Eine französische Affäre - Barbara Cartland - E-Book

Eine französische Affäre E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Lady Caneda Lang und ihr Bruder Harry, jetzt Graf von Langstone wuchsen in ärmlichen Verhältnissen auf, da ihre Mutter, eine französische Adlige mit ihrem Vater durchgebrannt war, der zu dem Zeitpunkt keinen Adelstitle trug, da er der jüngste Sohn einer englischen Adelsfamilie war. Die Mutter war in der Nacht - vor der geplanten Hochzeitsnacht mit dem älteren Herzog von Saumac weggelaufen -, um die Liebe ihres Lebens zu heiraten. Ihre französische Familie stellte sich gegen sie, brach jeglichen Kontakt ab und gab ihr auch keine finanzielle Hilfe. Das Paar hatte zwei Kinder und die Familie und lebte glücklich in bescheidenen Verhältnissen in England. Nach dem Tod der Eltern und einiger Familienangehöriger, erbt Harry den Familientitel und Vermächtnis. Caneda mit ihrer Schönheit und Charme wird in der Londoner Gesellschaft von vielen heiratswilligen Freiern umschwärmt. Nachdem ein Brief der Großmutter, der Gräfin von Bantome eintrifft, indem sie Harry um Unterstützung bittet, beschließt Caneda, nach Frankreich zu reisen und sich an der Familie Bantome und am Herzog von Saumac zu rächen, da diese ihre Mutter so unglücklich gemacht hatten. Wird es Caneda gelingen, ihren Racheplan durchzuführen? Wird ihr Zusammentreffen mit dem Herzog und der restlichen Familie so verlaufen wie sie es sich auf ihrer Reise nach Frankreich vorgestellt hat?

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ERSTES KAPITEL

Der Graf von Langstone nahm sich von einer großen Silberplatte gerade ein weiteres Lammkotelett, als sich die Tür öffnete und seine Schwester hereinkam.

Sie war im Reitkostüm, und er blickte lächelnd vom Frühstückstisch auf, um zu sagen »Du kommst spät, und ich nehme an, die Entschuldigung ist die übliche - Dein Pferd hat dich aufgehalten.«

»Natürlich ist es seine Schuld«, erwiderte Lady Caneda Lang »Wer sonst konnte zu dieser Morgenstunde schon so verführerisch sein?«

Ihr Bruder lachte »So etwas kann nur von dir kommen. Was ist gestern Abend mit Warrington los gewesen?«

Caneda antwortete nicht sofort, weil sie gerade an einem Nebentisch Eier mit Frühstücksspeck auf ihren Teller lud. Als sie ihrem Bruder gegenüber Platz nahm, sagte sie »Ich glaube, Harry, du musst einmal mit ihm reden. Er wird mir immer lästiger. Er hat mich dazu überredet, mit ihm in den Wintergarten zu gehen, und mich dort praktisch mit Gewalt festgehalten.«

»Willst du seinen Antrag nicht annehmen?« erwiderte der Graf scherzend.

Seine Schwester schnaubte verächtlich »Ich habe nicht die Absicht, Lord Warrington zu heiraten und auch keinen anderen von den Schwachköpfen, die mir in den letzten zwei Monaten einen Heiratsantrag gemacht haben. Ich weiß sehr wohl, dass sie nicht so erpicht auf mich wären, wenn du nicht einen Adelstitel und ein beträchtliches Vermögen geerbt hättest.«

Der Graf lachte »Du bist ganz schon zynisch für deine neunzehn Jahre«, neckte er sie. »Meine liebe Caneda, du bist ein sehr hübsches Mädchen, und es ist nicht verwunderlich, dass sich die Männer dir zu Füssen werfen, besonders wenn du gut angezogen bist.«

Canedas Miene wurde milder »Das verdanke ich dir, Harry, und es vergeht nicht eine Sekunde, in der ich es nicht genieße, mich wie eine Märchenprinzessin zu fühlen.«

»Ich habe den Verdacht«, antwortete ihr Bruder, »dass du mir ein Kompliment entlocken willst, aber ich bin davon überzeugt, dass du genauso gut wie ich weißt, dass Kleider Leute machen.«

»Das ist wahr«, erwiderte Caneda »Aber ist es nicht aufregend, reich zu sein, hier zu leben und neben Ariel all diese anderen herrlichen Pferde, die du mir zum Reiten gekauft hast, zu besitzen.«

»Was hast du Ariel denn heute Morgen beigebracht?« wollte der Graf wissen.

»Ich muss dir unbedingt zwei neue Kunststücke vorführen, sobald du Zeit hast. Du glaubst es mir ja nicht, aber ich schwöre dir, dass er jedes Wort versteht, das ich zu ihm sage. So viele prächtige Pferde dein Stall auch aufweist, es wird nie eines dabei sein, das so wundervoll ist wie Ariel.«

Der Graf widersprach nicht. Er wusste, welche Gefühle seine Schwester dem Pferd entgegenbrachte, das sie schon als Fohlen besessen und selbst gepflegt hatte, als sie arm waren.

Caneda war schon als Kind verrückt nach Pferden gewesen, und Ariel war, das musste der Graf zugeben, dank ihrer Dressur in der Tat ein höchst bemerkenswertes Pferd.

Nicht nur seine Schwester war jedoch begeistert, auch ihn erfüllte ein tiefes Gefühl der Befriedigung, wenn er an die Ställe in Langstone Park dachte, in denen im Augenblick kein Pferd mehr Platz hatte.

Er hatte bereits Pläne zur Vergrößerung der Gebäude entwerfen lassen, um auch die Pferde, die er unbedingt bald kaufen wollte, unterbringen zu können.

Erst vor neun Monaten war er, Harry Lang, eines Morgens aufgewacht, um ungläubig und wie vom Schlag gerührt festzustellen, dass er Graf geworden war.

Vor ihm, dem einzigen Sohn eines jüngeren Sohnes, hatte es drei Anwärter auf den Titel und die Güter des Grafen, von Langstone. Sein Vater war vor zwei Jahren bei einem Jagdunfall tödlich verunglückt, und jetzt waren sein Onkel und dessen zwei Sohne auf der Rückfahrt von der Emerald-Insel nach England bei einem Sturm in der Irischen See ums Leben gekommen.

Weil Harrys Vater sich nie gut mit seinem älteren Bruder verstanden hatte, war er bedauernswert arm gewesen. Aber sie waren - Caneda dachte es oft - in ihrem kleinen Herrenhaus in dem ebenso kleinen Dorf viel glücklicher gewesen als ihre Verwandten, die auf dem Familiensitz in Saus und Braus lebten und offenbar über ein riesiges Vermögen verfügen konnten.

Auf die zwei Söhne des Grafen, beide älter als Harry, übten die Verlockungen des gesellschaftlichen Londons eine derartige Anziehungskraft aus, dass sie sich beide, obwohl sie von ihren Eltern und anderen Verwandten ständig dazu gedrängt wurden, geweigert hatten zu heiraten.

Der eine war hinter den Schönheiten der großen Welt her, die unweigerlich bereits verheiratet waren, der andere bevorzugte die überaus attraktiven Schauspielerinnen, die auf der Bühne des Drury-Lane oder des Gaiety-Theaters standen.

Als Folge davon waren sie beide fast dreißig und unverheiratet, als Harry sie mit vierundzwanzig beerbte und der neunte Graf wurde.

Für Caneda war es, als hatte das Schicksal seinen Zauberstab über ihnen geschwungen, so dass sie wie Aschenputtel plötzlich in einen Palast fuhr.

Langstone Park rechtfertigte diese Bezeichnung. Von riesigen Ausmaßen, im selben prunkvollen Stil wie Blenheim Palace erbaut, sah es atemraubend schön aus, als sie und ihr Bruder darauf zufuhren.

Obwohl Harry wenig sagte, hatte sie am Pochen in seinen Schläfen gemerkt, dass er ebenso freudig erregt war wie sie selbst.

Als erstes hatten sie den verstorbenen Grafen und seine beiden Söhne beerdigen müssen. Das große Haus war voll von Verwandten aus ganz England gewesen, die nicht nur, um den Toten die letzte Ehre zu erweisen, herbeigeströmt waren, sondern auch um den Erben in Augenschein zu nehmen.

Da sich Gerald Lang in den letzten fünfundzwanzig Jahren wenig um seine Verwandten gekümmert hatte, war es nur natürlich, dass sie alle wissen wollten, wie das neue Oberhaupt der Familie beschaffen war und ob Harry der Familientradition gerecht werden würde.

Sie konnten unmöglich, hatte Caneda gedacht, von seinem Aussehen unbeeindruckt bleiben. Er war hochgewachsen, breitschultrig, blond und gutaussehend wie alle Langs.

Caneda ähnelte dagegen der ausnehmend schönen Clementine de Bantome, die Gerald Lang auf einer Bildungsreise durch Frankreich nur zu sehen brauchte, um auf der Stelle zu beschließen, dass sie seine Frau werden musste.

Nicht nur die Langs hielten es für einen schweren Fehler, dass jemand aus ihrer Familie eine Ausländerin heiratete, sondern auch die Bantomes, die darüber wütend waren, dass ein mittelloser und in ihren Augen unbedeutender Engländer Clementine überreden konnte, am Vorabend ihrer Hochzeit mit einem anderen Mann mit ihm, Gerald Lang, durchzubrennen.

Die Grafen von Bantome hatten sich immer viel auf ihre Vornehmheit zugutegehalten. Sie saßen schon seit Jahrhunderten an den Ufern der Dordogne, und sie waren überdies reich und mächtig.

Deshalb waren sie wie alle französischen Aristokraten durch nichts von dem Grundsatz abzubringen, dass der Adel jener, die um die Hand ihrer Kinder anhielten, dem blauen Blut in ihren eigenen Adern ebenbürtig sein musste.

Clementine war dem Herzog von Saumac versprochen, einem Mann, der sehr viel älter als sie war.

Indem er mit ihr floh, hatte Gerald Lang nicht nur die Bantomes tödlich beleidigt, sondern auch den Herzog, der im Tal der Loire, in dem seine Besitzungen lagen, ebenso mächtig war.

Es war eine Beleidigung, die unangenehme Folgen für Gerald Lang hatte. Als erstes musste er, nachdem er Clementine geheiratet hatte, feststellen, dass es unmöglich für ihn war, Frankreich zu besuchen, ohne dass er unter einer beliebigen Anschuldigung verhaftet wurde. Er kam bald darauf, wer dahintersteckte, und begriff, dass es weder ihm noch seiner Frau je wieder möglich sein würde, sich in dem Land aufzuhalten. Auch in London, wo der französische Botschafter offensichtlich Weisung hatte, ihm Schwierigkeiten zu machen, hatte er unter Beleidigungen und Feindseligkeiten zu leiden.

Es traf sich deshalb glücklich, dass er nicht den Wunsch hatte, gesellschaftlich zu glänzen, und vollkommen damit zufrieden war, sich mit seiner Frau, seinen Kindern und seinen Pferden, wenn er sich welche leisten konnte, auf dem Land niederzulassen.

Die benachbarten Gutsherren möchte n die Langs und liehen Vater und Sohn ihre Pferde bei Wettrennen, Hindernisrennen, Querfeldeinrennen und Jagdrennen.

Weil sie so attraktiv war, hatten sie auch liebend gern Caneda in den Sattel gehoben, aber sie hatte sich in den letzten drei Jahren mit ihrem eigenen Pferd zufriedengegeben, das sie mehr liebte als alles in der Welt

Für Harry war es eine unaussprechliche Freude, Besitzer eines Stalls zu werden, der schon, bevor er ihn vergrößerte, erstklassig war, und zu wissen, dass er jede Möglichkeit haben würde, seine eigenen Pferde bei Rennen laufen zu lassen.

Bruder und Schwester hatten auf der Stelle Erfolg gehabt, als sie Langstone House am Grosvenor Square für die feine Gesellschaft öffneten.

Sie hatten ohne echte Anteilnahme der gesellschaftlichen Pflicht Genüge getan, um ihren Onkel zu trauern, und waren nach einem halben Jahr nach London gekommen, um die große Welt im Sturm zu erobern.

Harrys Aussehen und Charme, die zu seinem Titel und Vermögen hinzukamen, öffneten ihm jede Tür, während Canedas Erfolg auf ganz anderen Dingen beruhte, aber nicht weniger erfreulich war.

So sehr Harry seinen englischen Vorfahren ähnelte, so sehr ähnelte Caneda ihrer Mutter. Sie war klein, ihr schwarzes Haar hatte einen geheimnisvollen bläulichen Schimmer, und ihr ovales Gesicht wurde von zwei großen Augen beherrscht, die von langen schwarzen Wimpern umrahmt waren.

Aber hier endete die französische Ähnlichkeit, denn Canedas Augen waren so blau wie die ihres Bruders und machten ihr ohnehin schönes Gesicht noch faszinierender, weil die Kombination so ungewöhnlich war.

Sie war so schön, dass jeder Mann, der sie ansah, den Wunsch verspürte, noch einmal hinzuschauen, und waren seine Augen erst einmal von ihren blauen gefesselt, war er ihr Gefangener, und es gab kein Entrinnen.

»Es kann nicht wahr sein, Harry« stöhnte Caneda nach ein paar Wochen Londonaufenthalt. »Ich habe heute Abend nicht weniger als drei Heiratsantrage bekommen.«

»Das überrascht mich nicht«, erwiderte Harry.

Es war seiner Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass seine Schwester auf dem Ball, den sie beide besucht hatten, wie ein Stern unter den anderen Mädchen desselben Alters, die vor Schüchternheit den Mund nicht aufbrachten, geglänzt hatte.

Sogar verglichen mit den blendend schönen, weltklugen, etwas älteren Frauen, schien sie Vorzüge zu haben, die diesen fehlten.

Vielleicht war es ihre Lebhaftigkeit, die Art, wie ihre Augen leuchteten und ihre Lippen lächelten, die sie lebendiger erscheinen ließen als jede andere Frau.

Weil Bruder und Schwester einander so nahestanden, fühlte sich Harry als Beschützer Canedas und wollte niemand erlauben, sie zu einer vorschnellen Heirat zu drängen.

Einige ältliche Tanten, die sich zu Canedas Anstandsdamen ernannt hatten, lagen ihm ständig in den Ohren, sie zu bewegen, einen der höchst vorteilhaften Anträge, die sie erhalten hatte, anzunehmen »Lord Warrington ist ausnehmend reich«, sagten sie, »und sein Haus in Huntingdonshire ist fast so schön wie Langstone Park.«

Harry war nicht darauf eingegangen, und sie hatten fast ärgerlich fortgefahren »Man sagt uns, dass Caneda die Hand des Grafen von Headingly ausgeschlagen hat, ohne auch nur darauf zu hören, was er zu sagen hatte. Wie kann sie nur so töricht sein?«

Harry, der seine eigene Meinung über den Grafen von Headingly hatte, war nicht sehr beeindruckt gewesen »Caneda kann heiraten, wen und wann sie will«, sagte er, »und je länger sie es sich überlegt, desto erfreulicher für mich, da ich sie gern um mich habe.«

»Du hast kein Recht, ihrem Glück im Weg zu stehen«, protestierten seine Tanten, aber Harry hatte nur gelacht.

Er wusste, wie seine Schwester über eine Heirat dachte, und konnte verstehen, dass die Männer, die sie verehrten, enttäuscht über ihre Weigerung waren, sie ernst zu nehmen. Er wusste auch, dass insbesondere Lord Warrington immer verzweifelter wurde.

Aber bevor er weitersprechen konnte, kam der Butler herein und brachte auf einem Silbertablett die Morgenpost. Es Händelte sich um drei Briefe, die er Harry mit den Worten überreichte »Mr Barnet lässt grüßen, Mylord. Da er der Ansicht ist, die Briefe seien für Sie persönlich, hat er sie nicht geöffnet.«

»Vielen Dank, Dawson« Harry nahm die Briefe und öffnete den ersten. Dabei entging es seiner Aufmerksamkeit nicht, dass die beiden anderen von zwei attraktiven Damen stammten, denen er den Hof machte.

Erst als er den Brief aus dem Umschlag zog, den er gerade geöffnet hatte, merkte er, dass er aus Frankreich kam.

Dann sah er zu seinem Erstaunen, dass die Adresse unter einem eindrucksvollen Wappen, auf dem ein Krönchen saß, lautete Schloss Bantome.

Als er ihn zu Ende gelesen hatte, warf er den Brief Caneda zu und sagte »Wenn dich das nicht zum Lachen bringt, bringt dich nichts zum Lachen.«

»Von wem ist er?« fragte Caneda.

»Du wirst es nicht glauben«, antwortete Harry, »aber er ist von Mamas Verwandtschaft. Wie können sie es wagen, mir nach all diesen Jahren zu schreiben, nur weil ich einen Titel geerbt habe? Am liebsten wurde ich ausspucken.«

Seine Verachtung äußerte sich so deutlich, dass Caneda lachen musste. Dann nahm sie den Brief vom Tisch und las ihn aufmerksam.

Mit fester, befehlsgewohnter Handschrift hatte jemand geschrieben,

»Mein lieber Enkel,

Mit großer Freude haben Dein Großvater und ich erfahren, dass Du Graf von Langstone geworden bist und damit Oberhaupt einer vornehmen Familie.

Wir sind der Ansicht, dass es im Interesse unserer beiden Familien liegt, das Schweigen zwischen uns zu beenden, und dass Du nicht nur Deine älteren Verwandten wie Deinen Großvater und mich kennenlernen solltest, sondern auch Deine Base und Deinen Vetter, Helene und Armand, die darauf brennen, England zu besuchen.

Für Helene, die achtzehn ist, wird es Zeit, vor Ihrer Majestät, der Königin, einen Knicks zu machen, und für Armand, an einem Empfang beim Prinz von Wales teilzunehmen. Aber es wäre für sie natürlich wesentlich angenehmer, wenn sie Deinen Beistand hätten.

Doch zunächst wollen Dein Großvater und ich eine Einladung an Dich aussprechen, uns hier zu besuchen und die noch lebenden Mitglieder der Familie Bantome kennenzulernen, zu der Du gehörst.

Wir wären natürlich entzückt, wenn Dich Deine Schwester begleiten könnte, und wir würden alles in unserer Macht Stehende tun, um Deinen Besuch so erfreulich wie möglich zu machen.

Ich verbleibe in Erwartung einer bejahenden Antwort Deine Großmutter, die Du unglücklicherweise nie kennengelernt hast

Eugenie de Bantome «

Als sie den Brief zu Ende gelesen hatte, schnaubte Caneda empört. »Du hast recht, Harry Es ist unglaublich« sagte sie. »Nachdem sie Mama behandelt haben, als wäre sie spurlos vom Erdboden verschwunden, wagt es unsere Großmutter, solch einen Brief zu schreiben. So eine Frechheit ist mir noch nicht untergekommen.«

»Ich stimme dir zu«, rief Harry aus.

»Mama hat mir einmal erzählt«, sagte Caneda mit leiser Stimme, »dass sie ihrer Mutter, als du geboren warst, geschrieben hat, sie habe einen Sohn, weil sie dachte, es werde sie freuen.«

»Ich kann mir denken, was geschehen ist«, antwortete Harry. »Sie erhielt keine Antwort.«

»Noch schlimmer, der Brief kam ungeöffnet zurück.«

»Das hatte ich mir denken können. Wie können sie es dann wagen, uns jetzt zu schreiben, bloß weil sich unsere Verhältnisse geändert haben? Ich glaube, wenn Papa ein Graf gewesen wäre, als er mit Mama durchbrannte, hätten sie ihr verziehen, dass sie den Herzog verschmäht hat.«

»Ich hasse sie« rief Caneda. »Manchmal, wenn Mama mir von ihrer Kindheit erzählte, merkte ich, wie groß ihr Heimweh war und wie sehr sie sich danach sehnte, nicht nur ihre Freunde wiederzusehen, sondern auch die Dordogne.«

»Ich weiß«, gab ihr Harry recht »Sie liebte den Fluss.«

»Sie pflegte von dem Fluss zu sprechen und den Schlössern, die ihm, wie sie sagte, ein märchenhaftes Aussehen verliehen. Es klang alles so romantisch, dass ich selber Sehnsucht bekam, es zu sehen Aber ich habe nie gedacht, dass ich je Gelegenheit dazu haben würde, weil unserem Papa Frankreich versperrt war.«

»Daran war der verfluchte Herzog schuld«, sagte Harry. »Als Papa feststellen musste, dass er nicht mehr hinfahren konnte, war er sehr verletzt.«

Caneda seufzte »Sie haben gewiss einen hohen Preis dafür bezahlt, dass sie miteinander fortgegangen sind, aber ich glaube nicht, dass sie es je bereut haben.«

»Nein, natürlich nicht«, stimmte ihr Harry zu »Ich habe niemals zwei Menschen gesehen, die so glücklich miteinander waren wie Papa und Mama, und ich hoffe nur, dass ich wenigstens halb so glücklich sein werde, wenn ich einmal verheiratet bin.«

»Genauso denke ich auch«, sagte Caneda. »Deshalb wirst du verstehen, dass ich, was Tante Anne auch sagt, Lord Warrington nicht heiraten kann und auch keinen anderen von diesen dummen jungen Männern, die nichts Besseres zu tun haben, als zu versuchen, mir einen Kuss zu rauben.«

Harry lachte »Du solltest dich geschmeichelt fühlen.«

»Das bin ich aber nicht«, sagte Caneda »Wenn ich heirate, will ich einen Mann, der sich von denen, die ich bis jetzt kennengelernt habe, grundlegend unterscheidet.«

»Lass es mich wissen, wenn du ihn gefunden hast«, sagte Harry. »Ich will dir nicht verschweigen, dass die Tanten sich beklagen, du konntest ins Gerede kommen, und das ist etwas, was sie aus tiefstem Herzen missbilligen.«

Caneda zuckte die Achseln »Ich kann nichts dafür, wenn die Männer sich in mich verlieben.«, sagte sie, »und ich weiß, dass Tante Anne gestern Abend wütend war, weil ich mich so lang im Wintergarten aufgehalten hatte. Aber abgesehen davon, dass ich um Hilfe hätte schreien können, weiß ich nicht, wie ich Lord Warrington schneller hatte loswerden sollen, als es mir schließlich gelang.«

»Soll ich ihm sagen, dass er sich anständig benehmen soll?« fragte Harry.

»Ich glaube nicht, dass es einen Sinn hatte«, erwiderte Caneda. »Ich finde es nur so lästig, dass er mir ständig auf den Fersen ist. Vielleicht könnten wir London verlassen und ihn damit loswerden.«

»Was schlägst du vor’« fragte Harry »Dass wir nach Langstone Park fahren oder gar nach Frankreich.«

Caneda antwortete nicht, und er fuhr fort. »Das ist ganz bestimmt ein Land, in das ich nie einen Fuß setzen werde, wenn es mir auch gefallen würde, den Bantomes ins Gesicht zu sagen, was ich von ihnen halte. Wie konnten sie es wagen, Mama zu behandeln, als wäre sie eine Aussätzige. Und was den Herzog betrifft, so hatte er kein Recht, und wenn er noch so gekränkt war, Papa in Paris und London vom gesellschaftlichen Leben auszuschließen. Ich wünschte, ich konnte ihm Gleiches mit Gleichem vergelten.«

»Ich nehme an, er ist inzwischen gestorben«, erwiderte Caneda. »Er war viel älter als Mama und wollte sie heiraten, weil seine Frau tot war und er sich eine junge Frau wünschte, die ihm noch Kinder schenken konnte.«

»Wenn sein Sohn, oder wer den Titel geerbt hat, je nach England kommt«, sagte Harry verächtlich, »dann werde ich Rache nehmen, und zwar eine, die sich gewaschen ha.t«

Caneda antwortete nicht. Sie starrte auf den Brief, als ob sie ihn noch einmal läse. Plötzlich rief sie aus »Harry, ich habe eine Idee.«

»Was für eine?«

»Ich glaube, ich sollte diese Einladung nach Frankreich annehmen.«

»Bist du verrückt geworden?« fragte er. »Warum, um Himmels willen, bist du dazu bereit, nachdem sie sich Mama gegenüber derart schlecht benommen haben?«

»Gerade weil sie sich Mama gegenüber so benommen haben, möchte ich ihnen, genau wie du, eine Lektion erteilen«, erwiderte Caneda.

»Ich verstehe dich nicht. Was hast du vor?« fragte Harry.

»Mit ist etwas eingefallen, was ich letzte Woche bei einer Gesellschaft gehört habe«, sagte Caneda. »Ich habe der Sache damals nicht besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt und muss erst mehr darüber herausfinden, aber ich habe das Gefühl, dass es ihnen finanziell nicht besonders gut geht.«

Harry starrte sie an »Willst du damit etwa sagen, dass die Bantomes ihr Vermögen verloren haben?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Caneda. »Das wäre doch immerhin eine Erklärung, nicht wahr? Jetzt, wo sie wissen, dass du reich bist, versuchen sie, die Fehde zwischen uns beizulegen. Und vielleicht wollen sie, dass unsere Base Helene einen Engländer heiratet.«

»Das glaube ich nicht«, sagte Harry »Aber wenn sie darauf hinaus wollen, dann solltest du dich entschieden weigern, ihnen zu helfen.«

»Ich will ihnen nicht helfen, du Dummkopf’« erwiderte Caneda »Wenn ich nach Bantome fahre, dann werde ich nicht als wohlerzogenes Mitglied der Familie auftreten, sondern als Lady Caneda, sehr reich und sehr hochmütig, und wenn ich sie gründlich neidisch gemacht habe, dann mache ich ihnen klar, dass wir auch nicht den kleinen Finger rühren, um ihnen zu helfen.«

»Das ist eine gute Idee, wenn du sicher bist, dass sie in Not sind«, stimmte Harry zu. »Aber wenn ich mir ein Bild von dem mache, was Mama mir erzählt hat, dann sind sie reich, und ihre Weingüter sind unerschöpfliche Goldgruben.«

»Ja, ich weiß«, sagte Caneda »Aber angenommen, die Erträge aus dem Weinbau sind zurückgegangen - was wäre dann?«

»Deine Vermutung ist auch die meine«, antwortete Harry, »aber wenn du meinem Rat folgst, dann bleibst du zu Hause. Nicht einmal, um Warrington aus dem Weg zu gehen, würde ich die Reise nach Frankreich auf mich nehmen.«

Caneda sagte »Ich habe mich immer danach gesehnt, das Land zu sehen, aus dem Mama stammte und zu dem sich die eine Hälfte meines Blutes hingezogen fühlt.«

Harry antwortete nicht, und sie fuhr fort »Ich lese jedes Buch über Frankreich, das mir in die Hände fällt, und ich kann dir versichern, dass ich mehr als alles in der Welt die Gegenden Frankreichs sehen will, die mir Mama beschrieben hat - das Land an der Dordogne natürlich, das ihre Heimat war, und das Tal der Loire, in dem sie gelebt hätte, wenn sie den Herzog geheiratet hätte.«

»Sie sprach manchmal über ihn«, sagte Harry, »und über seine großen Schlösser, wie wundervoll sie waren - Chenonceaux, Chaumont und natürlich Saumac, wo sie in Glanz und Gloria als Herzogin gelebt hätte.«

»Lass uns dahin reisen«, bat Caneda plötzlich. »Wir können unsere Augen an dem weiden, was wir schon immer sehen wollten, und gleichzeitig an den Bantomes Rache nehmen und, wenn möglich, auch am Herzog von Saumac.«