Eine alte Schuld - Matthew Costello - E-Book

Eine alte Schuld E-Book

Matthew Costello

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Beschreibung

Ein Verbrechen, das vor vielen Jahren geschah - kein Problem für Jack und Sarah!

Es ist Jahrmarkt in Cherringham. Der ganze Ort fiebert der Regatta, der Parade und dem Feuerwerk entgegen. Na gut, fast alle, denn Jack und Sarah interessieren sich viel mehr für die menschlichen Überreste, die ganz in der Nähe bei einer archäologischen Ausgrabung entdeckt wurden. Anders als zunächst vermutet handelt es sich bei dem Fund nicht um einen römischen Soldaten, sondern um einen jungen Mann, der erst vor ein paar Jahrzehnten das Opfer eines kaltblütigen Mordes geworden sein muss.
Als dann auch noch Jacks Versicherungsagent verschwindet, hat das Ermittlerduo alle Hände voll zu tun: Gibt es einen Zusammenhang zwischen beiden Fällen? Und welches dunkle Geheimnis wird im beschaulichen Cherringham mit allen Mitteln zu verheimlichen versucht?

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung

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Seitenzahl: 420

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autoren

Titel

Impressum

PROLOG 1998

Eine fatale Entscheidung

TEIL EINS Die Leiche

1. Ein vollkommener Morgen

2. Ein Sommergewitter

3. Der Volksfest-Ausschuss

4. Eine kleine Überraschung

5. Ein Ausflug flussaufwärts

6. Ein Tatort?

7. Eine Unterhaltung über Mord

8. Was die Leiche mitteilt

9. Ein verpasster Termin

10. Eine plötzliche Abreise

11. Ein Tagesausflug

12. Ungewöhnliches Verhalten

13. Sackgassen

14. Die Spur des Geldes

15. Steaks – halb durch

16. Ein Fall von …?

17. Rays Rückkehr

18. Leichengeheimnisse

TEIL ZWEI Die Volksfestwoche

19. Mittagessen in Todwell House

20. Mutmaßungen und Verdächtigungen

21. Auf dem Sommerfest

22. Einem Gedächtnis wird auf die Sprünge geholfen

23. Der Einbruch

24. Schüsse ins Blaue

25. Fragen und Antworten

26. Geheimnisse

27. Auf die Details kommt es an

28. Fine Leg

29. Auf schwankendem Boden

30. Die Provokation

31. Pints und Prügeleien

32. Dinner auf der Goose

33. So viel Rummel

34. Ein weiter Weg nach unten

35. Ein fehlendes Stück wird gefunden

36. Eine spanische Verbindung

37. Die Uhr

38. Zurück nach Bourton

39. Wenn sich alles zusammenfügt

40. Die Regatta

41. Das Geständnis

42. Die Leiche wird vergraben

43. Das Märchen des Polizisten

44. Karins trautes Heim

45. Larwood redet

46. Einen Mörder fangen

47. Immer Ärger mit Harry

48. Das Bootshaus

49. Der Fluchtversuch

Epilog

Über dieses Buch

Es ist Jahrmarkt in Cherringham. Der ganze Ort fiebert der Regatta, der Parade und dem Feuerwerk entgegen. Na gut, fast alle, denn Jack und Sarah interessieren sich viel mehr für die menschlichen Überreste, die ganz in der Nähe bei einer archäologischen Ausgrabung entdeckt wurden. Anders als zunächst vermutet handelt es sich bei dem Fund nicht um einen römischen Soldaten, sondern um einen jungen Mann, der erst vor ein paar Jahrzehnten das Opfer eines kaltblütigen Mordes geworden sein muss. Als dann auch noch Jacks Versicherungsagent verschwindet, hat das Ermittlerduo alle Hände voll zu tun: Gibt es einen Zusammenhang zwischen beiden Fällen? Und welches dunkle Geheimnis wird im beschaulichen Cherringham mit allen Mitteln zu verheimlichen versucht?

Über die Autoren

Neil Richards (England) und Matthew Costello (USA) sind die Verfasser zahlreicher Drehbücher und Romane und die Autoren der erfolgreichen digitalen Krimiserie Cherringham mit einer ständig wachsenden Fangemeinde.

Matthew CostelloNeil Richards

Eine alte Schuld

Ein Cherringham-Krimi

Aus dem Englischen von Sabine Schilasky

beTHRILLED

Digitale Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Dr. Arno Hoven

Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt

Covergestaltung: Jeannine Schmelzerunter Verwendung von Motiven © shutterstock: jason2009 | suns07butterfly | Feliks Kogan | Raymond Llewellyn | Jan Martin Will

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-4219-2

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

PROLOG1998

Eine fatale Entscheidung

Er stand auf, als der Bus auf den Dorfplatz im Zentrum der kleinen englischen Ortschaft einbog.

Sein Herz raste. Wie verrückt …

Dass er die Absicht hatte, dies zu tun – und hierherkam, ohne es irgendjemandem zu sagen … Aber er musste es machen! Es war ausgeschlossen, dass er es nicht tat.

Die Sonne ging bereits unter, als er aus dem Bus stieg. Ein altes Ehepaar sah ihn mit merkwürdigen Blicken an. Anscheinend konnten die beiden erkennen, dass er nicht von hier war.

War das so offensichtlich?

An der frischen Luft, außerhalb des überheizten Busses, wurde ihm sofort kalt. Er trug einen dünnen Pullover, und jetzt, wo die Sonne verschwunden war, hätte er eine richtige Jacke gut brauchen können.

Die Kälte draußen verstärkte das Frösteln, das er verspürte, weil er hierherkam.

Total unüberlegt, würden seine Freunde sagen. Er denkt einfach nie nach!

Doch wie sollte es ihm möglich sein, einfach nur herumzusitzen, zu warten und sich ständig die gleiche Frage zu stellen? War wirklich alles vorbei? So aufregend, so bezaubernd, so spannend … Und jetzt nichts mehr?

Er ging zunächst ziellos durch den Ort. Schritt jene Gasse hinunter, diesen Weg hinauf, bis er schließlich an einer Stelle stehen blieb, wo es sehr dunkel war. Er fühlte sich einsam. Obendrein wurde es beständig kälter. Zu blöd, dass er keine wärmeren Sachen dabeihatte.

So vieles, was ich hätte bedenken sollen.

Eine Sache hatte er jedoch dabei, allen Risiken zum Trotz. Es war in einer kleinen Seitentasche seines Rucksacks.

Die kleine Plastiktüte.

Rasch blickte er zu den beiden Enden der sich leicht krümmenden Seitenstraße, in der er gelandet war.

Er öffnete den Reißverschluss. Dann, nachdem er sich abermals umgeschaut hatte, steckte er einen Finger in den Beutel.

Nur eine kleine Kostprobe.

Er hielt sich den Finger an die Nase, inhalierte, und das weiße Pulver verschwand von seiner Fingerspitze.

Anschließend wurde ihm mit dem süßen Rausch tatsächlich wärmer. Und nicht nur das: Diese dunkle Gasse wirkte gar nicht mehr unheimlich.

Er sah jetzt die Dinge recht klar.

Konzentrierte sich wieder auf seine Aufgabe.

Er drehte sich um, verließ den Schutz der Gasse und ging auf die Lichter, die Läden und die Leute im Dorf zu.

Er kam an einem Pub vorbei. »The Angel« stand auf dem Schild, wo über den Lettern die Darstellung eines wunderschönen, schwebenden Engels prangte. Drinnen im Pub herrschte schon reger Betrieb.

Und wie warm und einladend es aussah. Aber nein!

Als Nächstes passierte er ein heruntergekommenes Hotel und blickte zu dem verblassten Schild am Tor, auf dem »The Bell« zu lesen war.

Auf der anderen Straßenseite war eine große Tafel: eine Karte vom Dorf. Er eilte über die High Street, konnte im Licht der Straßenlaternen aber nur mit größter Mühe die Wörter auf dem ausgebleichten Plan entziffern.

Dort!

Ja! Das muss es sein!

Er rang nach Luft, und sein Herz begann erneut zu rasen.

Nur noch wenige Momente.

Nachdem er tief eingeatmet hatte, ging er weiter – fort von den Lichtern des Dorfes und in die pechschwarze Finsternis hinein.

TEIL EINS Die Leiche

1. Ein vollkommener Morgen

»Das nenne ich Leben, was?«, sagte Ray Stroud, der aus der Fahrerkabine von Tom Vinings verrostetem Pick-up kletterte und die Aussicht genoss.

Vor ihm erstreckte sich das lange Gras der Wiese bis hinunter zum Fluss. Sie war übersät mit Klatschmohn und anderen Wildblumen, deren Blüten in der Morgensonne rot und blau leuchteten.

Und obwohl es noch nicht mal acht Uhr war, fühlte sich die Luft schon warm an.

Es würde wieder ein fantastischer Junitag werden.

Und ich werde um fünfzig Pfund reicher sein, wenn er vorbei ist, dachte Ray, der sein erstes Pint Hooky-Ale unten im Ploughman schon schmecken konnte.

Er beugte sich in die Fahrerkabine und nahm sein Frühstück, das er sich beim Straßenimbiss auf der Strecke nach Cherringham gekauft hatte. Es war noch warm.

Vorsichtig wickelte er das »Mega-Deal-Sandwich« aus, das mit Wurst, Bacon und zwei Eiern belegt war. Dann griff er nach dem beiliegenden Plastiktütchen, riss es auf und drückte den Ketchup tief zwischen die fettigen Brötchenhälften.

Er nahm einen großen Bissen, worauf ihm Ei und Butter übers Kinn rannen. Dabei sah er Tom an.

»Wird wahnsinnig heiß heute«, meinte er.

»Verlass dich lieber nicht drauf«, erwiderte Tom aus der Kabine. »Mein Handy sagt, dass wir nachmittags Regen kriegen.«

Ray blickte auf und wischte sich den Mund mit seinem Ärmel ab. Was zum Teufel wissen denn Telefone vom Wetter?

Dann beobachtete er, wie ein kleiner Fahrzeugkonvoi am anderen Ende der Wiese auftauchte und holpernd über den unebenen Boden direkt auf sie zukam.

»Sind das die Chefs?«, fragte er.

»Kann sein«, antwortete Tom, stieg aus der Fahrerkabine und stellte sich neben Ray. »Kann aber auch nicht sein. Soweit ich weiß, haben wir bei diesem Job zwei Bosse, und beide haben von Tuten und Blasen keine Ahnung.«

Ray aß weiter, während er zuschaute, wie die Wagen an einer Ecke der Weide hintereinander parkten.

Zwei Pkws mit jeweils einem Insassen und ein Minibus voller Leute und Gepäck.

Ist nicht schwer zu erraten, wer die Bosse sind und wer die Arbeiter.

Er beobachtete, wie die Fahrer mit Laptops und Umhängetaschen aus den Wagen stiegen und sich sofort zusammenstellten. Sie zogen Papiere heraus und zeigten auf verschiedene Stellen der Weide.

In der Zwischenzeit glitten die Seitentüren des Minibusses auf, und Ray schaute zu, wie sich die Leute aus dem Wagen hinausdrängten.

Studenten, so wie sie aussahen. Unter ihnen gab es ein paar hagere Typen mit fusseligen Bärten, Shorts und glänzenden neuen Stiefeln. Doch aus dem Minibus stiegen größtenteils Mädchen in T-Shirts und Jeans, und ihre Augen leuchteten. Sie alle hatten Rucksäcke, Eimer und gelbe Schutzhelme dabei.

Die um sich zu haben – netter Bonus bei dem Job!

Es war schon von hier aus offensichtlich, dass die Hände all dieser jungen Leute weich und makellos sauber waren.

Wenn die zwei Wochen lang hier auf dem Feld gebuddelt haben, sieht deren Haut so schlimm aus wie meine, dachte Ray.

Bei diesem Gedanken inspizierte er seine eigenen Hände: voller Schwielen und mit tief sitzendem Dreck, die Nägel rissig und farblos. Dann knüllte er die Verpackung seines Frühstücks zusammen und warf sie durch das Fenster in Toms Fahrerkabine.

Er schaute zu, wie die Studenten Zelte und Kisten in den Schatten der Bäume schleppten, die an einer Seite der Wiese standen.

Ein guter Platz zum Zelten, dachte Ray. Heute will man wirklich aus der Sonne sein.

Die beiden Bosse wechselten noch einige Worte mit der Gruppe und kamen anschließend auf den Pick-up mit dem Anhänger zu.

»Los geht’s«, murmelte Tom leise.

Die Männer traten heran, und der größere von den beiden streckte Ray seine Hand entgegen.

»Mr Vining?«, fragte er. »Professor Cresswell, Western University, Fachbereich Archäologie. Ich glaube, wir hatten miteinander telefoniert.«

Ray ergriff nicht die Hand, sondern nickte zu Tom, der neben ihm stand.

»Ich bin Vining«, sagte Tom, ohne sich zu rühren.

Ray sah, dass der Mann, dessen Arm nun ausgestreckt in der Luft verharrte, verwirrt war.

Dann erlöste Tom den Professor aus seinem Elend und ergriff die dargebotene Hand.

Ray grinste in sich hinein. Solange er Tom Vining kannte, hatte der Baggerfahrer eine besondere Gabe, Leute aus dem Konzept zu bringen – vor allem solche, die das Sagen hatten. Diese Taktik funktionierte natürlich nicht, wenn man mies in seinem Job war; doch jeder wusste, dass Tom der beste Baggerfahrer weit und breit war.

Ein Fachmann. Ein Künstler. Und immerzu gefragt.

»Das ist Ray«, stellte Tom seinen Arbeitskollegen vor und nickte in seine Richtung. »Mein Einweiser.«

Der Professor blickte verwirrt; er schien mit dem Ausdruck nichts anfangen zu können.

»Er geht mit und prüft alles, wenn ich baggere«, erklärte Tom. »Und er gräbt mit der Schaufel. Dafür braucht man gute Augen und ein starkes Kreuz.«

»Ah, ja, klasse«, sagte Cresswell. »Schön, Sie mit an Bord zu haben, Ray. Haben Sie schon mal bei einer Ausgrabung gearbeitet?«

»Nein«, antwortete Ray, »aber mit ‚Angraben’ kenne ich mich aus.«

Er beobachtete, wie Cresswell seine Brille richtete und offensichtlich überlegte, ob Ray sich über ihn lustig machte.

Dann grinste er verlegen. »Ah, sehr witzig, sehr witzig«, sagte er schließlich und nickte dem Mann neben sich zu, der sein Lächeln erwiderte.

Ray sah den anderen aufmerksam an. Er kannte ihn aus dem Dorf. Ach ja … das ist doch dieser Kerl … Der führte die Touristen durchs Dorf, leitete die »Cherringham History Tour«.

»Das ist Will Goodchild, der für mich die Ausgrabung beaufsichtigen wird. Will ist unser Experte für Römisches hier vor Ort – stimmt’s nicht, Will?«

Ray bemerkte, dass Goodchild die Stirn runzelte und über diese Beschreibung offenbar nicht glücklich war. Dann lächelte er Ray und Tom unsicher zu.

Der Historiker schien Ray nicht zu erkennen.

Kein Wunder, dachte Ray. Er ist ja nicht direkt ein Stammgast im Ploughman.

»Ja, ähm, selbstverständlich hat die Universität die Leitung«, fuhr Cresswell fort. »Doch soweit es Sie betrifft, ist Will Ihr, ähm, Vorgesetzter. Ich überwache das Ganze vom Elfenbeinturm aus! Ist es nicht so, Will?«

Will zuckte mit den Schultern und hatte sichtlich Mühe, Cresswells Scherz lustig zu finden.

Der Professor redete weiter. »Also, ähm, Tom, Sie haben Ray hoffentlich eine Einführung gegeben, was die Arbeitsschutz- und Sicherheitsvorschriften betrifft? Die sind überaus wichtig, wie Sie wissen, gerade bei einer Ausgrabung wie dieser, wenn Studenten dabei sind. Wir wollen hier keine Unfälle haben!«

»Keine Bange«, antwortete Tom und sah Ray an. »Er ist nicht so blöd, wie er aussieht.«

»Gut zu wissen!« Cresswell lachte unsicher. Im nächsten Moment erschrak er. »Oh nein, Ray … Ich meine … es ist gut, zu wissen, dass Sie schon eine Einführung erhalten haben. Nicht, dass Sie …«

»Kein Problem, Mr Cresswell. Ich weiß, was Sie gemeint haben«, beruhigte ihn Ray.

Typen wie der haben es aber auch immer schwer, mit Leuten zu reden, denen die richtige Arbeit anvertraut wird.

Und angesichts des stammelnden Professors war Ray klar, dass er einen echten Vorsprung gegenüber dem großen Boss hatte.

»Also, was den Job anbelangt … Wie ich am Telefon schon sagte, Mr Cresswell, habe ich im Laufe der Jahre bei vielen Ausgrabungen gearbeitet«, erklärte Tom.

»Stimmt, und Sie wurden uns wärmstens empfohlen. Wir sind sehr froh, Sie dabeizuhaben. Zum Plan für heute: Ich habe meine Erst- und Drittsemester-Studenten da drüben, zusammen mit einigen erfahrenen Freiwilligen. Sie bauen gerade das Camp auf.«

Er lächelte breit, merklich darum bemüht, seine Autorität zu wahren und zugleich den Arbeitern gegenüber Jovialität auszustrahlen.

»Und sie haben strikte Anweisung, Tee zu kochen«, fuhr er fort. »Ohne Tee kann man ja nicht graben, was? Später am Vormittag werden noch Baustellentoiletten und ein Imbisswagen kommen. In der Zwischenzeit, wie gesagt, hat Will hier das Kommando. Irgendwelche Fragen?«

Ray schaute auf seine Füße.

»Keine einzige?«

Es war nicht zu übersehen, dass er auf eine Reaktion wartete, doch nicht einmal Goodchild schien allzu erpicht darauf, mit ihm einen auf Kumpel zu machen.

»Eines noch«, sagte Cresswell. »Denken Sie immer an die Zeit.«

»Was meinen Sie?«, fragte Tom.

»Wir haben vier Wochen – nur vier Wochen – für diese Ausgrabung, dann will der Farmer seine Weide zurück. Daher können wir uns keine Verzögerungen, egal welcher Art, leisten. Das heißt, alle Mann müssen sich in die Riemen legen, nicht?«

»Riemen?«, fragte Ray mit einem bierernsten Gesicht. »Wir haben keine Riemen dabei.« Er beobachtete, wie Cresswell überlegte, ob er darauf eine Antwort geben sollte oder nicht.

Schließlich sagte der Professor: »Dann wäre ja alles geklärt. Auf eine erfolgreiche Ausgrabung, Mr Goodchild!«

Er klopfte Will auf die Schulter, drehte sich um und ging über die Wiese zu seinem Wagen zurück. Die drei Männer blickten ihm nach.

Dann wandte Goodchild sich zu den anderen beiden. »Sie müssen nicht warten, bis der Tee fertig ist. Legen Sie ruhig schon los, und bereiten Sie gleich ein oder zwei Gräben vor. Klingt das nach einem Plan?«

»Muss es wohl«, antwortete Tom.

Ray beobachtete Goodchild aufmerksam. Vielleicht war der Mann doch nicht so ein Weichei.

Goodchild zeigte hinunter zum Fluss.

»Die Luftaufnahmen – und die geophysischen Daten – zeigen einige sehr interessante Konturen auf dieser Wiese und in dem Waldstück, das Sie da unten beim Zaun sehen können … Ach, bevor ich es vergesse, die restlichen Bäume dort müssen als Erstes weg. Sie haben doch Kettensägen mitgebracht, nehme ich an?«

Ray nickte und schaute den Hang hinunter, wo sich der Wald ein Stück weit auf die Wiese ausgedehnt hatte.

Vor Jahren war all dies wahrscheinlich Teil eines großen Anwesens gewesen, auf dem es keine klare Abgrenzung zwischen dem Waldgebiet und den Weiden und Wiesen gegeben hatte.

Dann musste das Land verkauft worden sein, und dieser Zaun, der bis zum Ufer reichte, verlief nun mitten durch die Ausläufer des Waldgebietes.

Unten am Fluss konnte Ray Holzstapel sehen. Dort waren einige der größeren Bäume – anscheinend Eichen und Kastanien – bereits gefällt worden.

Sogar von hier aus sah es nach gutem Nutzholz aus.

Davon könnte ich was brauchen, dachte er.

»Sehr schön. Also, es ist gut möglich, dass sich irgendwo unter dieser Weide oder in dem Wald dort ein bedeutendes römisches Bauwerk befindet«, fuhr Goodchild fort. »Wir wissen jedenfalls mit Sicherheit, dass einst dort eine Straße war. Und das Faszinierendste an dieser Sache ist: Diese Straße könnte tatsächlich zu einer Furt oder sogar zu einer antiken Brücke über die Themse geführt haben. Falls wir da fündig werden sollten, wäre es eine Wahnsinnsentdeckung. Sicher sind Sie genauso gespannt wie ich!«

In Wahrheit war dies Ray vollkommen egal, denn er dachte nur an seinen Lohn. Und an den Imbisswagen, der später kommen würde. Trotzdem strengte er sich an, so auszusehen, als wäre er gespannt. Manchmal verhießen Jobs wie dieser gutes Geld, und eventuell gab es am Ende noch einen hübschen Bonus.

Ihm entging nicht, dass Goodchild ein bisschen mehr Enthusiasmus erwartete. Aber wegen einer Brücke? Dafür war all das Theater hier?

Ray hatte gehofft, dass sie nach einem Schatz suchen würden. Nach riesigen Truhen mit römischem Gold. Einem Hortfund – so nannten sie das doch, oder nicht?

Vor einigen Jahren hatten ein paar von Rays Kumpels eine römische Platte ausgegraben, die ein Vermögen wert gewesen war.

Das hat ihr Leben umgekrempelt, und wie …

Aber eine Brücke? Garantiert würde Ray nicht reich werden, wenn er Überreste von einer alten Brücke fand.

»Aber eines nach dem anderen. Zunächst wollen wir einige Probelöcher graben, um einen ‚groben Überblick’ zu bekommen, was? Wie hört sich das an?«

»Hört sich gut an«, antwortete Tom.

»Schön. Sobald Sie die letzten Bäume gefällt haben, lasse ich da unten einige Pflöcke einschlagen und Schnüre spannen, um den ersten Graben zu markieren. Sie stoßen dann mit dem Bagger dazu, wenn Sie so weit sind, ja?«

»Wird umgehend gemacht«, versicherte Tom. Trotzdem rührte weder er noch Ray sich von der Stelle, um mit dem Fällen der Bäume zu beginnen.

»Also, flink ans Werk«, sagte Goodchild und starrte sie beide an. »Und nicht vergessen – wir haben nur vier Wochen Zeit!«

Goodchild ging ein paar Schritte rückwärts, drehte sich dann um und eilte über die Weide zu seinem Wagen.

»Das heißt wohl, wir kriegen keinen Tee«, stellte Tom fest.

»Und es gibt hier auch keinen verfluchten Schatz«, murrte Ray. »Der Typ sollte lieber so schnell wie möglich bar bezahlen, sonst ist das hier reine Zeitverschwendung.«

»Das hat Cresswell am Telefon zugesagt.« Tom löste die Baggerketten auf dem Anhänger. »Am Ende des Tages bekommst du deine Kohle.«

»Ich will nur kein Theater mit Sozialversicherungsnummern oder so.«

Er sah, dass Tom mit den Schultern zuckte. »Hab ich dir doch gesagt. Es ist alles geregelt.«

Ray beäugte ihn misstrauisch. Es wäre nicht das erste Mal, dass Tom ihm einen Job gab und das Geld auf mysteriöse Weise verschwand.

»Wenn du fertig nachgerechnet hast, wie viel Geld du für Bier und Gras brauchst, kannst du mir helfen, den Bagger runterzubekommen.«

Ray nickte. Tom war hier sein wahrer Boss.

»Und vergiss nicht, dass du mir drei Pfund für das Frühstück schuldest. Hast du selbst gesagt.«

»Du bist wie eine beknackte Schallplatte mit einem Sprung, Ray Stroud.«

Ray schaute zu, wie Tom ans Ende des Anhängers ging und die Rampen hinunterließ.

Hiervon blühen mir vier Wochen, dachte er. Aber mit den vielen Studenten – da wird das Essen sicher gut. Und vielleicht kann ich denen sogar ein bisschen Gras verticken …

Um den Tee war es trotzdem jammerschade.

2. Ein Sommergewitter

Zwei Stunden später hatte Ray so hart gearbeitet, dass er in Schweiß gebadet war.

Erst hatte er die Kettensäge angeworfen und die letzten Bäume direkt bis zur Zaungrenze gefällt. Das Schnittholz hatte er stapelfertig runter ans Flussufer geschleppt.

Dann hatte Goodchild ihn dazu verdonnert, die übrig gebliebenen Büsche am Weidenrand zu beseitigen, damit er die Schnüre für den Bagger spannen konnte.

Der entpuppt sich doch nicht als ein einfacher Boss.

Und während sich Ray die ganze Zeit über krumm geschuftet hatte, war Tom oben am Weidenrand im Schatten geblieben, hatte Tee getrunken und mit den Studenten geplaudert.

Mistkerl, dachte Ray, als er sah, wie sich der Baggerfahrer eine weitere Zigarette anzündete. Und ich gehe hier unten in der Hitze ein!

Die Sonne stand hoch am klarblauen Himmel. Und jetzt, da alle Bäume hier unten gefällt waren, gab es keinen Millimeter Schatten mehr.

Ray blickte zum dunklen Wald gleich hinter dem Zaun. Hohe Bäume in vollem Laub und dichtes Buschwerk – nur wenige Sonnenstrahlen schafften es bis nach unten.

Da ist es garantiert angenehm kühl, dachte er.

Aber Ray war klar, dass der Boss es mitbekommen würde, sollte er sich wegschleichen, um sich eine kurze Pause mit einem Joint zu gönnen.

Er legte das schwere Trimmer-Geschirr auf der Erde ab, nahm seinen Helm und die Schutzbrille herunter und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Wenigstens wehte hier unten am Fluss eine leichte Brise. Ray beobachtete einen hübschen kleinen Ausflugsdampfer voller Touristen, der vorbeituckerte.

Einige von ihnen winkten und machten Fotos von Ray. Er blickte sie nur stumm an.

Dann herrschte wieder Stille. Und Ray ließ die Umgebung auf sich wirken.

Der Anblick hier war nicht viel anders als der von der Landschaft, die er, wenige Meilen flussabwärts in Cherringham, von seinem nicht ganz so hübschen Kahn aus betrachten konnte.

Der Fluss strömte kühl und dunkel vorbei, und hin und wieder glitt ein Schwan wippend durch die sanften Wellen. Auf der Weide gegenüber stand träge grasendes Vieh, das in der Hitze muhte.

Auf einmal hörte Ray ein lautes Knacken aus dem Wald, als wäre jemand auf einen morschen Ast getreten.

Ray drehte sich um und spähte in die Dunkelheit unter den Bäumen.

Er bemerkte eine flüchtige Bewegung.

Irgendein Tier? Ein Wildschwein vielleicht?

Nein. Das musste … jemand sein, der die Weide beobachtete …

Es war tief im stillen Wald nur flüchtig zu sehen gewesen – doch ja, es hatte sich um ein Gesicht gehandelt.

Ray blinzelte, wischte sich abermals den Schweiß ab, verengte die Augen im grellen Sonnenlicht und schaute in die Dunkelheit hinein …

Ja, da war es wieder: eine Bewegung!

Und für eine Sekunde erkannte er eine Gestalt, die zwischen den Bäumen umherhuschte.

Ein Mann. Eindeutig.

Der nicht gesehen werden wollte.

Aber warum nicht?

Und wer war das überhaupt?

Ein übergeschnappter Vogelbeobachter vielleicht? Aber angesichts der vielen Leute auf der Weide war das hier ein ungünstiger Ort, um Vögel bei ihrem natürlichen Verhalten beobachten zu wollen.

Und dann kam Ray ein Gedanke, bei dem ihm eiskalt wurde.

Beobachtete der Kerl … womöglich ihn?

Im Geiste ging Ray die Liste der Leute durch, die er ungern in einem dunklen Wald treffen würde.

Leute, denen er Geld schuldete.

Leute, denen er mehr als Geld schuldete. Leute, die vielleicht ein gutes Gedächtnis hatten …

Nein, die meisten von denen würden um diese Zeit noch im Bett sein.

Nur mit der Ruhe, sagte er sich. Vielleicht ist es bloß der Mann von der Steuer, der mich erwischen will.

Ray sah den Hügel hinauf zu den Fahrzeugen und dem Bagger. Alle Studenten waren noch da; sie stellten Tische und Zelte auf und legten das Werkzeug bereit. Und Goodchild beugte sich gerade über Papiere, die auf einem der Tische lagen.

Wieder blickte Ray zum Wald.

Der geheimnisvolle Mann war verschwunden.

Und Ray war … mehr als mulmig zumute.

Er hatte das Gefühl …

Hier stimmt etwas nicht …

»Ich habe dir doch gesagt, dass es Regen gibt«, erinnerte ihn Tom, der im Führerhaus saß.

Ray schaufelte noch eine Ladung dicke, nasse schwarze Erde in die Schubkarre und sah nach oben zu dem Baggerfahrer in der hohen Kabine.

Tom grinste. Da drinnen blieb er vollkommen trocken.

»Du und dein verdammtes Telefon«, schimpfte Ray.

Tom ließ den Motor aufheulen, tauchte die Baggerschaufel in die Erde, hob sie an und setzte sein Gefährt zurück, um eine Drehung zu vollführen, die beinahe unmöglich aussah.

Der Kerl konnte mit seinem Bagger umgehen, so viel stand fest.

Blöder Angeber, dachte Ray.

Andererseits war es Toms Können – insbesondere das Geschick, nicht die Oberfläche anzugreifen –, dem Ray diesen Job verdankte.

Ray steckte das Blatt seiner Schaufel in die weiche Erde; dann nahm er die Schubkarre auf und schob sie den Hang hinauf zu dem großen Erdhaufen.

Heute hatte er schon dreißig Fuhren gemacht und war erledigt vom Graben in einem Erdboden, in dem es noch viele knorrige Baumwurzeln gab. Verdammter Untergrund!

Und völlig durchnässt war er auch noch.

Anscheinend waren alle anderen geschützt. Die Studenten und Freiwilligen standen dicht gedrängt unter einem großen Pavillon, tranken ihren verfluchten Tee und warteten, dass der Regen aufhörte.

Keine Ruhe für die Geplagten, dachte Ray, beförderte die Schubkarre schnell die Holzplanke hinauf und wäre fast von ihr heruntergerutscht, bevor er den Inhalt auf den Haufen kippte.

Dann drehte er sich flink mit seiner Karre um und lief wieder hügelabwärts.

Tom und er hatten drei flache Gräben in unterschiedlichen Bereichen der Weide ausgehoben, jedes Mal unter strenger Beobachtung von Goodchild und den anderen, die mit Kellen und Eimern bereitstanden.

Es war eine Arbeit mit ständigen Unterbrechungen, bei der Ray und Tom immer wieder ein bisschen gruben, dann warteten, während die anderen nach weiß der Himmel was suchten. Anschließend wieder graben, warten und immer so weiter.

Und all das für eine bescheuerte Brücke!

Schließlich war Goodchild auf den Bagger zugegangen und hatte eine Hand in die Höhe gereckt, um sich Gehör zu verschaffen – als stünden sie mitten in einem Tornado und nicht bloß in dichtem Regen.

»Wir haben noch Zeit für einen weiteren Graben – was, Jungs –, bevor wir für heute Feierabend machen, nicht?«

Ray hatte eigentlich gedacht, dass jetzt bereits Schluss sein würde!

Aber Goodchild hatte noch einen Bereich am Waldrand markiert, wo sie graben sollten, und war im nächsten Moment schon wieder nach oben verschwunden.

Für ihn ist ja alles in bester Ordnung, denn er hockt nur in seinem Wagen herum und hört Radio, dachte Ray. Während ich hier im verfluchten Dauerregen schufte, nass bis auf die Haut bin, die Stiefel voller Wasser und überall Schlammspritzer habe. Und all das ohne einen einzigen Becher Tee den ganzen Tag …

Er ging vorsichtig in weitem Abstand an dem fahrenden Bagger vorbei, sodass Tom stets gut sehen konnte, wo er gerade war. Dann stellte er die Schubkarre ab und schaute zu, wie die große Baggerschaufel fünfzehn Zentimeter Erdschicht in dem markierten Bereich abtrug.

Dann …

Irgendein Gefühl brachte Ray dazu, zwischen die Bäume zu sehen.

Wieder ein helles Aufblitzen.

Hatte sich da jemand bewegt?

Verflucht, wer zur Hölle versteckt sich da?

Er beschloss, genauer hinzuschauen, und machte ein paar Schritte auf die Bäume zu, doch dann …

»Ray!«

Er drehte sich um und sah, dass Tom den Kopf aus dem Seitenfenster des Führerhauses streckte und ihn zu sich winkte. Ray kehrte zum Bagger zurück.

»Ray, guck dir das mal an, ja?«, forderte Tom ihn auf und nickte zum Graben.

Ray schritt behutsam an der Seite des markierten Bereichs entlang. Der Graben war etwa sechs Meter lang, anderthalb Meter breit und dreißig Zentimeter tief – und, wie Ray zugeben musste, sehr sauber und ebenmäßig ausgehoben. Die Baggerschaufel hatte glatte, scharfe Ränder hinterlassen: nur grünes Gras auf der einen Seite, schwarze Erde auf der anderen.

Nicht übel, bei den vielen Wurzeln. Aber in der Mitte des Grabens sah Ray einen großen Flecken andersfarbiger Erde – braun und grau, durchsetzt von winzigen Steinchen.

Er wandte sich wieder Tom zu. »Die Stelle hier ist schon mal umgegraben worden«, sagte er.

Tom nickte. Er hatte seinen Kopf immer noch zum Seitenfenster herausgestreckt, sodass er vollgeregnet wurde. »Dachte ich auch.« Er stellte den Baggermotor ab und stieg aus der Kabine.

Ray blickte sich auf der Weide um.

»Komische Stelle, um ein Loch zu buddeln«, meinte er. »Glaubst du, hier könnte ein Schatz sein?«

In dem Fall würde ich alles Mögliche tun, um dafür zu sorgen, dass er vor Goodchild und seinen Brückenjägern versteckt bleibt!

»Kann man nie wissen«, antwortete Tom und betrachtete die Erde. »Das können wir nur auf eine Weise in Erfahrung bringen.«

»Überflüssig, es dem Boss zu erzählen, was?«, fragte Ray.

Er sah, wie Tom am Bagger vorbei zu den Archäologen am oberen Ende der Weide blickte.

Dann grinste Tom. »Es wäre ein Jammer, ihn aus dem Trockenen zu scheuchen, wenn da vielleicht gar nichts ist.«

Ray wusste genau, was Tom dachte. Und der Bagger stand vor dem Graben, also konnte Goodchild nicht sehen, was sie hier taten.

»Ich hole mal die Schaufel«, sagte Ray. Tom schaute zu, wie Ray zur Schubkarre ging und mit ihr und der Schaufel zurückkam.

Abgeschirmt von dem Bagger, machten die beiden sich ans Werk.

Ray rammte die Schaufel in die andersfarbige Erde. Hier glitt sie leicht in den Untergrund – sehr viel leichter als in dem von Wurzeln durchzogenen Boden überall sonst –, und Ray hievte einen großen Klumpen nach oben.

Er sah Tom an, und der Baggerfahrer erwiderte seinen Blick mit hochgezogenen Augenbrauen.

Was haben wir denn hier?

Ray grub noch eine Schaufel voll Erde aus, dann eine dritte, die er alle in die Schubkarre fallen ließ.

Das Erdreich war locker. Lockerer, als es sein sollte.

»Komisch«, sagte Ray. »Wenn das hier zu Römerzeiten gegraben wurde, sollte man doch meinen, dass der Boden fester ist, so wie der Rest hier unter der Weide.«

»Es muss ja kein Römerschatz sein, oder?«, erwiderte Tom. »Schatz ist Schatz – Hauptsache, alt.«

Ray verschnaufte kurz und sah nach unten. Er hatte inzwischen eine ziemlich große Grube ausgehoben, mindestens einen knappen Meter tief, und immer noch war das Erdreich locker.

»Wer auch immer das war, er hat verflucht tief gebuddelt«, sagte er. »Er wollte definitiv nicht, dass jemand findet, was er vergraben hat.«

»Eben«, bestätigte Tom grinsend.

Ray griff erneut nach der Schaufel und trieb sie in den weichen, lehmigen Erdboden.

Knack!

Etwas Hartes.

»Aha!«, entfuhr es Ray. Er ließ die Schaufel zur Seite fallen und blickte hinauf zu Tom.

Der grinste ihn an.

»Gib mir mal eine von den Kellen«, sagte Ray und nickte zu dem Eimer mit Werkzeug, den einer der Studenten im Führerhaus des Baggers gelassen hatte.

Ray wartete, bis Tom ihm die Kelle gereicht hatte, dann ging er auf alle viere hinunter und begann am Grund der Grube zu schaben.

Also das ist – echt spannend.

»Was ist da unten?«, fragte Tom.

»Immer mit der Ruhe«, entgegnete Ray.

Er spähte in das dunkle Loch. Die Luft war klamm und süßlich, die Erde schwarz und satt, aber durchzogen von Kies und braunem Sand.

Er fühlte, wie die Kelle über etwas Hartes kratzte.

Holz? Metall?

Eine Schatztruhe?

Ray schabte schneller, an etwas Festem entlang. Jetzt bemerkte er, wie Umrisse zum Vorschein kamen – Umrisse von etwas Hellem.

Er legte die Kelle zur Seite und benutzte die Finger, kratzte mit ihnen die schlammige Erde weg, strich mit der Hand an dem Gebilde entlang, das sich jetzt irgendwie … bekannt anfühlte …

Seine Finger tauchten in einen Spalt an der Längsseite des Dings – es war erst glatt und dann knubbelig.

Schließlich begriff er …

Er schreckte zurück, riss die Kelle weg.

»Knochen«, sagte Ray.

»Was?«, rief Tom. »Oh Mist!«

Ray hörte auf zu graben.

»Wahrscheinlich ein altes Schaf. Oder eine Kuh.«

Er stand auf und begann sich den Schmutz von der Jeans abzuwischen.

»Verdammte Zeitverschwendung war das«, sagte Ray. »War ja wieder mal klar.«

»Wie es aussieht, musst du jetzt den ganzen Dreck wieder zurückschaufeln, Alter.«

Auf einmal war es allein Ray überlassen, diese Schweinerei wieder in Ordnung zu bringen – jetzt, wo ihre Hoffnungen auf einen Schatz zerplatzt waren.

»Ehe der Boss sieht, was du gemacht hast«, fügte Tom hinzu.

Ray wischte sich Regen und Schweiß vom Gesicht und starrte Tom an.

Mistkerl, dachte er.

Doch dann bemerkte er etwas Blankes in der Grube.

Er sah hinunter in das finstere Loch. Ja, da …

»Warte mal«, sagte er und kniete sich wieder hin. »Ich glaube, wir haben doch Glück.«

Er griff in die Erde, kratzte sie mit den Fingern weg. Fetzen alten Stoffs lösten sich, und er beförderte sie zusammen mit den Erdklumpen nach oben.

Und dann …

Da war wirklich etwas Glänzendes.

Seine Finger ertasteten etwas Hartes.

Hastig grub er weiter.

Ja! Das war irgendein Schmuck – musste es sein!

Diamanten! Gold!

Ray griff nach dem Objekt, zog es nach oben. Und als es aus dem Boden hervorkam, wurde gleich ein langer, alter Knochen mit nach oben geholt: ein Kuh-, Schweins- oder Schafsknochen – weiß der Geier, was das sein mochte.

Der weiße Knochen löste sich zunächst leicht aus dem Erdreich, glitt mit einem Schmatzen aufwärts, bis er plötzlich … festhing.

Gleichzeitig erstarrte Ray, der nicht begreifen konnte, nicht glauben wollte, was ihm seine Augen mitteilten …

Entgeistert blickte er das … Ding … in seiner Hand an: dieses Ding, das er in seinen Fingern hielt und das sich anfühlte und geformt war wie …

Verdammt, es besteht kein Zweifel.

Es war ein menschlicher Arm, gebrochen, blank, weiß – mit einer skelettierten Hand unten dran.

Und an diesen Knochenteilen befand sich eine Armbanduhr aus schimmerndem Metall und Glas.

Jetzt war auch noch etwas anderes deutlich in der Erde zu erkennen …

Ein Schädel, knochenweiß, umgeben von Stofffetzen, die Augenhöhlen voller Erde, die Zähne entblößt und braun – der Unterkiefer nach unten geklappt, als wollte der Kopf Ray etwas zurufen, ihm danken, dass er ihn nach all der Zeit befreit hatte.

»Ach du Schande«, sagte Ray, richtete sich auf und wich vor dem Skelett zurück. Zitternd stand er im strömenden Regen und schaute hinab auf seine dreckigen, schlotternden Hände.

»Jetzt guck dir an, was wir gemacht haben!«

3. Der Volksfest-Ausschuss

Jack Brennan lehnte sich auf dem Holzstuhl zurück, der sich anfühlte, als wäre er für sehr viel kleinere Menschen gebaut worden.

Sowie er auf der kleinen Sitzfläche das Gewicht verlagerte, reagierte das Möbelstück mit lautem Knarzen und Ächzen.

In diesem Land ist alles so alt, dachte er.

In seiner amerikanischen Heimat galt schon alles, was hundert Jahre alt war, als wertvolles Vermächtnis der Vorfahren, ja sogar als Schatz!

Hier … war es schlicht Mobiliar.

Jack blickte sich in dem vollen Gemeindesaal um. Mit den großen Öl-Porträts früherer Bürgermeister und den hohen Fenstern wirkte der Raum wie eine Mischung aus mittelalterlicher Burghalle und Kirche.

Als Kind in Brooklyn hatte Jack solche Säle nur aus dem Fernsehen gekannt. Das Einzige, was fehlte, war ein Robin Hood, der an einem Kronleuchter herangeschwungen kam, das Schwert gezückt, um Lady Marian zu retten.

Doch heute Abend sah nicht alles so aus, als gehörte es in den Geschichtsunterricht.

Hoch an der Wand vorn hing eine Leinwand, und darunter saßen die ungefähr ein Dutzend Mitglieder des hochgeschätzten Cherringhamer Volksfest-Ausschusses an einem langen Tisch, alle richtig geschäftsmäßig mit Laptops und Ordnern, Smartphones und Laserpointern vor sich.

Die meisten Gesichter waren Jack aus dem Dorf vertraut. Er kannte sogar zwei oder drei der Ausschussmitglieder ziemlich gut – den hiesigen Anwalt und Notar Tony Standish, mit dem er seit Langem befreundet war, den Vikar Simon Hewitt und den Klempner Pete Bull.

Einige wenige hatte Jack noch nie zuvor gesehen, wie vor allem den gehetzt wirkenden Mann am Tischende, der einen eher schäbigen Anzug trug und über sein Mobiltelefon gebeugt war.

Jack sah sich unter dem Publikum um, unter all den treuen Freiwilligen, die hier waren, um die abschließenden Pläne für das alljährliche Volksfest durchzugehen.

Nur noch eine Woche bis zum Höhepunkt des Sommers. Und bis, wie Jack zugeben musste, zu einer der ihm liebsten Zeiten des Jahres. An diesen Tagen lernte man das englische Landleben von seiner Schokoladenseite kennen, in all seiner Exzentrik, Skurrilität und manchmal auch in seiner Bierseligkeit.

Inzwischen lebte er seit einigen Jahren in Cherringham, aber dies war das erste Mal, dass man ihn dazu eingeladen hatte, »hinter die Kulissen« zu blicken und zu erleben, wie die Veranstaltung auf die Beine gestellt wurde.

Ich weiß allerdings immer noch nicht, was mir diese Ehre verschafft hat, dachte er.

Er schaute hinter sich. Eigentlich hatte er gehofft, dass Sarah, seine gute Freundin und Partnerin bei gelegentlichen Privatermittlungen, heute Abend hier wäre.

Als selbstständige Webdesignerin mit eigenem Büro gab sie nebenher auch den Online-Newsletter des Dorfes – Newswire – heraus, und Jack wusste, dass heute Abend ihre letzte Chance war, das Programm für das Volksfest zu überprüfen, bevor sie es im Newsletter online stellte.

Aber Sarah hatte ihm heute eine Textnachricht geschickt, in der sie ihm mitteilte, dass sie keine Zeit hätte – Ich dachte, dass es mit Kindern leichter werden soll, wenn sie größer sind –, und ihn fragte, ob er so nett sein könnte, für sie Notizen zu machen.

Ein Jammer, dass sie nicht hier ist, dachte Jack. Bei Veranstaltungen wie dieser vermisste er sie.

»Wollen wir die Plätze tauschen, Jack?«, fragte eine Stimme neben ihm.

Jack drehte sich um und sah Josh Robinson, den älteren Besitzer von Cherringham Electricals, der ihn durch seine große Brille ansah.

»Entschuldigung, Josh«, sagte Jack. »Irgendwie kann ich nicht verhindern, dass dieses Ding unter mir wie verrückt quietscht.«

»Ist nicht für so große Männer wie Sie gedacht«, antwortete Josh leise und ergänzte etwas lauter: »Je eher diese Versammlung anfängt, desto besser.«

Und als hätte das Komitee ihn gehört, ertönte die kleine Klingel vorn auf dem Tisch, worauf es still im Saal wurde.

Jack sah, wie die Frau in der Tischmitte behutsam gegen ihr Mikrofon klopfte.

Sie musste Mitte vierzig sein und strahlte diese Konzentration aus, wie sie Menschen in Führungspositionen auszeichnete. Ihr Haar war zu einer perfekten Rolle aufgesteckt, und sie beugte sich nach vorn, um zu sprechen.

Dann schien sie zu bemerken, dass der Mann am Tischende immer noch mit seinem Handy beschäftigt war.

»Mr Simpson, wenn ich bitten darf?«, sagte sie streng.

Der Angesprochene blickte auf, nickte verlegen und steckte sein Telefon ein.

Ein bisschen wie Hillary Clinton, ging es Jack durch den Kopf. Mit ihr legt man sich lieber nicht an.

Er beobachtete, wie sie sich mit einem ruhigen Lächeln dem Publikum zuwandte. »Vielen Dank, dass Sie so zahlreich erschienen sind. Ich verspreche Ihnen, dass wir Sie nicht länger beanspruchen werden, als nötig ist. Heute Abend gibt es keine Predigten – stimmt’s, Vikar?«

Jack sah, wie sie zu Reverend Hewitt am anderen Ende des Tisches schaute. Der Geistliche nickte nervös, während ein höfliches Lachen durch den Saal ging.

»Für diejenigen von Ihnen, die mich nicht kennen: Ich bin Amanda Tyler, die diesjährige Vorsitzende des Ausschusses. In dieser Eigenschaft habe ich die Verantwortung dafür, dass den netten Menschen von Cherringham das beste Volksfest aller Zeiten ausgerichtet wird – natürlich auch zum allerbesten Preis! Ob wir auch noch das bestmögliche Wetter haben werden … Nun, in dem Punkt verlasse ich mich auf Reverend Hewitt, der mir versichert hat, ein gutes Wort für uns beim Allmächtigen einzulegen!«

Mehr Gelächter. Ein weiteres zaghaftes Nicken vom Vikar. Jack lächelte höflich.

»Heute Abend werden wir das endgültige Programm für die Woche durchgehen«, fuhr Amanda fort. »Wir haben eine Menge zu besprechen, daher bitte ich Sie alle, nur zu reden, wenn es unbedingt nötig ist. Das gilt natürlich nicht für Sie, Mr Brennan. Gewiss sind wir alle sehr an Ihrer Meinung interessiert, nicht wahr?«

Jack sah, dass Amanda sich abermals vorbeugte und ihn nun direkt ansah. Obwohl er ihr nur einmal kurz beim Volksfest im letzten Jahr begegnet war, schien sie sich an ihn zu erinnern.

Ein Raunen hob im Raum an, und pflichtschuldig drehte Jack sich zum Publikum um.

Dabei knarzte sein Stuhl so laut, dass es durch den ganzen Saal hallte.

»Ah, gut gesagt, Jack«, kicherte Josh und schlug ihm auf den Schenkel. »Sehr gut gesagt!«

»Hm, nun, meine Damen und Herren, kommen wir zur Sache. Hier ist unser Vizevorsitzender, der Ihnen – wie würden die Amerikaner es formulieren, Jack? – alle nackten Fakten zu dem diesjährigen Cherringhamer Sommervolksfest und seinem faszinierenden Motto mitteilen wird!«

Es folgte ein kurzer Applaus, dann stand Tony Standish auf, um zum Publikum zu sprechen.

»Vielen Dank, Amanda! Zunächst möchte ich eine Entschuldigung ins Protokoll aufnehmen lassen. Ähm, sie kommt von Will Goodchild, der heute Abend leider nicht hier sein kann. Es gab einen unglücklichen Zwischenfall etwas weiter flussaufwärts, wie ich es verstanden habe. Ähm …«

Die Ausschussmitglieder unterhielten sich leise miteinander. Die sind eindeutig nicht froh.

Der Leichenfund an der Ausgrabungsstätte letzte Woche schien nach wie vor die Fantasien halb Cherringhams zu befeuern.

Jack war enttäuscht, Will heute Abend nicht zu sehen. Er war der Historiker von Cherringham und Autor einer Reihe von Büchern zur Lokalgeschichte. Im Laufe der Jahre hatte er Jack und Sarah bei diversen Fällen geholfen und bemühte sich eifrig, Jack in englischer Geschichte zu »unterrichten«.

Obwohl Will bisweilen ein wenig anstrengend sein konnte, schätzte Jack seine Begeisterung für sein Fach.

Tony klopfte mit seinem Stift gegen den Wasserkrug, und es wurde wieder still im Saal. »Ich möchte an das Motto erinnern, an dem Sie alle gearbeitet haben.«

Er drückte einige Tasten seines Laptops, und auf der Leinwand hinter ihm erschienen zwei Banner – Stars and Stripes und Union Jack –, die ineinander verflochten waren. Darüber stand in geschwungenen Lettern: »Eine besondere Beziehung«.

Jack wurde bewusst, dass sich nun alle Blicke auf ihn richteten – und zu spät fiel ihm ein, in die Hände zu klatschen.

Fast genau ein Jahr war es her, dass Jack beim letzten Volksfest – und, offen gesagt, nach einigen Bieren – gescherzt hatte, ein amerikanisches Volksfest-Motto wäre ziemlich cool.

Nie hätte er erwartet, dass die Leute ihn ernst nehmen würden. War doch bloß ein Witz, Leute.

Aber sie taten es.

Und jetzt saß er hier, und alle sahen ihn an, als wäre es seine Idee gewesen.

Was es wohl auch war, dachte er.

»Wir haben das Programm für eine ganze Woche unterhaltsamer Events durchzugehen, fangen wir also lieber an. Als Erstes die Eröffnungsfeier, die in diesem Jahr dank unserer großzügigen Vorsitzenden, Mrs Tyler, im prächtigen Todwell House stattfinden wird!«

Jack sah, wie Amanda Tyler vornehm den Kopf neigte.

»Das Festkomitee hat fleißig an den Ständen gearbeitet«, fuhr Tony fort. »Alles Nähere dazu erfahren Sie nun von Jen und Joan Buckland, an die ich hiermit übergebe.«

Die Lichter im Saal wurden gedimmt, und die Buckland-Schwestern – die krimibegeisterten Zwillinge, denen aufgrund eines Erlasses von König Charles I. persönlich die Zollbrücke von Cherringham gehörte – standen von ihren Plätzen in der ersten Reihe auf und begannen mit ihrer Präsentation.

Das wird interessant, dachte Jack. Und zumindest würde jetzt, dank der gedämpften Lichter, keiner seine Reaktionen sehen. Auch wenn es jeder hören dürfte, sollte sich sein Stuhl erneut bewegen.

Eine der Bucklands – Jen, vermutete Jack, denn seiner Erfahrung nach war sie die »Forschere« von beiden – begann zu sprechen.

Dann klickten sich die Bucklands durch Bilder, die – in ihren Augen – für Sommer und Spaß in der ehemaligen englischen Kolonie Amerika standen.

»Wie üblich haben wir viele Stände und Spiele, und für alle haben wir gründliche Recherchen durchgeführt. Bei diesem hier … fängt man eine schwimmende Ente und gewinnt einen Preis.«

Jack grinste. Das war zweifellos ein Spiel für ein Volksfest.

Aber amerikanisch?

Weitere Bilder von Volksfest-Spielen erschienen, sogar eines mit Kisten von Retro-Colaflaschen, um die ein Holzring geworfen werden musste.

Viel Spaß damit …

»Und jetzt zum Essen, für das wir ebenfalls sorgfältig recherchiert haben. Sicher wird Jack Brennan mir zustimmen, dass es sehr authentisch ist!«

Noch ein Klick, und es leuchtete das Bild von einem sommersprossigen Kind auf, das den größten Hotdog aller Zeiten verschlang. Die Garnierung quoll förmlich aus dem Brötchen heraus. Als Nächstes kam das Foto einer Familie: Alle mampften Maiskolben, von denen die geschmolzene Butter herabtropfte.

Platten voller Burger und Chips.

Ähm … Crisps?

»Wir haben das doch richtig hinbekommen, nicht wahr, Jack?«

Nun drehten sich alle wieder erwartungsvoll zu ihm, und im grellen Lichtschein des Projektors sahen die Gesichter wie kleine Monde aus.

»Absolut«, antwortete Jack. »Ich kann es kaum erwarten.«

Allenthalben wurde zustimmend genickt und gemurmelt. Das Publikum freute sich über sein Urteil.

»Und zu guter Letzt«, sagte Jen, die bei dieser Ankündigung strahlte, »haben wir mit Mr Jeffries gesprochen, dem Leiter des Schulorchesters. Das Orchester wird den Nachmittag über auf dem Gelände des Todwell House Stücke von Gershwin, Bernstein und Sondheim spielen. Und natürlich gibt es am letzten Abend des Volksfestes einen motorisierten Umzug durch das Dorf, den das Schulorchester anführt und bei dem es, wie man uns versprochen hat, den großartigen Marsch von John Philip Sousa spielen wird: Stars and Stripes Forever!«

Hiermit endete die Präsentation, die Lichter im Saal gingen wieder an, und die Bucklands erhielten zum Dank für ihre Arbeit eine Menge Applaus.

Der von Jack fiel am lautesten aus.

Nun stand Tony wieder auf.

»Wunderbar, Joan. Ähm … ich meine, Jen«, sagte er. »Kommen wir dann zu den übrigen Programmpunkten, die ich kurz auflisten möchte: Da ist der Spendenlauf, die Schatzsuche im Dorf, der Kegelabend, das Todwell-Challenge-Cricketspiel – immer wieder ein Spaß, wie wir alle wissen! – und die Cherringham Players mit ihrer unnachahmlichen Präsentation von Broadwayklassikern …«

Tony hielt kurz inne und blickte auf, ob jemand Fragen hatte. Da keine kamen, fuhr er mit der Aufzählung fort.

»Ähm, dann die Regatta. Und natürlich der Volksfest-Umzug, der in diesem Jahr von der Cherringham Vintage Car Association geleitet wird. Und – eine wunderbare Idee, Jack – das Freiluftkino auf dem Gelände von Todwell House. Unser ureigenes Autokino! Was für ein Film wird noch gleich gezeigt, Jack?«

»American Graffiti«, antwortete Jack. »Fantastischer Soundtrack. Das wird ein großartiger Abend, versprochen.«

»Da bin ich mir sicher«, sagte Tony. »Und schließlich findet am Samstag der große Grillabend mit Preisverleihung statt!«

Erneut gab es viel Applaus vom Publikum.

»Nun, wie immer steckt der Teufel im Detail. Ich glaube, es sind alle Organisationsteams für die verschiedenen Veranstaltungen hier, also sollten wir uns jetzt die anderen Präsentationen ansehen. Wer ist der Nächste? Wie wäre es mit dem Team für den Umzug? Ja?«

Gary Scott, einer der jungen Männer von der Feuerwehr, den Jack von einem Fall vor ein paar Jahren kannte, trat nach vorn und klappte seinen Laptop auf.

Jack bewegte sich auf seinem Stuhl nach hinten, worauf es wieder laut knarzte.

Auf der Leinwand erschien eine Karte von der Dorfmitte Cherringhams, und Gary nahm einen Laserpointer auf, um den zeitlichen Ablauf des Festumzugs vorzustellen.

Das wird bestimmt noch ein sehr langer Abend …

Eine Stunde später hatten die letzten Freiwilligen ihren Vortrag beendet, und Jack sah, dass Amanda aufstand, um sich erneut an die Organisationsteams zu wenden.

»Damit wäre alles komplett«, stellte sie fest. »Ein wundervolles Programm – Sie sollten alle sehr stolz auf sich sein. Viel Glück Ihnen allen! Schenken wir Cherringham eine fantastische Volksfest-Woche!«

Jack stimmte in den Applaus ein und war froh, endlich diesen knarrenden Stuhl verlassen zu können. Er stand auf und wollte weggehen, als er sah, wie Tony vom Podium stieg und zu ihm kam.

»Vielen Dank, dass du heute Abend gekommen bist, Jack«, sagte er. »Was hältst du von dem Programm, dem Essen und den Ständen? Ziemlich authentisch, was?«

»Genau wie ein Volksfest in meiner Heimat«, versicherte Jack dem älteren Anwalt.

»Wundervoll!«

Jack entging nicht, dass Tony unsicher zögerte.

Hm. Jetzt erfahre ich wohl den wahren Grund, warum ich heute Abend eingeladen worden bin, dachte Jack.

»Hast du vielleicht noch fünf Minuten, Jack?«

»Klar.«

»Hervorragend! Wir haben da etwas, bei dem du uns vielleicht helfen könntest. Ich denke, du bist der Richtige dafür. Bin sofort wieder zurück!«

Jack sah ihm nach, als er wegging, und fragte sich, auf was für eine Sache er sich nun eingelassen hatte …

4. Eine kleine Überraschung

Jack wartete an einem der hohen Fenster, während sich der Saal leerte. Draußen in der Dämmerung war die mit Fahnen und Wimpeln geschmückte High Street zu sehen, bereit für die Festivitäten, die in der nächsten Woche beginnen sollten.

Auf der Straße herrschte noch reger Betrieb. Einheimische und Touristen kamen aus den Restaurants und Pubs und schlenderten durch die warme Abendluft.

Schließlich kehrte Tony mit Pete Bull im Schlepptau zurück.

»Tut mir leid, dass ich dich warten ließ, Jack«, entschuldigte sich Tony. »Pete kennst du bereits, nehme ich an?«

Jack nickte und schüttelte Pete die Hand. Pete war ein netter, verlässlicher Klempner. Er war schon oft bei Jack gewesen, um die Rohre und Pumpen auf seinem alten Boot instand zu setzen. Was nicht immer ein leichtes Unterfangen war, denn die Grey Goose schien manchmal kurz davorzustehen, ihren Abschiedstörn gen Altmetallhof antreten zu müssen.

»Nun denn«, sagte Tony. »Pete und ich würden gerne deine Meinung zu den Feierlichkeiten am Fluss hören. Wir haben da nämlich ein kleines Problem.«

»Jack, du weißt ja, wie es bei uns normalerweise abläuft«, begann Pete. »Crew-Veranstaltungen, Mini-Regatten, alle möglichen Wettbewerbe. Das Standardprogramm.«

Jack nickte den beiden zu. Er hatte noch keinen Schimmer, worauf die zwei hinauswollten.

»Für gewöhnlich leitet Michael Edwards das Ganze, wie dir sicher bekannt ist«, sagte Tony.

Im Laufe der Jahre, die Jack mittlerweile in Cherringham lebte, war er bei vielen Regatten gewesen, die Sarahs Vater geleitet hatte. Alle waren sehr unterhaltsam und perfekt organisiert gewesen. Diesen Sommer jedoch waren Sarahs Eltern in Australien.

»Jedenfalls … weil Michael nicht da ist, wurde die Regatta ein bisschen im Ausschuss hin und her geschoben. Pete hat sich wacker bemüht, um diese Sache im Griff zu behalten, aber er hat ja noch seine Firma, um die er sich kümmern muss.«

Pete sah Tony an, und Jack schätzte, dass sie beide schon entschieden hatten, was als Nächstes kam.

In diesem Moment bemerkte er, dass ein Mann – es handelte sich um den eifrigen SMS-Schreiber aus dem Ausschuss – recht auffällig in ihrer Nähe stand.

»Ah, Tim, perfektes Timing!«, sprach Tony ihn an. »Darf ich Ihnen Jack Brennan vorstellen?«

Jack schüttelte Tim die Hand. Der Mann wirkte irgendwie abgelenkt, als müsste er dringend irgendwo anders sein.

»Das ist Tim Simpson«, stellte Tony ihn vor. »Er regelt sämtliche Versicherungen für das Volksfest – ein höllischer Job heutzutage, kann ich dir sagen!«

»Freut mich«, sagte Jack. »Ich glaube nicht, dass ich Sie aus dem Dorf kenne.«

»Ähm, nein«, bestätigte Tim. »Mein Büro ist in Bourton. Aber ich bin froh, dass ich hier aushelfen kann.«

»Es ist mehr als nur eine kleine Hilfe«, betonte Tony. »In dieser Zeit sind Versicherungen für Veranstaltungen – mit all den möglichen Schadensersatzklagen – ein wahrer Albtraum. Es wird wegen allem und jedem geklagt. Ohne Tim hier, der uns in alle Richtungen absichert, hätten wir kein Volksfest.«

»Na ja, ich tue, was ich kann.« Tim blinzelte nervös. »Alles für einen guten Zweck.«

»Jedenfalls, wie ich schon sagte«, griff Tony den Faden wieder auf, »steht die Regatta noch nicht ganz. Bei dem Angebot für die Kinder brauchen wir noch etwas Unterstützung.«

»Den Ablauf haben wir organisiert – so wie letztes Jahr«, sagte Pete. »Aber, tja, wir haben keine Ahnung, wie wir das machen sollen, damit es amerikanisch wirkt.«

»Es fehlt einfach noch – wie würdest du es ausdrücken, Jack? – der gewisse Pep! Verstehst du?«