Ein Traum in Weiß - Dani Atkins - E-Book

Ein Traum in Weiß E-Book

Dani Atkins

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Beschreibung

Ein Hochzeitskleid – drei Frauen – drei wunderschöne Liebesgeschichten In »Ein Traum in Weiß« erzählt Bestseller-Autorin Dani Atkins in drei romantischen Kurzromanen von drei Schicksalen, die ein Hochzeitskleid locker miteinander verbindet. Im Brautmodenladen »Fleurs« wartet ein ganz besonderes Hochzeitskleid darauf, den »schönsten Tag im Leben« perfekt zu machen: Kurz vor ihrer Hochzeit wird Suzanne von einem seltsamen Bauchgefühl geplagt; daran kann auch der perfekte Traum in Weiß nichts ändern, den sie im Brautmodenladen »Fleurs« gefunden hat. Ist der charmante, aber verschlossen Darell wirklich der Richtige? Bei einem furchtbaren Unfall auf einer Achterbahn wird Bella mit einem Fremden im Wagen eingeklemmt. Als die beiden Stunden später gerettet werden, weiß sie, dass Will ihr Leben verändert hat. Doch Bella wird vielleicht nie wieder gehen können – und sie ist seit vielen Jahren mit Aaron zusammen … Als einzige in ihrer Familie freut sich die 17-jährige Mandy von Herzen, als Oma Amanda eröffnet, sie habe sich verliebt wie nie zuvor – in eine Frau. Kann Mandy ihren konservativen Vater milde stimmen und Amanda einen Traum erfüllen? Zum Träumen schön und mit genau der richtigen Dosis Drama und unerwarteten Wendungen sind die drei Liebesgeschichten der britischen Autorin Dani Atkins ein sommerlich-romantischer Lesegenuss für alle Frauen, die noch von ihrer Hochzeit träumen – oder in wunderschönen Erinnerungen schwelgen möchten.

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Seitenzahl: 549

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Dani Atkins

Ein Traum in Weiß

Drei Liebesgeschichten. Ein Kleid.

Aus dem Englischen von Anne-Marie Wachs

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Im Brautmodenladen Fleurs wartet ein ganz besonderes Hochzeitskleid darauf, den »schönsten Tag im Leben« perfekt zu machen: Herzerwärmend, liebevoll und mit der richtigen Dosis Drama und unerwarteten Wendungen erzählt Dani Atkins, wie der Traum in Weiß nacheinander drei ganz unterschiedliche Bräute glücklich macht; angefangen bei Suzanne, die den Antrag nach nur sechs Monaten vielleicht doch zu vorschnell angenommen hat, über Bella, die ein tragischer Unfall vor mehr als eine lebensverändernde Entscheidung stellt, bis zur 76-jährigen Witwe Amanda, die sich in der Seniorenresidenz verliebt wie nie zuvor – in eine Frau.

Inhaltsübersicht

Teil eins

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Teil zwei

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Teil drei

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Danksagung

Leseprobe »Sechs Tage zwischen dir und mir«

Teil eins

Suzanne

Kapitel 1

Der Teppich war dick. Und teuer. So einer, bei dem Fußabdrücke im Flor zurückbleiben, wenn man drüberläuft. Seine Farbe war ein hauchzartes Grau, wie die Flügel einer Taube oder einer irisierenden Perle in einer Auster. Eine ziemlich unpraktische Farbe für ein Ladengeschäft. Ich hob den Blick zu den vielen Reihen mit Kleidern ringsum an den Wänden: weiß, champagnerfarben, elfenbein, cremeweiß. Es war ein wenig wie im Himmel, alles um mich herum war weiß oder hatte einen sehr hellen Pastellton. Und alles war makellos. Hier war kein Platz für Schmutz, Sand oder Straßenstaub. Nur für alle Fälle streifte ich meine Schuhe deutlich länger als sonst an der Kokosfußmatte ab.

Aus dem schwächer beleuchteten hinteren Teil des Ladens kam mir eine Frau entgegen. Sie war groß und dünn wie eine Häkelnadel und von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet. Selbst ihr Haar hatte die Farbe von Ebenholz, was bei ihrer hellen Haut kaum der Natur zu verdanken sein konnte. Sie trug es zu einem Dutt zurückgekämmt, der seinem Aussehen nach schmerzhaft sein musste und so akkurat frisiert war, als wäre er nicht mit Haarnadeln, sondern mit Sekundenkleber befestigt.

»Guten Tag, Suzanne«, begrüßte sie mich und streckte mir ihre Hand mit den langen, schlanken Fingern entgegen. »Schön, Sie wiederzusehen.«

Ich lächelte, vermutlich deutlich entspannter als vor einem halben Jahr bei meinem ersten Besuch hier bei Fleurs. Natürlich, denn damals hatte ich unter dem Druck gestanden, eine der wichtigsten Kaufentscheidungen meines Lebens zu treffen, und zudem noch ganz allein. Doch im Grunde war ich nicht wirklich allein gewesen, und wahrscheinlich hatte auch gar nicht ich die Entscheidung getroffen, denn Gwendoline Flowers, die etwas herrische Inhaberin von Fleurs Wedding Gowns, hatte quasi schon in dem Augenblick, als ich das Geschäft betrat, entschieden, welches Kleid ich erstehen sollte.

»Haben Sie heute Begleitung mitgebracht?«, fragte Gwendoline und schaute hinter mich, wo es eindeutig nichts zu sehen gab.

»Meine Mutter kommt noch, und Karen, meine beste Freundin«, sagte ich und sah auf meine Armbanduhr. »Ich bin wohl ein bisschen früh dran«, fügte ich entschuldigend hinzu, denn ich war eine gute Viertelstunde vor dem Termin hier. Das war nichts Besonderes. Meine Angst, mich – bei jedem denkbaren Anlass – zu verspäten, war eine Phobie, die sich jetzt, wo ich fast zweiunddreißig war, wohl nicht mehr von allein auswachsen würde.

»Besser zu früh als zu spät«, sagte Gwendoline mit einem schelmischen Augenzwinkern, und es fröstelte mich leicht beim Gedanken an eine törichte Braut, die es nicht schaffte, hier zu ihrem Termin pünktlich zu erscheinen. »Hauptsache, nicht bei der Hochzeit selbst – da sollten Sie ganz sicher nicht zu früh dran sein. Und treffen Sie auf keinen Fall vor dem Bräutigam ein«, schob sie mit einem unheimlichen Hexengekicher hinterher. Hexen hatten in den prägenden Jahren meiner Kindheit eine wichtige Rolle gespielt. Genauso wie Drachen.

»Setzen Sie sich doch bitte, meine Liebe, während wir auf Ihre Entourage warten«, forderte Gwendoline mich auf, wobei sie wie die Dirigentin eines unsichtbaren Orchesters mit einer Armbewegung auf denselben Sessel mit Samtbezug deutete, auf dem ich hier bei meinem ersten Besuch vor einem halben Jahr Platz genommen hatte.

Wie damals setzte sich Gwendoline hinter den antiken Schreibtisch, und die Erinnerung an unsere erste Begegnung, bei der ich mich exakt wie in einem Bewerbungsgespräch gefühlt hatte, wurde wieder wach. Ich wusste, dass sie mir keinerlei Erfrischungen anbieten würde. In manchen Geschäften bekamen die Kundinnen ein Glas Champagner, während sie sich die Kleider zeigen ließen, doch im Fleurs waren Essen, Getränke, kleine Kinder und alles, was auf vier Beinen herumspazierte, tabu.

»Also nur noch drei Wochen bis zum großen Tag«, bemerkte Gwendoline mit einem Lächeln, das praktisch alle ihre Zähne zum Vorschein brachte.

Mein Magen zog sich nervös zusammen, ich spürte den Knoten, der mir schlaflose Nächte bereitete und sich verhärtete, je näher mein Hochzeitstag rückte. »Ja. Es ist alles so schnell gegangen! Ich hoffe, ich habe nichts vergessen. Sie hatten vollkommen recht, als Sie sagten, ein halbes Jahr würde eigentlich nicht ausreichen, um eine Hochzeit zu planen.«

»Was Sie wirklich brauchen, sind lediglich zwei Dinge«, erklärte sie. »Ein umwerfendes Kleid …«– sie neigte den Kopf zu einem mit einem Vorhang abgetrennten Ankleidezimmer, wo meines vermutlich auf die Anprobe wartete – »und einen ganz wunderbaren Bräutigam.«

Ich seufzte erleichtert auf und erlaubte mir ein Lächeln. Eines davon hatte ich auf jeden Fall. Auch wenn ich wusste, dass die Jury in der Sache noch nicht zu einem Urteil gekommen war, zumindest was einige Mitglieder unserer Hochzeitsgesellschaft anging. Darunter auch meine Mutter. Dass sie nur so wenige Gelegenheiten gehabt hatte, ihren zukünftigen Schwiegersohn kennenzulernen, bevor er offiziell Teil der Familie werden sollte, war vermutlich nicht gerade förderlich gewesen. Oder würde ich Teil seiner Familie werden? Ich war mir nicht ganz sicher, was das Protokoll zu dieser Frage sagte.

Das Problem war, dass meine Mutter in Cornwall lebte, und außerdem konnte sie Männer nicht ausstehen … Wobei das so nicht ganz stimmte – bloß meinen Vater konnte sie nicht ausstehen. Was wahrscheinlich mit ein Grund dafür war, dass sie auch Hochzeiten nicht leiden konnte, sowohl das Konzept an sich als auch die Erfahrung, die sie selbst einmal gemacht hatte und lieber nicht wiederholen wollte.

Darrell beschrieb seine zukünftige Schwiegermutter gern als herrlich exzentrisch, eine Formulierung, von der ich um seinetwillen hoffte, er würde sie nie in ihrer Gegenwart verwenden. Auch ihr Promistatus war ganz nach seinem Geschmack, auf jeden Fall weit mehr als nach meinem. Meine Mutter ist Schriftstellerin, eine sehr erfolgreiche sogar. Wenn ich den Namen preisgeben würde, der auf meiner Geburtsurkunde steht, wüsste jeder sofort, wer sie ist. Wahrscheinlich gibt es kein Kind im ganzen Land, das nicht ein Buch ihrer Reihe über Magie, Hexen und unheimliche Drachen, die glühend heiße Lava speien, gelesen hat.

In meiner Schulzeit war ich ungemein beliebt, was aber rein gar nichts mit mir zu tun hatte. Ich war ein stilles, introvertiertes kleines Mädchen, das am Rand des Spielplatzes herumstand, sich nie traute, am Klettergerüst kopfüber runterzuhängen, und das in der Sportstunde immer als Letzte die Ziellinie erreichte. Aber alle rissen sich so darum, mit mir befreundet zu sein, dass es beinahe peinlich war. Jeder wollte nach der Schule bei uns zum Tee eingeladen werden oder – der heilige Gral, das Höchste, was man erreichen konnte – bei uns übernachten. Ich wusste nicht, ob meine Klassenkameradinnen enttäuscht waren, als sie feststellen mussten, dass wir in einem sehr gemütlichen, aber ansonsten ganz langweiligen, gewöhnlichen Haus wohnten und nicht in einer Burg, wie sie es offenbar erwartet hatten.

Mein Vater hatte fröhlich so ungefähr jedes mögliche Geschäftsmodell ausprobiert und sein Bestes getan, das Einkommen meiner Mutter schneller zu verpulvern, als sie es verdiente. Es war eine ziemliche Überraschung, als sie nach vielen Jahren, die sie zusammengelebt hatten, kurz vor meinem fünften Geburtstag beschlossen, zu heiraten. Ihre Scheidung, kurz nachdem ich acht geworden war, kam dann weniger überraschend. Bald darauf verschwand mein Vater mitsamt einem Großteil vom letzten Vorschuss meiner Mutter nach Spanien, um mit dem Geld in Malaga eine Bar zu eröffnen, die unerwarteterweise sehr gut lief. Er hinterließ meiner Mutter nichts außer bösen Erinnerungen und seinem Nachnamen, den ich angenommen hatte; das ersparte es mir wenigstens, jedes Mal, wenn ich jemandem vorgestellt wurde, auf die unvermeidlich folgende Frage »Sie sind doch nicht etwa verwandt mit …?« antworten zu müssen.

Es war schwer zu sagen, ob ein Teil der Abneigung meiner Mutter gegen Darrell daher rührte, dass ich meinen Vater gebeten hatte, mich bei der Hochzeit zum Altar zu führen, auch wenn sie das bestritt. Immerhin zwang ich dadurch meine Eltern, die in über zwanzig Jahren weniger als ein Dutzend Worte gewechselt hatten, einen Tag zusammen zu verbringen, ohne sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen.

»Sieht das Kleid gut aus?«, fragte ich Gwendoline, als mir plötzlich bewusst wurde, dass wir schon einige Minuten lang nicht mehr gesprochen hatten. Normalerweise machte mir Schweigen nichts aus, doch heute wollte ich Geräusche und Ablenkung um mich haben.

»Befürchten Sie, es könnte Ihnen nicht mehr gefallen?«, fragte Gwendoline und hob eine perfekt gezupfte Augenbraue. »Keine Sorge. Es wird Ihnen gefallen. Es ist wunderschön und wird Ihnen wie angegossen passen.«

Woher sie das wissen konnte, war mir schleierhaft, doch ich nahm es einfach hin. Sie wusste das wahrscheinlich genau so, wie ich ein Hauptbuch verstand oder die Erfassung von Mehrwertsteuerposten oder Steuerrückzahlungen. Als ich ihr vor einem halben Jahr an ebendiesem Tisch gegenübergesessen und zugegeben hatte, dass ich nicht die geringste Vorstellung hatte, was für eine Art von Hochzeitskleid ich mir wünschte oder was mir stehen würde, hatte sie auf ihrem Stuhl Haltung angenommen und für einen kurzen Augenblick die Nasenlöcher gebläht, was mich an die Feuer speienden Drachen erinnerte, die die Fantasiewelten meiner Mutter bevölkerten. Dann hatte Gwendoline gelächelt, sich graziös vom Stuhl erhoben und voller Selbstsicherheit erklärt: »Ich mag Herausforderungen.«

Sie hatte mich gebeten, mich hinzustellen und stillzuhalten, und war langsam um mich herumgegangen, als wäre ich ein Pferd auf einer Viehauktion. Hin und wieder murmelte sie Anweisungen. »Drehen Sie sich nach links.« »Und jetzt nach rechts.« »Nehmen Sie Ihr Haar hoch.« »Jetzt lassen Sie es fallen.« Alles hatte ein wenig willkürlich gewirkt, und als sie verschwunden war und ein oder zwei Minuten später mit drei Kleidern in Zellophanhüllen über dem Arm zurückkam, hatte ich meine Zweifel. Nur drei Kleider? In einem Laden, wo Hunderte, wenn nicht Tausende zur Auswahl standen?

Das erste davon war »das Kleid«. Aus Höflichkeit probierte ich auch noch Nummer zwei und drei an, doch ich glaube, wir beide wussten, dass meine Entscheidung bereits gefallen war, noch bevor Gwendoline die Korsage komplett zugeschnürt hatte. Ich hatte weit länger überlegt, als Darrell mir – sehr unerwartet – einen Antrag gemacht hatte, was mir immer, wenn ich genauer darüber nachdachte, ein wenig Sorgen bereitete.

Darrell und ich waren erst seit vier Monaten richtig zusammen gewesen, als er sich in dem Restaurant, in das er mich zum Valentinstag eingeladen hatte, vor mich hinkniete. Es war das Letzte gewesen, womit ich gerechnet hatte. An den Tischen um uns herum wurde es peinlich still, Gabeln wurden auf halbem Wege nicht weiter zum Mund geführt, weil alle auf meine Antwort warteten. In einer Ecke standen Kellner mit einer Flasche Champagner in einem silbernen Sektkühler bereit, sie hatten somit eindeutig früher von Darrells Plänen erfahren als ich.

Ich erinnere mich noch, wie ich in seine großen, sehnsuchtsvollen braunen Augen geschaut hatte, und auch wenn ich irgendwie wusste, dass ich in dem Moment etwas Vernünftiges hätte antworten sollen wie Wir sind doch noch gar nicht so lange zusammen oder Warum ziehen wir vorher nicht erst mal in eine gemeinsame Wohnung? oder sogar Hey, mach mal langsam, wozu die Eile?, wäre keiner dieser Sätze derjenige gewesen, den die Kellner, die anderen Restaurantgäste und Darrell von mir erwarteten. Also sagte ich das Einzige, was ich unter diesen Umständen sagen konnte. »Ja.«

 

»Puh, ich muss mir echt ’ne Sonnenbrille aufsetzen, bevor ich mir den noch mal angucke!«, hatte meine Freundin und Kollegin Karen gerufen, als ich am Morgen nach Darrells Antrag an ihrem Schreibtisch vorbeigeschaut hatte. Es war Montag, und der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss, als morgens um sechs mein Wecker klingelte, war O mein Gott, ich kann nicht fassen, dass ich wirklich verlobt bin. Ich hatte mich umgedreht und die Hand nach dem Mann ausgestreckt, der mir am Abend zuvor den quadratisch geschliffenen Diamanten an den Finger gesteckt hatte, bis mir einfiel, dass er ja nicht über Nacht hatte bleiben können. »Tut mir leid, Schatz, aber mein Flug nach Berlin geht total früh, und ich hab noch nicht gepackt«, hatte Darrell sich entschuldigt und mich sehr langsam und zärtlich geküsst, wohl zum Beweis, wie ungern er sich verabschiedete.

»Schon okay«, seufzte ich mit Bedauern und versuchte, die Stimme in meinem Kopf zu ignorieren, die es ärgerlicherweise nicht lassen konnte, leise zu fragen, wieso er sich dann ausgerechnet diesen Abend ausgesucht hatte, wenn ihm doch klar gewesen war, dass er nach dem Antrag gleich den Abflug machen musste.

Darrell reiste viel. Mir war das von Anfang an klar, denn wir hatten uns bei einer seiner vielen Dienstreisen kennengelernt. Ich hatte geschäftlich eine Tagung besucht, und nach einem Abend mit nicht gerade sprühender Konversation – es gibt gute Gründe, warum Buchhalter gemeinhin als langweilig gelten – hatte ich mich zu etwas entschlossen, was eigentlich so gar nicht zu mir passte: Ich hatte noch allein einen Abstecher in die Hotelbar gemacht. Einen Absacker nur, hatte ich mir gesagt. Ich setze es nicht mal auf die Reisekostenabrechnung, und danach gehe ich auch direkt in mein Zimmer.

Ein wenig nervös war ich zu der langen Bar mit dem Tresen aus gehämmertem Kupfer gegangen. Heutzutage ist es nichts Besonderes, dass eine Frau allein eine Hotelbar besucht – aber für mich war es ungewöhnlich. Und ich begann meine Entscheidung bereits ernsthaft zu bereuen, als ein attraktiver Mann Mitte dreißig, der auf einem Hocker rechts von mir saß, von seinem Drink aufsah und mir zulächelte. Aber er hatte etwas an sich, etwas Freundliches, Angenehmes, das mich auf den Gedanken brachte, es sei für einen Abend sicher okay, die Art von Frau zu sein, die sich von einem gut aussehenden Unbekannten einen Drink ausgeben lässt.

Aus einem Drink wurden drei, dann vier, und dann hörte ich auf zu zählen. Die Bar leerte sich, bis wir beide die letzten Gäste waren. Der Hotelangestellte, der uns bediente, hüstelte dezent, er hatte bereits alles aufgeräumt und abgewischt, was aufgeräumt und abgewischt werden musste, hatte die Schälchen mit den Nüssen geleert und den größten Teil der Beleuchtung ausgeschaltet.

Als ich von meinem Barhocker herunterstieg, der mir deutlich höher zu sein schien als noch ein paar Stunden zuvor, stützte mich Darrell ritterlich am Ellbogen. Ich fing den besorgten Blick des Barkeepers auf, der erst zu mir schaute und dann zu dem Mann, der mir an diesem Abend Gesellschaft geleistet hatte. Ich schwankte leicht, und obwohl ich natürlich wusste, dass der Boden sich nicht bewegte, war es, als stünde ich bei schwerem Seegang auf einem Schiffsdeck.

»Ich bringe sie zu ihrem Zimmer«, versicherte Darrell dem Barkeeper, woraufhin dieser die Stirn runzelte, sodass seine Augenbrauen eine einzige buschige Monobraue bildeten. Hätte über seinem Kopf eine Denkblase gestanden, wäre darin zu lesen gewesen: Genau deswegen mach ich mir Sorgen.

Ich kann mich nicht daran erinnern, wie wir von der spärlich beleuchteten Bar ins lichtdurchflutete Foyer gelangt waren und den Fahrstuhl gerufen hatten. Als ich die rotwangige junge Frau in der verspiegelten Liftkabine sah, schloss ich die Augen und öffnete sie erst wieder, als wir mit einem »Ping« meine Etage erreichten. Darrell nahm mir die Schlüsselkarte aus Plastik aus der Hand, um meine Zimmernummer abzulesen, und führte mich dann zu meiner Tür.

Ich weiß noch, wie ich schlagartig nüchtern wurde, als er die Karte in den Schlitz steckte und sie wieder herauszog, nachdem das grüne Lämpchen aufleuchtete. Was machte ich da gerade? Das sah mir überhaupt nicht ähnlich. Ich war keine Frau, die irgendwelche Fremden in Hotelbars aufriss und dann mit in ihr Zimmer nahm. So was war überhaupt nicht meine Art.

Aber wie sich herausstellte, auch nicht die von Darrell. Er klemmte seinen ordentlich geputzten Schuh in den Türspalt, damit die Tür nicht wieder zufiel, und beugte sich zu mir herab, um mir einen so hauchzarten Kuss auf die Wange zu drücken, dass ich seine Lippen kaum spürte. Dann schob er mich vorsichtig ins Zimmer.

»Trink alles Wasser, das die Minibar hergibt«, hatte er mir geraten und freundlich gezwinkert, während ich an der Wand nach dem Lichtschalter tastete. »Schlaf gut, Suzanne«, sagte er noch leise, dann zog er seinen Fuß zurück, und die Tür fiel langsam zu. »War wirklich schön, dich kennenzulernen.«

 

»Gott, hast du ein Glück gehabt«, hatte Karen gesagt, als ich ihr ein paar Tage später bei meiner Rückkehr ins Büro davon erzählte. »Er hätte ein Axtmörder sein können, oder ein Vergewaltiger, oder … oder …«

»Ich glaub, du hast schon alle Worst-Case-Szenarios abgedeckt«, hatte ich etwas patzig entgegnet, weil es mir peinlich war, und auch, weil ich wusste, dass sie recht hatte. Ich bin kein risikofreudiger Mensch, ich überdenke alles, wäge sorgfältig ab, und dann gehe ich immer, immer auf Nummer sicher. Ich bin die personifizierte Vorsicht. Ich bin sozusagen der lebende Beweis dafür, weshalb Buchhalter zu Recht als Langweiler verschrien sind.

»Es war eine verrückte Ausnahmesituation, ein kurzer Ausrutscher, und zum Glück ist mir nichts passiert«, fuhr ich fort, nahm mir wieder den Armvoll Akten, den ich während unseres Gesprächs auf Karens Schreibtisch abgelegt hatte, und wollte mich damit an meinen Arbeitsplatz begeben, der sich am anderen Ende des Großraumbüros befand.

»He, nicht so schnell, du Draufgängerin. Was war denn dann am nächsten Morgen? Was hast du gesagt, als du ihm da erneut begegnet bist? Und was hat er gesagt, wo wir schon mal dabei sind?«

Ich hatte sie kühl angelächelt und mir eine lange, kastanienbraune Haarsträhne aus dem Gesicht gestrichen. »Nichts. Gar nichts hat er gesagt.« Ich hoffte, dass ich so gleichgültig klang, wie ich mich gerade geben wollte. »Ich wollte mich bei ihm bedanken, aber ich habe ihn nirgendwo gefunden, und als ich dann später an der Rezeption gefragt habe, meinten die, dass er frühmorgens abgereist ist. Ich hab ihn nicht mehr gesehen.«

 

Hinter meinem Rücken klingelte ein Glöckchen, und ich drehte mich auf meinem Sessel herum und sah, wie meine Mutter durch die Ladentür rauschte. Sie ist eine zierliche Frau, einen halben Kopf kleiner und eine ganze Kleidergröße schlanker als ich, doch wo immer sie auftaucht, hat sie eine überraschende Präsenz. Man sagt zum Beispiel von Fernseh-Leuten oft, dass sie im echten Leben viel kleiner wirken. Bei meiner Mutter ist genau das Gegenteil der Fall; ihre charismatische Persönlichkeit scheint sie irgendwie größer zu machen. Würde sie jemals ein Verbrechen begehen, würden die Augenzeugen ihre Körpergröße und Statur wahrscheinlich nicht zutreffend beschreiben.

Als sie mich umarmte, wurde ich in eine zarte Wolke ihres vertrauten Parfums eingehüllt. Es war der Duft meiner Kindheit, der noch viel enger mit ihrer Person verknüpft war als ihre Unterschrift. Ich hatte ihn nie an anderen gemocht. Als ich fürs Studium zu Hause ausgezogen war, hatte ich solches Heimweh, dass ich einen kleinen Flakon davon gekauft und wie ein Junkie, der einen Schuss braucht, immer wieder heimlich daran geschnuppert hatte, bis das Gefühl der Einsamkeit verschwand. Ich hatte das meiner Mutter nie erzählt und weiß bis heute nicht, wieso. Wahrscheinlich hätte sie sich gefreut, dass in der Brust der nüchternen Buchhalterin ein sentimentales Herz schlug.

»Bin ich sehr spät dran?«, fragte sie an niemand Speziellen gerichtet. »Der Taxifahrer hat mich ungelogen auf einer vollkommen verrückten Route vom Bahnhof zum Hotel gefahren. Zu Fuß wäre ich schneller gewesen.«

Mein Blick wanderte hinunter zu ihren kleinen, zarten Füßen, die in eleganten Wildlederpumps steckten, und ich wandte das Gesicht ab, um mein Lächeln zu verbergen. Vermutlich war da draußen nun ein armer Taxifahrer mit sehr schlimmen Kopfschmerzen unterwegs.

»Wir haben noch nicht angefangen. Karen fehlt noch.« Es war, als hätte ich an Aladins Wunderlampe gerieben, denn ich hatte den Satz noch nicht beendet, da grinste mir die Letzte im Bunde von draußen durch das große Schaufenster zu und betrat gleich darauf das Geschäft.

Wir waren ein ungewöhnliches Quartett: vier Frauen, die äußerlich und vom Temperament her nicht unterschiedlicher hätten sein können. Und doch – als Gwendoline und ich im Ankleidezimmer verschwanden, lag solch eine Spannung in der Luft, dass es beinahe knisterte. Eigentlich hätte ich erwartet, dass meine Mutter in ihrer Designerkleidung samt makellos gestylter Föhnfrisur zusammen mit meiner in Modedingen ziemlich gleichgültigen besten Freundin auf der antiken Chaiselongue ein eher unharmonisches Bild abgeben würde. Doch während Gwendoline den Vorhang hinter uns zuzog, sah ich die beiden Frauen einen erwartungsvollen Blick wechseln und dann – kaum zu fassen – in die Hände klatschen. Es gibt nicht vieles auf der Welt, was völlig gegensätzlich gepolte Menschen auf so einzigartig emotionale Weise verbinden kann. Neugeborene Kinder bringen es zuwege, vermutlich auch Hundewelpen, aber nur wenig mehr. Ein Hochzeitskleid – oder der erste Blick auf eine Braut in ihrem Hochzeitskleid – gehört vielleicht auch zu diesen wenigen Ausnahmen, die selbst ein Herz aus Stein erweichen können.

Als ich meine Hemdbluse aufknöpfte und sie mir aus dem Rockbund zog, zitterten meine Finger. Ich legte meine Alltagskleidung achtlos auf einem Hocker ab, als sei sie plötzlich unwürdig, denselben Raum mit dem Kleid zu teilen, das ich gleich anprobieren würde. Gwendoline griff nach der Hülle, die das teuerste und wichtigste Kleidungsstück, das ich jemals erstanden hatte, noch immer vor meinen Blicken verbarg. Ihre Hand verharrte über dem Reißverschluss, während sie sich über die Schulter hinweg zu mir umsah. Das war reinste Theatralik, und wahrscheinlich machte sie das nicht zum ersten Mal. Ich war jedoch zu sehr damit beschäftigt, mich aufs Atmen zu konzentrieren, um ihr Mona-Lisa-Lächeln zu erwidern.

»Sind Sie bereit?«, fragte sie mich.

Ich nickte, die Augen fest auf den Reißverschluss gerichtet, dessen kleine weiße Zähnchen sich im Schneckentempo immer weiter öffneten. Ich dachte, ich hätte das Kleid noch in Erinnerung; ich dachte, der Grund, wieso dies »das Kleid« gewesen war, wäre sicher in meiner Erinnerungsdatenbank abgespeichert. Doch während des letzten halben Jahrs hatte ich so viele Details vergessen. Ich hätte noch sagen können, dass es trägerlos war und einen Herzausschnitt hatte, doch die silberfarbene Stickerei auf der Korsage war zarter, als ich sie in Erinnerung hatte, es war eine Milchstraße aus winzigen auf den Stoff genähten Kristallen, die wie die Spur eines vorbeifliegenden Kometen glitzerten. Vorsichtig berührte ich die weichen Falten des ausgestellten Rockteils aus Chiffon unter der tiefen Taille und wusste bereits, wie ich es genießen würde, wenn er meine Beine beim Gehen wie eine weiße Wolke umschmeichelte.

Zum ersten Mal war ich dankbar dafür, dass man bei Fleurs grundsätzlich keine Fotos von den Kleidern machen durfte. Es hätte diesen perfekten Augenblick, in dem ich mich aufs Neue in mein Kleid verliebte, nur verdorben, wenn ich jedes Mal, wenn mir danach war, einen Blick darauf hätte werfen können.

»Hättest du es nicht heimlich mit dem Handy fotografieren können?«, hatte Karen mich gefragt, als ich vergeblich versucht hatte, ihr das Kleid genauer zu beschreiben.

»Keine Chance«, hatte ich geantwortet, »und nachdem ich es ausgesucht hatte, war ich ehrlich gesagt sowieso im Schockzustand.«

»Wahrscheinlich lag das am Preisschild«, gab sie zurück. Von ihrem Tonfall her ließ sich schwer sagen, ob das ernst gemeint war oder ein Scherz sein sollte. »Hast du inzwischen aufgehört auszurechnen, wie kostenineffizient es ist, so viele Monatsgehälter für ein Kleid auszugeben, das du nur einmal trägst?«

»Also, an und für sich hab ich vor, es bis zum Break Even jeden Tag zur Arbeit anzuziehen«, antwortete ich und lachte, weil ich mir vorstellte, wie ich in diesem Kleid beim wöchentlichen Teammeeting saß. »Ja, ich weiß, du glaubst, ich bin verrückt – und nicht nur wegen des Preises. Aber ich habe vor, das wirklich nur einmal im Leben zu machen. Das ist das einzige Hochzeitskleid, das ich jemals kaufen werde, also ist es mir ausnahmsweise einmal egal, dass ich Buchhalterin bin, ich habe beschlossen, einfach nur eine Frau zu sein.«

Karen hatte geschmunzelt und mich sehr fest an sich gedrückt, und als wir uns voneinander lösten, erschrak ich, weil es in ihren Augen glitzerte. Sie war mit ihrem Freund Tom schon seit Uni-Zeiten zusammen, und auch wenn sie immer behauptete, dass ihr das Heiraten nicht wichtig sei, fragte ich mich jetzt zum ersten Mal, ob es für sie wohl schmerzhaft war, meine Zeitraffer-Abfolge von Kennenlernphase, Verlobung und Hochzeit mitzuerleben. Und plötzlich war sie nicht mehr die Einzige, der Tränen in den Augen standen.

»Hast du es schon an?«, rief meine Freundin jetzt aus dem Verkaufsraum des Geschäfts. »Wir halten es hier nämlich nicht mehr aus vor Spannung!«

»Geduld, meine Damen. Das Warten lohnt sich«, versicherte Gwendoline den beiden, ließ das gute Stück vom Bügel gleiten und hielt es mir hin, damit ich hineinsteigen konnte wie in einen Teich aus Seide.

Der Stoff glitt sanft über meine nackten Beine, während sie mir mit geübten Händen ins Kleid half. Von jemandem angekleidet zu werden, ist ein eigenartiges Gefühl. Wenn man nicht Mitglied des Königshauses oder außergewöhnlich reich ist, wird man das als Erwachsener wohl kaum erleben, höchstens am Hochzeitstag. Ich machte die Augen zu, als Gwendoline die trägerlose Korsage geschickt zurechtrückte, und ich öffnete sie auch dann noch nicht, als sie die Schnürung im Rücken mit flinken Bewegungen schloss. Würde Schnellschnüren zu den Wettkampfsportarten gehören, wäre Gwendoline die Goldmedaille sicher gewesen. Schließlich machte sie einen Schritt zurück, um aus dem Spiegelbild zu treten.

»Sie können die Augen jetzt aufmachen«, sagte sie leise.

Es war nicht bloß das Kleid, aber schon allein seinetwegen hätte ich am liebsten geweint. Ich bin zwar nicht eitel, doch meistens ist die Frau, die mir aus Spiegeln entgegenblickt, einigermaßen attraktiv. Heute aber sah ich wunderschön aus. Und nicht nur wegen des Kleides. Irgendwie hatte es Gwendoline mit gekonntem Griff und zwei Haarklemmen geschafft, mein schulterlanges Haar zu einer Frisur hochzustecken, die aussah, als hätte ich einen Nachmittag im Friseursalon verbracht.

»Gehen Sie raus und zeigen Sie es den beiden«, drängte sie mich flüsternd, als befänden wir uns in einem sakralen Raum, und auch wenn Darrell und ich beide eindeutig keine kirchliche Trauung wollten, bereute ich unsere Entscheidung plötzlich und wollte nicht nur die schlichte zivile Zeremonie, sondern die Kirchenbänke und die Orgel und das Glockengeläut und einen Kirchenchor. Das volle Programm.

»O Suzanne, o mein Gott … Du siehst aus wie … wie …«

»Bitte sag jetzt nicht ›wie ein Cupcake‹«, bat ich eindringlich. Meine Stimme, meine Unterlippe, alles an mir schien zu beben. Karen sprang von der Chaiselongue auf, kam mit ausgestreckten Armen auf mich zu und blieb nur wenige Zentimeter vor mir stehen, als würde sie von einem unsichtbaren Kraftfeld aufgehalten.

»Du siehst absolut traumhaft und wunderschön aus, ich trau mich gar nicht, dich anzufassen.« Ich löste das Problem, indem ich sie in die Arme schloss und fest an mich drückte. Aus dem Augenwinkel meinte ich, Gwendoline zusammenzucken zu sehen. »Total umwerfend«, flüsterte mir Karen ins Ohr, bevor sie sich aus meiner Umarmung löste.

Nur eine hatte noch kein Urteil verlauten lassen, und drei Augenpaare richteten sich auf sie, die aufrecht und vollkommen regungslos auf der Samt-Chaiselongue saß. Meine Mutter spielte nicht Poker, aber sollte sie je damit anfangen, würde sie damit einen Riesenreibach machen. Von ihrer Miene her ließ sich unmöglich sagen, ob sie innerlich bewegt war, das ganze Prozedere missbilligte oder sich einfach nur langweilte. Niemand hätte den Unterschied bemerkt … jedenfalls niemand, der nicht wie ich schon nahezu zweiunddreißig Jahre lang in dieses Paar kornblumenblaue Augen geblickt hatte, die meinen eigenen so ähnelten. Denn auch wenn sonst nichts ihre Gefühle verriet, die Augen offenbarten ihre Geheimnisse.

Karen und Gwendoline schauten zwischen meiner Mutter und mir hin und her, als wären sie Zuschauerinnen bei einem Tennismatch, die darauf warteten, dass einer der Spielerinnen der entscheidende Schlag gelang. Je länger sich das Schweigen hinzog, desto besorgter schauten sie. Ich jedoch nicht.

Wie immer knickte ich als Erste ein. Ich war zwar gut, aber gegen die Meisterin in diesem Spiel, das sie gewissermaßen selbst erfunden hatte, hatte ich keine Chance. Ganz langsam breitete sich auf meinem Gesicht ein Lächeln aus. »Es gefällt dir, Mum, stimmt’s?« Ihr Lidschlag war ein wenig schneller als sonst. »Hab ich recht?« Sie befeuchtete sich mit der Zunge die Lippen, und jetzt wirkte ihr Mund etwas weicher – wenn mich nicht alles täuschte, hatte sie ihre Lippen nicht so unter Kontrolle, wie sie es sich vermutlich wünschte.

»Ich weiß, du bist enttäuscht, dass ich das Kleid allein ausgesucht habe, dass du nicht eingebunden warst. Und ich weiß, du siehst die ganze Geschichte kritisch, aber nur, weil du dir Sorgen um mich machst. Wenn man jedoch mal von alldem absieht, wäre es jetzt wirklich schön, von dir zu hören, dass ich hübsch aussehe.« Wir schauten einander an, und sie schwieg immer noch. »Es sei denn … es gefällt dir wirklich nicht.«

»Du siehst …« Sie seufzte, als würde sie nach den richtigen Worten suchen, womit sie als Schriftstellerin normalerweise keine Probleme hatte. Das Wort, für das sie sich schließlich entschied, gefiel mir. »… perfekt aus«, beendete sie den Satz und wischte sich eine vorwitzige Träne aus dem Augenwinkel, bevor sie ihr über die Wange laufen und ihre Foundation ruinieren konnte. »Du siehst wirklich perfekt aus, Suzanne.« Sie streckte ihre Hand aus, und ich nahm sie fest in meine, wobei ich auf ihrer zwei neue kleine braune Altersflecken entdeckte. Sie wurde älter, und ich würde heiraten, und einen Augenblick lang war ich mir nicht sicher, was von beidem mir mehr Angst bereitete.

Als ich wieder in meine eigene Kleidung geschlüpft war, war Karen schon auf dem Rückweg ins Büro. »Ich hab gesagt, ich bin mittags wieder am Schreibtisch«, hatte sie sich entschuldigt. »Morgen arbeitest du ja wieder, oder?«

Ich nickte und suchte meinen Schuh.

»Okay, na dann bis morgen früh. Schönen Urlaubstag noch!«

Ich hatte gerade auf dem Boden gekniet und mit einem schwachen Lächeln an ihr hochgeblickt, als würde ich beten. Und irgendwie tat ich das auch. Die erste Hürde dieses Tages war genommen, das Kleid war ein voller Erfolg. Aber es lagen noch weitere Herausforderungen vor mir.

Darrell hatte in einem teuren Restaurant einen Tisch für drei reservieren lassen und darauf bestanden, dass wir meine Mutter dorthin zum Abendessen einluden. Es war eine totale Charmeoffensive, und als ich vorgeschlagen hatte, in ein weniger schickes Lokal zu gehen, hatte er so enttäuscht dreingeschaut, dass ich meine Einwände hinunterschluckte.

Meine Mutter im Hinblick auf unsere Hochzeit umzustimmen, schien für Darrell eine Angelegenheit von beinahe schmerzhafter Dringlichkeit zu sein. In gewisser Weise erinnerte es mich an das Tempo, mit dem er mein Herz erobert hatte, sodass es fast unmöglich gewesen war, sich nicht in ihn zu verlieben. Wenn ich bei ihm eine Schwäche hätte benennen müssen, dann war das seine Ungeduld. Wenn er wollte, dass etwas geschah oder sich veränderte, dann bitte sofort, auf der Stelle. Aber diese Strategie würde bei meiner Mutter niemals aufgehen.

»Wir müssen also sehr behutsam vorgehen, wie bei einem scheuen Reh?«, hatte er mit den Lippen an meinem Hals gesagt, was mich immer innerhalb von Sekunden so gut wie unzurechnungsfähig machte.

»Ja, ich denk schon«, sagte ich mit bereits etwas heiserer Stimme. »Obwohl ich glaube, dass meine Mutter nie wieder ein Wort mit uns wechseln wird, wenn du sie mit Bambi vergleichst.«

Da hatte Darrell mich hochgehoben, meine um seine Hüften geschlungenen Beine festgehalten und war mit mir zur offenen Schlafzimmertür gegangen. »Wo wir gerade vom Tierreich sprechen …«

»Nicht unbedingt eine subtile oder sexy Überleitung«, entgegnete ich und stöhnte auf, als seine Hand unter mein T-Shirt glitt und meine Brust berührte.

»Ich werd üben, meine Zukünftige«, versprach er mir und küsste mich, was jede weitere Unterhaltung unmöglich machte.

 

Als ich das Ankleidezimmer verließ, war ich vergnügt und hatte nicht das Gefühl, dass sich das so schnell ändern würde. Nicht einmal die stolze Summe, die ich würde lockermachen müssen, konnte mir meine gute Stimmung vermiesen. Zu wissen, dass die zwei wichtigsten Frauen in meinem Leben beide fanden, dass ich das richtige Kleid ausgesucht hatte, machte es weit weniger schlimm, dafür Geld hinzublättern. Ich zog meine Kreditkarte aus der Geldbörse, legte sie auf den Tisch und wartete darauf, dass Gwendoline die Papiere, mit denen sie gerade beschäftigt war, fertig abgeheftet hatte.

»Könnten Sie den Rechnungsbetrag bitte auf diese Karte hier buchen?«, bat ich sie und war irritiert, als sie sie mir über die Tischplatte zurückschob.

»Vielen Dank«, sagte sie, »aber das ist bereits erledigt.« Einen Augenblick lang kam mir der Gedanke, Darrell könnte irgendwie Kontakt zu Gwendoline aufgenommen und mein Kleid bezahlt haben. Aber er hatte ja nicht gewusst, in welches Geschäft ich gegangen war, und er kannte auch nicht den Preis des Kleides.

Ich weiß nicht, wieso ich so lange brauchte, bis bei mir der Groschen fiel. Wobei, das stimmte nicht ganz. Ich wusste genau, weshalb ich nicht gleich an Mum gedacht hatte, schließlich hatte sie mich in den letzten gut zwanzig Jahren in aller Stille einer Gehirnwäsche unterzogen, was das Heiraten anging. Darrell hatte schockiert gewirkt, als ich ihm erklärt hatte, ich würde meine Mutter nie darum bitten oder von ihr erwarten, dass sie zu unserem großen Tag finanziell etwas beisteuerte. »Wenn wir das machen, dann allein«, hatte ich mit fester Stimme gesagt. Darrells Eltern waren nach Australien ausgewandert, und das Einzige, was ich von ihnen wusste, war, dass sie seit einem großen Krach vor Jahren – über den er nichts Genaueres sagen wollte – nicht mehr miteinander redeten. Das war ein weiterer Punkt gewesen, der uns verband – ein unüberbrückbarer, gähnender Abgrund zwischen uns und Familienmitgliedern, die weit entfernt lebten.

»Mich interessiert nicht die Bohne, wer für was zahlt oder ob das gegen die Tradition ist«, hatte er gesagt und mich in seine Arme geschlossen. »Mir ist schnurz, wo wir heiraten oder wie viele Brautjungfern du hast oder wie viele Gäste wir einladen. Solange du bei mir bist, bin ich wunschlos glücklich.« Wir schrieben unsere Hochzeitsschwüre selbst, und ich hoffte sehr, dass er diesen Satz in seinen Schwur mit aufnehmen würde.

»Mum? Warst du das?«

Meine Mutter wirkte etwas verlegen, und wäre noch eine andere Kundin im Laden gewesen, hätte sie garantiert versucht, ihr den Kauf des Hochzeitskleides ihrer einzigen Tochter in die Schuhe zu schieben. »Es ist ein sehr schönes Kleid«, sagte sie mit einem kleinen, unschuldigen Schulterzucken, als ob das rechtfertigen würde, dass sie sich nicht nur von ein paar Tausend Pfund verabschiedete, sondern auch ihre eisernen Prinzipienüber Bord warf.

Ich ging zu ihr, drückte sie fest und versuchte, trotz dickem Kloß im Hals etwas zu sagen. Ich wusste, das alles hieß nicht, dass sie nun anders über die Ehe dachte, oder über die Hochzeit, und auch nicht über Darrell. Aber es bedeutete, dass sie immer noch auf meiner Seite war, wie schon mein Leben lang – selbst wenn ich mich ihrer Meinung nach irrte.

»Also, ich hab dich natürlich nicht gebeten, heute zu kommen, damit du mir das Kleid spendierst«, sagte ich. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Gwendoline sich diskret in den hinteren Ladenteil zurückgezogen hatte.

»Ich weiß, Suzy.«

Suzy? Wann hatte sie mich zuletzt so genannt? Wohl damals, als ich mit einer Blinddarmentzündung im Krankenhaus lag, und da war ich sechzehn gewesen. Zum ersten Mal begriff ich, dass der heutige Tag meiner Mutter genauso wichtig war wie mir. Sie hatte es nur besser überspielt, mehr nicht.

»Außerdem, ein Elternteil musste zu deinem großen Tag doch finanziell etwas beisteuern, und dein Vater wird seine letzten Peseten für diese verdammte Kaschemme rausgeworfen haben.«

Die Bar meines Vaters war eigentlich ziemlich gehoben und exklusiv, aber das war definitiv nicht der richtige Moment, um meine Mutter zu korrigieren, und außerdem vermutete ich stark, dass es ihr ohnehin bekannt war.

»Du weißt aber, dass auch Spanien 2002 den Euro eingeführt hat?«

Ihre Augen glänzten, und in ihnen funkelte der Schalk, ihr schwarzer Humor, der Leute, die sie noch nicht lange kannten, immer überraschte. »Peseten klang markiger«, gab sie mit dem kurzen Lächeln zurück, das mir so vertraut war.

Und das war immer noch der größte Unterschied zwischen uns: Sie liebte Wörter und ich Zahlen. Ich hatte nicht ansatzweise ihre kreative Ader geerbt und auch nicht ihr einzigartiges Talent für den Umgang mit Sprache. Jede Zwei minus in Englisch hatte bei ihr wahrscheinlich die Frage aufkommen lassen, ob es auf der Neugeborenenstation nicht eine schreckliche Verwechslung gegeben hatte. Hätte ich ihr nicht so ähnlich gesehen, wäre sie dem Verdacht sicherlich nachgegangen. Natürlich konnte ich mein Geheimnis in einer Welt mit Tastaturen und Autorkorrekturprogrammen gut verbergen. Doch das Notizbuch auf meinem Nachttisch, in das ich den Hochzeitsschwur geschrieben hatte, den ich in drei Wochen ablegen würde, erzählte seine eigene Geschichte. Jedes Mal, wenn mein Blick auf die durchgestrichenen Worte fiel: »Mit Darrell habe ich devinitiv den richtigen Menschen gefunden, mit dem ich durchs Leben gehen möchte«, wirkte es so, als hätte ich nicht nur meinen Rechtschreibfehler korrigiert, sondern auch meine Meinung geändert.

Kapitel 2

Drei Wochen nach der Konferenz, während der ich Darrell kennengelernt hatte, legte ich auf dem Weg zum Kopierraum einen Zwischenstopp an Karens Schreibtisch ein. Sie schaute erfreut von ihrem Bildschirm hoch und rollte auf ihrem Stuhl nach hinten. Auf einer Serviette neben ihrem Mousepad lag ein angebissener Donut, und überall war Zucker verstreut. Ihr Schreibtisch war das komplette Gegenteil von meinem.

»Ich hab einen Verehrer«, begann ich ohne Umschweife.

Karen machte vor Entzücken große Augen, als hätte sie gerade etwas noch Köstlicheres probiert als das süße Gebäckstück neben sich. »Echt?«, hauchte sie aufgeregt und bedeutete mir, mich ein wenig näher zu ihr herabzubeugen. »Und was macht ihr so zusammen, und, noch wichtiger, mit wem machst du es?«

»Wie bitte?«

»Ich möchte unbedingt intime Details!«, sagte sie und wedelte dann aufgeregt mit den Armen, weil ihr ein neuer Gedanke gekommen war. »Oh, ist es Paul?«

»Welcher Paul?«

»Der extrem durchtrainierte Typ, der seit Neuestem bei der Poststelle arbeitet, du weißt schon, der mit dem Oberkörper wie der Kerl in der Cola-Light-Werbung.«

Ich schüttelte den Kopf und hatte das Gefühl, aus Versehen in einem anderen Universum gelandet zu sein. Es war schwer zu entscheiden, welche von Karens zahlreichen Fehlannahmen ich als Erstes korrigieren musste.

»Zum einen hab ich keine Ahnung, wer dieser Paul ist. Und zum andern bahnt sich bloß was an, ich war mit niemandem im Bett.«

Karen lehnte sich wieder an das abgewetzte graue Polster ihres Bürostuhls und wirkte einen Augenblick lang schwer enttäuscht, bis sie über meine Antwort nachgedacht und offenbar beschlossen hatte, dass das Ganze immer noch weit interessanter war als die Arbeit, mit der sie vor meiner Unterbrechung beschäftigt gewesen war.

Mit einem Kopfnicken deutete sie auf den leeren Stuhl ihres Kollegen. »Eric ist in einer Besprechung«, erklärte sie. »Setz dich und erzähl mir alles.«

Ich nahm Platz und rollte ein Stück näher zu ihr, obwohl ich nicht annahm, dass irgendjemand – außer ihr – auch nur im Entferntesten an meinem Liebesleben interessiert war. »Also, angefangen hat es mit den Blumen – vor ein paar Wochen, als ich aus der Mittagspause kam, stand ein wunderhübscher Strauß mit zwölf Gerbera auf meinem Schreibtisch. Dann sind die Pralinen gekommen, eine Schachtel mit zwanzig von diesen winzigen weißen belgischen, von denen doch kaum jemand weiß, dass ich die am allerliebsten mag, und dann …«

»Meine Güte, du hast wirklich nichts von deiner Mutter gelernt, oder? Ich will keine Auflistung, sondern eine Geschichte! Wer schickt dir das Zeug?«

Ich überlegte, ob ich meine Antwort hinauszögern sollte, denn ihre Bemerkung über meine Mutter hatte mich schon ein bisschen getroffen. Aber was brachte es einem, wenn man Neuigkeiten hatte und sie niemandem erzählte? »Tja, das ist genau der Punkt. Am Anfang hatte ich keinen blassen Schimmer. Bei den ersten beiden Geschenken war keine Karte dabei.«

»Und wie sind die auf deinen Schreibtisch gekommen?«

»Wahrscheinlich hat sie jemand von der Poststelle hochgebracht«, spekulierte ich.

»Paul vielleicht?«, fragte Karen hoffnungsfroh, weil ihr der attraktive Kollege immer noch im Kopf herumspukte.

Ich lächelte geheimnisvoll und beugte mich näher zu ihr heran. »Ich hatte tatsächlich einen leisen Verdacht, wer der Absender sein könnte, aber erst beim dritten Geschenk letzte Woche war ich mir so gut wie sicher.«

»Und was war dieses dritte Geschenk?«

»Eine Literflasche Evian mit einem Geschenkanhänger, auf dem Trink mich stand.«

»Gott, ich hoffe, das hast du nicht gemacht!«, rief Karen. »Wer weiß, was der da reingemischt hat.«

»Warum sollte jemand so was tun?«

»Also echt, liest du denn gar nichts außer der Financial Times?«, fragte sie kopfschüttelnd.

Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und runzelte die Stirn, denn ich war immer noch enttäuscht über die Reaktion meiner Freundin. »Da hat niemand was ins Wasser reingemischt und auch nichts in die Pralinen. Und außerdem, als die Theaterkarten kamen, war ich mir ganz sicher, wer dahintersteckt.«

»Bitte sag jetzt nicht, dass du zum Theater spaziert bist, um da irgendeinen heimlichen Verehrer zu treffen, der ein Axtmörder oder sonst was hätte sein können.«

»Was hast du eigentlich dauernd mit deinen Axtmördern?«

Karen schüttelte den Kopf. »Suzanne, wenn du mir jetzt nicht endlich erzählst, wer dieser geheimnisvolle Unbekannte ist, dann wirst du wahrscheinlich nicht lange genug leben, um noch was von deinem Verehrer oder Mörder zu haben.«

»Darrell«, sagte ich, und obwohl ich versuchte, mich zu beherrschen, breitete sich irgendwie ganz wie von selbst ein breites Grinsen auf meinem Gesicht aus.

»Wer ist Darrell?«

»Der Typ, den ich vor drei Wochen während der Tagung kennengelernt hab.«

»Der Macker, der dich zu deinem Zimmer hochgebracht hat? Der ein Vergewaltiger hätte sein können?«, fragte sie, leider laut genug, dass es die Kollegen an den Schreibtischen in unmittelbarer Nähe hören konnten. Ein paar von ihnen hoben den Kopf, und ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss.

»Der Macker, der eigentlich ein echter Gentleman war, der mir ein paar Drinks spendiert und dann dafür gesorgt hat, dass ich sicher zu meinem Zimmer gefunden habe«, korrigierte ich sie nachdrücklich. Irgendwas in meiner Stimme musste meiner langjährigen Freundin bewusst gemacht haben, dass dieser Running Gag mit dem Axtmörder inzwischen einen ziemlich langen Bart hatte.

»Sorry«, sagte sie reuig und klang trotzdem noch immer ziemlich besorgt. »Dieser Typ, den du in der Bar kennengelernt hast, hat also irgendwie rausgefunden, wo du arbeitest – und wir lassen jetzt mal beiseite, dass das doch sehr an Stalking grenzt –, hat dich mit Geschenken bombardiert und einen Theaterbesuch mit dir eingefädelt? Findest du das nicht ganz schön heftig?«

Für jemanden, der ein paar Minuten zuvor noch höchst angetan war von dem Gedanken, ich könnte mit dem Mann von der Poststelle verbandelt sein, war ihre mangelnde Begeisterung jetzt doch etwas enttäuschend, und ich fragte mich, ob sie wohl ein kleines bisschen eifersüchtig war. Mehr als einmal hatte sie sich schließlich bei mir über die fehlende Romantik und Spontanität in ihrer eigenen, schon länger bestehenden Beziehung beschwert.

»Es war nicht heftig. Eher sehr lieb von ihm. Wir sind gestern ausgegangen und hatten einen echt tollen Abend.«

Es war unmöglich, Karen weiter böse zu sein, dafür waren wir schon zu lange befreundet. Aber ich war trotzdem noch ein bisschen angefressen, als Eric ein paar Sekunden später zurückkam und seinen Stuhl einforderte.

»Wir können das ja beim Mittagessen weiter besprechen«, schlug Karen vor und wandte sich mit sichtlicher Enttäuschung wieder ihrem Bildschirm zu.

Ich nickte und ging Richtung Kopierraum. Ich wusste bereits, dass in dem Restaurant, wo wir heute essen wollten, die Steaks nicht das Einzige sein sollten, was dort gegrillt werden würde.

 

Es brauchte ein paar weitere Verabredungen zu zweit und eine Reihe von Unterhaltungen, bei denen Karen einem spanischen Inquisitor Konkurrenz machte, bevor sie mir und Darrell ihren Segen erteilte. Allerdings muss ich sagen, dass er sich auch nach Kräften bemühte, wann immer wir mit ihr und ihrem Freund zusammen ausgingen. Darrell war charmant, lustig und stets der Erste an der Bar, um dort eine Runde auszugeben oder diskret die Rechnung für alle zu begleichen. Aber nichts davon beeindruckte Karen. Was am Ende den Ausschlag gab, war etwas viel Einfacheres. »Es ist die Art, wie er dich ansieht«, hatte sie zugegeben, als wir einmal während der Mittagspause einen kleinen Einkaufsbummel machten. »Wie aufmerksam er dich anschaut, wenn du auf ihn zugehst oder was sagst. Und wie er über deine Witze lacht, auch wenn du die Pointe vermasselst – was dir übrigens echt oft passiert.«

Ich hatte vor mich hin gelächelt, abwesend das Preisschild an einem Stück seidig glatter Unterwäsche betrachtet und überlegt, ob ich Darrell besser in diesem Teil oder ohne es gefallen würde.

Karen bemerkte meinen entrückten, träumerischen Blick und schaute dann zu dem Dessous, das an seinem winzigen Bügel an meinem Finger baumelte. »Du bist wirklich auf dem besten Weg, dich in ihn zu verlieben, was?«

Ich spürte, dass ich wie ein Teenager errötete, und nickte. »Schon möglich«, gab ich zu.

»Auch wenn das alles so schnell geht und du ihn noch gar nicht richtig kennst?«

»Ich kenn ihn gut genug. Ich weiß, wie wohl ich mich in seiner Gegenwart fühle.«

Kopfschüttelnd begleitete mich Karen zur Kassenschlange. »Was ist mit dieser verrückten Ex von ihm, von der er nie irgendwelche Einzelheiten erzählen will?«

Ich reichte der Kassiererin meine Karte und wartete, während sie das zarte Stück Wäsche zusammenfaltete und es in scharlachrotes Seidenpapier einwickelte. »Er will halt nicht über sie reden. Na und? Das kann man ihm kaum zum Vorwurf machen. Sie hatten ganz offensichtlich eine ziemlich unschöne und traumatische Trennung. Ich verstehe sehr gut und respektiere es, dass er nicht jedes kleinste Detail seiner Vergangenheit mit dem Rest der Welt teilen möchte. Ich binde ja auch nicht jedem auf die Nase, wer meine Mutter ist.«

Karen schüttelte missbilligend den Kopf, vielleicht – oder vielleicht auch nicht –, weil sie gesehen hatte, wie viel ich gerade für ein winziges Nichts mit Spitze hingeblättert hatte. »Eine berühmte Schriftstellerin als Mutter zählt nun nicht gerade als dunkle oder geheimnisvolle Vergangenheit – wobei ich übrigens immer noch nicht verstehe, warum du das unbedingt geheim halten willst. Wenn sie meine Mutter wäre, würde ich das überall herumposaunen.«

Sie biss sich auf die Unterlippe, als würde sie die nächste Bemerkung sorgfältig abwägen, weil sie bereits wusste, wie wenig sie mir schmecken würde. »Wenn du und Darrell da was Ernsthaftes laufen habt, wenn das wirklich was Ernstes werden soll, dann ist es dein gutes Recht, gewisse Fragen zu stellen. Du weißt, zu einer Trennung gehören immer zwei. Vielleicht ist Darrell auch zu einem Teil verantwortlich dafür, wie unschön die Sache geendet hat.« Die letzten Worte kamen ihr zögerlich über die Lippen, weil sie bereits wusste, wie verstimmt ich daraufreagieren würde.

»Ich will einfach nicht, dass du bei dem Ganzen auf die Nase fällst«, hatte Karen kleinlaut gesagt, als wir das Geschäft verließen und uns auf den Rückweg ins Büro machten. »Ich weiß, Darrell kommt dir im Moment wie der ideale Partner vor – und verdammt, vielleicht ist er ja auch genauso toll, wie es scheint –, aber ich gehe jede Wette ein: Was auch immer da zwischen ihm und seiner Ex-Freundin passiert ist, sie sieht das bestimmt völlig anders.«

Ich drückte den Knopf an der Ampel und runzelte unwillkürlich die Stirn, weil das kleine rote Männchen uns anwies zu warten, obwohl ich einfach nur weiterlaufen und Karen mit ihren vernünftigen Argumenten hinter mir auf dem Gehweg stehen lassen wollte.

»Manchmal muss man im Leben seinem Instinkt vertrauen«, sagte ich entschlossen, um klarzustellen, dass Darrells ominöse Ex ein Thema war, das ich nicht weiter diskutieren wollte. »Ich bin gerade zufriedener als in den ganzen letzten Jahren. Kannst du dich nicht einfach für mich freuen?«

Karen machte den Eindruck, als sei sie hin- und hergerissen, doch letztlich war das, was uns beide verband, stärker als alle ihre Zweifel und Vermutungen. Als das grüne Männchen aufleuchtete, hakte sie sich bei mir unter. »Doch, klar, Süße.«

 

Meine Mutter erwies sich als weitaus härtere Nuss. Selbst heute, wo sie mir aus heiterem Himmel mein Hochzeitskleid bezahlt hatte, waren ihr ihre Bedenken deutlich anzumerken. Auch wenn sie versuchte, sie zu verbergen, sah ich sie trotz der schwachen Beleuchtung in dem kleinen Bistro, wo wir zum Mittagessen eingekehrt waren, immer noch in ihren Augen.

»Vielleicht sollte ich lieber nur was Leichtes bestellen«, überlegte sie laut, während sie die Speisekarte studierte, »wir gehen ja heute Abend noch mal essen.«

»Ich glaube, in dem Restaurant, das Darrell ausgesucht hat, gibt es kunstvoll angerichtete Mini-Portionen«, sagte ich und bemühte mich, nicht auf die Gedankenblase zu achten, die plötzlich über dem Kopf meiner Mutter aufgetaucht war und in der in großen Lettern das Wort »Aufschneider« stand. »Das ist so einer von den Schuppen, wo man hinterher bei McDonald’s einfällt, weil man immer noch Riesenhunger hat.« Meine Mutter sah mir fest in die Augen. »Er will einfach nur einen guten Eindruck machen«, schob ich beschwichtigend hinterher.

»Überzogen große Gesten von Männern beeindrucken mich schon lange nicht mehr«, entgegnete sie. Ich wusste bereits, worauf sie hinauswollte. »Dafür hat dein Vater gesorgt.«

Glücklicherweise wurde unsere Unterhaltung durch eine junge, freundlich aussehende Kellnerin unterbrochen, die energiegeladen an unserem Tisch aufgetaucht war und ihren kleinen Notizblock wie eine Laserpistole zückte. »Haben Sie sich schon entschieden, oder brauchen Sie noch einen Moment?«

»Ich hätte gern die Pasta, bitte«, sagte ich und reichte der Kellnerin meine Karte.

»Und ich nehme den Salat mit Hähnchenbrust«, antwortete meine Mutter, nachdem sie die Auswahl überflogen hatte.

Ich musste an das Kleid denken, das bei Fleurs hing und das ich erst an meinem Hochzeitstag wieder sehen würde, und fragte mich, ob ich meine Bestellung noch einmal ändern sollte. Es hatte mir perfekt gepasst, ließ keinen Spielraum für Gewichtszunahmen oder -abnahmen. Ich schüttelte den Kopf und begrub die kleine Sorge wieder unter den weit größeren, beunruhigenderen Sorgen. Das Brautkleid war eigentlich das Einzige an der Hochzeit, worüber ich mir keine Gedanken machte.

»Also, wusstest du schon, dass Dad Ende der Woche wieder im Lande ist?«

Das Lächeln, das meiner Mutter nach der Unterhaltung mit der Kellnerin noch auf den Lippen gelegen hatte, wurde jetzt eisig. Es war, als würde man dabei zusehen, wie ein Thermometer fiel. »Das bedeutet dann wohl, du hast es dir nicht noch mal anders überlegt und ihn eingeladen?«

Vor ein paar Wochen hatte Darrell mir fast wortwörtlich dieselbe Frage gestellt. Welch eine Ironie des Schicksals, dass meine Mutter und mein Verlobter in diesem Punkt ganz auf einer Linie waren.

»Was auch immer früher gewesen ist, er ist schließlich mein Vater. Ich weiß, er hat viele Meilensteine in meinem Leben nicht miterlebt, und ich will nicht behaupten, dass ich ihm das jemals ganz verzeihen werde, aber ihn nicht zu meiner Hochzeit einzuladen, ihm nicht mal die Chance zu geben, an dem Tag dabei zu sein, das würde mir … nicht richtig vorkommen. Ich will, dass meine beiden Elternteile dabei sind.«

Sobald ich das Darrell gegenüber ausgesprochen hatte, hatte ich mir natürlich sofort gewünscht, ich hätte es zurücknehmen können. Ich fühlte mich furchtbar wegen meiner Gedankenlosigkeit. Wegen des dummen und mysteriösen Streits, den er mit seinen Eltern gehabt hatte, wollte kaum jemand aus Darrells Familie bei unserer Hochzeit anwesend sein. Schlimmer noch, fast alle seine früheren Freunde hatten offenbar noch Kontakt zu seiner Ex, und somit würden auch sie nicht kommen, aus Loyalität ihr gegenüber.

»Meinst du nicht, das wäre eine prima Gelegenheit, deinen Eltern die Hand zu reichen, alte Wunden zu heilen und das alles hinter dir zu lassen?«, hatte ich vorsichtig gefragt, allerdings weitgehend im Dunkeln tappend, denn ich hatte keine Vorstellung, was in aller Welt eine so unüberbrückbare Kluft geschaffen haben könnte. Doch wann immer ich das Thema anschnitt, reagierte Darrell angespannt und ablehnend. Was da zwischen ihnen vorgefallen sein mochte, es hatte zu so viel Groll und Verletzungen geführt, dass ich jedes Mal schnell das Thema wechselte.

Wenn man meiner Mutter gegenüber ihren Ex-Mann erwähnte, dann war ihr kein Schmerz anzusehen, sondern bloß die Art von Irritation, die man etwa einer Wespe gegenüber empfindet, die dauernd um den Picknickkorb herumschwirrt und die gute Stimmung zu verderben droht.

 

Auch wenn ich mich gelassen gab, als ich Karen erzählte, dass ich jemanden datete, war meine ganze Beziehung mit Darrell eine Reihe von Sprüngen ins Ungewisse gewesen. Und das war sie in gewisser Weise immer noch. Den ersten Kopfsprung ins Ungewisse hatte ich gemacht, als ich die Theaterkarte aus dem Umschlag zog und beschloss, den mysteriösen Mann zu treffen, der mir heimlich nachstellte.

Wie so viele Single-Frauen hatte ich schon einige Blind Dates hinter mir, aber dieses hier kam mir anders vor – vielleicht eher wie einäugig als vollkommen blind. Ich stand viel zu früh vor dem Theater, was nicht überraschend war. Darrell (oder möglicherweise jemand ganz anderes) hatte den Termin auf ein kleines Post-it geschrieben, das ans Ticket geklebt war: Wir treffen uns um 19:15 Uhr an der Abendkasse. An seiner Schrift war nichts Beunruhigendes, die stark nach links geneigten Buchstaben waren für mich kein Warnsignal, auch nicht sein schwungvoller Querstrich beim T und bei den Fs. Und doch lief mir jedes Mal, wenn ich die Notiz betrachtete, ein Schauder den Rücken hinab, es war ein Gefühl, das ich nicht genau benennen konnte.

Vor dem Eingang des Theaters standen eine Menge Leute herum, Pärchen und größere Gruppen, aber keine Männer ohne Begleitung. Kein Darrell in Sicht. Würde sich jemand die Mühe machen, herauszufinden, wo ich arbeitete, mir Geschenke schicken und dann nicht aufkreuzen? Anstatt zu warten, beschloss ich, zehn Minuten lang eine Runde um den Block zu drehen. Die Erinnerung, wie ich mit siebzehn mal versetzt worden war, kam wieder hoch, sie war über die Zeit nicht verblasst – auch wenn es schon gut fünfzehn Jahre her war, dass ich abends allein vor dem Kino stand und selbst dann noch wartete, als der Film längst begonnen hatte. Das Erlebnis hatte sich weit tiefer eingeprägt als das Gesicht oder der Name des Jungen, der es sich damals anders überlegt hatte.

Aber Darrell hatte mich nicht versetzt.

Als ich mich zum zweiten Mal dem Theater näherte, raste mein Puls, als wäre ich die Strecke gesprintet – was in den Absatzschuhen, die ich trug, physikalisch unmöglich gewesen wäre. Meine Nerven waren angespannt wie Violinsaiten. Dort stand jemand. Ein Mann. Er hatte mir den Rücken zugewandt, und im künstlichen Licht der Straßenlaternen war unmöglich zu erkennen, ob sein Haar denselben Farbton hatte wie das des Mannes aus dem Hotel. Der mir Drinks ausgegeben und mir das Gefühl vermittelt hatte, lustig, interessant und – zum ersten Mal seit einiger Zeit – auch ein bisschen sexy zu sein.

Ich empfand gleichzeitig Übelkeit und Aufregung, verlangsamte meine Schritte und blieb schließlich stehen. Obwohl ich wusste, dass er das Klacken meiner Absätze auf dem Asphalt nicht gehört haben konnte, wurde seine Haltung plötzlich aufrechter, und er wandte sich zu mir um, als hätte ich ihn beim Namen gerufen. Sein Lächeln hatte maximale Wattzahl, noch bevor er die 180-Grad-Drehung beendet hatte. Er blickte mich freundlich und mit Lachfältchen in den Augenwinkeln an und strahlte übers ganze Gesicht, so offen und authentisch, dass auch die letzte Spur von Nervosität von mir abfiel.

»Du bist gekommen«, sagte er sichtlich erfreut und hielt mir seine Hand hin, mit der Innenseite nach oben. Es schien mir das Natürlichste von der Welt, meine Hand in seine zu legen. Wir hatten Mitte Oktober, und abends kühlte es sich rasch ab, doch ich spürte einzig die Wärme seiner Finger, die sich um meine schlossen. Er machte eine Kopfbewegung zum Theater hin. »Gehen wir doch rein.«

Ich nickte und ließ mich von ihm die drei flachen Marmorstufen zum Eingang hinaufführen. Den ganzen Weg bis zu unseren Plätzen hielt er meine Hand, und auch während der ersten Hälfte der Vorstellung. Dass er mit dem Daumen über die empfindliche Haut meiner Handfläche strich, machte es mir schwer, mich auf das Stück zu konzentrieren, und auch normales Atmen wurde unter diesen Bedingungen zu einer ganz neuen, interessanten Herausforderung.

Darrell war offensichtlich sehr taktil veranlagt, das war bereits klar, als er mir in der Pause, auf dem Weg die Treppe hinunter zur Bar, die Hand tief unten auf den Rücken legte. Dort angelangt, ergriff er wieder meine Hand und bahnte sich mit mir den Weg durch das Gedränge in eine ruhige Ecke, wo ein Sektkühler mit Eiswürfeln und einer Flasche Champagner wartete, daneben zwei Sektgläser und ein kleines Kärtchen, auf dem sein Name stand.

»Du musst dir ja sehr sicher gewesen sein, dass ich komme«, hatte ich bemerkt. Sein Lächeln hatte etwas, das mir den Atem stocken ließ. Mehrere Leute drehten sich zu uns um, als der Korken ploppte, aber plötzlich war es, als seien nur wir beide dort, sonst niemand.

»Überhaupt nicht«, gestand er und goss den Champagner in die Gläser, ohne den Blick von mir abzuwenden. Wäre ich an seiner Stelle gewesen, hätten wir nun garantiert nasse Schuhe gehabt, doch er verschüttete nicht einen Tropfen. Er reichte mir ein Glas, und seine sanfte Stimme ließ es in meinem Bauch ganz unerwartet kribbeln. »Ich wusste einfach, dass ich diesen Augenblick, wenn du kommst, mit dir feiern will, denn das würde der Abend sein, an dem etwas Besonderes seinen Anfang nimmt.«

»Und wenn ich nicht aufgetaucht wäre?«, flüsterte ich.

Darrell zuckte mit den Schultern und wirkte zerknirscht. »Dann hätte ich das hier definitiv gebraucht, um mich zu trösten, weil ich so ein Idiot war, dich entwischen zu lassen.«

 

Er ließ mich auch heute Abend nicht entwischen und hielt immer noch meine Hand, als wir mit dem Taxi zum Restaurant fuhren, wo wir meine Mutter treffen würden. Unser Angebot, sie abzuholen, hatte sie höflich abgelehnt und es stattdessen vorgezogen, sich selbst um ihre Fahrmöglichkeit zu kümmern. »Wahrscheinlich wollte sie einfach noch einen weiteren Taxifahrer zum Wahnsinn treiben«, witzelte ich und hoffte im Stillen, der wahre Grund für ihr Verhalten wäre nicht, die Zeit mit ihrem zukünftigen Schwiegersohn auf ein Minimum zu reduzieren.

Weder der Berufsverkehr noch der Umstand, dass wir bereits eine halbe Stunde zu spät dran gewesen waren,alswir in meiner viel befahrenen Straße endlich ein Taxi herangewunken hatten, war meinen ohnehin schon strapazierten Nerven besonders zuträglich.

»Tut mir leid, mein Meeting hat länger gedauert«, hatte sich Darrell entschuldigt, als er mit dem Schlüssel, den ich vor ein paar Monaten für ihn hatte anfertigen lassen, meine Wohnung betrat. »Und nachdem ich dann bei mir endlich geduscht und mich umgezogen hatte, war schon so viel Verkehr.«

Vor Ärger verspürte ich ein Brennen in der Kehle, die Art von Bitterkeit, gegen die auch Rennies nichts halfen und die meistens darauf hinauslief, dass ich den Kommentar »Ich hab’s dir ja gleich gesagt« fallen ließ. Doch ich schluckte sowohl die Worte als auch das Gefühl herunter, denn heute sollte – nein, musste – alles so glatt wie möglich laufen. Die Lage würde schon angespannt genug sein, wenn mein Vater erst einmal mit im Spiel war, daher schien es mir umso wichtiger, von meiner Mutter einen, wenn auch späten, Segen für unsere Heirat zu erhalten.

»Wie lief die Anprobe heute? Bist du zufrieden mit dem Kleid?«

Ich hatte vom Seitenfenster aus jeden Wagen, der in unsere Spur einbog und uns dadurch weiter aufhielt, mit bösen Blicken bedacht und wandte mich jetzt wieder Darrell zu. Zum ersten Mal an diesem Abend lächelte ich aus einem echten Glücksgefühl heraus.

»Es ist absolut traumhaft. Noch schöner, als ich es in Erinnerung hatte. Und, was noch unglaublicher ist, Karen und meiner Mutter hat es auch gefallen.«

Darrell küsste meine Fingerknöchel, direkt unterhalb des großen Diamanten, den er mir an den Ringfinger gesteckt hatte. »Ich wär wirklich gern dabei gewesen. Ich hatte schon fast überlegt, ob ich dir unauffällig hinterherschleichen soll und einen heimlichen Blick durchs Schaufenster riskiere.«

Ich richtete mich auf den abgewetzten Lederpolstern der Taxirückbank ein wenig auf. Manchmal machte Darrell so was; er sagte etwas völlig Unerwartetes, und das brachte mich fast immer durcheinander. »Tja, gut, dass du dir das verkniffen hast«, erwiderte ich und merkte, dass ich ein bisschen wie eine angesäuerte Lehrerin klang. Ich atmete durch und nahm meinem Kommentar mit einem Lächeln etwas von seiner Spitze. »Und außerdem, weißt du denn nicht, dass es Unglück bringt, wenn der Bräutigam die Braut vor der Trauung in ihrem Hochzeitskleid sieht?«