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Karl Kraus

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Beschreibung

Dass Karl Kraus seine Sprache am Herzen lag, wäre eine Untertreibung von epochalem Ausmaß. Er war der Streiter für und mit der deutschen Sprache. Karl Kraus war einer der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er war Publizist, Satiriker, Lyriker, Aphoristiker, Dramatiker, Mäzen, Sprach- und Kulturkritiker und ein scharfer Kritiker der Presse und des Hetzjournalismus oder, wie er selbst es ausdrückte, der "Journaille". Dieses Buch bietet einen kleinen Ausschnitt, gewissermaßen als Appetitanreger, Kraus' Arbeiten. Null Papier Verlag

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Karl Kraus

Eine Auswahl

Gedichte und Aufsätze zur deutschen Sprache

Karl Kraus

Eine Auswahl

Gedichte und Aufsätze zur deutschen Sprache

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 1. Auflage, ISBN 978-3-954189-87-8

null-papier.de/455

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Au­tor

Aben­teu­er der Ar­beit

Ant­wort an Rosa Lu­xem­burg von ei­ner Un­sen­ti­men­ta­len

Bei den Tsche­chen und bei den Deut­schen

Be­kennt­nis

Den Neu­bild­nern

Der Feuil­le­to­nist

Der Irr­gar­ten

Der Reim

Der Reim

Die Spra­che

Die Spra­che

Dienst der Kunst

Franz Wer­fel

Ein Brief Rosa Lu­xem­burgs

Eine Rich­tig­stel­lung

Ein­ge­deutsch­tes

Hei­ne und die Fol­gen

Her­rin und Magd

Hier wird deutsch ge­spuckt

Sa­kri­leg an Ge­or­ge oder Süh­ne an Sha­ke­s­pea­re?

Schän­dung der Pan­do­ra

Sprach­leh­re

Sub­jekt und Prä­di­kat

Es

Es ist der Va­ter …

Was ist Es?

Was; der und wel­cher

Es ist der Geist …

Psy­cho­lo­gie und Gram­ma­tik

Von Hu­mor und Ly­rik

In­dex

Dan­ke

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Autor

Dass Karl Kraus sei­ne Spra­che am Her­zen lag, wäre eine Un­ter­trei­bung von epo­cha­lem Aus­maß. Er war der Strei­ter für und mit der deut­schen Spra­che. Karl Kraus war ei­ner der be­deu­tends­ten ös­ter­rei­chi­schen Schrift­stel­ler des 20. Jahr­hun­derts. Er war Pub­li­zist, Sa­ti­ri­ker, Ly­ri­ker, Apho­ris­ti­ker, Dra­ma­ti­ker, Mä­zen, Sprach- und Kul­tur­kri­ti­ker und ein schar­fer Kri­ti­ker der Pres­se und des Hetz­jour­na­lis­mus oder, wie er selbst es aus­drück­te, der »Jour­nail­le«.

Am 28. April 1874 kommt Kraus als neun­tes und jüngs­tes Kind des jü­di­schen Fa­bri­kan­ten Ja­kob Kraus im böh­mi­schen Jit­schin zur Welt. Die Fa­mi­lie ge­hör­te dem ge­ho­be­nen Mit­tel­stand an, als er 3 Jah­re alt ist, zieht die Fa­mi­lie nach Wien.

Nach dem Ma­tu­ra be­ginnt Kraus ein Stu­di­um der Rechts­wis­sen­schaft. Von da an ver­öf­fent­licht Kraus auch re­gel­mä­ßig vie­le Ar­ti­kel in ver­schie­dens­ten Ma­ga­zi­nen. Zu­nächst kon­zen­triert er sich auf Li­te­ra­tur- und Thea­ter­kri­ti­ken.

Kraus’ An­sich­ten sind – wenn nicht ra­di­kal – doch zu­min­dest streng. Zu viel liegt ihn an der Spra­che, als dass er ver­meint­li­che oder ver­mu­te­te Kom­pro­mis­se ein­zu­ge­hen ge­willt ist. Um des letz­ten Wor­tes wil­len und nicht sel­ten um den Preis ei­ner ät­zen­den Sa­ti­re, zer­strei­tet er sich schon mal mit eins­ti­gen För­de­rern und Freun­den. Was dem einen eine Pe­ti­tes­se ist, kann für Kraus den li­te­ra­ri­schen Welt­un­ter­gang be­deu­ten – min­des­tens.

Wie ei­nem Schmet­ter­ling gleich, der mit sei­nem Flü­gel­schlag einen Sturm aus­löst, sieht er im feh­len­den oder über­flüs­si­gen Bin­de­strich gar die Macht, Ge­sell­schaft und Po­li­tik be­ein­flus­sen zu kön­nen.

So­weit geht gar sei­ne Kri­tik an der noch in den Kin­der­schu­hen ste­cken­den Pres­se, dass sei­ne nicht sel­ten has­s­er­füll­ten At­ta­cken selbst auf eine li­be­ra­le­re Pres­se einen ul­tra­kon­ser­va­tiv ge­färb­ten An­ti­li­be­ra­lis­mus zu­ta­ge tre­ten las­sen.

Maß­geb­lich und lehr­reich wie bei kei­nem Zwei­ten sind sei­ne Aus­füh­run­gen zu den »an­de­ren Gro­ßen« der deut­schen Spra­che vor ihm: Hei­ne, Goe­the oder Schil­ler.

Auch ist er wie so vie­le In­tel­lek­tu­el­le deut­scher Schu­le ent­setzt über die Grau­sam­kei­ten im Eu­ro­pa des be­gin­nen­den Zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts. Nichts hat sich ver­än­dert, über­all herrscht Des­po­tis­mus, Un­ter­drückung, Ob­rig­keits­hö­rig­keit und Aus­beu­tung – kul­mi­niert in der Kno­chen­müh­le des Ers­ten Welt­krie­ges.

Fast schon muss man er­leich­tert sein, dass Kraus selbst die Gna­de ei­nes frü­hen To­des fand, lan­ge an den Fol­gen ei­nes ba­na­len Zu­sam­men­sto­ßes mit ei­nem Fahr­rad­fah­rer lei­dend, er­liegt er schließ­lich am 12. Juni 1936 ei­nem Herz­in­farkt. Den Zwei­ten Welt­krieg muss er nicht mehr er­le­ben.

Die­ses Buch bie­tet einen klei­nen Aus­schnitt, ge­wis­ser­ma­ßen als Ap­pe­tit­an­re­ger, Kraus’ Ar­bei­ten.

Abenteuer der Arbeit

Was leicht mir in den Schoß fiel, wie schwer muß ich’s er­wer­ben, bang vor des Worts Ver­der­ben. O daß mir die­ses Los fiel! Zu­erst war’s in der Hand mir, dann woll­t’ es sich ent­fer­nen, da mußt’ ich su­chen ler­nen; es schwin­det der Ver­stand mir. Das Wort hier ist ein Zun­der für das an je­ner Stel­le Gleich brennt die gan­ze Höl­le. Das Wort ist mir ein Wun­der. Wie öff­net es die Li­der, die sonst ge­schlos­sen wa­ren. Hier gibt es nur Ge­fah­ren. Ich kenn’ das Wort nicht wie­der. Tausch’ ich es, wird’s mich täu­schen. Wie es sich an mich klet­tet, seit­dem ich es ge­ret­tet aus viel­fa­chen Geräuschen. Das was mir ein­fiel, hat mich, der ich’s nie ha­ben wer­de, ich steh’ auf schwan­ker Erde und set­ze sel­ber matt mich. Ich wähl’ im Zwei­fels­fal­le von zwei­en We­gen bei­de. Ich rös­te mich am Lei­de, bin in der Teu­fels­fal­le. Ein un­er­schrock­ner Tad­ler will ich mir nichts er­lau­ben, als aus dem reins­ten Glau­ben zu spie­len Kopf und Ad­ler. Und wenn der Kopf aufs Wort kam, der Ad­ler fällt ge­trof­fen – so blieb der Zwei­fel of­fen, ich weiß nicht, wie ich fort­kam. Wer mit dem Geist ver­wandt ist, in Bil­dern und in Sche­men die Welt beim Wort zu neh­men – beim Him­mel kein Pe­dant ist! In sprach­zer­fall­nen Zei­ten im si­chern Satz­bau woh­nen: dies letz­te Glück be­strei­ten noch In­ter­punk­tio­nen. Wie sie zu rasch sich rüh­ren, wie sie ins Wort mir zan­ken – ein Strich durch den Ge­dan­ken wird mich ins Cha­os füh­ren; ob­gleich ein Strich­punkt rie­fe, dem Kom­ma nicht zu trau­en : ein Dop­pel­punkt läßt schau­en in ei­nes Ab­grunds Tie­fe! Dort droht ein Aus­ruf­zei­chen wie von dem jüngs­ten Tage. Und vor ihm kniet die Fra­ge: Läßt es sich nicht er­wei­chen? Wie ich es nim­mer wage, und wie ich’s im­mer wen­de, ein Werk ist nie zu Ende – am Aus­gang steht die Fra­ge. Und eh’ mein Herz ver­za­ge, den Aus­gang zu er­rei­chen, setz’ heim­lich ich ein Zei­chen – dem Zei­chen folgt die Fra­ge. Es zün­det im­mer wei­ter der Blitz, der mich zer­ris­sen. Mein eig­nes bes­se­res Wis­sen will Ant­wort vom Beglei­ter. Mit angst­ver­brann­ter Mie­ne stock’ ich vor je­der Wen­dung, ent­reiß’ mich der Vollen­dung durch eine Druck­ma­schi­ne. Wie schön ist es ge­we­sen, am Wege wa­ren Won­nen. Was heim­lich süß be­gon­nen, nun wer­den’s Leu­te le­sen. O Glück im Wort­ver­ste­cke des un­er­lös­ten Den­kens, Ver­sa­gens und sich Schen­kens – was bog dort um die Ecke? Noch nicht er­seh’n, er­seh’n ich’s. Vor­welt­lich An­ver­wand­tes, eh’ ich’s ge­setzt hab’, stand es, und nun mir selbst ent­lehn’ ich’s. Ent­zückung fand der Gaf­fer am tau­send­mal Ge­schau­ten. Aus tag­ver­lor­nen Lau­ten er­löst er die Me­ta­pher. Im Hin- und Wie­der­flu­ten der hol­den Sprach­fi­gu­ren folgt er ver­bot­nen Spu­ren post­hu­mer Lie­bes­glu­ten. In Has­ses Welter­bar­mung ver­schränkt sich Geist und Sa­che zu welt­ver­hur­ter Spra­che chias­ti­scher Umar­mung. Wer spre­chen kann, der la­che und spre­che von den Din­gen. Mir wird es nie ge­lin­gen, sie brin­gen mich zur Spra­che. Das Wort trieb mit den Win­den und spielt mit Wahn­ge­stal­ten. Im Wort­spiel sind ent­hal­ten Ge­dan­ken, die mich fin­den. Wenn ich so wei­ter fort­spiel’, vor sol­chem küh­nen Zau­dern wird es die Nach­welt schau­dern. Denn al­les war im Wort­spiel. Dem ewi­gen Er­neu­ern, zum Ur­bild zu ge­lan­gen, ent­rinn’ ich nur, ge­fan­gen in neu­en Aben­teu­ern. Durch je­des Ton­falls Fes­sel ge­hemmt aus frei­en Stücken, er­lebt sich das Ent­rücken auf ei­nem Schreib­tisch­ses­sel. Was leicht mir in den Schoß fiel, wie schwer muß ich’s er­wer­ben, bang vor des Worts Ver­der­ben. O daß mir die­ses Los fiel!

Antwort an Rosa Luxemburg von einer Unsentimentalen

Geehr­ter Herr Kraus, Inns­bruck, 25. Au­gust 1920

Zu­fäl­lig ist mir die letz­te Num­mer Ih­rer »Fa­ckel« in die Hän­de ge­kom­men (ich war bis 4./II.. 1. J. Abon­nen­tin) u. ich möch­te mir ge­stat­ten Ih­nen be­treffs des von Ih­nen so sehr be­wun­der­ten Brie­fes der Rosa Lu­xem­burg Ei­ni­ges zu er­wi­dern, ob­wohl Ih­nen eine Zu­schrift aus dem omi­nösen Inns­bruck viel­leicht nicht sehr will­kom­men ist. Also: der Brief ist ja wirk­lich recht schön u. rüh­ren­d u. ich stim­me ganz mit Ih­nen über­ein, daß er sehr wohl als Le­se­stück in den Schul­bü­chern für Volks- u. Mit­tel­schu­len fi­gu­rie­ren könn­te, wo­bei man dann im Vor­wort lehr­rei­che Be­trach­tun­gen dar­über an­stel­len könn­te, wie viel er­sprieß­li­cher und er­freu­li­cher das Le­ben der Lu­xem­burg ver­lau­fen wäre, wenn sie sich statt als Volks­auf­wieg­le­rin et­wa als Wär­te­rin in ei­nem Zoo­lo­gi­schen Gar­ten od. dgl. be­tä­tigt hät­te, in wel­chem Fall ihr wahr­schein­lich auch das »Kitt­chen« er­spart ge­blie­ben wä­re. Bei ih­ren bo­ta­ni­schen Kennt­nis­sen u. ih­rer Vor­lie­be für Blu­men hät­te sie je­den­falls auch in ei­ner grö­ße­ren Gärt­ne­rei loh­nen­de u. be­frie­di­gen­de Be­schäf­ti­gung ge­fun­den u. hät­te dann ge­wiß kei­ne Be­kannt­schaft mit Ge­wehr­kol­ben ge­macht.

Was die et­was lar­moy­an­te Be­schrei­bung des Büf­fels an­be­langt, so will ich es gern glau­ben, daß die­sel­be ih­ren Ein­druck auf die Trä­nen­drü­sen der Kom­mer­zi­en­rä­tin­nen u. der äs­the­ti­schen Jüng­lin­ge in Ber­lin, Dres­den u. Prag nicht ver­fehlt hat. Wer je­doch, wie ich, auf ei­nem großen Gute Sü­dun­garns auf­ge­wach­sen ist, u. die­se Tie­re, ihr meist schä­bi­ges, oft ris­si­ges Fell u. ih­ren stets stumpf­sin­ni­gen »Ge­sichts­aus­druck« von Ju­gend auf kennt, be­trach­tet die Sa­che ru­hi­ger. Die gute Lu­xem­bur­g hat sich von den be­tref­fen­den Sol­da­ten tüch­tig an­plau­schen las­sen (ähn­lich wie s. Z. der sel. Be­ne­dik­t mit den Gru­ben­hun­den) wo­bei wahr­schein­lich noch Erin­ne­run­gen an Le­der­strumpf, wil­de Büf­fel­her­den in den Prä­ri­en etc. in ih­rer Vor­stel­lung mit­ge­wirkt ha­ben. – Wenn wirk­lich un­se­re Feld­grau­en, ab­ge­sehn von den schwe­ren Kämp­fen, die sie in Ru­mä­ni­en zu be­ste­hen hat­ten, noch Zeit, Kraft u. Lust ge­habt hät­ten, wil­de Büf­fel zu Hun­der­ten ein­zu­fan­gen u. dann stracks zu Last­tie­ten zu zäh­men, so wäre das al­ler Be­wun­de­rung wert, u. ent­schie­den noch er­staun­li­cher, als daß die ur­kräf­ti­gen Tie­re sich die­se Be­hand­lung hät­ten ge­fal­len las­sen.

Nun muß man aber wis­sen, daß die Büf­fel in die­sen Ge­gen­den seit un­denk­li­chen Zei­ten mit Vor­lie­be als Last­tie­re (so­wie auch als Milch­kü­he) ge­züch­tet u. ver­wen­det wer­den. Sie sind an­spruchs­los im Fut­ter u. un­ge­heu­er kräf­tig, wenn auch von sehr lang­sa­mer Gan­gar­t. Ich glau­be da­her nicht, daß der »ge­lieb­te Bru­der« der Lu­xem­burg be­son­ders er­staunt ge­we­sen sein dürf­te, in Bres­lau einen Last­wa­gen ziehn zu müs­sen u. mit »dem Ende des Peit­schenstie­les« Ei­nes übers Fell zu be­kom­men. Letz­te­res wird wohl wenn es nicht gar zu roh ge­schieht – bei Zug­tie­ren ab u. zu un­er­läß­lich sein, da sie blo­ßen Ver­nunft­grün­den ge­gen­über nicht im­mer zu­gäng­lich sin­d, – eben­so wie ich Ih­nen als Mut­ter ver­si­chern kann, daß eine Ohr­fei­ge bei kräf­ti­gen Bu­ben oft sehr wohl­tä­tig wirkt! Man muß nicht im­mer das Schlimms­te an­neh­men u. die Leu­te (u. die Tie­re) prin­zi­pi­ell nur be­dau­ern, ohne die nä­he­ren Um­stän­de zu ken­nen. Das kann mehr Bö­ses als Gu­tes an­rich­ten. Die Lu­xem­burg hät­te ge­wiß ger­ne, wenn es ihr mög­lich ge­we­sen wäre, den Büf­feln Re­vo­lu­ti­on ge­pre­digt u. ih­nen eine Büf­fel-Re­pu­blik ge­grün­det, wo­bei es sehr frag­lich ist, ob sie im­stan­de ge­we­sen wäre, ih­nen das – von ihr – ge­träum­te Pa­ra­dies mit »schö­nen Lau­ten der Vö­gel u. me­lo­di­schen Ru­fen des Hir­ten« zu ver­schaf­fen u. ob die Büf­fel auf Letz­te­res so be­son­de­res Ge­wicht le­gen. Es gibt eben vie­le hys­te­ri­sche Frau­en, die sich gern in Al­les hin­ein­mi­schen u. im­mer Ei­nen ge­gen den An­de­ren het­zen möch­ten; sie wer­den, wenn sie Geist und einen gu­ten Stil ha­ben, von der Men­ge wil­lig ge­hört u. stif­ten viel Un­heil in der Welt, so daß man nicht zu sehr er­staunt sein dar­f, wenn eine sol­che, die so oft Ge­walt ge­pre­digt hat, auch ein ge­walt­sa­mes Ende nimm­t.

Stil­le Kraft, Ar­beit im nächs­ten Wir­kungs­krei­se, ru­hi­ge Güte u. Ver­söhn­lich­keit ist, was uns mehr not tut, als Sen­ti­men­ta­li­tät u. Ver­het­zung. Mei­nen Sie nicht auch?

Hochach­tungs­voll Frau v. X-Y.

Was ich mei­ne, ist: daß es mich sehr we­nig in­ter­es­siert, ob eine Num­mer der Fa­ckel »zu­fäl­lig« oder an­der­we­gen ei­ner der­ar­ti­gen Bes­tie in ihre Fän­ge ge­kom­men ist und ob sie bis 4. II. 1. J. Abon­nen­tin war oder es noch ist. Ist sie’s ge­we­sen, so weckt es un­end­li­ches Be­dau­ern, dal sie’s nicht mehr ist, denn wäre sie’s noch, so wür­de sie’s am Tage des Empfangs die­ses Brie­fes, also ab 28. VIII 1. J. nicht mehr sein. Weil ja be­kannt­lich die Fa­ckel nicht wehr­los ge­gen das Schick­sal ist, an sol­che Adres­se zu ge­lan­gen. Was ich mei­ne, ist: daß mir die­se Zu­schrift aus dem omi­nösen Inns­bruck in­so­fern ganz will­kom­men ist, als sie mir das Bild, das ich von der Geis­tig­keit die­se Stadt emp­fan­gen und ge­bo­ten habe, auch nicht in einen We­sens­zug al­te­riert und im Ge­gen­teil al­les ganz so ist wie es sein soll. Was ich mei­ne, ist, daß ne­ben dem Brief der Rosa Lu­xem­burg, wenn sich die so­ge­nann­ten Re­pu­bli­ken dazu auf­raf­fen könn­ten, ihn durch ihre Le­se­bü­cher den auf­wach­sen­den Ge­ne­ra­tio­nen zu über­lie­fern, gleich der Brief die­ser Me­gä­re ab­ge­druckt wer­den müß­te, um der Ju­gend nicht al­lein Ehr­furcht vor der Er­ha­ben­heit der mensch­li­chen Na­tur bei­zu­brin­gen, son­dern auch Ab­scheu vor ih­rer Nied­rig­keit und an dem hand­greif­lichs­ten Bei­spiel ein Gru­seln vor der un­aus­rott­ba­ren Geis­tes­art deut­scher Fort­pflan­ze­rin­nen, die uns das Le­ben bis zur tod­si­chern Aus­sicht auf neue Krie­ge ver­hun­zen wol­len und die dem Sa­tan einen Treu­eid ge­schwo­ren zu ha­ben schei­nen, eben das was sie anno 1914 aus Hel­den­tod­geil­heit nicht ver­hin­dert ha­ben, im­mer wie­der ge­sche­hen zu las­sen. Was ich mei­ne, ist – und da will ich ein­mal mit die­ser ent­mensch­ten Brut von Guts- und Bluts­be­sit­zern und de­ren An­hang, da will ich mit ih­nen, weil sie ja nicht deutsch ver­ste­hen und aus mei­nen »Wi­der­sprü­chen« auf mei­ne wah­re An­sicht nicht schlie­ßen kön­nen, ein­mal deutsch re­den, näm­lich weil ich den Welt­krieg für eine un­miß­deut­ba­re Tat­sa­che hal­te und die Zeit, die das Men­schen­le­ben auf einen Dreck­hau­fen re­du­ziert hat, für eine un­er­bitt­li­che Schei­de­wand – was ich mei­ne, ist: Der Kom­mu­nis­mus als Rea­li­tät ist nur das Wi­der­spiel ih­rer ei­ge­nen le­bens­schän­de­ri­schen Ideo­lo­gie, im­mer­hin von Gna­den ei­nes rei­ne­ren ide­el­len Ur­sprungs, ein ver­track­tes Ge­gen­mit­tel zum rei­ne­ren ide­el­len Zweck – der Teu­fel hole sei­ne Pra­xis, aber Gott er­hal­te ihn uns als kon­stan­te Dro­hung über den Häup­tern je­ner, so da Gü­ter be­sit­zen und alle an­dern zu de­ren Be­wah­rung und mit dem Trost, daß das Le­ben der Gü­ter höchs­tes nicht sei, an die Fron­ten des Hun­gers und der va­ter­län­di­schen Ehre trei­ben möch­ten. Gott er­hal­te ihn uns, da­mit die­ses Ge­sin­del, das schon nicht mehr ein und aus weiß vor Frech­heit, nicht noch fre­cher wer­de, da­mit die Ge­sell­schaft der aus­schließ­lich Ge­nuß­be­rech­tig­ten, die da glaubt, daß die ihr bot­mä­ßi­ge Mensch­heit ge­nug der Lie­be habe, wenn sie von ih­nen die Sy­phi­lis be­kommt, we­nigs­tens doch auch mit ei­nem Alp­druck zu Bet­te gehe! Da­mit ih­nen we­nigs­tens die Lust ver­ge­he, ih­ren Op­fern Moral zu pre­di­gen, und der Hu­mor, über sie Wit­ze zu ma­chen! Zu Be­trach­tun­gen, wie viel er­sprieß­li­cher und er­freu­li­cher das Le­ben der Lu­xem­burg ver­lau­fen wäre, wenn sie sich als Wär­te­rin in ei­nem Zoo­lo­gi­schen Gar­ten be­tä­tigt hät­te statt als Bän­di­ge­rin von Men­schen­bes­ti­en, von de­nen sie schließ­lich zer­fleischt ward, und ob sie als Gärt­ne­rin ed­ler Blu­men, von de­nen sie al­ler­dings mehr als eine Guts­be­sit­ze­rin wuß­te, loh­nen­de­re und be­frie­di­gen­de­re Be­schäf­ti­gung ge­fun­den hät­te denn als Gä­te­rin mensch­li­chen Un­krauts – zu sol­chen Be­trach­tun­gen wird, so­lan­ge die Frech­heit von der Furcht ge­zü­gelt ist, kein Atem­zug lan­gen. Auch be­stün­de die Ge­fahr, daß et­wai­ger Spott über das »Kitt­chen«, in dem eine Mär­ty­re­rin sitzt, auf der Stel­le da­mit be­ant­wor­tet wür­de, daß man es der Per­son, die sich sol­cher Schänd­lich­keit er­dreis­tet hat, in die Höhe hebt, wenn man nicht eine Ohr­fei­ge vor­zö­ge, die, wie ich Ih­nen ver­si­chern kann, bei kräf­ti­gen Hel­den­müt­tern sehr wohl­tä­tig wirkt! Was vollends den Hohn dar­über be­trifft, daß Rosa Lu­xem­burg »mit Ge­wehr­kol­ben Be­kannt­schaft ge­macht« hat, so wäre er ge­wiß mit ein paar Hie­ben, aber nur mit je­nem Peit­schenstiel, der Rosa Lu­xem­burgs Büf­fel ge­trof­fen hat, nicht zu teu­er be­zahlt. Nur kei­ne Sen­ti­men­ta­li­tät! Lar­moy­an­te Be­schrei­bun­gen sol­cher Pro­ze­du­ren kön­nen wir nicht brau­chen, das ist nichts für die Le­se­bü­cher. Wer auf ei­nem großen Gut Sü­dun­garns auf­ge­wach­sen ist, wo das so­wie­so schon schä­bi­ge und ris­si­ge Fell der Büf­fel kein Mit­leid mehr auf­kom­men läßt und ihr stets stumpf­sin­ni­ger »Ge­sichts­aus­druck« – ein Ge­sichts­aus­druck, der mit­hin nicht nach der An­dacht ei­ner Lu­xem­burg, son­dern nach Gän­se­fü­ßen, nach den Fuß­trit­ten ei­ner Gans ver­langt – sich von dem idea­len Ant­litz der sü­dun­ga­ri­schen Guts­be­sit­zer un­sym­pa­thisch ab­hebt, der weiß, daß man in Un­garn noch ganz an­de­re Pro­ze­du­ren mit den Ge­schöp­fen Got­tes vor­nimmt, ohne mit der Wim­per zu zu­cken. Und daß die Guts­be­sit­ze­rin­nen mit den Kom­mer­zi­en­rä­tin­nen dar­in völ­lig ei­nig sind, sichs wohl ge­fal­len zu las­sen. Ich mei­ne nun frei­lich, daß man we­der für Re­vo­lu­ti­ons­tri­bu­na­le sich be­geis­tern noch mit dem Stand­punkt je­ner Of­fi­zie­re sym­pa­thi­sie­ren soll, die sich aus dem Grun­de, weil das Letz­te, was ih­nen ge­blie­ben ist, die Ehre ist, dazu hin­ge­ris­sen füh­len, ihre Ne­ben­menschen zu ka­strie­ren. Aber so un­ge­recht bin ich doch, daß ich zum Bei­spiel Da­men, die noch heu­te »un­se­re Feld­grau­en« sa­gen, ver­ur­tei­len wür­de, den Ab­ort ei­ner Ka­ser­ne zu put­zen und hier­auf »stracks« den Adel ab­zu­le­gen, von dem sie sich noch im­mer, und wär’s auch nur in an­ony­men Be­su­de­lun­gen ei­ner To­ten, nicht tren­nen kön­nen. Al­ler­dings mei­ne ich auch, daß un­se­re Feld­grau­en, ab­ge­se­hen von den schwe­ren Kämp­fen, die sie in Ru­mä­ni­en zu be­ste­hen hat­ten und zwar nur des­halb, weil die Le­se­bü­cher bis 1914 noch nicht vom Geist der gu­ten Rosa Lu­xem­burg, son­dern von dem der Guts­be­sit­ze­rin­nen in­spi­riert wa­ren, fak­tisch auch Zeit, Kraft und Lust ge­habt ha­ben, Büf­fel zu steh­len und zu zäh­men, und fer­ner, daß, so­lan­ge die Be­wun­de­rung deut­scher und sü­dun­ga­ri­scher Wal­kü­ren für die mi­li­tä­ri­sche Büf­feldres­sur vor­hält, auch die Mensch­heit nicht da­vor be­wahrt sein wird, mit Vor­lie­be zu Last­tie­ren ab­ge­rich­tet zu wer­den. Was ich aber au­ßer­dem noch mei­ne – da ja nun ein­mal mei­ne Mei­nung und nicht bloß mein Wort ge­hört wer­den will – ist: daß, wenn das Wort der gu­ten Rosa Lu­xem­burg nicht von der ge­rings­ten Tat­säch­lich­keit be­glau­bigt wäre und längst kein Tier Got­tes mehr auf ei­ner grü­nen Wei­de, son­dern al­les schon im Diens­te des Kauf­manns, sie doch vor Gott wah­rer ge­spro­chen hät­te als solch eine Guts­be­sit­ze­rin, die am Tier die An­spruchs­lo­sig­keit im Fut­ter rühmt und nur die lang­sa­me Gan­gart be­klagt, und daß die Men­sch­lich­keit, die das Tier als den ge­lieb­ten Bru­der an­schaut, doch wert­vol­ler ist als die Bes­tia­li­tät, die sol­ches be­lus­ti­gend fin­det und mit der Vor­stel­lung scherzt, daß ein Büf­fel »nicht be­son­ders er­staunt« ist, in Bres­lau einen Last­wa­gen zie­hen zu müs­sen und mit dem Ende ei­nes Peit­schenstie­les »Ei­nes übers Fell zu be­kom­men«. Denn es ist jene ekel­haf­te Ge­witzt­heit, die die Her­ren der Schöp­fung und de­ren Da­men »von Ju­gend auf« Be­scheid wis­sen läßt, daß im Tier nichts los ist, daß es in dem­sel­ben Maße ge­fühl­los ist wie sein Be­sit­zer, ein­fach aus dem Grund, weil es nicht mit der glei­chen Por­ti­on Hoch­mut be­gabt wur­de und zu­dem nicht fä­hig ist, in dem Kau­der­welsch, über wel­ches je­ner ver­fügt, sei­ne Lei­den preis­zu­ge­ben. Weil es vor die­ser Sor­te aber den Vor­zug hat, »blo­ßen Ver­nunft­grün­den ge­gen­über nicht im­mer zu­gäng­lich« zu sein, er­scheint ihr der Peit­schenstiel »wohl ab und zu un­er­läß­lich«. Wahr­lich, sie ver­wen­det ihn bloß aus dump­fer Wut ge­gen ein un­si­che­res Schick­sal, das ihr selbst ihn ir­gend­wie vor­zu­be­hal­ten scheint! Sie ohr­fei­gen auch ihre Kin­der nur, de­ren Kraft sie an der ei­ge­nen Kraft mes­sen, oder las­sen sie von se­xu­ell dis­po­nier­ten Kan­di­da­ten der Theo­lo­gie nur dar­um mit Vor­lie­be mar­tern, weil sie vom Le­ben oder vom Him­mel ir­gend­was zu be­fürch­ten ha­ben. Da­bei ha­ben die Kin­der doch den Vor­teil, daß sie die Schmach, von sol­chen El­tern ge­bo­ren zu sein, durch den Ent­schluß, bes­se­re zu wer­den, til­gen oder an­dern­falls sich da­für an den ei­ge­nen Kin­dern rä­chen kön­nen. Den Tie­ren je­doch, die nur durch Ge­walt oder Be­trug in die Leib­ei­gen­schaft des Men­schen ge­lan­gen, ist es in des­sen Rat be­stimmt, sich von ihm ent­eh­ren zu las­sen, be­vor sie von ihm ge­fres­sen wer­den. Er be­schimpft das Tier, in­dem er sei­nes­glei­chen mit dem Na­men des Tiers be­schimpft, ja die Krea­tur selbst ist ihm nur ein Schimpf­wort. Über nichts mehr ist er er­staunt, und dem Tier, das es noch nicht ver­lernt hat, er­laubt ers nicht. Das Tier darf so we­nig er­staunt sein über die Schmach, die er ihm an­tut, wie er selbst; und wie nur ein Büf­fel nicht über Bres­lau stau­nen soll, so we­nig staunt der Guts­be­sit­zer, wenn der Mensch ein ge­walt­sa­mes Ende nimmt. Denn wo die Welt für ihre Ord­nung in Trüm­mer geht, da fin­den sie al­les in Ord­nung. Was will die gute Lu­xem­burg? Na­tür­lich, sie, die kein Gut be­saß au­ßer ih­rem Her­zen, die einen Büf­fel als Bru­der be­trach­ten woll­te, hät­te ge­wiß gern, wenn es ihr mög­lich ge­we­sen wäre, den Büf­feln Re­vo­lu­ti­on ge­pre­digt, ih­nen eine Büf­fel-Re­pu­blik ge­grün­det, wo­mög­lich mit schö­nen Lau­ten der Vö­gel und dem me­lo­di­schen Ru­fen der Hir­ten, wo­bei es frag­lich ist, »ob die Büf­fel auf Letz­te­res so be­son­de­res Ge­wicht le­gen«, da sie es selbst­ver­ständ­lich vor­zie­hen, daß nur auf sie selbst Ge­wicht ge­legt wird. Lei­der wäre es ihr ab­so­lut nicht ge­lun­gen, weil es eben auf Er­den ja doch weit mehr Büt­tel gibt als Büf­fel! Daß sie es am liebs­ten ver­sucht hät­te, be­weist eben nur, daß sie zu den vie­len hys­te­ri­schen Frau­en ge­hört hat, die sich gern in Al­les hin­ein­mi­schen und im­mer Ei­nen ge­gen den An­de­ren het­zen möch­ten. Was ich nun mei­ne, ist, daß in den Krei­sen der Guts­be­sit­ze­rin­nen die­ses kli­ni­sche Bild sich oft so deut­lich vom Hin­ter­grund al­ler Haus- und Feld­tä­tig­keit ab­hebt, daß man ver­sucht wäre zu glau­ben, es sei­en die ge­bo­re­nen Re­vo­lu­tio­nä­rin­nen. Bei nä­he­rem Zu­sehn wür­de man je­doch er­ken­nen, daß es nur dum­me Gän­se sind. Wo­mit man aber wie­der in den ver­bre­che­ri­schen Hoch­mut der Men­schen­ras­se ver­fie­le, die alle ihre Män­gel und üb­len Ei­gen­schaf­ten mit Vor­lie­be den wehr­lo­sen Tie­ren zu­schiebt, wäh­rend es zum Bei­spiel noch nie ei­nem Och­sen, der in Inns­bruck lebt, oder ei­ner Gans, die auf ei­nem großen sü­dun­ga­ri­schen Gut auf­ge­wach­sen ist, ein­ge­fal­len ist, ein­an­der einen Inns­bru­cker oder eine sü­dun­ga­ri­sche Guts­be­sit­ze­rin zu schel­ten. Auch wür­den sie nie, wenn sie sich schon ver­mä­ßen, über Geis­ti­ges zu ur­tei­len, es beim »gu­ten Stil« an­pa­cken und gön­ne­risch eine Ei­gen­schaft an­er­ken­nen, die ih­nen selbst in so auf­fal­len­dem Maße ab­ge­ht. Sie hät­ten – wie­wohl sie blo­ßen Ver­nunft­grün­den »ge­gen­über« nicht im­mer zu­gäng­lich sind – zu viel Takt, einen schlecht ge­schrie­be­nen Brief ab­zu­schi­cken, und zu viel Scham, ihn zu schrei­ben. Kei­ne Gans hat eine so schlech­te Fe­der, daß sie’s ver­möch­te! Mei­nen Sie nicht auch? Sie ist in­tel­li­gent, von Na­tur gut­mü­tig und mag von ih­rer Be­sit­ze­rin ge­ges­sen, aber nicht mit ihr ver­wech­selt sein. Was nun wie­der die­se Krea­tur vor je­ner vor­aus hat, ist, daß sie sichs im Ernst­fall, wenn’s ihr selbst an den Kra­gen ge­hen könn­te, beim Him­mel mit dem Ka­te­chis­mus zu rich­ten ver­steht und daß sie dazu noch die Güte für sich selbst hat, einen zu er­mah­nen, man müs­se »nicht im­mer das Schlimms­te an­neh­men und die Leu­te (u. die Tie­re) prin­zi­pi­ell nur be­dau­ern, ohne die nä­he­ren Um­stän­de zu ken­nen; das kann mehr Bö­ses als Gu­tes an­rich­ten.« Bö­ses vor al­lem für die prä­des­ti­nier­ten Be­sit­zer von Leu­ten (u. Tie­ren), de­ren Ver­fü­gungs­recht ei­ner gött­li­chen Sat­zung ent­spricht, die nur Auf­wieg­ler und land­frem­de Ele­men­te wie zum Bei­spiel je­ner Je­sus Chris­tus an­tas­ten wol­len, die aber in Gel­tung bleibt, da das Stre­ben nach ir­di­schen Gü­tern Gott­sei­dank äl­ter ist als das christ­li­che Ge­bot und die­ses über­le­ben wird. So mei­ne ich!

Bei den Tschechen und bei den Deutschen

Mei­nun­gen, Rich­tun­gen, Wel­t­an­schau­un­gen – es kommt doch zu­erst und zu­letzt auf nichts an­de­res an als auf den Satz. Die ihn nicht kön­nen, fan­gen beim Le­bens­in­halt an, wel­chen sie in­fol­ge­des­sen nicht ha­ben und wel­cher da ist, wenn der Satz ge­lingt. Es wird kaum je einen Au­tor ge­ge­ben ha­ben, dem Stoff­li­che­res Wirk­li­che­res, Zeit­li­che­res ab­ge­nom­men wer­den konn­te als dem, der mei­ne Schrif­ten ge­schrie­ben hat, und doch habe ich mich mein Leb­tag um nichts an­de­res als um den Satz ge­scho­ren, dar­auf ver­trau­end, daß ihm schon das Wah­re über die Mensch­heit, über ihre Krie­ge und Re­vo­lu­tio­nen, über ihre Chris­ten und Ju­den, ein­fal­len wird. Wenn man es las, war es Po­li­tik. Wenn man liest, was ich da­von hal­te, ist es l’art pour l’art. Das kommt da­von, daß man we­der je­nes noch die­ses ver­steht, und da­von kommt, daß alle Kri­tik, al­ler Wi­der­spruch und al­ler Ein­wand von »Wi­der­sprü­chen« an mir ab­glei­ten muß, von mir nur be­ach­tet und ge­fürch­tet wie al­les, des­sen Stumpf­heit mich an­regt und das mich be­trifft, auch wenn es mich nicht meint. Ob es nun so ist, daß mich der Stoff über­wächst oder ob ich an der Un­mög­lich­keit, ihn zu be­strei­ten, wach­se; und in wel­che Be­zie­hung man mich im­mer zu die­ser Wirk­lich­keit set­zen will, und ob mei­ne Fein­de glau­ben, daß ich Mücken sei­ge und Ka­me­le, so groß wie sie, ver­schlu­cke: ich blei­be ih­rer Kri­tik un­er­reich­bar, weil ich we­der dies noch je­nes tue, son­dern Sät­ze schrei­be. Weil das bis­her in der deut­schen Li­te­ra­tur noch so sel­ten der Fall war und ganz ge­wiß nie mit solch er­schöp­fen­der Aus­schließ­lich­keit des In­ter­es­ses an dem, was den Be­ruf des Schrift­stel­lers aus­macht, so sind es die Le­ser nicht ge­wohnt, es ver­wirrt sie und sie spre­chen dar­um, da sie ja doch von et­was spre­chen müs­sen, so gern von et­was an­derm, was mit dem Be­ruf des Schrift­stel­lers gar nichts zu tun hat, und le­gen ihm des­sen Er­fül­lung als Marot­te und das Be­wußt­sein um des­sen Er­fül­lung als Ei­tel­keit aus. Denn nichts ver­ste­hen die Men­schen we­ni­ger, über nichts stau­nen sie mehr, als daß der Schrift­stel­ler es mit dem Wort, der Ma­ler es mit der Far­be zu schaf­fen ha­ben möch­te; daß sie Er­leb­nis­se ha­ben möch­ten, die nicht das ge­rings­te mit dem ei­gent­li­chen Ge­gen­stan­de zu schaf­fen ha­ben, also mit ei­ner Ge­richts­ver­hand­lung oder mit ei­ner Ma­don­na. Sie ma­ßen sich in die­sen Din­gen ein Ur­teil aus dem Grun­de an, weil ja, so­weit sie in der An­ord­nung der Wor­te und der Far­ben den Ge­gen­stand er­ken­nen, doch wirk­lich so et­was wie die Ge­richts­ver­hand­lung oder die Ma­don­na her­aus­kommt, und dies eben gibt ih­nen das Recht, die­se und jene zu agnos­zie­ren. An­statt der Kunst dank­bar zu sein, daß sie einen den Ge­gen­stand ver­ken­nen lehrt, »stehn sie hier auf ih­rem Schein«. Wür­den sie einen Satz so oft le­sen als er er­lebt wur­de, so wür­den sie den Ge­gen­stand nicht mehr se­hen, den sie beim ein­ma­li­gen Le­sen eben noch er­ken­nen. Die von mir sa­gen, daß ich einen gu­ten Stil schrei­be, wis­sen das si­cher nur vom Hö­ren­sa­gen; denn in Wahr­heit ist für sie noch nie ein schlech­te­rer ge­schrie­ben wor­den. Die Er­laub­nis, auf Druck­feh­ler auf­merk­sam zu ma­chen, hat dies in ei­ner um­fas­sen­den Wei­se of­fen­bart. Man könn­te aus den Fäl­len, wo ein Sprach­wert als Druck­feh­ler an­ge­zeigt wird, einen Ro­man der wil­des­ten Aben­teu­er des Geis­tes, also eine Sprach­leh­re ma­chen. Es »jückt« mich in den Fin­gern. (Auf die­se Be­geg­nung ei­ner faus­ti­schen mit ei­ner jü­di­schen Nuan­ce in ei­nem Vo­kal ha­ben et­li­che Le­ser von »Li­te­ra­tur« als auf einen Druck­feh­ler auf­merk­sam ge­macht.) Stil kann man ge­trost als das de­fi­nie­ren, was der Le­ser nicht ver­steht. Denn er ist schon da­durch, daß er die Spra­che spricht, der Fä­hig­keit über­ho­ben, sie zu hö­ren. Er ist und bleibt auf nichts an­de­res ein­ge­stellt, als daß der Au­tor die Mei­nung, die er als der ver­mut­lich Klü­ge­re ha­ben könn­te, ihm sage, die Ge­gen­mei­nung oder al­les iro­nisch Ge­mein­te in Gän­se­füß­chen set­ze, und wenn er dazu noch einen Ge­dan­ken hat, den der Le­ser von ihm nicht er­war­tet, auf die­sen durch einen Ge­dan­ken­strich scho­nend vor­be­rei­te, da­mit er ihm nicht ent­ge­he. Daß Stil nicht der Aus­druck des­sen ist, was ei­ner meint, son­dern die Ge­stal­tung des­sen, was ei­ner denkt und was er in­fol­ge­des­sen sieht und hört; daß Spra­che nicht bloß das, was sprech­bar ist, in sich be­greift, son­dern daß in ihr auch al­les was nicht ge­spro­chen wird er­leb­bar ist; daß es in ihr auf das Wort so sehr an­kommt, daß noch wich­ti­ger als das Wort das ist, was zwi­schen den Wor­ten ist; daß dem, der im Wort denkt wie ein an­de­rer in der Far­be und wie­der ein an­de­rer im Ton, es nicht nur die Welt auf­macht, son­dern sie auch wech­seln läßt, wenn je­nes da steht oder dort; daß nicht im­mer nur eine Mehl­spei­se, son­dern manch­mal auch ein Ge­dicht ein sol­ches sein kann, ja so­gar eine Pro­sa­zei­le, und daß weit hin­ter dem Be­grei­fen des Sinns eine Let­ter ein Ge­dan­ke sein könn­te: sol­cher­lei geht dem Le­ser so we­nig ein, daß er vor dem klars­ten Ab­bild je­nes Er­leb­nis­ses, in dem nur die Ver­bin­dung von Sprach­li­chem und Stoff­li­chem ein Rät­sel bleibt, strau­chelt und den Satz, der al­les was in ihm ent­hal­ten ist sich selbst ver­dankt und sich dar­um von selbst ver­steht, miß­ver­steht. Der in­tel­lek­tu­el­le Ehr­geiz, das »ver­ste­hen« zu wol­len, was nur emp­fun­den wer­den darf, um auf­ge­nom­men zu wer­den, was nur ge­se­hen und ge­hört wer­den muß, wie es emp­fun­den wur­de, spielt, vom Dumm­kopf auf­wärts, beim Le­sen die ver­häng­nis­volls­te Rol­le. Was die Ver­stan­des­mä­ßig­keit aber am schlech­tes­ten ka­piert, ist die Iro­nie, die sie her­aus­for­dert. Da sie sich um kei­nen Preis wie­der­er­ken­nen will, so wird das ein­fa­che Hin­aus­stel­len des­sen, was sie denkt, die iro­ni­sche Wie­der­ho­lung ih­res Mo­tivs, bei ihr am we­nigs­ten ver­fan­gen. Sie wird es für die Mei­nung des Au­tors hal­ten. Ein Satz hat vor ihr nie ein Ge­sicht, er lacht nicht, er spielt und schielt nicht, er zwin­kert nicht, son­dern er hat die Mei­nung, die er hat, wenn man ihn aus der psy­chi­schen Si­tua­ti­on, in der er steht, her­aus­schnei­det.

Ei­ner der er­gie­bigs­ten Fäl­le, die mir je un­ter­ge­kom­men sind, ist der fol­gen­de: Da hat ein­mal, vor dem Krieg, eine je­ner deut­schen Lese- und Re­de­hal­len, de­ren Mit­glie­der we­ni­ger le­sen und mehr re­den als un­be­dingt not­wen­dig ist, an einen deut­schen Dich­ter, der zeit­wei­se wirk­lich ei­ner war, eine je­ner Kund­ge­bun­gen ge­rich­tet, die zwar flam­men und zün­den kön­nen, de­ren Pa­thos aber durch den Hu­mor, den es ver­brei­tet, zu­gleich ge­löscht wird. Sie sprach da­von, daß Zorn und Em­pö­rung uns die Fe­der in die Hand drücke, uns, »auf de­ren Fah­nen die Frei­heit des Geis­tes und der Wis­sen­schaft ge­schrie­ben steht und die wir in ei­nem Lan­de le­ben, wo Haß und Heuch­ler­tum gar man­che häß­li­che Er­fol­ge zu zei­ti­gen ver­moch­ten«. Die Ge­schich­te spielt also in Prag: wo »wir wis­sen, was es be­deu­tet, wenn falsche Un­ter­wür­fig­keit und lau­ni­sche Will­kür un­ge­bär­di­ger Höf­lin­ge die Wahr­heit in den Staub zu zer­ren ver­mag. Doch zu herbs­tem, bit­ters­tem In­grimm wächst un­ser Un­mut, wenn –«. Ich fuhr da­zwi­schen. Ger­hart Haupt­mann war – man soll­te es nicht für mög­lich hal­ten, aber es ist Tat­sa­che – der »zu­rück­ge­zo­gens­te Dichter­fürst« ge­nannt wor­den, kurz­um, es war ein Deutsch, das schon ohne alle Bom­ben auf Nürn­berg ein Kriegs­grund war und vor dem es jede Sau im deut­schen Lan­de, je­doch nicht des­sen Bür­ger graust: die Spra­che de­rer, die zwar deutsch füh­len, aber nicht kön­nen. Ein Le­bens­zei­chen je­ner durch Not und Tod un­ver­wisch­ba­ren Cou­leur, die dar­um noch heu­te, öf­fent­lich oder pri­vat, in Wäl­dern oder in Verei­nen, auf An­stand­sor­ten oder au­ßer­halb, dem Va­ter­land zu­spricht, daß es ru­hig sein mag, aber selbst nichts dazu tut, son­dern im Ge­gen­teil Lärm macht. Die rote Kap­pe auf dem Kopf, das schwar­ze Brett vor und den wei­ßen Ter­ror im Kopf, war die­se Geis­tig­keit in Prag durch den frei­sin­nig-jü­di­schen Ein­schlag we­sent­lich ge­mil­dert, wenn­gleich in der Phra­seo­lo­gie un­ver­kürzt. Ich habe nun, da ich – in kriegs­fer­ner Zeit – mit dem zu­rück­ge­zo­gens­ten Dichter­fürs­ten das Schick­sal teil­te, eine Ein­la­dung zu ei­nem Vor­trag vor sol­chem Au­di­to­ri­um zu be­kom­men, alle Ele­men­te je­nes sitt­li­chen Pa­thos auf mei­nen Fall be­zo­gen und ge­schrie­ben:

Auch ich habe dort ein­mal einen Vor­trag ge­hal­ten und ich weiß, was es be­deu­tet, wenn Ju­gend, die nicht falscher, nur ech­ter Un­ter­wür­fig­keit fä­hig ist, mich in der Pau­se um hun­dert Au­to­gram­me bit­tet, mei­nen Na­men in das gol­de­ne Buch des Ver­eins ein­trägt, mich stür­misch zu ei­nem zwei­ten Vor­trag auf­for­dert, und wenn dann die Frei­heit des Geis­tes zag­haft wird, zu­rück­weicht, sich da­v­on­schleicht wie die Bür­ger in »Eg­mont« und sich nicht traut, den zwei­ten Vor­trag zu ver­an­stal­ten, weil der zweit­zu­rück­ge­zo­gens­te Dichter­fürst, der Hugo Sa­lus, et­was da­ge­gen hat und weil deutsch ge­sinn­te Jüng­lin­ge in ei­nem Lan­de, wo Haß und Heuch­ler­tum – bei den Tsche­chen – gar man­che Er­fol­ge zu zei­ti­gen ver­moch­ten, auf die Ge­fahr auf­merk­sam ge­macht wur­den, daß es ih­nen in der Kar­rie­re scha­den könn­te.

Und nun rate man, bei wel­cher der bei­den Na­tio­nen – bei den Tsche­chen oder bei den Deut­schen – mir die­se Be­mer­kung in mei­ner Kar­rie­re scha­den muß­te. Bei den Deut­schen? Nein, »bei den Tsche­chen«! Denn ich hat­te den Zwi­schen­satz doch of­fen­bar hin­ge­schrie­ben, um mich bei den Deut­schen be­liebt zu ma­chen und nur ja zu be­to­nen, daß ich ih­nen Haß und Heuch­ler­tum kei­nes­wegs vor­wer­fen wol­le. Wo­für ja schon das Lob der deutsch­ge­sinn­ten Jüng­lin­ge spricht, die in ei­nem Lan­de, wo die Tsche­chen sich so heuch­le­risch ge­bär­den, sich in geis­ti­gen An­ge­le­gen­hei­ten um ihre Kar­rie­re be­sorgt zei­gen. Die­ses »bei den Tsche­chen« nun soll­te mein Cha­rak­ter­bild, nicht mehr von der Par­tei­en Haß und Gunst ver­wirrt und nicht mehr in der Ge­schich­te schwan­kend, son­dern ganz ein­deu­tig als das ei­nes aus­ge­spro­che­nen Tsche­chen­fein­des über­lie­fern, und schon vor dem Krieg hat es die­se Mis­si­on er­füllt, in­dem es ei­ner aus eben je­ner Geis­tes­mit­te in ei­ner Hoch­schul­zeit­schrift den Tsche­chen de­nun­ziert hat mit dem ein­ge­stan­de­nen Zwe­cke, zu ver­hin­dern, daß die tsche­chi­sche Pres­se für­der No­tiz von mir neh­me. Und nach dem Krieg, als ich, auf das kur­ze Ge­dächt­nis mei­ner Pra­ger Ken­ner spe­ku­lie­rend, mich an die Tsche­chen an­bie­dern woll­te, wur­de es mir (viel­leicht von der­sel­ben Fe­der) als Do­ku­ment ent­ge­gen­ge­hal­ten. Es war mein ei­ge­ner Text, ja mein ei­ge­ner Druck, den ich wie­der­er­ken­nen muß­te, die Stel­le war an­ge­stri­chen und der Ab­sen­der hat­te an den Rand ge­schrie­ben: »K. K. der jet­zi­ge Tsche­chen­freund!«. Daß es mir we­nigs­tens nicht ge­län­ge, mich über die­sen kras­ses­ten mei­ner Wi­der­sprü­che hin­weg­zu­sch­win­deln. Ge­lingt es mir aber trotz­dem, so wür­de ich doch mei­nem Schick­sal nicht ent­ge­hen, da ja künf­tig je­der Le­ser mir nun die Sei­te an­ge­stri­chen ins Haus schi­cken könn­te, auf der ich so­eben zu­ge­ge­ben habe, daß ich mich ei­nes kras­sen Wi­der­spruchs schul­dig mach­te. (Und doch wie­der von dem Lan­de ge­spro­chen habe, wo die Tsche­chen sich so heuch­le­risch ge­bär­den.) Da hül­fe mir dann nichts mehr. Au­ßer, ich keh­re zu der Metho­de äl­te­rer Iro­ni­ker zu­rück, de­ren bei­ßen­der Spott auch dem Min­der­be­mit­tel­ten zu­gäng­lich war, in­dem sie sich einen Set­zer­lehr­ling hiel­ten, der ih­nen mit ei­ner An­mer­kung in die Rede fiel, ei ei oder hi hi mach­te, guck guck oder schau schau, und der in die­sem Fal­le tod­si­cher aus­ge­ru­fen hät­te: »Bei den Tsche­chen? Soll wohl: Bei den Deut­schen hei­ßen? Anm. d. Set­zer­lehr­lings«. Ich glaub­te mit zwei Ge­dan­ken­stri­chen mein Aus­lan­gen zu fin­den. Ei­ner wäre mehr ge­we­sen. Die­ser, oder der Set­zer­lehr­ling, oder ir­gend­ei­ne Bit­te an den Le­ser, mich nicht miß­zu­ver­ste­hen, da ich’s ja nur iro­nisch mei­ne, und die­ser böh­mi­sche Löwe sei gar kein Löwe, son­dern bloß eine Re­tour­kut­sche ge­gen die Deut­schen – so ir­gend­was, oder Gän­se­füß­chen und Eselsoh­ren, al­les, nur nicht die Spra­che selbst, es hät­te mich vor je­dem Miß­ver­ständ­nis be­wahrt oder ich hät­te mir we­nigs­tens bei den Tsche­chen nicht ge­scha­det, wel­che zwar nicht Deutsch ver­ste­hen, aber im­mer­hin doch bes­ser als die Deut­schen.

Bekenntnis

Ich bin nur ei­ner von den Epi­go­nen, die in dem al­ten Haus der Spra­che woh­nen. Doch hab’ ich drin mein ei­ge­nes Er­le­ben, ich bre­che aus und ich zer­stö­re The­ben. Kom­m’ ich auch nach den al­ten Meis­tern, spä­ter, so räch’ ich blu­tig das Ge­schick der Vä­ter. Von Ra­che sprech’ ich, will die Spra­che rä­chen an al­len je­nen, die die Spra­che spre­chen. Bin Epi­go­ne, Ah­nen­wer­ter, Ah­ner. Ihr aber seid die kun­di­gen The­ba­ner!

Den Neubildnern

Wer sei­nen Durst am Sprach­quell stil­let, dem win­ken un­ge­ahn­te Won­nen. Wem sich das alte Wort er­fül­let, der hat es wahr­lich neu be­gon­nen. Es schwel­gen miß­ge­bor­ne Kna­ben in ad­jek­ti­vi­schen Ge­fil­den. Sie müs­sen eine Krank­heit ha­ben: der Krebs nur neigt zu Neu­ge­bil­den.

Der Feuilletonist

Wie macht er das? Wie kommt er zu dem Glan­ze, der schim­mernd sei­ne Spra­che schmückt und ziert? Aus Nichts ent­steht zwar Nichts, je­doch das Gan­ze ist gut ge­glät­tet und so schön ge­schmiert.

Der Irrgarten

Die Spra­che ist, dies glaubt mir auf mein Wort, ein Zwist, bei dem ein Wort das and­re gibt. Es le­ben Lust und Zwei­fel im­mer­fort im Zwie­spalt und es neckt sich, was sich liebt. Was treibt es nur? Ge­burt zu­gleich und Mord? Ich steh’ da­bei und habe nichts ver­übt. Wie kam ich an den zau­be­ri­schen Ort? Die Welt ist durch das Sieb des Worts ge­siebt.

Der Reim

Er ist das Ufer, wo sie lan­den, sind zwei Ge­dan­ken ein­ver­stan­den.

Hier sind sie es: die Paa­rung ist voll­zo­gen. Zwei wer­den eins im Ver­ständ­nis, und die Bin­dung, wel­che Ge­dicht heißt, ist so für al­les, was noch fol­gen kann, zu spü­ren wie für al­les, was vor­her­ging; im Reim ist sie be­schlos­sen. Lan­den und ein­ver­stan­den: aus der Wor­tum­ge­bung strömt es den zwei Ge­dan­ken zu, sie ans ge­mein­sa­me Ufer trei­bend. Kräf­te sind es, die zu ein­an­der wol­len, und mün­den im Reim wie im Kuß. Aber er war ih­nen vor­be­stimmt, aus sei­ner ei­ge­nen Na­tur zog er sie an und gab ih­nen das Ver­mö­gen, zu ein­an­der zu wol­len, zu ihm selbst zu kön­nen. Er ist der Ein­klang, sie zu­sam­men­zu­schlie­ßen, er bringt die Sphä­ren, de­nen sie zu­ge­hö­ren, zur voll­kom­me­nen De­ckung. So wird er in Wahr­heit zu dem, als was ihn der Vers de­fi­niert: zum Ziel ih­rer spra­che­ro­ti­schen Rich­tung, zu dem Punkt, nach dem die Lust­fahrt geht. So­hin gel­te als Grund­satz, daß je­ner Reim der dich­te­risch stärks­te sein wird, der als Klang zu­gleich der Zwang ist, zwei Emp­fin­dungs- oder Vor­stel­lungs­wel­ten zur An­glei­chung zu brin­gen, sei es, daß sie kraft ih­rer Na­tu­ren, gleich­ge­stimmt oder an­ti­the­tisch, zu ein­an­der stre­ben, sei es, daß sie nun erst ein­an­der so an­ge­mes­sen, an­ge­dich­tet schei­nen, als wä­ren sie es schon zu­vor und im­mer ge­we­sen. Ist die­se Mög­lich­keit ein­mal ge­setzt, so wird der Weg sicht­bar, wie es ge­lin­gen mag, dem Reim eine Macht der Bin­dung zu ver­lei­hen, die jen­seits des bis­her al­lein ge­neh­mig­ten Kri­te­ri­ums der »Rein­heit« wal­tet, ja vor der sol­che An­sprü­che über­haupt nicht gel­tend ge­macht wer­den könn­ten. Denn nicht das Richt­maß der Form, son­dern das der Ge­stalt be­stimmt sei­nen Wert. Den Zwang zum Reim bringt in­ner­halb der Bin­dung des Ver­ses nicht jede dich­te­ri­sche Ge­stal­tung, die die­se auf­er­legt, er kann sich aber, wie am Ende ei­ner Sha­ke­s­pea­re-Schle­gel’­schen Ti­ra­de gleich­sam als das Fa­zit ei­ner Ge­dan­ken­rech­nung er­ge­ben, worin die An­glei­chung der dar­ge­stell­ten Sphä­ren ih­ren gül­ti­gen Aus­druck fin­det. Der gan­zen Dar­stel­lung förm­lich ent­wun­den, dem ge­gen­sei­ti­gen Zwang, der zwi­schen der Ma­te­rie und dem Schöp­fer wirk­sam ist, lebt er in ei­ner we­sent­lich an­de­ren Re­gi­on des Aus­drucks als das äu­ßer­li­che Spiel, das er etwa in ei­ner dürf­ti­gen Cal­de­ron-Über­set­zung oder gar in ei­nem Grill­par­zer­schen Ori­gi­nal vor­stellt. Die Not­wen­dig­keit des Rei­mes muß sich in der Über­win­dung des Wi­der­stands fühl­bar ma­chen, den ihm noch die nächs­te sprach­li­che Um­ge­bung ent­ge­gen­setzt. Der Reim muß ge­bo­ren sein, er ent­springt dem Ge­dan­ken­schoß; er ist ein Ge­schöpf, aber er ist kein In­stru­ment, be­stimmt, einen Klang her­vor­zu­brin­gen, der dem Hö­rer et­was Ge­fühl­tes oder Ge­mein­tes ein­präg­sam ma­che. Die ge­sell­schaft­li­che Auf­fas­sung frei­lich, nach der der Dich­ter so et­was wie ein Le­ben­sta­pe­zie­rer ist und der Reim ein akus­ti­scher Zie­rat, hat an ihn kei­ne an­de­re theo­re­ti­sche For­de­rung als die der »Rein­heit«, wie­wohl dem prak­ti­schen Be­dürf­nis auch das not­dürf­tigs­te Ge­klin­gel schon ge­nügt. Aber selbst eine Kri­tik, die über den nied­ri­gen An­spruch des Ge­schmackes hin­aus­ge­langt, ist noch weit ge­nug ent­fernt von je­ner wah­ren Er­kennt­nis des Reim­we­sens, für die sol­ches Ni­veau über­haupt nicht in Be­tracht kommt. Wenn man den gan­zen Tief­stand der Mensch­heit, über den sie sich mit ih­rem tech­ni­schen Hoch­flug be­trügt, auf ihre dä­mo­ni­sche Ah­nungs­lo­sig­keit vor der ei­ge­nen Spra­che zu­rück­füh­ren darf, so möch­te man sich wohl von ei­ner kul­tu­rel­len Ge­setz­ge­bung einen Fort­schritt er­hof­fen, die den Mut hät­te, die Un­ta­ten der Wort­miß­brau­cher un­ter Strafsank­ti­on zu stel­len und ins­be­son­de­re das Spie­ßer­ver­gnü­gen an Rei­me­rei­en durch die Prü­gel­stra­fe für Tä­ter wie für Ge­nie­ßer glei­cher­ma­ßen ge­fahr­voll zu ma­chen.