Ein weißer Mercedes mit Heckflossen - James Hawes - E-Book

Ein weißer Mercedes mit Heckflossen E-Book

James Hawes

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Beschreibung

Witzig und wunderbar chaotisch ist diese Geschichte eines jungen Londoners mit Collegeabschluß und öden Gelegenheitsjobs. 28 Jahre alt und bei seiner Schwester untergekrochen, lebt er von Samstagabend zu Samstagabend. Träume, ja, aber sonst null Chance, nur die Aussicht, 30 zu werden, vielleicht Buchhalter, eine Glatze zu kriegen, in einem Wohnklo mit orangefarbenen Gardinen zu enden und Modellflugzeuge zu bauen. Aber dann führt ihn ein Job zufällig ins Allerheiligste einer Privatbank. Sie ist schlecht gesichert und gut bestückt, und die Versuchung ist einfach zu groß. Schon ist auch der Plan da, verrückt, kriminell, gewaltlos und lukrativ. Allein ist er nicht zu schaffen, aber die Clique wird dafür gewonnen – Brady, der ewig fluchende irische Reservoir Dogs-Fan, Chicho, der fette Spanier, der von Knoblauch und einer eigenen Kneipe in Saragossa träumt, und vor allem Suzy, die »Schwarze Witwe«, sehr sexy und eine begnadete Autofahrerin ...

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EPUB

Seitenzahl: 423

Veröffentlichungsjahr: 2017

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James Hawes

Ein weißer Mercedes mit Heckflossen

Roman

Aus dem Englischen von Wolfgang Mittelmaier

Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über James Hawes

> Über dieses Buch

> Impressum

Inhaltsverzeichnis

Für Teresa1. Wie man nach Moskau kommt2. Ein Glatzkopf in einem Wohnklo3. Achselhöhlen und ähnliches4. Außerirdische vom Planeten Gold5. Umgebung Umgebung Umgebung6. Das weiße Rauschen7. Suzy auf dem Planeten Erde8. Eine dicke walisische Tucke mit Tätowierungen9. Ein Lagerfeuer in der Ferne10. Auster-Montag11. Ein wunderschönes, maßstabgetreues Modell des Lebens12. Die Wunderwirkung von Prozac13. Das Spiel Verlaß-die-Erde14. Mit einem 22er Dumdumgeschoß direkt zwischen die Augen15. Und Suzy nickte einfach16. Das kollektive Unbewußte im Zeitalter des Autos
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Für Teresa

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1. Wie man nach Moskau kommt

Brady wollte eine richtige Knarre, er bestand auf einem echten Ballermann. Das dicke Rindvieh stellte sich auf, schlug mit seinen fetten Pranken auf den Tisch und brüllte, daß wir ihn mal kreuzweise könnten, wenn er keine verdammt echte Scheißknarre bekäme. Also sprang ich ebenfalls von meinem Hocker auf, den ich dabei gleich noch mit Absicht wie versehentlich umstieß, bohrte in schönster Gorilla-Art meine Knöchel in den Tisch, hielt meine Fresse direkt in seine Bierfahne und brüllte zurück:

 – Halts Maul und hör dir den Plan an!

 – Mit einer beschissenen Plastikpistole kann man keine Bank ausrauben!

 – Was zum Teufel weißt du schon davon, wie man eine beschissene Bank ausräumt?!

 – Auf jeden Fall sagt mir mein Arsch, daß man mit einer beschissenen Plastikpistole keine noch so beschissene Bank ausräumt. Was für ein Kackplan.

Es war kein Spiel mehr. Ich hatte mich mit Brady wieder einmal auf eine Schlammschlacht eingelassen. Jetzt war ich dran, und wir hatten bereits fast das Maximum erreicht.

 – Is schön schweres Plastik, guck! sagte Chicho.

 – Is mir scheißegal, wie scheißschwer es is (Brady hatte bereits Blut geleckt, sein Blick schwankte, aber er stieß die Knarre weg; er sah aus wie ein Hummer, der kräftig gekokst hatte), und euren beschissenen Plan könnt ihr euch in den Arsch schieben. Ich räume jedenfalls die stinkende Privatbank von diesem scheiß Michael Winner nich mit ner schlappen Knarre aus Plastikwichse aus.

 

Ich habe es gewußt.

Ich habe gewußt, ich hätte Brady nie sagen sollen, daß es sich um die Privatbank von Michael Winner handelte. So ganz stimmt das ja auch nicht. Ich hatte es nur gesagt, um dem Ganzen einen gewissen Touch zu geben – Scheiße, muß denn immer gleich alles wörtlich genommen werden? Jetzt ist Brady überzeugt, daß die Bank von Charles Bronson persönlich bewacht wird, und er weiß einfach, daß es nur so von künstlichen Blutbeuteln und Drahtschlingen wimmeln wird.

Brady ist ein echter Reservoir Dog-Fetischist. Gott steh uns bei: Er glaubt ernsthaft, »doggy-fashion« bezeichne den Kleidungsstil von Harvey Keitel, und wenn Quentin Tarantino in einen Eimer furzte, würde Brady für einen Schwarzmarktmitschnitt Schlange stehen. Er zieht sich seine Doggie-Klamotten an und fährt mit einem Haufen jämmerlicher Irrer auf der Circle Line herum – das ist seine ganze Lebensgeschichte. Es gibt nur eine einzige Art und Weise, um mit hochgezüchteten Irren wie Brady fertigzuwerden, und so schnappte ich mir die Plastikpistole und drückte die rote Spitze auf seine gebrochene Nase:

 – Du abgestunkener, bescheuerter Wichser hast von der ganzen verfluchten Scheiß-Sache keinen einzigen Furz verstanden. Der verdammte Punkt von der ganzen Hurenscheiße ist doch gerade, daß das hier ganz offensichtlich keine stinkende, scheißechte Knarre ist – jeder Schwanzlecker mit auch nur einem halben stinkenden Gramm Dreckshirn würde das mitkriegen, begreifst du das jetzt, du halb abgespritztes Stück hingekotzte Scheiße?

Na, bitte.

Totalbeschuß. Der Vernichtungsschlag. Sogar Brady mußte erst mal Luft holen, bevor er das wegsteckte. Das war der Zeitpunkt, um zuzuschlagen:

 – Gut, O.K., sagte ich. Du kannst dein Doggie-Zeug anziehen.

 – Ehrlich? fragte er und errötete vor Freude und Scham. Freude und Scham.

Eines muß ich Brady zugestehen, er ist nicht stolz auf seinen Fetischismus. Er schämt sich deswegen, außer wenn er sich in dessen Gewalt befindet und mit seinen Doggies in der Londoner U-Bahn herumstreunt. Er will es gar nicht tun, aber er muß einfach, und wenn er sich wieder beruhigt hat, schämt er sich. Das ist gut, das ist ungefähr das einzig Gute an Brady, meinem ältesten Freund.

Seine Scham beweist, daß er von dem Baum der Weisheit über das Gute und das Versagertum gegessen hat.

Sie beweist, daß er zwar ein bißchen Scheiße im Kopf hat, aber kein hoffnungsloser Fall ist – das ist der Grund, warum ich ihn mag, nehme ich an. Wie auch immer, er kann jedenfalls nicht der Vorstellung widerstehen, eine Bank auszurauben oder wenigstens Teil eines Banküberfalls zu sein, solange er dabei seine Reservoir Dog-Klamotten tragen darf.

 – Na gut, sage ich, du kannst den Anzug tragen, als wäre es ein großes Zugeständnis, damit wir alle Freunde bleiben. In Wirklichkeit sind Brady und seine Jungs Teil des Plans, aber das habe ich für mich behalten, da ich wußte, daß Brady wegen irgendwas Theater machen würde, das macht er immer, er liebt es einfach, Unruhe zu stiften, er ist der Typ Mensch, der nach drei Bier zu dir sagt:

 – O.K. Du hältst also zu mir, wenn die drei da drüben auf mich losgehen?

Und du drehst dich um und siehst diese drei Skinheads oder was auch immer, die irgendwelche abgefahrenen Alkoholbomben runterkippen und dabei ein ziemlich befremdliches Schimpansengegrunze von sich geben, wie das eben manche Kreaturen hin und wieder tun, und die grundsätzlich so aussehen, als hätten sie an dem Morgen, an dem die Gene verteilt wurden, den Wecker überhört und verpennt. Eigentlich sieht es sehr danach aus, als würden sie sich hauptsächlich um ihren eigenen Dreck kümmern, und so fragst du:

 – Wie? Die da drüben? Die gehen doch auf niemanden los.

 – Werden sie aber.

Genau so ein Drecksack ist er.

 

 – Auch die Sonnenbrille? fragt Brady.

 – O.K., sage ich und strecke dabei gutwillig die Arme aus. Auch die Sonnenbrille.

 – Gut, sagt Brady und legt seine Pranken sanft auf den Tisch, als hätte es nie ein Problem gegeben. – O.K. He, das geht in Ordnung. Dann nehme ich auch die Plastikknarre.

 – Und ich? fragt Chicho.

 – He, nur mit der Ruhe. Ist alles genau geplant.

Aber es läuft gut. Er macht keine Schwierigkeiten.

 

Chicho macht nie Schwierigkeiten.

Er wäre mir beinahe einmal mit seinem südländischen Temperament zu nahe gekommen, als ich seine Schwester Pilar sitzen ließ (Pilar heißt Säule oder Ständer, was ein etwas seltsamer Name für ein Mädchen ist, wenn man mal darüber nachdenkt), aber er weiß, daß es so richtig war, denn sie ist jetzt mit einem portugiesischen Bäcker verheiratet. In der Nähe der Portobello Road backen sie jetzt zusammen die klebrigsten Süßigkeiten der Welt, überzogen mit einer dicken Zuckerschicht. Sie haben diese Maschine, die gezackte Schlangen aus Zuckerschleim direkt in siedendes Öl plumpsen läßt, wie Spielteig in der Hölle, und dieses Zeug wird dann in kleine Schokoladenförmchen gekippt. Was sie da sonst noch herstellen, nennt Fred, der Sicherheitschef, Croissants, die mit noch mehr Schokolade vollgestopft werden, außerdem haben sie noch saftig-fettige Schweinswürstchen in Blätterteig und ähnliches Zeug. Kein Wunder, daß Chicho so dick ist, aber das macht nichts, denn er ist einfach auf natürliche Weise dick, fett und cool; er ist ein Typ, der einfach nur anständig aussieht, wenn er dick ist, du weißt schon, nicht bescheuert, sondern eher wie der feuchte Traum eines jeden Arschfickers. Abgesehen davon ist ihm das sowieso egal, das einzige, was ihn interessiert und worum er sich ernsthaft Sorgen macht, sind das Glück seiner Schwester und das angeblich phantastische Restaurant mit Holzofen von seinem Halbbruder in Saragossa.

Das mit Pilar ist jetzt geregelt. Er hat kapiert, daß sie mit diesem portugiesischen Bäcker eine bessere Partie gemacht hat, als wenn sie mit einem abgerissenen Penner (mir) in einer schöngeredeten Hütte herumgehangen und auf den Sanktnimmerleinstag gewartet hätte. Diese Geschichte mit dem Restaurant und diesem phantastischen Holzofen schlägt ihm zur Zeit allerdings kräftig auf den Magen, da er jetzt definitiv entscheiden muß, ob er sich daran zur Hälfte beteiligt oder nicht.

 

 – Du mußt nichts tun, außer laut auf Spanisch herumzuschreien, Suzy durch die Gegend zu zerren und die Polizei anzublubbern, lasse ich ihn wissen.

 – Anzublubbern? fragt Chicho. Anzublubbern? Is was?

 – Laputamadrecabrondiosmio! sagt Suzy, die schwarze Witwe.

 – Is anzublubbern? Oh, is leicht für mich, sagt Chicho.

 – Ich dachte, ich fahre, sagt Suzy, die schwarze Witwe.

 – Tust du auch! sage ich (meine Augen sind wild vor Lust, worauf in ihren ein großes JA leuchtet). – Aber laut Plan mußt du auch herumschreien und so und dich ein bißchen von Chicho herumstoßen lassen.

 – Is leicht für mich, verspricht ihr Chicho.

 – Oh, wie äntsäätzlich mälodramaatisch, Liebes! sagt Suzy in dem perfekten, zungenverschluckenden Upper-Class-Akzent, den wir so dringend brauchen. Dazu passend die vorstehenden Schneidezähne mit fliehendem Kinn und kraftlos herabhängenden Armen.

 – Phantastisch! sage ich.

 – Is leicht für Suzy! stößt Chicho voller Ehrfurcht hervor.

 – Jesus Christus! Ganz wie eine von diesen Pelznutten ohne Höschen! lacht Brady.

 – Aber danach kann ich dann fahren, oder? insistiert sie, jetzt mit ihrer normalen Stimme mit Glasgower Akzent, ihrem gewöhnlichen schottischen Wahnsinns-Gesicht und ihren gewöhnlichen, direkten und fingerzeigenden Gesten.

 – Deswegen bist du ja dabei. Fürs Telephonieren und zum Fahren. Die Schreierei und das Herumgezerrtwerden sind nur Dreingabe.

 – Und was für einen Wagen kriege ich?

 – Was auch immer Mr. Supaservice uns gibt. Ich habe ihm gesagt, daß wir etwas richtig Flippiges brauchen, so einen Discoschlitten, einen weißen Turbo-Mercedes mit Breitreifen und Heckflossen oder so. Etwas, womit ein Araber herumkutschieren würde und das jeder auf 300 Meter erkennt, mit Platz für drei Leute und einen prallgefüllten Plastiksack.

 – Und er muß eine Automatik haben, erinnert sie mich.

 – Vertrau mir, sage ich und starre sie wieder an. Für einen Augenblick gerate ich beinahe aus der Fassung, als ich plötzlich eine Vision verspüre, wenn man denn Visionen spüren kann, wie meine Hand langsam ihren flachen Bauch hinabgleitet und in ihre schwarze 501-Jeans eindringt.

Wie gestern.

 

Suzy, die schwarze Witwe, kann nicht nur perfekt den Upper-Class-Akzent nachmachen, sie hält auch den Titel als die bei weitem beste Fahrerin, die ich kenne. Chicho war dabei, als sie zusammen mit seiner Schwester Pilar (eine dicke Freundin von Suzy) aus Saragossa zurückkamen und mit 120 Meilen (nicht Kilometer) die Péripherique von Paris entlangdonnerten. Die Péripherique gleicht einer Kreuzung aus der M25 um London mit dem Nürburgring, aber Suzy zog die Franzosen von Anfang bis Ende gleich dutzendweise ab und drehte dabei mit einer freien Hand noch locker einen Joint. Sie gleitet einfach durch den Verkehr hindurch; es ist, als würde man einem kleinen Jungen zusehen, wie der durch die bereits tausendfach gemeisterten Anfangsstufen eines Videospiels durchjagt – einfach totale Kontrolle. Sie hat in ihrem Leben noch keinen einzigen Unfall gehabt und ist die einzige, die es sich leisten kann, einen weißen Turbo-Mercedes mit Breitreifen zu versichern, da sie so eine geringe Prämie zahlt. Nur eine Automatik muß er haben, mit einer Kupplung kann sie nicht fahren, Kupplungen sind Macho-Scheiße, sagt sie; wenn Gott gewollt hätte, daß wir mit drei Pedalen fahren, hätte SIE uns drei Füße gegeben. Wenn nötig, hat man besser zwei Hände am Lenkrad, so daß man kurz zielen und gleich abdrücken kann, sagt sie. Seltsam, daß alle Männer, die Autos in ihren feuchten Tagträumen als Schwanzersatz betrachten, unbedingt kurze Gangschaltungsstummel zum Spielen haben müssen, irgendwie verraten sie sich dadurch, sagt Suzy.

 – Äh, ich gebe zu, mit dem Auto, da gibt es einen Haken.

 

Ich sehe sofort, daß alle jetzt dasselbe denken:

Ja, ja, ja.

Wir wußten es doch.

Ein Haken.

Es gibt immer einen.

Es war eine nette Idee, aber jetzt ist sie eben im Arsch.

 

 – Wir brauchen fünfhundert Pfund vorneweg, sonst redet Mr. Supaservice kein ernstes Wort mit uns.

Und wir starren alle auf die Banknoten auf dem Tisch, ein jämmerliches Häufchen, das alles darstellt, was wir auftreiben können.

Suzy fängt an, es in schottisch-penibler Art zu zählen, aber wir wissen bereits alle, daß es niemals fünfhundert Pfund sind. Wir schauen ihr mit sinnloser Hoffnung zu. Als sie halb durch ist und wir nicht nur wissen, sondern bereits auch sehen können, daß es niemals reichen wird, platzt Brady:

 – Was is los mit uns? Was hat dieses Stück Scheiße, was hat dieser Dieb eigentlich gegen uns? brüllt er heraus.

 – Wir haben kein Vorstrafenregister, zum Teufel! brülle ich zurück. Das ist der verdammte Punkt (ich versuche krampfhaft, nicht wieder mit Schlammschlacht anzufangen). Das versuche ich ja die ganze Zeit rüberzubringen. Könnt ihr endlich mal richtig zuhören? Ja? Das ist gerade der zentrale Punkt in dem ganzen Plan. Seht mal: Niemand von uns ist jemals wegen irgendwas eingesackt worden, ja? Das heißt

(a) wir sind bei den Bullen komplett unbekannt, O.K.? Also haben wir eine hundert Mal größere Chance davonzukommen. Und wir wohnen auch nicht zusammen, wir haben das nie getan und sind auch keine Familie oder Clique oder so, also gibt es

(b) keine Verbindungen zwischen uns, ja? Wenn also am entscheidenden Tag alles schiefgeht, wird keiner von uns irgend etwas Verbrecherisches angestellt haben, solange wir alle bei unseren Versionen bleiben, was auch immer sie sagen oder tun. Deswegen ist der Plan auch so gut, kapiert? Niemand von uns hat irgend etwas Bedeutendes angestellt, bevor alles gebongt ist. Du (ich zeige auf Brady) mußt nichts tun, außer mit deinen Kumpeln zu saufen, bis wir tatsächlich bereits abhauen, und du wirst ein Bußgeld oder drei Monate auf Bewährung bekommen, weil du den Laden zusammengeschlagen und die Leute erschreckt hast. Selbst wenn sie uns erwischen und wir alle drei in der Bank festsitzen, ist das scheißegal. Wenn wir bei Suzys Version bleiben, können sie uns nichts anhaben. Ich habe sie gerade mal beim Stempelgeld betrogen, und Suzy und Chicho sind nichts weiter als unter falschem Vorwand in die Bank eingeschlichen.

 – Ich bin dummer spanischer Mann von kluge schottische Frau ausgenutzt, sagt Chicho. – Is leicht für mich, und er macht eine dieser coolen, weitausholenden, südländischen Gesten, die ich nie richtig nachahmen kann, es ist, als würde er in Zeitlupe eine Fliege fangen: – Mich nix machen.

 – Gut, sage ich. Nicht einmal für VVS könnten sie uns einlochen. Nicht mal, wenn wir es total verbocken.

 – VVS? Is was? fragt Chicho.

 – Verabredung zur Verübung einer Straftat, sagt Suzy.

 – Weiß doch jeder! sagte Brady und errötete wenigstens ein bißchen.

 – Einen Moment mal, fährt Suzy plötzlich auf. – Du hast uns eigentlich noch überhaupt nichts erzählt. Was soll das Zeug mit den Bullen und wie die uns helfen sollen, in die Bank zu kommen? Wär nicht schlecht, wenn wir das auch wüßten, oder?

 – Sag ich euch nicht, bis ihr fest an den Plan glaubt.

 – Wie können wir an den verfluchten Plan glauben, wenn wir keinen Scheißdreck darüber wissen?

 – Is schwierig für uns.

 – Ihr müßt einfach an den Plan an sich glauben. Wie ein Schlachtplan. C folgt B folgt A. Aber wir müssen A abgehakt haben, bevor wir uns an B machen können. C könnt ihr erst mal vergessen, davon rede ich erst, wenn alles andere bestens flutscht, wenn die Karre organisiert ist, und wenn ich Fred mit der Hilfe von Dais Freund Jimmy herumgekriegt habe. Dann erst gehts weiter mit C, und ich werde Sammy anrufen. Wenn ich euch jetzt von C erzähle, kriegt ihr das übelste Muffensausen. Hört her, es ist ganz wie Fallschirmspringen, ihr müßt den Ablauf im Blut haben, ihr müßt so fest daran glauben, wie ihr daran glaubt, daß nach Montag immer Dienstag kommt, bevor ihr aus dem Flugzeug geworfen werdet, sonst kriegt ihr die Panik, verwickelt euch und werdet zermanscht.

 – Sermantscht? fragt Chicho. – Was is sermantscht?

 – Bummbummbumm! sagt Brady und ahmt nach, wie einer der Leute in seinen Filmen von Kugeln durchsiebt wird.

 – Oh! Is sehr schlecht für uns, sagt Chicho.

 – Gut, O.K., sagt Suzy und wirft mir einen großzügigen Blick zu, als gebe sie mir eine Chance, und Chicho und Brady nicken ebenfalls. Die Stimmung ist jetzt ernsthafter und prickelnder geworden, was eigentlich nur angemessen ist, also will ich so weitermachen, aber Suzys Augen bringen mich aus dem Konzept:

 – Also. Äh, Scheiße, wo war ich?

 – Da, wo wir dann tatsächlich aus der Bank kommen, sagt Suzy, während sie die letzten paar Banknoten auf den Stapel legt. – Die Stelle, wo Brady in Aktion tritt. Die Plastikpistole?

 – Ach ja, stimme ich zu. – Gut, also wenn Brady uns aus der Bank kommen sieht, werden uns die Bullen auch sehen. Könnte sein, daß sie immer noch alles schlucken, sie werden bis dahin so aus der Fassung geraten sein, daß sie uns einfach so durchlassen. Aber das ist der heikle Moment, denn jetzt haben wir tatsächlich die Kohle, jetzt ist es ernst. Was passiert also in dem Moment, wo wir aus der Bank kommen?

– Die Doggies kommen im Pizza-Express auf Hochtouren, sagt Brady und schwingt in Cowboy-Manier eben dieselbe Plastikpistole, die er noch vor zwei Minuten zum Kotzen fand, und er singt mit seiner kräftigen, und häßlichen Stimme: – I love the sound of breaking glass.

 – Genau. Perfekt. Und was kriegt Brady dafür?

 – Öffentliche Ruhestörung und Widerstand gegen die Staatsgewalt, sagt Suzy.

 – Ein paar Hundert Kröten Strafe für eine viertel Million!

 – Und warum nur eine so geringe Strafe? insistiere ich.

 – Ja, ja, ja, weil es nur eine Scheiß-Plastikpistole ist und jeder Trottel sehen kann und sowieso weiß, daß ich eben ein Doggie bin und ich nur das Fenster einer blöden Pizzeria zerschlagen habe, ein paar Knaller abgedrückt und ein paar Flaschen auf der Bow Street zertrümmert habe.

 – Exakt. Bleib bei deiner Story, und wir sind sauber.

 – He, aber was is, wenn sie euch drei erwischen, solange ihr noch in der Karre seid? fragt Brady, als hätte er gerade ein schwerwiegendes Problem entdeckt.

 – Du kennst uns nicht, und wir lassen dich nicht auffliegen.

 – Mir geht es nicht nur um mich, sagt er beleidigt.

 – Was is, wenn sie euch anhalten und alle einkassieren, im Auto und mit der Kohle?

 – He, wer fährt denn? sagt Suzy.

 – Is leicht für Suzy, sagt Chicho.

Und dann lachen wir alle, was sehr gut ist, ich bin stolz auf uns und stolz auf den Plan.

 

Es ist eigenartig. Ich bin auf den Plan nicht in der Weise stolz, als wäre er etwas, das zu mir gehört, ich mag ihn einfach, weil er perfekt ist, wie ein kleines Juwel oder so, er ist einfach da und ist genau so, wie er sein soll. Ich bin nicht DARAUF stolz, ich bin einfach nur stolz und glücklich, daß er existiert. Seltsam. Er scheint jetzt eine eigenständige Existenz zu führen.

 

 – Aber wir haben nur vierhundertundsiebzehn Pfund, sagt Suzy und schmettert das Geldbündel auf den Tisch und damit uns zurück auf den harten Boden der Realität.

Traurig, aber wahr.

Überraschend, aber wahr.

Wir kriegen noch nicht mal zusammen fünfhundert Pfund auf den Tisch! Was für ein Jahrhundert ist das eigentlich? Andererseits ist das genau der Grund, warum wir hier sind: Wir versuchen, unser Leben zu retten. London ist ein Fleischwolf. Auf der einen Seite werden die Menschen hineingestopft, und auf der anderen Seite kommt das Geld heraus. Und wir sind auf der falschen Seite, da, wo es nur rein geht, rein und noch mal rein.

Nur daß mir der große Gott der Zeitarbeit jetzt den richtigen Weg gewiesen hat.

Ich werde unser Leben retten, selbst wenn es uns den Tod bringt.

Wir werden aus dem Fleischwolf klettern und anfangen zu leben.

 

Es gibt in London eigentlich nur drei große Volksstämme: der Stamm derer, die nie einen Bausparvertrag bekommen werden, der Stamm derer, die mit den schwankenden Kreditzinsen entweder überleben oder zugrunde gehen, und der Stamm derer, die keine Bausparverträge und Kredite brauchen. Das sind die Unterschiede zwischen Sklaverei und Freiheit. Der Rest ist nur noch eine Frage des Grades.

Chicho will die Hälfte eines Restaurants in Saragossa.

Brady will eine Kneipe in Castlebar in der Mitte von Irland.

Ich möchte eine Wohnung mit großen, hohen Fenstern und einem Garten.

Das sind keine Träume von einem ruhigen, paradiesischen Leben in einem Schaukelstuhl auf einer Veranda, keine beschissenen, langhaarigen Aussteigerphantasien. Das sind unsere Visionen von Startblöcken für einen ernsthaften Versuch, wirklich zu leben.

Jedem das Seine, sage ich.

Zu dieser Zeit ahnte keiner, was Suzy wollte.

 

Aber in einer Sache hatte sie recht: Ich mußte uns noch hundert Pfund organisieren, und zwar jetzt, solange wir noch glaubten, daß alles hinhauen würde. Es war mein Plan, und es war meine Aufgabe, uns auf Fluchtgeschwindigkeit hochzujagen, oder aber die ganze Aktion würde einfach nur eine großartige Idee bleiben, wie diese anderen großartigen, bierseligen und lebensrettenden Ideen, die wir letzten Samstag in der Kneipe zur Welt gebracht hatten:

Brady wollte eine Fernsehserie machen, die »Der übelste Serienkiller der Geschichte« heißen sollte, über diesen Typen, der wirklich der übelste sein würde, ich meine, einfach ein totaler Versager, der es nie schafft, jemanden um die Ecke zu bringen, der immer Fallen gräbt und Säure in die Bäder kippt und ähnliches und dabei immer versehentlich den Leuten einen Gefallen tut.

 

Chicho wollte eine Kette von Mr. Chorizo-Läden über London verteilt aufbauen, so daß er nach ein oder zwei Jahren nach Spanien zurück könnte und herumsitzender- und kartenspielenderweise immer fetter würde. Er würde jemanden anstellen, der für ihn in London herumfuhr, um monatlich das Geld abzukassieren – ein Job, den er dreisterweise mir anbot, dieser Hund.

 

Ich wollte lernen, Englisch zu unterrichten, und für vier Jahre lang in Saudi-Arabien fünfundzwanzigtausend Pfund pro Jahr verdienen. Dann würde ich mir eine Wohnung in Shepards Bush gekauft und als Spezialist für den Mittleren Osten gearbeitet haben. Ich dachte daran, vielleicht zum Islam zu konvertieren, um meine Qualifikation zu perfektionieren. Das ist eigentlich nichts anderes, als Kalvinist zu werden, von der Kleidung mal abgesehen.

 

Letzten Samstag hatte ich noch keine Ahnung, was Suzy vorhatte.

Und was daraufhin passierte, war natürlich nur, daß wir alle am Sonntag in unseren eigenen Betten aufwachten und die Sonntagszeitungen lasen und dabei die Bilder der Reichen und Berühmten anschauten.

Aber diese Woche war mir der Weg der Wege gewiesen worden.

Diese Geschichte würde ich Realität werden lassen.

Das erste, was man tun muß, ist einfach, das erste zu tun.

Wie kommt man nach Moskau?

Indem man nach Moskau fährt.

 

Also nickte ich Suzy zu, und wir ließen Chicho und Brady wie zwei Eulen auf dem Bett in meiner Hütte sitzen. Mehr über meine Hütte später. Während wir durch den Garten und durch das hintere Gartentor gingen, steckte ich ihr mein kleines Acetonfläschchen, meine kleine Dose mit klarem Nagellack und meinen kleinen Pinsel zu.

 

Sie nahm sie, ohne Fragen zustellen. Das hat Stil.

Und wir gingen los, um ein bißchen Kohle den Besitzer wechseln zu lassen.

Mehr darüber jetzt.

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2. Ein Glatzkopf in einem Wohnklo

Es war Samstagabend, ungefähr 21.45, ein bedeckter orangener Himmel, und die Straßen waren mäßig warm. London war in Bewegung, beschäftigt damit, seine Moleküle für die Nachtschicht neu anzuordnen, sich an den Neuralpfaden von sieben Millionen Adreßbüchern und Filofaxes zu reorientieren. Einhunderttausend verschiedene Volksstämme mit ihren jeweiligen Territorien, Regeln, Traditionen, Führern, Helden, Feinden und Hofnarren versammelten sich in Autos, Bussen, Taxis und U-Bahnen. Die ganze Welt hatte aufgehört zu arbeiten, einzukaufen und zu essen. Die Spätnachmittagsvorstellungen der Kinos leerten sich, alle warteten nur auf die große Party, waren heiß darauf, sich in Schale zu werfen und die Nacht lang werden zu lassen. Dies war es, wofür die Stadt von Montag bis Freitag arbeitete, von neun bis fünf, diese lange Nacht würde dauern, bis die Woche begraben und der Sonntag halb verschieden war.

Dies war die Zeit, um auszugehen.

Als Suzy und ich durch die hintere Gartentür herausgingen, konnten wir es schon in der feuchten Luft wittern, eine Million Menschen in Stimmung, ein Ozean ausgetrockneter Seelen, die der Anziehung menschengeschaffenen Mondlichts nachgaben, den Lasern, der Musik, dem Alkohol, den Drogen und dem Sex entgegenlechzten, dem einen Moment, wo die Zeit stehenzubleiben scheint. Sie suchen in der Nacht nach jener versteckten Nebenstraße, die sie nie finden, sondern nur in ihren Träumen sehen, wo bei flickerndem Neonlicht die Stufen nach unten führen, der Türsteher mit dem Auge zwinkert und der ferne Rhythmus singt:

Hier ist es

Hier ist es

Dies ist das Land, wo Werbung wahr wird

Dies ist das Tor zur großen Welt

Wir fuhren in Suzys schrecklichem Automatik-Mini nach Westen. Sie fuhr zweimal hintereinander durch den Kreisverkehr zwischen Shepards Bush und Holland Park und beschleunigte dabei die ganze Zeit, nur um mir zu zeigen, was sie mit ihrem Gerede über zwei Hände am Steuer gemeint hatte:

 – Keine Angst, diese Minis haben eine Straßenlage wie Klebstoff, sagte sie.

 – Ah, ja. Gut, sagte ich, während mein Ohr an der Wagendecke klebte.

 – Und sicher sind sie auch, sie haben eine Knautschzone.

 – Eine Knautschzone in einem Mini? Wo?

 – Von den Scheinwerfern bis zur hinteren Stoßstange.

 – Ah. Nett.

 

Eigentlich hätten wir ziemlich deprimiert sein müssen. Wirklich, wie tief kann man eigentlich sinken: Wir waren dabei, für den Tageslohn eines Busfahrers den totalen Ruin unseres Lebens zu riskieren. Das wäre ja eine durchaus rationale Kalkulation gewesen, wenn unser Dasein sowieso ruiniert gewesen wäre, sagen wir als Junkies oder Mitglieder der Unterschicht oder wie auch immer, wir darauf programmiert wären, Vorstrafen als einen ganz normalen Bestandteil eines durchschnittlichen Lebenslaufs anzusehen.

Aber wir gehörten weder zur Unterschicht noch etwa zur Arbeiterklasse. Wir gehörten zur unteren Mittelschicht. Wir waren beide auf die Uni gegangen und hatten dort Abschlüsse gemacht, zum Teufel. Unsere Eltern waren nette und anständige Leute, die immer Arbeit hatten und so ihr ganzes Leben lang ihre Hypotheken abzahlten, und kein einziger Gesetzesverstoß dabei.

Ich hatte mal so einen Hippi gebeten, mich zu hypnotisieren, um festzustellen, ob ich wohl unter irgendeinem Verdrängungssyndrom litt, das vielleicht erklären könnte, warum ich so ein Versager war und mir lieber die Beine absägen lassen würde, anstatt einen dauerhaften Job anzufangen. Ich hatte irgendwie die Hoffnung, daß das alles auf ein Trauma zurückzuführen wäre, damit ich mir einen Sündenbock aufbauen könnte. Es stellte sich allerdings heraus, daß ich zwar einen Haufen verdrängter Erinnerungen hatte, wer hat das nicht, verdammt? Nur, daß es alles angenehme Erinnerungen waren, von Teddybären, Weihnachten und so weiter: mein Hirn war eine mißbrauchsfreie Zone.

Das ist das Problem, wenn du deine Kindheit in der netten Welt der unteren Mittelschicht verbracht hast. Du kommst in die Zwanziger und denkst immer noch, die Welt bestehe nur aus Zucker und Sonnenschein.

 

Als wir an Notting Hill Gate vorbei waren, verbannte ich Teddybären und Sonnenschein aus meinen Gedanken und gab mir einen Ruck. Ich war bei der Arbeit, verdammt nochmal, und das war kein Zeitpunkt, um Schwäche zu zeigen. Ich überprüfte nochmals, ob ich auch die richtige Arbeitskleidung anhatte: Ich hatte den Pullover und die üblichen 501-Jeans durch das alte Oxfam Tweedjacket, die grüne Cord-Hose und das karierte Marks & Spencer’s Hemd des Durchschnittsengländers ersetzt. Südlich von Watford war ich jetzt unsichtbar.

Suzy parkte am Liberty-Shop in zweiter Reihe, und ich ging in die Kneipe an der U-Bahnstation Oxford Street und bestellte zwei Glas Bier, als würde ich auf jemanden warten, und quetschte mich in eine Gruppe von jungen Typen in hübschen Hemden und Krawatten, die sich bei Gin & Tonics amüsierten, und sagte:

 – Warte nur auf jemanden. Ich hoffe, es macht euch nichts aus. Boah, ganz schön voll, was?

Mit dem Satz sorgte ich dafür, daß sie mich für einen plappernden Langweiler hielten, der ihnen auf die Nerven fallen könnte, und daher würden sie alles, was ich tun würde, noch bestimmter ignorieren.

Sie hatten ihre Jacketts ausgezogen und auf die Bank hinter ihnen gelegt. Irgendeine laute und dümmliche Diskussion über die Gründe für den Untergang des römischen Weltreiches ging ab, ob es an der Sklaverei, den Barbaren, dem Schicksal, dem Zufall oder unvollständigen Finanzinstitutionen gelegen habe. Sie lachten viel und ahmten TV-Stimmen nach, es klang wie eine gute Unterhaltung, ja, tatsächlich, nicht ganz unähnlich den Diskussions- und Alkoholmarathons, die ich mit meinen Freunden an der Uni bestanden hatte.

Aber ich war zum Arbeiten gekommen und legte daher ebenfalls mein Jackett ab und trank ein wenig von meinem Bier und schaute auf meine Uhr, als wäre ich darüber verärgert, daß sich meine Verabredung verspätete. Ich durchsuchte alle meine Taschen nach Zigaretten, die ich nicht finden konnte, und wühlte dann in meinem Jackett und tatsächlich: Ich fand auch ein Scheckbuch und eine Scheckkarte in dem Jackett unter meinem eigenen. Ich steckte sie zunächst direkt unter mein Jackett, nicht in die Tasche, sondern einfach darunter, so daß in dem Falle, daß mich jemand beobachtet haben sollte, niemand behaupten konnte, ich hätte sie in meine Tasche gesteckt. Es ist immer von essentieller Bedeutung (ganz wie in dem PLAN), die Möglichkeit offenzuhalten, daß alles nur ein Zufall war. Das verunsichert jeden Kläger, da kein Kläger einhundertprozentig sicher sein kann. Danach saß ich einfach nur für ein paar weitere Minuten da, rauchte und dachte nach.

 

Ich schaute mir diese Gruppe von Typen an, die auf die Universität gegangen waren und sich jetzt gut amüsierten, nachdem sie die Jacketts abgelegt hatten, und mich überkam ein ernsthafter, depressiver Anfall: Wie zum Teufel war ich soweit gekommen, in Kneipen Geldbeutel zu stehlen? Wie war der Traum, der Mittelschichtstraum von Zucker und Sonnenschein plötzlich verschwunden?

 

Man sollte Leute wie uns wirklich nicht auf die Universität schicken. Das ist Schwachsinn, man könnte ebensogut einfach ehrlich sein und uns mit 18 Jahren in Banken arbeiten lassen oder uns auf Universitäten nur Buchhaltung oder auf Lehramt oder so studieren lassen. Statt dessen kriegst du drei Jahre die interessanten Sachen, und dann sagen sie dir: O.K., Jungs und Mädels, die gute Nachricht ist: ihr habt jetzt das Recht, einen total bescheuerten Akademikerhut und -mantel zu tragen (um zu beweisen, daß ihr intelligent seid).

Die schlechte Nachricht ist: das war’s schon.

 

Ja, Jungs und Mädels, ihr habt eure kostenlose Probe von dem Leben der richtigen Mittelschicht bekommen. Der Steuerzahler hat aus irgendeinem verrückten Grund dafür bezahlt, daß ihr Shakespeare lest (Suzy) oder Wittgenstein oder Kafka oder AJP Taylor (ich), und ihr habt Mies van der Rohe oder Paul Klee oder Astrophysik oder sonst irgendwas studiert. Ihr habt ein bißchen durch die Gegend gefickt und seid getrampt, und eure innere Uhr ist komplett auf den Klang der Mitternachtsstunden und der langen, langsamen Sommer eingestellt. Und jetzt, wo ihr gerade herausbekommen habt, wer ihr seid, oder sein könntet … jetzt müßt ihr Buchhalter oder Lehrer werden, oder für ICI mutige, neue Deos entwickeln.

Ist das in Ordnung?

Wie?!

Urplötzlich ist die kurze pseudo-sozialistische Beinahe-Gleichheit der Universität verschwunden: der nette Typ mit dem abgewrackten, lustigen GTI ist auf Entdeckungsreise nach Amerika gefahren, das nette Ding, das dir bei deinen Drogenexperimenten souffliert hat, ist in Muttis freie Zweitwohnung in Süd-Kensington eingezogen, um ein paar Freunde aus dem Verlagswesen aufzusuchen. Und du, du bist hochmütig, aber unversorgt zurückgeblieben, mit Optionen auf Lehrerausbildung, Buchhaltung oder Sozialhilfe.

Mammi, Pappi!

Die nicht ganz erfolgreich gestarteten jugendlichen Erwachsenen schwärmen an den heimatlichen Herd, um noch mehr Geld zu bekommen.

Nur daß Mammi und Pappi kein Geld mehr haben.

Kernschmelze.

Es stellt sich heraus, daß Mammi und Pappi fast jeden Pfennig darauf verwendet haben, um all die Dinge zu besorgen, von denen du immer dachtest, daß sie so ganz im stillen einfach von den netten Typen in den Mittelschicht-Einkaufszentren zur Verfügung gestellt wurden. Es stellt sich heraus, daß der unteren Mittelschicht anzugehören (und nicht etwa der richtigen Mittelschicht, der du dich irgendwie immer so ein bißchen zugehörig fühltest) ein lebenslanger Kampf um Geld ist und daß man in einer stillen Nacht hören kann, wie der Boden ständig wegrutscht. Immer gibt es gerade nicht genügend Geld, um das Geld zu vergessen, und nie kann man die große Speisekarte des Lebens durchsehen, ohne daß die Augen zu dem besonders günstigen Mittagsmenü abwandern. In irgendeiner Ecke deines Blickfeldes findet sich immer der Geist einer letzten außergerichtlichen Mahnung. Du schaffst es einfach nie bis zum Tageslicht, nur beinahe.

Wenn du also mit einem schön eingepackten Schuldenberg die Universität verläßt, der in eine Urkunde aus imitiertem Pergament eingewickelt ist, und darauf wartest, da weiterzumachen, wo Mammi und Pappi ausgestiegen sind, dann stellst du fest, daß Mammi und Pappi nie wirklich ausgestiegen sind, sondern immer noch jeden Tag und jede Nacht gegen das Geld ankämpfen. Es gibt vielleicht irgendwo eine kleine Hilfe durch irgendein kleines Guthaben in Form einer kleinen Wohnung, aber das war’s, das ist alles, was es gibt, und es kann nicht aufs Spiel gesetzt werden, weil es dafür keinen Ersatz gibt. Es wird dir erst gar nicht zugeteilt, solange du nicht in der richtigen Kampfausstattung daherkommst. Der lange Urlaub verlängerter Adoleszenz ist vorbei, es ist Zeit für dich, den Platz auf der Leiter der Mittelschicht zu übernehmen, und du stolperst und hörst Rutger Hauers Stimme sagen:

Zeit zu arbeiten.

Es tut weh, es trifft dich hart, aber, Scheiße nochmal, O.K., O.K., O.K., also werden wir eben arbeiten, wir sind nicht zu stolz dafür, wir wollen arbeiten, wir wollen ein paar Mark verdienen, wir nehmen jede Arbeit, wirklich jede, versteht ihr, die am Anfang ein bißchen mehr als tausend Pfund pro Monat bringt und uns was tun läßt, egal was, das die Jugend unserer 20er nicht total verschleißt.

 

Ist das zuviel verlangt vom zwanzigsten Jahrhundert?

 

Hat die Hölle Zentralheizung?

 

Ja, und so ungefähr zwei bis drei Jahre, nachdem du die Uni verlassen hast, wachst du an einem Sonntagnachmittag auf und hast keinen Pfennig in der Tasche (oh, Gott! Diese sinnlose Sauferei letzte Nacht!), und auf der Spüle steht nur alte Milch, und bis nächsten Donnerstag der Scheck von der Sozialhilfe kommt, wird keine müde Mark mehr hereinkommen. Und wie der Abend sich in tödlicher Langsamkeit nähert, merkst du langsam, daß du immer angenommen hattest, daß das Leben mit einer hundertprozentigen, kostenlosen Rückgabegarantie bei Nichtgefallen versehen sei, daß du es nicht wirklich vollkommen verbocken könntest.

Bis jetzt.

Jetzt weißt du, daß es kein Rückgaberecht gibt und daß du es durchaus verbocken kannst.

Höhenangst.

Die zweite Welle von Lehrern und Buchhaltern trudelt ein.

 

Ich schaue mir diese Typen an und frage mich, wie lange sie wohl widerstanden haben. Ich meine, sie müssen sich eine Zeitlang gewehrt haben, jeder tut das, selbst wenn sie es nicht zugeben. Niemand plant wirklich, Buchhalter zu werden, oder? Niemand ist wirklich für Anzüge und neun-bis-fünf Tage geboren, man wird einfach solange zurechtgestutzt und -geschleift, bis man paßt. Aber wo sind dann die Spuren? Ich kann kein Blut an ihnen entdecken, nur sauberes Mischgewebe und volle Geldbeutel.

Was ich sagen will: Es ist alles gut und schön, so lange auszuhalten, aber wozu? Ja, du kannst dich auf deine Hinterbeine stellen und stolz ausrufen:

Zum Teufel damit, ich weiß, das hat weh getan, aber der Krach kam nur von meiner Knautschzone. Ich werde mir die Haare nie, nie, nie vom Kopf arbeiten und in einer Bank oder einem Großraumbüro Falten in mein Gesicht graben. Das kann ich nicht, genauso wie ich unter Wasser nicht atmen kann, tut mir leid, Mammi, tut mir leid, Pappi, ihr hattet es nie so gut, ihr hattet das Wirtschaftswunder und JFK und keine Arbeitslosigkeit, zum Teufel, ihr wußtet, daß ihr jedes Jahr den Job wechseln konntet, und ihr dachtet, ihr könntet dazwischen die Welt verändern. Wir gehören zum Rückzug, der sich rückwärts ins Nichts bewegt, wir sind die Generation der Ironie, wir können einen Schritt zurücktreten, herunterschauen und über alles lachen, als wäre es eine gut ausgedachte, aber beschissene Werbung. Aber Ironie ist in Wirklichkeit Scheißdreck, Ironie setzt du nur ein, damit es aufhört, weh zu tun, bevor es angefangen hat, Ironie ist ein Präventivschlag gegen das Leben. Wir müssen ironisch sein, da wir nichts haben, wofür es sich lohnen würde, ein Verletzungsrisiko einzugehen. Nicht daß wir Angst vor der Verletzung hätten, aber davor, sich für nichts und wieder nichts weh zu tun. Wir haben kein Gesamtbild, wissen nicht, wo das alles hingeht und wer warum an den Fäden zieht. Also sitzen wir da und stümpern für ein oder zwei Jahre herum und versuchen, einen gewissen Durchblick zu bekommen, und warten auf den JOB, das richtige Ding, das bei uns einfach vorbeischlendern soll. Was ist der JOB? Wissen wir nicht. Es ist etwas, das uns sagen läßt: Yeah, das ist das, was ich tue, das bin ich hier im Rampenlicht, ohne daß du dabei in dein Bier stieren und dir ein Schild umhängen mußt: Ja, nein, ja, so schlecht ist es gar nicht, weißt du. Etwas, das dich morgens aus dem Bett hochschnellen und denken läßt, ja, wow, mmmm, laß uns heute wieder was tun. Nicht, daß dich der Wecker aus dem Schlaf reißt und niederschlägt, vollkommen verloren und mit dem Gedanken Oh, Scheiße, nicht schon wieder arbeiten! Verdammt, du bist jung, die Nächte gehen schnell vorbei, du schaffst es schon. Wenn es für eine Weile nicht so gut läuft, na und? Du kannst einfach ein bißchen herumhängen und dem Ticken der Wanduhr zuhören, nach der sich die ganze Welt bewegt, und dabei die Landkarten studieren, damit du das nächste Mal auch weißt, wohin du dich wenden mußt.

Klingt alles wunderbar und nett und hip und cool und so weiter, nur wenn du eben kein wirkliches Mitglied der Mittelschicht bist, heißt das alles nichts anderes als: Du lebst in heruntergekommenen Wohnklos in verschissenen Vierteln voller Waschsalons und Pornogeschäften, wo das Bad immer mit den Schamhaaren von anderen Leuten übersät ist und ausländische Radiosender für verlorene Auswanderer durch die Nacht krachen.

Das hab ich getan.

In Wohnklos gelebt.

Die Zeit fliegt dahin, Tage verschmelzen zu Jahren.

Ich bin 28.

28!!!

Irgendwie bin ich nie auf den JOB gestoßen.

 

An dem Punkt, als ich das dachte, da hatte ich mich bereits vollkommen mit Rauch eingenebelt, und ich sage dir, ich hatte wieder Mumm und gut Dampf drauf, die herzklopfende Gewißheit, daß ich wirklich etwas Radikales würde tun müssen, um mein Leben zu retten. Die Angst hatte mir die Flügel und den Mut zurückgegeben.

Also drückte ich die halb gerauchte Zigarette im Aschenbecher aus, stand auf und nahm Jackett mitsamt Scheckbuch und Karte und ging hinaus. Dabei hatte ich die Beute noch zwischen meinem Jackett und nicht in der Tasche, als letzte Verteidigungsmöglichkeit. Draußen wartete Suzy im Auto.

Wir fuhren zu der Ecke South Moulton Street, zu dem Bureau de Change (am besten man parkt irgendwo, wo man in verschiedene Richtungen verschwinden kann), wo ich noch zehn Minuten brauchte, um die Unterschrift ungefähr sechzig mal zu üben:

Mr. R.H.A. Perceval

(eine schöne Oberschichtsunterschrift, es war ein Vergnügen, sie zu schreiben). Darüber hinaus übte ich mich noch ein wenig darin, Mr. R.H.A. Perceval zu SEIN. Suzy brachte währenddessen den matten Nagellack auf der Rückseite des Scheckbuches auf und ließ ihn trocknen, wie ich ihr es gesagt hatte. Sie fand das interessant, es war neu für sie. Mein eigenes Patent übrigens.

Während ich die Unterschrift übte, so daß ich sie nachher schreiben könnte, als wäre ich wirklich dieser Mann, dachte ich darüber nach, daß England das gottverdammte Himmelreich für Klassenkontinuität war. Hier sitzen wir, neunhundert Jahre nachdem William der Eroberer und seine französisch sprechenden und französisch heißenden Wikinger herüberkamen und England eroberten, und bei jedem Typen, den du mir anschleppst, der einen Namen wie ein Franzmann hat, Perceval oder Montague oder Beaufort oder so, wette ich mit dir zwei-gegen-eins, daß er mindestens zur Mittelschicht gehört. Altes Geld hält lange vor, das ist der Grund, warum jeder danach strebt.

Wie auch immer – wir waren soweit. Wir trotteten in das Bureau de Change, und Jippee!, die arme Kuh in dem Büro war müde, es war spät, und sie war halb erleichtert, daß wir ein nettes englisches Paar waren, das ein bißchen in die Klubs gehen wollte, Mr. R.H.A. Perceval mit seinem Tweed-Jackett und seinen drei Initialien und sein Mädchen mit Rotznasengesicht und Henna und Lederjacke und Jeans, die fünf bis zehn Zentimeter ihres bemerkenswert flachen Bauches frei ließen, und nicht ein böser, schwarzer Räuber oder ein verrückter Ausländer mit etwas, was seiner Meinung nach eine VISA-Karte der Bank von Bosnien-Herzegowina sei. Ja, und da kümmerte sie sich nicht groß darum, daß der Kugelschreiber auch wirklich durch die Durchschläge durchschrieb, sondern machte einfach ein kleines Kreuz auf der Datumsmarke, und so konnten wir nachher im Auto den unsichtbaren Nagellackfilm bequem mit Azeton wieder entfernen, was natürlich bedeutete, daß das Kreuz einfach mitverschwand, und potzblitz! hatte die Datumsmarke kein Kreuz mehr. Das Papier war an dieser Stelle ein bißchen aufgerauht, aber das fiel nur auf, wenn man sehr genau hinsah, und wir vergewisserten uns, daß das Scheckbuch an dieser Stelle schön verknickt war, damit auch das nicht auffiel.

Jetzt, wo wir es wirklich zusammen getan hatten, sahen wir uns mit diesem unheiligen Glanz in die Augen. Wir waren gemeinsam durch die Tore der Legalität hindurchgegangen und leckten uns jetzt die Lippen, und es war nichts Besonderes mehr, gleich noch das Bureau de Change beim MacDonald’s am Marble Arch aufzusuchen und nochmals hundert Pfund freizusetzen. Das war’s, wir würden das Scheckbuch nicht weiter benutzen, sondern Mr. Supaservice als zusätzlichen Beweis unserer ehrbaren Absichten übergeben. Er würde es ohne Angstschweiß versetzen können; seine organisierten Jungs und ihre gierigen Untermänner würden es für weitere vier oder fünf Tage nutzen können, ohne daß es ihnen zu heiß würde. Wir hatten, was wir wollten: £ 100 für Mr. Supaservice und £ 100 zum Verpulvern für den Abend, und dabei war niemand zu Schaden gekommen außer den Diebstahlversicherern von Mr. U.M.C. Percevals Bank, was hieß, niemand, der mir leid tun würde und hoffentlich auch nicht dir, denn wenn er dir leid tut, dann warne ich dich jetzt gleich laut und deutlich, daß da noch eine Menge Dinge kommen werden, die dir noch wesentlich mehr leid tun werden.

 

Ich gab Suzy unseren Hunderter direkt in die Hand, und sie steckte ihn sofort in das Reißverschlußfach ihrer Handtasche. Ich weiß nicht, warum ich das tat, mir war wohl einfach danach, es schien irgendwie natürlich, als wäre ich mir sicher, daß wir ihn gemeinsam ausgeben würden.

Und sie nahm ihn auch, ohne nachzudenken.

Schön.

Dann schaute sie mich an und sagte:

 – Meine Wohnung oder deine Hütte?

 

Weißt du, ich wohne nicht mehr in einem stinkenden Wohnklo. Nicht mehr wirklich. Ich kann mich nicht beschweren, denn:

Ich habe Rückhalt.

Dieses kleine bißchen.

Denen, die besitzen, wird Raum zum Atmen gegeben werden.

 

Ich lebe in einer angebauten Hütte im Garten meiner großen Schwester.

 

Sie ist zehn Jahre älter als ich und ging in den frühen Achtzigern von der Uni. Dadurch ist sie ein Relikt der guten alten Ausnahmebewilligung, des vereinigten Staates, den es von 1945 bis etwa 1982 gab, das Fließband, das die untere Mittelschicht in die eigentliche Mittelschicht befördern sollte. (Diejenigen, die verarscht wurden, gehörten zur Arbeiterklasse. Sie zahlten Steuern, aber profitierten nicht von der Bausparförderung und kostenlosem Studium und Kunstförderung und so weiter: Sie kauften sich statt dessen die »Sun«.) Meine große Schwester, diese Glückskuh, schaffte es, das Schwanzende dieses Himmels der unteren Mittelschicht zu packen, und hat daher ein schönes Haus in Shepards Bush und eine lächerliche, dreizehn Jahre alte Hypothek.

Und ich kriege die Hütte.

Versteh mich nicht falsch, ich mag sie.

Ich liebe sie, es ist eine große Hütte, einfach an die Rückwand ihres Hauses angeklebt. Ich habe sie vor drei Jahren mit Chicho zusammen gebaut. Sie ist fünf mal fünf Meter groß und knapp drei Meter hoch und auf Bahnschwellen aufgesetzt, Strom kommt durch die Wand aus dem schwesterlichen Haus. Auf eineinhalb Meter hohen Stützen steht das Doppelbett, darunter mein Wiener Stuhl, meine Stereoanlage und ein rostiger, röhrender Kühlschrank voller Bier und Käse und Chichos Tortillas und Zeug, das man futtern kann, ohne kochen zu müssen. Die Hütte ist mit Glaswolle isoliert (nachdem ich mir im ersten Winter die Eier abgefroren habe), es gibt Vorhänge und Lampen und schöne Decken an den Wänden und ein Bücherregal an der ehemaligen Rückseite des Hauses; und letzten Sommer, als ich mehrere Wochen lang nichts zu tun und auch kein Geld hatte, schnitzte ich an den Giebeln, so daß sie jetzt ein wenig an alte russische Märchen erinnert.

Ich benutze den Strom von meiner Schwester und ihr Badezimmer und ihre Waschmaschine und gebe ihr dafür ungefähr £ 30 pro Woche oder so, wenn ich bei der Zeitarbeit bin oder sonst einen Job habe, und kaum etwas, wenn ich nicht arbeite. Wenn ich will, bin ich Teil des Haushalts, und frei, wenn mir nicht danach ist. Ich rasiere und wasche mich, bin zivilisiert und zahle nicht £ 50 pro Woche, um in einem abgeschissenen Wohnklo in East Acton oder sonst irgendwo zu wohnen.

 

Dadurch habe ich relativ viel Geld zum Verschwenden zur Verfügung.

 

Passend zu meinem verschwendeten Leben?

 

Bob (der Mann meiner großen Schwester) hat nichts dagegen, daß ich in einer Hütte in seinem Garten wohne, da ich nämlich, kurz nach meinem Einzug, einen siebzehnjährigen Dieb erwischt habe, der (verständlicherweise) nicht damit rechnete, daß sich jemand aus einer Hütte heraus an ihn heranschleichen würde, als er gerade ein Fenster aufbrechen wollte. Ich schlug ihn zusammen und rettete so Bobs Bang&Olufsen Hifiturm und den Rest, bevor ich merkte, daß der Typ kaum halb so groß war wie ich und daß er eine Nagelfeile in der Hand hielt, mit der er die Fenster öffnete, und nicht etwa ein Messer, mit dem er mich hätte erstechen wollen. Er hätte sie fallen lassen sollen, aber das tat er nicht. Ich glaube inzwischen, daß er einfach nicht verstand, was ich da brüllte, ich hatte Angst, ich sah dieses Ding in seiner Hand glitzern und schlug ihm einfach voll in die Fresse, es war schon eine massiv körperliche Angelegenheit geworden, ich brüllte laßdasgottverdammteMesserfallendu-Arschloch und solches Zeug. Ich wagte nicht aufzuhören, ihn zu schlagen, bis er plötzlich aufgab und zusammenfiel und das Ding fallen ließ. Ich hatte ihm die halbe Lippe abgerissen, manchmal denke ich nachts daran, ich kann immer noch die Haut an der Seite seiner Lippe sehen und das Blut, wie es heraus und über meine Hand läuft. Das tat mir sofort leid, und ich ließ ihn abhauen, er sagte noch mit schwacher Stimme danke, als ich ihn über die Mauer hievte, und heute wünsche ich mir, daß das alles nie passiert wäre.

Es bedeutet allerdings, daß Bob mich jetzt als eine Art totale Abschreckungswaffe betrachtet.

Bob hat eine Haut in bestem Schweinsrosa und ist ein Mitglied einer echten Mittelschichtsfamilie mit Stipendien etc. Er ist ein linksliberaler Anwalt, und ich nehme an, daß seine politische Erleuchtung auf seine überraschende Erkenntnis zurückzuführen ist, daß nicht jeder Mensch einen Volvo fahren und die Snackauslage bei Harrods durchprobieren kann. Für den jungen Bob war das eine Ungerechtigkeit von kosmischem Ausmaß, eine unnatürliche Bosheit, und seither ist er stets ein mutiger Kämpfer für den Himmel der Mittelschicht gewesen. Bei seinen Dinner-Parties erfülle ich den doppelten Zweck, (a) die Wohnungskrise zu illustrieren und (b) als Beweis für seine Großzügigkeit gegenüber der traurigen Familie seiner Frau zu dienen. Ich ziehe da durchaus mit, wenn das Abendessen gut riecht, und das tut es oft, denn Bob ist ein Küchenfetischist erster Güte: Im Sommer pflückt er Lorbeerblätter und Basilikum von seinen Balkonpflanzen und schmeißt sie direkt in das Essen. Und außerdem höre ich gerne seine eine Geschichte.

Er hat nur eine richtige Geschichte, aber ich kann sie immer wieder hören, denn schließlich kümmert es doch niemanden, ob sie neu ist oder nicht. Ist Hamlet etwa neu? Bobs Geschichte geht folgendermaßen:

Nach dem Bergarbeiterstreik verteidigte Bob einen Kumpel, dem vorgeworfen wurde, daß er mit einem Ziegelstein nach einem Polizisten geworfen hätte. Er stritt das ab. Zu der Zeit hatte die Polizei gerade diese riesigen Schutzschilder eingeführt, die wir heute als ganz normal ansehen, und der betroffene Polizist war angeblich von dem Ziegelstein am Knie getroffen worden. Bob hatte eines dieser neuen Schilder in den Gerichtssaal bringen lassen und den Polizisten aufgefordert, sich hinter dem Schild aufzubauen. Bob hielt einen Stein in der Hand und fragte ihn, wie irgend jemand ihn mit einem Ziegelstein am Knie hätte treffen können, wo das Schild ja bis zu seinen Knöcheln reichte. Der Bulle gab keine Antwort, er war darauf nicht vorbereitet worden, in seinem Notizbuch gab es dazu keine Einträge. Also hielt Bob seinen Ziegelstein etwas höher und sagte:

 – Na ja. Ich nehme an, er könnte einfach vom Boden abgeprallt sein.

– Ja, sagte der Bulle rasch, – so war’s.

Bob wirft den Stein auf den Boden. Er prallt nicht ab, sondern bleibt liegen. Die Staatsanwaltschaft rutscht verlegen auf dem Arsch und schaut sich die Fingernägel an. Der Bulle glotzt auf den Stein und wird sehr rot. Schnell wie ein Blitz zieht Bob einen halben Ziegelstein hervor und sagt:

 – Vielleicht war es ja so einer?

 – Ja, genau so einer war’s! sagt der Bulle.

Bob wirft den halben Ziegelstein auf den Boden. Er prallt auch nicht ab. Verfahren leider eingestellt.

Abgesehen von dem phantastischen Essen und dieser Geschichte gibt es noch einen Grund, warum ich Bobs Dinner-Parties mag: Ab und zu gibt es nette Mittelschichtsmädchen, die sehen, wie ich in einer ungewöhnlichen Hütte lebe und (immerhin) der Bruder von Bobs Frau bin und außerdem immer ganz nett mit meinen Neffen umgehe, die (4 und 6 Jahre alt) mich gerne in der Hütte aufsuchen. Sie nehmen dann an, daß ich wohl eine Art verheimlichter Mittelschicht angehöre und gewissermaßen nur auf einem verlängerten Urlaub bin und jederzeit, wenn das richtige Mädchen vorbeikommt, mit meinem privaten Einkommen herausrücke und sie in ein abgesichertes Künstlerleben in Islington entführe.

Würde ich tun, wenn ich’s könnte.

Ich bin der perfekteste Onkel der Welt und bin nur 28 Jahre alt.

Vor einigen Wochen war Bob während des Abendessens sehr in sich versunken, als er plötzlich aus heiterem Himmel und etwas zu schnell sagte, daß er sich dachte, die Jungs würden die Hütte vielleicht ganz gut als Spielhütte gebrauchen können, wenn Jamie so ungefähr neun Jahre alt wäre. Oder zehn, sagte er sofort, wurde ganz rot und schenkte mir gleich mehr Wein ein und war für den Rest des Abends extrem nett zu mir.

Aha.

Und weißt du, was noch los ist? In drei Monaten werde ich 29.

Verfluchte 29 Jahre.

Und wir wissen alle sehr gut, was dann als nächstes kommt.

Ich nähere mich meinem zu-verkaufen-bis-Datum.

Die Monate fangen bereits an, in einer Art Zeitverfall an mir vorbeizufliegen, die Sonne dreht sich in Höchstgeschwindigkeit in schnellen, kurzen Bögen um mein Leben auf der Erde.

Ich glaube, ich werde nicht gerne (tief durchatmen!) dreißig Jahre alt.

Ich würde nicht gerne in einer Hütte dreißig Jahre alt werden.

Oder aus einer rausgeworfen werden.

Und immer noch zur Zeitarbeit oder Stempeln gehen?

 

Shepards Bush an Portionskontrolle: Wo zum Teufel bleibt meine Portion?!

 

Vielleicht bin ich für das Glück immer nur gerade noch in die engere Wahl gekommen.