobachtete, die zum Stadttor führte. Ein kurzes Handzeichen sagte Arakira, dass sie noch ausharren mussten. Nach ein paar Augenblicken hob Rebecca ihre Hand erneut und zeigte ein weiteres Zeichen, auf das sie sich geeinigt hatten. Es bedeutete, dass es nun sicher war weiterzugehen.

Arakira und Aranis sprangen aus ihrem Versteck hervor und rannten in gebückter Haltung zum Stadttor der Oberstadt von Suryanagara oder der Stadt der Sonne, wie sie von den Menschen genannt wurde. Ein paar Holzfäller hatten gerade das Tor passiert, nachdem sie einen gemütlichen Plausch mit dem Torwächter gehalten hatten. Dieser begann nun, mit einer großen Winde im rechten Turm das Stadttor wieder zu schließen. Aranis schaute kurz zurück, winkte Rebecca zum Dank und schlich zwischen den beiden Türmen hindurch, bevor das Fallgatter wieder geschlossen wurde. Arakira folgte ihm nahezu geräuschlos. Außerhalb der Mauer hielten sie sich im dunklen Schatten, um nicht von den wegschreitenden Holzfällern entdeckt zu werden. Aber diese gingen frohen Mutes in Richtung der Holzhütten und Zelte der Bewohner der provisorischen Unterstadt, die noch keinen Platz im neu hergerichteten Teil der Oberstadt von Suryanagara erhalten hatten.

Es roch nach feuchter Erde. Der Frühlingsnebel hing noch über den Feldern in der Ferne. Der Himmel war ohne Wolken und die Sonne ging gerade hinter den Bergen auf.

Schnell bewegten sie sich den Hang hinunter zum See, bevor die ersten Siedler ihre Häuser und Zelte verlassen und mit ihrem Tagewerk beginnen würden. Aranis ließ Arakira vor und bewunderte aufs Neue, wie leise und leichtfüßig sie sich bewegte. Das war etwas, was seine Zwillingsschwester einfach besser konnte als er. Sie war es auch gewesen, die diese Möglichkeit, die Oberstadt unter Mithilfe von Rebecca ungesehen so früh am Morgen zu verlassen, erkundet hatte. Dies gab ihnen nun die Möglichkeit, noch vor dem Frühstück zwei Stunden Freiheit zu genießen, ohne all die Pflichten, die Kinder in ihrem Tatendrang hinderten. Der Unterricht begann kurz nach dem Frühstück und dann gab es vormittags für sie keine Möglichkeit mehr zu entkommen.

„Was wollen wir heute machen?“, fragte Aranis Arakira, obwohl er für sich selbst eigentlich schon entschlossen hatte, zum See zu gehen. Es gab nichts Schöneres, als am frühen Morgen in das kalte Wasser zu springen und im Licht der aufgehenden Sonne zu schwimmen.

Arakira schaute ihm in die grünen Augen und schmunzelte. „Geh du ruhig schwimmen, für mich ist es heute zu kalt. Ich gehe in das Wäldchen da drüben und schaue, ob ich ein paar interessante Tiere entdecken kann.“

Aranis ließ den Blick etwas fallen und sagte: „Na ja, das will ich schon und es ist schön, dass du das vorschlägst, aber Mutter sagte, dass wir uns nicht trennen sollen.“

„Ja, und sie sagte auch, dass wir die Oberstadt nicht alleine verlassen und lieber eine Wache mitnehmen sollen“, antwortete Arakira mit einem Lächeln auf den Lippen. Aranis erwiderte das Schmunzeln und nahm ihre Hand, während er auf den See hinausblickte. „Gut, ich mach’ schnell und such’ dich dann.“

„Da hast du keine Chance“, erwiderte Arakira mit einem schelmischen Blick.

Aranis zog die Augenbrauen hoch und dachte: ‚Na, das werden wir ja sehen.‘

Dann liefen beide in den beginnenden Tag hinein.

In der Zwischenzeit sprangen Rebecca und ihre Schwester Erilea vom Dach auf die nahe gelegenen Zinnen der Außenmauer, überquerten das Stadttor und liefen auf der anderen Seite der Stadtmauer weiter bergauf, bis sie die obere Plattform hinter dem Schloss erreichten. So gelangte man am schnellsten zum Schießplatz. Rebecca und Erilea wollten etwas mehr Übungszeit haben, um endlich einmal erfolgreich gegen die bislang immer siegreichen Zwillinge antreten zu können. Da am frühen Morgen noch niemand da war, konnten sie viel mehr Pfeile schießen als während der regulären Trainingszeit, wenn alle anderen Kinder dabei waren. Sie benutzten ihre eigenen Bögen und Pfeile, sodass sie Beltarien, den Bogenschießtrainer, nicht bitten mussten, ihnen Trainingsmaterial zur Verfügung zu stellen. Er lag sowieso noch in seinem Bett. Rebecca und Erilea hatten ihre fast gleich langen Haare hochgesteckt, ihre Armschienen und den Fingerschutz angelegt und lächelten einander an.

„Dieses Mal werden wir sie mit Sicherheit schlagen. Arakira und Aranis werden gegen uns keine Chance haben“, sagte Rebecca.

Erilea hob ihre Hand, um Rebecca zustimmend abzuklatschen.

Kurz darauf kehrten sich die beiden elfjährigen Mädchen den Rücken zu und schossen mit voller Konzentration auf das gewählte Ziel. Rebecca hielt ihren schön gearbeiteten Bogen in ihrer rechten Hand, während Erilea ihre linke benutzte.

Am See zog sich Aranis aus und sprang, ohne viel nachzudenken, in die Fluten. Er war an die Kälte gewöhnt und liebte diese Herausforderung. Diesmal wollte er besonders schnell sein, um seine Schwester nicht so lange allein zu lassen, also strengte er sich an und drehte schon nach etwa dreihundert Schwimmzügen wieder um. Überrascht blickte er an die Stelle am Ufer, wo er seine Sachen liegen gelassen hatte. Drei Kinder schienen sich dafür zu interessieren und stöberten in seiner Kleidung herum.

„He, ihr da, lasst das liegen, das gehört mir!“, rief er und beeilte sich umso mehr, wieder ans Ufer zu gelangen.

Die drei Jungen sahen sich grinsend an.

„Nehmen wir das Zeug mit oder werfen wir es ins Wasser? Was meinst du, Keremvor?“, fragte der jüngste den ältesten unter ihnen.

„Hm, das ist ziemlich teures Zeug, dieser Kerl gehört bestimmt zu einer reichen Familie in der Oberstadt. Wollen wir uns mit so einem anlegen?“, antwortete Keremvor mit einem Glitzern in den Augen. Die beiden anderen zuckten mit den Schultern.

„Wenn du mich fragst, lassen wir ihn lieber in Ruhe. Wir sind erst gestern hier angekommen und sollten nicht gleich unangenehm auffallen. Du weißt doch, Vater beginnt heute in der Bäckerei und er hat uns eingebläut, keinen Ärger zu machen“, sagte Marcus, der Mittlere. „Vielleicht können wir ja Freundschaft mit ihm schließen“, fügte er noch hinzu und zog seine Augenbrauen in der Mitte nach oben.

„Ach was, so jemand schließt keine Freundschaft mit uns. Mich wundert nur, dass er allein hier ist. Lasst uns das Zeug mitnehmen und im Wald verstecken. Er kann uns ja bezahlen, wenn er es wiederhaben will.“ Keremvor lachte. „Das ist mehr wert, als Vater in einem Monat verdient.“

Julichee, der Kleinste, rieb sich die Hände und sammelte alles ein, darunter ein grünes Leinenhemd, eine dunkelbraune Lederhose, Lederstiefel mit flügelähnlichen Punzierungen, ein Gürtel, dessen bronzene Schnalle einen kunstfertigen Adlerkopf darstellte, sowie eine kleine Ledertasche, auf der ein fliegender Adler abgebildet war. Als er das schöne Jagdmesser sah, kam er aus dem Staunen kaum noch heraus. Seine Augen leuchteten vor Verzückung, als er es aus der Lederscheide zog. Der Griff des Messers bestand aus Elfenbein mit feinen Goldintarsien, welche einen kleinen Baum mit Wurzeln darstellten und Julichee anleuchteten. Er fühlte sich so samtig weich in seiner kleinen Hand an. Am Griffende befand sich eine in Silber und Gold eingerahmte Endkappe aus grünem Jadestein, auf welchem eine reliefartige Lotusblume zu sehen war. Am liebsten hätte er das Messer sogleich in seiner Hosentasche verschwinden lassen. Die Klinge war so fein gearbeitet wie keines der Messer, die er und seine Brüder besaßen, und auch wie keines von seinem Vater. Aber er würde es ja eh nicht behalten dürfen, und wenn er damit erwischt würde, würde es nur wieder Ärger geben. Also ließ er das Messer zurück in die weiche Lederscheide gleiten und rannte mit dem Bündel in Richtung Wald.

Keremvor lief indessen an die Stelle des Ufers, auf die Aranis zusteuerte, um diesem den Weg abzuschneiden. Aranis war mächtig außer Atem, als er endlich wieder Boden unter seinen Füßen hatte. Und er erschrak innerlich, als er feststellte, dass Keremvor ein ganzes Stück größer und älter war als er. Noch bis zur Brust im Wasser stehend, schloss er leicht die Augen, verzog den Mund und drohte: „Gebt mir meine Sachen zurück, sonst ergeht es euch schlecht!“ Damit hoffte er Keremvor zu beeindrucken oder gar zu ängstigen. Doch je weiter er aus dem Wasser kam, umso mehr wurde auch Keremvor klar, dass er, ein gut genährter Bäckerssohn, der es gewohnt war Holz zu hacken, diesem dünnen Jungen körperlich weit überlegen war.

„Du wirst nun erst mal sehen, wie schlecht es dir ergehen wird“, erwiderte Keremvor und trat Aranis entgegen. Aranis versuchte an ihm vorbei aus dem Wasser zu kommen, noch immer schwer atmend, doch Keremvor breitete die Arme aus, um ihn festzuhalten. Mit einem gewagten Sprung hechtete Aranis links unter Keremvors Arm hindurch, doch dieser bekam gerade noch seine Beine zu packen und zog Aranis an ihnen ins tiefere Wasser. Aranis war völlig hilflos und konnte nur versuchen, sich mit den Armen, so gut es ging, über Wasser zu halten und immer mal wieder Luft zu schnappen. Als Keremvor ihn im tieferen Wasser hatte, drückte er seinen Kopf herunter und klemmte seine Beine zwischen seinen eigenen ein. In Aranis kam ein Gefühl von Panik auf. Er war Keremvor ausgeliefert und fand keine Möglichkeit, sich dessen Griff zu entwinden. Keremvor war seinerseits etwas überrascht über die harte Muskulatur von Aranis. Wo er ihn auch berührte, fühlte er harte Gegenwehr. Das hätte er bei so einem Bürschchen nicht erwartet. Der war doch höchstens zehn oder elf Jahre alt. Egal, er konnte seinen Kopf mit Leichtigkeit immer wieder unter Wasser drücken – diese Technik hatte er bei seinen beiden jüngeren Brüdern oft genug geübt.

Kapitel 2: Das erste Gespräch mit einer Eule

Arakira hatte Aranis noch kurz mit einem Lächeln hinterhergeschaut und war dann in den Wald abgebogen, ohne zu ahnen, in welch gefährliche Situation ihr Bruder geraten sollte. Sie wollte die ruhigen Morgenstunden zusammen mit den Vögeln genießen und hoffte noch ein paar andere Tiere zu sehen. Die aufgehende Sonne durch den Nebelschleier am Waldrand zu beobachten, gab ihr die Ruhe, die sie brauchte, um sich auf das Leben um sie herum zu konzentrieren. Tief atmete sie die frische Luft ein, wobei sie die Augen schloss und wahrzunehmen versuchte, welche Düfte sie erreichten. Sie genoss den Duft des frischen Grüns und der Zedern, aber auch das verwesende Laub der anderen Bäume aus dem letzten Herbst hatte eine interessante, modrige Note. Genau wie ihre Mutter liebte sie die Natur, insbesondere nachdem sie erst vor Kurzem weitere Lektionen von ihr erhalten hatte, um die Sprache der Tiere und Pflanzen besser zu verstehen. Sie liebte es, wenn sich ihre Mutter Zeit nur für sie nahm. Vor allem bewunderte sie an ihrer Mutter das breite Wissen über die Natur. Beide lauschten oft den Vogelstimmen und versuchten dabei die Arten herauszufinden. Da Arakira im Heraushören schon viel Übung hatte, war sie manchmal sogar schneller im Raten als ihre Mutter. Das machte die beiden stolz und ließ sie stets gemeinsam fröhlich auflachen.

‚Ma sieht so schön aus, wenn sie lacht.‘

Das waren sehr wertvolle Stunden, vor allem da ihre Mutter jetzt, wo Vater wieder auf einem Erkundungszug mit einem Teil seiner Krieger im Norden unterwegs war, viel um die Ohren hatte. Sie musste die Bewohner beaufsichtigen, Arbeiten veranlassen und, und, und – eben alles tun, was zum alltäglichen Leben einer Herrscherin gehörte. Das waren zwar nicht die Dinge, welche ihrer Mutter Melanorien besonders viel Spaß machten, aber was notwendig war, musste eben erledigt werden.

Auf ihrem Weg in den Wald versuchte Arakira ihre Spuren so gut wie möglich zu verwischen, denn sie wollte es Aranis nicht zu einfach machen, sie hier zu finden. Wieder fing sie an zu lächeln, als sie sich vorstellte, wie er nach ihr suchen würde. Der Wald war hier licht und die Bäume noch recht jung, sodass sie gut bis zum Waldrand sehen konnte. Noch einhundert Schritte weiter und sie kletterte einen Baum hinauf. Dies würde es ihrem Bruder sehr erschweren sie zu finden, denn selten schauten Suchende nach oben. Nach der kurzen Anstrengung nahm sie sich etwas Zeit, um wieder zu sich und der Natur um sie herum zu kommen. Sie lauschte den Vögeln, schloss die Augen und versuchte sich auf eine Eule zu konzentrieren, welche gerade im Nachbarbaum gelandet war, um ihre Beute zu verschlingen. Ihre Mutter hatte ihr beigebracht sich erst tief auf ihr eigenes Inneres zu konzentrieren, bevor sie versuchte sich mit Tieren oder Pflanzen zu verbinden. Oft hatte sie das noch nicht üben können, aber hier im Wald ging es am besten. Langsam tastete sich ihr Bewusstsein zu ihrer Seele vor und gab ihr den Auftrag, sich mit der Seele der Eule gegenüber in Verbindung zu setzen. Eine Weile passierte nichts, aber dann drang eine Frage in einem ruhigen, dunklen Ton in ihr Bewusstsein: ‚Wer bist du und warum?‘

Arakira war völlig verblüfft. Noch nie hatte sie einen so klaren Gedanken von einem Tier empfangen. Leider musste sie sich eingestehen, dass sie nur den ersten Teil der Frage verstanden hatte, und das vielleicht noch nicht einmal vollständig. Sie sollte sich wohl erst einmal vorstellen, aber was sollte das Warum? Woher sollte sie denn wissen, warum sie diejenige war, die sie war? Vielleicht war nicht die gesamte Frage an sie herangedrungen. War vielleicht etwas verloren gegangen, während sie sich innerlich erschrocken hatte? Sie wartete einen Moment und hoffte, es würde irgendeine Ergänzung oder Erläuterung kommen, aber es blieb still. In ihr und auch sonst.

Nun erinnerte sie sich an die Worte ihrer Mutter: ‚Wenn du Kontakt hast, sei natürlich und ehrlich, alles andere kommt von selbst.‘ Sie konzentrierte sich wieder und sagte ihrer Seele, was sie antworten sollte: „Ich werde Arakira genannt und bin eine Schülerin, weil ich noch sehr jung bin.“ Irgendwie hatte sie auf das Warum eingehen wollen. Nun ärgerte sie sich jedoch ein wenig über ihre Antwort, da sie ihr ziemlich dumm vorkam.

Es verging einige Zeit, dann bekam sie eine Antwort: ‚Du bist jung und alt zugleich. Ich freue mich, dich zu treffen. Aber leider ist gerade kein geeigneter Zeitpunkt, denn du hast eine wichtige Entscheidung vor dir, und diese wird nicht hier von dir verlangt. Sieh nach unten und dann nach deinem Bruder.‘

Daraufhin flog die Eule davon in Richtung See.

Arakira kehrte mit ihrer Aufmerksamkeit zurück ins Hier und Jetzt und war nun noch verwirrter, doch das Knacken eines Astes unter ihr ließ ihr keine Zeit, über dieses ‚Gespräch‘ nachzudenken. Sie blickte nach unten und sah einen kleinen Jungen mit den Sachen ihres Bruders in der Hand, der diese gerade in einem Busch unter ihrem Baum versteckte und dann weglief. Arakira schaute ihm nach und dann in Richtung See. Dort sah sie zwei kleine Gestalten. Eine stand am Ufer und die andere war halb im Wasser und schien dort nach etwas zu suchen. Nein, sie suchte nichts … sie kämpfte! Für einen kurzen Moment kam etwas Schwarzes aus dem Wasser und wurde von der Gestalt wieder nach unten gedrückt. Arakira suchte mit ihrem Blick den See ab, um ihren Bruder zu finden, der da noch irgendwo schwimmen musste, fand ihn aber nicht. Mit einem Mal spürte sie einen starken Schmerz in der Brust. Etwas war falsch, richtig falsch. Sie tastete nach der Seele ihres Bruders in sich selbst und fühlte Panik. Nun verstand sie zumindest einen Teil der Botschaft der Eule: Ihr Bruder war in Gefahr. Sie kletterte so schnell wie möglich den Baum hinunter, schnappte sich die Sachen aus dem Busch und rannte durch den Wald in Richtung See.

Kapitel 3: Unterbrochene Konzentration

Rebecca nahm den nächsten Pfeil aus dem Köcher an ihrer Hüfte, platzierte ihn auf die markierte Stelle ihrer Bogensehne, legte die Spitze auf die Oberseite ihrer rechten Hand, welche den Bogen hielt, schloss die Augen, atmete langsam ein, während sie den Bogen spannte, und richtete die Spitze des Pfeils vor sich. Dann öffnete sie ihre Augen wieder und konzentrierte sich auf die Mitte des Ziels, während sie ihre rechte Hand nach oben hob, bis sie auf der richtigen Höhe war. Anschließend atmete sie aus, verstellte den Winkel leicht und überprüfte die Anspannung in Bauch, Rücken, Brust und Schulter – alles stimmte. Kurz bevor sie den Pfeil losließ, schoss jedoch ein plötzlicher stechender Schmerz in ihre Brust. Ihr geplanter Schuss scheiterte gründlich. Die Nocke des Pfeils löste sich von der Sehne, der Pfeil fiel zu Boden und die Bogensehne schlug mit einem lauten Knall auf Rebeccas lederne Armschiene.

Erilea drehte sich erstaunt um. „Was war denn das? Das habe ich schon lange nicht mehr bei dir erlebt.“ Doch dann verstummte sie fast augenblicklich. Als sie Rebeccas bleiches und schmerzerfülltes Gesicht betrachtete, erkannte sie, dass dies kein gewöhnliches Missgeschick gewesen war.

In der Zwischenzeit fasste sich Rebecca mit der linken Hand an ihre Brust, um diesen aus heiterem Himmel gekommenen Schmerz wieder loszuwerden. Ihre graublauen Augen waren weit geöffnet. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. Sie konnte kaum atmen.

„Was ist los mit dir?“, fragte Erilea ängstlich.

„Ich weiß es nicht. Plötzlich hatte ich Schmerzen in meiner Brust – genau hier.“ Rebecca berührte ihre Brust knapp unterhalb der Stelle, an der sich der dunkelblaue Halbedelstein ihrer Halskette befand, welche sie von ihrem älteren Bruder Gregor einst geschenkt bekommen hatte. „Es fühlt sich an wie damals, als unser Dorf vor einigen Jahren von den Räubern überfallen und Gregor entführt wurde.“

Erilea drehte ihren Kopf in alle Richtungen, sodass ihre dünnen blonden Zöpfe, die von einer Lederschnur zusammengehalten wurden, hin und her flogen. Ihre tiefblauen Augen flackerten vor Angst. Sie konnte jedoch keine Bedrohung feststellen.

„Komm, lass uns zum Brunnen da drüben gehen, uns kurz hinsetzen und einen Schluck frisches Wasser trinken. Ich sehe nichts und höre auch keine verdächtigen Geräusche. Alles ist ruhig.“

Rebecca sah Erilea etwas erschrocken an. Sie fühlte immer noch diesen seltsamen Schmerz, aber sie ließ Pfeil und Bogen am Schießstand zurück und ging zusammen mit ihrer Schwester zum Brunnen, tief und langsam atmend, in der Hoffnung, sich zu beruhigen und den Schmerz zu lindern.

Kapitel 4: In Lebensgefahr

Panik machte sich in Aranis breit. So sehr er sich auch wand, er konnte sich nicht umdrehen, um zum Gegenangriff überzugehen. Seine Beine waren immer noch festgeklemmt und unerbittlich wurde sein Kopf immer wieder unter Wasser gedrückt. Gegen die Panik versuchte er am meisten anzukämpfen, denn wenn er nicht zuerst den Kampf gegen seine eigene Angst gewinnen würde, könnte er den anderen Kampf, in dem er sich befand, erst recht nicht gewinnen. Dies war eine Lektion, die ihm sein Schwertkampflehrer erst letzte Woche wieder vermittelt hatte, als er sich in einem aussichtslosen Übungsgefecht mit einem älteren Schüler befunden hatte. Auch da hatte er Angst bekommen, da sie gerade erst dazu übergegangen waren, mit echten Schwertern zu kämpfen, und das dann doch etwas ganz anderes war, als mit dem Holzschwert herumzufuchteln. Sein Vater, der Herrscher dieser Stadt, hatte ihn schon früh in die Kriegerkaste und den Schwertunterricht gesteckt. Mit sechs hatte er die ersten Übungen mit dem Holzschwert begonnen und nun mit elf, also fünf Jahre später, war es das erste Mal ernst. Leider hatte er gerade keine Waffe zur Hand, wenngleich ihm hier unter Wasser ein Schwert eh nicht sonderlich geholfen hätte. Er konzentrierte sich auf seine Angst und schob sie mit beiden Armen geistlich beiseite. Er wusste, dass er lange die Luft anhalten konnte, denn das hatte er schon oft geübt, um immer tiefer im See tauchen und den versunkenen Teil der Stadt betrachten zu können. Er hörte auf sich zu winden und ließ sich bis fast auf den Grund hinunterdrücken. Da wurde es sehr klar in seinem Kopf und Aranis bewertete nüchtern seine Situation: Dieser brutale Kerl könnte ihn wirklich töten.

‚Wenn ein Gegner eine Situation herbeigeführt hat, in der er mit Leichtigkeit einen Vorteil behaupten kann, ist es unsinnig, sich dagegen direkt aufzulehnen. Es kostet zu viel Energie. Besser ist es, etwas zu finden, um die Situation zu ändern.‘

Wieder flogen ihm die Worte seines Schwertkampflehrers durch den Kopf. Aber wie sollte er diese Situation ändern? Dieser Kampf zehrte nach dem vorherigen harten Training zunehmend an seinen Kraftreserven.

‚Warum musste ich mich beim Schwimmen auch so anstrengen? Dieser Wahnsinnige, was hat er nur vor?‘

Alle möglichen Gedanken schossen ihm gleichzeitig durch den Kopf, aber nichts Brauchbares kam ihm dabei in den Sinn. In dem Moment stieß seine Hand im schlammigen Untergrund des Sees auf einen flachen Stein, den er unwillkürlich ergriff.

‚Wenn es wirklich um Leben und Tod geht, ist Fairness uninteressant.‘

Wieder so ein Spruch seines Lehrers, über den er sich mit ihm auch noch ein Streitgespräch geliefert hatte. Dieser Lehrer gehörte zum Volk seiner Mutter und war nicht Teil der Kriegerkaste. Er war naturverbunden und hielt nur wenig vom Ehrenkodex der Kriegerkaste. Sein Vater sah das allerdings ganz anders.

‚Wenn du einen Kampf nicht ehrlich und ehrenhaft führen kannst, solltest du besser tot sein.‘

Aranis bewunderte die Stärke seines Vaters und seine Durchsetzungskraft. Er hatte immer schon seinen Ansprüchen genügen wollen und hoffte nichts mehr, als von ihm respektiert zu werden. Doch dies war ihm bisher nicht gelungen. Auch wenn er schon viel gelernt hatte und der Beste seiner Altersgruppe war, war er für seinen Vater nicht gut genug. Lob hatte er folglich noch nie von ihm erhalten. Alles, was er bisher von ihm zu hören bekommen hatte, waren Aufforderungen, dass er weiter hart an sich arbeiten solle.

Beltarien, der auch sein Jagdlehrer war, hatte auf seine Einwände nur geantwortet: ‚Die Kräfte der Natur kennen nur Leben und Tod. Moral und Ehre sind nicht höher einzuschätzen als das Leben. Du musst hart wie ein Stein sein und dein Verstand so scharf wie seine Bruchkanten, dann wirst du bestehen. Verstehen wirst du das wahrscheinlich erst, wenn du selbst einmal dem Tod ins Auge blicken solltest.‘

Und Aranis verstand …

Kapitel 5: Die erste Nahtoderfahrung

Arakira rannte hinter dem kleinen Jungen her, der, nachdem er sie bemerkt hatte, noch schneller davonzulaufen versuchte. Er blickte kurz zurück und sah, dass ein Mädchen mit vielen langen schwarzen Zöpfen hinter ihm her war. Es war größer und älter als er und hielt das Bündel, welches er gerade versteckt hatte, unter ihrem Arm.

‚Oje, was wird das denn jetzt? Mist! Nie kann ich einen Auftrag meines großen Bruders richtig erledigen. Irgendwas geht immer schief.‘

Die Stimme seines Bruders echote in seinen Gedanken: ‚Julchen, was hast du da schon wieder angestellt? Wieso kannst du nicht wenigstens ein Mal etwas richtig machen? Wieso hast du nicht aufgepasst, ob dich jemand beobachtet?‘ Diese und ähnliche Fragen hatte Julichee schon oft gehört und dabei immer ordentliche Kopfnüsse oder Tauchunterricht im Regenfass erhalten. Dass sie nun so nah an einem See wohnten, ließ ihn Übles ahnen. ‚Zum Glück war heute mal jemand anderes dran.‘ In seiner Hast, dem Mädchen zu entkommen, übersah er eine Baumwurzel und kam ins Stolpern.

Just in diesem Augenblick rannte Arakira an ihm vorbei, gab ihm einen heftigen Klaps auf die Schulter und rief: „Um dich kümmere ich mich später!“ Dieser Klaps brachte Julichee erst recht aus dem Gleichgewicht, welches er irgendwie wiederzufinden versuchte. Ein weiterer Fehltritt und er fiel in einen dornenbesetzten Busch, Kopf voran.

Arakira rannte aus dem Wald in Richtung Seeufer. Nun erkannte sie ihren Bruder, dessen Kopf gerade wieder aus dem Wasser kam. Sein schwarzes Haar war es gewesen, welches sie von ihrem Baum aus gesehen hatte. Der Junge, der mit ihm kämpfte, war groß und kräftig, auf jeden Fall auch kräftiger als sie. Dann stand da noch ein Junge, der dem Großen gerade etwas zurief, was Arakira aber nicht verstehen konnte, da der Wind die Worte von ihr wegwehte.

Aranis war mittlerweile wieder unter Wasser und zerbrach den flachen Stein, den er im Schlamm gefunden hatte, mit beiden Händen. Er ließ sich wieder weit nach unten drücken und schob das rechte Hosenbein von Keremvor hoch, um kurz darauf mit der scharfen Bruchkante in seine Wade zu schneiden. Keremvor schrie vor Schmerz, aber vor allem vor Überraschung und zog Aranis kurz aus dem Wasser. „Das hättest du nicht tun sollen, jetzt ersauf’ ich dich erst recht!“, schrie er so laut, dass Arakira es trotz des Windes hören konnte.

Sein Bruder Marcus rief ihm bereits zum dritten Mal zu, dass er doch endlich aufhören solle, doch die Wut, die in Keremvors Gesicht stand, zeigte ihm, dass dieser wieder einen seiner Anfälle hatte, bei denen sein eh schon geringer Verstand völlig aussetzte. Marcus wandte sich von Keremvor ab und wollte zu seinem Vater laufen. Dies schien ihm die einzige Möglichkeit zu sein, den kleinen Jungen noch zu retten, denn er selbst hatte gegen Keremvor keine Chance. Das wusste er aus leidlicher Erfahrung. Allerdings wusste er ebenso, dass sein Vater vermutlich nicht mehr rechtzeitig würde einschreiten können.

In dem Augenblick rannte Arakira an ihm vorbei, das Jagdmesser von Aranis in der Hand. Marcus rief: „Keremv…!“, doch dann hielt er sich selbst den Mund zu, blieb wie versteinert stehen und betrachtete die Szene, welche sich da gerade vor ihm abspielte.

Aranis, inzwischen wieder unter Wasser, schnitt mit all der Energie, die er noch aufzubieten hatte, in die Achillessehne von Keremvor, doch dabei schwanden ihm die Sinne vor Entkräftung. Keremvor ließ sich nun auch noch auf ihn fallen, sodass er weiter in den Schlamm gedrückt wurde und die letzte Luft aus seinen Lungen entwich. Dunkelheit umfing ihn wohlig, fast zärtlich, aber dennoch kalt und unausweichlich.

Kapitel 6: Böse Vorahnungen

Rebecca saß am Brunnen und trank mit bloßen Händen etwas von dem kalten Wasser. Plötzlich traf eine weitere Schmerzattacke ihre Brust. Ihre kleinen, zarten Finger konnten das Wasser nicht mehr halten. Sie zitterte am ganzen Körper. Eine intensive Angst sprach aus ihren Augen.

„Es passiert etwas wirklich Schlimmes. Ich kann es kaum ertragen“, drückte sie gequetscht heraus.

„Was soll ich machen?“, fragte Erilea besorgt und hielt Ausschau nach Anzeichen, welche die aktuelle Situation ihrer Schwester erklären könnten.

„Hast du heute Nacht wieder einen bösen Traum gehabt? Vielleicht ist es immer noch der Angriff der Räuber, unter dem du leidest.“ Erilea streichelte ihren Rücken, um sie zu beruhigen. Dabei spürte sie, dass Rebeccas weiße Bluse sowie ihr Lederwams bereits feucht von kaltem Schweiß waren.

„Nein, ich kann mich nicht erinnern. Heute Morgen war noch alles in Ordnung. Ich war froh, dass wir die Erlaubnis bekommen haben, ein zusätzliches Training zu machen, aber jetzt fühlt sich alles so falsch an.“

„Versuch in dein Herz zu schauen. Hör in dich hinein. Vielleicht kannst du die Ursache für all das herausfinden“, sagte Erilea in ruhigem Tonfall, obwohl sie selbst immer nervöser wurde.

Rebecca nickte, holte wieder tief Luft und schloss die Augen, um sich zu konzentrieren und das zu tun, was Erilea gerade vorgeschlagen hatte. Ihre Atmung wurde langsamer. Sie konnte ihre Angst und ihren Schmerz überwinden und brachte etwas Ruhe in ihre Seele. Dann sagte sie nur Folgendes, ohne wirklich zu wissen, woher es kam: „Mir wird etwas sehr Kostbares gestohlen. Ich werde es für den Rest meines Lebens vermissen.“

Beide Schwestern starrten sich unter Tränen an.

„Glaubst du, dass mit Gregor etwas Schlimmes passiert?“, fragte Erilea.

Rebecca schloss erneut die Augen, um sich auf diesen Gedanken zu konzentrieren, zu fühlen, tiefer in sich hineinzuhorchen und zu versuchen, sich mit ihrem älteren Bruder zu verbinden. „Ich kann spüren, dass er lebt und keiner unmittelbaren Bedrohung ausgesetzt ist. Interessanterweise scheint er näher denn je zu sein“, antwortete Rebecca langsam.

„Es ist immer ein kleines Wunder, wenn du so etwas sagst. Du bist wirklich etwas Besonderes, Rebecca“, flüsterte Erilea.

„Für mich ist das nicht so. Ich habe diese Erfahrungen gemacht, seitdem ich denken kann. Weißt du noch, vor der Großen Flut bestand ich darauf, dass wir alle in die Berge gehen, um Feuerholz zu holen. Ich wollte sogar, dass du mit uns kommst. Ich war damals gerade sechs Jahre alt“, flüsterte Rebecca zurück.

Erileas grüne Augen füllten sich erneut mit Tränen. Ihre Augenbrauen zogen sich in tiefer Trauer zusammen.

„Tut mir leid, ich wollte nicht, dass du dich daran erinnerst“, sagte Rebecca leise. Diesmal war sie an der Reihe, den Rücken ihrer Schwester zu streicheln.

Kapitel 7: Die morgendliche Routine einer Königin

Melanorien hielt sich in ihrem privaten Tempelbereich innerhalb des Palastes auf und führte wie jeden Morgen ihre Meditation durch, um sich mit kosmischer Energie aufzuladen. Danach schritt sie zwischen den sieben Becken der Weissagung hindurch. Sechs dieser Becken bildeten einen äußeren Kreis, welcher ein zentrales Becken in der Mitte des Raumes umgab. Immer wenn sie diesen Bereich nach ihrer Meditation betrat, leuchteten die Runen auf, welche in den Beckenrändern mit Diamanten eingelegt waren – als würden Sonnenstrahlen die Diamanten durchdringen und die dadurch entstehenden Regenbogenfarben in alle Richtungen projizieren. Zusätzlich war jedes der Becken reich verziert mit reliefartig aus dem Stein herausgearbeiteten Ranken, die so aussahen, als würden sie aus dem Boden emporsteigen. Zwischen den Blättern waren Jasminblüten aus verschiedenen Edelsteinen zu sehen, von denen man sagte, dass man sie manchmal sogar riechen könne. Jedes Becken hatte Blüten in einer anderen Farbe und konnte somit unterschiedlich aktiviert werden. Melanorien konnte mental steuern, was sie im jeweiligen Becken sehen wollte. Eines zeigte ihr die Vergangenheit, ein anderes die Gegenwart und noch ein anderes die Zukunft. Im nördlichen Becken der Gegenwart, das mit weißen Blüten versehen war, hatte sie gerade Kontakt mit Abraskor, ihrem Ehemann, aufgenommen, nur um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Abraskor war ebenfalls schon wach und hatte Befehl gegeben, das kleine Lager abzubauen, um sich auf die Rückreise nach Suryanagara zu begeben. Seine zwei Knappen verstauten die Vorräte und Zelte auf den Packpferden, während Eldaneor, Melanoriens Bruder und Abraskors erfahrenster Krieger, die Reiserationen an die drei Mitstreiter und einige Frauen und Kinder, die Melanorien noch nicht kannte, austeilte. Hier ging alles seinen gewohnten Gang.‚Sie werden wohl bald aufbrechen.‘

Melanorien konzentrierte sich nun auf Arakira und bekam einen furchtbaren Schreck, als sie diese über Aranis gebeugt am Seeufer weinen sah. Aranis lag reglos auf ihrem Schoß, komplett nass und bis auf seinen Lendenschurz entkleidet.

„Nein, nein, nein, das kann nicht sein! Was …?“, entwich es aus Melanoriens Mund, wobei sie Mühe hatte, das Bild aufrechtzuerhalten. Sie konzentrierte sich nun auf ihren Sohn und stellte fest, dass er zum Glück nur bewusstlos war. Als diese Erkenntnis sie durchflutete, lief ihr vor unendlicher Erleichterung ein Schauer den Rücken hinunter, bis in die Beine hinein. Sie unterdrückte den Drang, Kontakt mit seinem oder Arakiras Geist aufzunehmen, da sie nicht offenlegen wollte, dass sie ihre Kinder regelmäßig kontrollierte. Sie sollten lernen eigenständige Entscheidungen zu treffen, ohne zu wissen, dass sie zur Not eingreifen könnte. Sie hoffte, dass dies gleichzeitig auch die Risiken reduzierte, welchen sich die Kinder selbst aussetzten. Doch diesmal war irgendetwas schiefgelaufen. Melanorien vergrößerte ihren Blick auf die Umgebung und sah nun noch zwei weitere Jungen am Ufer. Ein großer lag mit dem Gesicht nach unten im Wasser, während sich der kleinere abmühte, ihn an seinen Beinen ans Ufer zu ziehen. Sie erinnerte sich, beide gestern Abend beim Empfang der neuen Siedler gesehen zu haben. Sie gehörten doch zu Keremvor, dem Bäcker, auf den sie schon länger gewartet hatten. Er hatte die Große Flut mit seinen drei Kindern vor sechs Jahren auf einem Berg im Süden überlebt, seine Frau verloren und war dann in Naranagar untergekommen. Dort hatte es wohl Probleme mit seinem ältesten Sohn gegeben, weshalb die Familie umgesiedelt worden war.

Melanorien kannte jeden ihrer Untertanen mit Namen und konnte die Verfassung jedes Einzelnen erfühlen. Sie kannte meist auch ihre persönlichen Geschichten, zumindest die seit der Großen Flut. Allzu viele Menschen hatten die Flut nicht überlebt, sodass sich derzeit in den beiden Siedlungen fünfundsiebzig Erwachsene und glücklicherweise schon etwa hundertzwanzig Kinder befanden. Die letzten Jahre hatten sie viel Arbeit in die gefluteten Gebäude und die umgebenen Ländereien gesteckt, um die Ernährung aller sichern zu können.

Als sich Melanorien wieder an die damaligen Szenen erinnerte, füllten sich ihre Augen mit Tränen. Wie hatte Ishtar das nur zulassen können? Die Rasse der Elonahim war nun schon so alt und erfahren und doch hatte es dazu kommen müssen. Erst hatten sie ein neues Volk nach ihrem Ebenbild erschaffen und dann hatten sie beinahe alles Leben auf der gesamten Welt zerstört, nur weil manche unter ihnen sich in dieses Volk verliebt hatten, was vom größten Teil als Frevel betrachtet worden war.

Kapitel 8: Die Rettung

Aranis blickte in die weinenden Augen seiner Schwester und sagte: „Danke … dir!“ Während er sprach, musste er heftig husten. „Wie auch immer du … es geschafft hast … mich zu retten.“

Arakira wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und Hoffnung kam in ihr auf. „Bei Ishtar, ich dachte schon, nun ist alles vorbei mit dir.“ Sie schluchzte noch etwas, konnte aber ein Lächeln auf ihren Mund zaubern. ‚Er lebt!‘

„Verdammt, wenn du doch nur nicht so fett wärst!“, schrie Marcus im Hintergrund.

Aranis und Arakira schauten verblüfft zum Wasser und sahen, wie Marcus sich immer noch damit abmühte, Keremvor aus dem See zu bekommen. Er hatte es noch nicht mal geschafft, ihn umzudrehen. Keremvors Gesicht war immer noch unterhalb der Wasseroberfläche.

Aranis sprang auf und rannte die paar Schritte zu Marcus, um ihm zu helfen. Gemeinsam schafften sie es nun, Keremvor auf den Rücken zu drehen und an Land zu ziehen. Er atmete jedoch nicht mehr.

Aranis sah Arakira Rat suchend an. Doch im Moment wusste sie leider auch nicht, was zu tun war. Irgendwie musste sie Keremvor dazu bringen, wieder wach zu werden, nachdem sie ihm gerade erst den Knauf des Messers mit voller Wucht auf den Kopf geschlagen hatte. Sie lehnte sich über ihn und horchte nach seinem Herzschlag.

„Bei Ishtar, er ist tot“, brachte sie mit gebrochener Stimme hervor. „Ich höre sein Herz nicht.“

Arakira konzentrierte sich auf die Lektionen, welche sie von ihrer Mutter erhalten hatte. Diese hatte sie gelehrt, die fließende Lebensenergie in Körpern zu spüren und aus der kosmischen Quelle kanalisierend zu erhöhen. Sie legte ihre Hände auf Keremvors Brust und fand nur noch wenig Lebensenergie in ihm. Schnell holte sie tief Luft und versuchte, Energie in ihn zu lenken, aber ihre momentanen Gefühle verhinderten dies, da dieser Junge erst vor wenigen Augenblicken ihren Bruder beinahe getötet hätte. Nur mit Liebesenergie wäre es ihr möglich, einen Heilungsprozess zu starten, aber momentan war sie einfach nicht in der Lage, Liebe für ihn in ihrem Herzen zu sammeln. In ihrer Verzweiflung rief sie im Geist ihre Mutter um Hilfe.

Kaum eine Sekunde später hörten alle drei Kinder ein Knistern und Knallen in der Luft. Es hallte, wie wenn es in den Bergen donnerte. Gleichzeitig entstand, nicht weit von ihnen entfernt, ein helles Licht und Melanorien trat daraus hervor.

Sofort kniete sie sich gegenüber von Arakira an Keremvors Seite und hielt ihre Hand auf dessen Bauch. Auch sie spürte sofort, dass nur noch wenig Lebenskraft in ihm war. Sie konzentrierte sich und wandelte mithilfe ihrer spirituellen Kräfte kosmische Energie in Lebensenergie um. Diese leitete sie sodann in Keremvors Körper, wodurch er erwachte.

Er schlug seine Augen auf und entleerte unter heftigem Husten seine Lunge von dem Wasser, welches er eingeatmet hatte. Dann stöhnte er auf, blickte in drei sehr verdutzte Gesichter, ohne diese jedoch wahrzunehmen, und sah einen Engel über sich gebeugt. Für einen kurzen Moment fühlte er die Wärme und Liebe, welche ihm entgegenströmte, und genoss dies mit langsam steigender Angst, dass es aufhören könnte. ‚Meine Mutter im Himmel liebt mich!‘, ging ihm durch den Kopf. Keremvor streckte seinen ganzen Körper und atmete tief ein. Beim Ausatmen schloss er die Augen. Als er sie wieder öffnete, war der Engel verschwunden. Melanorien hatte sich mit einem ähnlichen Lichtblitz wieder von diesem Ort entfernt. Dabei hatte sie noch zu Arakira, Marcus und Aranis im Geist gesprochen: ‚Lasst Keremvor seinen Glauben daran, was er gerade erlebt hat. Es ist besser für ihn und die gesamte Situation. Sein Geist wird einen Weg finden zu verstehen.‘

Keremvor blickte in die Gesichter von Arakira, Marcus und Aranis. Langsam kehrte er in die Realität zurück. An Marcus gerichtet sagte er: „Ich glaube, ich habe Mutter gesehen.“

„Oh, wie schön! Ich hatte auch so ein Gefühl“, sagte Marcus, und das war nicht einmal gelogen. Die wunderschöne Frau, die seinem Bruder gerade das Leben gerettet hatte, war auch für ihn wie ein Engel gewesen, und die Liebe, die sie verströmt hatte, hatte ihm das Herz erwärmt und dazu geführt, dass sämtliche Angst aus seinen Gliedern gefahren war. Die Angst um Keremvor, obwohl er ihn wegen seiner Neigung zu Gewaltausbrüchen nicht besonders mochte, die Angst vor der drohenden Bestrafung, wenn sein Vater von dieser Geschichte hören sollte, und dann noch die Angst vor Arakira, die so viel Mut und Entschlossenheit gezeigt hatte. An die Stelle der Angst war jedoch ein Gefühl von Unsicherheit getreten, weil er nicht wusste, wie er sich jetzt verhalten sollte. Aber eigentlich fühlte er sich neben Keremvor immer unsicher, und meistens gab es dafür auch einen Grund.

Arakira und Aranis schauten sich gegenseitig in die Augen und dann etwas verwundert auf Marcus. Mit seinem haselnussbraunen Lockenkopf sah er eigentlich recht sympathisch aus. Etwas dünn war er für einen Bäckerssohn, ganz im Kontrast zu Keremvor. ‚Der hat ihm wohl alles weggegessen‘, dachte Aranis und schmunzelte etwas bei diesem Gedanken.

„Was war hier eigentlich los?“, fragte Keremvor. „Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass Vater aufgebrochen ist, um zu arbeiten, und wir noch nicht so genau wussten, was wir machen wollen. Wie komme ich hier ans Ufer und warum bin ich so nass?“

„Das kann ich dir sagen“, begann Aranis, bevor irgendjemand anderes antworten konnte, doch dann kniff Arakira ihn in die Seite und blickte ihm vielsagend in die Augen, um ihn spüren zu lassen, dass wohl eher Marcus darauf antworten sollte.

Marcus begriff diesen Wink ebenfalls und stieg ein. „Du wolltest mit uns ans Ufer gehen und dort haben wir diesen Jungen getroffen, der am Schwimmen war. Er hatte seine Sachen am Ufer gelassen und du hast Julichee gesagt, dass er sie im Wald verstecken soll. Um ihm etwas Zeit zu verschaffen, hast du dich mit dem Jungen angelegt, doch das ist dir schlecht bekommen.“

„Ich heiße Aranis und ich hatte dich vorher gewarnt“, unterbrach Aranis den Wortschwall von Marcus, woraufhin Arakira die Augen kurz zum Himmel drehte. Aber sie verstand, wo das nun hinführen sollte. Aranis wollte nicht, dass Keremvor erfuhr, dass sie es war, die ihn niedergestreckt hatte – wobei ihr in diesem Moment bewusst wurde, dass Aranis es selbst nicht sicher wissen konnte, denn ihm war ja auch schwarz vor Augen geworden.

Keremvor schaute Aranis etwas verwundert an, der immer noch nur mit einem Lendenschurz bekleidet war. Er sah zwar sehnig aus, aber wie sollte er ihn besiegt haben?

Plötzlich fiel ihm auf, dass Julichee gar nicht bei ihnen war. „Wo ist Julchen eigentlich?“

Marcus antwortete: „Ich weiß auch nicht, er ist nicht aus dem Wald zurückgekehrt“, und schaute dabei Arakira fragend an.

„Ich habe ihn beim Verstecken der Sachen gesehen. Dann ist er vor mir davongelaufen und in ein Gestrüpp gestolpert. Ich vermute, die Dornen halten ihn da immer noch fest.“

Keremvor stand auf und ging auf Aranis zu. „Ich weiß zwar immer noch nicht, wie du es geschafft haben sollst, mich bewusstlos zu schlagen, aber wahrscheinlich habe ich wieder einen meiner Anfälle gehabt und nicht richtig aufgepasst. Egal, hier meine Hand, auf dass wir uns vertragen.“

Mit einem Lächeln im Gesicht nahm Aranis die Hand und drückte fest zu. Keremvor erwiderte den Druck und lachte. „Ha, kräftig bist du jedenfalls, das gefällt mir.“

Marcus blickte verdutzt auf die Szene. Er hatte noch nie gesehen, dass Keremvor jemandem nach einem Streit freiwillig die Hand gab. ‚Der Engel hat wohl noch mehr geheilt als gedacht.‘

„So, nun lass uns Julchen suchen gehen, ihn aus seinem Unglück befreien und dann ein Lagerfeuer machen. Mir ist ganz schön kalt in den nassen Sachen“, sagte Keremvor und ging in Richtung Wald.

Marcus ging ihm zögerlich hinterher, drehte sich aber noch einmal zu Arakira um. „Ich heiße übrigens Marcus. Und das ist mein älterer Bruder Keremvor. Es wäre schön gewesen dich unter anderen Umständen kennenzulernen.“

„Das kann man wohl so sagen“, entgegnete Arakira etwas zögerlich und verwundert über Marcus’ Ausdrucksweise. „Ich heiße Arakira und komme mit euch, denn ich weiß ja, wo ich Julichee zuletzt gesehen habe.“

Aranis rannte mit seinen Sachen hinter ein Gebüsch und zog sich schnell um. Den nassen Lendenschurz hängte er in die Sonne. Danach rannte er den anderen hinterher, denn er wollte Arakira auf keinen Fall mit den Jungen allein lassen.

Kapitel 9: Große Erleichterung

Rebecca saß immer noch am Brunnen, hielt Erilea in den Armen und versuchte sie zu trösten. Ohne ein Wort wusste Rebecca, wo Erilea mit ihren Gedanken war. Erilea hatte während der Großen Flut ihre ganze Familie verloren. Sie selbst hatte nur deswegen überlebt, da Rebecca geträumt hatte, dass Wasser kommen würde, um alles zu zerstören. Rebecca hatte ihre Familie davon überzeugen können, ins Hochgebirge zu gehen, um Feuerholz zu sammeln, was sowieso notwendig war. Ihre Familie hatte zum damaligen Zeitpunkt bereits einige Erfahrungen mit Rebeccas Fähigkeit gemacht, kommende Ereignisse vorherzusagen, sodass sie deren Warnung nicht als die Spinnerei eines kleinen Kindes abtat. Sie bat Erilea und ihre Familie, sich anzuschließen, aber Erileas Eltern nahmen Rebeccas Traum nicht ernst und wollten wegen so etwas keinen Arbeitstag auf den Feldern opfern. Jedoch erlaubten sie ihrer Tochter mitzugehen, da sie ein sechsjähriges Mädchen während der Arbeit eh nicht gebrauchen konnten.

Durch das Gespräch auf dem Schießplatz war Erilea in diese Zeit zurückversetzt worden und hatte erneut den großen Verlust gespürt. Erilea schluchzte und ein leichter Schauer durchfuhr ihren zerbrechlichen Körper. Meistens war sie stark und dachte nicht viel über diese schreckliche Szene nach, als sie nach ein paar Wochen im Wald in ihr kleines Dorf zurückkehrten. Rebeccas aktuelle Vorhersage sowie ihre Angst hatten Erilea tief getroffen und diese alte Wunde in ihrem Herzen wieder geöffnet.

„Es ist alles in Ordnung. Ich freue mich, dass du bei mir bist. Ich freue mich, dich als meine Schwester zu haben, und liebe deine Gesellschaft“, flüsterte Rebecca Erilea ins Ohr, während sie diese noch immer umarmte.

„Danke, Rebecca! Ich freue mich auch, mit dir zusammen zu sein.“ Erilea kehrte in die Gegenwart zurück und ihr Schluchzen ließ allmählich nach.

Sie sah in Rebeccas weiche, graublaue Augen und erkannte, dass ihre Angst ebenfalls verschwunden war. Ihr zuvor blasses Gesicht hatte wieder etwas Farbe bekommen.

„Du siehst schon wieder deutlich besser aus. Was ist mit den Schmerzen in deiner Brust?“, fragte Erilea.

„Die haben sich vor wenigen Augenblicken in ein Gefühl der Erleichterung und Entspannung verwandelt. Der Verlust, den ich empfand, wurde irgendwie verhindert, denke ich.“

Rebecca öffnete ihre dunkelbraunen Zöpfe, massierte ihren Kopf mit beiden Händen, um die letzten Verspannungen loszuwerden, und band ihr Haar dann wieder mit ihrem Lederband zusammen.

„Wollen wir unser Training fortsetzen?“, fragte Rebecca mit wiedergewonnener Bestimmtheit.

Erilea sah ihre Zielscheiben an und nickte. „Ja, ich denke, das ist das Beste, um diese beunruhigenden Gefühle, die wir hatten, abzuschütteln.“

Die beiden jungen Mädchen standen auf und gingen zurück zum Schießstand. Die ersten zwei bis drei Zwölf-Pfeil-Salven waren nicht so erfolgreich, aber dann kamen sie wieder in ihren Rhythmus und trafen fast mit jedem Pfeil ins Schwarze.

Kapitel 10: Julichees Erlebnis mit einem Fuchs

„So ein Rotzbusch! Au!“ Julichee hatte schon den soundsovielten Zweig von seiner Kleidung entfernt, doch immer wieder verhedderte er sich aufs Neue oder ein Zweig, den er schon überwunden hatte, schnellte aus seiner weggebogenen Stellung zurück, nur um dem armen Jungen noch mehr Pein zu verursachen.

„Hilfe! Warum ist hier denn niemand?“

Er hatte schon so oft gerufen, aber niemand war gekommen, um ihn aus seiner misslichen Lage zu befreien.

‚Warum gehst du auch allein in den Wald, und noch dazu, um andere zu ärgern?‘, dachte sich die Eule, welche ihm schon die ganze Zeit fasziniert dabei zusah, wie ungeschickt er sich anstellte. Von ihrem erhöhten Platz auf einem nahe gelegenen Baum schaute sie nun zum Strand und sah, wie sich ein paar Kinder näherten. ‚Na also, Kleiner, deine Rettung naht ja schon. Dann kann ich mich ja jetzt zu meinem Schlafplatz begeben.‘ Die Eule flog lautlos tiefer in den Wald und entdeckte dabei einen Fuchs, der sich Julichees Kampf ebenfalls ansah. Langsam traute er sich näher an den immer noch am Boden liegenden Jungen heran. Irgendwie fühlte er sich zu ihm hingezogen. Er kroch unter den Busch und biss ein paar Zweige ab, um ihm zu helfen. Julichee erschrak zwar zunächst, aber erkannte dann sehr schnell, dass der Fuchs ihm nur helfen wollte.

„Oh, hallo, du bist aber ein Netter“, sprach Julichee ihn an. Der Fuchs schaute dem Jungen ins Gesicht und legte den Kopf etwas schief. Dann beschäftigte er sich wieder mit den Zweigen und bekam Julichee Stück für Stück frei. Gerade als dieser wieder aufstehen konnte, kamen die anderen Kinder zwischen den nahe stehenden Büschen hervor, Arakira voran.

„Du schon wieder! Lass mich bloß in Ruhe, sonst …“ Julichee stockte. Erst wusste er gar nicht so genau, womit er diesem Mädchen eigentlich drohen sollte, aber dann kam ihm der Fuchs in den Sinn. Gerade als er ansetzte, seinen Gedanken in Worte zu fassen, sah er jedoch auch seine beiden Brüder sowie den Jungen vom See aus dem Gebüsch hervortreten.

„Was zum …?!“

Wieder war Julichee sprachlos. Bevor er sich fassen konnte, erwiderte Arakira: „Wir sind gekommen, um dich aus dem Dornenbusch zu befreien, aber wie ich sehe, hast du da einen kleinen Freund gefunden, der das schon erledigt hat.“

Sie schaute den jungen, niedlichen Fuchs voller Liebe an. Da bemerkte sie, dass der letzte Dornenzweig, den er durchgebissen hatte, ihm nun zwischen den Zähnen hing und hier und da ins Zahnfleisch pikste. Das Ding wollte einfach nicht herausgehen. Mit der linken weißen Vorderpfote versuchte er vergebens, den Zweig aus dem Maul zu bekommen, und jedes Mal, wenn er den Zweig berührte, bohrte sich ein Dorn noch tiefer in den Gaumen. „SCHMERZ“, drang in sein Bewusstsein und durch die emotional gerade aufgebaute Verbindung auch in das von Arakira. In dem Augenblick schaute sie Julichee an und leitete diese Schmerznachricht unbewusst an dessen Bewusstsein weiter. Denn auch mit ihm hatte sie eine frische emotionale Beziehung, wenn auch eher eine negativ geprägte.

Davon wusste Julichee jedoch rein gar nichts. Darum erschrak er fürchterlich, als er ganz plötzlich das Wort ‚Schmerz‘ deutlich in seinem Inneren hörte, während er in die Augen des Fuchses schaute. So etwas war ihm noch nie passiert. Aber bevor er sich erlaubte darüber nachzudenken, kam er in Aktion, beugte sich zu dem Fuchs hinunter und hielt mit der linken Hand vorsichtig seine Schnauze fest. Der Fuchs hielt dabei völlig still, scheinbar hatte ihn seine Angst vor dem drohenden Schmerz paralysiert. Mit geschärftem Blick, so als hätte das Wort ‚Schmerz‘ ihm alle Ablenkungen aus dem Kopf gefegt, schob Julichee den Zeigefinger seiner rechten Hand in das Maul des Fuchses und bog den Zweig nach unten, weg vom Gaumen. Mit den anderen Fingern schob er den Zweig langsam aus dem Maul heraus. Sofort ließ er das Maul los und sprang einen Schritt zurück – weniger aus Angst als aus Überraschung über das, was er gerade getan hatte, und natürlich in gespannter Erwartung, was der Fuchs nun tun würde. Das Wort ‚Schmerz‘ war nur noch schwach als Nachhall in seinem Kopf zu vernehmen. Der Fuchs leckte sich seinen Gaumen, wobei er den Kopf immer wieder nach unten beugte und dann kurz danach die Zunge zum Vorschein kommen ließ. Julichee kniete sich zu ihm hinunter und streichelte ihn mehrfach über den Rücken.

„Danke, dass du mir da rausgeholfen hast!“, sagte er mit Verwunderung in den Augen.

‚Ich danke dir. Den Zweig wäre ich allein wohl nie losgeworden‘, hallte es in seinem Kopf.

„Was zum …?! Ich kann ja deine Gedanken lesen!“, sprudelte es aus Julichee heraus.

Arakira bemerkte nun, dass sie die Gedanken des Fuchses die ganze Zeit an den Jungen weitergeleitet hatte und umgekehrt auch die von Julichee an den Fuchs. Doch wie war das möglich? Sie hatte von ihrer Mutter in einer ihrer Unterrichtsstunden gehört, dass dies eine höhere Form von Telepathie sei. Melanorien war als Vertreterin der Spirituellenkaste auch die einzige Lehrerin der geistigen und mentalen Fähigkeiten, welche ihnen hier in der Stadt zur Verfügung stand. Arakira stoppte nach diesem Gedankenausflug die geistigen Verbindungen, denen sie immer mehr Energie zugeführt hatte. Zumindest stoppte sie ihren Energiefluss, denn dieser hatte doch ganz schön Kraft gekostet. Sie setzte sich ins Gras und beobachtete Julichee, wie dieser staunend den Fuchs weiter streichelte. Julichee hörte noch: ‚Das tut gut‘, in einem sanften Ton, bevor seine wie auch immer zustande gekommene Verbindung mit dem Fuchs abbrach. „Schade, jetzt ist es weg. Ich wollte dir nämlich noch sagen, dass ich dich ganz doll lieb hab’“, quetschte Julichee etwas verlegen aus sich heraus. Und damit kam die Verbindung plötzlich wieder zustande. Er empfing Freude und die gleichen Liebesgefühle zurück. Dieses Gefühl war so stark, dass ihm die Tränen aus den weit aufgerissenen Augen kullerten. Er war glücklich und hatte so etwas noch nie in dieser Fülle empfunden. Der Fuchs spürte die Verbindung ebenfalls und die Liebe von Julichee. Eins war klar: Julichee gehörte nun zu seiner Rotte, er war sein erster Freund.

Arakira beobachtete die beiden still und stellte verwundert fest, dass sie weiter miteinander kommunizierten. Und das, obwohl sie sich absolut sicher war, dass sie nun keine Übertragung mehr zwischen ihnen stattfinden ließ. Wie war das nur möglich?

Kapitel 11: Beim Bogenschießen

Arakira und Aranis kamen gerade noch rechtzeitig zurück ins Schloss, um an ihrem Unterricht teilzunehmen. Heute Morgen war als Erstes eine weitere Lektion im Bogenschießen angesetzt. Sie begaben sich also alle in den Burghof auf die Schießanlage. Ursprünglich hatte ihnen ihre Mutter vor etwa sechs Jahren das Bogenschießen nähergebracht. Nun wurde diese Fähigkeit von einem aus ihrem Volk, einem Elonahim, gelehrt. Die drei neuen Geschwister Keremvor, Marcus und Julichee hatten von Arakira und Aranis erfahren, dass Kinder und Jugendliche in verschiedenen Lektionen ausgebildet wurden. Es gab den Standardunterricht für alle und nach dem ersten Jahr durften sie sich dann Spezialfächer aussuchen, welche sie als besonders interessant empfanden. Jeder bekam also die Chance, sich in seinen Vorlieben besonders zu verbessern. Melanorien hatte in der Vergangenheit mehrfach festgestellt, dass Menschen dann besonders gut zum Allgemeinwohl beitragen konnten, wenn ihnen ihre Arbeit Spaß machte und sie ihre Talente voll ausschöpfen durften. Diese Sichtweise versuchte sie als Herrscherin nun umzusetzen und hatte damit Stück für Stück Erfolg.

Während sich die anderen schon einschossen, suchte Beltarien drei Bögen für die Neulinge aus. Er erklärte ihnen erst einmal die Regeln, zum Beispiel dass sie nur dann schießen durften, wenn er oder ein von ihm ausgesuchter Vertreter die Ziele freigegeben hatte. Denn dann sei garantiert, dass niemand mehr im Schussfeld stehe und durch einen Pfeil eines anderen getroffen werden könne. Dies galt ausnahmslos für alle, egal wie erfahren der Schütze schon war. Jeder schoss nacheinander drei Pfeile auf seine Zielscheibe und wartete dann, bis alle fertig waren und Beltarien wieder ein Zeichen gab, dass sie nun ihre Pfeile holen durften. Erfahrenere Schützen, welche schon am Schnellschusstraining teilnahmen, durften auch mehr Pfeile schießen. Nun zeigte Beltarien allen dreien, wie sie ihren Bogen spannen mussten, und half Julichee dabei, denn dieser hatte noch nicht die notwendige Kraft und Koordination, um dies allein zu bewerkstelligen.

„Nun stellen wir erst einmal fest, welches euer dominantes Auge ist“, sagte Beltarien und blinzelte abwechselnd mit seinen beiden Augen, wobei er unwillkürlich seine Mundwinkel abwechselnd nach oben zog.

Julichee lachte und rief: „Du kannst ja mit deinem Gesicht schaukeln.“

Beltarien schaute ihn interessiert an und sagte in freundlichem Ton: „Dann lass uns gleich mal mit dir beginnen. Halte deinen linken Arm nach vorne und bilde mit dem Daumen und dem Zeigefinger einen Kreis. Beide Augen müssen dabei geöffnet sein. Umrahme damit die Mitte der Zielscheibe da vorne. Nun mache das linke Auge zu. Ist die Mitte der Zielscheibe noch zwischen deinen Fingern?“

„Ja“, antwortete Julichee.

„Gut, dann ist dein rechtes Auge das dominante Auge. Dieses gilt es beim Schießen so nah wie möglich an den Pfeil zu bringen. Das heißt, du wirst den Bogen in der linken Hand halten.“ Beltarien wandte sich nun zu Marcus und Keremvor: „Nun seid ihr dran. Macht es eurem kleinen Bruder nach.“

Keremvor sah die Mitte noch, während Marcus verdutzt dreinschaute, denn bei ihm war das Loch plötzlich von der Scheibe weggesprungen.

„Ah, Marcus, bei dir sieht es so aus, als wäre dein linkes Auge das dominante. Du hältst den Bogen also mit der rechten Hand. So, nun bekommt ihr noch einen Arm- und Fingerschutz von mir. Marcus, du ziehst dir den Armschutz an den rechten Unterarm, während ihr beiden anderen ihn am linken Arm anlegt. Ich helfe euch gleich mit den Schnüren.“

Julichee staunte über das dicke Leder und genoss dessen Geruch. Irgendetwas in ihm wurde berührt, als er diesen Geruch in der Nase hatte. Beltarien beobachtete Julichee kurz aus den Augenwinkeln und konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. ‚Der Kleine hat einen aufgeweckten Geist‘, dachte er. ‚Er betrachtet die Welt intensiver als andere.‘

„Diese Armschienen schützen euch in dem Fall, dass ihr euren Bogenarm zu sehr durchdrückt und die Bogensehne dann nach dem Loslassen auf euren Unterarm schlägt anstatt an ihm vorbei.“

Um dies zu veranschaulichen, nahm Beltarien einen Bogen in seine linke Hand und beugte den Arm etwas durch, während er mit der anderen Hand eine kurze Ziehbewegung andeutete und dann den Weg, den die Bogensehne nehmen würde, aufzeigte. Danach überdehnte er den Arm etwas und bewegte seine Hand nun hart auf den Unterarm zu. Es war für alle deutlich, dass dies Schmerzen verursachen würde.

„Nun zeige ich euch noch, was das auf eurem Arm verursacht.“ Er nahm seinen Armschutz ab und zeigte ihnen einen blau gefärbten Abdruck, wo die Bogensehne aufgetroffen war. Die Kinder schauten sich diesen voller Staunen und ein wenig erschrocken an. Marcus fragte: „Aber wieso hast du diese blauen Flecken auf deinem Unterarm? Warum hast du nicht selbst einen Armschutz genutzt?“

Da sagte Julichee leise und etwas fragend: „Weil du … wolltest, dass wir es sehen?“

Beltarien schaute ihm in die Augen und nickte. Das Gleiche tat er mit Marcus und Keremvor.

‚Diesen Anblick werden sie hoffentlich ihr Leben lang nicht vergessen.‘

Marcus war fast schon entsetzt.

„Du hast dir selbst Schmerzen zugefügt, um uns etwas beizubringen? Woher weißt du, ob wir es wert sind?“

„Allein, dass du diese Frage stellst, gibt mir Hoffnung“, stellte Beltarien mit einem Lächeln fest. Nun wandte er sich zu Keremvor und half ihm beim Festbinden der Armschiene, nachdem die beiden Jüngeren fertig waren.

„Und wo bist du so mit deinen Gedanken?“, fragte er ihn, ohne von der Armschiene aufzuschauen.

Keremvor atmete tief ein und aus und wirkte dabei etwas niedergeschlagen.