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In einem früheren Leben war Martha ein gefeierter Star. Doch Ruhm und Reichtum sind schon lange dahin, nur das Haus in der Dordogne ist ihr geblieben. Um nicht endgültig pleitezugehen, muss sie widerwillig Feriengäste aufnehmen. Zuerst bestätigen sich ihre schlimmsten Erwartungen, die Familie mit Kindern macht richtig viel Stress. Dann aber trifft noch ein weiterer Gast ein, Max. Irgendwie schafft er es, Ordnung ins Chaos zu bringen. Und so kann er losgehen, Marthas Sommer voller Kirschen ...
Zauberhafter Roman über zweite Chancen und einen unverhofften Neuanfang
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Seitenzahl: 527
Veröffentlichungsjahr: 2020
In einem früheren Leben war Martha ein gefeierter Star. Doch Ruhm und Reichtum sind schon lange dahin, nur das Haus in der Dordogne ist ihr geblieben. Um nicht endgültig pleitezugehen, muss sie widerwillig Feriengäste aufnehmen. Zuerst bestätigen sich ihre schlimmsten Erwartungen, die Familie mit Kindern macht richtig viel Stress. Dann aber trifft noch ein weiterer Gast ein, Max. Irgendwie schafft er es, Ordnung ins Chaos zu bringen. Und so kann er losgehen, Marthas Sommer voller Kirschen …
Zauberhafter Roman über zweite Chancen und einen unverhofften Neuanfang
Kate Glanville wurde als Tochter irischer Eltern in Westafrika geboren. Heute lebt sie mit ihrem Mann, drei Kindern, vier Katzen und einem Hund in einem kleinen Dorf in Wales. Sie hat Modedesign studiert und in der Textilbranche gearbeitet, bevor sie eine sehr erfolgreiche Keramikerin wurde. Ihre kunstvollen Keramikarbeiten werden in Geschäften und Galerien auf der ganzen Welt verkauft, auch Prinz Charles, Madonna und Robbie Williams gehören zu ihren Kunden. Seit sie acht Jahre alt war, …
Kate Glanville
Roman
Aus dem Englischen vonEva Bauche-Eppers
Vollständige eBook-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Deutsche Erstausgabe
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2019 by Kate Glanville
Titel der englischen Originalausgabe: »Moondancing«
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Birgit Volk
Umschlagmotive: © shutterstock: schankz | Galyna Andrushko | Fotokostic |
l i g h t p o e t | poomooq | Leonid Andronov | Borisb17 | Dimmitry;
© Flora Press: Daniela Behr; © iStockphoto: Mary Ann Lewis
Umschlaggestaltung: Kirstin Osenau
eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-8602-8
www.luebbe.de
www.lesejury.de
London, 1992
Sie trat aus dem Haus und spürte die eisige Nachtluft wie Nadelstiche im Gesicht. Hinter ihr schloss sich die Tür, der Stechpalmenkranz schwang leicht hin und her wie ein letztes Winken zum Abschied. Drinnen hatte jemand White Christmas angestimmt, man hörte den gedämpften Gesang der Gäste bis auf die Straße hinaus.
»Sei vorsichtig«, sagte ihr Mann, der vor ihr ging und den leeren Kinderwagen die Eingangstreppe hinuntermanövrierte. »Es hat gefroren.«
»Ich passe schon auf.« Das Baby im Arm, die freie Hand am Geländer, tastete sie sich auf ihren hohen Absätzen Stufe um Stufe nach unten. Ihr Mann stand inzwischen auf dem Bürgersteig und schaute von dort zu ihr hinauf.
»Eigentlich hatten meine Eltern bei ihrer Einladung an einen besinnlichen Heiligabend gedacht. Eine kleine Feier mit Freunden und Familie. Ich verstehe nicht, warum du immer glaubst, dich in Szene setzen zu müssen.«
Er klang gereizt, und sie hielt es für besser, nicht zu antworten. Am Fuß der Treppe angelangt, bückte sie sich, um den Kleinen in den Kinderwagen zu setzen und anzuschnallen.
Ihr Mann zog seine Lederhandschuhe an, langsam und sorgfältig, ein pedantisches Ritual. »Und du weißt, dass mein Vater es nicht leiden kann, wenn man auf seinem Steinway etwas anderes spielt als Chopin.«
Sie blickte auf und zwang sich zu einem Lächeln. »Aber den Gästen hat es gefallen, oder nicht? Die Frau in dem Twinset konnte jedes Lied mitsingen.«
»Trotzdem hättest du nicht die ganzen alten Schnulzen zu Gehör bringen müssen.«
»Die Leute haben sich die Songs gewünscht, und ich wollte nicht unhöflich sein.« Die Plastikschnalle des Gurts rutschte ihr aus den klammen Fingern. »Entschuldige, cariad.« Ihr Söhnchen, Owen, warm verpackt in einen wattierten Schneeanzug, strampelte ungeduldig, als ihr die Schnalle ein zweites Mal entglitt. Sie gab ihm einen Kuss auf die Nasenspitze. Der Kleine lachte glucksend.
Endlich gelang es ihr, den Gurt zu schließen. Als sie sich aufrichtete, wurde ihr für einen Moment schwindelig – der Champagner machte sich bemerkbar.
»Jetzt mal los.« Ihr Mann schob sie zur Seite und bemächtigte sich des Kinderwagens.
»Warum lässt du mich nicht …« Aber er stapfte schon, als hätte er nichts gehört, mit energischen Schritten die menschenleere Straße hinunter. Seine langen Mantelschöße schwangen hin und her, die Räder des Kinderwagens ratterten über die Gehwegplatten, beides im Takt der Melodie, die durch ihren Kopf kreiste. Es war der Song, den sie zum Abschluss gesungen hatte.
In my sleep I feel you kiss me …
Sie bemühte sich, ihn einzuholen, aber auf ihren hohen Absätzen hatte sie keine Chance, und da er keine Anstalten machte, auf sie zu warten, blieb sie immer weiter zurück.
And your lips whisper a love poem …
Die weißen Atemwolken vor ihrem Mund erinnerten sie an die verbotene Zigarette, die sie mit der Frau des Vorstandsvorsitzenden auf dem Balkon geraucht hatte.
Then I awake und find you’re with me …
Reif glitzerte auf den Treppengeländern vor den Häusern, und das Kopfsteinpflaster glänzte silbrig im Licht der Straßenlaternen.
We ask the band to play our tune …
Ein feiner Nebel hing in der Luft, verdichtete sich zum Ende der Straße hin und hüllte ihren Mann und den Kinderwagen in einen weißlichen Schleier.
We are moving in the starlight …
Das Lachen einer Frau hallte überlaut durch die nächtliche Stille. Es kam von der gegenüberliegenden Straßenseite, wo eben drei Leute in Feierlaune aus der Tür eines Pubs stolperten.
And I am dancing on the moon.
Autoscheinwerfer geisterten durch den Nebel, ein gelbes Taxi näherte sich. Der Lichtkegel des Scheinwerfers erfasste die Frau und ihre beiden männlichen Begleiter.
»Martha?«, rief die Frau über die Straße. Sie trug einen bodenlangen, pinken Pelzmantel. »Martha Morgan, sind Sie’s wirklich?«
»Eine von uns!«, rief einer der beiden Männer, und der unüberhörbare walisische Zungenschlag verriet, wo seine Wiege gestanden hatte. Er begann zu singen:
»Calon lan yn llawn daioni …« Ein reines Herz voller Güte …
Martha lächelte. Sie blieb stehen und sang die nächste Zeile mit:
»Tecach yw na’r lili dlos …« Ist schöner als die schönste Lilie …
Das Taxi fuhr vorbei, und dahinter überquerte das Trio leicht schwankend die Straße.
»Dieses komische Kauderwelsch versteht doch kein Mensch«, beschwerte sich der zweite Mann.
»Vorsicht, Engländer! Diskriminierung von Minderheiten.« Der Waliser umfasste Marthas Hand und schüttelte sie voller Begeisterung. »Als Ihre Band in Glastonbury dieses Lied gesungen hat, war Walisisch für einen magischen Moment weltweit die Sprache der Herzen.«
»Ich war ein Riesenfan.« Die Aussprache der Frau war ein wenig undeutlich, offenbar war der Abend bisher recht feucht-fröhlich verlaufen. Sie breitete die Arme aus. »Ich liebe Sie, Martha Morgan.«
»Vielen Dank.« Martha lachte und erwiderte die Umarmung. Dem pinkfarbenen Pelzmantel entströmte ein Geruch nach Bier, Zigarettenrauch und Parfum. Martha fühlte sich in die Künstlergarderoben zurückversetzt, die sie während ihrer gemeinsamen Bühnenzeit mit Cat geteilt hatte.
»Und ich liebe Moondancing«, schwärmte die Frau. »Bei dem Song habe ich meinen ersten Kuss bekommen.« Sie stimmte das Lied an, das eben noch die Gäste ihrer Schwiegereltern in nostalgische Seligkeit versetzt hatte. »In my sleep I feel you kiss me …«
»And your lips whisper a love poem …«, sang Martha und improvisierte zusammen mit der Frau ein paar Tanzschritte, bis beide vor Lachen nicht mehr konnten und stehen blieben. Martha hatte für einen Moment das Gefühl, dass der Boden unter ihren Füßen schwankte, und machte unwillkürlich einen Schritt nach hinten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Der Engländer legte ihr den Arm um die Schultern und hielt sie fest.
»Ich mochte immer den Song mit der Kellnerin in der Cocktailbar.«
»Das war Human League, du Kunstbanause«, tadelte ihn der Waliser.
Martha konnte nicht aufhören zu lachen. »Ich wundere mich, dass ihr euch überhaupt noch an East of Eden erinnert. Wir haben uns doch schon vor Ewigkeiten getrennt.«
»Wo bleibst du denn?« Die Stimme aus dem Nebel tönte hohl zu ihr herüber, aber der scharfe Ton war nicht zu überhören. Marthas Lachen erstarb, sie spähte die Straße hinunter und sah ihren Mann ein gutes Stück entfernt als Silhouette im diffusen Schein einer Straßenlaterne stehen. Ganz leise hörte sie Owen weinen.
»Ich muss gehen.«
»Kann ich ein Autogramm haben?« Die Frau wühlte in ihrer Handtasche, ein Lippenstift und ein Mistelzweig aus Plastik fielen heraus.
»Tut mir leid, aber mein Mann …« Martha löste sich aus der Umarmung des Engländers.
»Ich weiß genau, dass ich hier irgendwo …«
Martha spürte plötzlich jedes Glas Champagner, das sie an diesem Abend getrunken hatte, ganz besonders das eine Glas zu viel.
»Dann müssen wir improvisieren.« Die Frau hielt ihr den Stummel eines Kajalstifts hin und eine Weihnachtskarte mit vielen Knicken. »Würden Sie hier unterschreiben?«
Martha kritzelte hastig ihren Namen auf die Karte.
»Und gewähren Sie mir einen Kuss, nach altem Brauch?« Der Waliser hatte den Mistelzweig aus Plastik vom Boden aufgehoben und hielt ihn hoch.
»Ich muss gehen«, wiederholte Martha. Der Nebel hatte ihren Mann und den Kinderwagen verschluckt.
»Nur ein harmloser Kuss auf die Wange. Von Ihrem größten Fan.«
»Nein!« Martha wandte sich ab und hastete den Bürgersteig entlang. Auf der Straße tauchten wieder Lichter auf, ein Auto schälte sich aus dem Dunst.
»Ich wette, die Mädels von Human League hätten sich nicht zwei Mal bitten lassen«, rief der Mann hinter ihr her.
Das grelle Scheinwerferlicht des näher kommenden Autos blendete Martha. Sie hoffte, dass ihr Mann gewartet hatte, und ging schneller. Vor einem Laden stand Müll zur Abholung bereit. Sie trat vom Bürgersteig herunter, um dem Hindernis auszuweichen, und rutschte auf der gefrorenen Pfütze einer Flüssigkeit aus, die aus einer der schwarzen Tüten gesickert war. Ihr Fuß knickte um, ein stechender Schmerz schoss durch ihren Knöchel, sie schrie auf. Dann kreischten Bremsen, Lichtkegel schlingerten von einer Straßenseite zur anderen. In Panik wollte sie zurück auf den Bürgersteig flüchten, aber der dünne Stiefelabsatz klemmte zwischen den Pflastersteinen fest, und sie brauchte eine verhängnisvolle Sekunde zu lang, um sich zu befreien. Sie sah den Wagen auf sich zukommen, spürte einen harten Schlag und erlebte einen Augenblick der Schwerelosigkeit, als sie durch die Luft flog. Sie hörte noch den entsetzten Ausruf des Walisers: »O mein Gott! O mein Gott!«, dann nichts mehr. Dunkelheit.
Es war heiß. Sogar auf der schattigen Veranda fühlte man sich wie in einem Backofen. Schweiß sammelte sich unter dem Verschluss von Marthas BH und lief als kleines Rinnsal an ihrer Wirbelsäule hinunter. Sie hörte auf zu fegen, stützte sich auf den Besen und schob die Sonnenbrille in die Stirn, um den jungen Mann zu beobachten.
Ihm schien die Hitze nichts auszumachen, jedenfalls montierte er konzentriert und zügig den abgerissenen Fensterladen an die Wand. Er hatte bereits das weinberankte Spalier wieder aufgerichtet und die ramponierte Laube am Pool repariert. Martha fragte sich, wie alt er wohl war. Er hatte das Hemd ausgezogen und zahlreiche Tätowierungen auf der schmalen Brust und den sehnigen Armen entblößt: Tauben und Blumen, eine trotzig geballte Faust. Die Jeans hing tief auf den jungenhaft schlanken Hüften und ließ die Schrift auf dem Bund seiner Boxershorts sehen. Anfang zwanzig höchstens, etwa im selben Alter wie Owen.
Martha fegte weiter, das rhythmische Schaben des Besens auf den Terrassenplatten erinnerte sie an das Intro eines Songs, den sie und ihre Mutter bei Spaziergängen am Strand von Abertrulli zu singen pflegten. Später war sie dann die Mutter gewesen. Sie hatte Owen im Kinderwagen durch den Sand geschoben und ihm das Lied vorgesungen:
Under the boardwalk down by the sea …
Die Zikaden in den Pappeln bildeten den Background-Chor.
… on a blanket with my baby is where I’ll be.
Martha sah Owen vor sich, wie er sie angelacht hatte. Seine Bäckchen waren von dem scharfen Wind gerötet, der von der Cardigan Bay landeinwärts wehte, seine großen braunen Augen funkelten verschmitzt, während er sich zum hundertsten Mal die Fäustlinge von den Händen zog und sie aus dem Kinderwagen fallen ließ.
Sie hörte auf zu kehren und richtete sich auf. Sie wollte sich nicht an Owens Lachen erinnern, nicht an seine Handschuhe und am allerwenigstens an seine braunen Kulleraugen.
In einem Roman wäre dieser junge Mann ihr Sohn Owen gewesen, der sich nach vielen Jahren auf die Suche nach seiner Mutter gemacht hatte, aber die Tattoos und die Piercings und die billigen Jeans sagten ihr, dass er nie und nimmer Owen sein konnte. Dieser Junge war nicht unter der Ägide von Andrew Frazer aufgewachsen, in einer Welt der Privilegien und starrer Konventionen.
Sie unterzog den Jungen einer neuerlichen Musterung. Er drehte ihr den Rücken zu, und sie sah das eintätowierte Reptil, das sich über seine Schultern wand, ein Drache, wie sie erkannte, als er sich zur Seite drehte, um nach etwas zu greifen. Die blauen Schuppen wirkten wie Blutergüsse auf seiner blassen Haut. Was er wohl zu dem winzigen Schmetterling an ihrem linken Oberschenkel sagen würde? Ob er überrascht wäre? Ihm musste sie uralt vorkommen, viel älter, als sie tatsächlich war, mit ihrem faltigen Gesicht und dem kurzen, glatten grauen Haar, das bei Bedarf mit der Küchenschere gestutzt wurde, ohne Spiegel, nach Gefühl. Ihr letzter Friseurbesuch lag viele Jahre zurück, im Nebel der Vergangenheit, als sie es noch genossen hatte, wenn Anton im Salon John Frieda um sie herumflatterte und für Fotoshootings neue Rotnuancen in ihr Haar zauberte, oder Cheryl den stilprägenden Martha-Schwung ihres Ponys mit Haarspray zementierte, bevor die Band auf die Bühne ging. Damals hatte Martha viel Zeit vor Spiegeln verbracht, während Stylisten sich um ihr Make-up und ihr Outfit gekümmert hatten. Heutzutage verschwendete sie kaum noch einen Gedanken an ihre Kleidung. Shirts, lange Röcke oder Hosen, alles weit geschnitten, alles in Schwarz. Fertig. Niemand sah den Schmetterling in den Dellen ihrer Orangenhaut versinken, niemand sah die Narbe, die sich als gezackter blauroter Strich an ihrem Bein hinunterzog.
Wenn sie im benachbarten Städtchen einkaufen ging, versteckte Martha sich hinter einer Sonnenbrille. Manchmal schauten ihr die Männer auf dem Bouleplatz nach, weil ihnen ihr hinkender Gang auffiel, oder die Frauen auf dem Markt musterten sie kritisch, weil sie nicht wussten, was sie von »der da« halten sollten, aber mittlerweile hatte man begriffen, dass sie keinen Wert auf eine Unterhaltung legte, und ignorierte sie. Die Kinder nannten sie la sorcière, die Hexe, hinter ihrem Rücken, aber so, dass sie es hören konnte.
Nicht ganz zu Unrecht, fand Sally, die sich selbst immer wieder missbilligend über Marthas Mangel an modischem Schick äußerte.
»Nur weil du in einem ehemaligen Kloster wohnst, musst du dich nicht kleiden wie eine Nonne!«
Martha hatte die junge Frau mit gerunzelten Brauen über ihre Kaffeetasse hinweg angeschaut und so getan, als wäre sie beleidigt.
»He, Pierre«, rief Sally ihrem Mann zu und verriet durch ihren breiten Akzent, dass sie ursprünglich aus Lancashire stammte. »Findest du nicht, ein Schal in Pink oder ein rotes Shirt würden großartig zu Marthas grauem Haar passen?«
»Da ’alte ich mich raus. Trop dangereux.« Sallys französischer Ehemann war mit der gefälligen Anordnung der Spirituosen in dem verspiegelten Regal hinter der Bar beschäftigt.
Sally seufzte und wandte sich wieder Martha zu. »Oder noch besser: Lass dir bei Celeste im Salon die Haare färben.«
Pierre und Sally waren Marthas einzige Freunde. Es war so etwas wie Tradition geworden, dass sie zum Abschluss ihrer wöchentlichen Einkaufsrunde im Halbdunkel der kleinen Bar am Rand des Marktplatzes einen petit noir trank. Es gab Wochen, da waren der hoch aufgeschossene, hagere Franzose und seine kurvige englische Ehefrau die einzigen Menschen, mit denen sie ein paar Worte wechselte.
»Blond, vielleicht.« Sally hatte sich für das Thema erwärmt. »Nicht zu grell, natürlich. Strähnchen, ein paar Highlights. Oder Braun oder Mahagoni oder Zyklam!« Sie warf ihre langen blonden Locken zurück und lachte. »Das gäbe Gerede im Dorf!«
Martha hatte sich eine Zigarette angezündet. »Gerede ist das Letzte, was ich brauchen kann.«
»Ich würde mich dann jetzt um den Pool kümmern«, rief der junge Mann zu ihr hinüber.
»Die Pumpe erst wieder einschalten, wenn du das Laub aus dem Filter geholt hast«, rief Martha zurück. Sie hoffte, dass der Pool nach der Reinigung wieder Ähnlichkeit mit dem kristallklaren türkisen Rechteck haben würde, das auf der Webseite von Dordogne Dreams zu bewundern war. Er war das i-Tüpfelchen auf Marthas Angebot, ein Luxus, den sie dem Vorbesitzer des Anwesens verdankte, einem deutschen Schriftsteller.
Am Abend zuvor hatte sie sich nackt in die kühlen Fluten gleiten lassen, fix und fertig nach dem Putzmarathon durch Haus und Hof. Sie hoffte, am nächsten Tag vor dem Eintreffen der Feriengäste noch Zeit genug zu haben, um die Küche auf Vordermann zu bringen und die Betten mit den eigens angeschafften blütenweißen Laken und Bezügen zu beziehen.
Der Pool hatte noch nie so sauber ausgesehen. Sie hatte fast den ganzen Nachmittag gebraucht, um die abgefallenen Blüten der Bougainvillea herauszufischen und den grünen Schlick von den Mosaikfliesen zu schrubben.
Sie hatte auf dem Rücken gelegen und sich treiben lassen. Es war niemand da, der ihre Falten sah, das schlaffe Fleisch, die Cellulitis – oder ihre Narbe. So schwerelos im Wasser schwebend, spürte sie keine Schmerzen. Sie schloss die Augen und war wieder jung und schwamm mit Cat im lauen Meer vor Abertrulli.
Als sie die Augen wieder aufmachte, türmten sich dunkle Wolken am Himmel über ihr.
Das Unwetter wütete die ganze Nacht lang. Martha lag wach in ihrem Bett in der früheren Kapelle des Klosters, in die sie für den Sommer umgesiedelt war, hörte den Sturm an den Buntglasfenstern rütteln und den Regen auf die Dachziegel aus Terrakotta prasseln. Das grelle Weiß der Blitze zuckte durch ihr Schlafzimmer, Donner krachte, und sie fürchtete, Pippa, ihr Kaninchen, könnte sich zu Tode erschrecken, obwohl sie das Tierchen, gleich als es losging, zu sich hereingeholt hatte.
Der Schmerz, ihr langjähriger Vertrauter, pochte in ihrem Bein, und das Verlangen nach den kleinen weißen Pillen verfolgte sie in einen unruhigen Halbschlaf.
Ich bin stark. Ich habe mich unter Kontrolle.
Sie konzentrierte sich mit aller Macht auf das Mantra, das sie in der Klinik gelernt hatte: Ich bin stark. Ich habe mich unter Kontrolle.
Früh am nächsten Morgen war Martha den Fußweg zwischen der Kapelle und dem ehemaligen Klostergebäude hinaufgehumpelt. Pippa war wohlauf, wenigstens das. Von diesem kleinen Lichtblick abgesehen, war der stechende Fäkaliengestank, der über dem Anwesen hing, das passende Motto für diesen Tag. Wie nicht anders zu erwarten, war die Sickergrube von den nächtlichen Regenmassen geflutet worden. Auf der Terrasse musste sie bei der Besichtigung der Schäden über umgeknickte Spaliere und das Gewirr abgerissener Ranken steigen. Das Dach war beschädigt, in den alten Mauern gab es neue Risse, die Fensterläden waren gesplittert, und die Kletterrosen vorn und hinten am Haus, die jahrzehntelang den gelben Lehmputz geschmückt hatten, lagen zerrupft und entblättert im Matsch. Angesichts der allgemeinen Verwüstung wurde das Verlangen nach den kleinen weißen Pillen fast unerträglich stark, und sie war nahe daran, ins Auto zu steigen und zu Jean-Paul zu fahren. Jean-Paul mit seinem schmierigen Grinsen und den Wucherpreisen, auf die er noch etwas draufschlagen würde, wenn er die Verzweiflung in ihrem Blick registrierte. Sie zündete sich die erste Zigarette des Tages an und versuchte, nicht an die ganze Arbeit zu denken, die für die Katz gewesen war, oder daran, wie sie den Feriengästen, die sich für den Nachmittag angesagt hatten, beibringen sollte, dass sie sich ein anderes Quartier suchen mussten.
Sie blies den Zigarettenrauch langsam durch die gespitzten Lippen und schaute zu, wie er sich auflöste.
Ich bin stark. Ich habe mich unter Kontrolle.
Sie hatte in den letzten Wochen von morgens bis abends geschuftet, um den Gästen das Ambiente zu bieten, das sie nach der Beschreibung auf dem Buchungsportal erwarten durften, und war mehr als einmal versucht gewesen, alles hinzuschmeißen. Was sie angespornt hatte weiterzumachen, war der Gedanke an die Ansichtskarte. Die Karte von Owen, die sie erst beantworten wollte, wenn sie etwas vorzuweisen hatte und es ihr finanziell wieder etwas besser ging.
Sie wandte dem traurigen Szenario den Rücken zu und verdrängte den Gedanken an zerstörte Hoffnungen, an die Mahnschreiben von der Bank und an Owen und ließ sich von dem grandiosen Ausblick trösten, den das hochgelegene Anwesen bot.
Dichter, rosig durchhauchter Nebel füllte das Tal. Die Kirschbäume unterhalb der steil abfallenden Wiese waren noch zu sehen, auch die Umfassungsmauer dahinter und dann nichts mehr, nicht der Flickenteppich der Sonnenblumenfelder, nicht die Weinberge und nicht das pittoreske Städtchen an der dem Kloster gegenübergelegenen Hügelflanke. Einzig der Turm der mittelalterlichen Kirche ragte aus dem Dunst.
Die Vorstellung eines Lebens ohne dieses Panorama versetzte Martha einen Stich ins Herz, aber nach der vergangenen Nacht konnte sie sich nichts mehr vormachen. Sie würde Le Couvent des Cerises verkaufen müssen. Der Gedanke schnürte ihr die Kehle zu. Ein Dasein außerhalb dieser historischen ockerfarbenen Mauern – unvorstellbar. Und wie sollte das Wiedersehen mit Owen verlaufen, wenn sie nicht einmal ein Zuhause hatte, in das sie ihn einladen konnte? Beim letzten Zug an ihrer Zigarette begannen im Dorf die Kirchenglocken zu läuten; sie riefen zur Frühmesse.
In das Glockenläuten mischte sich ein anderes Geräusch, ein sonores Brummen. Martha drehte sich um. Ein Motorrad rollte langsam und vorsichtig die abschüssige, von Schlaglöchern übersäte Einfahrt hinunter. Sie schaute dem frühen Besuch entgegen, zu müde und niedergeschlagen, um sich zu fragen, wer das sein könnte und was er wollte.
Vor einigen Jahren noch hätte sie ein solcher Eindringling in helle Aufregung versetzt. Nach ihrem Einzug in Les Cerises hatte sich irgendwie herumgesprochen, wer die neue Besitzerin war, und ein Strom von Fans und neugierigen Touristen war zu dem ehemaligen Kloster gepilgert, in der Hoffnung, einen Blick auf die prominente Einsiedlerin zu erhaschen. Damals war das große Tor immer fest verschlossen gewesen. Im Lauf der Zeit hatte das Interesse nachgelassen, und nun standen die Torflügel schon so lange weit offen, dass sie in den Angeln festgerostet waren.
Auf dem kleinen Parkplatz am Ende der Einfahrt stoppte das Motorrad und der Fahrer – ein junger Mann in Jeans und T-Shirt – nahm seinen Helm ab.
»C’est privé!«, rief Martha. »Sortez! Alles-vous-en!«
»Ist das hier Le Couvent des Cerises?«
»Sie befinden sich auf Privatbesitz. Zutritt verboten. Bitte verlassen Sie das Grundstück.«
»Ich wollte nur fragen, ob Sie noch Hilfe brauchen.«
»Hilfe?«
»Ich war in der Bar und habe den Aushang gelesen.« Der junge Mann war Schotte, dem Akzent nach.
»Verlassen Sie sofort das Grundstück, oder ich rufe die Polizei!«
Der junge Mann ließ den Blick über den verwüsteten Garten wandern, schnupperte und rümpfte die Nase.
»Das riecht nach einem Problem mit ihrer Klärgrube.«
»Sie sollen verschwinden!«
Der Mann zuckte die Schultern und setzte den Helm wieder auf. Er startete den Motor und schickte sich an, die Maschine zu wenden.
Hinter sich hörte Martha ein unheilverkündendes Knarren und Knirschen, dann krachte es, und ein Teil der Pergolaüberdachung stürzte auf den Verandatisch. Die Laterne, die an einem der Querhölzer gehangen hatte, zerschellte auf den Mosaikfliesen der Tischplatte. Martha schloss die Augen. Das war das Ende. Oder? Was hatte der junge Mann gesagt? Ich habe den Aushang gelesen. Vor ein paar Wochen hatte sie einen Zettel an das Schwarze Brett in Sallys Bar gehängt. Helfer für handwerkliche Tätigkeiten in Haus und Garten gesucht. Gute Englischkenntnisse Voraussetzung. Da sich niemand gemeldet hatte, hatte sie die Hoffnung aufgegeben, selbst die Ärmel hochgekrempelt und die Arbeiten, die sie sich zutraute, in Angriff genommen. Auch wenn sie auf das Geleistete stolz sein konnte, es gab noch viel zu tun.
»Warten Sie!« Martha humpelte die Verandastufen hinunter und verfluchte einmal mehr ihr Bein, weil es sie behinderte. »Moment!«
Sie hatte noch eine Galgenfrist von acht Stunden, mit einem zusätzlichen Paar Hände konnte sie es schaffen, wenigstens die größten Schäden zu beheben.
Der Motor heulte auf. Sie schwenkte die Arme über dem Kopf.
»Stopp!«
Der junge Mann hatte die Maschine gewendet und gab Gas. Martha hatte die Treppe hinter sich gebracht und war vor Anstrengung außer Atem. »WARTENSIE!«
Sie setzte sich in Bewegung und begann schwerfällig hinter ihm herzulaufen, aber es war zu spät. Gegen das Röhren des Auspuffs kam ihre Stimme nicht an, und das Motorrad brauste schon in eine Staubwolke gehüllt zwischen den hohen Torpfosten am Ende der Einfahrt hindurch.
»Gottverdammter Mist!«
Schmerzgepeinigt blieb sie stehen und suchte Halt an dem Staketenzaun zwischen Fußweg und Pool. Knack! Der morsche Pfosten splitterte, kippte in die Blumenrabatten und knickte die einzige Stockrose um, die zu blühen begonnen hatte.
»GOTTVERDAMMTERMIST!«
Martha kramte in der Tasche ihrer weiten Hose nach Zigaretten und Feuerzeug, dann fiel ihr ein, dass beides noch auf dem Verandatisch liegen musste, jetzt begraben unter Weinranken und Holztrümmern.
»CACHUHWCH! FFUC A PISSO!« Die Wut machte sich in ihrer Muttersprache Luft. Sie trat mit der Fußspitze des guten Beins gegen den Boden, dass der Schotter spritzte. Dann machte sie kehrt und stapfte zum Haus zurück, weitere walisische Flüche vor sich hinmurmelnd.
Unvermutet wurde das Motorengeräusch wieder lauter. Martha schaute sich um und sah die Maschine zurückkommen, schneller diesmal, in verwegenen Schlangenlinien kurvte sie um die Schlaglöcher herum. Ein paar Meter von ihr entfernt kam sie schlitternd zum Stehen, der Motor blubberte im Leerlauf, und der Fahrer nahm wieder den Helm ab. Sein Mund verzog sich zu einem kleinen, schiefen Grinsen.
Martha nahm ihn diesmal genauer in Augenschein: zerzaustes blondes Haar, Tätowierungen, Piercings in Nasenflügel und Brauen.
»Ich wollte Ihnen nur Bescheid sagen, dass ein Baum auf Ihre Telefonleitung gefallen ist.« Er deutete über die Schulter in Richtung der Landstraße. »Er hat den Mast umgerissen.«
Martha verschränkte die Arme vor der Brust und hoffte, dass sie nicht aussah wie eine müde alte Frau, die mit ihrer Weisheit am Ende war und dringend Hilfe brauchte.
»Dann sind Sie ja fein raus. Ich kann nicht mehr die Polizei anrufen, um Sie von meinem Grundstück entfernen zu lassen.«
Der Mann zog ein Handy aus der Gesäßtasche seiner Jeans. »Hier. Nehmen Sie das.«
»Zwecklos.« Martha schüttelt den Kopf. »Kein Netz.«
Der Mann schob das Handy zurück in die Tasche. »Ich bin ein guter Arbeiter.«
Martha erlaubte sich leise Zweifel. Er wirkte nicht besonders kräftig, eher mager als muskulös. Genau genommen sah er aus, als hätte er eine ordentliche Mahlzeit nötig.
»Wie heißen Sie? Oder darf ich Du sagen?«
»Ben. Und Du ist okay.«
»Du bist weit weg von zu Hause?«
»Ich schaue mir ein wenig die Welt an.« Er deutete mit dem Kopf auf einen großen Rucksack auf dem Gepäckträger des Motorrads.
»Woher kommst du?«
»Schottland.«
»Das hört man. Ich meinte, von wo in Schottland.«
»Von hier und da, überall und nirgends.«
»Ein unsteter Geist also.«
»Könnte man sagen.« Wieder das schiefe Grinsen. Er zeigte auf den umgefallenen Zaun. »Ich repariere Ihnen das, wenn Sie mir Werkzeug geben.«
Als Martha damals den besagten Zettel geschrieben hatte, hatte sie sich unter dem erhofften Handlanger einen älteren Mann vorgestellt, vielleicht einen der englischen Bauarbeiter-Expats, die in der kleinen Bar von Sally und Pierre zusammensaßen, Rotwein tranken, über die Immobilienpreise in der Gegend fachsimpelten und Pierre mit ihren Lästereien über die »frogs« auf die Palme brachten. Dieser schmächtige Jüngling mit seinen zahlreichen Tattoos und Piercings war jedenfalls nicht das, was ihr vorgeschwebt hatte.
Martha dachte an die Briefe von der Bank und die Anrufe der Hypothekenabteilung. Sie hatte versprochen, sich sofort nach Erhalt der ersten Zahlung des Ferienanbieters um den Ausgleich der Konten zu kümmern. Dummerweise hatte die arrogante Mitarbeiterin von Dordogne Dreams sie auf einen Passus im Kleingedruckten hingewiesen, dass Gelder erst fließen würden, wenn die ersten Gäste eine positive Beurteilung abgegeben hatten.
»Ihr Anwesen hat nicht das Niveau der Unterkünfte, die wir normalerweise über unser Portal anbieten«, hatte sie verkündet, während sie mit hochgezogenen Augenbrauen Marthas Sammelsurium antiker Möbel und Kuriositäten begutachtet hatte. Ein korallenrot lackierter Fingernagel zog einen langen Strich durch die Staubschicht auf der Anrichte. »Hier ist zuallererst ein gründliches Großreinemachen fällig.«
Wie auch immer: Die beiden Paare, die mit ihren drei kleinen Kindern am Nachmittag eintreffen wollten, waren Marthas einzige Hoffnung, das finanzielle Fiasko doch noch abwenden zu können.
»Traust du dir zu, dieses Chaos zu beseitigen?« Marthas weit ausholende Armbewegung umfasste die von den Naturgewalten angerichteten Verwüstungen.
Ben nickte.
»Glaubst du, du kannst auch das Malheur mit der Klärgrube in Ordnung bringen, damit die Toiletten wieder funktionieren?«
Ben nickte wieder.
»Ich selbst habe drinnen noch eine Menge zu tun.« Sie zeigte auf das Haupthaus. »Betten beziehen, Badezimmer putzen, die Küche herrichten und hundert andere Dinge, die ich schon vergessen habe und die mir hoffentlich noch früh genug wieder einfallen. Bis drei Uhr muss alles tipptopp sein, also keine Müdigkeit vorschützen.«
»Wenn Ihnen nicht gefällt, wie ich arbeite, können Sie mich jederzeit zum Teufel schicken.« Das unschuldige Lächeln des jungen Mannes passte so gar nicht zu den bebilderten Armen und gepiercten Augenbrauen.
Martha lachte. »Okay, abgemacht. Deine erste Aufgabe besteht darin, den Verandatisch von dem Grünzeug zu befreien und meine verdammten Zigaretten zu suchen, die darunter begraben sein müssen.«
Sally und Pierre äußerten Zweifel an ihrem Verstand, als sie ihnen eröffnete, dass sie Le Couvent des Cerises an Feriengäste vermieten wolle. Vier Monate war das jetzt her. Viel zu viel Arbeit für einen allein, hatten sie ihr einstimmig versichert.
»Übertreibt ihr nicht ein bisschen?«, hatte Martha geäußert und an ihrem café genippt.
»Nun ja …« Sally ließ ihr Handtuch sinken. Sie und Pierre trockneten Gläser ab und stellten sie hinter sich auf das Regal. Sie arbeiteten absolut synchron – ein gastronomischer Pas de deux. Sallys Brüste hüpften bei jeder Bewegung unter ihrer Bluse, als führten sie ein Eigenleben. Sie bildete mit ihrer kurvenreichen Figur einen reizvollen Kontrast zu der asketischen Erscheinung ihres älteren Ehemannes mit seiner römischen Nase und dem grau melierten Haar. »Der Aufwand ist nicht zu unterschätzen«, fuhr sie fort. »Wir haben früher im ersten Stock Fremdenzimmer vermietet und es war …«
»… stress, rien que du stress«, mischte Pierre sich ein. Trotz der Jahre an der Seite einer Engländerin und der Expats, die seine Bar heimsuchten, sprach er nur gebrochen Englisch, mit einem starken französischen Akzent, den Martha sehr charmant fand. »Und für dich wird es sein viel schlimmer. Erst muss das Haus sauber. Spinnweb sind keine – wie sagt man – Dekoration, non? Und der Pool muss sein blau und nicht grün. Dann die Wäsche, des montagnes!, das Bettzeug, die ’andtuch … Und die Löcher in die Dach und les robinets – die Wasser’ahn, sie tropfen …«
»Genau für die Löcher im Dach und die tropfenden Wasserhähne brauche ich Geld«, sagte Martha. »Aktuell droht die Bank damit, mir das Haus wieder wegzunehmen.«
»Merde!« Sally warf sich das Geschirrtuch über die Schulter und setzte die Kaffeemaschine in Gang. »Bekommt ihr Rockstars nicht haufenweise Tantiemen oder wie das heißt?«
»Ich war nie ein Rockstar, nur Sängerin in einer Popgruppe. Und Lucas und Cat nahmen für sich in Anspruch, alle Songs geschrieben zu haben, deshalb bekamen sie auch das meiste Geld. Ich erhalte nur Tantiemen für den einen Hit, unter dem mein Name steht.«
Sally stellte einen frischen café vor Martha hin, setzte sich zu ihr und verschränkte die Arme auf der Tischplatte. »Ich habe Moondancing erst gestern wieder im Radio gehört. Bekommst du nicht automatisch jedes Mal Geld, wenn der Song gespielt wird?«
»Schon, aber das ist nicht viel. Die Tantiemenschecks fallen jedes Jahr kleiner aus. Mir bleibt nichts anderes übrig, als das Haus zu vermieten. Ich habe einen englischen Ferienhausanbieter gefunden, der es in sein Programm aufnehmen will.«
»Ich kann mir das gar nicht vorstellen, du mit fremden Leuten zusammen in deinem Haus. Du betonst doch immer, wie sehr du das Alleinsein liebst.«
Martha leerte das Tässchen mit zwei kleinen Schlucken. »Ich weiß, aber in der Not frisst der Teufel Fliegen, wie meine Mutter zu sagen pflegte. Sie war alleinerziehend und hat drei Jobs gleichzeitig gestemmt, um uns über Wasser zu halten. Ich war immer gut gekleidet, wir haben gut gegessen, und ich bekam Ballett- und Klavierunterricht. Gott allein weiß, wie sie das geschafft hat. Ich komme mir vor wie eine komplette Versagerin, verglichen mit …« Sie schüttelte müde den Kopf.
»Aber bist du sicher, dass du das ertragen kannst, die Unruhe, den Krach, Grillpartys bis tief in die Nacht?« Auf Sallys hübschem Gesicht zeigte sich teilnahmsvolle Besorgnis. »Du willst doch nicht wieder«, sie senkte die Stimme, »diese Drogen nehmen.«
»Es waren keine Drogen«, protestierte Martha. »Nur Schmerzmittel.«
»Ich weiß, aber du kommst jetzt schon seit Monaten sehr gut ohne zurecht.«
»Weil du mich überredet hast, in diese Entzugsklinik zu gehen.« Martha lächelte Sally an. »Obwohl es nur …«
»… Schmerzmittel waren.« Sally verdrehte die Augen. »Aber ich fürchte trotzdem, Les Cerises als Ferienunterkunft zu betreiben wird anstrengender sein, als du dir momentan vorstellen kannst. Hast du über andere Möglichkeiten nachgedacht?«
»Die Kasse im Supermarkt? Trauben lesen?« Martha seufzte. »Und ich glaube, ich bin ein bisschen zu alt, um noch ein Bordell zu eröffnen.«
Pierre beugte sich über den Tresen, er grinste. »O lala, Madame Martha – das ’at was.« Er wackelte vielsagend mit den Augenbrauen. »Ich kenne Leute, die sind interessiert …«
Sally drohte ihrem Ehemann mit dem Finger. »Pierre!« Sie wandte sich wieder an Martha. »Aber du kannst singen.«
»Das ist ewig her.«
»Das verlernt man doch nicht. Du könntest hier auftreten. Ein paar Strahler, ein Barhocker, und Henri aus der Bäckerei ums Eck begleitet dich auf der Gitarre. Im Sommer verlegen wir die Auftritte nach draußen. Die Leute bleiben stehen, hören zu, und ganz bestimmt kommt einiges an Geld zusammen.«
Martha schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall.«
»Martha hat nicht nötig, in unsere kleine Dorf zu singen.« Pierre schaute seine Frau missbilligend an. »Die Musik der 80er ist in, très en vogue, non? Kajagoogoo geben Konzerte, Bananarama, sogar Rick Astley. Warum nicht East of Eden?«
»Wie soll das gehen, ohne Lucas?« Martha starrte in ihre Kaffeetasse. »Ohne ihn gibt es kein East of Eden.«
Vor sechs Monaten hatte Martha die Einladung zu Lucas’ Beerdigung in ihrem E-Mail-Postfach entdeckt. Nur selten fanden Nachrichten aus der Welt draußen den Weg in ihre Abgeschiedenheit, deshalb hatte sie nicht mitbekommen, dass der Leadsänger ihrer alten Band tot in seinem Haus in Surrey aufgefunden worden war.
Martha ging nicht zu der Beerdigung. Erleben müssen, wie Cat hereingerauscht kam, als Einzige umweht vom süßen Duft des Erfolgs, während die übrigen Mitglieder der Band im wahrsten Sinne des Wortes sang- und klanglos in der Bedeutungslosigkeit versunken waren? Nein danke. Außerdem würde auch die Boulevardpresse anwesend sein, und wie der Teufel es wollte, hatte man in den Redaktionen die alten Geschichten ausgegraben, die damals, als die Band sich auflöste, in allen Zeitungen breitgetreten worden waren. Womöglich fand auch der Skandal bei den Brit Awards noch einmal den Weg auf die Titelseiten oder einer der anderen peinlichen Vorfälle, an die Martha nicht mehr denken wollte. Nie mehr.
Folglich war sie zu Hause geblieben.
Sally nahm einen Zuckerwürfel aus der kleinen Schale in der Tischmitte und steckte ihn sich gedankenverloren in den Mund. »Deine Bilder!« Sie schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte, die Zuckerwürfel in der Schale machten einen Satz. »Du könntest deine Bilder verkaufen. Wir machen hier in der Bar eine Ausstellung …«
Martha zog eine Grimasse. »Dazu sind sie nicht gut genug. In der Schule hatte ich Kunstunterricht, aber nach dem Abschluss habe ich nie wieder etwas in dieser Richtung gemacht.« Sie zuckte die Schultern. »Erst wieder, als sie in der Klinik Malen als Therapie angeboten haben.«
Sallys Miene verdüsterte sich. Martha griff über den Tisch hinweg und drückte Sallys Hand. »Danke, dass du dir für mich den Kopf zerbrichst, aber das Haus zu vermieten ist wirklich der einzig mögliche Ausweg aus meiner finanziellen Misere.«
»Ha!« Pierre drehte sein rotes Geschirrtuch in ein Glas, bis es quietschte. »Ich mache mir Sorgen um dich, Martha. Diese touristes anglais, ils sont la peste. Sie sind mit nichts zufrieden.«
»He!« Sally schlug spielerisch mit dem Geschirrtuch nach ihm.
»Ausgenommen die Einwohner von Rochdale, naturellement.«
»Und von Wales.« Sally schaute Martha Zustimmung heischend an, aber Martha hatte nicht zugehört. Ihr Blick war durch die schmale Türöffnung der Bar hinaus auf den sonnenhellen Marktplatz gewandert. Ein kleiner Junge spielte am Brunnen, schlug mit beiden Händen auf das Wasser und erzeugte regenbogenbunte Tropfenfontänen. Lächelnd wandte Martha sich wieder Sally und Pierre zu.
»Ihr braucht euch wirklich keine Sorgen zu machen, ich habe mir alles genau überlegt. Während der Saison ziehe ich in die ehemalige Kapelle. Von da aus kann ich das Haus nicht einmal sehen. Ich werde von den Gästen kaum etwas merken.«
Sie saßen im flirrenden Schatten der Weinranken, mit Blick auf den Kirschengarten und das dahinterliegende Tal. Laken und Bettbezüge flatterten an der quer durch den Garten gespannten Wäscheleine, auf den Stufen der Terrassentreppe standen prallvolle Müllsäcke und eine ansehnliche Batterie leerer Weinflaschen. Ein Eimer mit Gemüse- und Obstabfällen wartete auf den Weitertransport zum Kompost. Der in der Hitze gärende Inhalt verströmte einen satten Fäulnisgeruch, aber wenigstens war der Fäkaliengestank verflogen, seit Ben mit einer aus mehreren Teilstücken zusammengebastelten Bambusstange die verstopften Rohre frei gestochert hatte.
Von der Dorfkirche hallte das Angelusläuten herüber. Martha schaute auf die Uhr. »Noch drei Stunden, bis die Gäste kommen. Mir wäre es lieb, wenn sie sich verspäten. Ich muss noch die Betten beziehen, den Müll wegbringen und den Komposteimer ausleeren. Wenn jetzt nichts mehr dazwischenkommt, können wir rechtzeitig fertig sein, aber ich wünschte, ich hätte gestern mehr vorgearbeitet.«
»Ich mache das mit dem Müll und dem Kompost.« Ben nahm einen Schluck aus der Bierflasche, die Martha ihm hingestellt hatte.
Martha schnitt zwei dicke Scheiben Brot ab. »Du hast schon so viel geleistet. Erst mal brauchst du eine ordentliche Stärkung.« Sie schob ihm das Brot hin, den Käseteller und die Salatschüssel. »Ich habe noch nicht einmal gefragt, wo du übernachtest. Hast du im Dorf ein Zimmer?«
Ben verschlang das erste Käsebrot mit großen Bissen, als hätte er seit Tagen nichts zwischen die Zähne bekommen, und wischte sich anschließend mit dem Handrücken den Mund ab. Martha wartete auf eine Antwort, doch er nickte stattdessen mit dem Kopf in Richtung der offen stehenden Küchentür.
»Du hast ein Karnickel im Haus. Gehört das dahin?«
»He, da bist du ja!«
Ein braunes Zwergkaninchen mit zwei weißen Pfoten und einem Hängeohr hoppelte auf die Terrasse hinaus. Martha hob es hoch. »Das ist Pippa. Ich habe sie vor der Meute der Dorfhunde gerettet. Eine Sekunde später hätten sie sie zerfleischt.«
»Armes kleines Ding.« Ben beugte sich vor und offerierte Pippa ein Salatblatt, das noch nicht mit der Vinaigrette in Berührung gekommen war.
»Sie war ganz zutraulich. Bestimmt ein Haustier, das irgendwo ausgebüchst ist. Ich habe im Dorf Zettel aufgehängt, aber es hat sich niemand gemeldet.«
»Was ist mit ihrem Ohr?« Ben betrachtete das Kaninchen, das mit Begeisterung an dem Salatblatt mümmelte.
»Die bösen Hunde.« Martha streichelte das Hängeohr. »Sie hätten es ihr beinahe abgerissen.«
»Bestien.« Er strich Ziegenkäse auf die zweite Scheibe Brot.
»Magst du ein Stück Melone? Ich habe eine Cantaloupe, die inzwischen genau richtig sein dürfte. Ich freue mich seit Tagen darauf, sie anzuschneiden.«
Ben nickte kauend.
»Ich hole sie gleich. Dann muss ich noch meinen Kram aus der Küche räumen, und ich darf nicht vergessen, Blumen zu schneiden. Es sind die kleinen Dinge, die einen großen Unterschied machen, wie zum Beispiel eine Vase mit Blumen …« Martha zog eine Grimasse. »Auch eine von Tamaras Weisheiten.«
»Muss ein komisches Gefühl sein, sein Zuhause Fremden zu überlassen«, meinte Ben.
Martha zuckte die Schultern und hielt dem Kaninchen noch ein Salatblatt hin. »Ich hoffe nur, dass die Blagen Pippa in Ruhe lassen.«
»Was sind das denn für Leute, deine Feriengäste?«
»Zwei Familien aus London, mehr weiß ich auch nicht.« Martha setzte das Kaninchen auf den Boden. »Ich hatte Tamara gesagt, dass ich nur Gäste ohne Kinder haben möchte, aber sie meinte, ich verbaue mir damit die Chancen auf Einkünfte in der Ferienzeit. Diese Leute haben drei Kinder. Wahrscheinlich besuchen sie eine Privatschule, denn der Sommer hat ja gerade erst begonnen.«
»Demnach sind sie reich?« Ben setzte die Bierflasche an und leerte sie.
»Keine Ahnung. Aber sie bekommen einen satten Preisnachlass dafür, dass sie die erste Beurteilung schreiben. Und wenn sie nicht zufrieden sind, müssen sie überhaupt nichts bezahlen!«
»Das ist nicht fair.«
»Tja …« Martha nahm das Zigarettenpäckchen aus der Hosentasche und hielt es Ben hin. Er schüttelte den Kopf.
»Ich habe das Rauchen aufgegeben.«
Martha zündete sich eine Zigarette an und inhalierte genussvoll. »Hatte ich auch. Aber dann fand ich, ich hätte schon genug Dinge aufgegeben, und ein Laster sollte man haben.«
Ben sah sie an. Seine Augen waren groß und tiefdunkel, wie Teiche aus flüssiger Schokolade. Das war ungewöhnlich, denn sonst war er eher der hellhäutige Typ. Bens sonnengebleichter blonder Schopf erinnerte sie an Owens goldene Locken. Auch Owen hatte braune Augen. Damals hatten ihr alle versichert, das werde sich auswachsen und früher oder später wäre er so dunkel wie sie und Andrew.
Es fiel ihr schwer zu glauben, dass aus ihrem Baby ein junger Mann geworden war wie der, der hier vor ihr saß, auch wenn sie bezweifelte, dass ein Sohn von Andrew mit einem Motorrad durch Frankreich reisen würde. Ihres Wissens saß Owen in der City hinter einem Schreibtisch und lernte alles, was man über die Wege des Geldes wissen konnte, um dereinst in die Fußstapfen seines Vaters und seines Großvaters zu treten. Vor ein paar Jahren hatte sie nach Owen Frazer gegoogelt und bei LinkedIn das unscharfe Foto eines jungen Mannes gefunden – zurückgegeltes Haar, perfekte Zähne und ein steil ansteigender Lebenslauf, der nach den Stationen Wellington College und University of Exeter bislang in einer leitenden Position im Familienunternehmen gipfelte. Seitdem hatte sie immer einmal wieder bei LinkedIn vorbeigeschaut, aber das Foto war bisher nicht gegen ein aktuelleres ausgetauscht worden.
Sie holte Luft, um Ben zu fragen, wie alt er wäre, als ein rumpelndes Geräusch sie beide veranlasste, den Kopf zu drehen. Ein massiger Volvo 4x4 passierte das Tor und holperte, eingehüllt in eine gelbe Staubwolke, langsam die Einfahrt hinunter, dicht gefolgt von einem noch massigeren Range Rover. Martha registrierte die getönten Scheiben und das personalisierte Kennzeichen – RANJ1. Jedes der beiden Fahrzeuge war fast so breit wie die ganze Einfahrt. Während die Fahrer sich bemühten, den zahlreichen Schlaglöchern auszuweichen, gerieten sie in den Bereich der tief hängenden Zweige neben dem Weg, die unheilverkündend über den glänzenden Lack scharrten.
»O nein«, flüsterte Martha. »Da sind sie schon. Viel zu früh. Erbarmen! Was soll ich jetzt nur machen?«
Martha drückte die Zigarette aus. Sie dachte an die nicht bezogenen Betten, die stinkenden Müllsäcke, die leeren Flaschen, die Wäsche, die noch auf der Leine hing. Die beiden Autos rollten auf den winzigen Parkplatz und wirkten neben Bens Motorrad und Marthas altem Saab noch monströser. Die Motoren verstummten. Stille, bis auf das unaufhörliche Zirpen der Zikaden.
Martha wartete.
Nach einer endlos scheinenden Minute schwang die Fahrertür des Range Rovers auf. Ein hochgewachsener, asiatisch aussehender Mann mit Sonnenbrille und weißem Baumwollhemd stieg aus. Ein paar Sekunden später entließ die Beifahrertür eine zierliche blonde Frau in einem schicken Hängekleid und Ballerinas in die Mittagshitze. Nachdem sie kurz die Umgebung gemustert hatte, öffnete sie die hintere Tür auf der Beifahrerseite, bückte sich in den Innenraum, und als sie sich wieder aufrichtete, hatte sie ein Baby in den Armen. Sie legte es an ihre Schulter und wiegte es beruhigend hin und her.
Von einem Baby war nicht die Rede gewesen. Marthas Gedanken überschlugen sich. Gitterbettchen, Hochstühle und Wickelkommoden – alles Dinge, mit denen sie nicht dienen konnte. Soweit sie erkennen konnte, war es kein Neugeborenes, sondern schon ein paar Monate alt. Womöglich konnte es bereits krabbeln, vielleicht sogar laufen. Sie dachte an die steilen Treppen und die fehlenden Schutzgitter und verspürte den dringenden Wunsch nach Nikotin. Ihr Blick kehrte zum Auto zurück. Auf der Fahrerseite stieg hinten gerade ein kleiner Junge aus, der zu dem Mann hinlief. Die Ähnlichkeit der beiden ließ den Schluss zu, dass es sich um Vater und Sohn handelte.
Als Nächstes öffnete sich die Fahrertür des Volvos, und ihm entstieg eine langbeinige Frau in Caprihose und einer adretten blauen Hemdbluse. Rotes Haar, zu einem präzisen Bob geschnitten, bildete den Rahmen für ein schmales Gesicht mit hohen Wangenknochen. Sie hielt einen breitkrempigen Hut in der Hand, den sie hastig aufsetzte.
Sie rief etwas ins Wageninnere, und auf der anderen Seite schob sich ein Mann ins Freie. Er war äußerlich das genaue Gegenteil des Asiaten, klein und dicklich. Er hatte lockiges Haar, das am Ansatz bereits auf dem Rückzug begriffen war. Als er sich neugierig umschaute, konnte man auch am Hinterkopf eine kahle Stelle sehen. Er gähnte und reckte sich, das T-Shirt rutschte hoch und entblößte einen nicht mehr klein zu nennenden Bauch. Die Frau sagte etwas zu ihm, er ließ die Arme sinken, zog das Shirt nach unten und öffnete die hintere Tür des Volvos. Zwei ernst blickende Mädchen stiegen aus. Sie trugen identische Shorts und T-Shirts und hatten beide Sommersprossen und lange rote Zöpfe. Ihre Mutter holte zwei weitere Hüte aus dem Auto und stülpte sie den Mädchen über den Kopf; anschließend fingen beide Eltern an, Sonnencreme auf die sommersprossigen Arme der Kinder zu kleistern.
Der große schwarzhaarige Mann kam die Terrassentreppe zwei Stufen auf einmal heraufgesprungen, streckte Martha die Hand hin und lächelte strahlend. Seine Zähne waren sehr weiß und ebenmäßig, sein Händedruck war fest.
»Hallo, ich bin Ranjit Chandra.«
»Sie sind zu früh«, entfuhr es Martha. Verdammt. Hastig fügte sie hinzu: »Ich meine, hallo, guten Tag. Wie war Ihre Reise? Willkommen in Le Couvent des Cerises.«
Ranjit nahm die Sonnenbrille ab. Seine Augen waren groß und braun, die Wimpern dicht und pechschwarz. Er hob entschuldigend die Hände.
»Ich muss Abbitte leisten für unseren Überfall. Ich weiß, wir hatten uns für drei Uhr angesagt, aber wir wollten nicht auf der Überfahrt nach Calais in das Gewitter geraten. Wegen der Kinder.« Er zeigte hinter sich, zu den anderen, die bei den Autos warteten. »Deshalb sind wir schon gestern gekommen und haben in einem Hotel in der Gegend übernachtet, Château du Pont. Sie kennen es vielleicht? Ein sehr schönes Haus und gar nicht weit von hier.«
Martha schüttelte den Kopf.
»Nun ja, ich kann es jedenfalls empfehlen. Wir wussten nicht, wie lange wir brauchen würden, um Sie zu finden, aber dank der ausgezeichneten Wegebeschreibung von Dordogne Dreams ging es dann schneller als erwartet.« Sein Lächeln wurde breiter.
Martha schaute hinüber zu der Gruppe der Wartenden. Das Baby greinte. Ihr Blick kehrte zu Ranjit zurück.
»Wir haben versucht, Sie telefonisch zu erreichen, aber die Leitung scheint gestört zu sein.«
»Ich fürchte, Ihre Zimmer sind noch nicht bezugsfertig.«
»Macht nichts.« Ranjit rieb sich unternehmungslustig die Hände. »Lassen Sie sich von uns nicht stören. Wir setzen uns solange an den Pool und genießen die traumhafte Aussicht.« Er schwenkte den Arm in Richtung des Tals. »Die Fotos auf der Webseite werden ihr nicht gerecht.«
»Schön, dass Ihnen die Gegend gefällt.«
Martha fiel ein Stein vom Herzen. Wenigstens der erste Eindruck war positiv.
»Und das Haus! Es ist …« Er machte eine Pause, als suchte er nach den richtigen Worten. »Es atmet Geschichte.«
Martha bemerkte, dass sein Blick ausgerechnet an dem tiefsten Riss im Mauerwerk hängen geblieben war. Um ihn davon abzulenken, deutete sie zum anderen Ende des Hauses.
»Der Teil dort stammt noch aus der Römerzeit, die weiteren Anbauten sind im Mittelalter entstanden. Aus dem römischen Landgut wurde ein Kloster, und um 1700 herum stiftete ein hiesiger Würdenträger Geld für den weiteren Ausbau des Klosters.« Sie wusste, dass sie zu viel redete, aber sie konnte nicht aufhören. »Dann, während der Französischen Revolution wurde es …«
Ranjit fiel ihr ins Wort. »Faszinierend. Das müssen Sie unbedingt meiner Frau erzählen. Ich bin nur ein einfacher Buchhalter, aber Lindy unterrichtet Geschichte an einer Mädchenschule.«
Die Frau mit dem Baby kam zu ihnen herüber. Das Baby hatte aufgehört zu greinen und schaute Martha aus großen Augen an. Martha widerstand der Versuchung, es anzulächeln.
»Was ist los?«, fragte die Frau, die Lindy sein musste. »Wir können nicht den ganzen Tag hier herumstehen. Tilly braucht eine frische Windel.«
»Lindy, Schatz.« Ranjit legte den Arm um seine Frau. »Ich habe Martha eben erzählt, dass du Geschichtslehrerin bist.«
»Ich war Geschichtslehrerin.« Lindys Schulter zuckte kaum merklich, und ihr Mann zog seinen Arm zurück. Sie wandte sich an Martha. »Es wäre nett, wenn Sie uns unsere Zimmer zeigen könnten. Ich muss die Kleine frisch machen, und sie braucht ein Schläfchen.« Sie drückte dem Kind einen Kuss aufs Haar. »Tilly ist nämlich eine kleine Schlafmütze.« Dem kleinen Mädchen war keine Müdigkeit anzumerken, es fixierte Martha unverwandt mit hellwachem Blick.
»Ich habe kein Kinderbett«, sagte Martha.
»Tilly braucht kein Kinderbett.« Lindy gab dem Baby noch einen Kuss. »Sie schläft bei Mama und Papa, stimmt’s, mein Schatz?«
Bei dem Geräusch durchdrehender Reifen drehten alle die Köpfe und schauten zum Tor. Ein silbernes Porsche-Cabrio hatte offenbar um ein Haar die Einfahrt verpasst, war kurz ins Schlingern geraten und bretterte jetzt ohne Rücksicht auf Verluste durch die Schlaglöcher in Richtung Parkplatz. Neben dem Range Rover und dem Volvo kam es auf dem Kies knirschend zum Stehen. Das Verdeck war merkwürdigerweise nur halb geöffnet und schwebte hinter den Vordersitzen über dem anscheinend mit Gepäck vollgestopften Fond.
»Wunderbar!«, sagte Ranjit. »Ich fürchtete schon, sie hätten wieder eine Panne gehabt.«
Martha fühlte eine böse Vorahnung in sich aufsteigen. »Gehören die auch zu Ihnen?«
»Ist das ein Problem?« Ranjit zeigte sein gewinnendstes Lächeln, dann rief er: »HE, JOSH!«, und winkte dem Porschefahrer, der ausstieg und zurückwinkte. Der Mann hatte sandfarbenes, zerzaustes Haar und einen hellen, buschigen Bart. Seine Haut war tiefengebräunt, und er trug Espadrilles und so knapp sitzende Shorts, dass man sich fragte, wie er hineingekommen war. Auf der anderen Seite öffnete sich ebenfalls die Tür. Im Nu war der Mann zur Stelle, um – ganz Kavalier – seiner Beifahrerin beim Aussteigen behilflich zu sein.
Sie entpuppte sich als junge Frau, barfuß, in einem kurzen, geblümten Sommerkleid. Ihr langes, kastanienbraunes Haar war hinter die Ohren zurückgekämmt, was ihr mädchenhaft hübsches Gesicht und ihren rosigen Teint vorteilhaft zur Geltung kommen ließ.
Ranjit wandte seine Aufmerksamkeit wieder Martha zu. »Bei Dordogne Dreams hieß es, im Notfall gäbe es zusätzliche Kapazitäten.«
»Einen Raum könnte ich noch freimachen.« Martha dachte an das Zimmer, in dem ihre Mutter immer übernachtet hatte, wenn sie zu Besuch kam. Doch inzwischen war sie schon viele Jahre tot, und das Zimmer war seither nicht mehr benutzt worden. Es musste geputzt und gelüftet werden, und sie hatte nicht genug ordentliche Bettwäsche. Die unangemeldeten Gäste würden sich mit vergilbten Laken und zerschlissenen Kopfkissen zufriedengeben müssen. Ihr fiel ein, dass die Glühbirne der Deckenlampe in der Fassung festgerostet war. Vielleicht gelang es dem vielseitig talentierten Ben, sie herauszudrehen und eine neue einzusetzen. Sie schaute sich nach ihm um, doch er war verschwunden und mit ihm die Müllsäcke und der Komposteimer.
Die schrille Stimme eines Kindes ließ sie aufschrecken. Ein kleiner Junge mit langen weißblonden Locken wühlte sich aus einer winzigen Lücke zwischen den Gepäckstücken im Fond des Porsches, indem er Taschen, Jacken und Plastiktüten vor sich her schob. Kaum draußen, zog er den Reißverschluss seiner Shorts auf und pinkelte in einem beeindruckend hohen Bogen in eine Azalee am Wegrand.
Martha traute ihren Augen nicht.
»Noah, was fällt dir ein!« Einer zweiten Stimme vom Rücksitz des Wagens folgte eine weitere Gepäckeruption. Lange, dünne Beine in schwarzen Röhrenjeans kämpften sich frei, dann folgte der Rest: ein Mädchen, das Gesicht verdeckt von einem Vorhang langer brauner Haare mit türkisen Strähnen. Ihr T-Shirt war ebenfalls schwarz, mit einem Aufdruck in Weiß: Frag nicht.
»Fantastisch, die ganze Bande wieder vereint.« Ranjit strahlte.
»Aaaaah …. ääähm … waaa …« Martha brachte kein verständliches Wort heraus.
»Ich sage den anderen, dass wir uns ein Stündchen gedulden müssen, bis die Zimmer fertig sind.« Ranjit legte seine Hand auf die Schulter seiner Frau und dirigierte sie mit sanftem Druck zur Treppe.
»Aaaah …«, versuchte Martha noch einmal, sich Gehör zu verschaffen.
Der Bengel hatte sein kleines Geschäft erledigt, sich umgeschaut und den Swimmingpool erspäht. Sofort rannte er los, aber das Mädchen mit dem Frag-nicht-Shirt nahm die Verfolgung auf, packte ihn und hielt ihn fest, ungeachtet seines Protestgebrülls und der Versuche, sie in den Arm zu beißen.
»Dad, Hilfe«, rief sie dem Porschefahrer zu, der aber in eine lebhafte Unterhaltung mit dem kleinen, dicken Mann aus dem Volvo vertieft war. Er lachte und schlug ihm freundschaftlich auf den Rücken, dann kehrte er zu seiner Begleiterin zurück. Selbst aus der Entfernung konnte Martha sehen, dass sie zu jung war, um die Mutter der Kinder zu sein.
»Aber ich habe nicht genug Platz für alle«, rief sie hinter Ranjit her. Er drehte sich um und kam die Treppe wieder herauf, seine Frau mit dem Kind im Schlepptau. »Aber eben haben Sie gesagt, Sie hätten zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten.«
»Ich habe – zur Not – fünf Fremdenzimmer. Damit fehlt aber immer noch eins für die beiden Kinder Ihrer unangemeldeten Freunde.« Sie deutete mit dem Kopf in Richtung des Jungen, der sich der Umklammerung seiner älteren Schwester zu entwinden versuchte.
»Ich habe dir gesagt, dass du Josh abwimmeln sollst«, äußerte Lindy verdrossen.
»Lass gut sein, Schatz, wir kriegen das schon hin.« Ranjit nickte seiner Frau beruhigend zu, dann wandte er sich wieder an Martha. »Josh, mein alter Freund vom College, hat mich in letzter Minute gefragt, ob er sich uns anschließen darf. Wir haben immer gemeinsam Urlaub gemacht, zusammen mit Simon und Paula.« Er zeigte auf das Ehepaar, das noch immer damit beschäftigt war, seine Kinder mit Sonnencreme einzureiben. »Wir waren alle auf derselben Universität, und seither treffen wir uns jedes Jahr für einen Kurzurlaub.« Ranjit senkte vertraulich die Stimme. »Wegen privater Probleme hat Josh in diesem Jahr abgesagt. Dann ruft er vor ein paar Tagen plötzlich an und fragt, ob er und die Kinder doch mitkommen können.«
»Seine neue Freundin hat er unerwähnt gelassen.« Lindy presste die Lippen zusammen.
Ranjit überhörte den Einwurf. »Auf den Bildern auf der DD-Webseite wirkt das Haus riesig, deshalb dachten wir, das geht in Ordnung.« Sein Hundeblick hätte ein Herz aus Stein erweicht.
Martha seufzte.
»Wie ich schon zu erklären versucht habe, besteht das Problem darin …«
»Problem? Was für ein Problem?« Die Frau mit dem roten Haar und dem Strohhut marschierte die Stufen hinauf, eine Tube Sonnencreme in der Hand. Sie ließ den Blick über die Terrasse schweifen, von den leeren Weinflaschen zu den Resten von Bens Mittagessen, dem Zigarettenpäckchen und den ausgedrückten Stummeln im Aschenbecher.
»Ich habe Ihren Freunden eben erklärt, dass es im Haus nur fünf Fremdenzimmert gibt.«
»Vielleicht könnten die Mädchen sich ein Zimmer teilen und die beiden Jungs ebenfalls?«, schlug Ranjit vor.
»Meine Töchter brauchen ein eigenes Zimmer.« Die Rothaarige stemmte die Fäuste in die schmalen Hüften. »Sie brauchen Platz und Ruhe, um ihr Ferientagebuch zu schreiben, außerdem müssen sie die Pflichtlektüre für das nächste Schuljahr lesen.«
Martha schaute hinüber zu den beiden Mädchen, die artig neben ihrem Vater standen, Gesicht und Arme weiß gestreift von der dick aufgetragenen Sonnencreme. Sie konnten nicht älter sein als sieben.
»Und Elodie ist fünfzehn. Ich bin ziemlich sicher, dass sie auch ein Zimmer für sich haben möchte.« Die Frau zeigte auf das ältere Mädchen, das immer noch mit dem aufmüpfigen kleinen Bruder kämpfte. »Ganz bestimmt erwartet Carla, dass Josh alles dafür tut, dass die Kinder die Zeit mit ihrem Vater genießen, und dazu gehört ja wohl eine angemessene Unterbringung.«
Angesichts der Art, wie er seine Begleiterin an sich drückte und ihr etwas ins Ohr flüsterte, vermutete Martha, dass die angemessene Unterbringung seiner Kinder das Letzte war, was Josh interessierte.
»Alles in Ordnung?«, rief der Mann der Rothaarigen vom Parkplatz herüber.
»Kann sein, dass wir uns eine andere Unterkunft suchen müssen«, rief seine Frau zurück.
»Ach, Paula, sei nicht so negativ.« Ranjit versuchte, sie zu besänftigen. »Ich bin sicher, es findet sich eine Lösung.«
Lindy hatte die Zeit genutzt, um Terrasse und Haus genauer zu betrachten. »Ich glaube nicht, dass wir uns hier wohlfühlen werden, Ranji.« Sie redete leise, aber Martha hatte gute Ohren. »So, wie das hier aussieht …« Statt weiterzusprechen, rümpfte sie leicht die Nase.
»Ich habe erst in zwei Stunden mit Ihnen gerechnet«, verteidigte sich Martha. »Bis dahin wäre alles hergerichtet gewesen.«
»Im Chateau du Pont haben sie gesagt, sie wären in dieser Woche noch nicht ausgebucht«, fuhr Lindy im selben lauten Flüsterton fort. »Dort hätten wir einen wunderschönen Pool mit Wellnessbereich.«
»Und einen Fitnessraum«, fügte Paula hinzu. »Und das Essen war auch ausgezeichnet. Sehr gesund.«
»Leider waren die Preise ziemlich gesalzen, also langsam, Mädels, nicht gleich die Flinte ins Korn werfen.« Er legte beiden Frauen einen Arm um die Schultern und richtete seine dunklen Augen auf Martha. »Wenn Josh und seine Freundin …«
»Alice«, sagten Lindy und Paula wie aus einem Mund.
»Ach ja, Alice. Wenn Sie Josh und Alice das fünfte Zimmer geben, könnten die Jungs sich eins teilen. Ich bin sicher, Reuben und Noah haben nichts dagegen. Bleibt Elodie. Hätten Sie vielleicht für die Kleine auch noch einen Schlafplatz?«
Die Dachkammer. Martha seufzte innerlich. Sehr klein, vollgestopft mit Krimskrams und aus gewissen Gründen von ihr seit Jahren nicht mehr betreten.
»Ich hätte noch etwas, zwei Treppen hoch, unter dem Dach, und ich muss das Zimmer erst ausräumen. Das kann eine Weile dauern.«
»Komm schon, Ranji, lass uns fahren.« Zum ersten Mal hatte Lindy ein Lächeln für ihren Ehemann. »Ich würde mich im Hotel wohler fühlen.«
Ranjit schaute seine Frau an, dann wieder Martha. »Ich nehme an, wir dürfen mit einer Erstattung rechnen?«
»Einer Erstattung?« Martha starrte ihn an.
»Da Sie die vereinbarte Leistung nicht erbringen können, können wir natürlich unser Geld zurückverlangen.« Ranjits Dauerlächeln war verschwunden.
»Wir haben doch noch gar nichts gezahlt«, zischte Lindy. »Weißt du nicht mehr? Die Absprache mit Dordogne Dreams?«
Paula mischte sich ein. »Dann haben wir trotzdem Anspruch auf eine Entschädigung. Wir hatten eine lange Anreise, und die Unterkunft ist absolut inakzeptabel.« Sie zückte das Handy. »Ich rufe diese Tamara an.« Sie hielt das Handy über den Kopf und drehte sich hin und her. »Ich habe kein Netz.«
»Funkloch.« Martha stellte das Geschirr zusammen. Sie hoffte, dass man nicht von ihr erwartete, für die Entschädigung aufzukommen.
»Warum werfen wir nicht mal einen Blick in die allgemeinen Geschäftsbedingungen des Buchungsportals«, sagte Lindy. »Ranji, gib mir dein Handy.«
»Kein Telefon, kein Internet.« Martha hob den Tellerstapel auf. »Und was 4G angeht – sparen Sie sich die Mühe.«
»Nicht zu fassen!« Paula versuchte immer noch, mit ihrem Handy ein Signal zu empfangen. »Ich muss mit meinem Team in der Bank kommunizieren können, wir stecken gerade in immens wichtigen Verhandlungen. Und mein Vater beaufsichtigt die Arbeiten an unserem Haus. Ein Anbau für die neue Küchenlandschaft. Er muss mit mir Rücksprache halten können!«
Martha zuckte die Schultern. »Tut mir leid, lässt sich nicht ändern.«
Paula fixierte Martha einen Moment stumm, dann ging sie die Treppe hinunter und zum Wagen zurück. »Die Mädchen sollen wieder einsteigen«, rief sie ihrem Mann zu. »Sag Josh Bescheid, dass wir zum Hotel zurückfahren.«
Josh machte sich an seinem Porsche zu schaffen und achtete nicht auf das, was um ihn herum vorging. Er wies Alice an, die Zündung ein- und wieder auszuschalten, während er erfolglos an dem störrischen Verdeck zerrte und zog.
Ranjit und Lindy schickten sich an, Paula zum Parkplatz zu folgen, als das plötzliche Klirren von splitterndem Glas sie veranlasste, stehen zu bleiben und sich umzuschauen.
»Sorry.« Ben sammelte die Scherben einer zerbrochenen Flasche auf.
Martha hatte nicht einmal gehört, dass er wiedergekommen war. Die Gäste starrten ihn an, und sie fragte sich, was ihnen jetzt wohl durch den Kopf ging. Unzweifelhaft verfügte das Château du Pont über seriöser aussehendes Personal.
Ben legte die Scherben in einen Karton und stellte sich neben Martha. »Ich könnte Ihnen helfen, die Kammer auszuräumen«, sagte er leise.
Martha schüttelte den Kopf. Sie griff nach ihren Zigaretten.
»Wir werden bei TripAdvisor einiges zu Ihrem Geschäftsgebaren zu sagen haben«, rief Paula vom Parkplatz her.
»Wollen Sie die Leute wirklich wegfahren lassen?«, fragte Ben. »Nach all der vielen Arbeit?«
»Die sind so verdammt unhöflich!« Martha nahm eine Zigarette aus dem Päckchen und steckte sie zwischen die Lippen.
»Ich dachte, Sie bräuchten das Geld.« Ben hatte seine Stimme noch weiter gedämpft.