Eine Frage des Preises - Arina Mey - E-Book

Eine Frage des Preises E-Book

Arina Mey

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Beschreibung

Eine Frage des Preises: ein gemütlicher Cosy Krimi über zwei skurrile Hobbydetektivinnen wider Willen auf der Suche nach dem verschwundenen Manuskript eines brutal ermordeten Krimiautors. Als die Journalistin Irina zum Interview mit einem stadtbekannten Krimi-Autor fährt, weiß sie noch nicht, dass er gerade umgebracht wurde. Das Manuskript seines neuen Romans ist verschwunden und man munkelt, es gebe Parallelen zur kriminellen Lage vor Ort. Um die angeschlagene Zeitung, für die sie arbeitet, vor dem Bankrott zu retten, forscht Irina mit Hilfe ihrer Kusine Ludmilla nach dem verschwundenen Manuskript. Die beiden Frauen genießen es, nach der Lösung des Rätsels zu suchen, aber ihre unkonventionellen Methoden bringen Hauptkommissar Wadim zur Weißglut. Es geschehen noch weitere Morde, und erst jetzt beginnen die beteiligten Ermittler, sich die richtigen Fragen zu stellen: Worum geht es in dem verschwundenen Manuskript?

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Seitenzahl: 225

Veröffentlichungsjahr: 2024

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ARINA MEY

EINE

FRAGE

DES

PREISES

cosy krimi

Copyright ©Arina Mey. 2024

Alle Rechte vorbehalten.

In Vertretung von Arina Mey – M. Meyer, Eichelkamp 41, 38440, Wolfsburg, Germany

Druck und Vertrieb: epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997Berlin

Arina Mey. Eine Frage des Preises. Cosy Krimi. 2. Auflage. 2024

Lektorat: S. Steck

Korrektorat: Mentorium GmbH

Coverdesign: M. Meyer

Coverbild: V. Akhmedova

INHALTSVERZEICHNIS

Die Personenliste

Kapitel 1. Das Interview

Kapitel 2. Die Kusinen

Kapitel 3. Auf der Brücke

Kapitel 4. Der Einbruch

Kapitel 5. Der Geburtstag

Kapitel 6. Gartenring und Blumenboulevard

Kapitel 7. Das Porträt

Kapitel 8. Ein Ziegel vom Dach

Kapitel 9. Die Weißen Nächte

Kapitel 10. Der Ponyhof

Kapitel 11. Die Hackerbande

Kapitel 14. Zu Hause

Kapitel 15. Wer andern eine Grube gräbt

Kapitel 16. Der Angriff

Kapitel 17. In guter Absicht

Kapitel 18. Das Manuskript

Kapitel 19. Das Ende ist ein Anfang

Die Personenliste

Die Kusinen

Irina Petrowskaja, 30, Journalistin, beschäftigt sich mit Kulturleben und lokaler Literatur.

Ludmila Muschkina, 38, ihre Kusine aus Sankt Petersburg, hat ein gutes Herz und einen Sohn.

Die Polizisten

Hauptkommissar Wadim, den die Kusinen manchmal zu Weißglut bringen.

Werner Knüppelholz, deutscher Polizeibeamte

Andrej Semjonow, Hauptmann

Die Familie Fjodorow

Ivan Fjodorow, berühmter Autor historischer Krimis.

Elena Fjodorow, seine Frau

Maria Fjodorow, seine Tochter, Studentin

Wladimir Fjodorow, sein Sohn aus erster Ehe, Künstler.

Die Autoren

Adam Witaljewitsch, Vorsitzender des Autorenverbandes

Boris Arkadjewitsch, humoristischer Autor

Valentina, die ‚Märchentante‘

Alexej Häschen, ein vielversprechender Romancier

Die Russen

Wassili Ivanowitsch, der Ehrenbürger der Stadt Nowgorod, ehemaliger Mafia-Boss

Agatha, seine Frau und Elenas Schwester

Eiserner Nick, Redakteur einer Lokalzeitung

Katja, seine Sekretärin

Alexander Borisowitsch, ein bekannter Psychotherapeut

Die Deutschen

Ralf Schubert, ein ‚echter Deutscher‘

Trude, seine Tochter

Aurora, Zimmermädchen in einem Hotel

Elise, die Katzenmalerin

Der Gärtner

Kapitel 1. Das Interview

„Endlich habe ich sie gefunden!“

Irinas Jubelruf erschreckte die Verkäuferin hinter dem Tresen und die Kunden im Geschäft. Die schlanke blonde Frau hatte damit aber nur die Samen der gelben Rübchen gemeint, die man Repa nennt.

Bevor die Kartoffel nach Russland gekommen war, war diese Rübe die Hauptspeise der Russen gewesen. Irina hatte schon lange danach gesucht! Nicht für sich selbst – sie besaß keinen Garten – aber ihre Kusine Ludmilla hatte sie darum gebeten und sie damit die ganze Zeit geradezu terrorisiert!

Als ob sie sonst nichts zu tun hätte!

„Hallo, Irina!“ Eine pummelige Frau am Tresen drehte sich zu ihr um. Es war Katja, die Sekretärin von Irinas Chef und auch – zwei Nachmittage in der Woche – des örtlichen Autorenverbandes. „Was schreist du denn so?“

„Ach, ich freue mich, dass es hier Repasamen für meine Kusine gibt.“

„Und diese Tüte Repa kommt noch dazu“, sagte Katja zur Verkäuferin und bezahlte. Sie drückte Irina das Samenpäckchen in die Hand und zog sie aus dem Laden. „Komm mit, ich muss dir was erzählen!“

Draußen spiegelte sich die Sonne in kleinen und großen Pfützen, die die Schlaglöcher im Asphalt verbargen. Der Regen, vor dem Irina sich in den Blumenladen geflüchtet hatte, ohne Hoffnung, irgendwann die Repa zu finden, war vorbei. Die feuchte Luft roch nach Staub und Abgasen der vorbeifahrenden Autos.

Irina wühlte in ihrem Portemonnaie und fischte ein paar Rubel heraus. „Danke für die Samen! Ludmilla wird endlich glücklich und ich jetzt auch.“

„Weißt du schon das Neueste von gestern?“ Katja steckte das Geld ein und wollte etwas loswerden.

„Ich habe seit zwei Tagen Urlaub. Die Nachrichten interessieren mich die nächsten drei Wochen nicht mehr!“

„Aber diese bestimmt! Unsere tiefste russische Provinz kommt einfach nicht zur Ruhe! Erinnerst du dich an den Tod des Bürgermeisters vor einem Monat?“

„Natürlich erinnere ich mich daran“, antwortete Irina und unterdrückte einen Schauder. „Die ganze Hansestadt Nowgorod war damals schockiert.“

Die beiden Frauen bogen links in eine enge Gasse mit zweistöckigen Häusern ein. Einige davon waren gerade frisch verputzt worden und sahen wieder hübsch und frisch aus.

„So blöd kann doch kein Mensch sterben – und so ein hohes Tier schon gar nicht!“, fuhr Katja fort.

„Die Polizei sagte, es sei ein tragischer Unfall gewesen. Es gibt eine Zeugin – seine Sekretärin.“

„Sie hat ihn doch überfahren!“

„Aus Versehen!“

„Das behauptet sie. Glaub mir, das war die Handschrift der Mafia! Ich habe so ähnliche Geschichten in einem Krimi gelesen. Aber gestern …“

„Was ist denn nun passiert? Ich möchte in meinen Ferien keine Nachrichten sehen, also bin ich gerade nicht auf dem Laufenden.“

„Kennst du den Chef vom Finanzamt?“, begann Katja mit der Frage.

„Ja, sogar persönlich. Ich habe vor einem Jahr über ihn berichtet. Warum fragst du?“

„Halt dich fest! Abends ließ er Wasser in die Badewanne laufen, um sich zu entspannen, wie seine Frau sagte. Nach zwei Stunden kam sie ihn wecken – sie dachte, er sei eingeschlafen …“

„Und?“, drängelte Irina ungeduldig.

„Er war es tatsächlich! Und zwar für immer. In der Badewanne lag sein Föhn! “, triumphierte Katja.

„Ein Selbstmord?“, fragte Irina ungläubig.

„Die Polizei meint, es sei ein Unfall gewesen und der Föhn sei dafür genutzt worden, Wellen im Badewasser zu machen! Als ob er sich keinen Jacuzzi hätte leisten können!“

„Sind die modernen Elektrogeräte nicht dagegen abgesichert?“

„Du sagst es! Und glaub mir: Wo zwei Leichen sind, da kommt auch eine dritte! Es wird ganz bestimmt noch einen Mord geben!“

„Einen Mord?“

„Bei uns glaubt keiner an diese Unfälle.“

Sie standen vor der eisernen Tür eines in die Jahre gekommenen Hauses. Ein reich verziertes Schild teilte mit, dass hier das Hauptquartier der örtlichen Poeten, Dramaturgen und Prosaautoren untergebracht war.

„Die Mittagspause ist gleich vorbei! Kommst du mit auf eine Tasse Kaffee?“ Katja suchte nach den Schlüsseln, trat ein und verschwand in Richtung Küche.

Irina schüttelte ihr Haar über die Schulter und folgte ihr.

Der Raum, in dem sie sich befand, war groß, aber völlig überladen mit Möbeln. Vier Tische, ein Dutzend Stühle, Bänke und zwei Bücherschränke mit den Werken der Mitglieder des Verbandes ließen ihn klein und dunkel aussehen. Dazu trugen auch die altmodischen Lampen und düsteren Bilder der örtlichen Maler an den Wänden bei. Ein schwerer Geruch von staubigen Büchern und billigen Zigaretten, der sich mit dem Aroma von frischem Kaffee mischte, stieg Irina in die Nase.

„Guten Tag!“

„Es ist wirklich ein guter Tag! Kommen Sie herein, Irina!“ Adam Witaljewitsch, der Vorsitzende, stand auf. Der alte Dichter – für seine Freunde nur Adam, weil nach einem Glas Wodka nicht jeder sein Vaternamen aussprechen konnte – schaffte es seit Jahren, von seinen Honoraren zu leben. Allerdings recht spartanisch, aber seine Frau hatte einen guten Job bei der Stadtverwaltung und ernährte den Rest der Familie.

Hinten in der Ecke hatte Irina ihn zuerst gar nicht bemerkt. Seine Augen hinter der dicken Brille blitzten wie immer, wenn er etwas Interessantes gefunden hatte.

Am Tisch vor dem Bücherschrank erhob sich ein mittelgroßer junger Mann mit dunklen Haaren und braunen Augen und sah sie begeistert an.

Er packte ihre Hand mit solcher Freude, dass die Frau sie heftig zurückzog.

„Ich bin Alexej!“

„Irina…“ ‚Was für ein merkwürdiger Mensch!‘, war ihr erster Gedanke.

„Alexej hat einen Roman mit dem Titel ‚Irina bedeutet Frieden‘ geschrieben!“ Der Chef der Schriftstellervereinigung schmunzelte.

„Sie sind also der Häschen?“ Ungläubig musterte Irina ihn.

Er lächelte Irina freudig und zugleich verlegen an. „Ja, genau der!“

„Ich bin von der Zeitung, wir werden das dreizehnte Kapitel Ihres Romans publizieren. Erzählen Sie etwas über sich, das kommt in den Vorspann.“

„Haben Sie Zeit?“, fragte Alexej.

„Ja, habe ich.“

„Dann könnten wir jetzt gleich an die Uferpromenade gehen.“

„Gern.“ Irina war froh, den stickigen Raum zu verlassen.

Sie gingen zum Fluss. Um diese Zeit war die Promenade fast menschenleer. Sanfter Wind kräuselte das Wasser zu leichten Wellen, in denen sich der blaue Himmel spiegelte. Ein alter Dreimaster, der vor Kurzem zu einem Wasserrestaurant umgebaut worden war, schaukelte leise vor dem Steg.

„Wollen wir uns nicht duzen?“

„Na gut, warum auch nicht?“

„Was soll ich über mich erzählen? Ich wurde geboren, ging zur Schule, war in Afghanistan, musste in Rusa ins Krankenhaus. Jetzt studiere ich an der Uni in Nowgorod und schreibe Romane.“

„Viele Romane?“

„Nein, dieser ist der erste. Bei dem Autorenverband wurde mir versprochen, ihn zu publizieren.“

Sie kamen zu einer einsamen Bank und ließen sich dort nieder. Irina befragte ihn zu seinem Roman, aber jede noch so kleine kritische Bemerkung von ihr stieß bei ihm auf derart erbitterten Widerspruch, dass sie erschrocken aufhörte. Ihr waren einfach die sicheren Fragen ausgegangen.

„Ich fahre morgen nach Hause. Gibst du mir deine Adresse?“ Er wechselte das Thema.

„Wozu?“

„Ich habe jetzt viel in Nowgorod zu erledigen und komme öfter her. Und wenn ich schon hier bin, warum sollten wir uns nicht treffen? Ich könnte ein paar geografische Informationen über die Stadt gebrauchen.“

„Mich kann man immer in der Redaktion der Zeitung finden.“

„Alles klar. Du brauchst nichts zu erklären; wenn du verheiratet bist, frage ich natürlich zu viel.“

Sie lachte. „Nein, ich bin nicht verheiratet.“

Alexej seufzte erleichtert. „Ich bin noch nicht fort und habe jetzt schon Sehnsucht nach dir! Ich werde einen zweiten Roman über eine Frau mit deinem Namen schreiben!“

„Und damit hoffst du, ein berühmter Schriftsteller zu werden?“

„Wenn es klappt, umso besser! Oder ich finde einen Schatz. Oder gewinne im Lotto zehn Millionen! Dann baue ich ein marmornes Schloss mit goldenen Türmen, Wintergärten und verzierten Balkonen, an denen Efeu und Wein ranken, und lege rund um dieses Meisterwerk der Architektur einen Park mit Teichen und Kanälen an. Da werde ich dich unterbringen, auf den Händen durch den Garten tragen und unter Apfelbäumen küssen. Und wenn du es schaffst, noch vorher zu heiraten, dann ergraue ich vor Unglück und gehe ins nächstbeste Männerkloster.“

Hier mussten beide lachen.

„Bist du nicht am 1.April geboren?“

„Erwischt! Wir Widder sind alle so: Solange man uns nicht ärgert, sind wir die reinsten Schäfchen. Aber das ist alles Poesie. Im Ernst – mir gefallen deine Lippen und …“ Sein Blick umfasste ihre ganze Gestalt. „Wenn wir uns wieder treffen, halte mindestens drei Meter Abstand von mir. Andernfalls könnte ich gefährlich werden.“

Irina schüttelte lächelnd den Kopf. „Tschüss, Schäfchen!“

„Auf Wiedersehen!“

Zuhause dachte Irina über ihren Termin am Nachmittag nach. Ihr Chef, Redakteur der örtlichen Zeitung, hatte sie persönlich angerufen: Iwan Fjodorow war endlich mit dem Interview einverstanden.

Der berühmte Autor historischer Kriminalromane lebte seit fünf Jahren in Nowgorod. Schon lange hatten sie versucht, mit ihm über seinen neuen Roman zu sprechen. Man munkelte, es gebe deutliche Parallelen zur gegenwärtigen kriminellen Lage vor Ort.

Die örtlichen Zeitschriften hatten es seit geraumer Zeit nicht leicht, es wurde sogar von Stellenkürzungen gesprochen. Seit den achtziger Jahren, nach der Perestroika, befand sich die Zeitung, bei der Irina arbeitete, auf Talfahrt. Nur die staatlichen Subventionen und die ganze Seite mit bezahlten Anzeigen hielten sie am Leben. Der ‚Eiserne Nick‘, ihr Chefredakteur, regierte mit strenger Hand. Der Humor war gestrichen worden, die Literaturseite lag im Sterben und die Kreuzworträtsel existierten nur deshalb schon so lange, weil der Direktor einer berühmten Wodkafabrik das Preisgeld spendete. Irina war der Bitte ihres Chefs entgegengekommenund hatte in ihrem Urlaub einen Tag für das Interview mit Fjodorow geopfert.

Im Sommer wohnte der Schriftsteller in seinem Sommerhaus unweit der Stadt. Als Irina aus dem Bus stieg, war es schon Nachmittag. Der Termin war für 16 Uhr angesetzt und sie konnte sich noch ein bisschen erholen. Die fünfzig Minuten in dem alten Bus bei dieser Hitze waren kein Vergnügen gewesen. Sie kam sich nach dieser Fahrt vor wie Gemüse im Suppentopf: nass und halb gekocht.

Zu den Häusern führte eine schattige Allee. Rechts wuchs Flieder, links wilde Rosen, die jetzt blühten. Ihr süßlicher Duft mischte sich mit dem Aroma von warmer Erde, altem Holz und den Essensgerüchen aus den geöffneten Küchenfenstern. Den Weg bedeckte weiches Gras, das in der Mitte platt getrampelt war. Libellen schwirrten vor Irinas Nase vorbei und landeten an kleinen Pfützen am Wegrand. Die Luft summte. Bienen und ihre Verwandten flogen mit Nektar beladen von einer Blüte zur anderen – Sommer.

An der Kreuzung bog die Journalistin nach rechts und schon stand sie vor dem letzten Holzhaus der Straße mit seinen schwarzen Wänden, weißen Fensterrahmen und den drei Stufen zum Eingang hinauf.

Irina klopfte an die Tür. Diese öffnete sich und sie traute ihren Augen nicht: Auf der Schwelle stand Wadim – ihr persönlicher Freund und Helfer. Er packte sie unvermittelt an der Schulter, zerrte sie hinters Gebäude zu seinem Auto und schubste sie hinein.

„Was soll das?!“ Endlich fand Irina ihre Stimme wieder. „Ich habe um vier Uhr ein Interview mit dem Hausherrn!“

„Bleib hier sitzen! Oder willst du bis morgen früh unangenehme Fragen beantworten? Der ‚Hausherr‘ hat seinen Termin abgesagt!“

„Aber unsere Zeitung hat so lange …“ Hier wurde ihr endlich bewusst, dass Wadim eigentlich von der Polizei war. Genauer gesagt, vom Morddezernat.

Es würde wohl nichts aus dem Interview werden.

„Was tust du hier? Ist er tot?!“, traute sie sich zu fragen.

„Ja. Warte auf mich.“ Er verschwand ohne weitere Erklärung zurück ins Haus.

„Ich dachte, du machst keinen Außendienst mehr“, sagte sie, als er zurückkam, und meinte seine Beförderung zum Hauptkommissar im letzten Jahr.

„Viele haben Ferien und sind mit ihren Familien unterwegs.“

„Und du bist wie immer da. Wie geht es dir?“, Irina interessierte sich wirklich für diesen Mann.

„Momentan nicht besonders gut. Wenn du das Opfer gesehen hättest, ginge es dir auch nicht besser.“

„Wie ist er gestorben?“, bohrte Irina nach.

„Morgen wirst du alles in den Nachrichten hören.“

„Und warum muss ich dann hier sitzen?“, wunderte sie sich.

„Ich fahre dich in die Stadt. Hier sind wir fertig.“

Er startete den Motor und schwieg den ganzen Weg bis zu Irinas Wohnung.

‚Zum Glück ist meine Kusine Ludmilla nicht hier‘, dachte Irina erleichtert. Wadim bekam immer Bauchschmerzen, wenn er sie beide gemeinsam antraf.

„Noch einen schönen Abend, Irina!“

Die Tür klappte zu und das Auto fuhr weg, bevor sie überhaupt antworten konnte.

In den Abendnachrichten wurde kurz mitgeteilt, dass der berühmte Krimiautor Iwan Fjodorow in seinem Sommerhaus tot aufgefunden worden sei, erschlagen mit seiner eigenen Axt. Die Polizei vermute einen Raubmord und habe keine Spuren vom Täter.

In diesem Moment klingelte Irinas Telefon. Ihr Chef hatte im Zusammenhang mit dem Fall einen neuen Auftrag für sie. Er wusste genau, dass sie nicht Nein sagen würde. Ihre weibliche Intuition und die Neugier der Journalistin hatten der Zeitung in den letzten Jahren öfter Erfolg beschert.

Kaum hatte sie aufgelegt, klingelte es schon wieder.

„Hast du die Repa gefunden?!“ Das waren die ersten Worte ihres lieben Kusinchens am Telefon.

„Ja, ich habe die Samen nicht nur gefunden, sondern auch gekauft!“ Irina wollte unbedingt die heutige Geschichte loswerden.

„Gott sei Dank!“, klang es aus dem Telefonhörer.

„Wie wahr! Ich habe lange genug danach gesucht! Es war wie ein Wunder, dass ich sie in einem unscheinbaren Lädchen entdeckt habe. Da stand es, schwarz auf weiß: ‚Repa Petrowskaja, 5 Gramm‘. Ich dachte mir: Dass ich und die Repa den gleichen Nachnamen haben, sollte ein gutes Zeichen sein. Ich habe mich geirrt.“

Ludmilla freute sich auf die Samen wahnsinnig: In Sankt Petersburg gab es jetzt alles, aber keine Repa mehr! Doch dann merkte sie, dass Irina noch etwas auf dem Herzen hatte.

„Und was ist da im Laden geschehen?“, möchte sie sofort klären.

„Nein, das war später! Jetzt habe ich andere Sorgen! Und schrei bitte nicht so, ich habe Kopfschmerzen.“

„Was ist noch passiert?“

„Der eiserne Nick, unser Chefredakteur, hat mich persönlich gebeten, in einem Mordfall zu recherchieren. Für die Zeitung. Die soll ja überleben, sonst kann ich mich schon jetzt beim Arbeitsamt melden. Im schlimmsten Fall wird er ein paar nette Worte an meinem Grab sagen.“

„Was redest du da?! Ist es so gefährlich? Und was macht Wadim?“, erinnerte sich Ludmilla an Irinas Freund und Helfer.

„Was er immer macht – er schweigt. Ich habe ihn heute getroffen. Nicht umsonst wollten wir das Interview von Fjodorow so schnell wie möglich. Jetzt kann man von ihm nichts mehr bekommen, nicht mal das Blut –anscheinend ist es komplett aus ihm rausgeflossen. Wadim ist immer noch böse auf uns. Und jetzt dieser Mord. Ich war fast gleichzeitig mit der Polizei am Tatort und ich glaube, sie verdächtigen mich. Es ist ein Wunder, dass ich immer noch frei herumlaufen darf.“

„Du brauchst sofort meine Unterstützung! Ich komme am nächsten Freitag“, entschied Ludmilla und bevor Irina versuchen konnte, es ihr auszureden, hatte sie schon aufgelegt.

Kapitel 2. Die Kusinen

Am nächsten Mittwoch, den 7. Juni um 17:30 Uhr Moskauer Zeit, hatte sich Ludmilla Muschkina entschlossen zu heiraten. Genauso teilte sie es ihrer Kusine mit. Telefonisch natürlich, weil sie beide in verschiedenen Städten wohnten – Ludmilla in Sankt Petersburg, Irina in Nowgorod.

‚Zum Glück gibt es kein Gesetz, dass Verwandte in ein und derselben Stadt wohnen müssen. Das wäre ja noch schöner! Bestimmt würde sich dann die Anzahl der Familientragödien verdoppeln. Denn es ist eines, seine Verwandtschaft aus der Ferne zu lieben, und etwas anderes, sie jeden Tag vor Augen zu haben.‘

Diese Kusinen waren seit ihrer Kinderzeit befreundet. Ob sich Gegensätze wirklich anziehen? Irina liebte es, den Abend in Ruhe mit einem Buch zu verbringen, aber Ludmilla war schon als Kind in die unmöglichsten Geschichten hineingeraten, und zwar meistens gegen ihren Willen. Sie war eben abenteuerlustig, und Irina war allzu oft mit hineingezogen worden.

Am Klang ihrer Stimme erkannte Irina sofort, dass Ludmilla auf ihre Hilfe zählte.

„Wo bist du diesmal hineingeraten?“

„Erwarte mich morgen früh“, heute war ihre Kusine kurz angebunden.

Das hieß, es sah nicht gut aus.

„Holst du mich vom Bahnhof ab? Ich habe Angst vor dem Taxi.“

„Na, das ist ja mal was Neues! Ich sehe, es hat keinen Sinn, dir jetzt Fragen zu stellen. Du hast bestimmt auch vor dem Telefon Angst.“ Irina kannte ihre Kusine zu gut und begann sich schon jetzt Sorgen um sie zu machen.

„Du wirst lachen: Ja.“

„Dann bis morgen!“

Am nächsten Morgen saßen die Kusinen beim Kaffee in Irinas Küche. Der Raum war nursechs Quadratmeter groß – oder sollte man lieber ‚sechs Quadratmeter klein‘ sagen? Das war die ‚normale‘ Größe für die alten Wohnungen, wo früher nur der ‚bewohnbare Platz‘, also die Zimmergröße, für die Miete angerechnet worden war, obwohl sich das Leben immer in der Küche abgespielt hatte. Außer den beiden Frauen befanden sich hier ein Gasherd, eine Spüle, ein alter Kühlschrank, ein kleiner Geschirrschrank, ein Tisch mit zwei Hockern, auf denen die Kusinen saßen, und eine Waschmaschine, da das Badezimmer noch kleiner war als die Küche. An den Wänden hingen zwei geschlossene Küchenregale und auf dem Boden unter dem Fenster lag Irinas Hündin Glascha. Ein Neufundländer, ein sehr großer schwarzer Hund mit langem Fell, der am liebsten jeden Tag geschwommen wäre.

Ludmilla trank einen Schluck. „Ich würde gerne einige Zeit bei dir wohnen“, fing sie an.

Irina verschluckte sich fast an ihrem Kaffee. „Wie meinst du das? Du hast doch zu Hause eine Wohnung, ein Kind, deine Arbeit. Wohin hast du denn Wowik gegeben?“

„Zur Oma nach Moskau. Ich habe dich von dort aus angerufen“, Ludmilla stellte ihre leere Tasse auf den Tisch und schenkte sich noch etwas Kaffee ein.

Irina war erleichtert. Wenigstens hatte sie das Kind nicht mit in die Geschichte hineingezogen! „Dann erzähl mal! Wo bist du denn diesmal hineingeraten?“

„Darf ich hier rauchen?“

Es war Ludmilla bekannt, dass Irina nichts von Zigarettenrauch hielt, aber jetzt war nicht die passende Zeit für einen Streit.

„Meinetwegen, erzähl endlich!“ Irina öffnete den oberen Teil des Fensters.

„Das ist eine lange Geschichte … Hast du ein Gläschen Cognac für mich?“

Die Tatsache, dass Ludmilla nicht gleich Ihre Neuigkeiten ausplapperte beunruhigte Irina noch mehr. Sie brachte die Flasche mit dem Rest von ihrem Geburtstag. „Kriege ich heute noch eine Erklärung, was mit dir passiert ist?“

Ludmilla nahm einen Schluck, kniff die Augen zusammen und legte los. „Alles sieht so aus, als ob ich einen Menschen umgebracht hätte!“

„Wie bitte?! … Schenk auch mir ein Schlückchen ein! Und jetzt erzähl mal in Ruhe und der Reihe nach.“

„Du erinnerst dich doch sicher an Michail, den du ein paarmal bei mir gesehen hast?“

„Meinst du den mit den ‚übersinnlichen‘ Fähigkeiten?“

„Ja, genau den. Wir haben uns gestern im Park getroffen. Er sollte entscheiden, was ich mit den Aktien eines Kapitalfonds anstelle: Gleich wegschmeißen oder auf eine Chance warten, etwas dafür zu bekommen. Die Aktien habe ich für unsere zwei Voucher umgetauscht – na, du weißt schon, ‚unser Anteil am Volksvermögen‘ nach der Perestroika. Man konnte sie bei der Sparkasse für acht Rubel umtauschen – oder waren es achttausend? Um die Zeit wurde schon in Millionen gerechnet, die Inflation war gewaltig und die Leute bekamen monatelang keinen Lohn für ihre Arbeit.“

„Ja, ich erinnere mich. Meine habe ich damals auch für die Aktien von irgendwas ausgegeben. Nach ein paar Jahren ohne Dividende boten sie mir eine Flasche Sekt oder nichts. Ich habe den Sekt genommen, wie alle anderen. Der Aktienfonds ist jetzt eine private Bank.“

„Auf unseren Straßen wurde in dieser Zeit am helllichten Tag geschossen und vor der U-Bahn-Station saßen die Künstler der Porzellanfabrik und versuchten, das Geschirr zu verkaufen, das sie statt Lohn bekommen hatten. Der ‚Wilde Osten‘ … das waren Zeiten!“

„Die sind Gott sei Dank vorbei! Nun erzähl endlich!“, jetzt war Irina ungeduldig.

„Also, Michail … er strich mit den Händen über die Papiere und sprang prompt hoch. Ich dachte, er hätte wieder vergessen, zu Hause das Bügeleisen auszuschalten, und würde gleich wegrennen. Das war schon einmal passiert. Ich hatte mich stundenlang mit den schrecklichsten Gedanken gequält, bis ich ihn per Handy erreicht hatte. Dieses Mal packte er meine Hand und erklärte, dass ich irgendwelche Wellen ausstrahle, wie vor einer großen Gefahr. Es stimmt schon, dass er nicht alle Tassen im Schrank hat, aber verrückt ist er auch wieder nicht. Sein Rat hat mir schon oft geholfen. Ich bekam sofort Angst, raffte die Papiere zusammen, verabschiedete mich schnell und rannte zum Parkausgang. Wir hatten auf einer alten Bank in einer verwilderten Ecke des Parks gesessen. Das Loch im Zaun war nicht weit entfernt, man musste sich nur durch die Büsche hindurcharbeiten.“ Sie verstummte.

„Und?“, drängelte Irina.

„Und da sah ich ihn.“ Ludmilla trank hastig und verschluckte sich.

Während Irina ihr auf den Rücken klopfte, schossen ihr verschiedene Gedanken durch den Kopf, aber die entscheidende Frage war: „Wen hast du gesehen?“

„Meinen Ex! Er lag auf dem Rücken unter dem Busch und in seinem Kopf war ein Loch!“ Sie trank wieder, diesmal ohne sich zu verschlucken.

„Hast du dich vergewissert, ob er tot war? Du hast doch mal einen Krankenschwesterkurs absolviert.“ Irina wusste noch, wie stolz ihre Kusine darauf war.

„Habe ich! Solche Sachen macht man automatisch. Er war tot! Und zwar schon lange. Und ich habe kein Alibi!“

„Warte mal … aber du warst es doch nicht! Ich glaub, ich werde verrückt“, schüttelte Irina den Kopf.

„Ich weiß es nicht! Es sieht so aus, als könnte nur ich es gewesen sein!“

„Aber du … Wirkt die Freundschaft mit Michail sich so auf dich aus?“ Irina beäugte sie misstrauisch.

„Nein! Ich bin geistig gesund bis auf meinen Verfolgungswahn!“

„Erzähl weiter!“

Kusine Ludmilla hatte schon lange von ihrem Mann getrennt gelebt, nur mit der Scheidung hatte es nicht geklappt. Manchmal hatte er ihr ein bisschen Geld geschickt, aber nie so viel, wie ihr zugestanden hätte. Deswegen hatte er versucht, sich so lange es ging nicht scheiden zu lassen. Es gab sogar ein Motiv für einen Mord: Ludmilla hatte davon die Nase voll gehabt.

„Ich bin nach Moskau gekommen, weil er mich angerufen hat, um alles nochmal zu besprechen.“ Ludmilla ließ den Kopf hängen. „Schön besprochen!“

„Und habt ihr euch getroffen oder nicht?“, ärgerte sich Irina.

Sie seufzte. „Ja, und wir haben uns wieder gestritten. Dieses Schwein hat gedroht, mir den Sohn wegzunehmen, wenn ich nicht auf die Alimente verzichte. Er sagte, er werde etwas gegen mich vorbringen.“

„Was meinte er damit?“

„Weiß nicht, habe nicht gefragt, weil ich mich wegen seiner Worte über Wowik ärgerte. Er war nervös, mehr als sonst. Er hat die ganze Zeit auf die Uhr geguckt, ist dann rasch aufgestanden und zum Auto gerannt. Das war’s. Eine Stunde später sah ich ihn tot im Park wieder.“ Sie verstummte.

Irina war still und versuchte, das Gehörte zu verarbeiten. ‚So wird man in eine blöde Geschichte mit einer Leiche hineingezogen. Wäre diese Leiche wenigstens bemerkenswert – doch nein, nur ein nutzloser Geschäftsmann. Wer brauchte seinen Tod? Ich nicht, und meine Kusine bringt keinen Menschen um.‘

„Ich glaube es nicht. Niemals!“, sprach sie den letzten Satz laut aus.

„Was jetzt?“, fragte Ludmilla mutlos.

„Wir haben einen bekannten Kommissar im ‚Eckhaus‘. Du kennst ja Wadim. Ich werde ihn anrufen und zum Tee einladen.“

Wadim nahm die Einladung an. Seit ihrer vorletzten Begegnung wegen einer unangenehmen Angelegenheit war fast ein Jahr vergangen. Na ja, man mochte sich nicht an alles erinnern. Irinas Hündin Glascha freute sich tierisch über ihn.

Er sah Ludmilla am Küchentisch sitzen und wurde gleich misstrauisch. „Soso, wieder in irgendeinen Dreck hineingeraten! Wenn jemand schon nicht in Ruhe leben kann …“

„… dann muss man ihm helfen!“, beendete Irina frech den Satz.

Nach Tee und mit Quark gefüllten Pfannkuchen wurde Wadim etwas gnädiger.

„Erzählt mir nun die Details!“ Er zog sein Notizbuch und einen Kugelschreiber hervor.

„Als Profi hat er sein Werkzeug immer dabei!“, ironisierte Irina.

„Warum zum Teufel haben Sie, Ludmilla, sich aus dem Staub gemacht, bevor alles geklärt wurde?“, ärgerte sich der Kommissar.

„Siehst du denn nicht, dass die Frau Angst hat?!“, mischte sich Irina ein.

„Ich sehe keine Frau, sondern nur ein nasses, zerzaustes Huhn!“

„Danke! Und wenn dir das Gleiche passiert wäre?“, empörte sich Irina.

„So etwas Blödes kann mir nicht passieren!“

„Gegen Unglück und Elend ist keiner gefeit!“ Irina hatte schon immer eine Vorliebe für Redewendungen.

„Aber ich will nicht ins Gefängnis!“, regte Ludmilla sich auf. „Höchstens aus einem guten Grund!“

„Ja, deinen Ex umzubringen, das wäre nichts Besonderes. Aber jemand hat es doch getan! Wer nur?“, mischte Irina sich wieder ein.

„Gut, ich werde meine Quellen befragen.“ Wadim stand auf und bedankte sich mit Nachdruck für den Tee.

An diesem Tag erfuhren die Frauen nichts mehr und selbst zum weiteren Grübeln waren sie zu müde. Die Stille vor dem Sturm, wie man sagt.

Und der ließ nicht lange auf sich warten.

Am nächsten Tag rief Wadim Irina bei der Arbeit an. Wegen der Recherche im Mordfall hatte sie ihren Urlaub verschieben müssen. Sie freute sich, dass er ihre Telefonnummer noch kannte.

„Ich komme heute um 20:15 Uhr zum Tee vorbei. Mit einer Torte. Bis dann!“, sagte er kurz und legte auf.

Den ganzen Tag war Irina aufgeregt. Sie konnte den Feierabend kaum erwarten, rannte neuen Tee kaufen, weil sie keinen mehr hatte, und stürzte dann außer Atem zurück in die Wohnung. Fünfzehn Minuten später erschien Wadim mit der Torte, aber sein Gesicht verhieß nichts Gutes.

„Mädels, erklärt mir, wie ihr es geschafft habt, in diese Geschichte hineinzugeraten?“

Irina winkte ab. „Du weißt doch: Wir haben immer Pech!“

„Oder im Gegenteil: Ihr habt Glück bei Abenteuern auf eigene Faust. Ich kann euch aber leider nichts Beruhigendes mitteilen. Nur der Todeszeitpunkt und