Eine Frau nach Maß - Leni Behrendt - E-Book

Eine Frau nach Maß E-Book

Leni Behrendt

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Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Es war ein hohes, weites Gemach, das Speisezimmer von Schloß Felß. Um den langen, breiten Tisch zu besetzen, der inmitten des feudalen Raumes stand, dazu gehörte schon eine Familie von mindestens zwölf Kindern samt ihren Erziehern. Und da diese Familie vorläufig nur aus Vater und Sohn nebst der Repräsentantin des Hauswesens bestand, wählte man zu den täglichen Mahlzeiten den runden Tisch, der im Erker stand. Das Licht, das durch die Buntglasfenster fiel, war stets gedämpft. So konnte es kommen, daß an trüben Regentagen, wie zum Beispiel heute, schon während des Mittagsmahles die kunstvoll gearbeitete Lampe über der Tafel brannte. Und diese Tafel war stets sorgfältig gedeckt mit schneeigem Damast, schwerem Silber und kostbarem Porzellan. Der Seniordiener Jonas, mit dem Aussehen und der ruhigen Würde eines Diplomaten, servierte, wobei ihm ein jüngerer Diener bester Schulung zur Hand ging. Das Essen war delikat und bestand stets aus vier Gängen. Heute hatte man nun einen Gast – und zwar einen ziemlich alltäglichen. Sie fand sich nämlich oft in Felß ein, die Nachbars­tochter Bernice von Söhrte, mit dem dunklen Madonnenscheitel und dem taubenfrommen Augenaufschlag. Sie galt überhaupt als sanft und mild, und es war gewiß nur eine böse Verleumdung von dem Oberverwalter der Herrschaft Felß, Arnulf Alwart, wenn er skeptisch meinte: »Truu de Düwel dem Ap'theker.« Denn das, was da nun dem Schloßherrn so lieb entgegenlachte, war ein sanftes Mägdlein, das bestimmt kein Wässerchen trüben konnte. Man hatte das Gefühl, als müßte man das zarte Wesen behüten und beschirmen vor jedem rauhen Windzug des Lebens. »Ah, da sind Sie ja, mein lieber Torsten«, sprach ein weicher rosiger Mund. »Ich glaubte Sie abwesend von Felß.« »Nein, ich war zu Hause, gnädiges Fräulein. Allerdings war ich mit Vorbereitungen beschäftigt, weil ich heute noch verreisen will.« Da der Mann die beiden Damen scharf beobachtete, entging ihm der fast entsetzte Blick nicht, den sie miteinander tauschten. »Davon weiß ich ja gar nichts, Torsten.«

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Leni Behrendt Bestseller – 12 –

Eine Frau nach Maß

Leni Behrendt

Es war ein hohes, weites Gemach, das Speisezimmer von Schloß Felß. Um den langen, breiten Tisch zu besetzen, der inmitten des feudalen Raumes stand, dazu gehörte schon eine Familie von mindestens zwölf Kindern samt ihren Erziehern. Und da diese Familie vorläufig nur aus Vater und Sohn nebst der Repräsentantin des Hauswesens bestand, wählte man zu den täglichen Mahlzeiten den runden Tisch, der im Erker stand.

Das Licht, das durch die Buntglasfenster fiel, war stets gedämpft. So konnte es kommen, daß an trüben Regentagen, wie zum Beispiel heute, schon während des Mittagsmahles die kunstvoll gearbeitete Lampe über der Tafel brannte. Und diese Tafel war stets sorgfältig gedeckt mit schneeigem Damast, schwerem Silber und kostbarem Porzellan. Der Seniordiener Jonas, mit dem Aussehen und der ruhigen Würde eines Diplomaten, servierte, wobei ihm ein jüngerer Diener bester Schulung zur Hand ging. Das Essen war delikat und bestand stets aus vier Gängen.

Heute hatte man nun einen Gast – und zwar einen ziemlich alltäglichen. Sie fand sich nämlich oft in Felß ein, die Nachbars­tochter Bernice von Söhrte, mit dem dunklen Madonnenscheitel und dem taubenfrommen Augenaufschlag. Sie galt überhaupt als sanft und mild, und es war gewiß nur eine böse Verleumdung von dem Oberverwalter der Herrschaft Felß, Arnulf Alwart, wenn er skeptisch meinte: »Truu de Düwel dem Ap’theker.«

Denn das, was da nun dem Schloßherrn so lieb entgegenlachte, war ein sanftes Mägdlein, das bestimmt kein Wässerchen trüben konnte. Man hatte das Gefühl, als müßte man das zarte Wesen behüten und beschirmen vor jedem rauhen Windzug des Lebens.

»Ah, da sind Sie ja, mein lieber Torsten«, sprach ein weicher rosiger Mund. »Ich glaubte Sie abwesend von Felß.«

»Nein, ich war zu Hause, gnädiges Fräulein. Allerdings war ich mit Vorbereitungen beschäftigt, weil ich heute noch verreisen will.«

Da der Mann die beiden Damen scharf beobachtete, entging ihm der fast entsetzte Blick nicht, den sie miteinander tauschten. Und dann war es Frau von Tarp, die Repräsentantin des Hauses, die vorwurfsvoll sagte:

»Davon weiß ich ja gar nichts, Torsten.«

»Wie konntest du auch, Tante Amanda«, kam es gelassen zurück. »Ich habe mich ganz spontan zu der Reise entschlossen.«

»Und wohin soll es diesmal gehen?«

»Ich bleibe in Deutschland.«

»Auf wie lange?«

»Unbestimmt.«

Alles, was er sprach, klang kurz und knapp, so daß die Damen nicht weiter zu fragen wagten. So verlief auch das Mahl ziemlich wortkarg, und die beiden Weiblichkeiten waren bitter enttäuscht, als der Hausherr den Mokka nicht mit ihnen einnahm, sondern sich höflich, aber bestimmt entschuldigte. Er wartete nur, bis die gute Deti den kleinen Knaben zum Mittagsschläfchen holte, dann ging er auch.

Und kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, als auch schon Frau von Tarp aufgeregt sagte:

»Du darfst ihn nicht fortlassen, Bernice, hörst du. Du mußt ihn irgendwie zur Verlobung zwingen, und wenn du da gleich zu einer Intrige greifen müßtest.«

»Aber, Tantchen, so etwas liegt mir doch nicht.«

»Hör auf!« wurde sie hochfahrend unterbrochen. »Mir brauchst du keine Mätzchen vorzumachen. Tu es bei ihm, das ist wichtiger. Wenn du ihn erst fest hast, kannst du ja deine Taubenfrommheit ablegen. Ein Glück, daß dein sanftes Aussehen ihn anzieht, da er ja in seiner Herrennatur auf ein sanftes, demütiges Weib aus ist. Also nutze deine Chance.«

Jawohl, nutze sie, dachte mit sarkastischem Lächeln der Mann, der gerade an dem geöffneten Fenster vorüberging, hinter dem das Gespräch geführt wurde. Und zwar laut und ungeniert.

O nein, meine liebe Tante Amanda, dachte er weiter, während er rasch ausschritt. Einmal hast du mich einfangen können, mich jungen Fant, mit den himmelstürmenden Idealen und dem festen Glauben an die ideale Frau, den deine Nichte dann schon während der Flitterwochen so gründlich zerstörte, daß aus dem Schwärmer ein skeptischer Mann wurde, der nichts mehr von den Frauen hält. Denn es gab auch nicht eine unter den vielen Schönen, die ich während meiner vierjährigen Witwerschaft ausgiebig genoß, die diese Skepsis mildern konnte.

Während er diesen Gedanken nachhing, hatte er den riesengroßen Gutshof erreicht, wo ein wenig abseits ein nettes Haus stand, in dem der Verwalter der Felßschen Güter wohnte. Der Nachfolger seines Vaters und ein Intimus des jetzigen Schloßherrn von jeher. Schon als Kleinkinder, die fast an dem gleichen Tag das Licht der Welt erblickten, hatten sie zusammen gespielt. Hatten von einem Hauslehrer den ersten Unterricht gehabt, später das Gymnasium besucht und auch die landwirtschaftliche Hochschule absolviert. Wohl meinte Vater Alwart, daß sein Sohn das nicht unbedingt brauchte, aber da hatte Graf Felß, der Ältere, ihn eines anderen belehrt:

»Reißen Sie die Jungen nicht voneinander, Alwart. Die hängen ja zusammen wie Pech und Schwefel. Und das ist gut. So viel Geld werden Sie doch wohl zusammengescharrt haben, um Ihren Einzigen studieren lassen zu können.«

Jetzt war er tot, und auch den alten Grafen Felß deckte schon fast sechs Jahre der Rasen. Und was die Alten miteinander verbunden hatte, verband nun auch die Jungen.

»Grüß Gott, tritt ein, bring Glück herein!« schmunzelte der Hüne, als Torsten das gemütliche Wohngemach betrat, wo ersterer mit seiner Gattin bei einem vorzüglichen Kaffee geruhsam verweilte. »Wie mir scheint, hast du etwas auf dem Herzen?«

»Stimmt.« Der Angekommene ließ sich lachend in der gemütlichen Runde nieder. »Kredenze mir einen Kaffee, Ingelott, da ich heute darauf verzichten mußte.«

»Mußte?« forschte die schmucke junge Frau, welche die Freunde vom ersten Tag ihres Lebens kannte und die dann später mit den wilden Knaben durch dick und dünn ging. Denn sie war des Rentmeisters von Felß Töchterlein, der auch heute noch in ungebeugter Kraft seinen Posten ausfüllte. Und diese Ingelott war denn auch vor sechs Jahren Frau Alwart geworden.

»Wirklich – mußte?« fragte sie jetzt eindringlicher, während sie dem Jugendgespielen den braunen Trank kredenzte. »Wer hat dir wohl was zu müssen, du Herr aller Reußen?«

»Sage das nicht, du Spottdrossel«, seufzte der so Betitelte. »Auch mir sind Grenzen gesetzt. Auch mir darf man eine Schlinge legen, die mir zum Verhängnis werden kann. Das habe ich ja bereits bewiesen, der ich vor fünf Jahren so lieb und brav hineintappte. Doch der zweiten weiche ich aus wie die Pest.«

»Also jetzt ist es soweit«, pfiff Alwart durch die Zähne. »Da entfleuche nur schleunigst, mein Jungchen. Bringe meinetwegen des Teufels Großmutter nach Felß, nur nicht das sanft säuselnde Bernicechen. Oder?« schloß er mißtrauisch, doch der andere winkte gelassen ab.

»Oder – allerdings. Nur daß dieses ›Oder‹ sich darauf bezieht, daß ich anderswo auf die Freite zu gehen gedenke.«

»Ach du liebes bißchen!« Der Freund war nun ehrlich erschrocken.

»Mann, mach nur ja keine Dummheiten, mir liegt deine erste noch schwer in den Knochen. Wer ist sie denn?«

»Ein sittsam Mägdelein, von einer sittenstrengen Mutter treu behütet und bewacht. Nach der Erfahrung, die ich mit meiner ersten Frau machte, kann die zweite gar nicht haus­backen, sanftmütig und fromm genug sein. Wenn sie sich meinem Willen unterwirft, mir das Haus in Ordnung hält und sich um den Jungen mütterlich kümmert, dann soll sie es gewiß nicht schlecht bei mir haben.«

»Aber auch einen schweren Stand«, bemerkte Arnulf trocken. »Oder denkst du dir das etwa einfach, sich unter der hochfahrenden Frau von Tarp ducken zu müssen und deinen eigensinnigen Jungen zu betreuen?«

»Nein, einfach wird das bestimmt nicht sein«, war die seelenruhige Erwiderung. »Da muß sie sich eben durchsetzen. Kann sie es nicht, ist sie eben nicht das, was ich brauche.«

»Aha! Dann jagst du sie einfach davon, nicht wahr?«

»Wahrscheinlich.«

»Tja, du mußt wissen, was du tust. Warnungen sind, wenn du auf die Freite gehst, bei dir doch nur in den Wind gesprochen. Also werde durch Schaden klug, wenn du dir nach einem Kolibri ein graues Mäuschen erwählst. Wir jedenfalls halten den Mund, Ingelott.«

»Tun wir, mein lieber Mann«, bekräftigte die junge Frau, die mit ihrem brünetten Typ einen herzerfreuenden Anblick bot. Groß und vollschlank vermochte sie sich auch figürlich neben dem Hünen von Gatten zu behaupten und war durchaus geschaffen, mit ihm allen Stürmen des Lebens standzuhalten. Also alles in allem: ein prächtiger Ehekamerad durch dick und dünn.

Ganz einfach war diese Ehe zustandegekommen. So ohne jede Komplikation, ohne vorhergehende Herzensstürme und -nöte. Lieb hatte man sich von Kindheit an, also heiratete man, als Arnulf nach beendetem Studium und nach der Bummelreise in Felß wieder eintraf.

Zwei Kinder trafen auch schon ein. Gesunde, muntere Jungen, die Freude und das Glück der Eltern. Also eine glückliche kleine Familie, wie man sie leider nicht oft im Leben findet.

*

Ganz anders war es mit der Heirat des jungen Grafen gewesen. Der war vor fünf Jahren arglos in die Schlinge getappt, die seine raffinierte Verwandte ihm gelegt hatte. Sie war nach dem Tode der alten Gräfin, also vor sieben Jahren, nach Felß gekommen, um dem feudalen, sehr großzügig geführten Schloßhaushalt vorzustehen.

Eigentlich war das ein Gnadenakt des alten Grafen, dem allzeit gütigen Manne, der entfernten Verwandten ein Asyl zu bieten. Denn es ging ihr miserabel, als ihr verbummelter Ehemann starb, nachdem er auch noch den letzten Pfennig durchgebracht hatte.

Aber die intrigante, augendienerische Person verstand es meisterhaft, sich bei dem Schloßherrn unentbehrlich zu machen. Und nach seinem Tode präsentierte sie mit aller Raffinesse, die ihr eigen, ihre Nichte.

Nun, diese Nichte war reizvoll genug, um einen fünfundzwanzigjährigen jungen Heißsporn, der in jeder Frau ein Idealwesen sah, einzufangen. Sehr zum Verdruß des treuen Freundes Arnulf Alwart, der diese junge Dame ja nicht durch die rosarote Brille der Verliebtheit betrachtete, sondern skeptischen, klaren Blickes. Und wie recht er damit hatte, sollte der junge Ehemann schon in den ersten Ehewochen erfahren. Sie genügten vollkommen, um dem Idealisten den Glauben an die ideale Frau gründlich zu zerstören. Er kam sich wie erlöst vor, als diese minderwertige Frau nach noch nicht einmal einjähriger Ehe im Wochenbett starb.

Und wenn er jetzt wieder zu heiraten gedachte, geschah es nur, um seinen Hausstand und seinen Sohn versorgt zu wissen, wenn er seiner Fernsehnsucht nachgab und auf Reisen ging. Und daher mußte er eine Frau wählen, die ein braves Haushuhn war, wie der Freund es so treffend bezeichnete.

Der hütete sich jedoch, seine Meinung darüber weiter zu äußern. Er fragte nur sachlich: »Wann fährst du?«

»Heute noch. Ich möchte dich und Ingelott bitten, euch um Toro zu kümmern, damit Amanda merkt, daß man ihr auf die Finger sieht. Auch um die Ausgaben kümmere dich, Arnulf. Nicht einen Pfennig mehr als gewöhnlich.«

»Worauf du dich verlassen kannst«, kam die grimmige Antwort. »Da paß ich schon auf, und die gesamte Dienerschaft im Schloß mit mir. So sehr ich deinen Vater auch sonst verehre, Torsten, so bitter gram bin ich ihm wiederum, daß er dieser Schleiereule auf Schloß Felß Heimatrecht zubilligte. Und du mußt dich nun mit ihr abplagen.«

»Na, so arg ist es auch wieder nicht«, kam es lachend zurück. »Die kann bei mir keinen Blumentopf gewinnen, wie man so sagt. Aber da sie mir die Schlinge, die sie erneut legte, mit allen niederträchtigen Schlichen und Listen zuzuziehen gedenkt, will ich ihr lieber doch ausweichen.«

*

»Torsten, auf ein Wort«, hielt ihn die Tante an, als er durch die weite Halle ging und nun, unangenehm berührt, den Schritt verhielt.

»Du wünschest?« fragte er eisig.

»Ich möchte dich bitten, deine Reise zu verschieben.«

»Warum?«

»Weil wir doch zu Bernices Geburtstag nach Altraden eingeladen sind.«

»Dann wird die junge Dame ihn eben ohne mich feiern müssen. Er ist mir durchaus nicht wichtig.«

»Aber, Torsten, wie kann man nur.«

»Nicht wahr, was man alles so kann!« Es blitzte jetzt gefährlich in seinen Augen auf. »Laß aber von deiner Kuppelei, diesmal fängst du mich nicht.«

»Du bist ja…«, bekam die schockierte Dame vorläufig nur über die Lippen, und diese Atempause benutzte der Mann, um zu enteilen, und zwar in sein Arbeitszimmer, das man nur auf seine Aufforderung hin betreten durfte. Die Beschließerin ließ er kommen, die ihre Rundlichkeit mit erstaunlichem Geschick herankugelte, erst knickste, dann über die blütenweiße Schürze strich und ihren Gebieter erwartungsvoll ansah.

»Nun, Deti, du wirst ja immer jünger und hübscher«, schmunzelte er. »Geht es dir immer gut?«

»Und wie gut, Herr Graf, sündhaft gut sogar. Bloß… Na, ich weiß nicht.«

»Aber ich weiß«, unterbrach er sie lachend. »Kein Paradies ohne Schlange, stimmt’s?«

»Und ob!« Sie strahlte jetzt über das ganze Vollmondgesicht. »Aber wir wehren uns.«

»Recht so. Und nun paß mal auf, Deti. Ich verreise. Gib gut auf den Jungen acht.«

»Aber meinje, Herr Graf, mit jedem Tropfen Blut. An unser kleines Herrchen kommt nichts heran, höchstens über meine Leiche.«

»Dann bin ich ja beruhigt, da du ja wie das blühende Leben selber vor mir stehst. Wenn du in Schwierigkeiten geraten solltest, wende dich an den Herrn Verwalter. Und nun mach’s gut.«

Das war ungefähr die gleiche Unterredung, die der Herr mit seinen Getreuen vor jeder Reise zu führen pflegte. Er nannte es spöttisch bei sich: das Haus bestellen. Dann kam noch ein herzlicher Abschied von dem Sohn, der tapfer die Tränen verbiß, ein kühler Abschied von Amanda, und dann ging die Reise

los.

Zuerst einmal ins Blaue hinein, um die Freiheit noch in vol­len Zügen zu genießen, bevor er sie einschränken mußte. Soweit wenigstens, wie es sich für einen Ehemann einigermaßen geziemte. Denn ganz würde er sich von einer Frau nie festhalten lassen, niemals. Dafür liebte er seine Freiheit viel zu sehr – seine Freiheit und sich selbst.

Er wollte seine Frau gewiß nicht ungut behandeln, aber sie mußte ihm auch seine Freiheit lassen, die ihm nun einmal Lebenselixier war. Jeder Zwang war ihm verhaßt. Und deshalb brauchte er ein gutes, braves Haushuhn, eine milde waltende Hausfrau, kurz und gut: ein taubenfrommes Wesen ohne Galle.

Das waren die Grundsätze des Grafen Felß, mit denen er auf die Freite ging.

*

Es goß in Strömen. Warum auch nicht? Es nahte ja der Herbst.

Mißmutig ließ Graf Felß das Verdeck über seinen sehr kostbaren Wagen herunter und saß nun warm und trocken. Rauchte erst einmal eine Zigarette und schaute dabei gelangweilt hinaus in den Regenguß.

Plötzlich schlossen sich seine Augen zu einem engen Spalt. Interessiert verfolgten sie das weibliche Wesen, das im Laufschritt unter einen dicken Kastanienbaum flüchtete, um dort Schutz zu suchen.

Schon kurbelte eine nervige Männerhand das Fenster nieder, und eine sonore Stimme rief hinüber:

»Hallo, mein Fräulein, steigen Sie ein, hier ist es trocken!«

»Ich könnte Ihren feudalen Wagen durchnässen, Graf Felß!« kam es lachend zurück, worauf der Mann erst einmal ein verdutztes Gesicht machte, aber dann rasch gefaßt fragte:

»Woher kennen Sie mich denn?«

»Mein Geheimnis.«

»Das ich gleich ergründen werde.« Er lenkte den Wagen dicht an den Baum. Was er nun sah, war ein Wesen, von einem grauen Regenmantel umhüllt. Unter der Kapuze lugte ein Gesicht hervor, dessen Augen von einer großen dunklen Brille verdeckt waren.

»Ja, Fräulein von Söhrte, sind Sie es nun oder sind Sie es nicht?« fragte er lachend, und lachend erfolgte auch die Antwort:

»Jawohl, ich bin es.«

»Man immer rein in die gute Stube.« Er öffnete den Schlag, doch noch zögerte sie:

»Mein Mantel ist naß.«

»Und mein Wagen ist nicht wasserscheu.«

Da stieg sie ein, drückte sich aber fest in die Ecke, was ihn schmunzeln ließ.

»Ich bin nicht aus Zucker, daß ich mich bei Ihrer Berührung auflösen könnte. Und nun sagen Sie mal, gnädiges Fräulein, wie kommen Sie hierher? Sind Sie etwa nicht mehr bei Ihren Verwandten?«

»Nein.«

»Seit wann nicht mehr?«

»Seit meinem einundzwanzigsten Lebensjahr, das mich unabhängig von meinem Vormund machte.«

»Wann war das?«

»Vor einigen Monaten.«

»Und warum blieben Sie nicht länger in Altraden?«

»Muß das unbedingt in Worte gefaßt werden, Graf Felß?«

»Eigentlich – nicht«, dehnte er. »Sie schienen mir dort so etwas wie ein Aschenputtelchen gewesen zu sein.«

»Richtig. Und nun warte ich auf den Königssohn.«

Da lachte der Mann ein bezwingendes Lachen.

Die Kleine war ja von einer Schlagfertigkeit, die Geist vermuten ließ.

Wenn sie nur nicht in dem plumpen farblosen Mantel so grotesk wirken würde. Und dann diese gräßliche Brille, welche die Augen, den Spiegel der Seele, so unschön verbarg. Schon die wenigen Male, da er ihr in Altraden begegnete, hatte ihn das gestört.

»Scheußliches Wetter«, bemerkte er, nicht gerade geistreich. »Und nun erzählen Sie, gnädiges Fräulein.«

»Was denn?«

»Von sich.«

»Ach, du lieber Himmel, das dürfte einen Mann wie Sie doch wahrlich nicht interessieren, Graf Felß.«

»Vielleicht doch.«

»Na schön, ich befinde mich in der Ausbildung, um Tippse zu werden.«

»Wie bitte?«

»Um Tippse zu werden«, wiederholte sie und lachte dann über sein verdutztes Gesicht. Es war ein weiches goldiges Lachen, das den Mann aufhorchen ließ. »Oder ist das Ihnen kein Begriff?«

»Schon. Aber wozu das?«

»Um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen«, kam es trocken zurück. »Ich bin nämlich arm.«

»Na ja – gewiß. Was tippen Sie denn da?«

»Nichts, was Geld einbringt, sondern vorläufig noch kostet, und zwar der Kursus. Außerdem besuche ich abends noch die Volkshochschule. Sind Sie jetzt im Bilde?«

»So ziemlich. Aber schön kann ich mir so was nicht denken. Vielleicht hätten Sie doch bei Ihren Verwandten bleiben sollen, gnädiges Fräulein.«

»Nein!« warf sie so hart ein, daß er sie erstaunt ansah. »Und da ich nun bemerke, daß der Regen aufgehört hat, möchte ich dieses warme Plätzchen verlassen. Adieu, Herr Graf, es hat mich sehr gefreut.«

Es gelang ihm gerade noch, einen Zipfel des Mantels zu erfassen, bevor sie ihm durch die blitzschnell geöffnete Tür entwischte.

»Hiergeblieben!« forderte er lachend. »So einfach kommen Sie mir nicht davon. Und schon gar nicht zu Fuß. Wo wohnen Sie?«

»Mein Geheimnis.«

Und nun entschlüpfte sie ihm doch. Ärgerlich sah er der vermummten Gestalt nach, die im Nebel wie ein grauer Schemen untertauchte.

Wenn nicht, dann nicht, mein Kind. Ich habe wahrlich keine Lust, mich dir kleinen Vogelscheuche aufzudrängen.

*

Und doch tat er es am nächsten Tage, als er im Begriff war, die Stadt zu verlassen, wo er des dichten Nebels wegen hatte übernachten müssen. Denn was ihm da in einer Nebenstraße entgegenkam, war keine andere als Fräulein von Söhrte.

Sie trug wieder den Regenmantel und auch die scheußliche Brille. An der Leine führte sie einen Dackel, der schon mehr einem alten fetten Mops glich.

»Guten Tag, gnädiges Fräulein! Das nenne ich Zufall. Oder ist es mehr, da ich Ihnen ausgerechnet in dieser abgelegenen Straße begegnen muß?«

»Vielleicht. Und was machen wir nun daraus?«

»Wir feiern frohes Wiedersehen.«

»Bitte sehr, ich bin im Dienst.«

»Gehört etwa dieses kleine fette Ungetüm zu Ihren Dienst­ob­liegenheiten?«

»Jawohl.«

»Also, gnädiges Fräulein, diesmal entschlüpfen Sie mir nicht. Steigen Sie bitte ein.«

»Nur ja nicht!« wehrte sie lachend. »Was meinen Sie wohl, welchen Schock meine Dame bekäme, wenn sie mich diesem feudalen Ungetüm von Wagen entsteigen sähe. Sie würde wahrscheinlich annehmen, ich wäre einem Hochstapler ins Netz gegangen und ganz gräßlich um ihre gute dicke Hundfiffi bangen.«

»Dann allerdings«, meinte der Mann. »Diesen Schock wollen wir der Dame denn doch ersparen. Bringen Sie also den Abgott per pedes zu seinem Frauchen, ich folge errötend Ihren Spuren und halte in angemessener Entfernung. Ist es weit bis zu Ihrem trauten Heim?«

»Nein, vielleicht fünf Minuten. Sie brauchen erst gar nicht anzufahren, sondern können hier warten.«

»Na, gnädiges Fräulein, da möchte ich doch mit meinem Freund Arnulf Alwart sprechen: Truu de Düwel dem Ap’theker.«

Da wandte sie sich achselzuckend ab, eilte davon, und er folgte langsam. Eigentlich eine Kateridee, sich mit diesem abweisenden Mädchen zu befassen. Aber so war er nun mal: sofern er auf Widerstand stieß, begann ihn eine Sache zu reizen. Das heißt, bei Frauen war ihm das noch nicht vorgekommen, daß sie ihm Widerstand leisteten. Und es wäre ja gelacht, wenn diese kleine Fledermaus die erste sein sollte.

Aha, jetzt verschwand das graue Nönnelein in einem Haus. Also stoppte auch er, steckte eine Zigarette an und wartete.

Und dann sah er die Maid aus der Haustür treten. Und zwar nicht aufgeputzt, wie ein Mädchen zum Stelldichein zu gehen pflegt, sondern in dem Regenmantel, grau in grau, wie ein vom Glück benachteiligtes Mägdlein, wie ein Stiefkind des Schicksals.

So was war dem verhätschelten Frauenliebling der mondänen Welt denn doch noch nicht vorgekommen. Sie wollten doch alle, alle immer so schön wie möglich sein, schön für ihn.

Aber das da war ihm neu. Und daher äußerst reizvoll. Er öffnete den Schlag, sie stieg ein und sagte entschieden spöttisch:

»Da bin ich, mein hartnäckiger Herr. Und was nun?«

»Nun fahren wir dahin, wo es Gutes zu essen gibt. Kennen Sie so ein Lokal?«

»Ja. Es liegt zwar nicht in der Stadt, aber das macht Ihnen wohl nichts aus?«

»Durchaus nicht. Doch warum muß das Lokal so abgelegen sein? Wollen Sie sich etwa in der Stadt nicht mit mir sehen lassen?«

»Erraten. Wohl habe ich wenig Bekannte hier, aber man kann nie wissen, ob nicht gerade einer von den wenigen mich auf diesem verbotenen Pfade ertappt. Und ich möchte meiner lieben alten Dame keinen Kummer machen.«

»Aha, nun weiß ich Bescheid. Wunderbar erklärt. Und wie soll ich nun fahren?«

»Geradeaus. Wenn Sie halten sollen, gebe ich Ihnen einen Wink.«

Das tat sie, nachdem der Wagen wohl fünf Minuten dahingeflitzt war.

Es war gerade kein erstklassiges Lokal, das sie kurz darauf betraten, aber anständig und anheimelnd. Vorläufig nur mäßig besucht, weil gerade die Mittagszeit begann.

Die Angekommenen wählten einen Tisch in einer Nische. Und der Herr Ober, der ihnen die Mäntel abnahm, mochte sich wohl darüber wundern, wie der Mann, dem man seine vornehme Herkunft ansah, zu dieser fast ärmlich gekleideten Begleiterin kam. Denn der Pullover, den sie trug, war gewiß nicht elegant, und doch hatte ihre Erscheinung etwas unbedingt Damenhaftes. Das nahm auch der Mann wahr, der ihr gegenübersaß.

Sie hat einen stolzen Mund, setzte er seine diskrete Beobachtung fort, ein weichgeschnittenes Gesicht und ein feines Näschen. Wenn nur diese scheußliche Brille nicht wäre.

Schön waren die Haare, von hellem Braun mit metallischem Glanz. Die Wellen und Ringellöckchen, wahrscheinlich Natur, nur in ungefälliger Frisur geordnet. Direkt mißhandelt, stellte er mit Bedauern fest.

Und dann hatte ihre Art etwas Vornehmes, sie war sogar von einer reizvollen Nonchalance. Und dann das Lachen – ungemein weich und goldig, dann wieder amüsiert oder gar spöttisch.