Die Journalistin Irina erlebt beim Umbau ihres altes Hauses auf dem Lande eine unangenehme Überraschung: im Keller, der neu ausgehoben wird, findet sich eine männliche Leiche und der Wiederaufbau des Hauses wird gestoppt. Ihr Freund Hauptkommissar Wadim, der mit der Spurensicherungstruppe ins Dorf kommt, kann ihr diesmal nicht helfen. Um ihr Haus frei zu bekommen, beginnt Irina zusammen mit ihrer Kusine Ludmilla ihre eigenen Ermittlungen … Die verschrobenen Dorfbewohner und die gestressten Sommergäste sind alle mit ihren eigenen Aufgaben beschäftigt: Kühe melken, Heuhaufen herrichten, Würmer malen und an einem verrostetem Autowrack schrauben… Aber mit Hilfe von Hauptkommissar Wadim und dem russischen Wetter, gelingt es den Kusinen ein sechzigjähriges Geheimnis rund um den Toten zu lüften.
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Seitenzahl: 187
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Arina Mey
Eine Leiche im Keller
Buch
Irina, die den Sommer in einem kleinem russischen Dorf verbringen wollte, erlebt beim Umbau ihres Häuschens in diesem Dorf eine unangenehme Überraschung: Zuerst fällt ihr Haus zusammen, dann findet man im Keller, der neu ausgehoben wird, eine Leiche und der Wiederaufbau des Hauses wird gestoppt.
Ihr Freund, Hauptkommissar Wadim, der mit der Spurensicherungstruppe ins Dorf kommt, kann ihr diesmal nicht helfen. Dafür eilt ihre Kusine Ludmilla zur Hilfe.
Die verschrobenen Dorfbewohner und die gestressten Sommergäste sind alle mit ihren eigenen Aufgaben beschäftigt: Kühe melken, Heuhaufen herrichten, Würmer malen und an einem verrosteten Autowrack schrauben… Aber mit Hilfe von Hauptkommissar Wadim und dem russischen Wetter, gelingt es den Kusinen ein sechzig jähriges Geheimnis zu lüften.
Autorin
Arina Mey wurde in Sankt Petersburg geboren und lebte zehn Jahre in der Hansestadt Nowgorod, wo die skurrilen Kusinen, als Figuren ihrer Romanreihe entstanden.
Seit über zwanzig Jahren lebt sie in Niedersachsen und schreibt Romane in deutscher Sprache. Dies ist der zweite Roman ihrer Buchreihe über die neugierigen Kusinen.
ARINA MEY
EINE
LEICHE
IM
KELLER
cosy krimi
Copyright © Arina Mey. 2024
Alle Rechte vorbehalten.
In Vertretung von Arina Mey – M. Meyer, Eichelkamp 41, 38440, Wolfsburg, Germany
Druck und Vertrieb: Epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997Berlin
Arina Mey. Eine Leiche im Keller. 2024
Coverdesign: M. Meyer, Coverbild: J. Walter
Inhaltsverzeichnis
Personenliste
Vorwort
Kapitel 1. Der Schatz
Kapitel 2. Die Dörfler
Kapitel 3. Die Sommergäste
Kapitel 4. Im Dorf Marjino
Kapitel 5. Der Heuhaufen
Kapitel 6. Die Äpfel und die Bienen
Kapitel 7. Das Richtfest
Kapitel 8. Der Sturm
Kapitel 9. Der Herbstnebel
Kapitel 10. Die Hansestadt
Kapitel 11. Das Spitzmäuschen
Kapitel 12. Auf unwegsamen Wegen
Kapitel 13. Der Weihnachtsmarkt
Kapitel 14. Die Jahreswende
Kapitel 15. Ein Sommerhaus im Norden
Die Kusinen
Irina Petrowskaja, Journalistin aus Nowgorod
Ludmilla Schubert, ihre Kusine aus Deutschland
Die Familie
Wowik, Ludmillas Sohn aus erster Ehe
Ralf Schubert, Ludmillas Ehemann
Die Polizisten
Wadim – Hauptkommissar in Nowgorod
Werner Knüppelholz – deutscher Polizeibeamte
Iwan Petrowitsch – pensionierter Polizist.
Die Dörfler
Oma Tatjana – die Älteste im Dorf
Michalitsch – Irinas Bauleiter
Nadeschda, die Dorfhexe
Nikolaj, der Briefträger
Sanjkader Rammler, dörflicher Casanova
Witali, der Bastler
Elisabeth, Lisa, die Lehrerin
Die Sommergäste
Lola Markina, die Maklerin
Arkadij, ein gestresster Geschäftsmann
Katerina, die Künstlerin
Liebe Leserinnen und Leser!
Dieses Buch ist kein Action-Krimi, kein
Regionalkrimi, kein politischer Thriller!
Ein Cosy Krimi ist seit Jahrzehnten bekannt als ein spezielles Genre des Kriminalromans.
Es wird auch Kuschelkrimi oder Landkrimi
genannt, hat ein gemächliches Erzähltempo mit dichtem Lokalkolorit, Humor oder Ironie und seine amateurhaften Ermittler, die persönlich in den Fall verwickelt sind.
Die Spannung entsteht meistens nicht durch Action, sondern durch das Versuchen das
Rätsel zu lösen.
Also, finden Sie es selbst heraus!
Danke!
Ihre Autorin
Irina klappte ihren Tablet-PC zusammen und griff nach ihrem Handy:
„Hallo, ich bin es. Ich brauche eine Leiche. Kannst du mir eine bis Montag besorgen?“ Im rechten Augenwinkel merkte sie eine schnelle Bewegung, sprach aber weiter. „Ja, du weißt wofür. Es muss aber keine frische, sondern eine etwas ältere sein. Hast du welche? Bitte, nur keine Wasserleichen! Die vertrage ich nicht!“
Jetzt fiel es Irina auf, dass es im Waggon des Zuges, in dem sie gerade saß, verdächtig still wurde. Ihr Nachbar, der gegenüber im Gang saß, starrte sie an und war anscheinend bereit zu einem Sprung, um sie zu überwältigen.
„Ich rufe dich später an“, sie unterbrach ihr Telefonat, schaltete das Handy aus und drehte sich zu dem Mann im Gang gegenüber. „Haben Sie keine Sorge, ich schreibe an meinem Krimi und fragte gerade einen bekannten Kriminalkommissar, ob er mir einen passenden Toten für die Handlung meines Romans, empfehlen kann. An was haben Sie denn gedacht?“
Irina klappte wieder ihren Tablet-PC auf, den ihr ihre Kusine Ludmilla zurErscheinung ihres ersten Buches geschenkt hatte, und zeigte dem Mann die Titelseite des Romans. Es sah so aus, als ob er ihr geglaubt hatte, denn er atmete aus und seine Muskeln entspannten sich.
„Irina Petrowskaja. Ein Skelett im Schrank. Kriminalroman“, las er laut und die Spannung im Waggon des Zuges löste sich auf.
Sofort wurde es wieder lauter. Die zwei Frauen, die vor Irina saßen, vertieften sich wieder in ihr Gespräch über ein krankes Kind ihren Bruder und seine Frau. Das Mädchen auf der anderen Seite des Waggons, zwei Sitzreihen von Irina entfernt, nahm ihr Gejammer über ihr kaputtes Spielzeug wieder auf, und eine alte Frau vertiefte sich wie zuvor in das Lesen ihres Frauenmagazins mit Schönheitstipps.
Irina versuchte sich erneut, auf ihren Roman zu konzentrieren. Sie saß jetzt im Zug, der nach Norden fuhr, weil sie sich ein kleines Häuschen in einem sehr kleinen Dorf gekauft hatte, wo sie ihr neues Buch fertigstellen wollte. In Ruhe und Abgeschiedenheit.
Ihr erster Roman erschien vor einem halben Jahr und handelte von einem Schriftstellermord nach einer wahren Geschichte, in welche sie und ihre Kusine Ludmilla wider Willen verwickelt worden waren. Sie hatte den Krimi um die Wette mit Alexej, ebenfalls einem Autor, geschrieben, wurde früher als er fertig und hat die Wette gewonnen. Alexej wurde zu sehr abgelenkt durch sein Studium, durch andere Aktivitäten an der Uni und durch seine Frauengeschichten.
Zurzeit versuchte sich Irina an einer komplett fiktiven Geschichte. Na, vielleicht nicht ganz: Man benutzt ja immer die eigenen Erfahrungen. Als nächstes benötigte sie dringend eine passende Leiche für die Handlung.
Der Schaffner kam vorbei und teilte Irina mit, dass sie nach zwei Haltestellen aussteigen müsse. Sie beeilte sich, weil sie wusste: Der Zug hält dort nur drei Minuten. Es ist keine Bahnstation, nicht mal ein Bahnsteig: Der Zug hält einfach kurz an, die Menschen steigen ein oder aus, und der Zug fährt weiter.
Als Irina aus dem stickigen Waggon des Zuges raus war, wurde es schon dunkel und sie beeilte sich. ‚Jetzt will ich nur noch schlafen!‘, dachte die müde Frau, als sie sich Lisas Haus näherte, wo sie vorübergehend wohnen durfte. ‚Morgen habe ich viel zu tun‘.
Irina nahm einen ordentlichen Atemzug von der frischen Morgenluft ein und drehte sich zum Haus um. Sie winkte dem Baggerfahrer und der schmiss den Motor an. Oder hieß diese Baumaschine Laderaupe? Da war sich Irina nicht sicher. Heute wurde endlich ihr altes Häuschen angehoben und auf die neuen größeren Ecksteine aufgesetzt.
Der Bagger hob die Südseite des Hauses hoch, und zwei Arbeiter klopften rasch die Holzklötze unter den dicksten Stamm einer Wand. Jetzt war die nördliche Seite dran. Der Mann am Steuer des Baggers verschätzte sich und das morsche Holz der unteren Reihe brach in der Mitte durch. Das ganze Haus hing einen kurzen Moment schief in der Luft, dann fiel es auseinander. Die schwarzen Holzstämme rollten den Hang hinunter, an den weglaufenden Männern vorbei.
„Ich war wohl von Sinnen, als ich diese Ruine gekauft habe“, murmelte Irina und schüttelte den Kopf.
Ihr Traum-Sommerhaus existierte nicht mehr.
Michalitsch, ihr Bauleiter und jetzt wohl ihr Abrissleiter, tröstete sie: „Halb so schlimm! Die oberen Reihen kannst du behalten.“
„Was soll ich mit einem halben Haus?!“
„Ich rede mit dem Oberförster, du bekommst ein Stück Wald zum Abholzen, das reicht für den Rest. Wird nicht teuer.“
„Und wer holzt ab?!“
„Ich kenne da einen … Wir schieben das alles jetzt zur Seite.“
Irina nickte zu.
„Okay. Dann fahre ich jetzt nachhause und regle das mit dem Geld und auch mit meinem Chef wegen des Urlaubs… Es wird wohl doch ein neues Haus werden!“
In dem Dorf Flaschino, das etwa einen Kilometer von dem größeren Nachbardorf Marjino entfernt lag, wurde seit Jahrzehnten nicht mehr gebaut. Zu viele Männer kamen aus dem letzten Krieg nicht mehr zurück. Nachdem auch die letzten jungen Leute in größere Dörfer, oder gar in die Stadt weggezogen waren, blieben die Häuser einem langsamen Zerfall ausgesetzt. Irinas Haus war eines der noch verbliebenen Häuser. Vor einem Jahr starb dann die Hausbesitzerin und ihre Tochter, die in der Stadt wohnte, verkaufte das Haus ganz günstig. So, dass auch Irina es sich leisten konnte.
Heute bestand das Dorf nur noch aus neun Häusern. In fünf lebten noch die Dörfler, vier die übrigen wurden an Stadtmenschen verkauft, die zur Sommerfrische hierher kamen.
Nach drei Wochen kam Irina wieder ins Dorf. Die alten dunklen Holzstämme, die früher als die Wände vom Haus dienten, lagen zusammen an dem provisorischen Zaun. Dahinter – frischentrindete Tannenstämme, nicht so dick wie die alten, dafür neuer. Die Reste vom kaputten Dach und die morschen Bodendielen wurden entsorgt. Daneben stapelten sich frischgeschnittene Bretter für den Dachboden und die Dielen.
„Heute werden wir den Keller ausheben“, erklärte Michalitsch. „Der war nicht mal einen Meter tief, deswegen sind auch die unteren Teile der Wand und der Boden verfault. Willst du vielleicht deine Seni breiter haben?“
„Ein kalter Vorraum zum Haus, ganz ohne Fenster? Nein, ich möchte lieber eine Veranda mit viel Licht, es ist ja für den Sommer, das Haus. Aber für den Umbau habe ich mein altes Klavier verkauft. So viel hat es nicht gebracht.“
„Wird nicht viel teurer. Also, Männer, fangt an!“
Die drei kräftigen Helfer sprangen in die Bodenvertiefung, in der das Haus früher stand, und fingen an, rasch zu buddeln.
‚Gut, dass es die letzten Wochen nicht geregnet hat, sonst hätte ich heute einen Teich‘, dachte Irina für sich. ‚So ein großer Sandkasten! Ich hatte als Kind immer etwas im Sand gefunden: Knöpfe, kaputte Schaufelchen und verlorene Sandförmchen. Vielleicht wäre ich lieber Archäologin geworden?‘
Das Loch in der Mitte wuchs wie mit Lichtgeschwindigkeit.
‚Wie schaffen sie das?‘
Die kratzenden Geräusche der Schaufeln über Steine und harten Sand verstummten plötzlich.
„Was ist?“
„Spring mal runter! Wir haben was gefunden!“
In der Mitte des Loches, halbausgebuddelt, lag eine lange Kiste aus verrostetem Metall.
„Eine Schatztruhe?“
„Eher ein Werkzeugschrank oder so…“
Die Männer befreiten den Deckel vom restlichen Sand und sahen Irina fragend an.
„Macht auf!“
Sie ließen nicht lange auf sich einreden. Die Truhe war zwar verschlossen, aber der Deckel wurde kurzerhand mit Hilfe einer Brechstange aufgebrochen, und alle Köpfe hingen mit Neugier über der Öffnung.
Aber nicht lange:
„Ach du,…!“
Die robuste Landbevölkerung hat für alle Situationen im Leben ein kräftiges passendes Wort. Kaum literarisch, aber sehr ausdrucksvoll.
In der Schatztruhe oder dem Werkschrank lag ein menschlicher Körper. Eher das, was von ihm übrig geblieben war. Die Fetzen der Kleidung sahen noch älter aus als der Rest. Die Leiche strömte einen so widerlichen Geruch aus, dass die Männer rasch, ganz ohne Leiter, aus dem Loch heraussprangen und Irina mitzogen.
Nach dem Telefonat mit der Polizei und zwei Gläsern Wodka - für die Nerven - fing Irina an nachzudenken.
Ihr erster klarer Gedanke war: ‚Wer war der Mensch und was macht er in meinem Keller?! ‘
Der zweite wurde schon etwas logischer: wie lange liegt er da und wer hat alles in diesem Haus in letzten Jahren gelebt?
Die Polizei kam im dienstlichen Pickup nach einer Stunde mit Sirene, worüber sich Irina ein wenig wunderte: ’Haben die Angst, dass die Leiche ihnen wegläuft?!‘
Vor dem Auto fuhr auf seinem Motorrad ein Polizist in Uniform.
‚Ich sollte lieber Wadim anrufen‘, entschied sich Irina.
Aber zuerst musste sie sich der örtlichen Polizei in Form des Sergeant Denis Popkin widmen.
Der Sergeant war jung, hatte keine Ahnung, aber viel Ehrgeiz. Außer einem Fahrer im Dienstauto brachte er sogar einen Fotografen mit. Die Leiche wurde zusammen mit dem provisorischen Sarg in Form einer Metalltruhe oder eines Werkzeugschranks auf den Polizei-Pickup geladen und weggefahren. Der Sergeant blieb. Er wollte unbedingt wissen, warum das Haus von seinem alten Platz weggeschoben und angefangen wurde, im Sand zu graben. Vor einem Glas Wodka, das ihm von Michalitsch vom Herzen angeboten wurde, schreckte er zurück.
„Das junge Gemüse! Man sollte lieber mit Petrowitsch darüber reden!“
„Stimmt“, Irina wusste schon, dass Iwan Petrowitsch zwanzig Jahre erfolgreich für seinen Staat in dem kleinen Ort diente und vor kurzem pensioniert wurde. In seiner Dienstzeit wurde er von der Bevölkerung respektiert und war sehr beliebt. Er wohnte in einem etwas größeren Nachbardorf mit Poststelle, einer Apotheke und einem winzigen Supermarkt.
Endlich sagte der Sergeant offiziell: „Bleiben Sie bitte im Ort und zu unserer Verfügung“, sprang auf sein Motorrad und fuhr weg.
Und da klingelte Irinas Handy. Es war ihre Kusine Ludmilla, die seit einem Jahr in Deutschland lebte, aber sich zurzeit bei ihrer Mutter in Moskau aufhielt.
„Ich dachte, ich habe kein Netz!“, freute sich Irina. „Ich muss sofort Wadim anrufen!“
„Ist etwas passiert? Soll ich zu dir, in dein Haus kommen?“
„Es gibt kein Haus! Ich stehe in einem Loch in der Erde, in dem gerade eine alte Leiche gefunden worden ist. Keine Ahnung, wann wir wieder weiter arbeiten können.“
„Toll! Ich komme zu dir!“ Und die Verbindung wurde unterbrochen.
Nach dem dritten Versuch hatte Irina am Telefon ihren persönlichen Freund und Helfer erreicht. Wadim fragte kurz nach den Ortsnamen und legte auf.
Am Montag, den 17. Juni kam Wadim mit einer Spurensicherungstruppe in dem kleinen Dorf Flaschino an, wo Irinas Haus-Umbau eine solche unerfreuliche Wendung genommen hatte.
Der Besuch des Hauptkommissars aus der Stadt mit seinen Leuten hatte einen gewaltigen Eindruck auf die Landbevölkerung gemacht. Elisabeth, die Lehrerin, eine Freundin von Irina, bei der sie derzeit wohnte, bügelte ihr neues knappes Kleid. Der Dorf-Casanova Sanjka ging an dem Tag nicht zur Arbeit. Witali, der Bastler, versteckte sich im Busch, um sich besser die technischen Geräte der Untersuchungsgruppe begutachten zu können, und Oma Tatjana hatte schon seit dem frühen Morgen ihr buntes Kopftuch um, das sie sonst nur an Sonntagen trägt. Und alle brannten darauf, zu erfahren, wer die Leiche im Keller war. Es hatte sich herum-gesprochen, dass es ein Mann in seinen besten Jahren war, also rund um die Vierzig.
Die Spurensuche hatte Irinas gesamtes Grundstück auf den Kopf gestellt, aber es wurde nichts weiter gefunden.
Am Nachmittag klingelte Irinas Telefon.
„Du, hör mal, ich stehe an eurem Bahnübergang. In welche Richtung soll ich jetzt gehen?“ Das war ihr liebes Kusinchen.
„Bist du schon hier?!“
„Na klar, das habe ich dir doch versprochen. Freust du dich?“
„Und wie! Aber Wadim wird es nicht.“
„Ist er da?“
„Seit zehn Uhr morgens. Geh nach Westen in die Richtung des Hügels, dahinter ist das Dorf. Ich komme dir entgegen. Es sind nur fünf Minuten zu Fuß.“
Zehn Minuten später saßen die Kusinen bei Oma Tatjana und tranken Tee aus den Blättern einer Pflanze, die Iwan-Chai hieß.
Tatjanas Haus, wie die meisten im Dorf, bestand aus einer Küche, einen Wohnzimmer und einem kleinen Schlafzimmer. Sie bewirtete ihre Gäste im Wohnzimmer. Irina war zum ersten Mal bei Tatjana zuhause. Sie sah sich um: Der ausziehbare Tisch aus dunklem Holz in der Mitte, an dem sie saßen und Tee tranken, die bunten Gardinen an den Fenstern, eine große Ikone in der Ecke, ein kleiner Fernseher auf der Kommode. Alles sah etwas arm und altmodisch, aber sauber und ordentlich aus.
Wie erwartet, war Wadim nicht sehr erfreut, hier auch Ludmilla anzutreffen. Während der gesamten Unterhaltung sah er etwas nachdenklich aus, sobald sein Blick wieder mal auf den Frauen ruhte. Als ob er sich einen Plan zu-rechtlegte, wie er die Kusinen in eine Zelle einsperren könnte: zu ihrer eigenen Sicherheit.
Oma Tatjana erzählte der Polizei, dass sie ihr ganzes Leben mit Antonia, deren Haus Irina gekauft hatte, befreundet war. Bis zu ihrem Tod im letzten Jahr. Ihre Erben verkauften das Häuschen über eine gewisse Lola Markina. Die Maklerin aus Sankt Petersburg suchte herunter-gekommene Häuser auf dem Land, um sie an die gestressten Städter zu verkaufen.
Einer von ihnen war Arkadij, ein Geschäftsmann, der das schönste und größte Haus bekommen hat: Sein Haus hatte einen neuen Anbau erhalten, und die alte Eingangstür befand sich jetzt genau in der Mitte. Das Haus hatte zwei Öfen, einen in jeder Hälfte, also waren auch die Seni warm.
Ein anderes Häuschen, genauso alt und klein, wie das von Irina, bekam eine Künstlerin. Sie hieß Katerina und malte gerne Wiesen und Vögel, wofür sie fast jeden Tag die Umgebung mit einer klappbaren Staffelei unterm Arm durchstreifte.
Lola Markina hatte für sich eine Wohnung im Nachbardorf freigehalten und kam oft im Sommer her.
Auch Irina sehnte sich nach dörflicher Ruhe in den Ferien: Ein Häuschen in einem kleinen Dorf, wo es viel Grün und wenige Autoabgase gibt! Und man kann endlich in Ruhe schreiben! So hatte sie dieses Sommer-Traumhaus über Lola gefunden und gekauft. Jetzt hatte sie stattdessen eine Grube mit einer Leiche darin.
Einige Häuser in dem Dorf sind im Laufe der Jahre verweist, verfallen und irgendwann ihre Reste einfach zur Seite geschoben worden und die Wildrosen wuchsen auf ihnen.
Eines der übrigen Häuser gehörte Elisabeths Eltern, die vor zwei Jahren verstarben. Als Elisabeth nach ihrem Studium als Schullehrerin zurückkam und an der Schule, die sich im großen Dorf befand, angestellt wurde, zog sie wieder in das Haus ein. Derzeit wohnte auch Irina bei ihr.
Von den Einheimischen blieben hier noch Witali, der Bastler und Sanjka, der Rammler. Bis vor einem Jahr gehörte eines von den Häusern Nikolaj, aber seit seinem Unfall mit dem Zug wohnte er bei Nadeschda, der Dorfhexe und Tatjanas Freundin, die ihn pflegte. Ihr Hof mit dem Haus lag etwas abseits des Dorfes auf dem anderen Hügel, wie es sich für eine Hexe gehört. Dank ihrer Bemühungen ging es dem Mann besser, und seit einem Monat hatte Nikolaj einen neuen Job als Briefträger bei der Post. Fahrradfahren hatte er nicht verlernt.
Das kleine Dorf, das sich auch in sechzig Jahren nach dem letzten Krieg nicht vollständig erholt hatte, wurde von nördlicher Seite vom Mischwald und von südlicher von kleinen Wiesen umschlossen. Die großen Felder lagen weit Außerhalb, was die Umgebung für die Urlauber noch attraktiver machte. Nach der Perestroika lag die Hälfte davon brach und wurde als Wiesen für das Heu für die Kühe benutzt. Von denen gab es hier noch genug. Fast jeder Dörfler hatte eine oder zwei im Stall neben dem Haus. Nur Oma Tatjana, die einfach zu alt dafür war, hielt eine Ziege. Die Ziege war etwas bissig und hieß Rosa.
Morgens wurden die Kühe von drei nahe liegenden Dörfern vom Hirten gesammelt und auf die Wiese zu dem See getrieben. Abends führte er sie dann wieder zurück.
Der einzige von den Dörflern, der keine Kuh oder Ziege besaß, war Witali, der Bastler. So wurde er von den anderen genannt, weil er ein Talent zur Reparatur von allem Möglichem hatte. Meistens bastelte er aus kaputten Teilen etwas ganz Anderes und diese originelle Mariage funktionierte erstaunlicherweise wieder. Man war sich nur nicht immer sicher, wenn man ihm zum Beispiel einen Föhn zur Reparatur gab, dass man auch einen Föhn zurück bekam. Es konnte auch ein Hybrid aus Rasierer und Mixer werden. Aber es war immer etwas Nützliches. Seine Arbeit wurde mit Naturalien bezahlt, also mit Milch, Fleisch oder Gemüse. Er selbst hielt nur ein paar Hühner im Schuppen, den er mit einem von ihm entworfenen Alarmsystem gegen Füchse ausstattete. Im etwas größeren Schuppen hatte er seine ‚Werkstatt‘, die eher nach einer Schrotthalde aussah. In der Mitte stand eine Autokarosse von einem verrosteten Jeep, den noch sein Vater nach dem Kriegsende aus dem See herausgefischt hatte und angefangen hatte daran zu schrauben. Nach dem Tod seines Vaters bastelte Witali weiter, zeigte aber seine Arbeit keinem. Das Autowrack wurde immer von einem Tarnnetz abgedeckt. Anscheinend wird es noch für die nächsten Generationen genug zu werkeln geben.
„Ich hätte auch viel lieber einen Topf mit Goldmünzen gefunden“, ärgerte sich Irina, als sie das Nachthemd anzog, bevor sie in das alte Bett hüpfte. „Jetzt hat die Polizei auch noch die ganzen Arbeiten gestoppt! Bald wird der Sommer vorbei sein! Wofür hat man denn das Sommerhaus?“
„Momentan hast du leider kein Haus“, Ludmilla wunderte sich gar nicht, dass Irina sich so aufregte. Das war eigentlich ihr Job, sie regte sich maßlos über alles auf, aber nach so einer unangenehmen Überraschung nahm sie es ihrer Kusine nicht übel.
Das Doppelbett, das Elisabeth für die Kusinen vorbereitet hatte, war aus massivem Holz gebaut und nahm fast den gesamten Raum im Zimmer ein. Die kleinen Nachttische versteckten sich links und rechts in den Ecken. Auf der Gegenseite standen eine große altmodische Kommode und ein Doppelschrank für die Kleidung. Es roch etwas nach Mottenkugeln und altem Holz.
Irina stand vor dem Bett auf dem weichen Teppich mit langem Flor, Ludmilla saß auf dem Bettrand.
„Du kannst so lange bei mir wohnen, bis dein Haus bewohnbar wird. Irgendwann geht es mit dem Aufbau weiter“, Elisabeth kam ins Zimmer mit einer zweiten Decke für Ludmilla, die sie bei Oma Tatjana abgeholt hatte. „Nur um das Essen kümmere dich bitte selbst, ich habe kein Kochtalent.“
Irina kannte Elisabeth, die Lehrerin, noch von früher, als sie Studentin an der Universität war. Dort hieß sie Lisa, den vollständigen Namen hat die junge Frau nur hier für die Schule benutzt. ‚Für mehr Respekt‘, wie sie sagte.
Oma Tatjana, die Älteste im Dorf, und Lisas Großmutter kümmerte sich immer noch, auf ihre Weise, um sie. Die Alte kommandierte nicht nur die Dörfler, sondern auch die Sommergäste herum. Sie war eben mit ihren achtzig Jahren eine resolute Frau geblieben. Lisa war nach ihr geworden, was auch ihre Berufswahl bestätigte.
„Ich habe genug Proviant mitgebracht, kann morgen für alle kochen, danach holt mich Wowik mit dem Auto ab“.
„Wowik ist Ludmillas Sohn“, erklärte Irina. „Er studiert in Sankt Petersburg“.
„Ja, er ist fast fertig und hat sogar schon jetzt einen guten Job gefunden!“, ihren Mutterstolz konnte Ludmilla nicht verbergen.
„Jetzt schlaft ihr schön!“
„Gute Nacht Lisa und danke für alles!“
Am nächsten Tag traf Wowik mit dem Auto seiner Großmutter im Dorf ein, gerade zum Mittagessen, das Ludmilla gekocht hatte.
Elisabeth war vor einer halben Stunde von der Schule nachhause gekommen und stand in der Tür, als ein alter Moskwitsch vor den Stufen zu ihrem Haus bremste.
„Du bist bestimmt Wladimir, Ludmillas Sohn! Ich heiße Elisabeth, aber nur in der Schule. Alle sagen Lisa zu mir. Komm herein!“, interessiert musterte die Frau den jungen Mann, der aus dem schäbigen Auto ausstieg.
Ludmillas Sohn sah seiner Mutter sehr ähnlich: Er war sportlich, hatte auch die dunkelbraunen Haare und Augen, eine wohlgeformte Nase und volle Lippen. Lisa wunderte sich, dass sein kariertes Hemd, das ordentlich in die Jeans gesteckt war, trotz der langen Fahrt nicht zerknittert war. Sie fand den Jungen sympathisch.