Eine Familie zum Verlieben - Marion Lennox - E-Book
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Eine Familie zum Verlieben E-Book

MARION LENNOX

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Beschreibung

EIN LEBENSRETTER ZUM VERLIEBEN

Dr. Ben Ross’ erster Arbeitstag in der Praxis endet dramatisch: Er rettet dem Sohn seiner neuen Kollegin Kat das Leben und wird dabei verletzt! Glück im Unglück: Kat nimmt ihn in ihrer kleinen Familie auf. Fast, als hätte sie nur auf ihn gewartet …

EINE FAMILIE FÜR DR. EVANS?

Seine maskuline Ausstrahlung ist so unwiderstehlich wie damals - Emilys Herz macht einen Satz! Fünf Jahre Trennung liegen hinter ihr und Dr. Oliver Evans, weil er ihren Traum von einer Familie nicht teilte. Wie soll es nur werden, mit Oliver auf der Entbindungsstation zu arbeiten?

ERFÜLLE MEINEN HERZENSWUNSCH

Aus tiefem Koma erwacht Janey - und blickt in die sanften Augen von Dr. Luke Bresciano! Ist er der Grund, warum ihr Herz plötzlich schneller schlägt? Und was wird der gut aussehende Arzt sagen, wenn er erfährt, warum sie zu ihm nach Crocodile Creek zurückgekehrt ist?

UNSER KIND MUSS LEBEN!

Alles will Jodi tun, um das Leben ihres Sohnes zu retten! Auch wenn sie den Mann anflehen muss, den sie früher so geliebt und dann verlassen hat, weil er Gefühle nicht zuließ und nur seine Arbeit kannte: Dr. Mitch Maitland - Jamies Vater, der nichts von Jamie ahnt …

WIE SPUREN IM SAND

Ist Lachlan der Richtige für sie? Eloise hat das wilde Rauschen der Brandung in den Ohren, als er sie am Strand in seine Arme zieht und zärtlich küsst. Hier, an der Küste Cornwalls ist sie sich plötzlich ganz sicher: Lachlan ist der Mann ihres Lebens. Doch eigentlich soll die junge Gerichtsmedizinerin mit ihm gemeinsam einen mysteriösen Mordfall aufklären. Als dann die Ermittlungen auf einmal eine unerwartet persönliche Wende nehmen, bekommt Eloise dennoch Zweifel …

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Seitenzahl: 954

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Josie Metcalfe, Marion Lennox, Lilian Darcy, Sue Mackay, Melanie Milburne

Eine Familie zum Verlieben

IMPRESSUM

Ein Lebensretter zum Verlieben erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2006 by Josy Metcalfe Originaltitel: „A Family To Come Home To“ Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN Band 15 - 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Ralf Kläsener

Umschlagsmotive: GettyImages_Jelena Danilovic

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733729882

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

„Er ist da“, sagte die Stimme am Telefon etwas atemlos und mit einem ungewohnt aufgeregten Unterton.

Katriona, von allen nur Kat genannt, unterdrückte ein Grinsen über den Versuch ihrer Empfangsdame Rose, verschwörerisch zu flüstern. Offensichtlich stand der Bewerber, den sie ankündigen wollte, ganz in ihrer Nähe. Auf jeden Fall schien er sie mächtig beeindruckt zu haben, durch sein Auftreten, seine guten Manieren oder sein Aussehen.

„Darauf kommt es mir nicht in erster Linie an“, dachte Kat. Würde sie wieder nur ihre Zeit verschwenden? Sie brauchte vor allem einen erfahrenen, qualifizierten und verlässlichen Kollegen, der bereit war, ihr einen Teil der Arbeit in der Praxis abzunehmen.

„Dann bitte ihn herein, Rose“, schlug sie vor. Hoffentlich war ihr nicht anzuhören, dass sie auch von diesem Gespräch wenig erwartete.

Wie viele Vorstellungsgespräche hatte sie in den vergangenen Tagen geführt? Sie wusste es nicht mehr. Es hatten sich eine ganze Reihe von Bewerbern vorgestellt, aber würde der vorerst letzte Kandidat nicht genauso schnell wie die anderen kein Interesse mehr an dem Job haben, wenn er erst einmal herausfand, wie schwierig die Lage in der Praxis war und wie viel Arbeit ihn dort erwartete?

Als es an der Tür klopfte, setzte sie sich aufrecht hin und rang sich ein geschäftsmäßiges Lächeln ab.

„Herein!“, rief sie – und erwartete, zuerst Roses immer fröhliches, mütterliches Gesicht zu sehen, bevor sie die Tür ganz öffnete und den Besucher hineinführte. Aber es trat ein großer, hagerer Mann ein, den eine Aura von Düsterkeit und Trauer umgab. „Es kann also nicht sein Charme gewesen sein, der Rose so beeindruckt hat“, dachte Kat.

„Ihre Mitarbeiterin am Empfang hat mich gebeten, Ihnen auszurichten, sie müsse sich noch um die O’Gormans kümmern“, sagte der Mann mit etwas rauer Stimme, wobei er die Tür hinter sich schloss.

Eine Sekunde lang war Kat versucht, ihm zu sagen, er möge die Tür offen lassen. Eine seltsame Spannung lag seit seinem Eintritt in der Luft. Kat verspürte so etwas wie Beklemmung.

„Bitte … setzen Sie sich doch, äh, Dr. …“ Sie deutete auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch. Jetzt war ihr auch noch der Name ihres Besuchers entfallen, was ihr außerordentlich peinlich war.

„Ross, Benjamin Ross.“ Er schaute Kat ganz ruhig an. „Normalerweise nennt man mich Ben.“

Er hat grüne Augen, stellte Kat verwundert fest. Ungewöhnliche Augen, die von dichten dunklen Wimpern umgeben waren. Als er die Augenbrauen leicht hochzog, wurde Kat klar, dass sie ihn unbewusst angestarrt hatte.

„Also gut, Dr. Ross … äh, Ben …“, stammelte Kat, während sie verzweifelt versuchte, ihre Nerven unter Kontrolle zu bekommen.

„Bleiben wir bei Ben … das ist einfacher“, sagte er ohne besondere Betonung. Aber seine Hand, mit der er die Informationsbroschüre über die Praxis, die ihm Rose wohl gegeben hatte, umklammerte, machte deutlich, dass er nicht so ruhig war, wie es auf den ersten Blick schien.

„Nun, Ben“, fuhr Kat fort. „Was wissen Sie über die Situation hier in Ditchling?“

„Wenn Sie danach fragen, ob ich Ihre Anzeige in einer Fachzeitschrift gelesen habe, muss ich Sie enttäuschen. Ich war nicht auf der Suche nach einem Job“, meinte er trocken. „Ich hörte von einem Freund Ihres verstorbenen Mannes, dass Sie Unterstützung brauchen.“

„Das stimmt“, sagte sie fast tonlos. Ein scharfer Schmerz ließ sie einen Moment lang verstummen. Sie holte tief Atem. „Richard ist vor knapp einem Jahr an Leukämie gestorben, nur drei Wochen, nachdem die Krankheit bei ihm diagnostiziert worden war.“

Erstaunt stellte sie fest, dass ein dunkler, quälender Schatten die Augen ihres Gegenübers verschleierte.

„Ich nehme an, Sie haben diese Praxis gemeinsam mit Ihrem Mann betrieben“, meinte er. „Haben Sie seit seinem Tod versucht, allein zurechtzukommen?“

„Versucht ja, aber vergeblich“, dachte Kat.

„Mir war klar, dass ich es allein nicht schaffen würde“, gab sie zu. „Ich hatte schon verschiedene Aushilfen. Und einmal sah es so aus, als ob ich einen jungen Kollegen gefunden hätte, der als Partner für die Praxis in Frage kam.“ Sie seufzte. „Leider stellte er sich als unerträglich arrogant heraus. Er hatte gerade erst seine Assistenzzeit beendet und besaß kaum praktische Erfahrung, meinte aber, er könne gleich die Leitung der Praxis übernehmen. Er war zu sehr von der Überlegenheit des männlichen Geschlechtes überzeugt.“

Ben verzog so ärgerlich das Gesicht, dass Kat fast gelächelt hätte.

„Mit den Bewerbern, die danach kamen, hatte ich ebenso wenig Glück“, fuhr sie fort. „Keiner war bereit, so viel Zeit in den Job zu investieren, wie es erforderlich ist. Und die meisten fanden das Leben in einer Kleinstadt wie dieser für sich selbst und ihre Familien zu öde.“

„Und was war mit den Aushilfen?“, wollte er wissen.

„Aushilfen sind teuer“, gestand Kat. „Manchmal blieb mir nichts anderes übrig, als eine Aushilfe zu engagieren, aber …“ Kat verstummte achselzuckend. Sie hatte sich die Aushilfen nur leisten können, indem sie noch mehr arbeitete und auf jede Art von Freizeit verzichtete.

Ob Ben tatsächlich Interesse an dem Job hatte?

Sie gab sich einen Ruck. Schließlich führte sie das Vorstellungsgespräch, also durfte sie auch die Fragen stellen. „Was bringt Sie hierher an die Westküste? Haben Sie Verwandte in der Gegend? Oder wollen Sie sich mit Ihrer Familie hier niederlassen?“

„Ich bin alleinstehend“, sagte er in einem Ton, der ihr zeigte, dass er über dieses Thema nichts weiter sagen wollte. „Ich bin noch niemals zuvor in dieser Gegend gewesen.“

Kats Zuversicht schwand. Dann würde er es wohl auch nicht lange in dieser Abgeschiedenheit aushalten. Für einen ledigen Mann gab es kaum Gelegenheit, eine Frau kennenzulernen. Aber sie schob ihre Zweifel beiseite. Wenn sie ihn überzeugen könnte, wenigstens eine Zeit lang für ein erträgliches Honorar in der Praxis mitzuarbeiten, würde sie sich in Ruhe nach einem möglichen Ersatz umsehen können.

„Wenn ich davon ausgehe, dass Sie die notwendigen Qualifikationen für den Job haben … wie lange würden Sie bleiben wollen?“ Kat wusste nur zu gut, dass schon ein einziger Monat ihr wirklich helfen würde. Jeder weitere wäre ein Geschenk.

„Reden wir erst einmal von zwei Wochen“, meinte er. Fast hätte sie aufgestöhnt. Dafür lohnte sich kaum der Aufwand, die nötigen Formulare auszufüllen. „In dieser Zeit können wir feststellen, ob wir miteinander auskommen“, fuhr er fort. „Wenn wir uns nicht vertragen, würde ich nach den zwei Wochen wieder gehen.“

„Und im anderen Fall?“, fragte sie gespannt. Verwundert stellte sie fest, dass seine Antwort ihr sehr wichtig war.

„Wenn wir gut zusammenarbeiten, würde ich auf jeden Fall drei Monate lang bleiben, vielleicht sogar ein halbes Jahr“, schlug er vor. „Aber länger kann ich nicht.“

Sie war kurz davor, nach den Gründen zu fragen. Aber sein verschlossenes Gesicht machte deutlich, dass er keine persönlichen Fragen zu hören wünschte. Und Kat wollte ihm auf keinen Fall Anlass geben, es sich vielleicht doch noch zu überlegen.

Als plötzlich das Telefon auf ihrem Schreibtisch läutete, schrak Kat auf. „Entschuldigung“, sagte sie und hob den Hörer ab. „Was gibt es, Rose?“

„Josh und Sam sind hier“, teilte die Empfangsdame ihr mit. „Sie sind mit dem Bus gekommen. Sam hat wohl seinen Rucksack mit den Sachen für den Sportklub heute Abend vergessen.“

Seufzend schaute Kat auf die Uhr. Eigentlich hätten die Jungen den ganzen Tag in der Schule bleiben sollen, damit sie mit der Arbeit in der Praxis und bei dem Vorstellungsgespräch mit Dr. …, also mit Ben, nicht unter Zeitdruck stand. Stattdessen waren die beiden gleich nach Unterrichtsschluss nach Hause gekommen, weil sie etwas vergessen hatten. Das hieß, sie musste sie mit dem Wagen wieder zur Schule zurückfahren – und die lag ziemlich weit entfernt.

„Es tut mir leid. Ich fürchte, ich muss mich beeilen“, sagte sie, schaltete ihren Computer ab, sammelte rasch die Unterlagen auf ihrem Schreibtisch zusammen und verstaute sie in der Schublade. „Vergessliche Kinder können jede noch so sorgfältige Terminplanung auf den Kopf stellen.“

„Ihre Kinder oder die von Rose?“ Ben war aufgestanden, als sie sich erhoben hatte. Seine altmodische Höflichkeit überraschte sie, und ihre Wangen röteten sich leicht.

„Meine“, sagte sie, während sie sich bückte, um ihre Handtasche aus dem unteren Fach des Schreibtisches zu nehmen.

„Wer ist das?“, fragte Josh mit der unverblümten Direktheit eines Elfjährigen, als Kat mit Ben zur Rezeption kam.

„Benimm dich, Josh“, ermahnte sie ihn. Sie wusste, wie sehr ihr älterer Sohn bis heute unter dem Verlust seines Vaters litt. Ihre Bekannten hatten sie zu trösten versucht und gesagt, Josh würde mit der Zeit darüber hinwegkommen. Aber sie hatten sich getäuscht. Josh schien immer tiefer in seinem Schmerz zu versinken.

„Also, wer ist das?“, fragte Josh noch einmal ziemlich aufsässig. Er schien zu merken, dass Ben nicht irgendein Patient war.

„Das sind meine beiden Söhne, Josh und Sam“, sagte Kat, die etwas überreizt und müde war, da sie in der letzten Zeit kaum mehr als fünf Stunden pro Nacht geschlafen hatte. „Dieser Gentleman und ich haben ein Vorstellungsgespräch geführt.“

„Will er hier arbeiten?“, fragte Kats achtjähriger Sohn Sam. „Dann sind Sie ein Doktor, wie mein Daddy einer war.“

„Stimmt“, meinte Ben lächelnd zu dem Jungen. „Eure Mutter möchte gern mehr Zeit mit euch verbringen, aber dazu braucht sie jemanden, der ihr bei der Arbeit hilft.“

Joshs Gesicht war noch verschlossener geworden, als Sam den Vater erwähnte. Kat ahnte, dass ihn Bens Anwesenheit irgendwie störte. Ihre Ahnung bestätigte sich sofort.

„Die Arbeit hier wird Ihnen bestimmt keinen Spaß machen“, stieß Josh hervor. „Hier in der Stadt ist es langweilig. Warum arbeiten Sie nicht in einem Krankenhaus?“

„Das hätte ich tun können“, meinte Ben ungerührt. „Aber ich habe schon in einem Krankenhaus gearbeitet. Deshalb wollte ich jetzt einmal etwas anderes machen.“

Kat wunderte sich darüber, mit welchem Nachdruck Ben gesprochen hatte. Aber in Gegenwart ihres immer noch misstrauisch schauenden älteren Sohnes stellte sie die Frage nicht, die ihr auf der Zunge lag.

„Jedenfalls“, meinte Ben mit einem raschen Seitenblick auf Kat, „haben eure Mutter und ich uns geeinigt, dass ich vorerst für zwei Wochen hier bleibe. Dann hat sie endlich etwas Ruhe und kann sich mit euch beschäftigen.“

„Mum, wir kommen zu spät in den Sportklub, wenn wir jetzt nicht losfahren“, unterbrach Sam ihn.

„Sam …“, sagte Kat mit einem warnenden Unterton. Sie wusste, er war ein kleiner Pünktlichkeitsfanatiker, aber das war keine Entschuldigung für schlechtes Benehmen.

Schuldbewusst senkte der Kleine den Kopf. „Tut mir leid, dass ich Sie unterbrochen habe, aber …“ Nervös hüpfte er von einem Fuß auf den anderen.

„Also“, meinte Kat entschieden und gab Sam den Hausschlüssel. „Ihr geht schnell ins Haus und holt eure Sachen. Wir treffen uns am Auto. Und rennt nicht so wild!“, rief sie ihnen nach, als die beiden aus der Empfangshalle stürmten. Sie zuckte zusammen und seufzte, als die Tür schmetternd ins Schloss fiel.

„Sind Sie sicher, dass Sie bei uns bleiben wollen?“, fragte sie Ben zögernd. „Sie können davon ausgehen, dass Ihnen zwei ziemlich aufregende und laute Wochen bevorstehen, wenn Sie hier bei uns wohnen.“

Verblüfft sah Ben sie an. „Ich soll hier bei Ihnen wohnen?“, wiederholte er ungläubig.

„Unterkunft wird zur Verfügung gestellt – so steht es in meinen Jobannoncen“, erwiderte Kat. „Das Haus verfügt neben den Praxisräumen und meiner Wohnung über eine separate kleine Wohnung im ersten Stock.“ Sie schaute ihn nicht an, weil sie nicht wusste, wie sie mit dem fragenden Blick seiner grünen Augen umgehen sollte.

„Es gibt einen Schlafraum, einen Wohnraum, ein Badezimmer und eine kleine Küche. Sie sind also völlig unabhängig. Wenn Sie den Wunsch haben, mit uns gemeinsam zu essen, dann sagen Sie es mir. Einige Aushilfen haben das früher gern getan.“ Sie bemühte sich, locker und unbefangen zu klingen.

„Hoffentlich war es richtig, dass ich das gesagt habe, und er ändert seine Meinung deswegen nicht“, dachte sie. Es schockierte sie, dass sie dabei nicht nur die Arbeit in der Praxis im Sinn hatte. Sie fühlte, dass ein seelisches Problem diesen stillen, zurückhaltenden Mann belastete. Plötzlich verspürte sie den Wunsch, ihm zu helfen.

„Soll ich die Praxis abschließen, wenn ich gehe?“, wollte Rose wissen. „Oder möchtest du, dass ich warte, bis du zurück bist?“

Kat schüttelte die Gedanken ab, denen sie nachgehangen hatte. „Schließ ruhig alles ab, wenn du gehst, Rose“, meinte sie. Lächelnd wandte sie sich an Ben. „Morgen ist nur vormittags Sprechstunde. Anschließend werde ich Ihnen dann die Arztpraxis zeigen – es ist übrigens die einzige in Ditchling.“

Plötzlich fiel ihr etwas ein. „Was gab es mit den O’Gormans? Probleme?“

„Nicht im Geringsten“, meinte Rose fröhlich. „Ich habe den Jungs nur gesagt, dass ich sie einsperre, wenn sie sich nicht anständig benehmen.“

Kat musste lachen. Rose konnte bei all ihrer Gemütlichkeit auch eine Strenge zeigen, die vor allem Kinder im Vorschulalter beeindruckte.

„Gut“, erwiderte Kat. „Ich gehe jetzt besser, bevor Sam völlig ungeduldig wird.“ Sie winkte Rose und Ben zu und ging zur Tür, während sie sich bewusst war, dass ihr ein Elfjähriger mit düsterem Gesichtsausdruck folgte.

Kat seufzte innerlich. Sie hatte Ben als Aushilfe angestellt, weil sie sich von ihm Unterstützung erhoffte – und keine zusätzlichen Schwierigkeiten.

„Ich bin in einer guten Viertelstunde wieder hier“, meinte sie zu Ben. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, können Sie hier warten. Ich gebe Ihnen meinen Schlüssel.“

„Ich warte“, sagte er. „Es gibt noch ein paar Fragen, die zu besprechen wären.“

„Schön“, antwortete Kat. Wo Sam nur wieder steckte? Er war schon nach draußen gegangen, aber sie konnte ihn nicht entdecken.

Sie stieg in ihren Wagen und warf einen Blick in den Rückspiegel, um sicher zu sein, dass Josh sich anschnallte. Dann startete sie den Motor und wollte den Wagen rückwärts aus der Parklücke rangieren, damit sie gleich losfahren konnte, wenn Sam endlich auftauchte.

Aus dem Augenwinkel bemerkte sie im Rückspiegel eine Bewegung. In dieser Sekunde gab es einen dumpfen Schlag. Irgendetwas war gegen den Kofferraum ihres Wagens geprallt.

„Oh, mein Gott, oh, mein Gott“, rief Kat, während sie scharf bremste. Sie riss die Tür auf und sprang hinaus. „Sam!“, schrie sie auf. „Was ist passiert?“

„Mum … es tut mir leid“, sagte der kleine Junge weinerlich und warf sich in ihre Arme.

„Oh, Sam!“ Sie war erleichtert, weil er offensichtlich nicht verletzt war. Trotzdem fühlten sich ihre Knie weich an wie Gummi, und sie wäre fast zusammengebrochen.

„Ich habe vergessen, dass ich nicht von hinten, sondern immer nur von vorne zu dem Auto gehen soll, damit du mich siehst“, schluchzte er. „Es war mein Fehler.“

„Das nächste Mal denkst du bestimmt daran“, meinte Kat tröstend. Sie schauderte innerlich, als sie daran dachte, dass der Vorfall auch sehr viel schlimmere Folgen hätte haben können. „Zum Glück ist dir nichts passiert.“

„Aber er hat sich verletzt“, heulte Sam. „Und das ist auch mein Fehler.“

„Er?“ Kat schaute ihren Sohn scharf an. „Wen meinst du?“

„Ich nehme an, er meint mich“, sagte eine Stimme hinter dem Wagen.

„Ben?“ Sie hielt sich an dem Wagen fest, als sie nach hinten ging. Da sah sie ihn liegen, die Beine unter dem Wagen, der Oberkörper mit ausgestreckten Armen auf dem Pflaster. „Oh, mein Gott! Sind Sie verletzt?“ Sie kniete nieder. „Was für eine dumme Frage. Sie würden dort nicht so liegen, wenn Sie nicht verletzt wären. Ist es schlimm?“

Ohne weiter darüber nachzudenken, nahm sie seinen Kopf in beide Hände und fuhr mit den Fingern durch sein dichtes dunkles Haar. Sie war froh, dass sie keine Verletzung ertasten konnte und er nicht blutete.

„Wo haben Sie Schmerzen?“, wollte sie wissen und ließ ihre Finger an seinem muskulösen Hals hinabgleiten.

„Mein Bein“, stieß er mit zusammengepressten Zähnen hervor. „Ich wollte noch im letzten Moment ausweichen, aber … wenigstens habe ich es geschafft, nicht mit dem Kopf auf dem Boden aufzuschlagen.“

„Ist das Bein gebrochen?“

„Entweder das – oder böse verrenkt. Ah …“, stöhnte er auf, als er das Bein zu bewegen versuchte.

Sam hatte sich neben Kat niedergekauert. „Ich bin schuld“, sagte er mit schriller, hysterischer Stimme. „Ich war direkt hinter dem Wagen, und er wollte mich zurückziehen. Muss er sterben?“ Kat begriff, wie traumatisch dieses Erlebnis für einen Jungen war, der erst vor einem Jahr seinen Vater verloren hatte.

„Ich bin ziemlich zäh, so leicht sterbe ich nicht“, meinte Ben. „Aber es ist nicht sehr bequem, hier noch länger auf dem harten Boden zu liegen.“

Inzwischen war Rose herbeigeeilt. „Soll ich einen Krankenwagen rufen?“, fragte sie aufgeregt.

„Nein“, sagte Ben entschieden. „Keinen Krankenwagen.“

„Aber wieso nicht?“, wunderte sich Kat. Es war offensichtlich, dass er Hilfe brauchte.

Er antwortete nicht, sondern begann vorsichtig, seine Beine unter dem Wagen hervorzuziehen. Er stützte sich auf die Ellbogen und schob sich Zentimeter für Zentimeter zurück.

„Es ist nicht so schlimm, als dass ich einen Krankenwagen brauchte. Fahren Sie Ihren Wagen ein Stück vor, Kat, dann können Sie meine Beine zusammenbinden, um das verletzte Bein zu stabilisieren. Könnte Rose ein paar elastische Binden holen?“

Kat sah besorgt, dass sein Gesicht ganz bleich geworden war. Und wenn er sich bewegte, biss er die Zähne so fest aufeinander, dass seine Wangenknochen kantig hervortraten.

„Sie könnten mich doch in Ihrem Wagen zum Krankenhaus bringen“, schlug er vor.

Natürlich konnte sie das. Aber warum hatte er abgelehnt, einen Krankenwagen zu rufen?

„Selbstverständlich fahre ich Sie dorthin“, versicherte sie. „Bleiben Sie jetzt ruhig liegen, bis ich den Wagen vorgefahren habe.“

Als sie sich hinter das Steuer setzte, warf sie einen Blick auf ihre Söhne, die Ben mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken betrachteten.

Sams Reaktion war leicht zu verstehen. Er war schockiert, er hatte geglaubt, Ben würde sterben, wie damals sein Vater. Und er fühlte sich schuldig, weil seine Gedankenlosigkeit den Unfall verursacht hatte.

Josh verbarg seine Gefühle auch jetzt hinter der Maske von Passivität und Resignation, die er seit dem Tod des Vaters trug. Aber Kat war sich sicher, dass sie bei ihm so etwas wie Respekt vor Bens Tapferkeit spüren konnte.

„Sam, du setzt dich besser in den Wagen“, sagte Kat energisch. „Hier, auf den Vordersitz. Und schnall dich gut an. Josh, bleibst du bitte bei Ben? Ich brauche deine Hilfe, um ihn in den Wagen zu setzen. Du kannst dich auf der Fahrt ins Krankenhaus um ihn kümmern. Tust du das für mich?“

Zum ersten Mal seit einem Jahr schien Josh aus seiner Lethargie aufzuwachen. Auf seinem Gesicht zeigte sich ein Anflug von Stolz, dass seine Mutter ihn um Hilfe bat. „In Ordnung“, sagte er lässig. „Wenn du ein paar Holzlatten brauchst, um sein Bein zu schienen, kann Sam welche von drüben holen. Bei der Reparatur des Zaunes sind einige übrig geblieben.“

„Gute Idee“, nickte Kat. Während sie den Wagen ein Stück vorfuhr, kam ihr der Gedanke, ob sie die beiden Jungen vielleicht zu sehr in Watte gepackt und ihnen zu lange Gelegenheit gegeben hatte, über ihrem Schmerz zu brüten. Praktische Anforderungen schienen ein heilsames Mittel gegen Depressionen zu sein.

Kat stieg wieder aus und ging rasch zu Ben hinüber. Sie fühlte sich schrecklich. Wie hatte ihr das nur passieren können?

Es war kein Blut zu sehen. Bens Hosenbein war weder zerrissen noch zerknittert. Aber der unnatürliche Winkel, in dem das Bein abstand, ließ nichts Gutes vermuten. Ein Blick genügte, um zu erkennen, dass sein Unterschenkel gebrochen war.

„Hier sind die Bandagen, Kat“, sagte Rose. Sie legte mehrere Rollen, ein paar Handtücher, die Sauerstoffflasche und die Maske eines Beatmungsgerätes auf den Boden.

„Lachgas?“, wollte Ben wissen.

„Leider nicht, nur Sauerstoff“, erwiderte Kat. „Lachgas hätten Sie im Krankenwagen bekommen. Es tut bestimmt weniger weh, wenn wir das Bein geschient haben.“

Ben nickte.

„Also“, sagte sie, „jetzt übernehme ich das Kommando. Josh, schiebe Ben meine Jacke unter den Kopf, damit er es bequemer hat. Halte ihn fest, damit er sich möglichst wenig bewegt. Wenn es sein muss, setzt du dich auf ihn, okay?“

Während sie alles zurechtlegte, um mit den Latten, die Sam herbeigebracht hatte, Bens Bein zu schienen und dann zur Stabilisierung an dem gesunden Bein festzubinden, zeigte sich auf Joshs Gesicht ein Ausdruck von Aufmerksamkeit und Interesse, den sie lange nicht bei ihm gesehen hatte.

„Hier“, sagte Ben und deutete auf ein kleines Taschenmesser an seinem Schlüsselbund. „Schneiden Sie damit das Hosenbein auf.“

Bedauernd blickte Kat ihn an. „Es ist schade, dass ich die Hose zerschneiden muss“, meinte sie, setzte dann aber entschlossen das Messer an.

Als sie das aufgeschlitzte Hosenbein über das Knie hinaufschob, war der Bruch deutlich zu erkennen. Sie testete die Muskelreflexe und stellte beruhigt fest, dass sie noch funktionierten.

„Können Sie die Zehen bewegen?“

„Kein Problem. Und die Wadenmuskeln scheinen auch in Ordnung zu sein“, erwiderte Ben. „Erst war das Bein stärker abgewinkelt. Aber dadurch, dass ich mich rückwärts unter dem Wagen hervorgezogen habe, hat es sich wieder gestreckt. Gut für die Blutzirkulation.“

„Das ist eine Methode, die ich als Ärztin nicht empfehlen würde“, meinte Kat, während sie begann, die Holzschienen mit den Bandagen fest zu umwickeln. Bevor sie das gesunde Bein mit einer weiteren Bandage an dem verletzten Bein festband, legte sie Handtücher zur Polsterung dazwischen.

Als sie fertig war, winkte sie Sam. „Kannst du die hintere Wagentür weit öffnen?“ Sie fragte sich, wie sie es schaffen könnte, Ben aufzurichten und ihn auf den Rücksitz zu befördern. Er war erheblich größer als sie. Und wenn er auch sehr schlank war, würde sie sein Gewicht nicht tragen können.

Sie holte tief Luft und stellte sich hinter ihn. „Wenn ich Ihre Schultern halte, können Sie sich dann zum Sitzen aufrichten?“

Sein unterdrücktes Stöhnen zeigte ihr, dass er Schmerzen hatte, aber er tat alles, um sie zu unterstützen. Als er schließlich saß, überlegte sie verzweifelt, wie sie ihn zum Wagen bringen könnte. Erstaunt riss sie die Augen auf, als sie sah, dass er sich mit beiden Armen auf den Boden stemmte und ruckartig rückwärts auf den Wagen zu bewegte.

„Was machen Sie da?“

„Ich schiebe mich bis zur offenen Wagentür“, stieß er schwer atmend hervor. „Sie sind nicht in der Lage, mich hochzuheben, also geht es nur so.“

Kat wusste, dass er recht hatte, aber sie fühlte sich sehr beunruhigt. Bei ihrer flüchtigen Untersuchung hatte sie nur den Beinbruch festgestellt. Vielleicht war sein Rückgrat verletzt? Die möglichen Konsequenzen ließen sie erschaudern.

„Warum haben Sie mich nicht den Krankenwagen rufen lassen? Es wäre für Sie alles viel einfacher gewesen.“

Inzwischen lehnte Ben mit dem Rücken neben der geöffneten Tür am Wagen. „Helfen Sie mir mal kurz, dann schaffe ich das schon“, murmelte er, ohne auf ihre Frage zu antworten.

„Sie müssen mir nur sagen, was ich machen soll“, meinte Kat.

„Können Sie meine Beine anheben, während ich mich auf den Rücksitz hochstemme?“ Mit dem Ärmel wischte er sich den Schweiß von der Stirn.

„Aber Sie sagen mir sofort, wenn ich Ihnen wehtue“, verlangte Kat.

„Es wird schon klappen“, beruhigte Ben sie. Er warf einen Blick auf die beiden Jungen, die wie gebannt der Unterhaltung zwischen ihm und Kat zuhörten.

„Sind Sie so weit?“, fragte er. Sie bückte sich und schlang die Arme um seine zusammengebundenen Beine.

Ben legte beide Hände auf die Türschwelle hinter sich und drückte sich hoch. Er war schwerer, als Kat erwartet hatte, aber mit einer mächtigen Anstrengung schaffte er es so gut wie allein.

„Und nun auf den Sitz“, meinte er und griff mit einer Hand nach dem Haltegriff über der Tür. Die andere stemmte er auf die Sitzbank. Seine Stimme klang heiser, und sein blasses Gesicht war schweißnass. „Jetzt!“

Dann saß er schwer atmend auf der Rückbank, während sie seine Beine anhob und ihm half, bis ans andere Ende der Sitzbank zu rutschen und sich mit dem Rücken gegen die Tür zu lehnen.

„Könnte Josh zu mir auf die Rückbank kommen?“, fragte er. „Haben Sie eine Decke, um sie über seine Oberschenkel zu breiten? Dann kann ich meine Beine darauflegen.“

„Dazu brauche ich keine Decke“, sagte Josh. „Außerdem ist es nicht weit bis zum Krankenhaus.“ Er stieg ein und hob Bens Beine vorsichtig an.

Rasch setzte Kat sich hinters Steuer, bevor sie prüfte, ob Sam sich auf dem Beifahrersitz angeschnallt hatte, und startete den Motor.

„Soll ich warten, bis ihr zurück seid?“, rief Rose.

„Nein, der Tag war lang genug. Geh bitte nach Hause. Aber überzeuge dich vorher, dass die Telefone zum Nachtservice umgeschaltet sind. Bis morgen früh dann.“

„Bitte, Kat, ruf mich unbedingt an, wenn du vom Krankenhaus zurück bist. Ich kann nicht schlafen, bevor ich weiß, dass Ben gut versorgt ist.“

„Hoffentlich wird es nicht zu spät. Du weißt, Rose, dass die Röntgenaufnahmen und die vielleicht notwendigen Tests ziemlich lange dauern können. Vielleicht muss sein Bein ja auch operiert werden.“

„Der arme Mann.“ Roses blassblaue Augen waren voller Mitleid. „Und das alles nur, weil er mehr auf Sam geachtet hat als auf sich selbst.“

„Wie bitte?“ Verblüfft sah Kat sie an.

„Ich habe alles ganz genau vom Fenster aus beobachtet“, berichtete Rose. „Er sah, dass Sam hinter den Wagen lief und in Gefahr war. Er sprang vorwärts und riss ihn im letzten Moment zurück. Aber er selbst hatte keine Chance, dem Aufprall auszuweichen. Kat, er ist ein Held!“

2. KAPITEL

Er ist ein Held. Ben hatte Roses Worte deutlich gehört. Die Gedanken drehten sich in seinem Kopf.

„Wenn sie wüsste …“, murmelte er. Er befand sich im Krankenhaus, während eine Schwester sein Bein in einen Gipsverband legte. Irritiert schaute sie auf. „Haben Sie etwas gesagt?“ Sie schien nervös, vielleicht weil sie wusste, dass er selbst Arzt war.

„Nein, nur laut gedacht“, erwiderte er mit einem entschuldigenden Lächeln. „Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mich so rasch verarztet haben.“

Er wusste, dass Kat und ihre Söhne draußen warteten. Er hatte vorgeschlagen, sie sollte die beiden zu ihrem Sportklub fahren, aber Sam und Josh hatten entschieden protestiert. Genau wie Kat, als er ihr mitgeteilt hatte, mit einem Taxi zurückzufahren, wenn sein Bein versorgt war.

Er wollte das Krankenhaus so schnell wie möglich wieder verlassen. Der Geruch nach Desinfektionsmitteln und die Gedanken an den allgegenwärtigen Tod waren ihm unerträglich.

„Kann ich ein Paar Krücken bekommen?“, fragte er die Schwester.

„Oh, daraus wird heute Abend nichts mehr“, lächelte sie. „Morgen früh wird man Ihnen in der Physiotherapie welche zur Verfügung stellen, sobald der Stationsarzt Sie gesehen und untersucht hat. Ich hole gleich einen Rollstuhl und bringe Sie auf Ihr Zimmer.“

Plötzlich schmerzte sein Kopf, und er fühlte einen enormen Druck auf der Brust. „Draußen warten Kat und die Jungen auf mich, um mich nach Hause zu bringen. Kat ist eine sehr gute Ärztin und wird sich um mich kümmern. Ich brauche also jetzt gleich ein paar Krücken.“

„Aber …“, wollte sie einwenden.

„Jetzt gleich“, sagte er schärfer, als er gewollt hatte. „Ich werde nach Hause gehen … mit oder ohne Krücken.“

„Ich sehe zu, was ich machen kann“, versprach die Schwester.

Ein paar Minuten später hatte die erfahrene Krankenschwester den Gipsverband fertig. Er war froh, dass es sich letztendlich nur um einen glatten Bruch seines Schienbeines handelte, der ohne Komplikationen verheilen würde. Eine Sekunde lang stieg das Bild vor seinem inneren Auge auf, wie Kat mit ihren schlanken Fingern seinen Gipsverband glatt strich, vom Fußgelenk hinauf bis zum …

Wie kam er dazu, sich so etwas vorzustellen?

Solche Fantasien hatte er sehr lange nicht mehr gehabt. Nicht, seit … Er schüttelte den Kopf, um die Gedanken zu verscheuchen, die er seit drei Jahren konsequent vermieden hatte. Für eine Frau war kein Platz mehr in seinem Leben. Selbst wenn sie schlank und attraktiv war und sanfte, graue Augen besaß.

„So, das war’s“, meinte die Krankenschwester. „Jetzt muss der Gips nur noch ein paar Minuten aushärten. Inzwischen werde ich versuchen, ein paar Krücken für Sie aufzutreiben. Und dann brauche ich noch die Unterschrift des Stationsarztes, dass er Sie auf eigenen Wunsch entlässt.“

„Unterschrift oder nicht … ich gehe auf jeden Fall“, knurrte Ben. Schlimm genug, dass er in zwei, drei Tagen noch einmal herkommen musste, um sich untersuchen zu lassen. Aber wenn die Schwellung an seinem Bein zurückgegangen war, würde der Gips lose sitzen und durch eine Fiberglasschiene ersetzt werden.

Es erschien ihm wie eine Ewigkeit, bis die Schwester zurückkam. In einer Hand hielt sie ein paar Krücken aus Aluminium und in der anderen eine Hose aus grünem Stoff.

„Ich dachte mir, die könnten Sie auch gebrauchen. Ihre Hose können Sie jedenfalls nicht wieder anziehen. Die Arzthosen sind weit genug, dass sie über den Gips passen.“

„Danke, dass Sie daran gedacht haben.“ Er nahm die Hose in die Hand und stellte fest, dass er sie allein nicht überstreifen konnte.

„Soll ich Ihre Frau hereinrufen, damit sie Ihnen hilft?“, bot die Schwester an. „Sie werden ihre Hilfe in den nächsten Wochen sehr oft nötig haben.“

„Sie ist nicht meine Frau“, stellte Ben richtig. Der Schmerz, der ihn bei diesen Worten überfiel, ließ seine Stimme scharf und bitter klingen. Als die Schwester zusammenzuckte, lächelte er sie beruhigend an. „Sie ist meine neue Chefin“, meinte er gewollt fröhlich, „falls ich den Job wegen des gebrochenen Beines nicht schon wieder los bin.“

Merkwürdig, dass diese Vorstellung ein Gefühl von Enttäuschung in ihm auslöste.

„Na, am besten fragen Sie sie danach … aber vorher sollten Sie trotzdem die Hosen anziehen“, ging die Schwester auf seinen Tonfall ein. „Sie müssen sie zuerst über das Gipsbein streifen, so geht es am leichtesten.“

Mit der Hilfe der erfahrenen Schwester war er bald darauf passabel angezogen und schlüpfte mit dem gesunden Fuß in den Schuh. „Vergessen Sie nicht den anderen Schuh“, meinte die Schwester. „Sie brauchen ihn zwar erst in ein paar Wochen wieder, aber er soll ja nicht verloren gehen.“

Sie eilte zur Tür. „Wo bleibt er denn nur“, murmelte sie. Ein paar Sekunden später kam sie mit einem Mann zurück, der einen Rollstuhl schob.

„Den brauche ich nicht, die Krücken reichen mir völlig“, protestierte Ben. Er hasste die Vorstellung, von irgendjemandem abhängig zu sein.

„Glauben Sie mir, Sie werden froh sein über den Rollstuhl“, versicherte die Schwester. „Es wird eine Weile dauern, bis Sie sich an die Krücken gewöhnt haben. Außerdem ist der Gips noch nicht vollständig ausgehärtet, das wird noch ein, zwei Stunden dauern.“

Er nickte. Es war ihm klar, dass er sich wie ein dickköpfiges Kind verhielt. Doch als erwachsener Mann sollte er in der Lage sein, Notwendigkeiten und Tatsachen zu akzeptieren.

Es war nicht einfach, von dem Behandlungstisch herunter und in den Rollstuhl zu gelangen. Aber schließlich war es geschafft.

Ben seufzte tief auf. „Es tut mir leid, dass ich so grantig war“, sagte er zu der Krankenschwester, die sich so viel Mühe mit ihm gegeben hatte.

„Schon vergessen“, meinte sie leichthin. Einen Moment lang befürchtete er, sie würde ihm beruhigend über den Kopf streicheln. „Sie sind selbst Arzt. Und Ärzte mögen es überhaupt nicht, Patienten zu sein.“

Lächelnd winkte sie ihm nach, als er aus dem Behandlungszimmer geschoben wurde. Auf seinen Knien lag ein Plastikbeutel, der den Inhalt seiner Hosentaschen enthielt, eine Packung Schmerztabletten und einen Schuh. Mit der Hand umfasste er die Krücken.

„Da kommt er, Mum“, hörte er eine Jungenstimme rufen. „Da ist Dr. Ben … und er hat einen riesigen Gipsverband, ein gewaltiges Ding.“

Da waren die drei, die auf ihn gewartet hatten. Sam hüpfte wie immer aufgeregt von einem Bein auf das andere. Josh bemühte sich, möglichst unbeeindruckt zu wirken, konnte aber den Blick nicht von dem dick verbundenen Bein in den grünen Arzthosen lassen. Und da war Kat – die zauberhafte Kat, der er erst jetzt ansah, wie sehr sie das alles mitgenommen hatte. Sie hielt die Wagenschlüssel mit ihrer Hand umkrampft und sah ihn mit ihren grauen Augen aufmerksam und mitfühlend an, während er in seinem Rollstuhl auf die kleine Familie zufuhr.

„Die Schwester sagte, Sie hätten darauf bestanden, das Krankenhaus noch heute Abend zu verlassen“, meinte Kat. Sie schien sich Sorgen zu machen. Ich bin ganz sicher nicht der Gast, den man sich unbedingt in seinem Haus wünscht, dachte Ben.

„Ich hasse Krankenhäuser“, murmelte er stattdessen. „Aber sagen Sie das nicht weiter, sonst bin ich als Arzt unten durch.“

„Dann sollten wir schleunigst von hier wegkommen, bevor jemand Sie hört“, schlug Kat vor und lächelte müde. Es war ein langer Tag gewesen.

Offenbar glaubt sie, schuld an meinem Beinbruch zu sein, dachte Ben. Jetzt würde sie sich neben der ganzen Arbeit, die sie kaum allein bewältigen konnte, auch noch um ihn kümmern müssen.

Er hätte sagen können, er würde vorläufig in einem Hotel bleiben, um sie zu entlasten. Aber eine innere Stimme redete ihm ein, dass es besser sei, mit der kleinen Familie in ihr Haus zu gehen. Besser für ihn oder für Kat? Darüber war er sich nicht im Klaren.

„Wird das mit uns beiden auf dem Rücksitz gehen, Josh?“, fragte Ben besorgt. „Der Gips ist ziemlich schwer.“

„Aber es ist jetzt nur noch ein Bein. Das gleicht sich wieder aus“, meinte der Junge. „Soll ich Sie zum Wagen schieben?“

„Nein, das will ich tun“, protestierte Sam. „Du hast schon während der Hinfahrt mit ihm auf dem Rücksitz gesessen. Da ist es nur fair, dass ich ihn jetzt schieben darf.“

„Ich glaube, wir sollten uns alle drei beim Schieben abwechseln“, mischte Kat sich ein. „Bis zum Auto ist es noch ein ganzes Stück.“

„Wie wäre es, wenn Sie mit dem Wagen herkommen?“, schlug Ben vor. „Josh und Sam können ja so lange auf mich aufpassen.“

„Das wird das Beste sein“, erwiderte sie. „Es dauert nur ein paar Minuten, bis ich wieder da bin.“

„Sie müssen sich nicht beeilen. Josh, Sam und ich werden inzwischen beraten, was wir unterwegs zum Essen einkaufen. Die beiden haben ganz sicher genau solch einen Hunger wie ich.“ Ben bemerkte, dass Kat widersprechen wollte. „Dann brauchen Sie heute Abend nicht mehr zu kochen. Und die Jungen kämen früher ins Bett.“

„Klingt vernünftig“, entgegnete sie zögernd, während sie ihn aufmerksam anschaute. Nur ein rasches Aufblitzen in ihren Augen machte ihm deutlich, dass sie es nicht zulassen würde, wenn er versuchte, sich in ihr Leben einzumischen.

Kat brauchte dringend Unterstützung. Das wurde Ben schnell klar, als sie später an dem großen Küchentisch die Pizzas, die sie eingekauft hatten, in Portionen zerteilten. Kat nahm sich kaum Zeit zum Essen. Während Ben und die Jungen noch mit den Resten der Pizza beschäftigt waren, hatte Kat bereits die Wäsche in die Maschine gesteckt, die Frühstücksbrote für Sam und Josh vorbereitet und damit begonnen, in einem Nebenzimmer umzuräumen.

„Solange Sie den schweren Gips tragen müssen, können Sie nicht die Treppe hinaufsteigen“, sagte sie zu Ben. „Deshalb habe ich hier unten ein Zimmer für Sie hergerichtet, wenn Sie damit einverstanden sind. Dann können Sie auch ohne Probleme das Laufen mit den Krücken üben.“

Zuerst hatte er ablehnen wollen. Die Vorstellung, auf relativ kleinem Raum mit Kat und ihren Söhnen zusammenzuleben, würde ihr gewohntes häusliches Leben völlig in Unordnung bringen. Ganz offensichtlich hatte sie ihr eigenes Zimmer für ihn hergerichtet.

Bevor er sich entschieden hatte, wie er reagieren sollte, hatte sie ohne weitere Diskussion den Rollstuhl in die kleine Eingangshalle geschoben. „Das ist die Treppe, die nach oben führt“, erklärte sie. Ben sah sofort, dass er dort mit seinen Krücken nicht hinaufgekommen wäre.

„Und dies hier ist vorläufig Ihr Schlafzimmer. Es hat einen direkten Zugang zum Bad.“

Sie schob ihn in das Zimmer, das größer war, als Ben vermutet hatte. Jedes Detail und der feine Geruch, den er auch schon an Kat wahrgenommen hatte, verrieten ihm, dass er gerade in ihr ganz persönliches Reich eindrang.

Der Raum war dezent dekoriert und in angenehmen, leicht grünlichen Farben gehalten. Der Blick auf das frisch bezogene Bett, in dem sie die Nacht zuvor noch geschlafen hatte, war nicht dazu angetan, seinen Gemütszustand zu beruhigen. Was um alles in der Welt ist nur mit mir los, tadelte er sich im Stillen.

„Mein Vorgänger in der Praxis und in diesem Haus hat das Badezimmer umgebaut, nachdem seine Frau einen Schlaganfall hatte“, informierte Kat ihn. „Die Dusche ist ohne Schwierigkeiten zugänglich und hat einen ausklappbaren Sitz. Wenn Sie Ihr Gipsbein mit einer wasserdichten Folie umhüllen, können Sie hier duschen.“

Er nickte. Sie hatte recht. Ein Bad konnte er mit dem Gips nicht nehmen.

„Es gefällt mir gar nicht, dass ich Sie aus Ihrem Zimmer vertreibe“, widersprach er matt. Er fragte sich, wie er hier schlafen würde, wenn er jeden Moment daran dachte, dass sie vorher in diesem Bett gelegen hatte. „Ich werde Ihnen hoffentlich nur für wenige Tage zur Last fallen. Wenn der schwere Gipsverband erst durch eine leichtere Plastikschiene ersetzt ist und ich mit den Krücken gehen kann, ziehe ich nach oben.“

„Das hat keine Eile“, erwiderte sie. „Es macht mir nichts aus, inzwischen das andere Zimmer zu benutzen.“ Schnell verließ Kat den Raum, bevor sie kurz darauf mit den Sachen zurückkehrte, die er aus dem Krankenhaus mitgebracht hatte. Die Krücken stellte sie neben das Bett. Sie ging noch einmal hinaus, um die Reisetasche aus seinem Wagen zu holen, der seit seiner Ankunft zu dem Vorstellungsgespräch auf dem Parkplatz vor dem Haus stand.

„Das hätten Sie nicht auch noch zu machen brauchen“, protestierte er mit einem Aufbegehren seines männlichen Instinktes. Sie antwortete nicht, sondern warf nur einen kurzen Blick auf sein Gipsbein und machte ihm klar, dass er wohl selbst nicht dazu in der Lage gewesen wäre – auch wenn es ihm gegen den Strich ging.

„Es ist nicht sinnvoll, jetzt mein ganzes Gepäck hereinzubringen, wenn ich bald wieder aus dem Zimmer ausziehe“, wandte er ein, als sie mit weiteren Gepäckstücken aus seinem Wagen erneut ins Zimmer kam.

„Aber wir waren uns einig, dass Sie hierbleiben und in der Praxis mitarbeiten“, entgegnete sie bestimmt. „Es ist nicht Ihre Schuld, dass Sie mit der Arbeit nicht wie geplant beginnen können, sondern mein Fehler. Also ist es an mir, für Sie zu sorgen, bis Sie wieder gesund sind.“

Aber genau das passte ihm eigentlich gar nicht – er wollte nicht von einem anderen Menschen abhängig sein. Und er wollte Kat, die sowieso schon überlastet war, nicht noch zusätzlich Arbeit machen. Aber die einzig mögliche Alternative – trotz des Gipsbeins Ditchling zu verlassen – gefiel ihm ebenfalls nicht. Er wollte mehr über diese ebenso mutige wie attraktive Frau erfahren.

„Ich kann Ihnen doch nicht einfach so zur Last fallen“, beharrte er. „Sie haben einen Mitarbeiter gesucht, weil Sie dringend Unterstützung brauchten und nicht weiter horrende Summen für kurzfristige Aushilfen zahlen wollten.“

„Mum, kannst du mal einen Blick auf meine Hausaufgaben werfen.“ Das war Sam.

„Ich komme gleich“, rief sie zurück. „Hast du schon deine Zähne geputzt?“

Sie blieb kurz stehen, bevor sie aus dem Zimmer ging, offensichtlich hin und her gerissen in ihrer Rolle als Mutter und als Ärztin. „Wir reden nachher weiter, wenn die Jungs schlafen.“

Die Falte zwischen ihren Brauen zeigte Ben, dass sie verunsichert war. Am liebsten hätte er mit seiner Hand über ihre Stirn gestrichen, um sie zu beruhigen.

Hör auf mit solchen Gedanken, schimpfte er mit sich selbst, nachdem sie den Raum verlassen hatte. Willst du dein Leben unbedingt kompliziert machen? Auch wenn sie noch so anziehend ist – sie hat erst vor Kurzem ihren Mann verloren und muss für zwei Söhne sorgen.

Kat ahnte ganz sicher nichts von den geheimen Gedanken, die Ben nicht aus seinem Kopf verbannen konnte, weil der Duft ihres dezenten Parfüms den ganzen Raum füllte und ihm in die Nase stieg.

Er musste sich dringend mit etwas beschäftigen, um sich abzulenken. „Ich werde auspacken“, redete er laut zu sich selbst.

Das war jedoch leichter gesagt als getan. Mit dem ausgestreckten Bein in dem Rollstuhl fiel es ihm schwer, das Gepäck vom Boden aufzuheben und aufs Bett zu legen. Das musste er aber, weil er anders nicht an den Inhalt kam. Als er ächzend und leise fluchend den ersten Koffer anheben wollte, bemerkte er, dass er beobachtet wurde. Er drehte sich um und sah Josh in der Tür stehen.

„Tut mir leid, dass ich mich so ausgedrückt habe“, meinte er. Ihm war klar, dass er dem Jungen damit kein Beispiel für gutes Benehmen geliefert hatte. Eine Sekunde lang schien Josh erstaunt über Bens Entschuldigung, dann war sein Gesicht wieder ausdruckslos.

„Das war das Zimmer meines Dads – und meiner Mum“, sagte Josh vorwurfsvoll. Offensichtlich war er nicht damit einverstanden, dass Ben sich hier einrichten wollte. „Meine Mutter ist zwar Witwe, aber sie liebt meinen Dad immer noch“, fuhr der Junge in einem aggressiven Tonfall fort.

„Hat Josh instinktiv gespürt, dass Kat mir nicht gleichgültig ist?“, dachte Ben beunruhigt.

„Also, warum hat Mum Sie hier einquartiert?“, wollte Josh wissen. „Das ist jetzt Mums Zimmer. Und Ihr Zimmer ist im ersten Stock.“

„Dort würde ich auch sein ohne das hier.“ Ben klopfte auf sein Gipsbein. „Ich schaffe es in den nächsten Tagen noch nicht, die Treppe hinauf und hinunter zu kommen.“ Er hoffte, dass seine Antwort neutral genug geklungen hatte, um das Misstrauen des Jungen zu zerstreuen.

Er griff wieder nach dem Koffer und versuchte ihn mit einem Schwung auf das Bett zu befördern. Dabei wäre der Rollstuhl fast umgekippt.

Ben riss sich zusammen und unterdrückte einen Fluch. Bei einem Blick zur Seite bemerkte er, dass Joshs Miene nicht mehr so abweisend war, sondern so etwas wie Anteilnahme zeigte.

„Ich könnte Ihnen dabei helfen“, schlug der Junge vor, woraufhin Ben erstaunt blinzelte.

„Ich glaube, das Gepäck ist zu schwer für dich“, meinte Ben. Als er Joshs beleidigten Gesichtsausdruck sah, fügte er rasch hinzu: „Ich packe immer zu viel Bücher ein, die wiegen enorm viel.“

„Wir könnten es ja gemeinsam versuchen“, schlug Josh vor und machte zum ersten Mal einen Schritt in das Zimmer hinein.

Ben wusste, dass er Joshs Angebot nicht ablehnen durfte. Schon wegen Kat musste er versuchen, zu ihren Söhnen ein gutes Verhältnis aufzubauen. Er fiel ihr sowieso schon zur Last. Nun durfte er nicht auch noch die häusliche Stimmung in Gefahr bringen.

Er manövrierte den Rollstuhl so, dass Josh den Koffer von der anderen Seite packen konnte. Es war eine Sache von Sekunden, das schwere Gepäckstück auf das Bett zu heben. Als Ben die Schlösser öffnete und den Deckel aufklappte, brach Josh in lautes Gelächter aus.

„Oje, das sieht genau so aus, als ob ich den Koffer gepackt hätte“, meinte er. Ben musste grinsen. Der Koffer war wirklich wahllos vollgestopft.

„Ich muss immer meine Mum bitten, den Koffer für mich zu packen, sonst bekomme ich nicht mal die Hälfte von dem hinein, was ich mitnehmen will.“

„Ja, Frauen sind in diesem Punkt geschickter als Männer“, bestätigte Ben.

„Wahrscheinlich“, erwiderte Josh und nickte zustimmend. „Und Frauen wollen auch, dass immer alles ganz ordentlich ist – das heißt, man muss die Wäsche gefaltet in den Korb legen, das Bett machen und die Spielsachen wegräumen.“ Er seufzte tief auf.

„Meine Mutter hat das auch von mir erwartet“, stimmte Ben zu. Er war froh, ein Gesprächsthema zu haben, über das er sich mit Josh unverfänglich unterhalten konnte. Er holte einen Wäschesack aus dem Koffer, legte ihn über seine Beine und griff nach den Rädern des Rollstuhls. „Den bringe ich erst mal ins Badezimmer.“

„Ich kann das für Sie machen“, schlug Josh vor. „Ich lege den Beutel unter den Waschtisch.“

Die beiden sahen sich an. „Aber ordentlich!“, sagten sie wie aus einem Munde, bevor sie lachten.

Eine Stunde später ließ sich Ben erschöpft aufs Bett fallen. Er hätte nie geglaubt, wie viel Kraft es kostete, sich mit einem schweren Gipsbein zu waschen und umzuziehen. Das Laufen auf Krücken an diesem Abend noch auszuprobieren, darauf hatte er verzichtet. Die Gefahr, möglicherweise platt auf die Nase zu fallen, war ihm nicht sehr erstrebenswert erschienen.

Obwohl er körperlich erschöpft war, arbeitete sein Gehirn auf Hochtouren. Fieberhaft überlegte er, wie er mit der ungewöhnlichen Situation fertig werden sollte. Selten hatte er sich so unbehaglich und hilflos gefühlt.

Eine ganze Weile würde er an Kats Haus gebunden sein und ihre Hilfe akzeptieren müssen, auch wenn ihm das Unbehagen bereitete. Er überlegte, ob und wie er bald, wenn er die leichtere Beinschiene erhalten hatte, in der Praxis mitarbeiten könnte.

Wenn es für ihn keine Möglichkeit gab, sich trotz seiner Behinderung nützlich zu machen, würde er die Praxis verlassen müssen – aus Rücksicht auf Kat, denn sie brauchte bald einen Mitarbeiter, der ihr ein gutes Stück Arbeit abnahm.

Aber wollte er überhaupt fort von hier? Nein, auf keinen Fall …

Drei Jahre lang hatte er jeden engeren Kontakt zu anderen Menschen vermieden. Seit er Kat und ihre Söhne getroffen hatte, war sein Wunsch nach Distanz ins Wanken geraten.

„Ben, du hast ein Problem“, sagte er zu sich selbst. Er wollte Kat nicht allein lassen, aber in seinem jetzigen Zustand war er für sie völlig nutzlos. Wie konnte er dieses Dilemma nur lösen?

Während sie den Berg an Hausarbeit erledigte, war Kat ins Grübeln geraten.

Es spielte keine Rolle, ob Ben in der Lage war, ihr bei der Arbeit in der Praxis zu helfen. Sie hatte die Pflicht, so lange für ihn zu sorgen, bis er wieder fit genug war – und wenn auch nur, um wieder nach Hause zu fahren. Sie musste mit ihm sprechen und ihm ihren Entschluss mitteilen.

„Ben“, rief sie leise und klopfte sachte an seine Tür.

„Kommen Sie herein!“, antwortete Ben mit heiserer Stimme. Sie öffnete die Tür und sah ihn mit nacktem Oberkörper aufrecht auf dem Bett sitzen.

Sie fuhr zurück und machte Anstalten, gleich wieder hinauszugehen. „Entschuldigung … ich wollte Sie nicht stören. Ich wusste nicht, dass Sie schon zu Bett gegangen waren. Ich wollte nur …“, stammelte sie. Großer Gott, was war nur mit ihr los? Sie benahm sich fast, als habe sie noch nie einen halb nackten Mann gesehen.

Aber zumindest keinen mit einer so beeindruckenden Brust, auf der sich unter einem Flaum dunkler, gekrauster Haare trainierte Muskeln abzeichneten.

„Ich habe zufällig vorhin gehört, wie Sie zu Josh gesagt haben, Sie tränken abends gern eine Tasse heiße Schokolade. Ich habe Ihnen eine zubereitet. Und außerdem wollte ich mit Ihnen reden …“

„Kommen Sie doch bitte herein, und machen Sie die Tür zu“, meinte er. Um nicht falsch verstanden zu werden, fügte er hastig hinzu: „Wir wollen doch Josh und Sam nicht stören.“

Kat fühlte, wie sich ihre Wangen röteten. Wie konnte sie nur bei einem Mann wie ihm auf verbotene Gedanken kommen? Ein Mann wie Ben war sicher nicht an einer Beziehung zu einer Mutter mit zwei Söhnen interessiert.

„Ich habe nachgedacht … über Sie und den Job“, begann sie vorsichtig. „Sie können selbstverständlich hier bleiben, bis Sie wieder fit genug sind, um nach Hause zurückzukehren, aber …“

„Kat, bevor Sie weitersprechen, möchte ich Sie um einen Gefallen bitten“, unterbrach Ben sie. „Um es gleich vorwegzuschicken, ich habe momentan kein Zuhause.“

„Wie bitte?“ Fassungslos sah Kat ihn an.

„Es ist wahr“, sagte er mit einem müden Lächeln. „Ich habe mein Haus verkauft und die Einrichtung eingelagert. Das war nur wenige Tage her, bevor ich zu Ihnen kam, weil ich davon erfahren hatte, dass Sie jemand suchen.“

Seine grünen Augen musterten sie sehr ernsthaft. „Wenn Sie mich rauswerfen, weiß ich nicht, wohin ich gehen soll – und ganz bestimmt nicht in einem Rollstuhl oder auf Krücken.“

„Aber der Job …“ Kat begriff nur so viel, dass er offenbar nicht gehen wollte und trotz des Unfalls an der Arbeit in der Praxis interessiert war.

„Ja, der Job. Darüber habe ich auch nachgedacht.“ Unter seinen dunklen Augenbrauen sah er fragend zu ihr hoch. „Wenn Sie sich nur ein paar Tage gedulden würden und ich inzwischen mit den Krücken trainiere, könnte ich morgens mit in die Praxis kommen und mich dort um die Patienten kümmern. Sie hätten dann mehr Zeit für die Hausbesuche.“

Das Angebot konnte sie gar nicht ablehnen – und das wollte sie auch auf keinen Fall. Sie wollte, dass er blieb. Sie brauchte seine Hilfe. Aber da war noch etwas anderes, weshalb sie sich wünschte, dass er blieb. In seiner Gegenwart entwickelte sie Gefühle, von denen sie angenommen hatte, dass sie nach Richards Tod endgültig erloschen waren.

So etwas darfst du nicht einmal denken, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf, als sie ein paar Minuten später die Treppe hinaufstieg und sich ins Bett legte – das Bett, in dem er eigentlich hätte liegen sollen. Er ist ein ruheloser Wanderer, redete sie sich ein. Er wird irgendwann weiterziehen. Er ist nicht der Mann, von dem du etwas erwarten solltest, auch wenn er deine Hormone in Aufruhr versetzt.

Die beiden Jungen würde kein Verständnis für sie haben und sehr verletzt sein, wenn sie eine Beziehung mit diesem Mann einging. Richards Tod war ein großer Schock für sie gewesen. Welchen seelischen Schaden würde sie bei Josh und Sam anrichten, wenn sie sich mit einem Mann einließ, der irgendwann wieder gehen wollte …

3. KAPITEL

„Wann wird Dr. Leeman mit ihrer Sprechstunde fertig sein?“, hörte Ben eine forsche männliche Stimme, als er gerade aus dem Zimmer gehen wollte, das Kat ihm zur Verfügung gestellt hatte.

„Hallo, Mr. Sadowski“, antwortete Rose freundlich. „Möchten Sie einen Termin machen?“

„Nein.“ Etwas an seinem Ton bewirkte, dass sich bei Ben die Nackenhaare aufstellten. Er legte ein paar Patientenberichte in seinen Ausgangskorb und griff nach den Krücken. Er kam an der Rezeption an, als Rose gerade nach dem Hörer griff, um Kat anzurufen.

„Dr. Leeman, hier ist ein Gentleman, der Sie sprechen möchte“, sagte sie förmlich. „Es ist Mr. Sadowski, der Apotheker.“ Sie wartete Kats Antwort ab. „Ich sage es ihm“, erwiderte sie dann und legte den Hörer wieder auf. „Sie wird in einer Minute hier sein“, informierte sie Mr. Sadowski. „Wollen Sie sich nicht so lange setzen?“

Ben humpelte die letzten Schritte bis zum Empfangstisch und sah voller Neid zu, wie der andere Mann mit federnden Schritten zu den Besucherstühlen hinüberging. Er fühlte sich seit einer guten Woche immer noch sehr behindert, obwohl am dritten Tag der schwere Gipsverband gegen eine leichte Fiberglasschiene ausgewechselt worden war.

„Ich habe meine Berichte für Sie zurechtgelegt, Rose“, sagte er. „Tut mir leid, dass ich sie nicht selbst mitbringe, aber ich habe leider keine Hand frei.“

„Das ist schon in Ordnung, Dr. Ross“, erwiderte Rose und benutzte für Ben die offizielle Anrede vor dem wartenden Besucher. Wenn sie unter sich waren, redeten sie sich nur mit Vornamen an. „Sie haben Dr. Leeman so viel Arbeit abgenommen, dass ich Sie gern unterstütze, wo ich nur kann“, fügte sie hinzu.

„Das sollten Sie nicht sagen, Sie machen mich sonst noch verlegen“, scherzte er. Er mochte die mütterliche, bodenständige Frau. Er hatte längst gemerkt, dass Rose für Kat und ihre beiden Söhne durchs Feuer gehen würde.

Aus der Besucherecke war zu hören, dass der wartende Mr. Sadowski nervös und ungeduldig in den Magazinen herumblätterte, die dort lagen. Als Kat aus ihrem Zimmer trat und näher kam, brauchte Ben nur einen Blick auf das Gesicht des Mannes zu werfen, um zu begreifen, was sein Anliegen war.

„Mr. Sadowski?“, fragte Kat höflich, während sie ihn fragend ansah. Der Anflug von Eifersucht bei Ben machte bei der förmlichen Anrede einem Gefühl der Erleichterung Platz.

„Bitte nennen Sie mich Greg“, sagte Mr. Sadowski. Er warf aufgesprungen. Sein rascher Seitenblick auf Ben zeigte, dass er gern auf dessen Anwesenheit verzichtet hätte.

Aber Ben dachte nicht daran, sich zurückzuziehen.

„Rose sagte mir, dass Sie nicht wegen eines Termins hier sind“, fuhr Kat fort. „Um was geht es?“

„Hm … also … ich bin hier … nun ja, wegen der Einladung“, stotterte Mr. Sadowski.

„Einladung?“ Überrascht sah Kat ihn mit gerunzelter Stirn an. Was wollte der Mann nur? Sie kannte ihn kaum und hatte kein Interesse an ihm.

Mit heimlicher Schadenfreude beobachtete Ben, wie sich Schweißperlen auf Mr. Sadowskis Stirn bildeten, obwohl sich dieser alle Mühe gab, als Mann von Welt zu erscheinen, aber ohne jeden Erfolg.

„Äh … für die Veranstaltung am kommenden Samstag – das Dinner mit anschließendem Tanz.“

Der Mann konnte einem leidtun, aber Ben hätte um keinen Preis eine Sekunde verpassen wollen. Kat dagegen gab sich alle Mühe zu übersehen, dass Mr. Sadowski inzwischen stark schwitzte und hektisch atmete.

„Oh, das meinen Sie. Leider kann ich nicht. Ich habe an diesem Wochenende Bereitschaftsdienst.“

Ben sah, wie der Mann fragend zu ihm hinüberschaute. Er wusste, was er dachte.

„Nun, haben Sie dafür nicht einen neuen Mitarbeiter engagiert?“

„Sorry, alter Knabe“, warf Ben ein, der sich angesprochen fühlte. „Sie sehen ja, was mit mir los ist.“ Er deutete auf sein Gipsbein. „Ich bin momentan nicht in der Lage, ein Auto zu fahren – wie sollte ich da einen Hausbesuch machen, wenn es notwendig wäre?“

„Nun … vielleicht …“, stieß Mr. Sadowski hervor. Er wollte nicht so leicht klein beigeben, obwohl ihm klar sein musste, dass er auf der ganzen Linie gescheitert war. Es war Kat, die schließlich dem Katz-und-Maus-Spiel ein Ende bereitete.

„Es tut mir leid, Greg … aber es geht nicht. Danke, dass Sie an mich gedacht haben. Vielleicht ein anderes Mal.“

Das hat sie geschickt gemacht, dachte Ben. Sie hat ihm das Gefühl gegeben, dass sie ihre Absage bedauerte und dass er möglicherweise später eine Chance hätte. Aber Gregs Enttäuschung war offensichtlich, vor allem, weil Ben Zeuge seiner Niederlage geworden war.

„Dr. Leeman?“ Rose unterbrach die angespannte Stille. „Sie denken daran, dass Sie nachher noch die Jungen beim Sportklub abholen wollten?“

„Vom Sportklub?“ Kat fuhr herum und sah Rose irritiert an. Die gab ihr ein verstecktes Zeichen, um ihr zu bedeuten, ihr sei durchaus bewusst, dass die Jungen am Tag zuvor im Sportklub gewesen waren. „Ach ja“, ging Kat auf Roses Bemerkung ein. „Danke, dass Sie mich daran erinnert haben. Dann gehe ich besser mal und hole meinen Mantel und meine Wagenschlüssel.“ Sie wandte sich noch einmal an den Apotheker. „Entschuldigen Sie, dass ich mich so eilig verabschiede. Und nochmals Dank für Ihre Einladung.“ Sie winkte ihm und Ben zu und ging in ihr Sprechzimmer.

„Rose, würdest du Mrs. Couling hereinbitten.“

Kat wartete kurz, bis Rose mit einem zustimmenden „sofort“ geantwortet hatte, und legte den Hörer auf. Sie lehnte sich einen Augenblick zurück und atmete tief durch. Sie musste an den überraschenden Besuch und die Einladung des Apothekers denken, obwohl das schon ein paar Tage her war.

Sie hatte sich nie viel aus gesellschaftlichen Ereignissen oder aus Freizeitvergnügungen gemacht. Ihr Ziel war es gewesen, Ärztin zu werden. Und zwar so schnell wie möglich und mit erstklassigen Examensnoten. Diesem Ziel hatte sie alles andere untergeordnet. Und so konnte es nicht ausbleiben, dass sie ihren späteren Mann Richard bei der gemeinsamen Arbeit als Assistenzärztin kennengelernt hatte.

Ihr war nie bewusst geworden, dass sie vom Leben außerhalb des Berufes keine Ahnung hatte. Wie naiv sie gewesen war, wurde ihr klar, als sie aus dem Fenster den enttäuschten Apotheker hatte weggehen sehen, und als dann Ben aus dem Haus kam und sich ausschütten wollte vor Lachen.

Da hatte sie endlich begriffen. Ohne Bens Reaktion wäre sie kaum darauf gekommen, dass der Apotheker ein Interesse an ihr als Frau haben könnte. Sie erinnerte sich plötzlich an eine Unterhaltung mit dem Apotheker vor ein paar Wochen, deren Sinn ihr damals verborgen geblieben war. Er hatte davon gesprochen, dass er ein Mann mit „traditionellen Anschauungen“ sei. Heute wusste sie, dass er damit hatte sagen wollen, er respektiere ihr Trauerjahr um ihren Mann, bevor er ihr den Hof machte.

Vermutlich hatte Ben sofort begriffen, was sich abspielte. Aber hätte er sich so darüber amüsieren müssen? Wenigstens hatte er Mr. … wie war noch der Name gewesen? … George? Nein, Greg … Greg Sadowski, nicht merken lassen, wie sehr ihn die Sache belustigt hatte.

Kat war erleichtert, als es an der Tür klopfte. „Kommen Sie herein, Mrs. Couling“, sagte sie lächelnd. „Was kann ich heute für Sie tun?“

„Ich habe seit Wochen Probleme mit den Augen. Mein Optiker, den ich gefragt habe, hat mir gesagt, ich hätte Katarakt, also grauen Star, aber ich sollte mir deswegen keine Sorgen zu machen. Er meinte, eine Operation sei vorerst nicht nötig.“

„Aber Sie machen sich trotzdem Sorgen“, meinte Kat.

„Ich bin einundachtzig Jahre alt und Witwe. Nur weil ich noch meinen Wagen fahren kann, komme ich ein wenig herum. Wenn ich die Operation zu spät machen lasse, kann ich vielleicht nicht mehr Auto fahren. Dann bin ich an das Haus gefesselt.“

Kat verstand die Befürchtungen der alten Dame, isoliert leben zu müssen, sehr gut. Sie war selbst Witwe, aber sie war noch jung, hatte ihren Beruf und zwei prächtige Söhne. Mrs. Couling hatte auch eine Reihe von Enkelkindern, die sie sehr vermissen würde, wenn sie sie nicht mehr besuchen konnte.

„Sie möchten also eine zweite Meinung hören, ob eine Katarakt-Operation bei Ihnen nötig ist oder nicht? Am besten wäre es, den Augenchirurgen zurate zu ziehen, der gegebenenfalls auch die Operation durchführen würde.“

„Ich weiß nicht, was es mir bringen würde, wenn ich die Operation hinauszögere“, meinte Mrs. Couling. „Ich bin doch schon einundachtzig. Ich habe mir sagen lassen, die Kunststofflinsen, die man eingesetzt bekommt, hielten viele Jahre. Warum also noch warten?“

Kat stimmte der alten Dame zu und versprach, sich um einen Termin bei einem Augenchirurgen zu kümmern.

Als Mrs. Couling sich verabschiedet hatte, lehnte Kat sich in ihrem Stuhl zurück, schloss die Augen und dachte über Ben nach.

Seine offensichtliche Belustigung über den Vorfall mit dem Apotheker hatte an seinem Verhalten ihr gegenüber nicht das Geringste geändert, weder in der Praxis noch privat. Allerdings hatte sie viel häufiger mit ihm zu tun, als sie erwartet hatte. Das lag wohl an seiner Behinderung durch das Gipsbein. Seit dem Tag, an dem der schwere Gips gegen eine leichte Fiberglasschiene ausgetauscht worden war, hatte Ben darauf bestanden, in der Praxis mitzuarbeiten. Und im Umgang mit den Krücken hatte er mittlerweile eine große Geschicklichkeit entwickelt.

Es hatte den Anschein, als ob die Bevölkerung von Ditchling seit einem Jahr bewusst Rücksicht auf Kats Überarbeitung genommen hatte. Aber seit Ben in Richards altem Sprechzimmer Platz genommen hatte, war die Zahl der Patienten enorm gestiegen.

„Ich weiß gar nicht, wo die plötzlich alle herkommen“, wunderte sich Rose. „Ben sollte dir doch eigentlich einen Teil der Arbeit abnehmen, aber nicht für mehr Betrieb sorgen.“

„Er ist eine große Hilfe für mich, Rose“, warf Kat ein. „Seit er da ist, können wir die Hausbesuche besser organisieren. Und ich brauche mir um Josh und Sam keine Sorgen zu machen wie früher, wenn ich sie allein zu Hause lassen musste.“

„Anscheinend haben sie ihn akzeptiert“, meinte Rose lächelnd. „Du hättest es schlechter treffen können, das weißt du …“

„Rose!“ Kat fühlte, wie sie rot wurde. „Du weißt, er wird nur ein paar Monate hier sein. Da heute der letzte Tag seiner vierzehntägigen Probezeit ist, könnte er mir sogar bis morgen noch sagen, dass er wieder geht.“

„Oder er entscheidet sich, mindestens sechs Monate zu bleiben. Und vielleicht sogar für immer“, erwiderte Rose. „Er hat ein Paar scharfe Augen … und die meiste Zeit schauen sie in deine Richtung.“

„Du weißt, dass er ein Mann ist, den es nicht lange an einem Ort hält. Das hat er selbst gesagt.“ Kat schüttelte den Kopf. „Und eine Beziehung ist nicht das, was Josh und Sam von ihrer Mutter erwarten.“

„Wer weiß, wie alles kommt.“ Rose ließ den Gedanken so schnell nicht los. „Für Josh wäre es am schwierigsten, sich damit abzufinden. Er war bei Richards Tod schon alt genug, um den Verlust voll zu begreifen. Seitdem hat er sich hinter eine seelische Schutzmauer zurückgezogen. Mit Sam ist das anders.“ Rose lächelte. „Er ist wieder richtig aufgeblüht.“

Rose hatte recht.

In den zwei Wochen, in denen Ben jetzt bei ihnen wohnte, war aus Sam fast schon wieder der fröhliche, unbeschwerte Junge geworden, der er früher gewesen war. Oft hörte Kat ihn laut lachen und jubeln, wenn Ben mit ihm spielte, zum Beispiel die Spezial-Sportart „Krücken-Fußball“, die Ben sich hatte einfallen lassen.