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Adolph Streckfuß

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Beschreibung

Eine muntere Gesellschaft war an einem heißen Augustnachmittag in der schattigen Laube des Schloßgartens von Nordenheim versammelt. — Eine recht ansehnliche Zahl von leeren Weinflaschen, welche rings um die Laube im hohen Grase lagen, würde verrathen haben, daß die Gäste des Barons Heinrich von Nordenheim wohl des Guten zu viel gethan haben mochten, wenn dafür nicht auch die gerötheten Gesichter der meist noch jungen Männer gesprochen hätten. Betrunken war zwar keiner von ihnen, aber Alle mit Ausnahme eines Einzigen waren vom Wein erregt; sie unterhielten sich mit einer über die gewöhnliche Heiterkeit hinausgehenden Lebendigkeit.
»Unser gastfreier, liebenswürdiger Wirth, Baron Heinrich von Nordenheim soll leben, also die Gläser gefüllt, Ihr Herren und ausgetrunken bis zur Nagelprobe!« so rief ein junger Dragoner-Lieutenant, auf dessen weinglühendem Gesicht die Spuren des Gelages am schärfsten ausgeprägt waren.

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Ähnliche


E i n T h a l e r.

Criminal-Novelle

von

Adolph Streckfuß.

 

© 2024 Librorium Editions

 

ISBN : 9782385746421

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

XVIII.

XVIII.

I.

Eine muntere Gesellschaft war an einem heißen Augustnachmittag in der schattigen Laube des Schloßgartens von Nordenheim versammelt. — Eine recht ansehnliche Zahl von leeren Weinflaschen, welche rings um die Laube im hohen Grase lagen, würde verrathen haben, daß die Gäste des Barons Heinrich von Nordenheim wohl des Guten zu viel gethan haben mochten, wenn dafür nicht auch die gerötheten Gesichter der meist noch jungen Männer gesprochen hätten. Betrunken war zwar keiner von ihnen, aber Alle mit Ausnahme eines Einzigen waren vom Wein erregt; sie unterhielten sich mit einer über die gewöhnliche Heiterkeit hinausgehenden Lebendigkeit.

»Unser gastfreier, liebenswürdiger Wirth, Baron Heinrich von Nordenheim soll leben, also die Gläser gefüllt, Ihr Herren und ausgetrunken bis zur Nagelprobe!« so rief ein junger Dragoner-Lieutenant, auf dessen weinglühendem Gesicht die Spuren des Gelages am schärfsten ausgeprägt waren.

»Recht so, meine Herren,« — entgegnete ein Anderer, der Einzige aus der Gesellschaft, der ganz nüchtern war, — »Der Toast des Lieutenant von Waltner ist an seiner Stelle. Meinem Bruder, unserm Wirth, muß unser letztes Glas gelten!« Er füllte bei diesen Worten die halbgeleerten Gläser der Gäste, welche etwas verwundert zu ihm aufblickten, aber ihn schweigend gewähren ließen. Nur einer von ihnen, ein schöner Mann von etwa dreißig Jahren, entgegnete mit scharfer Betonung: »Soll daß heißen, daß Sie uns nach diesem letzten Glas ein ferneres verbieten, Herr Doctor Stern?«

»Ich habe nichts zu verbieten, Herr Graf von Sarentin,« antwortete der Gefragte ruhig. »Ich bin ebenso, wie Sie, der Gast meines Bruders, glaubte aber im Sinne der übrigen Herren zu sprechen, wenn ich ihn indirekt bat, die Flaschen jetzt forträumen und den Kaffee bringen zu lassen. Der Toast auf den Wirth pflegt ja der erste oder der letzte zu sein und ich bin überzeugt, mein Freund Waltner hat den seinigen in dem von mir ausgesprochenen Sinne ausgebracht. Nicht wahr, Ferdinand, so ist es?«

Der Dragoner-Lieutenant drehte mit einer etwas zweifelhaften Miene den blonden Schnurrbart, er blickte sehnsüchtig nach dem Eiskübel, in welchem noch einige unangerührte Flaschen des trefflichen Rheinweins standen; als aber der Doctor Stern seine Frage wiederholte und ihm dabei unter dem Tisch die Hand drückte, sagte er ziemlich trübselig:

»Gewiß, Fritz, unser letztes Glas soll unserem Wirth gelten, also bitte, meine Herren, stoßen Sie an!«

»Unter dieser Bedingung nehme ich das Lebehoch gar nicht an!« rief der Baron von Nordenheim; »Graf Sarentin hat ausnahmsweise Recht; wir wollen uns, da wir im besten Zuge sind, nicht das letzte Glas anbefehlen lassen. Ehe nicht die beiden noch im Eis stehenden Flaschen geleert sind, hören wir nicht auf, was auch mein Bruder, der abscheuliche Mäßigkeitsapostel dazu sagen mag!«

Der Graf Sarentin fühlte sich durch die Art und Weise, mit welcher ihm der Baron Recht gab, wohl nicht sehr geschmeichelt, sein dunkles Auge blitzte auf, er warf dem gastfreien Wirth einen giftigen Blick zu, aber er hatte gute Gründe, seinem Zorn keine Worte zu geben. Mit einem spöttischen Lächeln wendete er sich an den Doctor Stern.

»Sie sehen, Herr Doctor,« sagte er höhnend, »daß Ihr mächtiger Wille doch nicht allmächtig ist. Ihr Herr Bruder gehorcht nicht so gutmüthig, wie Ihr Freund, unser Lieutenant von Waltner. Wir werden weiter trinken trotz der gesellschaftlichen Lebensregeln, welche Sie uns zu geben die Gefälligkeit hatten.«

»Ich werde mir niemals die Freiheit nehmen und mir auch niemals die fruchtlose Mühe geben, Sie, Herr Graf, mit gesellschaftlichen Lebensregeln zu belästigen,« erwiderte Doctor Stern ernst. »Meinen Bruder wollte ich nur daran erinnern, daß wir verabredet haben, nach Tisch die neuen Pistolen zu probiren. Zwei weitere Flaschen Rheinwein dürften für ein sicheres Zielen nicht sonderlich förderlich sein!«

»Frieden, Ihr Herren!« rief der Husaren-Rittmeister von Basenow. »Wir haben genug des edlen Weines, dies beweist am besten Ihre Empfindlichkeit, Graf Sarentin. Doctor Stern hatte Ihnen zu derselben keine Veranlassung gegeben. Ich stimme ebenfalls dafür, daß wir jetzt unser letztes Glas auf die Gesundheit unseres Wirthes trinken und dann die neuen Pistolen probiren. Sie müssen sich schon fügen, Baron, wir sind drei gegen zwei und die Majorität entscheidet. Stoßen Sie an, meine Herren, es ist unwiderruflich das letzte Glas!«

Sie stießen an. Lieutenant von Waltner rief mit sehr lauter, aber nicht ganz sicherer Stimme sein: »Vivat Nordenheim!« und die übrigen drei Gäste des Barons stimmten ein, die Gläser wurden bis auf den Boden geleert, dann aber nahm der Rittmeister die noch halb volle Flasche vom Tisch und stellte sie zu den beiden vollen in den Eiskübel, ohne auf den Grafen Sarentin zu achten, der ihm das Glas zum Füllen hinhielt.

Der Rittmeister war der Aelteste unter der kleinen Gesellschaft, er nahm, wenn er auch mit frischer Heiterkeit auf jeden Scherz einging, doch eine Art Respektsstellung in Anspruch, die ihm seine jüngeren Freunde um so lieber gewährten, als er sie nie mißbrauchte, um ihre Freude zu stören oder sich durch Selbstüberhebung unangenehm zu machen. Er war der nachsichtigste Vorgesetzte der jungen Offiziere, der liebenswürdigste Gesellschafter, der treueste und beste Kamerad. Sein Ansehen stand so unerschütterlich fest, daß auch Graf Sarentin keinen weiteren Einspruch wagte, als der Rittmeister den Arm des Barons Nordenheim ergriff und diesen aufforderte, die kleine Gesellschaft nach dem Schießstande zu führen.

»Vorwärts, Ihr Herren, zum Pistolenschießen«, sagte er gutgelaunt. »Ihre Aufgabe, Herr von Waltner, mag es sein, die beiden Kampfhähne da, unsern Doctor Stern und den Grafen Sarentin, zu beruhigen. Schieben Sie sich als trennendes und verbindendes Element zwischen Beide, geben Sie Jedem einen Arm, auch Sie können bei dem Spaziergang durch den Garten dabei nur profitiren!«

Und so geschah es. Der Baron und der Rittmeister gingen voran, die übrigen drei Herren folgten ihm Arm in Arm. Lieutenant Waltner nickte bald dem Doctor Stern zu seiner Rechten, bald dem Grafen zu seiner Linken gutmüthig freundlich zu, auf eine weitere Unterhaltung ließ er sich nicht ein, denn die Zunge war ihm gar zu schwer. Auch der Doctor und der Graf schwiegen, sie hatten keine Veranlassung, den abgebrochenen Streit zu erneuern, aber auch gar keine Lust zum Austausch freundlicher, oder auch nur höflich gleichgültiger Redensarten.

Der Schießstand lag am Ende des ausgedehnten Schloßgartens, die Herren hatten daher einen ziemlich weiten Spaziergang zu machen, ehe sie zu ihrem Ziele kommen konnten; der Rittmeister benutzte diese günstige Zeit, um den Frieden in der kleinen Gesellschaft wieder herzustellen.

»Sie waren sehr scharf gegen den Grafen Sarentin, lieber Baron,« sagte er freundlich, »und doch hatte dieser wohl eigentlich nichts gesagt, was Ihr beleidigendes Wort ›Graf Sarentin hat ausnahmsweise Recht‹ hätte rechtfertigen können. Wäre es nicht gerathen, wenn Sie durch ein freundliches Entgegenkommen das verletzende Wort wieder gut machten?«

»Sie kennen wohl den Grafen Sarentin nicht genauer?« lautete die Gegenfrage des Barons.

»Nein. Ich habe ihn in A** nur hier und da in Gesellschaften getroffen und weiß nichts weiter von ihm, als daß er früher Offizier gewesen ist, seinen Abschied einer nicht ganz auf aufgeklärten Veranlassung wegen genommen hat und jetzt auf ziemlich großem Fuß in A** lebt. Man spricht davon, daß er mehr Geld ausgebe, als er hat, das aber geht mich nichts an. Er ist, wie ich gehört habe, der Erbe des großen Sarentin’schen Majorats, welches mit seinen ungeheuren Einnahmen an ihn fallen muß, sobald sein mehr als 60jähriger Oheim die Augen schließt. Ich kenne den Grafen nur als einen recht guten Gesellschafter, sonst aber nicht näher.«

»Dann kennen Sie ihn eben von seiner besten Seite,« erwiderte der Baron bitter. »Dieser Mensch ist mir im Grund der Seele verhaßt. Schauen Sie ihm nur in das bleiche, abgezehrte Gesicht, in die dunkeln, tiefliegenden, unheimlich blitzenden Augen, beobachten Sie diese niemals ruhigen Züge, das bittere, spöttische Lächeln, welches um den scharf zusammen gekniffenen Mund spielt und dann sagen Sie selbst, ob ich nicht berechtigt bin, eine unwillkürliche Abneigung gegen den Grafen zu hegen.«

»Ihr Urtheil ist scharf und, wie ich glaube, nicht ganz gerecht! Der Graf wird allgemein und besonders von den Damen für einen schönen Mann gehalten. Er gilt außerdem für liebenswürdig und interessant.«

»Er mag dies Alles sein, mir aber ist er unausstehlich!«

»Und doch haben Sie ihm manchen großen Dienst geleistet, wie er heut gelegentlich äußerte. Wir trafen auf der Herfahrt in dem Eisenbahnwagen zusammen. Der Graf wollte nach Kabelwitz, schickte aber dorthin sein leichtes Gepäck voraus und folgte mir. Wir haben den kurzen Weg von der Station P*** nach Nordenheim über Sie und Ihr gastliches Haus plaudernd zurückgelegt. Er war Ihres Lobes voll und versicherte mir, er kenne keinen Menschen, den er so sehr verehre wie Sie und dem er so große Dankbarkeit schulde.«

»Das sagte er?«

»Ja, und er fügte hinzu, Sie hätten ihn mit der liebenswürdigsten Gefälligkeit mehrfach aus großen Verlegenheiten befreit. Wie reimt sich das mit Ihrer Abneigung gegen ihn zusammen?«

»Sehr gut. Es ist wahr ich habe ihm Geld geborgt und zwar mehrfach ziemlich hohe Summen. Ich hoffte, ihn dadurch loszuwerden. Solche Burschen pflegen sich unsichtbar zu machen, uns zu vermeiden, wenn sie uns Geld schulden. Ich habe das Mittel schon oft mit Erfolg angewendet, bei dem Grafen aber hat es bis jetzt noch nichts genützt. Er hängt sich wie eine Klette an mich; vergebens suche ich ihn abzuschütteln. Ich beleidige ihn oft absichtlich mit schnöden Redensarten, für welche jeder andere Edelmann mich fordern würde; er aber hört sie lächelnd mit an und statt mich zu fordern, antwortet er mit einer Liebenswürdigkeit, welche mich entwaffnet. Ich möchte ihn für mein Leben gern aus meinem Hause jagen, so daß er das Wiederkommen vergißt, aber so sehr ich auch die gesellschaftlichen Formen verachte, ganz durchbrechen kann ich sie doch nicht. Ich kann unmöglich ohne eine Veranlassung einem Edelmann aus alter Familie, der mich freundschaftlich besucht, sagen, er solle sich zum Teufel scheeren und mich nicht ferner belästigen; in nächster Zeit aber hoffe ich diese Veranlassung zu bekommen und dann werde ich sie bestens benutzen.«

»Sie haben mir so viel gesagt, daß ich wohl fragen darf: was wollen Sie thun?«

»Gewiß, und ich gebe Ihnen bereitwillig Antwort. Der Graf hat vor etwa drei Monaten sich zweihundert Stück Friedrichsd’ors von mir geborgt. Frühere Darlehne habe ich ihm stets ohne Weiteres gegeben, damals aber kam mir der glückliche Gedanke, ich könnte ihn vielleicht auf gute Art durch ein anderes Verfahren für immer los werden. Ich erklärte ihm, ich sei bereit, ihm das Geld zu borgen, könne es aber nur thun, wenn er mir schriftlich sein Ehrenwort gebe, es in spätestens drei Monaten zurückzuzahlen. Er hat den Ehrenschein ausgestellt und in wenigen Tagen ist dieser fällig. Ich bin überzeugt, er ist heut nur deshalb nach Nordenheim gekommen, um mich um Aufschub zu bitten; aber er täuscht sich, nicht eine Stunde gebe ich ihm Zeit. Hat er sein Ehrenwort gebrochen, dann bin ich berechtigt, den ehrlosen Lumpen mit Schimpf und Schande aus meinem Hause zu jagen.«

»Sie spielen da ein gefährliches und, lassen Sie mich als Ihr Freund dies sagen, ein nicht zu rchtfertigendes Spiel mit der Ehre eines Mannes, den sie nicht leiden können, der Ihnen aber doch, wie Sie selbst zugeben, niemals Veranlassung gegeben hat, ihn zu kränken!«

»Meinen Sie?« entgegnete der Baron heftig auf das ernste Wort. »Er giebt mir täglich mehr Veranlassung, als Sie ahnen, — doch dies sind Familienangelegenheiten, über welche ich eigentlich nicht sprechen sollte.«

»Dann bitte ich Sie, es nicht zu thun. Ich bin weit davon entfernt, mich in Ihr Vertrauen eindrängen zu wollen.«

»Das weiß ich, Herr Rittmeister. Sie aber sind gerade der einzige Mensch, zu dem ich ein recht volles, festes Vertrauen habe, der Einzige von den vielen Freunden, welche mich hier in Nordenheim besuchen, der mir mehr ist, als ein Alltagsgast. Hören Sie also die kurze Geschichte meines Hasses gegen den Grafen Sarentin und Sie werden ihn gerechtfertigt finden; natürlich bitte ich Sie um unbedingte Verschwiegenheit.«

»Sie haben selbstverständlich mein Wort.« —

»Sie wissen, daß mein Vater wenige Monate nach meiner Geburt starb und daß meine Mutter einige Jahre später sich zum zweiten Male mit dem Geheimen Rath Stern in A** vermählte. Diese Heirath machte damals großes Aufsehen. Die Verwandten meiner Mutter waren höchst aufgebracht damit, daß sie ihre Hand einem Bürgerlichen gab, obgleich dieser ein hochgestellter Staatsbeamter war. Der Bruder meiner Mutter, der Major Fritz von Streit auf Kabelwitz, kam Jahre lang nicht mehr nach A**, um nur die bürgerliche Schwester, welche früher sein Liebling gewesen war, nicht mehr zu sehen. — Meine gute Mutter hat darüber viel geweint, sie hat manchen vergeblichen Versuch gemacht, sich dem Bruder wieder zu nähern, endlich aber ist es ihr gelungen. Sie ist nach Kabelwitz gereist und die Geschwister haben sich versöhnt, so daß mein Bruder, der bald nachher geboren wurde, von seinem Pathen, dem Onkel Streit, den Vornamen Fritz erhalten hat. —

Von dieser Zeit an lebten unsere beiden Familien im innigsten Einverständniß. Mein Stiefvater nahm seinen Abschied, er zog hierher nach Nordenheim, nach meinem Majoratsgut, welches er mit treuer Sorgfalt für mich verwaltete. Fast täglich kam Onkel Streit nach Nordenheim, oder mein Bruder wanderte nach dem nahen Kabelwitz und spielte mit unserer kleinen Cousine Elwine. Wir liebten uns von ganzem Herzen und später habe ich erfahren, daß schon von Elwinens Geburt an der Onkel Streit und meine Mutter die Verabredung getroffen hatten, wir Beide sollten für einander erzogen werden. Ich dachte natürlich damals an solche Pläne nicht. Ich war ein wilder, unbändiger Junge, der wohl die kleine 3 Jahre jüngere Cousine als ein reizendes Spielzeug herzlich liebte, der aber über den Gedanken, das Kind solle seine Frau werden, nur gelacht haben würde.

Die Jahre vergingen, ich wuchs zum Jüngling heran, kam auf das Gymnasium nach A** und hielt mich dann Studirens halber drei Jahre in Heidelberg auf. Ich will mich nicht besser machen als ich bin. Gelernt habe ich auf der Universität nicht viel. Ich war der beste Schläger, Senior unserer Verbindung und habe in Heidelberg den Ruf eines famosen Burschen hinterlassen; die Philister freilich meinten, ich sei ein ziemlich roher Patron gewesen und hätte mehr auf dem Fechtboden gelegen und im Bierhaus gesessen, als im Collegium.

Als ich vor 6 Jahren mein vierundzwanzigstes Jahr vollendet hatte und dadurch mündig geworden war, erhielt ich in Heidelberg den Ruf meines Stiefvaters, nach Nordenheim zurückzukehren und meine Majoratsgüter, welche er bis dahin verwaltet hatte, nun selbständig zu übernehmen. Ich sagte ungern dem fröhlichen, wilden Burschenleben Valet; als ich aber nach Haus kam und hier mein reizendes Cousinchen, die wunderschöne, damals 15jährige Elwine, wiedersah und als mir meine Mutter überglücklich im tiefsten Geheimniß anvertraute, Elwine sei meine Braut, in drei Jahren solle die Hochzeit gefeiert werden, das Kind dürfe es aber selbst noch nicht wissen, vergaß ich schnell die Freuden des Studentenlebens und mit wahrer Lust und Liebe gab ich mich der Landwirthschaft hin. Unter der Leitung meines vortrefflichen Stiefvaters bewirthschaftete ich meine Güter, aber täglich war ich in Kabelwitz und täglich wuchs mir Elwine enger ans Herz.

Es war eine glückliche, selige Zeit! Mit Stolz und Freude schaute meine Mutter mich und Elwine, ihre künftige Schwiegertochter, an; sie meinte, eine Frau, welche besser für mich passe, als meine schöne Cousine, könne es in der ganzen Welt nicht geben. War ich ein wilder, tollkühner Reiter, ein nie fehlender leidenschaftlicher Jäger, so überbot mich doch Elwine fast noch. Der alte Major hatte seinem einzigen Töchterchen eine wunderliche Erziehung gegeben; zum Schrecken der Gouvernanten und Hauslehrer hatte ihn Elwine zu Pferd auf seinen Spazierritten aufs Feld und zur Jagd begleiten müssen. Kein Pferd war ihr zu wild, sie zügelte es; bei den Hetzjagden, welche Onkel Streit veranstaltete fehlte Elwine niemals, sie war die kühnste Reiterin und verstand, wie der geübteste Jäger, mit der Büchse umzugehen.

Man nannte sie deshalb in der ganzen Gegend die Amazone und sie hat diesen Namen, wie Sie wissen, bis auf den heutigen Tag behalten.

Jede freie Stunde, welche mir die Bewirthschaftung meiner Güter ließ, verlebte ich in Kabelwitz. Ich ritt mit Elwina um die Wette, wir jagten zusammen in ausgelassener Fröhlichkeit über Wiesen und Hecken und oftmals trug sie beim tollkühnen Reiten den Sieg über mich davon, niemals aber über meinen jüngeren Bruder Fritz, der ihr steter Begleiter war.

Fritz war damals 17 Jahre alt, er hatte schon sein Abiturientenexamen bestanden, aber noch ein Jahr warten, ehe ihm mein Stiefvater erlaubte, die Universität zu beziehen. Meine Mutter wünschte, er solle seinen schwächlichen Körper durch ein längeres Leben in der gesunden Landluft stärken und erst dann seine Studien fortsetzen; schwächlich aber war er in Wirklichkeit ganz und gar nicht, wenn er auch so erschien.

Sie kennen meinen Bruder; so ruhig, ernst und entschieden, wie Sie ihn heut sehen, war er schon als Knabe. Alles, was er anfing, gelang ihm. Er arbeitete mit unermüdlichem Fleiß und setzte durch seine Fortschritte die Lehrer in das höchste Staunen, wenn er aber die Bücher fortwarf und auf den Turnplatz eilte, dann zeigte sein scheinbar zart gebauter Körper eine bewunderungswerthe Muskelkraft. Er war ein Reiter ohne Gleichen, ein Jäger, dessen Ueberlegenheit in Sicherheit des Schusses selbst Onkel Streit anerkennen mußte. Der scheinbar schwächliche Jüngling zeigte bei unsern wilden Hetzjagden eine zähe ausdauernde Kraft, welche ihn stets zu Elwinens großem Aerger zum Sieger über uns Beide machte; es war dies um so merkwürdiger, als er gar kein sonderliches Vergnügen an solchen ausgelassenen Hetzjagden empfand, sondern weit lieber zu Haus mit Elwinen ein Meisterwerk unserer Dichter las, — eines jener Trauer- und Thränenspiele, welche mir stets ein gelindes Gähnen verursachen.

Zwei Jahre lebten wir drei in herrlichster Eintracht zusammen, Fritz hatte zwar die Universität in A** bezogen, an jedem Sonntag aber kam er nach Nordenheim und die Ferienzeit brachte er stets zu Hause zu. Elwine liebte ihre beiden Vettern, wie sie in naiver Aufrichtigkeit versicherte, wie sie nur ihre Brüder, wenn sie solche gehabt hätte, geliebt haben würde, wen sie aber lieber habe, den Heinrich oder den Fritz, daß wisse sie nicht.

An Elwinens Geburtstag, sie war 17 Jahre alt geworden, sollte unser Geschick sich entscheiden; Onkel Streit und meine Mutter hatten verabredet, daß an diesem Tage unsere Verlobung gefeiert werden solle. Niemals hatte ich bisher mit Elwinen von den Plänen unserer Eltern gesprochen, ich hatte ja meiner Mutter das Versprechen gegeben, es nicht zu thun; an jenem verhängnißvollen Tage sollte ich das Schweigen brechen. Ich ritt schon am frühen Morgen hinüber nach Kabelwitz, frohen Herzens, mit herrlichen Zukunftsplänen im Kopf, ich dachte gar nicht an die Möglichkeit, daß Elwine, die mich so innig liebte, sich weigern könne, mein trautes Weibchen zu werden. Und doch geschah es!

Lassen Sie mich forteilen über die traurigste Stunde meines Lebens. Die Erinnerung ist wahrlich keine angenehme. Elwine erklärte mir mit jener unerschütterlichen Festigkeit, die ihr eigen ist und die keine Hoffnung für die Zukunft zuläßt, daß sie niemals mein Weib werden könne. Meine Schwester sei sie, als solche liebe sie mich mit ganzem Herzen und werde mich lieben ihr Leben lang.

Es kamen böse Tage. Onkel Streit war außer sich vor Wuth, als er hörte, daß Elwine mich zurückgewiesen habe; er nannte sie eine ungerathene Tochter, er fluchte und drohte; aber Elwine blieb felsenfest. Wenn ihr Vater es befehle, so erklärte sie, werde sie freilich gehorchen müssen, sie werde das Ja vor dem Altar sagen, dadurch aber für ewig von mir getrennt sein!

Genug von jener traurigen Zeit! Ich machte dem Familienstreit ein Ende, indem ich erklärte, ich würde niemals Elwinens Hand annehmen, dann verließ ich Nordenheim. Ich habe seitdem die halbe Welt durchreist und ein ziemlich wüstes, unstätes Leben geführt. Der Tod meiner Mutter und meines trefflichen Stiefvaters hat mich vor etwa einem Jahre nach der Heimath zurückgerufen, seitdem lebe ich wieder als ein flotter Junggeselle auf meinem Stammgut im herzlichen Einvernehmen mit meinem Bruder Fritz, mit dem Onkel Streit und mit Elwinen, die mir, wie sie versprochen, eine treue Schwesterliebe bewahrt hat.

Was aber hat diese lange Erzählung mit dem Grafen Sarentin zu schaffen? — so werden Sie mich fragen. Sie sollen es hören. Als ich zurückkehrte und zum ersten Male wieder meinen Bruder und Elwinen zusammen sah, da wurde es mir klar, daß ich früher blind gewesen war. Wäre Fritz der Freiherr von Nordenheim gewesen und hätte er um ihre Hand geworben, dann würde sie ihm nicht wie mir geantwortet haben. Das weiß sie wohl selbst nicht und auch Fritz ahnt es nicht, denn es ist ihm sicherlich noch nie der Gedanke gekommen, daß Elwine ihn anders als eine Schwester liebe; er kennt auch den Adelsstolz des Onkels Streit und weiß, daß dieser eher seine Tochter verfluchen als eine Ehe mit einem Bürgerlichen gestatten werde; aber ich weiß, daß sein ganzes Herz an ihr hängt, daß er sie liebt mit unverlöschlicher Leidenschaft und doch ist sie ihm verloren für immer. Graf Sarentin ist sein Nebenbuhler.

Der Graf weiß es ebenso gut, als ich, daß Elwine nicht ihn, sondern meinen Bruder liebt, deshalb hegt er gegen diesen einen grimmigen Hass; aber er bewirbt sich trotzdem um die Hand meiner Cousine und er hat von dem Onkel Streit das Jawort erhalten; Elwine wird zu der verhaßten Heirath gezwungen werden, der Onkel hat mir dies selbst gesagt, und der Graf wird nicht freiwillig zurücktreten, sondern das Opfer des kindlichen Gehorsams annehmen, wenn es mir nicht gelingt, seinen schändlichen Plan zu durchkreuzen. Aber ich werde es thun. Ich werde ihn entweder entlarven als einen ehrenwortbrüchigen Schurken oder ich will ihn durch fortgesetzte Beleidigungen zwingen, sich mit mir zu schießen. Lieber schieße ich ihn nieder wie einen tollen Hund, ehe ich es dulde, daß dieser Patron, um eine reiche Mitgift zu erschleichen, Elwinen und meinen Bruder unglücklich macht für alle Zeit! Um eines solchen Schurken willen sollen nicht die beiden einzigen Menschen, die ich in dieser nichtsnutzigen Welt liebe, verzweifeln! Jetzt denke ich, Herr Rittmeister, Sie werden es begreifen, weshalb ich diesen Grafen Sarentin hasse, weshalb ich entschlossen bin, ihn als einen Ehrlosen zu entlarven, weshalb ich ihn beleidige, wo ich nur weiß und kann!«

Der Baron hatte die letzten Worte mit einer Aufregung gesprochen, an welcher wohl der Rheinwein nicht ohne Verschulden war; er schwieg, offenbar erwartete er eine zustimmende, billigende Bemerkung des Rittmeisters, darin aber täuschte er sich.

»Sie haben mich in fremde, traurige Familienverhältnisse eingeweiht, Herr Baron,« entgegnete der Rittmeister ernst, »wünschen Sie, daß ich Ihnen offen meine Ansicht ausspreche?«

»Ja.«

»Es soll geschehen auch auf die Gefahr hin, daß ich Sie beleidige?«

»Sprechen Sie ohne Scheu! Ein redlich gemeinter Tadel kann mich nie beleidigen! Meinen Sie etwa, ich solle ruhig zusehen, daß Graf Sarentin, um Elwinen’s reiche Erbschaft zu erschleichen, um seine Schulden zu bezahlen, meine Cousine heirathet, obgleich er weiß, daß sie ihn haßt, daß sie meinen Bruder liebt? Wenn Sie das von mir verlangen, — dann, — dies sage ich Ihnen offen Herr Rittmeister, — werde ich, so sehr ich Sie achte, doch Ihren Rath nicht befolgen.«

»Ich kann Ihnen nur rathen, nicht befehlen, Herr Baron! Sie mögen thun, was Sie für gut finden, meine Ansicht aber sollen Sie unverfälscht hören. Ihr Haß gegen den Grafen und selbst dessen Werbung um die Hand Ihrer Cousine, giebt Ihnen kein Recht zu einer Ihrer nicht würdigen Intrigue! Eine solche aber ist es, wenn Sie dem Grafen eine namhafte Summe auf Ehrenwort geliehen haben in der Absicht, diese Gefälligkeit zu gebrauchen, um ihn zu entehren!«

»Herr Rittmeister!«

»Ich halte mein Wort aufrecht,« fuhr der Rittmeister ernst und entschieden fort. »Es ist Ihrer nicht würdig, so zu handeln und ebenso wenig ist es zu billigen, wenn Sie als ein Raufbold Gelegenheit suchen, den Ihnen verhaßten Mann zu einem Duell zu zwingen mit der Absicht, ihn nieder zu schießen. Eine solche Tödtung wäre wenig besser als ein vorbedachter Mord. Ich bitte Sie, um Ihrer eignen Ehre willen, stehen Sie von solchem Unternehmen ab.«

»Nein und tausendmal Nein!« rief der Baron in wilder Aufregung. »Ich habe ihm ein Darlehen nicht aufgedrängt; er hat es gefordert, obgleich ich den Ehrenwortschein von ihm verlangte und ihm sagte, daß ich auf der pünktlichsten Einlösung bestehen müsse. Nicht ich entehre ihn, er entehrt sich selbst, wenn er nicht zahlt! Ich habe das Mittel in der Hand, diesen Schurken zu entlarven und sollte es nicht gebrauchen? — nun und nimmer mehr! — Ich danke für Ihren Rath, Herr Rittmeister, aber ich kann ihn nicht befolgen. Lieber will ich selbst Ehre und Seligkeit aufgeben, als meinen Haß und meine Rache gegen diesen heimtückischen Grafen! Ich kann Ihren Rath nicht befolgen, selbst wenn ich es wollte; lassen Sie uns kein Wort mehr über diese Sache sprechen, es wäre doch vergeblich; vergessen Sie, was ich Ihnen gesagt habe!«

»Ich will es versuchen, Herr Baron, aber ich fürchte, Sie selbst werden mir dies durch Ihre Handlungsweise unmöglich machen.«

»Sprechen wir nicht mehr davon! Glücklicher Weise sind wir am Ziele, hier ist der Schießstand.«

II.

Der Schießstand, welchen der Baron von Nordenheim für sich und die zahlreichen Gäste, die von der Residenz A** aus sein gastfreies Haus besuchten, hatte einrichten lassen, lag am äußersten Ende des Schloßgartens, da wo dieser an die große Sortauer Heide, einen weit ausgedehnten, theils zu Nordenheim, theils zu Kabelwitz, theils zu dem Rittergut Sortau gehörenden Kiefernwald stieß. Nur eine Lyciumhecke, welche an vielen Stellen durchbrochen war, trennte den Schloßgarten von der Heide. Unmittelbar hinter dem eleganten, kleinen Pavillon, den der Baron zum Schutz der Pistolenschützen gegen den Regen hatte errichten lassen, befand sich eine breite Oeffnung in der Lyciumhecke. Die Landleute der Umgegend benutzten sie, wenn sie von Kabelwitz nach Dorf Nordenheim wanderten; es war ihnen früher durch den sehr humanen Geheimrath Stern gestattet worden, den näheren durch den Schloßgarten führenden Fußweg einzuschlagen, und auch der Baron hatte bisher dagegen noch nichts gethan, obgleich es ihm nicht angenehm war, daß Bauern und Tagelöhner vorbeikamen, wenn er mit seinen Gästen Schießübungen hielt.

Als der Baron mit dem Rittmeister und bald darauf der Lieutenant Waltner mit dem Doctor Stern und dem Grafen Sarentin in den Pavillon traten, fanden sie hier schon Alles zu ihrem Empfange vorbereitet.

Auf einem Tischchen standen fünf Tassen mit rauchendem Kaffee, auf einem andern Tisch fünf Gläser und daneben auf dem Fußboden der bekannte Eiskübel mit den Weinflaschen darin, der von den Bedienten auf einem näheren Wege nach dem Schießstand gebracht worden war, falls etwa einer oder der andere der Herren den Wein dem Kaffee vorziehen sollte.

»Vortrefflich!« rief der Baron erfreut, als er die Flaschen im Eiskübel sah; »mein alter Anselm ist wirklich ein Juwel, er erräth meine Gedanken, ehe ich sie noch ausgesprochen habe. Bedienen Sie sich meine Herren, — da ist Kaffee für die des edlen Weines Müden; ich aber will Wein! Im göttlichen Rebensaft liegt das glückliche Vergessen alles irdischen Kummers! Stoßen Sie mit mir an auf das Vergessen, Herr Rittmeister!

»Ich danke Ihnen,« erwiderte der Rittmeister ernst abwehrend, »ich ziehe den Kaffee vor. »Ich trinke keinen Wein mehr!«

»Dann thue ich es für Sie!« sagte der Baron, der zwei Gläser gefüllt hatte, sie jetzt nach einander schnell leerte, und wieder vollfüllte.«

»Heinrich, ich bitte Dich, laß den Wein, thu es mir zu Gefallen!« flüsterte der Doctor Stern seinem Bruder bittend zu, dieser aber wies die Mahnung unwirsch zurück.

»Laß mich zufrieden, Du unausstehlicher Mäßigkeitsapostel! Dir zum Trotze trinke ich jetzt zwei Gläser statt des einen!« und wieder leerte er die beiden Gläser unmittelbar nach einander. Die Wirkung zeigte sich bald, sein Gesicht glühte in dunkler Röthe, seine Augen funkelten in einem unheimlichen Feuer. Er war nicht betrunken, aber in einer fieberhaften Aufregung.

»Damit ist’s genug, dies Glas soll das Letzte gewesen sein,« rief er, das geleerte Glas in das Gebüsch werfend.

»Jetzt zum Pistolenschießen! Ich will Dir beweisen, daß daß ich nicht zu viel getrunken habe und so sicher ziele, als hätte ich nie ein Glas Wein gesehen. Die Pistolen, Anselm!«

Der alte, weißhaarige Diener, der im Hintergrund des Pavillons der Befehle seines Herrn gewärtig gestanden hatte, brachte den Pistolenkasten, in welchem zwei neue, sehr elegante Pistolen lagen. Der Baron lud sie mit sicherer Hand. Fast ohne zu zielen schoß er die eine ab und die Kugel traf die dreißig Schritt entfernte Scheibe im Centrum.

»Nun, habe ich etwa zu viel getrunken?« fragte der Baron triumphirend. Wer von den Herren hat den Muth, mir auf 20 Schritte einen Thaler hinzuhalten! Ich wette 100 Friedrichsd’or, daß ich ihn zwischen Daum und Zeigefinger fortschieße!«

Keiner der Herren antwortete.

»Hat keiner der Herren den Muth? Wie wär’s, Graf Sarentin, ich wette 100 Friedrichsd’or gegen Einen?«

»Ich danke Ihnen, Baron Nordenheim; so sehr ich auch Ihre Geschicklichkeit bewundere, würde ich doch nicht 1 gegen 10,000 eine solche Wette eingehen. Die Möglichkeit, eine Hand zu verlieren, kann nicht durch Geld aufgewogen werden.«

»Verdammte Feigheit!« rief der Baron ärgerlich. Graf Sarentin aber schien das beleidigende Wort gar nicht gehört zu haben; er hatte sich umgewendet und eine der Kaffeetassen genommen, jetzt klirrte er mit dem silbernen Löffel beim Umrühren gegen dieselbe.

»Sie gehen zu weit, Herr Baron!« rief der Rittmeister mit ernster Entschiedenheit. »Sie vergessen die Rücksichten, welche Sie uns, Ihren Gästen schuldig sind und ich muß Sie um eine Erklärung darüber bitten, was Sie mit dem Worte ›verdammte Feigheit‹ gemeint haben. Wollen Sie etwa damit sagen, derjenige sei ein Feigling, der Ihnen nicht einen Thaler zur Zielscheibe hinhalten will? Dann befinde ich mich in diesem Falle, denn ich stimme dem Grafen Sarentin in seiner Weigerung und in dem Grunde für dieselbe durchaus bei.«

»Auch ich!« sagte der Lieutenant von Waltner mit lallender Stimme. Der gute Lieutenant hatte dem Beispiele seines Wirthes folgend noch ein paar Gläser von dem eiskalten Rheinwein getrunken.