11,99 €
Helen weiß, wie sie Bräute zum Strahlen bringt, welche Kleider ihnen stehen, welche Seide im Sommer kühl auf der Haut liegt. Sie ist Besitzerin einer bezaubernden kleinen Brautboutique in einem windschiefen, von Blauregen bedeckten Cottage auf dem englischen Land. Ihre Gabe, Frauen in die Seele blicken zu können, kommt nicht von ungefähr. Seit dem Tod ihres Mannes kann sie gebrochene Herzen besser erkennen als jeder andere. Und als drei neue Bräute – Jessie, Dolly und Emily – ihren Laden betreten, sieht sie den Schmerz, den sie zu verbergen versuchen, auf Anhieb. Diese Saison muss Helen sehr viel mehr finden als nur das perfekte Hochzeitskleid …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 513
Veröffentlichungsjahr: 2020
Buch
Helen Whittaker weiß genau, wie sie Bräute zum Strahlen bringt, welche Kleider ihnen am besten stehen, welche Seide sich im Sommer kühl auf der Haut anfühlt. Sie ist Besitzerin einer kleinen Brautboutique in einem windschiefen, von Blauregen bedeckten Cottage in den idyllischen Cotswolds auf dem englischen Land. Ihr Gespür für das richtige Kleid, die Bedürfnisse der Bräute und der einzigartige Charme ihres Ladens sorgen dafür, dass Helen sich vor Kundschaft kaum retten kann. Doch ihre Gabe, Frauen in die Seele zu blicken, kommt nicht von ungefähr. Seit ihr geliebter Mann vor drei Jahren gestorben ist, weiß Helen, wie sich ein gebrochenes Herz anfühlt. Und als drei neue Bräute – Jessie, Dolly und Emily – ihren Laden betreten, die alle auf ihre Weise mit dem Leben zu kämpfen haben, erkennt sie den Schmerz, den die drei hinter Arroganz, Schüchternheit und einem tapferen Auftreten zu verbergen versuchen, auf Anhieb. Diese Saison muss Helen sehr viel mehr finden als nur das perfekte Hochzeitskleid …
Autorin
Jade Beer war über acht Jahre Chefredakteurin der Condé Nast Brides, des größten englischen Hochzeitsmagazins. Heute schreibt sie unter anderem für die Sunday Times Style, The Telegraph, Tatler Weddings Guide und Glamour. »Ein Traum von immer und ewig« ist ihr erster Roman. Jade lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern in London und den Cotswolds.
Jade Beer
Ein Traum von
immer und ewig
Roman
Aus dem Englischen
von Kristina Lake-Zapp
Die englische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel »The Almost Wife« bei Bookouture.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Deutsche Erstveröffentlichung April 2020
Copyright © der Originalausgabe by Jade Beer
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2020
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München
Umschlagmotiv: mauritius images/Derek Croucher/Alamy,
FinePic®, München
Redaktion: Lisa Caroline Wolf
MR · Herstellung: kw
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN: 978-3-641-24526-9V001
www.goldmann-verlag.de
Besuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz
Ich liebe sie,
und das ist der Anfang und das Ende von allem
F. Scott Fitzgerald
Für meine geliebten Mädchen Laila und Clara.
Ich wünsche euch, dass ihr einmal so einen guten Mann wie Daddy finden werdet.
1
JESSIE JONES
Noch sechs Monate
»Ist es wirklich zu viel verlangt, die beiden riesigen Eichen da drüben zu fällen?«, fragt Jessie seufzend. »Dann hätten die Drohnen meines Fotografen zumindest den Hauch einer Chance, eine Luftaufnahme zu machen.«
Mit großen Schritten und auf viel zu hohen Absätzen, die im gepflegten Hotelrasen versinken, marschiert Jessie Jones, hoch motivierte zukünftige Braut, auf besagte Bäume zu. Die ihr nacheilende Hochzeitsplanerin des Hotels kommt kaum hinterher. Unglaublich, diese Frau!
»Das ist doch ganz einfach«, fährt Jessie beharrlich fort, während sie mit einem ihrer frisch manikürten Finger energisch auf das Smartphone tippt und den Kalender aufruft. »Wenn wir jetzt mit der Arbeit beginnen, bleibt Ihren Jungs noch genügend Zeit, um mit dem Pflanzen der zusätzlichen Magnolien- und Kirschbäume anzufangen, denn die machen sich wirklich hinreißend auf Fotos. Und Sie können doch wohl kaum erwarten, dass ich einen Champagnerempfang auf einer Sonnenterrasse gebe, die keine Sonne hat, weil Ihre dreihundert Jahre alten Bäume das gesamte Licht schlucken. Das würde Hugo gar nicht gefallen.«
»Entschuldigung, wer ist Hugo?«, ruft die Hochzeitsplanerin hinter Jessie her, krampfhaft darum bemüht, die Naturgewalt zu besänftigen, die da vor ihr herstöckelt. Aber was soll sie sagen? Ihre Klientin zählt definitiv zu den Frauen, die ein Nein nicht akzeptieren.
»Ach, Herrgott noch mal! Hugo Burnand! Königlicher Hochzeitsfotograf von Kate und William und davor von Camilla und Charles. Lesen Sie denn nicht den Tatler?«
»Hm, nicht immer, aber ich glaube, die letzte Ausgabe habe ich irgendwo in …«
»Dann helfe ich Ihnen auf die Sprünge. Hugo hat bei Charles einen solchen Eindruck hinterlassen, dass man ihn exklusiv beauftragt hat, den Hochzeitstag des neuen Duke of Cambridge und seiner Duchess mit der Kamera zu dokumentieren.« Was so viel heißen soll wie: Wenn er über so viel Diplomatie, Takt und planerische Fähigkeiten verfügt, wie sie zu einer erfolgreichen Präsentation der Feierlichkeiten von Kate (der Bürgerlichen) und William (dem zukünftigen König von England) vor der ganzen Welt erforderlich sind, dann ist er vielleicht – Betonung auf vielleicht – auch in der Lage, sie bei der Inszenierung dieser Hochzeit zu unterstützen, bei der die beiden unterschiedlichsten Familien zusammengeführt werden sollen, die Gloucestershire je gesehen hat.
»Okay, ich habe verstanden.« Die Hochzeitsplanerin notiert sich etwas auf einem kleinen Block. »Hugo ist offenbar ausgesprochen versiert, Miss Jones, daran hege ich keinerlei Zweifel, aber …«
»Er hat allein drei Tage damit verbracht, für die passende Beleuchtung von Williams und Kates offiziellen Hochzeitsfotos im Thronsaal des Buckingham-Palasts zu sorgen. Licht bedeutet ihm alles. Damit ist eins wohl klar: Diese Bäume müssen weg.«
Jessie ist froh, dass ihre Mum nicht hier ist und Zeugin dieses Ausbruchs wird, bei dem sie sich aufführt wie eine verzogene Göre, die um jeden Preis ihren Willen durchsetzen will. Vermutlich wäre sie sonst vor Scham gestorben – und ihre Mutter ebenfalls. Jessie war immer schon eine Tyrannin, und das weiß sie. Eine Tyrannin der übelsten Sorte. Sie macht diese bedauernswerte junge Frau fertig, obwohl sie genau weiß, wie es ist, von anderen so behandelt zu werden. Sie hasst die lähmende Angst, für minderwertig befunden zu werden. Monatelang ist es ihr so ergangen, und vielleicht hat genau das die schlechteste Seite in ihr zum Vorschein gebracht.
»Das würde allerdings ungeheuer kostspielig werden, Miss Jones, und ich bin mir nicht einmal sicher …«
»Ich muss wohl nicht extra erwähnen, dass ich selbstverständlich für die Kosten aufkommen werde, ganz gleich, in welcher Höhe; außerdem habe ich vor, das Hotel großzügig für jegliche Unannehmlichkeit zu entschädigen, die durch die Feierlichkeiten entstehen. Ich dachte, Sie wären an Geldern für zwei weitere Tennisplätze interessiert? Nun, da kommt die Lösung«, fährt Jessie fort. »Lassen Sie uns bis heute Abend einen Zeitplan erstellen.« Sie zieht beide Augenbrauen in die Höhe und sieht die bedauernswerte Hochzeitsplanerin mit schräg gelegtem Kopf erwartungsvoll an.
»Das ist ausgesprochen großzügig, Miss Jones, und ich kann Ihr Angebot gern dem Hoteldirektor übermitteln, allerdings …«
»Es hat mich einige Mühe gekostet, Hugo zu überreden, diese Hochzeit mit der Kamera einzufangen, deshalb werde ich nicht zulassen, dass irgendetwas einer fantastischen Dokumentation dieses einzigartigen Fests im Wege steht. Ich werde die Fotos höchstpersönlich durchsehen und nur die besten herauspicken, damit es am Ende zumindest so aussieht, als hätten wir einen stressfreien Tag gehabt. Ich hoffe, ich drücke mich klar genug aus?« O Gott, jetzt ist sie endgültig in Fahrt und kaum noch in der Lage, sich zu beherrschen.
»Das tun Sie, allerdings möchte ich Sie darauf hinweisen …« Die Hochzeitsplanerin versucht alles, um ihren Satz zu Ende zu bringen, doch gegen Jessie kommt sie nicht an.
»Gut. In fünf Minuten habe ich die erste Anprobe bei Helen in der White Gallery gleich auf der anderen Straßenseite, aber wenn ich wiederkomme, müssen wir unbedingt besprechen, in welchem der Salons das Dessert aufgebaut werden soll. Außerdem wüsste ich gern, was Sie sich für Düfte überlegt haben und welche Fortschritte Sie bei Ihren Gesprächen mit dem Vikar über diesen grottenhässlichen Teppich im Mittelgang erzielen konnten. Wir sehen uns in genau einer Stunde wieder.« Es ist beinahe so, als würde Jessie jedes Gramm Stress, das wegen dieser Hochzeit auf ihr lastet, auf ihre Hochzeitsplanerin abwälzen. Wenn Jessie sich wegen all dieser Dinge Sorgen machen muss, dann kann das die Hochzeitsplanerin genauso tun. Nur ein einziges Mal wünscht sie sich, jemand könnte verstehen – und sei es auch nur ansatzweise –, womit sie sich da befassen muss, könnte nachvollziehen, welche Erwartungen sie zu erfüllen hat, wie viele Leute sie zufriedenstellen muss.
Jessie wendet sich wieder der Hochzeitsplanerin zu, zwingt sie, ihr in die Augen zu blicken, und fängt sofort die leise Panik auf, die von ihr ausgeht. Jessies Augen gleiten über den Körper der Frau, registrieren die nicht mehr ganz frische weiße Bluse und die leicht abgestoßenen, schlammverschmierten Spitzen ihrer halbhohen Pumps. Eine unausgesprochene Frage hängt zwischen ihnen in der Luft: Ist diese junge Hotelangestellte tatsächlich in der Lage, all das umzusetzen, was Jessies Budget so mühelos hergibt?
Als Jessie feststellte, dass ein weiteres Paar Willow Manor gemietet hatte – ein imposantes Herrenhaus aus dem 17. Jahrhundert, gelegen in dem Dörfchen Little Bloombury in den idyllischen nördlichen Cotswolds –, und zwar genau an dem Tag, an dem sie dort feiern wollte, bot sie ganz einfach eine Abfindung an – großzügig genug, um die gesamten Kosten für die Hochzeitsfeierlichkeiten an einem anderen Ort zu decken. Anschließend hatte sie das Anwesen – eines der schönsten in ganz Südwestengland und umgeben von jahrhundertealten Cottages und traumhafter englischer Landschaft so weit das Auge reicht – exklusiv für eine Woche gebucht, was es der Hochzeitsplanerin des Hotels ermöglicht, das angestrebte Umsatzziel für die gesamte Hochzeitssaison mit nur einer einzigen Festivität zu erreichen. Ein wenig Kooperation ist daher durchaus angebracht.
Es ist der besorgte Ausdruck in den Augen der Hochzeitsplanerin, der Jessies Reaktion provoziert. Das und die Tatsache, dass sie darauf brennt, die Worte Selbstverständlich, das ist kein Problem zu hören. Das lasche Rumgemurkse dieser Frau befeuert die leichte Gereiztheit, die zu Jessies tagtäglichem Grundbefinden geworden ist, und wie eine altkluge, auf Krawall gebürstete Göre fuchtelt sie so heftig mit den Armen, um ihrem Frust Luft zu machen, dass sie Gefahr läuft, ihre blassblaue Carolina-Herrera-Kalbslederhandtasche zu verlieren, die wie wild hin und her schwingt.
Zeit, zum entscheidenden Schlag auszuholen.
»Sie kümmern sich doch um den Dessert-Salon, oder? Es gilt schrecklich viel zu beachten – Sie kennen die Gästeliste, daher wissen Sie, dass wir es mit dreihundert nur sehr schwer zu beeindruckenden Personen zu tun haben. Daher muss die zehnstöckige Madame-de-Pompadour-Erdbeer-Champagnerbuttercreme-Hochzeitstorte, die Peggy Porschen exklusiv für mich anfertigt, optimal präsentiert werden. Peggy Porschen – das sagt Ihnen doch sicher etwas, oder? Sie müssen unbedingt sichergehen, dass unter den Kristallkronleuchtern genügend Platz dafür ist. Schließlich dürfen wir den Tortenständer und die Blumendeko nicht vergessen. Wenn sämtliche siebentausend David-Austin-Avalanche-Rosen an Ort und Stelle sind, brauchen wir mindestens vier Meter Höhe und drei Meter Breite.« Jessie schiebt die Handtasche in die Ellenbeuge, dann fährt sie fort: »Bitte sagen Sie mir, dass Sie zumindest die fünfzehnhundert handverzierten Mini-Maître-Choux-Eclairs und die extra von mir bei Bompas & Parr in Auftrag gegebenen Geleeköstlichkeiten in Form der Kirche nicht vergessen haben. Und was ist mit den von Hand garnierten Keksen, die an die Spitze meines Hochzeitskleids erinnern? Ich schlage vor, dass wir ein komplettes Moodboard mit Ideen ausarbeiten, wie wir diese Spezialitäten am besten zur Geltung bringen.« Sie kann gerade noch ein Schluchzen unterdrücken. Denn ich würde mir von Herzen wünschen, wenigstens eine einzige Nacht während dieses Hochzeitscountdowns durchzuschlafen, ohne schweißgebadet vor Stress aufzuwachen und mir den Moment auszumalen, in dem meine zukünftige Schwiegermutter mich über den Brauttisch hinweg mit hochgezogener Augenbraue mustert, langsam den Kopf schüttelt und mir wortlos zu verstehen gibt, dass ich in der Tat nicht gut genug bin für ihren Sohn – und schon gar nicht in der Lage, sie alle hinters Licht zu führen.
Jessie wird ruhiger, der Ausraster ist vorbei. Sie schnauft einmal tief durch, dann kehrt sie ihrer Hochzeitsplanerin, der bereits Tränen in die Augen treten, den Rücken zu und trippelt eilig davon – erleichtert darüber, dass sie sich heute für ein Business-Outfit entschieden hat. Ihr frisch geföhntes blondes Haar hüpft in der klaren Luft des Frühlingsmorgens.
Sie hatte schon vermutet, dass eine Herausforderung auf sie zukommen würde, deshalb hat sie sich für den Look Nummer 32 aus der neuen Frühlings-/Sommer-Kollektion von Carolina Herrera entschieden: eine cremefarbene Krepphose mit weitem Bein und hoher Taille, dazu der passende Seidenkrepp-Mix-Blazer, stylisch eingefasst mit schwarzem Zierband, in der Taille schmal geschnitten. Als Accessoire dient der Logo-Anhänger von Herrera aus Rotgold und Perlen mit dem passenden Armband, dazu trägt Jessie die zwölf Zentimeter hohen Leg-dich-ja-nicht-mit-mir-an-High-Heels aus lasergeschnittener Spitze. Jessie hat dieses Outfit so präzise zusammengestellt wie von der Designerin vorgegeben, sie hat sogar den schwarzen Seidengürtel des Blazers vorn geknotet, genau wie Carolina Herrera.
Tatsächlich ist das Einzige, was nicht aus dem Hause Herrera stammt, Jessies Verlobungsring aus Platin, besetzt mit Diamanten von De Beers, dessen bloße Präsenz ihr das Recht gibt, genau das zu sagen, was sie will. Vermutlich wäre sogar Miss Herrera höchstselbst zusammengezuckt beim Anblick des extravaganten sechskarätigen Kissenschliff-Solitärs in einer diamantbesetzten Krappenfassung und weiteren Diamanten rund um den Ring. Das zukünftige Familienerbstück wurde nach einem Termin bei einem Juwelier in der Londoner Old Bond Street individuell gefertigt, um sicherzugehen, dass niemand anders auf der ganzen Welt denselben Ring trägt.
Das hier ist Jessies Hochzeit, und sie ist fest entschlossen, sich bei ihrer perfekten Planung von nichts und niemandem dazwischenfunken zu lassen – schon gar nicht von einer begriffsstutzigen Hochzeitsplanerin, die schlicht keine Ahnung hat von dem Ausmaß dessen, was binnen der nächsten sechs Monate – ein ausgesprochen kurzer Zeitraum – auf sie zukommen wird.
Am 1. September wird Jessie Jones den achtunddreißig Jahre alten Adam Coleridge heiraten, den einzigen Sohn von Henry und Camilla Coleridge, zwei der vermögendsten Grundbesitzer der gesamten Grafschaft. Der einzige Mann auf der Welt, dem es gelingt, Jessie das Gefühl zu vermitteln, sie sei sehr viel mehr als nur gut genug. Die Art Mann, dessen Leben im Grunde nie mit ihrem eigenen hätte kollidieren dürfen, doch genau das ist passiert. Als er Jessie mit ihrer freimütigen, lebenslustigen Art kennen- und lieben lernte, wagte sie kaum davon zu träumen, dass ihre Liebe Bestand haben würde. Er hätte jede Frau auf der ganzen Welt haben können, aber er hat sie gewählt. Und deshalb vergöttert Jessie ihn. Ihr Leben ist auf Adam zugesteuert wie ein Schiff in stürmischer See auf eine Schatzinsel, wo als ultimative Belohnung sein Herz – und sein Ring – auf sie warteten.
Allerdings liegt noch jede Menge Arbeit zwischen heute und dem großen Tag, an dem Adam ihr das Versprechen für die Ewigkeit geben wird, und nicht zuletzt ist da noch die kaum zu bewältigende Aufgabe, ihrer sozial minderbemittelten Familie die enorme Tragweite dieses Ereignisses nahezubringen. Allein die Etikette zu vermitteln, die es bei der Bewirtung einer so großen Anzahl von Personen einzuhalten gilt, deren Privatvermögen den Sparhaushalt der gesamten Nation aufheben könnte, wird Jessie an die Grenzen des Machbaren treiben, ganz zu schweigen von der angemessenen äußeren Erscheinung, von der ihre Angehörigen eine ganz andere Vorstellung haben als sie.
Es ist ein sehr langer Weg von der deprimierenden Sozialsiedlung im Süden Londons, in der Jessie aufgewachsen ist und in der ihre Eltern und Geschwister heute noch wohnen, bis in die Gegenden, in denen sich ihr Leben jetzt abspielt. Sie hat sich an all den Schlägern und Mobbern der öffentlichen Schule vorbeigekämpft, die mit ihrem Streben nach etwas Besserem nichts anfangen konnten. Schon als sie noch ganz jung war, ist sie durch die Straßen des angrenzenden gehobeneren Putney-upon-Thames geschlendert und hat sich die Häuser ausgesucht, in denen sie eines Tages leben wollte, während sie sich den Kopf darüber zerbrach, was um alles auf der Welt man tun musste, um sich ein solches Leben leisten zu können. Anschließend ist sie nach Hause zurückgekehrt und hat den Stapel schmuddeliger Zehn-Pfund-Noten betrachtet, der Woche für Woche auf dem Kaminsims ihres winzigen Sozialhauses lag – das Haushaltsgeld ihrer Mutter Margaret –, hat zugesehen, wie diese sich abmühte, so lange wie möglich damit auszukommen, um drei Kinder und zwei ausgelaugte Erwachsene satt zu bekommen und mit dem Nötigsten auszustatten. Sie hat nie erlebt, dass ihre Mutter etwas für sich selbst ausgab. Dafür war nie genug Geld da. Das Gehalt ihres Vaters Graham, Hausmeister an der örtlichen Schule, reichte einfach nicht.
Sie weiß, dass genau das ihre Antriebsfeder ist, ihr Ansporn zum Erfolg, angestachelt von Eltern, die ihre Familie von ganzem Herzen lieben und einfühlsam genug sind, um Jessies Potenzial zu erkennen und zu fördern – und die es irgendwie geschafft haben, ihr die Universität zu finanzieren. Sie hat zweihundertneunundsechzig Mitabsolventen ausgestochen, als es darum ging, ihren ersten Job als Assistentin der Geschäftsleitung bei dem Bauträger Hunter Bentley zu landen. An ihrem zweiten Arbeitstag lernte sie Adam Coleridge kennen, den Marketing Director des Unternehmens, und drei Tage später saßen sie Champagner schlürfend bei ihrem ersten Date.
Jessie denkt an den erregten Schauder, der sie durchlief, als sich die Bar mit dem freitagabendlichen Publikum füllte und sie mehr und mehr zusammenrücken mussten, wobei sich Adam angestrengt darum bemühte, sie nicht allzu oft zu berühren, und sie sich stumm ermahnte, sich ja nicht in ihn zu verlieben. Sie wusste, dass es womöglich kein zweites Date geben würde, genau wie sie wusste, dass sie nicht damit umgehen könnte, lediglich einen Blick auf das werfen zu dürfen, was niemals ihre Welt sein würde. Doch die berauschende Kombination aus prickelndem Selbstvertrauen; Adam, der es ihr so leicht machte; attraktiven Frauen, die sich alle Mühe gaben, seine Aufmerksamkeit zu erwecken, die doch nur bei ihr war; ihr Kopf, der schwirrte vor all dem aufregenden Geplapper um sie herum – clevere Menschen, die ein aufregendes Leben führten –, war fatal. Gegen Mitternacht war sie verloren, bereit, sich ihm ganz und gar hinzugeben – wenn er sie denn gewollt hätte. Aber Adam schien nichts dergleichen im Sinn zu haben. Stattdessen nahm er sie bei der Hand und führte sie hinaus zu einem wartenden Mercedes, der sie nach Hause bringen sollte. Er küsste sie sanft auf beide Wangen, die Lippen verführerisch nah an ihren, öffnete die Wagentür und ließ sie einsteigen, ohne ihr zu folgen. Auf dem Rücksitz lag ein riesiges Bouquet handgebundener Blumen. Jessie, die vor lauter Freude am liebsten explodiert wäre, hätte beinahe das elegante schwarze Band übersehen, das die Blumen zusammenhielt und auf dem in verschnörkelten Goldbuchstaben Wunderschöne Jessie prangte. Auf der handgeschriebenen Karte stand schlicht: Möchtest du morgen Abend mit mir essen gehen?
Jetzt drückt Jessie Jones mit ihrem unbegrenzten Hochzeitsbudget ungeduldig auf die Klingel der White Gallery, Gloucestershires luxuriösester Brautmodenboutique, während gleichzeitig ein schriller Summton den Eingang einer Sprachnachricht ankündigt. Jessie tippt auf Abspielen und lauscht der quälend langsamen, unkonzentrierten Stimme ihrer Mutter.
»Jessica, hier spricht Mum … Ich hoffe, du hast einen schönen Tag … Dad und ich machen später unseren Wocheneinkauf, und ich dachte, ich rufe dich besser vorher an. Du weißt ja, wie er ist, wenn er zu Co-op geht. Es dauert eine Ewigkeit, bis er all die Angebote durchhat. Graham, holst du ein paar Einkaufstaschen aus der Abstellkammer unter der Treppe? Ich möchte nicht schon wieder fünf Pence für eine Tüte bezahlen … Hast du immer noch vor, uns am Wochenende zu besuchen, Jessica? Was möchtest du zum Tee? Gib mir Bescheid, damit ich es besorgen kann, wenn ich heute beim Einkaufen bin. Wie auch immer – eigentlich rufe ich an, weil ich heute Morgen ein riesiges Paket von dir bekommen habe, das mir ein ausgesprochen netter Mann geliefert hat. Es hat eine Ewigkeit gedauert, bis ich es geöffnet hatte, so gut war alles verpackt. Ich habe die vielen Kleider gesehen – es war wirklich lieb, sie mir zu schicken, Jessica. Ich bin dir sehr dankbar, und ich möchte dich wirklich nicht aufregen, aber ich finde, sie sind ein bisschen … hm, wie soll ich es sagen? … nun ja, sie sind ein bisschen zu protzig für meinen Geschmack. Dein Vater meint, ich solle den fliederfarbenen Hosenanzug tragen, den er mir letztes Jahr zum Hochzeitstag gekauft hat. Ich werde mal sehen, ob ich bei Next ein Paar hübsche Schuhe und eine Handtasche finde, die dazu passen. Vielleicht kannst du mir am Wochenende helfen, etwas Schönes auszusuchen? Ich habe dich lieb, Jessica. Bis bald. Vergiss nicht, mir zu sagen, was du zum Tee möchtest. Bye-bye.«
»Ach, verdammt noch mal!«, faucht Jessie ins Telefon, gerade als Helen Whittaker, die ruhige, unerschütterliche Besitzerin der White Gallery die Tür öffnet, um sie zu begrüßen.
2
HELEN WHITTAKER
Helen ist kein Typ für die Schlummertaste. Gleich nachdem der Wecker – den sie heute ganze fünfundvierzig Minuten früher gestellt hat und nicht wie sonst auf 7.30 Uhr – sie aus dem Schlaf reißt, springt sie aus dem Bett. Wie auf Autopilot schlüpft sie in ihren schweren weißen Bademantel und bereitet sich ein herzhaftes Frühstück mit zwei gekochten Eiern von frei laufenden Hühnern, dick gebuttertem Toast (die Krusten schneidet sie ab) und einer halben erfrischenden Grapefruit zu – die perfekte Mahlzeit für einen langen Tag voller Termine mit Bräuten, die sie unten in der Boutique erwarten. In den vier Minuten, die die Eier brauchen, um die richtige Konsistenz zu erreichen, setzt Helen den Kessel auf und stellt ihre Lieblingsporzellantasse für ihren morgendlichen Earl Grey zurecht. Als der Tee fertig ist, nimmt sie ein paar Schlückchen und überfliegt die Termine in ihrem in cremefarbenes Leder gebundenen Organizer, um ihrem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, mit wem genau sie heute verabredet ist.
Ihr Finger gleitet langsam über die Seite mit den Namen von sieben Frauen. Zwei von ihnen kommen heute wegen der ersten Änderungen, eine hat sich für ein Kleid entschieden und möchte nun die Accessoires auswählen, eine hat sich angemeldet, um die Brautjungfernkleider zu kaufen, zwei holen ihre fertigen Kleider ab, und eine – die erste Kundin um zehn Uhr – hat ihren allerersten Termin in der White Gallery. Diese Sitzungen liebt Helen ganz besonders, weil sie stets erfüllt von Aufregung und Staunen sind.
»Na schön«, sagt sie laut zu sich selbst. »Zeit, den Tag in Angriff zu nehmen.«
Fünfzehn Minuten und eine heiße Dusche später cremt sich Helen mit einer hautberuhigenden Schicht Pond’s Kakaobutter ein, reibt die reichhaltige Pflege fachkundig in ihre leicht trockenen Ellbogen und Knie, dann streicht sie über ihre Arme und die einst straffen Beine, bevor sie zu ihrem Bauch und den Schwangerschaftsstreifen gelangt, mit denen sie schon vor Jahren Frieden geschlossen hat. Als sie damit fertig ist, greift sie zu ihrem treuen Balconette-BH aus cremefarbener Spitze von Marks & Spencer mit dem dazu passenden Höschen und dreht sich zu dem weiß gekalkten Kleiderschrank um, an den sie gestern Abend sorgfältig ihre Garderobe für den heutigen Tag gehängt hat. Sie mag das Gefühl, gut organisiert zu sein.
Helen nimmt an der antiken Frisierkommode Platz, neben dem Diwan mit der hübschen Patchwork-Bettdecke, um ihr schulterlanges hellbraunes Haar zu der Frisur zu föhnen, die sie schon seit Jahrzehnten trägt, genauso entspannt, wie sie es jeden Morgen tut. Sie nutzt den warmen Luftstrom, um weiche, feminine Wellen zu formen, die sie sanft aus dem Gesicht streicht – ein Gesicht, das von einer meisterhaft gebändigten Ponyfrisur umrahmt ist, dank der Haarspraydose, die neben mehreren Flaschen Estée-Lauder-Parfüm, ihren Make-up-Utensilien und einer Schachtel Kosmetiktücher auf dem Frisiertisch steht.
Helen nimmt die gelbgoldenen Ohrstecker aus der Glasschatulle vor ihr und lächelt voller Wärme, als sie an die teure Flasche Chablis denkt, die Phillip und sie sich an ihrem fünfzigsten Geburtstag beim Mittagessen in ihrem Lieblingsbistro geteilt haben. Ihr Ehemann hatte gewartet, bis ihnen ein Teller mit einer wunderbar samtigen Crème brûlée serviert wurde, erst dann schob er ihr mit den schlichten Worten »Herzlichen Glückwunsch, mein Schatz« die kleine Schmuckschachtel quer über den Tisch zu.
Heute verströmt jeder Zentimeter von Helens äußerer Erscheinung Ganzheitlichkeit, Zusammengehörigkeit – sie ist eine Frau, die den Anschein erweckt, alles unter Kontrolle zu haben. Das ist genau das, was sie mit ihrem Look vermitteln möchte, denn die Wahrheit sieht deutlich düsterer aus. Aber das will niemand hören, und sie ist ganz bestimmt nicht bereit, es der Welt mitzuteilen. Noch nicht. Die unaufdringliche, ungezwungene Eleganz einer erfolgreichen Geschäftsfrau ist alles, was man heute von ihr zu sehen bekommen wird.
Helen schlüpft in die glänzenden cremefarbenen Pantoletten von L.K. Bennett, nimmt ihren Terminkalender und steigt die schmale, ungleichmäßige Treppe hinab, die von ihrer gepflegten Drei-Zimmer-Wohnung über der White Gallery, Gloucestershires angesagtester Boutique für Brautmoden, in den Verkaufsraum führt. Die Boutique nimmt das gesamte Erdgeschoss von Helens hübschem, aus Stein gebautem Cotswolds-Cottage ein, eins von vieren, die sich um eine Ecke herum bis zur alten Mühle erstrecken. Die White Gallery befindet sich direkt gegenüber dem Willow-Manor-Hotel und der Dorfkirche, nur eine einspurige Straße und der seichte Bach, der zur Mühle fließt, trennen die Gebäude voneinander.
Die Rahmen der kleinen Glasfenster sind im traditionellen Cotswolds-Grün gehalten wie bei allen anderen Häusern im Dorf, und wäre da nicht das dezente weiße Schild über der Tür, würden die Passanten nie darauf kommen, was für Schätze sich im Innern verbergen. Helen hat die Boutique so entworfen, dass man meint, aus einer längst vergangenen Zeit in eine helle, strahlende, hoffnungsvolle Zukunft einzutreten, sobald man die schwere Eichentür aus dem 16. Jahrhundert öffnet und die steinerne Schwelle überschreitet.
Heute Morgen betritt sie den Verkaufsraum durch die Hintertür am Fuß der Treppe zu ihrer Wohnung und macht sich daran, ihre Lieblingskerzen von Jo Malone anzuzünden. Wenn die Boutique in einer guten Stunde öffnet, wird die Luft erfüllt sein von dem köstlichen Duft nach Jasmin. Sie knipst die gläsernen Wandleuchten an, die die in Dior-Grau gehaltenen Wände in ein sanftes Licht tauchen – der perfekte Hintergrundton für ein Meer aus Weiß. Auf dem großen Glastisch in der Mitte der Boutique hat Helen eine ornamentierte Kristallvase mit ihren Lieblingswildblumen positioniert; dieselben Blumen, die sie vor fünfunddreißig Jahren in ihrem eigenen Brautbouquet verwendet hat: Blassrosa Fingerhut, honigfarbene Duftwicken und himmelblaue Lupinen, gemischt mit Wiesenkerbel sorgen heute für den einzigen sanften Farbtupfer. Neben der Vase steht ein dekorativer Porzellanteller mit frisch gebackenen Keksen in der Form von Miniaturhochzeitskleidern, überzogen mit strahlend weißem Zuckerguss.
Die einzige andere Dekoration auf dem Tisch sind drei wunderschön gerahmte Fotos. Helen unterdrückt den Schwall von Emotionen, der in ihr aufsteigt, als sie mit dem Finger zärtlich über das erste Bild streicht, und schluckt ihre Tränen hinunter. Dafür ist jetzt keine Zeit. Es handelt sich um ein Schwarz-Weiß-Foto der einundzwanzigjährigen Helen mit Phillip, aufgenommen an jenem glühend heißen Tag im Juli 1981, kurz nachdem die beiden ihr Ehegelübde abgelegt und das Standesamt von Bristol verlassen hatten, übersprudelnd vor Glück. Beflügelt von dem aufregenden Tag war Helen über den Saum ihres elfenbeinfarbenen Taftkleids gestolpert, und gerade als es so aussah, als würde sie vor den versammelten Gratulanten die Steinstufen hinabstürzen, fing Phillip sie auf – im selben Moment, in dem der Fotograf auf den Auslöser drückte. Bis zum heutigen Tag mag sie dieses Hochzeitsbild am liebsten.
Beide haben darauf die Köpfe nach hinten geworfen und kichern erleichtert. Phillip hatte Helen an jenem Tag vor einer Blamage bewahrt – so wie er es noch oft tun sollte –, und jedes Mal, wenn sie jetzt das Foto betrachtet, muss sie unweigerlich ihr Schicksal mit dem der wohl berühmtesten Braut jenes Jahres vergleichen – Lady Diana Spencer. Helen war beinahe von einem heiklen Saum zu Fall gebracht worden, aber Diana – damals ein Jahr jünger als Helen – stand immerhin vor der Herausforderung, einen dreieinhalb Minuten dauernden Gang durch das Mittelschiff der St.-Pauls-Kathedrale zu bewerkstelligen, und das vor rund siebenhundertfünfzig Millionen Zuschauern weltweit, deren Augen nur auf sie gerichtet waren. Die beiden anderen gerahmten Fotos auf dem Tisch sind von Helens und Phillips Kindern Betsy und Jack am Tag ihrer Abschlussfeier, glückliche Erinnerungen an ihre schönsten gemeinsamen Zeiten als Familie. Sie wünscht sich einfach nur, sie würde die beiden häufiger zu Gesicht bekommen.
Helen dreht eine Runde durch die Boutique, einen kleinen Staublappen in der Hand, und vergewissert sich, dass nirgendwo lästige Fingerabdrücke zu entdecken sind und alles absolut sauber und aufgeräumt ist, anschließend überprüft sie den kleinen Abfalleimer auf tränendurchweichte Taschentücher von den Anproben des Vortags. Betsy hat wiederholt vorgeschlagen, dass ihre Mutter eine Reinigungskraft einstellen soll, die sie morgens unterstützt, da sie bereits mehr als genug um die Ohren habe, aber Helen genießt diese Aufgabe. Außerdem haben die lebenslange Fürsorge und das Hinterherräumen bei einem hart arbeitenden Mann und zwei Kindern sie mehr als fit gemacht für den Job.
9.15 Uhr – genug Zeit für Helen, mit dem Staubwedel über die rotgoldene Kleiderstange zu fahren, die sich an den Wänden des Verkaufsraums erstreckt. Auf dieser Kleiderstange hängen sämtliche Hochzeitskleider, die Helen anbietet, jedes auf seinem weich gepolsterten weißen Seidenkleiderbügel, so drapiert, dass der Saum sanft den dicken cremefarbenen Teppichboden darunter berührt. Helen fängt links von der Tür an, die Richtung, die die meisten Bräute erfahrungsgemäß einschlagen, wenn sie das erste Mal ihre Boutique betreten. Dort hat sie ihre Kollektion aus sechs modern-romantischen Jenny-Packham-Kleidern arrangiert.
Helen tritt vor die Kleiderstange und streicht mit der Hand vorsichtig über jedes der Kleider, um sicherzugehen, dass sich keine der Perlenstickereien in einem der Nachbarkleider verfangen hat. Mit einer einzigen fließenden Bewegung hebt sie vorsichtig den Rock jedes einzelnen hoch und füllt ihn mit Luft, damit er am vorteilhaftesten fällt. Anschließend streicht sie bei einem Modell die perlenbesetzten Flügelärmel glatt, bei einem anderen den Seidentüll-Überrock, bevor sie das funkelnde, mit Perlen verzierte Spitzenoberteil des nächsten richtet. Sie beschließt, eins von Jennys neuesten Designs – ein echter Hingucker mit einem mehrfachen Stufenrock – nach vorn zu hängen, um bei ihren Kundinnen für einen unauslöschlichen Wow-Effekt zu sorgen.
Für diese Saison hat Helen die eher körperbetonteren Modelle aus der Jenny-Packham-Kollektion eingekauft – und zwar die mit den Wildblumen- und Blattwerk-Applikationen, funkelnden Illusion-Kristallkorsetts, gewagten Rückenausschnitten und tief ausgeschnittenen Dekolletés. Sie entsprechen vielleicht nicht ganz ihrem persönlichen Geschmack, aber wenn es um den ultimativen zeitgemäßen Glamour geht, weiß Helen keine Bessere als Jenny – und ihren Kundinnen scheint es ähnlich zu gehen, der Flut von Bestellungen nach zu urteilen, die sie bereits aufgenommen hat.
Helen arbeitet sich die Kleiderstange entlang bis zu den fünf meisterhaft verarbeiteten Peter-Langner-Kleidern, darunter ihr persönliches Lieblingsstück: ein Duchessekleid aus Shantungseide mit Schmetterlingsärmeln, bestickt mit herabschwebenden Blütenblättern aus Chiffon. Als Nächstes kommen die legendären Schrägschnittkleider von Pronovias, auf die, wie Helen weiß, die modebewussteren Kundinnen zusteuern. Scharf geschnittene Rackerbacks, hautenge, kunstvoll bestickte Spitze, durchsichtiger Chiffon und Schlitze bis zum Oberschenkel sind nichts für jede Braut, doch diejenigen, denen dieser Look gefällt, blättern für gewöhnlich gern die hohen Summen hin, die für diese Kleider verlangt werden.
Jetzt ist gerade noch genug Zeit, die verbliebenen Kleider zu richten und ihre Runde zu beenden. Sie nimmt sich die acht exquisiten Roben von Oscar de la Renta vor, allesamt schulterfrei bis auf ein A-Linien-Kleid mit tiefem V-Ausschnitt, das Helen so lange zurechtrückt, bis es perfekt symmetrisch auf seinem Kleiderbügel hängt. Jedes Kleid weist eine atemberaubende Besonderheit auf, die Helen jetzt ins rechte Licht rückt: ein Rückenteil, verziert mit einer übergroßen Schleife (zurechtgezupft), komplizierte Luftspitze (glattgestrichen), ein eleganter Schößchenrock (leicht aufgebauscht) und ein Spitzenbolero, eingefasst mit Nerz und Fuchsfell (höher auf den Kleiderbügel gezogen).
Als sie mit der Kleiderstange zufrieden ist, geht Helen in den hinteren Bereich der Boutique und betritt den prächtig ausgestatteten Ankleideraum mit seinen vom Boden bis zur Decke reichenden Spiegeln in den verschnörkelten Goldrahmen auf beiden Seiten. Es gibt eine luxuriöse Chaiselongue, großzügig gepolstert und bezogen mit cremefarbenem Samt, die eine Länge des Raums einnimmt und jede Menge Platz bietet für Mütter und Brautjungfern, außerdem einen extravaganten Kristalllüster, der in der Mitte des Raums von der Decke hängt. Auf einem kleinen Glastisch in der Ecke hat Helen ihre »Mary-Poppins-Tasche« abgestellt, wie sie sie liebevoll bezeichnet. Genau wie eine altmodische Arzttasche aus Leder öffnet sie sich wie ein klaffender Schlund und enthüllt Dutzende von einzeln verpackten Nadeln, Klammern, Gummibändern und Schleifen – alles, was sie benötigt, um ein zu großes oder zu kleines Kleid auf wundersame Art und Weise an die darin steckende Braut anzupassen.
Im Ankleideraum hängen heute drei weitere, ganz besondere Roben an einer beweglichen Kleiderstange. Da Helen weiß, dass es einige Zeit in Anspruch nimmt, diese Kleider angemessen zu präsentieren, hat sie sie bereits gestern Abend nach Geschäftsschluss dorthin gebracht, damit sich selbst hartnäckige Falten im Stoff aushängen. Es ist wichtig, dass sie perfekt aussehen, und Helen ist froh, als sie bei genauerer Betrachtung feststellt, dass sie ihre Sache gut gemacht hat.
9.50 Uhr – Helen kehrt in den vorderen Bereich der Boutique zurück und schließt die Tür auf, zehn Minuten vor dem Termin mit der ersten Braut des Tages. Sie nutzt die Zeit, um durch die Kartei zu blättern, die sie für jede ihrer Kundinnen anlegt – die Bibel, die sorgfältig jeden Fortschritt dokumentiert, von der ersten Anprobe über das Maßnehmen bis hin zu dem gewählten Stil, Änderungen, letzten Verbesserungen und Lieferterminen. Die Kartei verlässt nie den verschlossenen Schrank unter der Ladenkasse, denn Helen weiß, dass sie ohne verloren wäre. Jetzt öffnet sie den Ordner bei dem Fach, das mit Miss Jessica Jones beschriftet ist, und überfliegt noch einmal die fünfzehn E-Mails, die sie ausgedruckt und hier abgelegt hat – E-Mails, die Jessie Helen in den Wochen vor diesem Termin geschickt und in denen sie immer detaillierter erläutert hat, wonach sie sucht. Helen geht die Wünsche im Kopf noch einmal durch. Nicht ein Kleid, sondern drei. Das erste ist für das Probeessen am Abend vor der Hochzeit, das zweite für die Trauzeremonie an sich und das dritte für die Hochzeitsfeier am Abend. Ich kann es kaum erwarten, dass sie die drei Kleider sieht, denkt Helen, zuversichtlich, dass ihre Kundin hocherfreut sein wird über das, was sie erwartet. Sie streicht mit den Fingern über die Stoffmuster, die an die E-Mails geheftet sind. Jessie hat sie ihr zusammen mit verschiedenen Video-Links zu den Designer-Modenschauen und dem Passwort zu einem ganzen Pinterest Board voller Modelle von ihren drei Lieblings-Brautmodendesignern geschickt.
Die meisten Bräute in spe kommen bei ihrem ersten Termin mit einer Handvoll Fotos zu Helen, die sie aus diversen Hochzeitsmagazinen herausgerissen haben, außerdem – wenn sie gut vorbereitet sind – mit einer groben Budgetvorstellung, die sie jedoch fast immer verwerfen, sobald sie erst einen Fuß in die White Gallery gesetzt haben.
Allerdings ist bislang keine von ihnen wie Jessie zur Bridal Fashion Week nach New York geflogen, um persönlich die neuen Kollektionen auf dem Laufsteg zu begutachten und darauf zu bestehen, dass die drei Musterstücke, die ihr am besten gefielen, aus den Verkaufsshows genommen und umgehend in Helens kleine Boutique in den Cotswolds versandt wurden.
10.05 Uhr – von der Braut in spe keine Spur. Helen wirft einen weiteren Blick in ihren Kalender, um sich zu vergewissern, dass ihr kein Fehler unterlaufen ist. Ein einstündiger Samstagstermin bei Helen in der White Gallery muss Wochen im Voraus gebucht werden – ein heiß begehrtes Zeitfenster, das noch nie eine Braut abgesagt hat, und wenn sich tatsächlich mal eine verspätet, was ausgesprochen selten vorkommt, dann nie ohne einen extrem guten Grund. Helen hält einen Moment inne, um über die junge Frau nachzudenken, die sie gleich kennenlernen soll. Bislang gab es noch niemanden, den Helen nicht entwaffnen konnte. Die desinteressierte Schwiegermutter, die eifersüchtige Brautjungfer, die sich das Kleid nicht leisten kann, das ihre Sandkastenfreundin anprobiert, und die daher beschließt, es zu hassen. Die Brautmutter, die all ihre verstaubten Stilregeln auf ihre verwirrte Tochter überträgt. Oder der Brautvater, der den ganzen Termin über schluchzt und alles andere als eine Hilfe ist. Helen hat beraten, erklärt, nachgegeben und zu guter Letzt jeden von ihnen überzeugt. Und kein Einziger hat je bemerkt, wie viel persönlichen Kummer sie selbst Tag für Tag mit sich herumträgt, dafür hat sie gesorgt. Jede Braut, die sie bedient, kann sich Helens ungeteilter Aufmerksamkeit sicher sein. Sie hört stets eifrig zu, wenn ihr die jungen Frauen ihre Hochzeitspläne erläutern, und sie hat noch nie einer Braut ein Kleid verkauft, ohne ihre ehrliche Meinung dazu zu äußern. Doch Helen wusste sehr genau, als sie den Namen Jessica Jones in die Spalte für Samstag, den 1. März, schrieb, dass sie es noch nie mit einer jungen Frau wie dieser zu tun hatte – keiner einzigen.
10.15 Uhr – Helen hört draußen vor der Boutique etwas, das man nur als obszönes Gekeife bezeichnen kann, und öffnet die Tür, um nachzusehen.
»Ach, verdammt noch mal! Flieder? Die Farbe steht wirklich keinem. Und dann auch noch von Next! Na super! Da bekommt sie die Möglichkeit, in einem Tausende Pfund teuren Max-Mara-Outfit durch den Mittelgang der Kirche zu stöckeln, aber nein – wir gehen zu Next. Bitte, lieber Gott, mach, dass sie sich nicht auch noch einen Fascinator auf den Kopf steckt. Das packe ich echt nicht!«
»Sie müssen Jessica sein. Bitte kommen Sie herein«, sagt Helen und streckt den rechten Arm aus, um Jessie unter dem prächtigen Bogen aus lila Glyzinien willkommen zu heißen, der den Eingang der White Gallery rahmt.
»Was?«, bellt Jessie und schnaubt laut ins Telefon, dann wischt sie übers Display und lässt es in ihre Handtasche gleiten.
Helen atmet tief den süßen Blütenduft ein, der die hässliche Sprache übertönt, die sie so sehr verabscheut, und macht höflich einen Schritt zur Seite, um Jessie eintreten zu lassen.
»Es ist alles für Sie vorbereitet, Jessica. Die Kleider aus Amerika sind vor zwei Tagen eingetroffen. Ich weiß nicht, wie Sie das angestellt haben, aber alle drei haben es bis hierher geschafft und sind wahrhaft exquisit. Sollen wir lieber noch einen Augenblick warten? Wird Sie jemand bei diesem Termin begleiten, Miss Jones – Ihre Mutter oder eine Freundin vielleicht?«
»Um Gottes willen, nein. Ich brauche keine Hilfe, danke. Ich hoffe, meine E-Mails haben deutlich gemacht, dass ich bereits genau weiß, was ich will.«
Von einer nervösen zukünftigen Braut angefahren zu werden ist nichts Neues, doch Jessies unverblümte Grobheit überrascht selbst Helen. Ihre Gedanken springen zu ihrer Tochter, und sie stellt sich vor, wie verlegen sie wäre, wenn sie ein solches Benehmen bei Betsy mit ansehen müsste. Doch mehr als alles andere empfindet sie Mitleid mit Jessie. Keine Frau sollte allein zu ihrem ersten Brauttermin gehen müssen, denkt sie. Undenkbar, sich Betsy dabei vorzustellen.
»Na schön, wenn Sie bereit sind, Miss Jones, können wir gern einen Blick auf die Kleider werfen.«
»Deshalb bin ich hier.« Jessie dreht die Augen sarkastisch zur Decke, was Helen zu einem tiefen, lungenerweiternden Atemzug zwingt. Sie ist sich nicht sicher, ob sie der jungen Frau dieses unverschämte Verhalten durchgehen lassen möchte. Für einen kurzen Moment überlegt sie, ob sie Miss Jones darauf ansprechen soll. Dann allerdings kommt sie zu dem Schluss, dass dieser absolute Mangel an Freundlichkeit womöglich genau das ist, was sie jetzt braucht, da er sie zwingt, sich auf die anstehende Aufgabe zu konzentrieren. Sie darf nicht länger über ihren eigenen Kummer nachdenken, muss zurück zu den Kleidern, zurück in ihre Komfortzone.
Entschlossen geht sie in den hinteren Bereich der Boutique und schiebt mit beiden Armen langsam die schweren Seidenvorhänge zum Ankleideraum auseinander. Dahinter kommen drei der atemberaubendsten Brautkleider zum Vorschein, die sie je gesehen hat.
»Auf der linken Seite, Miss Jones, hängt das elfenbeinfarbene Seidenkrepp-Etuikleid von Oscar de la Renta. Ich finde, der mit Perlen und Pfauenfedern eingefasste Saum macht es mehr als elegant und ausgefallen genug für Ihr Probeessen. Selbstverständlich wissen wir erst, wenn Sie es anprobieren, ob die Saumlänge für Sie richtig ist, und wenn ich Sie jetzt betrachte, denke ich, wir können es uns leisten, den Saum um vier bis fünf Zentimeter anzuheben. Sehen Sie nur, wie sich die Federn schon jetzt im Luftzug bewegen. Das hier, Miss Jones, ist ein Kleid, in dem Sie Spaß haben können.«
Als Jessie sich nicht dazu äußert, fährt Helen fort.
»Kommen wir zu dem Modell von Carolina Herrera. Soweit ich weiß, hat sie mit dem Kleid in dieser Saison ihre Show in New York beendet. Ich bin mir sicher, dass ich Ihnen nichts Neues erzähle, wenn ich erwähne, dass Herrera dafür bekannt ist, Hochzeitskleider anzufertigen, die auf der Innenseite genau so schön sind wie außen, und dass die von Hand eingenähten Stäbchen in dem Korsett aus Chantilly-Spitze vermutlich die beste Arbeit sind, die ich je gesehen habe. Sie werden Ihre Taille formen wie nichts anderes und Ihnen genau die Stütze geben, die Sie brauchen werden, um einen derart ausladenden Rock zu tragen. Es ist wirklich clever von Herrera, die für sie charakteristischen Taschen mit aufzunehmen – das verleiht dem Ganzen eine moderne Note, finden Sie nicht?«
Noch immer kein Wort von Jessie, die reglos dasteht, mit einem leeren Gesichtsausdruck, den Helen nur sehr schwer deuten kann. Unbeirrt wendet sie sich dem dritten und letzten Kleid an der Stange zu.
»Und das hier ist das ultimative Stück für die große Party. Jeder Zentimeter dieses mit Metallfransen besetzten Cocktailkleids ist dazu gemacht, Ihre Bewegungen zu umschmeicheln, Miss Jones. Selbst wenn Sie gehen, werden Sie aussehen, als würden Sie tanzen, und wegen des mit Edelsteinen besetzten Ausschnitts benötigen Sie keinerlei weitere Accessoires. Es ist das erste Mal, dass der Designer Naeem Khan ein Cocktailkleid in seine Brautmodenkollektion mit aufgenommen hat, und ganz ehrlich – etwas Besseres hätte er nicht tun können.«
Helens Brust schwillt, als sie sich einen Moment nimmt, um die volle Pracht zu würdigen, die sich ihren Augen präsentiert. Sie kann auf den ersten Blick sehen, wie viel Kunstfertigkeit darin steckt, die endlosen Stunden der Perlenstickerei, die konzentrierte Detailarbeit, die jeder Zentimeter Spitze erfordert. Sie kann sehen, wie perfekt geschneidert jeder Schnitt ist, präzise angepasst an die weibliche Form – nicht beengend, sondern dazu gedacht, die Kurven einer Frau zu umspielen, sodass sie gehen, tanzen und sich voller Selbstvertrauen um ihre Gäste kümmern kann in dem Wissen, dass sie so gut aussieht wie nie zuvor.
Helen wendet sich von den Kleidern ab und dreht sich zu Jessie um, darauf bedacht, ihr endlich eine Reaktion zu entlocken. Aber Jessie ist nach wie vor wie erstarrt. In ihren Augen stehen Tränen – ein Blinzeln, und sie strömen über ihr perfekt geschminktes Gesicht. Ihre Lippen ringen mit den Worten, die sie hervorzubringen versucht, und Helen bemerkt, dass sie leicht zittert vor Anstrengung, Haltung zu bewahren. Die pampige Arroganz, die sie noch vor zehn Minuten zur Schau getragen hat, ist völlig verschwunden, stattdessen macht sich Verlegenheit darüber breit, dass sie vor Helen die Fassung verloren hat. Andere hätten sie vielleicht noch eine Weile länger leiden lassen, um ihr ihre vorherige Unfreundlichkeit heimzuzahlen, aber nicht Helen.
Ihre warmherzigen, mütterlichen Instinkte lassen sie zu Jessie eilen und sie in eine feste Umarmung ziehen. Sie spürt, wie deren schmaler, angespannter, stressgeplagter Körper leicht nachgibt, dann lässt die junge Frau ihren Tränen endgültig freien Lauf. Helen weiß, dass sie ihre Bluse morgen zur Reinigung bringen muss, um die Tränenflecken entfernen zu lassen, die sich auf ihrer rechten Schulter bilden, dennoch bleibt sie eine ganze Minute lang so stehen. Keine von beiden sagt ein Wort, aber Helen nimmt sich insgeheim vor, dass sie dazu beitragen will, die junge Frau in ihren Armen wieder aufzubauen, ganz gleich, was sie gebrochen haben mag.
»Gott, wie peinlich«, stößt Jessie schließlich hervor. Ihre Wangen sind gerötet, vor lauter Verlegenheit sammelt sich Schweiß in ihren Achselhöhlen.
»Jessie …«, setzt Helen an. »Darf ich Sie Jessie nennen? Sie blicken auf drei der schönsten Hochzeitskleider, die ich je gesehen habe – Kleider, von denen die meisten Mädchen nur träumen können. Würden Sie da nicht die eine oder andere Träne vergießen, müsste ich ernsthaft befürchten, dass mit Ihnen etwas nicht stimmt, meine Liebe. Lassen Sie uns jetzt mal einen genaueren Blick auf die Kleider werfen und herausfinden, welche Details Sie geändert haben möchten. Anschließend sprechen wir über den zeitlichen Rahmen und darüber, ob Sie vielleicht noch etwas anderes aus der umfangreicheren Kollektion vorn im Verkaufsraum anprobieren möchten. Ach, Jessie, denken Sie bitte daran, dass jede einzelne zukünftige Braut vor Ihnen irgendwann in meinem Beisein Tränen vergossen hat – jede einzelne, ohne Ausnahme. Sie waren lediglich etwas früh dran.«
Etwas an Helens Worten lässt Jessie noch tiefer erröten, was nahelegt, dass sie bereits Zugang zu dem komplexen Charakter von Miss Jessica Jones findet – und sie kann nicht anders, als Zufriedenheit darüber zu empfinden, dass ein Termin, der so negativ begonnen hat, sich derart zum Positiven entwickelt.
Sechs anregende Termine später dreht Helen das Geöffnet-Schild an der Eingangstür zur White Gallery auf Geschlossen, schaltet die komplizierte Alarmanlage ein, die ihrer Meinung nach in einem Dorf wie diesem völlig unnötig ist, und steigt die Stufen hinauf zu ihrer Wohnung – erschöpft, aber stolz auf das, was sie heute erreicht hat. Als sie die Tür schließt, die in das kleine, aber gemütliche Wohnzimmer mit seinem offenen Kamin und dem antiken ausklappbaren Esstisch führt, an dem gerade mal zwei Personen Platz haben, spürt sie, wie wieder einmal die altbekannte Beklommenheit von ihr Besitz ergreift. Sie streift die Schuhe ab, wackelt mit den Zehen und geht schnurstracks in die Küche, um sich den so dringend benötigten Tee zuzubereiten, auch wenn ihr klar ist, dass es mehr als einer Tasse Earl Grey bedarf, um das Gefühl der Einsamkeit zu vertreiben, das sie in zunehmendem Maße beschleicht.
Helens Schlafzimmer mit dem Doppelbett liegt gegenüber dem Wohnzimmer, und von der Küchentür aus kann sie einen Blick hineinwerfen. Dort, an der Bilderschiene, hängt das aus Taft gearbeitete Brautkleid, das sie bei ihrer Hochzeit mit Phillip vor fast vierzig Jahren getragen hat. Phillip, die Liebe ihres Lebens. Selbst jetzt noch – drei Jahre, elf Monate und sechs Tage, nachdem sie ihn beerdigt hat –, bringt sie es nicht über sich, es wegzuhängen. Phillips Seidentaschentuch, das er an jenem Tag bei sich hatte, steckt noch immer im Mieder des Brautkleids. An den Abenden, an denen sie besonders schwer mit ihrer Trauer zu kämpfen hat, nimmt Helen das kostbare Stück Seide mit ins Bett, doch sein Geruch hat sich schon lange verflüchtigt – anders als der Schmerz, der nach dem Verlust noch immer allgegenwärtig ist.
3
DOLLY JACKSON
Noch fünf Monate
Mit fünfzehnminütiger Verspätung lässt Dolly sich zu Beginn eines weiteren langweiligen Arbeitstags auf ihren Schreibtischstuhl fallen und hofft, dass Rick, der unausstehliche Chef der PR-Agentur, in der sie seit zwei Jahren ist, nichts davon mitbekommen hat. Keine Chance.
»Schön, dass Sie auch noch zu uns stoßen, Dolly«, bellt er selbstgerecht durch das graue Großraumbüro, damit auch ja alle Kollegen die Köpfe heben und gaffen. »Was ist Ihnen denn diesmal dazwischengekommen? Eine weitere Anprobe? Tut uns leid, wenn wir Ihren Hochzeitsplänen in die Quere kommen, aber nur für den Fall, dass Sie es vergessen haben: Diese Woche stehen mehrere entscheidende Präsentationen an – und alle anderen haben es rechtzeitig hierhergeschafft.«
»Ach, zur Hölle«, murmelt Dolly, hebt die Augen zur Decke und atmet laut aus.
Anschließend schweift ihr Blick über das Sammelsurium von Post-its, die an ihrem Bildschirm kleben – jedes einzelne vollgekritzelt mit hastigen Notizen, die sie an die unzähligen dringenden Aufgaben erinnern sollen, die sie erledigen muss, bevor Rick herausfindet, wie weit sie hinterherhinkt. Bei der Nachrichtenredaktion der Daily Mail anrufen; Green & Black’s-Schokoladen eine E-Mail wegen der fehlenden Kostproben schicken; den Grafikern und der Druckerei Dampf machen; Konferenzraum für den Besuch des neuen Klienten buchen … Dazwischen finden sich einige weitaus interessantere Klebezettel, die sie beschriftet hat, um sich mehrmals am Tag aus der verhassten Routine herauszureißen: Flitterwochen – Sri Lanka oder Bali? Menü im Willow Manor bestätigen; Termin für Gesichtsbehandlung buchen. Ganz oben am Bildschirm prangt das einzige rosa Post-it, das mit plakativen Großbuchstaben bedeckt ist – die Herausforderung, deretwegen sie sich jeden Morgen aus dem Bett quält: Dafür sorgen, dass das Brides Magazine etwas über die Hochzeit bringt!
Dolly sackt ein wenig auf ihrem Stuhl zusammen und betet, dass Richard – oder »die Arschgeige«, wie er im Büro wenig schmeichelnd genannt wird – sie fürs Erste in Ruhe lässt. Sie wirft einen Blick auf die halb fertige ausgedruckte Präsentation, die schon vor einer Woche auf dem Schreibtisch der Arschgeige hätte liegen sollen, und findet kaum genügend Motivation, ihren Computer hochzufahren. Als sie es endlich geschafft hat, wirft sie einen Blick auf die Armbanduhr und stellt missmutig fest, dass es noch ganze neun Stunden dauert, bis sie dieses Ding wieder herunterfahren kann. Was für eine Freude.
»Ignorier den Volltrottel und hau rein«, rät Emma, Dollys stets gut gelaunte Kollegin strahlend, und stellt ein riesiges Croissant, gefüllt mit Schinken und Käse, vor sie hin. »Komm schon, eins wird dich nicht umbringen. Ich hab heute Morgen schon zwei davon verdrückt, um meinen Kater loszuwerden!«
Unbeschwert, wie sie ist, zählt Emma zu jenen unergründlichen Frauen, die entweder nicht merken, dass ihr Bauch über den Bund quillt, oder denen es schlichtweg egal ist. So oder so, Emma ist die perfekte Abschreckung für Dolly, diese Kalorienbombe von Frühstück zu sich zu nehmen, auch wenn sie das liebend gern tun würde. Sie beneidet Emma um ihre Sorglosigkeit. Wenn ihr etwas schmeckt, isst sie es. Wenn Dolly etwas schmeckt, verzichtet sie normalerweise darauf.
»Oh, vielen Dank, Emma, das ist genau das, was ich jetzt brauche. Ich mache mich schnell darüber her und kümmere mich anschließend um die Arschgeige«, flunkert sie.
»Kein Problem«, zwitschert Emma. »Kommst du Donnerstagabend? Ein paar von uns gehen zur Eröffnung der neuen Bar in der Mercer Street. Gleich am Anfang gibt es eine Stunde lang Cocktails zum halben Preis, deshalb wollen wir so früh wie möglich da sei. Komm also bloß nicht zu spät!«
»Klingt super.« Dollys zweite Lüge an diesem Vormittag. »Ihr könnt auf mich zählen.« Und die dritte.
Sie sieht ihre Kollegin grinsen, die ihre gute Tat für heute getan hat, auf dem Absatz kehrtmacht und sich auf ihre eigene triste Seite des Büros zurückzieht, während Dolly sich mit dem frisch aus dem Ofen kommenden Croissant herumschlagen muss, dessen Duft ihr verführerisch in die Nase steigt. Sie wünscht sich nichts mehr, als die Zähne in das tröstlich weiche Gebäckstück zu schlagen – genau wie jede andere Frau in der Agentur es in diesem Augenblick vermutlich tut – und es mit einem riesigen, herrlich süßen Milchkaffee herunterzuspülen. Der Duft ist nahezu berauschend, und die ausgehungerte Dolly spürt, wie ihr der Mund wässrig wird und ihr Magen zu knurren oder vielmehr zu brüllen beginnt.
Sie vergewissert sich, dass Emma bereits damit beschäftigt ist, das nächste Opfer des Montagsblues aufzuheitern – und davon gibt es in diesem Saftladen jede Menge –, dann wirft sie das feindliche Gebäck in den Abfalleimer, denn genau dort gehört es ihrer Meinung nach hin. Täuschungsmanöver ausgeführt. Der bittere grüne Saft – eine unappetitliche Mischung aus Spinat, Grünkohl, Sellerie und Ingwer –, den sie sich hastig im NutriBullet zusammengemixt hat, brennt in ihrem Magen und verursacht ihr leichte Übelkeit. Sie versucht, nicht daran zu denken, wie sie Schluck für Schluck heruntergewürgt hat, die Augen fest zusammengekniffen, die Nase verschlossen vor dem sauren Geruch, konzentriert allein auf die Tatsache, dass sie drei von ihren »zehn pro Tag« geschafft hat, noch bevor sie ganz wach ist. Doch so viel zum Thema Energiezufuhr. Dolly ist erschöpft von ihren sonntäglichen Essensvorbereitungen. Am Abend kocht sie immer die Mahlzeiten für die gesamte Woche vor, damit sie nicht in Versuchung gerät, Köstlichkeiten wie dem bösen Croissant zu erliegen, das sie aus dem Abfalleimer heraus spöttisch anblickt. Während ihr Verlobter Josh mit einem Stück Peperoni-Pizza und einer Ausgabe des Männermagazins GQ auf dem Sofa lümmelte und sich Ideen für sein nächstes Fotoshooting klaute, machte Dolly jedes Utensil in ihrer weißen IKEA-Hochglanzküche schmutzig. Sie kochte ganze fünf Stunden lang, kühlte fades Essen ab und verteilte es auf Tupperdosen für jeweils eine Portion. Dann sortierte sie geschmorten Fenchel, Ingwer-Polenta, Cashewnuss-Sellerie-Suppe, Blumenkohl-Couscous, Hanfsamenpesto mit Miso aus braunem Reis, mit Quinoa gefüllte Zucchini und genügend ekeligen Saft in das Tiefkühlfach ein. Sie wäre schneller fertig gewesen, hätte Josh sie nicht alle zwei Minuten genervt: Wo ist die Fernbedienung? Haben wir irgendwo noch ein Bier? Könntest du mir mein Handy aus dem Schlafzimmer holen? Er ist so an seine Assistentinnen gewöhnt, die ihn bei der Arbeit umwuseln, dass es ihm häufig schwerfällt, sich zu Hause anständig zu benehmen. Dollys beste Freundin Tilly rät ihr seit Monaten, ihm mal gehörig die Meinung zu sagen, aber wie bei den meisten anderen Dingen auf ihrer To-do-Liste ist sie noch nicht dazu gekommen.
Ist es daher ein Wunder, dass ihr überarbeiteter, unterernährter Körper nach ein paar verbotenen Kohlehydraten lechzt? Was er dagegen bekommt, ist ein kleiner Becher mit grauem Matsch, den Dolly aus ihrer Handtasche zieht: das Frühstück aus Mandeln und Chiasamen, das sie gestern Abend ebenfalls zubereitet hat. Eine weitere Mahlzeit, die sie ohne jeden Genuss zu sich nimmt. Außerdem wird sie den Abfalleimer wegstellen müssen, denn der Duft des verfluchten Croissants lässt einfach nicht nach. Gerade als Dolly überlegt, wie sie heimlich ihren Abfalleimer mit dem von jemand anderem vertauschen kann, vernimmt sie die Stimme der Verdammnis.
»Schaffen Sie Ihren dürren Hintern hier rein, Dolly!«, plärrt die Arschgeige aus seinem sicheren Glaskubus heraus. »Ich habe eine Aufgabe, die förmlich nach Ihnen schreit.«
Dolly, gerettet vor der Frühstücksmatsche, stemmt sich von ihrem Stuhl hoch, durchquert den Raum in Richtung Richs Büro und ist sich dabei nur allzu bewusst, dass ihre gesamte äußere Erscheinung an diesem Morgen »Scheiß drauf!« schreit. Ihr honigfarbenes Haar ist zu einem kindischen Pferdeschwanz zurückgebunden, ihr Make-up beschränkt sich auf lediglich zwei Produkte: eine getönte Feuchtigkeitscreme von Laura Mercier und einen Lipgloss von Tom Ford. Dollys niedliches Miu-Miu-Skaterkleid gehört dringend gebügelt, ihre schwarzen Ankle Boots von Kurt Geiger sind abgewetzt und müssten dringend geputzt werden. Dolly weiß, dass sie sich gehen lässt. Ihr Schrank daheim platzt aus allen Nähten vor Designerstücken – prächtigen Kleidern und Accessoires –, aber all das kommt ihr hier, in diesem Büro, wie reine Verschwendung vor. Je weniger sie mit dem Herzen bei der Sache ist, desto mehr vernachlässigt sie ihr Äußeres, was wiederum dazu führt, dass sie sich noch schlechter fühlt.
Im Schneckentempo schlendert sie über die billigen grauen Teppichfliesen mit den uralten Kaffeeflecken, die nie jemand entfernt hat. Manche heben sich an den Ecken, einige wurden über die Jahre durch andersfarbige Fliesen ersetzt, was den Fußboden in eine Art riesiges Hüpfspiel verwandelt. Sie passiert vier Reihen mit Schreibtischmodulen, die gerade oberhalb der Augenhöhe voneinander abgeschirmt sind, um unnötiges menschliches Miteinander zu unterbinden. Alle ihre Kollegen in den engen Zellen sind bereits schwer beschäftigt. Dolly weiß auch ohne hinzusehen, dass ihr Name ganz unten auf der Liste der High Performer steht, die die Arschgeige auf ein riesiges Whiteboard an der Wand neben seinem Büro geschrieben hat. Eher dazu gedacht einzuschüchtern, statt zu inspirieren, ist das seine Art und Weise, jeden öffentlich bloßzustellen, der hinter den Erwartungen an sein Team zurückbleibt. Dennoch kann sie es sich nicht verkneifen, im Vorbeigehen einen Blick darauf zu werfen, und sie stellt fest, dass sie die zweite von unten ist, gleich über dem neuen Mädchen, das letzte Woche angefangen hat. Die Laufschriftanzeige, ein weiteres von Richs öffentlichen Bloßstellungsmitteln, läuft bereits. Dolly hasst dieses ganz besonders grausame System, bei dem die gesamte Bürobelegschaft erfährt, wie lange jeder Einzelne von ihnen Tag für Tag am Telefon hängt – anstatt online Hochzeitsvorbereitungen zu treffen. Unmengen von Zeit damit zu verbringen Unsinn mit künftigen Klienten zu besprechen, wird hier für gut befunden, alles unter zwei Stunden täglich bringt einem einen der gefürchteten Besuche bei der Arschgeige ein, bei denen man erklären muss, warum man sich nicht mehr reinhängt. Die Zahlen vom letzten Freitag sind noch immer für alle zu sehen. Dolly hat insgesamt dreizehn Minuten lang telefoniert.
Wenn sie den Leuten erzählt, dass sie bei einer PR-Agentur arbeitet, weiß sie, dass die meisten ein ganz bestimmtes Bild im Kopf haben: Tage voller kreativer Brillanz, Menschen, die vor Originalität übersprudeln, die die cleversten Ideen aus dem Ärmel schütteln, ohne sich dafür besonders anstrengen zu müssen. Nicht das Schema-F-Gefängnis, in dem sie ihre Tage verbringt, und schon gar nicht den verstaubten Kaffeeautomaten, an dem sie jetzt vorbeigeht. Ihr Blick fällt auf den Haufen Plastikkaffeebecher, den er während der vergangenen Woche auf den Boden gespuckt hat und nach denen sich nicht einmal die Putzfrau bückt. Dolly erreicht die andere Seite des Großraumbüros, die mit den Fenstern, durch die sie direkt in das benachbarte Bürohochhaus aus den Fünfzigern blicken kann. Es sieht genauso aus wie all die anderen Hochhäuser an der tristen Peripherie von Cheltenham, bevor man zu den hübschen georgianischen Gebäuden gelangt, für die der Badeort bekannt ist. Hinter denselben schiefen Jalousien kann Dolly eine ähnlich deprimierende Montagmorgenszene ausmachen, die sich dort an diesem nasskalten, wolkenverhangenen Märztag abspielt. Die räumliche Anordnung im Nachbarhaus ist nahezu identisch, nur dass dort Frauen arbeiten, die um einiges älter sind als hier. Dolly ist neunundzwanzig, tröstet sie sich, es bleibt ihr also noch genügend Zeit, dem Ganzen zu entkommen, und sobald sie diese Hochzeit hinter sich gebracht hat, weiß sie, was sie zu tun hat. Sie gibt ein langes, leises Stöhnen von sich und wendet sich der Tür von Richs Büro zu, bemerkt sein neuestes Motivationsposter, das er jede Woche aufhängt, um für die Moral der Truppe zu sorgen. Letzte Woche stand da: Du verpasst hundert Prozent der Chancen, die du gar nicht erst nutzt, und weil heute Montag ist, hat er das Poster durch ein anderes mit dem Spruch Erfolg entzündet sich nicht von allein, man muss sich schon selbst dafür in Brand stecken ersetzt. Was für ein Schwachkopf!
»Ich wünschte, genau das würde er tun«, murmelt Dolly und fragt sich, ob es eine gute Idee wäre, den Feueralarm auszulösen … zumindest könnte sie sich so vor dem anstehenden Gespräch drücken. Ohne anzuklopfen oder zumindest ein falsches Lächeln aufzusetzen, schlurft Dolly in den Glaskubus. Die Arschgeige trägt wie üblich ein weißes Hemd, die oberen drei Knöpfe stehen offen, sodass man seine Brusthaare sehen kann. Der strenge Schnitt seines Anzugs von The Kooples mag an einem Mann, der nicht schon Ende vierzig oder um einiges besser in Form ist, gut aussehen, nicht aber an dem unrasierten Fiasko, das da vor ihr steht. Dolly greift nach der Rückenlehne eines der billigen weißgrauen Plastikstühle – bereit, sich zu setzen und zu erfahren, was das Schicksal für sie auf Lager hat.
»Sie müssen es sich nicht gemütlich machen, Dolly, es wird nicht lange dauern«, sagt die Arschgeige. »Als Sie letzte Woche damit beschäftigt waren, Örtlichkeiten für Ihre Hochzeit ausfindig zu machen, konnte diese Agentur das neue Cupcake-Unternehmen – Couture Cupcakes – als Kunden gewinnen. Mittlerweile vertreiben die ihre Sachen bei Harvey Nichols und Selfridges in London. Wie Sie vermutlich wissen, ist Couture Cupcakes der größte Törtchenhersteller in ganz Amerika mit einem Absatz, der beweist, wie angesagt die Dinger sind. Es gibt keine Frau, die sie nicht liebt, und erst letzte Woche hat man eine der Kardashian-Schwestern damit fotografiert. Es sollte also kein Problem sein, Couture Cupcakes mit den richtigen Instagram-Feeds zu präsentieren – sogar für Sie nicht, Dolly. Morgen früh will ich als Erstes Verkostungsnotizen für das gesamte Sortiment auf meinem Schreibtisch liegen haben – es handelt sich um sechsundzwanzig verschiedene Varianten –, außerdem einen Namen für jede Sorte und eine wohldurchdachte Absatzstrategie. Vermasseln Sie’s nicht, Dolly, das ist der größte Fisch, den wir seit Langem an Land ziehen konnten.«
Wenn sie vor ihrem inneren Auge die nächsten zwölf Stunden im Schnellvorlauf abspult, sieht Dolly drei Probleme auf sich zukommen, die dafür sorgen, dass sie diesen Job tatsächlich vermasseln wird.
Nummer 1: Sie hat heute Abend nach der Arbeit eine Doppeleinheit hochintensiven Intervalltrainings eingeplant, was ihr nur sehr wenig Zeit für die Verkostungsnotizen und die Erstellung einer PR-Strategie lassen wird.
Nummer 2: Sie hat morgen früh um zehn Uhr eine Anprobe in der White Gallery, was sie der Arschgeige erst noch beibringen muss. Als sie den Termin ausgemacht hat, hatte sie vor, ganz einfach den Verkehr für ihre gewaltige Verspätung verantwortlich zu machen.
Nummer 3: Die Cupcakes, die sie von der Pitch-Recherche her kennt, haben siebenhundert Kalorien pro Stück. Was bedeutet, dass sie mit einer Schachtel aus dem Büro der Arschgeige marschiert, die mehr als achtzehntausend Kalorien enthält. Unfassbar!
Tausende von E-Books und Hörbücher
Ihre Zahl wächst ständig und Sie haben eine Fixpreisgarantie.
Sie haben über uns geschrieben: