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Für manche Menschen würde man einfach alles tun ...
Alison ist unheilbar krank und wird schon bald sterben. Doch es gibt eine Sache, die sie auf dieser Welt unbedingt noch erledigen möchte: Sie muss für ihren Mann und ihre Tochter eine neue Ehefrau und Mutter finden. Also bittet sie ihre beste Freundin Fran, ihr dabei zu helfen. Obwohl Fran die Idee überhaupt nicht gefällt, sucht sie im Internet auf Partnerbörsen nach passenden Kandidatinnen. Dabei stößt sie auf das Profil eines Mannes, das dem ihres eigenen Ehemannes verdächtig ähnlich ist. Ohne lang zu überlegen, sendet sie eine Kontaktanfrage. Und es kommt zu einem Blinddate mit ungeahnten Folgen ...
Große Gefühle und überraschende Wendungen: Ein ergreifender Roman, der die Herzen seiner Leserinnen und Leser berührt, zum Weinen und zum Lachen bringt!
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Seitenzahl: 368
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
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Dank
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Nachwort
Über die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Impressum
Leseprobe
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Für manche Menschen würde man einfach alles tun ...
Alison ist unheilbar krank und wird schon bald sterben. Doch es gibt eine Sache, die sie auf dieser Welt unbedingt noch erledigen möchte: Sie muss für ihren Mann und ihre Tochter eine neue Ehefrau und Mutter finden. Also bittet sie ihre beste Freundin Fran, ihr dabei zu helfen. Obwohl Fran die Idee überhaupt nicht gefällt, sucht sie im Internet auf Partnerbörsen nach passenden Kandidatinnen. Dabei stößt sie auf das Profil eines Mannes, das dem ihres eigenen Ehemannes verdächtig ähnlich ist. Ohne lang zu überlegen, sendet sie eine Kontaktanfrage. Und es kommt zu einem Blinddate mit ungeahnten Folgen ...
Susy McPhee
Eine Frau für meinen Mann
Aus dem Englischen von Margarethe van Pée
Roman
Dieses Buch zu schreiben war so ein bisschen wie meine erste Schwangerschaft. Vom ersten Tag an durchlebte ich alle Gefühle, von Euphorie bis zu Verzweiflung. Ich nahm zu, schlief schlecht, mir war morgens übel, und ich wusste die ganze Zeit über, dass es kein Zurück gab. Dieses Buch hat mich erschöpft. Und mir dann auch wieder neue Kraft gegeben.
Ich habe vielen Leuten zu danken, weil sie mir die ganze Zeit über treu zur Seite gestanden haben. Allen voran Alice Lutyens bei Curtis Brown und Gillian Green bei Ebury für ihren Enthusiasmus, ihre Unterstützung und ihren Glauben an mich. Sie setzten auf die unbekannte Außenseiterin und gaben dem, was ich tat, einen Sinn. Nur durch euch bin ich eine bessere Autorin geworden.
Dank an Lesley Campbell, weil sie nicht aufhörte, mich zu drängen, am Schreiben dranzubleiben, meine ersten Entwürfe erlitt und mir ständig versicherte, dass ich schreiben könne.
Dank an Kerry Bussell, Dale Hobbs, Lesley Mailer und Susan Harrison, die tapferen Frauen, Schwestern und Freundinnen, die meine Geburtswehen begleitet haben, ohne dabei ihr Lächeln zu verlieren. Dank an meine Mum, Joan Harrison, für ihr unerschütterliches Vertrauen in mich. Sie war überhaupt nicht überrascht (und ehrlich entzückt), als sie erfuhr, dass wahrhaftig jemand mein Buch veröffentlichen wollte.
Mein Dank gilt auch Helen Lewis-McPhee, die ihre eigenen Träume zurückgestellt hat, um mir bei der Verwirklichung meiner zu helfen.
Dank an Ed, Bob, Simon, George, Olly und meinen Dad, weil ich mir ihre Frauen »ausborgen« durfte.
Dank an Roz Morrison, weil sie mich unter anderen Dingen, in die mir bis dato unbekannte Welt des Online-Dating eingeführt hat. Dank auch an die Ärzte Gail und Stephen Orme für ihre fachliche Beratung und Aufsicht (es tut mir leid, Stephen, dass ich nicht auf deinen Vorschlag eingegangen bin, aus dem Bereitschaftsarzt einen unglaublich gut aussehenden Typen namens Orme zu machen ...).
Dank an Carolyn, Lauren und David, weil sie die Kochkünste ihres Dads klaglos ertragen haben, als ich, in meine Schreiberei vertieft, keine Zeit mehr hatte, mich ums Essen zu kümmern.
Und schließlich gilt mein Dank Iain, meinem besten Freund und Ehemann, für – na ja, für alles einfach. Weil er mir Raum gelassen hat. Weil er zugelassen hat, dass ich mitten in der Nacht im Schlafzimmer Licht machte und schrieb. Weil er alles toll fand, was ich zu Papier brachte. Weil er verstand, warum es mir so wichtig war, und weil er mich daran erinnerte, wenn ich es mal wieder vergessen hatte. Weil du mich mit deiner Liebe aufgefangen hast, als Jane gestorben war. Dieses Buch ist für dich, mit all meiner Liebe.
Für Iain
Meine Mutter hat mir beigebracht zu lügen.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Natürlich hat sie sich nie hingesetzt und gesagt: »Okay, Francesca, heute geht es um die Kunst des Lügens«, oder so. Sie ist wesentlich subtiler vorgegangen, wenn auch der Begriff subtil in Verbindung mit meiner Mutter ein Widerspruch in sich ist. Meine Mutter ist wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen durchs Leben gegangen und hat eine Spur der Zerstörung hinterlassen, so lang und breit wie Afrika.
Sie hat mir selbstverständlich auch andere Dinge beigebracht, zum Beispiel, wo ich mich am besten verstecken konnte, wenn sie mal wieder einen ihrer Wutanfälle hatte, oder wie ich meine rutschenden Socken mit einem Gummiband oben halten konnte – frühe Lektionen, die ich ohne Bedauern vergessen habe, als ich von zu Hause wegging und die Fesseln meiner Kindheit abschüttelte. Mit dem Lügen jedoch war es etwas anderes. Diese Kunst praktizierte ich, zumal ich schon mit zwölf große Kunstfertigkeit darin besaß.
Verkehrt war es nicht. Der Himmel weiß, was aus mir geworden wäre, wenn ich nicht zwischen zwanghafter Ehrlichkeit und gelegentlicher gut platzierter Unaufrichtigkeit zu differenzieren gelernt hätte. Manchmal, während der unendlich langen Tage und Nächte von Alisons Krankheit, war Lügen das Einzige, was mich noch aufrechterhielt.
Und natürlich log ich auch mir selbst etwas vor.
Alison. Meine beste Freundin seit der Grundschule. Sie hatte damals Billy Waterman verprügelt, nachdem er mich im Unterricht zum Weinen gebracht hatte, indem er mir seinen Schniedel unter dem Tisch gezeigt hatte. In der Pause hatte sie ihn an der Mädchentoilette abgefangen und ihm mit einem schwungvollen rechten Haken eine dicke Lippe gehauen.
Als ich vor sieben Jahren durch eine unerwartete Beförderung von Staffordshire nach Berkshire verschlagen wurde, war einer der Hauptgründe für den Umzug in den Süden gewesen, dass mein neuer Arbeitsplatz nur fünfzehn Minuten von Alisons Wohnort entfernt war.
Und jetzt war sie mit zahlreichen Schläuchen an ein Krankenhausbett gefesselt und konnte kaum die Hand heben, geschweige denn Boxhiebe verteilen. Ich erhaschte einen Blick von Alison durch das Fenster, das auf den Stationsflur hinausging, als ich mich dem Zimmer näherte, in dem sie seit anderthalb Monaten lag, und tausend schreckliche Wahrheiten gingen mir durch den Kopf. So sieht es also aus. Was ist mit deinen Haaren passiert? Muss deine Haut diese Farbe haben?
Entschlossen presste ich die Lippen zusammen und ließ mir nichts anmerken. »Du siehst gut aus.«
»Lügnerin.« Alison lächelte mir schwach zu. »Ich sehe beschissen aus.«
»Nein, wirklich – ich finde, du siehst, na ja, du siehst heute nicht so müde aus. Du hast muntere Augen.«
Alison musterte mich. »Was ich von dir nicht behaupten kann. Du siehst so aus, als hättest du seit vierzehn Tagen kein Auge zugemacht.«
»Mir geht es gut.« Ich warf meinen Mantel über die Rückenlehne des Stuhls und zog ihn ans Bett.
»Bist du sicher? Mit Max und Lottie alles in Ordnung?«
»Hm? Oh – ja. Ihnen geht's auch gut.«
Alison richtete sich halb auf. »Schätzchen? Bist du sicher, dass du okay bist? Du siehst so ... so grau aus.«
Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen traten. Oh Gott.
Ich hatte mir geschworen, mir nichts anmerken zu lassen. Aber es war nicht leicht zuzusehen, wie die beste Freundin bei jedem Besuch vom Krebs mehr zerfressen war. Ihre Sorge um mich war demütigend.
Ich riss mich zusammen. »Du findest also, ich sehe grau aus?« Ich stieß einen gespielten Seufzer aus und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ja, Max hat vor ein paar Tagen etwas ganz Ähnliches gesagt.«
Fragend hob sie die Augenbrauen. Unvorstellbar, dass mein mustergültiger Gatte etwas so Unangebrachtes von sich gab. »Max?«
»Hm.« Ich nickte unschuldig. »Wir haben doch gerade diesen großen Spiegel fürs Schlafzimmer gekauft. Du weißt schon, so einen, mit dem man sich ganz sehen kann – einen Standspiegel zum Kippen, in Kiefer antik, passend zur Frisierkommode, mit so einer kleinen Schnitzerei oben am Rahmen.« Ich beschrieb die Verzierung mit der Hand. Alison nickte mir zu, was so viel hieß wie »weiter, und was dann?«, und ich seufzte schwer. »Also jedenfalls, ich war gerade aus dem Badezimmer gekommen und beguckte mich – übrigens ein großer Fehler – und sagte zu Max: ›Sieh mich nur an. Ich bin dick, runzelig, alt und grau.‹ Natürlich habe ich erwartet, dass er mir widerspricht.« Erneut nickte Alison. »Aber das tat er nicht, und schließlich sagte ich: ›Um Himmels willen, Max, sag etwas Nettes zu mir!‹«
Alison wartete gespannt. »Und?«
Ich senkte den Blick. »Er sagte – na ja, er sagte ...« Ich zögerte. »›Zumindest ist mit deinen Augen alles in Ordnung.‹«
Alison lachte. Dann wurde sie ganz sachlich: »Im Ernst, Fran. Ich finde, du übertreibst.«
»Das tue ich nicht.«
»Doch. Du hast einen Fulltime-Job, Mann und Kind, um die du dich kümmern musst – sie sind zwar beide süß und lieb, bla, bla – aber können dich ganz schön auf Trab halten. Und du hast eine beste Freundin, die ungefähr so nutzlos ist wie eine Teekanne aus Schokolade.«
»Noch nutzloser«, erwiderte ich.
»Was?«
»Noch nutzloser. Eine Teekanne aus Schokolade könnte ich zum Trost wenigstens aufessen.«
Alison streckte mir die Zunge heraus. »Blödmann! Aber dann würdest du fett werden.« Sie zupfte am Ärmel meines Pullovers. »Sieh dich doch an, du bist doch nur Haut und Knochen. Dick, du liebe Güte. Da habe ich ja mehr Fleisch auf den Rippen.«
»Tja.« Ich warf ihr einen Blick von der Seite zu, und ehe ich es verhindern konnte, entschlüpfte mir eine der Wahrheiten, die ich nie aussprechen wollte: »Aber – wenigstens habe ich noch meine eigenen Haare.«
Sie biss sich auf die Lippen, um ein Lächeln zu unterdrücken, und ich spürte, wie mir erneut die Tränen in die Augen traten.
»Komm her«, befahl sie und klopfte einladend auf die Bettkante. Zögernd setzte ich mich. Alison schlang ihre ausgemergelten Arme um mich und lehnte ihren Kopf einen Moment lang an meine Schulter, sodass ich das frische Parfüm riechen konnte, das untrennbar zu ihr gehörte, den Duft, den sie trotz des langen Krankenhausaufenthaltes und der qualvollen wochenlangen Behandlung nie verloren hatte.
Ich hätte am liebsten laut geschluchzt und die Götter angefleht, sie endlich in Ruhe zu lassen und aufzuhören, sie mir wegnehmen zu wollen.
Alison löste sich von mir und musterte mich aus zusammengekniffenen Augen.
»Du musst mir helfen.«
Ich schniefte und suchte ohne Erfolg nach einem Taschentuch. Sie reichte mir ein Papiertuch aus der Schachtel, die neben einer Vase mit weißen Freesien auf ihrem Nachtschränkchen stand.
»Red weiter.« Ich putzte mir geräuschvoll die Nase.
»Du darfst nicht nein sagen.«
»Oh Gott.«
»Ich sterbe. Kannst du einer sterbenden Frau ihren letzten Wunsch verwehren?«
»Ja!« Ich schnäuzte mich erneut. »Nein«, gab ich dann zu.
Sie lächelte mich verschwörerisch an und wies zum Nachtschränkchen. »Mach mal die oberste Schublade auf.«
Ich gehorchte.
»Da liegt ein Block. Siehst du ihn?«
»Hm.« Ich holte ihn heraus, und sie blätterte die Seiten um. Dann reichte sie ihn mir, und ich begann, laut vorzulesen, was sie in ihrer klaren, rundlichen Schrift notiert hatte.
»›Ende dreißig; keinerlei Erfahrung mit Online-Dating.‹« Fragend blickte ich Alison an. »Willst du dich an eine Partnerbörse wenden?«
Sie lachte müde. »Nein, du Schlaumeier. Bin ich etwa Ende dreißig?« Sie nickte mir aufmunternd zu. »Na los, lies schon weiter.«
Ich räusperte mich. »›Ein Vorbesitzer (nur von einer Frau gefahren). Freunde sagen, dass ich einen guten Sinn für Humor hätte, vertrauenswürdig und lustig sei, aber ich bezahle sie natürlich auch gut dafür.‹« Ich zog die Augenbrauen hoch. Dann fuhr ich fort: »›Ich liebe gutes Essen, guten Wein und lange, faule Wochenenden auf dem Land. Stärken: Ich kann kochen. Und danach abwaschen. Und ich bügele meine Hemden selbst. Schwächen: In Mode bin ich hoffnungslos. Ich bin vernarrt in meine sechsjährige Tochter. Ich würde gerne eine Frau mit ähnlichen Interessen kennenlernen, die keine Angst vor jemandem mit altmodischen Klamotten hat, Kinder mag und gelegentlich gern ein Glas Cloudy Bay trinkt. ‹«
»Und? Was meinst du?«
Ich blickte Alison verwirrt an. »Äh ... klingt hinreißend. Aber ... findest du es unter den Umständen nicht ein bisschen optimistisch, auf Kontaktanzeigen zu antworten?« Ich wies auf die medizinischen Geräte an ihrem Bett. »Ich meine, wo willst du zum Beispiel den Infusionsständer verstecken? Kannst du dich überhaupt noch an andere Outfits als Pyjamas erinnern? Ganz zu schweigen von Adam. Er wird doch bestimmt etwas dagegen haben.« Im Stillen fragte ich mich allerdings, ob mir das nicht egal wäre, aber ich äußerte diesen Gedanken nicht laut. Adam, Alisons Ehemann, arbeitete als Produzent bei der BBC. Als Alison ihn das erste Mal zu uns mit nach Hause brachte, war ich fasziniert gewesen, weil er Max so ähnlich sah, und es hatte mich völlig geblendet, dass er regelmäßig mit einigen der Großen Hollywoods dinierte. Er steckte voller Anekdoten über die weniger bekannten Angewohnheiten der Stars und Sternchen der Fernsehwelt, und ich ließ mich von seinem Charme verführen. Mit seinem Kaschmirpullover und den schicken Manschettenknöpfen wirkte er auf mich wie die glamouröse Ausgabe von Max, der an diesem Abend keinen Pullover trug, sondern ein Hemd, die Ärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt, und unter den Fingernägeln Motoröl hatte, das er trotz heftigen Schrubbens nicht hatte wegkriegen können. Als Alison und Adam gegangen waren, hatte Max mich damit aufgezogen, dass ich nie mit einem Mann auskommen würde, der länger vor dem Spiegel stand als ich. Meine Bewunderung war sowieso nur von kurzer Dauer: Als wir das nächste Mal zu viert auf einer Party waren, hatte Adam sich an mich herangemacht, und als ich ihn empört abwies, lachte er mir ins Gesicht und nannte mich prüde. Ich hatte weder Alison noch Max jemals davon erzählt, aber immer, wenn ich Adam sah, verspürte ich den Drang, ihm einen Spieß mit heißem Kebab durchs Auge zu stoßen.
Alison sah mich scharf und durchdringend an, ihre Augen funkelten.
»Was?«
»Das ist Adam.«
»Was?« Plötzlich kam ich mir blöde und langsam vor.
»Adam und Erin.«
»Was?«, wiederholte ich.
»Fran!« Sie seufzte. »Sag mal was anderes als immer nur ›was‹!«
»Aber ... ich kann nicht ...«
»Doch, du kannst.«
Ich musterte sie. Mein Mund war auf einmal ganz trocken. Sie wendete keinen Blick von mir.
»Du hast eine Kontaktanzeige für deinen Mann aufgesetzt«, sagte ich schließlich.
»Hm – hm.«
»Warum?«
Sie seufzte. »Zwing mich nicht, dir meine Gründe zu nennen.«
»Nenn sie.« In mir stieg Wut auf.
»Oh, Fran.« Sie griff nach meiner Hand, aber ich zog sie weg. Sie zuckte mit den Schultern.
»Na, okay. Ich will nicht, dass Adam für den Rest seines Lebens allein bleibt. Du solltest ihn hören, wenn er mich besucht. Glaub mir, es ist nicht so wie bei dir.« Sie schwieg und fuhr sich zerstreut über ihren fast kahlen Schädel. Dann rieb sie sich mit beiden Händen das Gesicht.
»Ich lebe für deine Besuche«, gab sie schließlich zu. »Ich liebe es, wenn du herkommst; du bringst mich zum Lachen. Bei dir kann ich aussprechen ›Ich sterbe‹, ohne dass du mich so vorwurfsvoll anschaust wie Adam. Du machst Witze über meine Haare, über meinen Zustand, ohne mir das Gefühl zu geben, du wolltest mich vor einer schrecklichen Wahrheit beschützen, die alle kennen. Nur ich muss als Einzige so tun, als hätte ich keine Ahnung. Du sagst zu mir, ich sei nutzloser als eine Teekanne aus Schokolade und erzählst mir alberne Geschichten davon, wie du dich im Spiegel betrachtest ...«
»Das mache ich alles nur, um dich zum Lachen zu bringen!«, erwiderte ich, immer noch wütend. »Aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich mich damit abgefunden habe, dich zu verlieren. Es bedeutet keineswegs, dass ich die Hoffnung auf ein Wundermittel aufgegeben habe. Es gibt jeden Tag Fortschritte in der Medizin, und du musst positiv denken! Du darfst die Hoffnung einfach nicht aufgeben! Man weiß ja nie – schon die nächste Behandlung ...«
»Hör auf, Fran«, unterbrach sie mich. »Lüg mich nicht an. Du nicht auch noch. Es wird keine weiteren Behandlungen mehr geben. Du weißt es.« Erneut griff sie nach meiner Hand, aber ich zog sie wieder zurück. Alison seufzte geduldig. »Von allen Leuten, die jeden Tag um mich herum sind – die Krankenschwestern, die Ärzte, Adam, Erin, meine Mum –, bist du die Einzige, die mich einigermaßen normal behandelt. Wenn Adam hier ist, darf ich das Wort Krebs nicht einmal in den Mund nehmen. Er kann damit nicht umgehen. Früher hat er mich immer nach den Untersuchungen und den Behandlungsmethoden gefragt, aber irgendwann hat er damit aufgehört, weil die Antworten ihm nicht gefallen haben. Ich komme mir vor, als ließe ich ihn und Erin im Stich, weil ich nichts gegen dieses Ding ausrichten kann, und eines Tages werde ich verschwinden, und der Gedanke, dass sie dann auf sich allein gestellt sind, macht mir Angst. Du weißt doch, wie schwer das ist. Du bist doch selber Ehefrau und Mutter. Lottie ist genauso alt wie Erin. Adam und Max sind sich so ähnlich, als wären sie Zwillinge – haben wir das nicht immer gesagt? Und doch behandelst du mich genauso wie immer, als ob du jeden Besuch genießt und nicht zulässt, dass diese Krankheit uns die gemeinsame Zeit, die uns noch bleibt, verdirbt. Ohne dich könnte ich überhaupt nicht mehr weitermachen. Du musst mir gegenüber ehrlich bleiben.«
Sie war so ruhig. Ich beneidete sie darum, auch wenn ich mit ihrem wahnsinnigen Plan nicht einverstanden war. Ehrlich gesagt vermutete ich, dass Adam in der Zukunft durchaus für sich alleine sorgen konnte.
Ich nahm den Block wieder in die Hand.
»Ein Vorbesitzer?« Ich hob die Augenbrauen.
»Findest du das zu klischeehaft?« Sie zog die Nase kraus. »Ich wollte nicht ›Witwer‹ schreiben. Das klingt so alt. Außerdem finde ich es in einer Kontaktanzeige taktlos.«
»Wohingegen es vermutlich von äußerst gutem Geschmack zeugt, deine beste Freundin zu bitten, mit dir diese Anzeige zu entwerfen, während du sterbend im Krankenhaus liegst.«
Sie lächelte mich herzzerreißend an. »Ich liebe dich, Fran.«
Ich seufzte und tat genervt, um die verräterischen Tränen, die zu fließen drohten, zurückzudrängen. »Was soll ich tun?«
»Nun.« Aufgeregt faltete sie die Hände über dem Bauch. Ich musste zugeben, dass sie seit Wochen nicht mehr so lebendig ausgesehen hatte. »Also, ich bin nicht sicher, ob ich den richtigen Ton getroffen habe. Deshalb dachte ich, du könntest dir vielleicht einmal ein paar Dating-Sites anschauen, damit wir ein Gefühl dafür kriegen – wie die Leute so reden und so. Und dann könntest du den Text vielleicht ausdrucken, damit wir ihn zusammen durchgehen können. Erin zu erwähnen könnte zum Beispiel daneben sein. Ich will die Frauen nicht schon vorher abschrecken.«
»Erin schreckt doch keinen ab!« Ich war empört. »Das Kind ist hinreißend.«
Sie lachte über meine Echauffiertheit. »Natürlich ist sie das«, stimmte sie mir zu. »Aber es kann ja sein, dass es irgendeine tolle Frau gibt, die perfekt für Adam und Erin wäre, aber nicht ahnt, wie gut sie mit Kindern umgehen kann. Aber wenn sie erst einmal Adam kennengelernt und festgestellt hat, wie fantastisch er ist, dann wäre das Kind sicher kein Problem mehr. Verstehst du?«
»Nicht im Geringsten. Aber was soll's.« Sie sah mich erwartungsvoll an. »Okay, okay – wenn ich einverstanden bin, soll ich die Antworten sichten und dir Bericht erstatten. Hast du das gemeint?«
»Nein. Entschuldigung. Danach ...« Sie blickte mich bedeutungsschwanger an. »Ich will, dass du dich danach um ihn kümmerst, ohne es ihm zu sagen.« Ich wollte protestieren, aber sie hob die Hand. »Das ist wichtig für mich, Fran, also hör mir bitte zu. Lass ihm eine Weile Zeit – sagen wir, sechs Monate oder so. Nicht länger. Ich möchte nicht, dass er ins Grübeln gerät.«
Ich unterdrückte ein Schnauben. Die Vorstellung von einem grübelnden Adam war schwer zu ertragen.
»Und dann schau dir die Antworten an und sieh zu, ob du nicht ein nettes Mädchen findest, das sich um ihn und Erin kümmert«, fuhr Alison fort. »Ich meine, ich bin dann schließlich nicht mehr da, um die Spreu vom Weizen zu trennen.«
»Wie um alles in der Welt soll ich das denn machen? Ich kann ja wohl kaum so tun, als ob ich er wäre. Irgendwann wollen all diese Frauen doch mit ihm telefonieren, um ein Date zu vereinbaren.«
»Oh – da fällt dir schon was ein«, erwiderte Alison. »Du kannst behaupten, du wärst seine Assistentin oder so. Hast du mir nicht erzählt, dass du mit jemandem arbeitest, der seine Zukünftige über eine Partnerbörse kennengelernt hat? Ein echt hübsches Mädchen, das in der Werbung arbeitet?«
»Nein, als Model, der Kollege ist Greg Patterson. Er leitet die Systemarchitektur. Er heiratet Ende des Monats. Für ihn ist es die zweite Ehe.« Seine erste Frau hatte ihn mitten an einem regnerischen Novembertag verlassen. Sie hatte einen Umzugswagen bestellt und ihre schicke Loftwohnung völlig leer geräumt, während Greg auf der Arbeit war. Und sie hatte noch nicht einmal einen Brief hinterlassen.
»Na, siehst du«, sagte Alison, als ob das alle Probleme lösen würde, »ihn kannst du um ein paar Tipps bitten.«
»Alison«, erwiderte ich, wobei ich mich bemühte, geduldig zu klingen, »ich werde ganz bestimmt keinen Kollegen um Tipps bitten, wie ich den Mann meiner besten Freundin via Internet an die Frau bringe. Ich meine, abgesehen von der Tatsache, dass er mich wahrscheinlich für verrückt halten würde, wäre es auch völlig unprofessionell. Männer reden über so etwas nicht im Büro, und außerdem bin ich seine Kollegin ...«
»Woher weißt du dann, wie er seine Verlobte kennengelernt hat?«
»Er – ich kann mich nicht erinnern.« Alison zog die Augenbrauen hoch. »Okay, okay. Er hat es mir erzählt.«
»Ach was.« Alison lächelte selbstgefällig. »Ich bin sicher, er steckt voller guter Ratschläge.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich beginne mit Phase eins«, sagte ich. »Darüber hinaus willige ich erst einmal in nichts ein.«
»Heute Abend?«
»Was meinst du mit ›heute Abend‹?«
»Ich meine, dass du dich heute Abend ins Internet begibst und dir ein paar Partnerbörsen anschaust.« Sie riss die Seite vom Notizblock ab, faltete das Papier zusammen und reichte es mir. »Dann kannst du mir morgen schon was berichten.«
»Morgen schaffe ich es vielleicht nicht, dich zu besuchen«, erwiderte ich hochmütig und ergriff meinen Mantel. »Ich habe nämlich auch noch ein Leben, weißt du.« Aber dann nahm ich ihr doch das Blatt Papier aus der Hand und steckte es in meine Manteltasche.
Alison grinste nur, und das aus gutem Grund. Seit sie vor sechs Wochen zu einer hochdosierten und offensichtlich vergeblichen Strahlentherapie ins Krankenhaus eingeliefert worden war, hatte ich sie jeden Tag besucht.
»Geh nirgendwo hin«, sagte ich wie immer und hauchte einen Kuss auf ihre Wange.
Sie zwinkerte mir zu, glücklich, trotz der Müdigkeit, die sich langsam in ihrem Gesicht abzeichnete.
»Vielleicht doch«, erwiderte sie spitzbübisch. »Ich habe nämlich auch noch ein Leben, weißt du.«
Als ich vom Krankenhaus nach Hause kam, war ein Gorilla auf dem Treppenabsatz. Ich konnte ihn hören, wie er vor Lotties Zimmer auf und ab stampfte, seltsame Tierlaute von sich gab, geräuschvoll gegen das Bücherregal stieß und dann laut an ihre Tür klopfte. Ich blieb in der Diele stehen und lauschte.
»Wer ist da?«, fragte Lottie, die Stimme erstickt vor entzücktem Entsetzen.
Kurzes Schweigen und noch ein bisschen Grunzen und Schnüffeln. Dann: »Ich bin ein großer, großer Gorilla mit dicken Fellarmen und riesigen, weißen Zähnen. Wenn du mich hereinlässt, umarme ich dich so fest, dass dir die Luft wegbleibt!«
Lottie kreischte. »Dann lasse ich dich nicht herein!«
Stille. Dann erneut ein Klopfen an der Tür, leiser dieses Mal.
»Wer ist da?«, fragte Lottie wieder.
»Huhuuu!«, heulte Max. »Ich bin ein unheimliches Gespenst mit einem Gesicht so weiß wie ein Bettlaken und klirrenden Ketten. Wenn du mich hereinlässt ...«
»Nein!«, schrie Lottie. »Nicht das Gespenst, Daddy! Die Hexe kommt als Nächstes.«
»Oh. Genau. Entschuldigung.« Max räusperte sich und lispelte dann in ersticktem Falsett: »Ich bin eine böse alte Hexe mit einer großen, hässlichen Nase ...«
»... einem langen, spitzen Hut«, korrigierte Lottie.
»... einem langen, spitzen Hut und ... äh, einer haarigen Warze am Hintern ...«
»... und einem Zauberstab«, unterbrach Lottie ihn erneut. Sie kicherte. »Sie hat keine haarige Warze am Hintern.«
»Wenn du mich hereinlässt, verwandle ich dich in eine Kröte!«
»In einen Frosch, Daddy, nicht in eine Kröte, und ich lasse dich nicht herein!«
Lächelnd ging ich in die Küche, in der es aussah wie nach einem Schlachtgetümmel. Max war in den letzten zwei Monaten ein Fels in der Brandung gewesen. Er hatte Lottie jeden Tag von der Tagesmutter abgeholt, zu der sie nach der Schule ging, damit ich auf dem Heimweg von der Arbeit unbesorgt im Krankenhaus vorbeifahren konnte. Sie hatten eine abendliche Routine entwickelt, zu der gehörte, dass Vater und Tochter Lotties Abendessen gemeinsam zubereiteten, wobei es ihnen gelang, jeden verfügbaren Topf und jede Pfanne schmutzig zu machen, um Fischstäbchen, Erdnussbutter-Toast oder andere kulinarische Köstlichkeiten zu fabrizieren, bevor sie vor Lotties Gang ins Bett unser Badezimmer in eine Waschküche voller nasser Handtücher und feuchter Unterwäsche verwandelten. Ihre abendliche Vater-Tochter-Zeit endete mit der kompletten Aufführung von Lotties derzeitigem Lieblingsbuch, einer Geschichte, die Lottie auswendig kannte, im Gegensatz zu ihrem Vater, der häufiger schon mal wichtige Details vergaß und dann wilde Geschichten erfand. Mechanisch begann ich, das Schlachtfeld aufzuräumen, spülte die Töpfe aus und räumte sie in die Geschirrspülmaschine, während Lottie oben kreischte, sie würde das unheimliche Gespenst auf keinen Fall in ihr Zimmer lassen. Als ich das Gröbste beseitigt hatte, kochte ich mir einen Kaffee, holte Alisons Text aus der Manteltasche, ging ins Arbeitszimmer und setzte mich an den PC.
Max hasste alles, was mit Computern zu tun hatte – eine Tatsache, die mich bei unserem Kennenlernen erstaunt hatte, zumal wir uns bei einem Dinner der IT-Firma, bei der ich arbeite, begegneten. Er nahm als Gast unserer Personalchefin Melissa Llewelyn (von ihren Leuten auch »Die Wut« genannt) teil, und ich saß zufällig am selben Tisch. Xenith feierte den Abschluss eines lukrativen Vertrags, und während unser Geschäftsführer Keith Hardacre sich lang und breit darüber ausließ, dass dieser Abschluss Xenith in eine ganz neue Dimension katapultieren würde, hatte Max mir über den Tisch hinweg zugezwinkert. Ich errötete vor Verlegenheit. Dafür, dass er mit Der Wut da war, sah er äußerst gut aus, und ich hatte die beiden schon den ganzen Abend über verstohlen beobachtet, ein wenig neidisch auf die Zuneigung, die sie anscheinend füreinander verspürten. Als er mich später zum Tanzen aufforderte, errötete ich erneut und murmelte etwas über zwei linke Füße. Er zuckte bedauernd mit den Schultern und tanzte stattdessen mit Der Wut. Am Ende des Abends jedoch fragte er mich an der Garderobe, ob er denn Die Zwei Linken Füße zum Abendessen einladen dürfte. Ich zögerte für den Bruchteil einer Sekunde und platzte dann mit der Bemerkung heraus, er sei doch mit Der Wut hier. Er lachte und meinte, sie seien nur alte Freunde – seine Sicht der Dinge, der Die Wut ein paar Wochen später, als sie herausfand, dass Max und ich ein Paar waren, entschieden widersprach.
»Alte Freunde, ja«, hatte sie empört gesagt, als sie mir am Getränkeautomaten auflauerte, »aber ich habe an ihm gearbeitet.« Als wir ein halbes Jahr später unsere Verlobung bekannt gaben, hatte sie ihre Niederlage bereits akzeptiert und sich anderweitig orientiert, aber ich verspürte doch immer noch leise Schuldgefühle, wenn ich daran dachte, wie beiläufig Max sie abserviert hatte.
Obwohl er eine Frau geheiratet hatte, die in der IT-Kultur zu Hause war, blieben Computer sein schwacher Punkt. Er weigerte sich sogar hartnäckig, einen in seinem Geschäft aufzustellen – eine kleine, aber zunehmend erfolgreiche Kfz-Werkstatt in Binfield, die alte Autos restaurierte. Er hatte seine Firma in Binfield etabliert, als wir von Staffordshire ins County Berkshire gezogen waren, um, wie er sagte, nicht zu weit von den echten Liebhabern alter Autos entfernt zu sein, und er hatte recht gehabt. In einem Umkreis von fünfundsechzig Kilometern befand sich die Crème de la Crème der Oldtimer-Fans von Berkshire, und die Werkstatt brummte vom ersten Augenblick an. Schließlich konnte Max es sich sogar leisten, einen Mechaniker einzustellen, einen jungen Mann namens Guy, der frisch vom College kam und vor guten Ideen nur so sprühte. Er überredete Max schließlich auch zu einem Computer, mit dem er die Kundendaten und -wünsche effizienter verwalten konnte, und Max ließ sich von ihm zögernd in die Welt der Technologie des 21. Jahrhunderts einführen. Zu Hause jedoch weigerte er sich immer noch, mit dem PC umzugehen.
Also war das Arbeitszimmer allein mein Reich, und ich genoss die Ruhe, als ich am Schreibtisch saß und Alisons Zettel entfaltete. Ich liebte es, ein eigenes Zimmer zu haben. Als Kinder hatten meine Schwester Angela und ich uns immer darum gestritten, wer im oberen unserer Etagenbetten liegen durfte (sie hatte gewonnen, mit dem einfachen Argument, älter als ich zu sein). Als ich achtzehn war und mit dem Studium begann, war eines der Auswahlkriterien für meinen Studienort, dass das Wohnheim der Uni über Einzelzimmer verfügte. In den folgenden drei Jahren genoss ich den Luxus, die Tür hinter mir schließen zu können. In diesem Zimmer konnte ich meine eigene Realität erschaffen, und ohne meine Erlaubnis durfte niemand hinein. Seit dieser Zeit hatte ein eigenes Zimmer für mich Priorität, und wegen dieses winzigen Zimmers hatten Max und ich unser finanzielles Limit ausgereizt, als wir in den Süden zogen.
Ich schaltete den PC ein und starrte blicklos auf den Bildschirm, während der Rechner hochfuhr. Es fiel mir schwer, nicht über die Ungerechtigkeit einer Welt zu grübeln, die einer vierunddreißigjährigen Mutter das Leben nahm, während sie vorher noch versuchte, ihrem Mann in seiner Trauer beizustehen. Das Leben war ungerecht. Ich kannte so viele Leute, die Alisons Schicksal eher verdient hätten als sie: Menschen, die logen und betrogen, und die es nicht kümmerte, wen sie damit verletzten. Ich gab meinem Herzen einen Stoß. Grübeln führte zu nichts, wie Alison mir erklärt hatte, als sie mich über ihre Krebserkrankung informierte.
Der Nachmittag, an dem sie es mir gesagt hatte, hatte sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt. Dieser Tag war der letzte absolut glückliche Tag meines Lebens gewesen; ich hatte es nur nicht gewusst. Wir waren mit Lottie und Erin nach Windsor gefahren, um ihnen Schuhe zu kaufen, und Lottie hatte einen bühnenreifen Wutanfall bekommen, weil sie genau die gleichen Schuhe wie Erin haben wollte, der Laden sie aber nicht mehr in ihrer Größe hatte. Die Szene, die sie veranstaltete, war mir schrecklich peinlich gewesen, und Alison hatte uns alle aus dem Laden bugsiert, war mit uns über die Brücke nach Eton an den Fluss gefahren. Dort hatte sie mich mit einer Thermosflasche voll Kaffee auf einer Bank geparkt und die Mädchen mit einer Tüte mit Brotresten abgelenkt, die sie an die Schwäne verfüttern konnten. Ich saß da, genoss die milde Nachmittagssonne und lachte, weil die Mädchen empört aufschrien, als ein mutiger Schwan ihnen zu nahe kam und Erin das Brot aus der Hand rupfen wollte. Alison, die das Brot unter den Mädchen aufteilte, lächelte zu mir herüber. In irgendeinem Teil meines Gehirns muss ich dieses Lächeln gespeichert haben, denn wenn ich sie heute anblickte, sah ich es trotz ihrer fehlenden Haare und ihrer eingefallenen Wangen immer noch. Als sie schließlich das Brot gerecht verteilt hatte, setzte sie sich neben mich, und wir schauten über den Fluss zum Schloss.
»Hast du jemals etwas so Schönes gesehen?«, fragte sie mich. Sie hielt ihr Gesicht in die Sonne und schloss einen Moment lang die Augen, bevor sie wieder den Mädchen zuschaute.
»Wenn mir etwas passieren würde, würdest du dich doch um Erin kümmern, Fran, oder?«, fragte sie völlig unerwartet, ohne mich anzusehen.
»Natürlich.« Konsterniert blickte ich sie an.
»Danke.« Jetzt sah sie mich an und lächelte.
»Nun, ich meine – du würdest ja schließlich für Lottie dasselbe tun, oder?«
Einen Moment lang schwieg sie, dann beugte sie sich vor und drückte meine Hand. »Absolut«, erwiderte sie. »Komm, lass uns nach Hause fahren.«
Und erst als wir die zwölf Meilen nach Hause gefahren waren, den Mädchen etwas zu essen gegeben und sie ins Bett gesteckt hatten, was schon lange für jenen Abend geplant gewesen war, erst da, nachdem wir im Wohnzimmer bei einer Tasse Tee saßen, stellte ich die Frage, die mir seit dem Nachmittag im Kopf herumging. »Du weißt schon, als wir am Fluss saßen ...?« Erst da hatte sie mich unterbrochen und mich mit einem rätselhaften Lächeln zum Schweigen gebracht.
»Ich habe Krebs, Fran.« Ungläubig hatte ich sie angeschaut. »Akuten Gebärmutterkrebs, um genau zu sein.« Sie lächelte mich an. »Ich weiß, ich konnte es zuerst selbst nicht glauben. Ziemlicher Hammer, was?«
»Aber – wie? Ich meine ... wann hast du ... ?«
»Ich war bei Dr. Savage.« Dr. Savage war eine der Gynäkologinnen in unserem Gesundheitszentrum. »Wir wollten noch ein Kind, und es tat sich einfach nichts. Und mein Zyklus war völlig durcheinander. Na ja, und schließlich beschloss Frau Dr. Savage, eine Biopsie zu machen, um zu überprüfen, ob alles in Ordnung ist.«
»Aber – wann war das denn?«
»Letzte Woche. Ich war gestern wieder bei ihr, und sie hat mir das Ergebnis mitgeteilt. Natürlich gibt es eine zehnprozentige Chance, dass sie sich irren ...«
»Aber zu neunzig Prozent irren sie sich nicht?«
Sie nickte.
Ich schluckte. Meine Zunge war auf einmal ganz dick geworden. »Kann man es behandeln?«
»Natürlich, aber besonders lustig klingt die Behandlung nicht.« Sie lachte trotzdem. »Und unsere Chancen auf weitere Kinder sind gleich null. Aber immerhin.« Sie lächelte. »Wir haben ja Erin. Dafür bin ich so dankbar.«
»Es ist nur ... als du mich gefragt hast, da am Fluss ...«
»Oh – da hatte ich nur gerade einen Anfall von Rührseligkeit. Wenn du so etwas erfährst, dann spielt deine Fantasie erst einmal verrückt. Tut mir leid.«
Ich starrte schweigend in meine Teetasse, bis Alison sich schließlich neben mich auf das Sofa setzte und mich umarmte. »Hey, komm! Lass den Kopf nicht hängen«, sagte sie. »Noch bin ich nicht tot! Dr. Savage überweist mich zu einer Hysterektomie, und dann ist alles wieder gut. Ich erwarte von dir eine erstklassige Betreuung, wenn ich aus dem Krankenhaus komme. Selbstgemachte Suppe und jeden Tag Blumen. Eines kann ich dir auf jeden Fall versprechen: Ich werde eine sehr anspruchsvolle Rekonvaleszentin sein.«
Ich warf ihr einen kläglichen Blick zu. »Suppe kochen kann ich nicht.«
»Dann wirst du eben das tun, was alle tun: Sie im Tesco kaufen und lügen«, erwiderte Alison. »Lügen kannst du doch, Fran, oder?« Ich nickte zögernd, trotz des riesigen Kloßes im Hals. »Gut. Und in der Zwischenzeit verbiete ich dir, zu grübeln. Das führt zu nichts.«
Der Krebs war mit der Hysterektomie aber nicht beseitigt. Er hatte sich auf das Gewebe um den Gebärmutterhals herum ausgebreitet, und weder die Hormontherapie noch die zermürbenden Wochen der Bestrahlung konnten ihn auf seinem unheilvollen Marsch durch das Becken zu den Lymphknoten des Abdomens aufhalten. Und jetzt war es tatsächlich so weit. Alison machte Pläne für ihren Mann und ihre Tochter, damit sie nicht alleine blieben und jemand für sie sorgte, wenn sie nicht mehr da war.
Es war wirklich schwer, nicht zu grübeln.
Ich glättete den Zettel und legte ihn neben die Tastatur.
»Hey.« Max trat hinter mich und küsste mich leicht auf den Scheitel. »Wie geht es dir?«
»Ach – du weißt schon. Wie immer.«
»Wie geht es Alison?«
»Oh, na ja – ich fand, dass sie heute besser aussah als sonst.«
»Ja?«
»Zumindest für jemanden, der im Sterben liegt.«
Er legte die Arme um mich und drückte mich fest an sich.
»Seid ihr mit euren Ungeheuern fertig?« Ich wies mit dem Kinn nach oben.
»Das kannst du aber annehmen.« Er grinste. »Ich habe keine Ahnung, wie sie es macht, dass sie sich an jedes einzelne Wort in dem Buch erinnert. Ich darf nicht die kleinste Kleinigkeit falsch sagen.«
»Ich weiß. Ich habe gehört, wie du versucht hast, das Gespenst nach vorne zu schummeln und die Hexe auszulassen.« Ich schüttelte den Kopf. Tat, als ob ich ihn rüffelte.
»Hast du noch viel hier zu tun?« Er nickte zum Computer.
»Nein, nicht viel.« Ich verdeckte Alisons literarische Bemühungen mit einem Arm. Ich hatte noch keine Lust, Max in ihren Plan einzuweihen. »Höchstens zehn Minuten.«
»Okay, zehn Minuten«, wiederholte er. »Bist du mit Fischstäbchen auf Toast einverstanden?«
»Klingt – köstlich.«
»Das war doch nur ein Witz.« Er lächelte mich an. »Lottie und ich haben auf dem Nachhauseweg Steaks gekauft. Und einen ziemlich guten Merlot dazu. Ich nehme an, das findet Madams Billigung?«
»Madam ist entzückt«, erwiderte ich und war es auch.
»Nun, dann kreiere ich jetzt mal ein köstliches Mahl«, sagte er und verschwand in die Küche.
Ich lächelte seinem Rücken zu, bevor ich mich wieder dem PC zuwandte. Einen Moment lang genoss ich das Gefühl der Sicherheit eines warmen Heims und einer liebenden Familie. Gott sei Dank habe ich das alles, dachte ich. Das macht alles andere erträglich. Daran kann ich mich halten, wenn der Rest der Welt zusammenbricht. Max, überlegte ich, war wie die Tür zu jenem ersten eigenen Zimmer, das ich auf der Universität hatte. Hinter seinem breiten Rücken konnte ich mich vor all dem Mist verstecken und Zuflucht vor den Unbilden des Lebens finden.
Ich gab »Partnerbörse« in die Suchmaschine ein und klickte auf den ersten Link oben auf der Liste. Ich arbeitete mich durch Anfangsfragen zu Größe, Alter und alkoholischer Prädisposition meines idealen Mannes, und ziemlich schnell hatte ich ein Resultat: zwölf Seiten voller Typen mittlerer Größe zwischen fünfunddreißig und sechzig, die nicht rauchten, aber gelegentlich etwas tranken. Neben den meisten Namen waren daumennagelgroße Fotos, und nur einige der angehenden Ehemänner und Liebhaber – wahrscheinlich die hässlichsten – hatten sich gegen ein Bild entschieden.
Wahllos pickte ich mir einen Typen heraus, der sich selbst als »Langschläfer« bezeichnete, und durchkämmte die Anzeige, um zu sehen, was er über sich zu sagen hatte. Er war neunundfünfzig, behauptete, eins fünfundsiebzig groß zu sein, lebte in Newcastle und war geschieden mit zwei Kindern. Er bezeichnete sich als geselligen Menschen, der gerne ausging. Offensichtlich hatte er Sinn für Humor, weil in puncto Partnerin jede für ihn in Frage käme, in deren Adern das Leben pulsierte. Aber dieser Eindruck war nur von kurzer Dauer, weil sie vorzugsweise schlank, attraktiv, gepflegt und zwischen achtzehn und fünfundzwanzig sein sollte.
Ich verschluckte mich fast an meinem Kaffee und klickte auf das kleine Foto, um es zu vergrößern. Der Typ sah keinen Tag jünger aus als siebzig. Alter Lustmolch. Ich kopierte die Anzeige und sein Foto in eine andere Datei, damit ich sie ausdrucken und Alison zeigen konnte. Es würde ihr zumindest ein Lächeln entlocken.
Dann suchte ich mir auf der Liste eine andere Anzeige aus. Die Beschreibung dieses Mannes war extrem kurz, beinahe abrupt. »SFH. Suche Frau 25 – 35 f. Freundsch., mögl. Ehe.« Ich betrachtete das Foto. Der Mann sah aus, als säße er auf etwas Scharfem, und die wenigen Haare, die er hatte, hatte er lang wachsen lassen und sorgfältig über seinen kahlen Schädel gekämmt. Hier lag die Schönheit mit Sicherheit im Auge des Betrachters.
»Fran?« Max stand in der Tür. Ich zuckte zusammen und versuchte, den Monitor mit meinem Körper zu verdecken. »Entschuldigung, Liebes, ich wollte dich nicht erschrecken. Möchtest du vielleicht ein Glas Wein bei der Arbeit?«
»Äh ... nein, danke. Ich bin sowieso gleich fertig.«
»Herrgott, ist das ein hässlicher Kerl«, sagte er und beugte sich über meine Schulter, um einen Blick auf das Bild zu werfen. »So sehen also bei euch Frauen Internet-Pornos aus.«
Ich schubste ihn. »Das ist kein Porno. Es ist – wir stellen gerade jemanden ein, und ich schaue mir nur ein paar Lebensläufe an.«
»Oh, ach so, dann passt er bestimmt gut zu euch. Dem Aussehen deiner Kollegen nach sind die meisten Typen in der IT-Branche ziemlich hässlich.«
»Wir können nicht alle schrecklich attraktiv sein«, sagte ich und stand auf, um ihn aus dem Zimmer zu scheuchen. »Und jetzt geh! Je schneller du mich weitermachen lässt, desto schneller bin ich fertig.« Ich schnupperte. »Brennt da etwas an?«
Er schoss zurück in die Küche, und ich machte weiter. Ich schaute mir noch ein Dutzend »Kandidaten« an und fügte der Datei, die ich zu Alisons Erbauung angelegt hatte, weitere komische, witzige oder einfach nur schreckliche Anzeigen hinzu. Gerade, als ich aufhören und zu Max in die Küche gehen wollte, fiel mir eins der daumennagelgroßen Fotos ins Auge. Irgendetwas daran erregte meine Aufmerksamkeit.
»Ungebunden«, informierte mich die Kopfzeile. »Mitglied seit September.«
Wie soll ich mich beschreiben?, las ich. Ich bin achtunddreißig, eins fünfundachtzig und geschieden. Keine Kinder, aber ich hätte gerne welche, eines Tages, in nicht allzu ferner Zukunft. Ich sehe nicht zu schrecklich aus, zumindest meinte das mein bester Kumpel, als ich ihm sagte, dass ich mich anmelden wollte. Dating-Sprache ist nicht meine Stärke: SFH habe ich für ein Männermagazin gehalten. Die aktuelle Liebe meines Lebens ist blond und langbeinig; ihr einziger Nachteil ist, dass sie vier Beine hat und Gespräche mit ihr nicht besonders ergiebig sind. Vorlieben: Spaziergänge auf dem Land an einem windigen Nachmittag. Abneigungen: Spinnen. Ich habe sogar schreckliche Angst vor ihnen, deshalb hoffe ich darauf, eine intelligente, freche, extrovertierte Frau kennenzulernen, mit Sinn für meinen seltsamen Sinn für Humor, damit wir entdecken können, wie sich unsere Beziehung entwickelt. Spinnenangstneurotiker brauchen gar nicht erst zu schreiben (es macht ja keinen Sinn, wenn zwei Personen hinter das Sofa springen).
Das Foto war nicht besonders gut. Es war ein wenig verwackelt und sah so aus, als sei es ein Ausschnitt aus einer größeren Aufnahme. Aber man konnte trotzdem sehen, dass der Mann gut aussah. Dichte, dunkle Haare und dunkelbraune Augen. Gut geschnittene Züge. Schöne Zähne. Ein nettes Lächeln im Gesicht, das Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit ausstrahlte.
Das gleiche nette, lächelnde Gesicht, das eben noch so getan hatte, als sei es ein Gorilla, eine Hexe, ein Gespenst, ein Drache und ein Riese, und das jetzt gerade in der Küche mein Abendessen zubereitete.
»Ist das Steak in Ordnung?«
Ich nickte, ohne von meinem Teller aufzuschauen. »Mmh. Köstlich.«
Das war eine Lüge. Es schmeckte wie Pappe.
Wir aßen schweigend weiter.
»Wie schmeckt dir der Wein?«
Dieses Mal sah ich Max an, blickte scharf in sein zuverlässiges, vertrauenswürdiges Gesicht.
»Sehr gut.«
Noch eine Lüge. Jeder Schluck war wie Essig.
Ich trank ihn trotzdem. Ich hatte das Gefühl, jemand würde mir den Magen auswringen.
»Heute ist in der Werkstatt was Komisches passiert.« Er lächelte. »Guy hatte gerade ...«
Ich schob meinen Stuhl so abrupt zurück, dass er umfiel. »Entschuldigung«, sagte ich und rannte hinaus. Ich schaffte es gerade noch zur Toilette, und dann übergab ich mich.
Als mein Magen leer war, spülte ich, klappte den Toilettendeckel herunter und setzte mich. Einen Moment lang lehnte ich die Stirn an das kühle Porzellan des Waschbeckens, dann machte ich die Ecke des Handtuchs feucht und wischte mir über das Gesicht. Schließlich erhob ich mich mit zitternden Knien und betrachtete mich im Spiegel über dem Waschbecken.
Erstaunlicherweise sah ich ziemlich normal aus. Jedenfalls nicht schlimmer als nach einem anstrengenden Tag im Büro. Meine Augen waren ein wenig wässrig, aber man sah mir nicht an, dass meine Welt gerade zerbrochen war.
Max stand in der Diele, als ich herauskam. »Hey«, sagte er. »Alles in Ordnung?«
Ich nickte. »Ja, tut mir leid.« Lügen, Lügen, verdammte Lügen.
»Meine Schuld. Ich hätte besser doch Fischstäbchen gemacht.«
Sanft führte er mich ins Wohnzimmer, drückte mich aufs Sofa und legte mir eine Decke über die Beine.
»Du liebe Güte, Max, ich bin nicht invalide«, protestierte ich.
Er lächelte mich rätselhaft an. »Ich weiß. Ich – du weißt schon. Ein Glas Wasser?«
Ich zögerte. Beinahe kam es mir so vor, als ob ich mich zu seiner Komplizin machte, wenn ich es annahm. »Ja, gut. Danke.«