EINE GLATTE LÜGE - Sara Woods - E-Book

EINE GLATTE LÜGE E-Book

Sara Woods

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Beschreibung

Antony Maitlands neuer Fall erweist sich als überaus schwierig: Der Mandant des Londoner Staranwalts ist angeklagt, Landesverrat begangen zu haben - und obendrein wird er der Bigamie bezichtigt, was die Geschworenen nicht für ihn einnehmen dürfte. Und dann geschieht ein Mord...

Sara Woods (eigtl. Lana Hutton Bowen-Judd, * 7. März 1922 Bradford, Yorkshire, England; † 5. November 1985 Toronto, Ontario, Kanada) war eine britische Kriminal-Schriftstellerin.

Der Roman Eine glatte Lüge erschien erstmals im Jahr 1983; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1985.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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SARA WOODS

 

 

Eine glatte Lüge

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 157

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

EINE GLATTE LÜGE 

Prolog 

Regina versus Ryder (1974) 

Mittwoch, der zweite Tag der Verhandlung 

Donnerstag, der dritte Tag der Verhandlung 

Verhandlungspause über das Wochenende 

Montag, der vierte Tag der Verhandlung 

Montag, nach dem Urteil 

Epilog 

 

 

Das Buch

 

Antony Maitlands neuer Fall erweist sich als überaus schwierig: Der Mandant des Londoner Staranwalts ist angeklagt, Landesverrat begangen zu haben - und obendrein wird er der Bigamie bezichtigt, was die Geschworenen nicht für ihn einnehmen dürfte. Und dann geschieht ein Mord...

 

Sara Woods (eigtl. Lana Hutton Bowen-Judd, * 7. März 1922 Bradford, Yorkshire, England; † 5. November 1985 Toronto, Ontario, Kanada) war eine britische Kriminal-Schriftstellerin.

Der Roman Eine glatte Lüge erschien erstmals im Jahr 1983; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1985.  

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

   EINE GLATTE LÜGE

 

 

 

 

 

 

 

»Die höfliche Erwiderung... Die bescheidene Bemerkung...

Die mürrische Antwort... Der mutige Tadel... Der streitsüchtige Einhalt...

Die zufällige Lüge... Die glatte Lüge.«

 

- Shakespeare

Wie es euch gefällt, V. Akt, 4. Szene 

 

 

 

 

 

  Prolog

 

 

 

Montag, der 11. März 

 

 

1

 

 

»Es ist alles schön und gut, Geoffrey«, sagte Antony Maitland, und Geoffrey Horton, sein alter Freund und Anwaltskollege, der ihm einen Fall aufschwatzen wollte, senkte den Blick, weil er zu Recht vermutete, dass die Sache von Anfang an unglücklich gelaufen war, »du bittest mich also, einen Mann zu verteidigen, der ganz offensichtlich schuldig ist...«

»Sei nicht naiv, Antony«, unterbrach ihn Geoffrey. »Es wäre das Allerneueste, wenn du mir weismachen wolltest, alle deine Mandanten seien unschuldig.«

»...und obendrein noch unter der Anklage des Landesverrats«, fuhr Maitland unbeirrt fort, wobei er den Einwurf als unerheblich abtat, was er vielleicht auch war. »Ja, ich weiß, du hast mir geraten, auf Nicht schuldig zu plädieren, aber dann konntest du mir auch nicht mehr bieten als eine Verteidigung unter dem Motto Ich bin es nicht gewesen, ätsch.«

»Was gar keine so schlechte Verteidigung wäre, falls er es wirklich nicht gewesen ist und falls du das beweisen kannst«, erklärte Geoffrey einlenkend. »Immerhin, der Bursche ist nicht wegen Landesverrat angeklagt worden, sondern wegen Verletzung der Geheimhaltungspflicht.«

»Ach, das ist doch nur eine reine Formsache, das weißt du so gut wie ich. Ein Mann, der sein Land verrät...«

»Du hast auch Guy Harland verteidigt, und der hat eindeutig Landesverrat begangen.«

»Das war vor zehn Jahren.«

»Vor zwölf«, verbesserte ihn Geoffrey, der in solchen Dingen aufreizend pedantisch sein konnte.

»Also schön, dann eben vor zwölf. Und du weißt, was geschehen ist. Harland behauptete, es sei obendrein ein Fall von Personenverwechslung, und dann hat er während des Prozesses seine Haltung drastisch geändert.«

»Aber er ist dabei geblieben, sich nicht für schuldig zu bekennen.«

»Stimmt«, räumte Antony unwillig ein.

»Und das hat sich dann ja auch als richtig herausgestellt. Ansonsten sind die beiden Fälle völlig verschieden«, sagte Geoffrey etwas zuversichtlicher.

»Guy Harland war unschuldig, wenn er auch zunächst gelogen hat, was seine Identität betraf. Das ist ein Unterschied... Findest du nicht?«

»Mein Auftrag...«

»Zum Teufel mit deinem Auftrag«, sagte Maitland gereizt. »Glaubst du denn die Geschichte, die ich deiner Meinung nach vor Gericht vertreten soll?«

»Ja, also... Ehrlich gesagt, nein. Das heißt, nicht unbedingt.«

»Na also!« Es passte ihm im Augenblick nicht, dem Zögern Geoffreys bei seiner Antwort Gewicht beizumessen. »Nenne mir einen einzigen Grund«, sagte er, »warum ich den Fall übernehmen soll, und ich gebe mich zufrieden.«

»Weil ich möchte, dass du ihn übernimmst«, antwortete Horton kurz und bündig.

»Aber...« Einen Augenblick lang blieb Maitland die Sprache weg angesichts dieser mehr als schlichten Erklärung. »Aber warum möchtest du das?«, wollte er wissen.

»Natürlich ist es eine Zumutung, wenn ich dich bitte, einen Fall in so fortgeschrittenem Stadium zu übernehmen«, sagte Geoffrey, womit er Maitlands zu erwartendem Einwand zuvorgekommen war. Aber Maitland wischte auch diese Bemerkung mit Ungeduld beiseite.

»Du brauchst bei mir nicht um den heißen Brei herumzureden«, erklärte er. »Ich weiß, wenn Kevin O’Brien nicht diese akute Blinddarmentzündung bekommen hätte...«

»Seine letzten Worte, als man ihn in den Operationssaal rollte, waren Besorgt euch Maitland«, berichtete Geoffrey, für den solche dramatischen Äußerungen sehr uncharakteristisch waren.

»Kevin zeigt bemerkenswert großes Mitleid bei aussichtslosen Fällen«, erklärte Antony unbeeindruckt.

»Würdest du nicht sagen, das trifft auch auf dich zu?«

Maitland überlegte. »Das mag stimmen, wenn auch in anderer Weise«, räumte er ein. Und dann zögerte er vor seiner nächsten Bemerkung, was jemandem, der ihn so gut kannte wie Geoffrey, auffallen musste.

»Da ist doch noch etwas im Busch, Antony«, sagte er vorwurfsvoll. »Es kann nicht deine Überlastung mit Arbeit sein, trotz der kurzen Frist, die ich dir geben kann.«

»Überhaupt keine Frist, genau gesagt«, warf Antony korrigierend ein.

»...denn Mallory sagte mir, dass einer deiner Mandanten, dessen Fall in nächster Zeit behandelt werden sollte, verschwunden ist, ohne eine Adresse zu hinterlassen.«

Darüber musste Maitland grinsen. »Das stimmt allerdings«, sagte er. »So etwas kommt vor, und in diesem Fall ist es, zumindest aus der Sicht meines Mandanten, das Beste, was er tun konnte. Aber darauf kommt es gar nicht an.«

»Worauf kommt es denn an?«

»Es gibt eine Komplikation, von der du nichts weißt, Geoffrey.«

»Dann schlage ich vor, du berichtest mir davon.«

»Ja, natürlich. Es geht um diesen Gollnow.«

»Doktor Boris Gollnow?«

»Genau. Der Kerl, von dessen Asylersuchen die Zeitungen seit ein paar Wochen voll sind.«

»Und was ist mit ihm?«

»Er war zweifellos Mitglied der russischen Botschaft, aber eigentlich arbeitete er als Sonderbeauftragter der Abteilung T des KGB.«

»Das wurde zwar nicht in den Zeitungen berichtet, aber ich verstehe nicht, was das für einen Unterschied macht. Ich weiß noch nicht einmal, was es bedeutet«, sagte Horton aufrichtig.

»Darauf kommt es jetzt nicht an, außer der Tatsache, dass er, als er um politisches Asyl nachsuchte, den Behörden ein Quidproquo anbieten konnte.«

»Ja, ich weiß. Informationen über Nesbit und Ryder.«

»Das habe ich nicht gemeint. Es ging um etwas Technisches und um etwas, das geheim bleiben sollte. Das Dumme ist, dass niemand weiß, ob man Doktor Boris Gollnow glauben kann oder nicht.«

»Das wird bedauerlicherweise seinen Wert als Belastungszeugen für John Ryder kaum beeinträchtigen.«

»Das darfst du nicht so sehen, Geoffrey. Tatsache ist, ich bin gebeten worden, an der einen oder anderen Vernehmung teilzunehmen, weil man hören will, was ich von ihm halte.«

»Aber das ist verrückt!« Geoffrey war ungehalten. »Wenn es jemals einen Menschen gegeben hat, der keine Ahnung von technischen Dingen hat...«

»Noch weniger als keine«, stimmte ihm Maitland zu.

»Und obendrein sprichst du kein Wort Russisch«, sagte Geoffrey, als würde das die Angelegenheit völlig zum Scheitern verurteilen.

»Die Sprache ist in diesem Fall kein Problem. Doktor Gollnow spricht offenbar fließend Englisch, sonst hätte er nicht hier bei der Botschaft arbeiten können. Das Dumme ist, Geoffrey, seit dieser Geschichte in New York glaubt man, ich bräuchte einen Mann nur anzusehen, um zu wissen, ob er lügt oder nicht. Ich wollte, es wäre wirklich so«, fügte er bedauernd hinzu.

»Das hättest du mir aber auch gleich sagen können«, erklärte Horton.

»Und dir die Mühe sparen, all deine Argumente auszuführen? Außerdem: Ich habe dem Vorschlag bisher nicht zugestimmt und fühle mich auch keineswegs dazu verpflichtet, weil ich nicht glaube, dass es irgendjemandem etwas nützt.«

»Dann wärst du ja frei und könntest den Fall übernehmen«, sagte Geoffrey rasch. »Und damit bist du in der anderen Sache aus dem Schneider, denn niemand kann dir zumuten, auf beiden Seiten tätig zu werden.«

»Nein, das kann man nicht - oder?« Antony lächelte über den Eifer seines Freundes, obwohl er die Wahrheit seiner eigenen Behauptung anzweifelte. »Zugegeben, es ist ein brauchbarer Grund, dich aus der Klemme zu holen, in die Kevins Blinddarm dich gebracht hat.«

»Und angenommen, John Ryder ist unschuldig - das wäre doch ein weiterer, noch überzeugenderer Grund«, sagte Horton.

»Sag mir jetzt nicht, dass du in das Fahrwasser des alten Bellerby gerätst.« Mr. Bellerby, der bekannte Solicitor, bekannt für seine unerschütterliche Freundlichkeit gegenüber allen Mandanten, war Hortons Schwiegervater.

Geoffrey ignorierte die Frage. »Nein, aber wenn er nun wirklich unschuldig ist?«, wiederholte er.

»Du musst einen Grund für diese Vermutung haben. Und jetzt fällt es mir wieder ein: Du hast ein bisschen gezögert, vorhin, als ich dich fragte, ob du seine Geschichte glaubst oder nicht.«

»Nun, ich neige eher dazu, an ihr zu zweifeln, aber - und das hast du mir selbst oft genug gesagt, Antony - ich bin nicht der Richter und auch nicht die Jury.«

»Nun, ich auch nicht. Aber das kann doch noch nicht alles sein.«

»Nein. Mrs. Ryder hat mich besucht.«

»Das war außerordentlich ungehörig von ihr, angesichts der Tatsache, dass sie eine der Hauptzeugen der Anklage ist.«

»Ich meinte nicht diese Mrs. Ryder, sondern die andere«, sagte Geoffrey und drückte sich somit unklarer aus, als es gemeinhin seine Art war.

»Oh, ich verstehe. Hast du dich vielleicht sogar an sie gewandt, um festzustellen, ob es etwas gibt, was man als mildernde Umstände anführen könnte?«

»Nein. Ryder bestand darauf, dass ich sie nicht mit hineinziehe. Sie erwartet ein Baby... Es kann, ihrem Aussehen nach zu urteilen, jeden Augenblick soweit sein«, fügte er hinzu, »und ich nehme an, er befürchtete, dass sie sich zu sehr aufregt. Aber ich hatte auch das Gefühl, er glaubt, dass sie ihm seine Geschichte nicht abnimmt und daher nicht bereit ist, zu seinen Gunsten auszusagen.«

»Doch da irrt er sich?«

»Im wahrsten Sinne des Wortes. Selbst im Hinblick auf den Charakter ihres Mannes und die enge Beziehung zu ihm wirkt sie bemerkenswert überzeugend.«

»Sogar auf einen alten Zyniker wie dich?«

»Wenn du es so bezeichnen willst. Sie behauptet, sie habe die Finanzen der Familie verwaltet. Selbst wenn es ihnen schlechtging - was mehrmals im vergangenen Jahr der Fall gewesen sei, da sie wegen der Schwangerschaft ihren Job aufgegeben habe -, hat er nie einen Versuch gemacht, einen zusätzlichen Beitrag zum Haushaltsgeld zu leisten. Was er ohne weiteres hätte tun können, wenn er über ein Einkommen aus einer anderen Quelle verfügt hätte. Er hätte ihr ja eine Geschichte über eine Leistungsprämie oder was weiß ich erzählen können.«

»Niemand sagt, dass er die Wohnung in London selbst bezahlt hat, schon gar nicht von dem Gehalt, das er mit seinem eigentlichen Job verdiente.«

»Nein, aber... Nun ja, das ist zum Beispiel einer der interessanten Punkte«, sagte Geoffrey stur. »Sie ist eine nette Frau, Antony, und hat eine Chance verdient.«

»Bist du sicher, es wäre eine Chance für sie, wenn ihr Mann zu ihr zurückkommen würde? Und damit wären wir gleich beim nächsten Punkt, Geoffrey: Ich bin mir nicht klar darüber, welche von den zwei Frauen, die dein Mandant geheiratet hat, die richtige Mrs. Ryder ist.«

»Die, von der ich zuletzt gesprochen habe. Sie heißt Caroline, aber Ryder nennt sie Carol. Sie haben vor drei Jahren geheiratet, mindestens sechs Monate bevor die andere Zeremonie stattgefunden hat.«

»Hat sie nichts dagegen, mit einem Bigamisten verheiratet zu sein?«

»Sie glaubt nicht, dass das der Fall ist. Sie nimmt ihm jedes Wort ab.«

»Und du bist dir nicht sicher«, sagte Maitland nachdenklich. »Na schön, Geoffrey, ich werde tun, was du wünschst, aber nur, um dir zu helfen, und nicht, weil ich auch nur ein Wort von diesem Gewäsch glaube. Kann ich mit Kevin sprechen?«

»Heute auf keinen Fall; er ist erst am Vormittag operiert worden. Und da wir höchstwahrscheinlich morgen schon bei Gericht sind« - Antony stöhnte, gab aber keinen Kommentar dazu -, »wirst du einmal im Leben den Schriftsatz studieren müssen.«

»Das tu’ ich immer«, behauptete Maitland automatisch.

Geoffrey hatte seine Mappe geöffnet und legte einen großen Stapel von Papieren auf den Schreibtisch. »Ist das alles?«, fragte Antony entsetzt. »Es ist dir wohl klar, dass ich damit die ganze Nacht beschäftigt sein werde.«

»Es wäre nicht das erste Mal«, entgegnete Geoffrey herzlos. »Möchtest du Ryder morgen früh sprechen?«

»Nicht unbedingt. Sind das hier alles Beweismittel der Anklage?«

»Alles, ausgenommen Ryders Erklärungen und ein paar andere kleine Dinge.«

»Dann sieht es so aus, als ob ich den Gentleman in den nächsten Tagen ohnehin oft genug zu Gesicht bekommen würde.«

Geoffrey war aufgestanden und schaute zu, wie Antony die Unterlagen in seine Aktenmappe packte. »Du wirst daraus ersehen«, sagte er, »dass wir nicht die leiseste Chance haben zu beweisen, dass die übermittelten Informationen unserem Klienten zum Nachteil gereichen.«

»Und es nützt auch nichts, wenn die Sitzungen wenigstens teilweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden?«

»Überhaupt nicht. Gehst du jetzt nach Hause?«, fragte Geoffrey.

»Gleich. Ich muss noch durchgeben, dass ich mich entschlossen habe, bei dem Gespräch mit Gollnow nicht als Beisitzer zu fungieren. Danach...«

»Dann sehen wir uns morgen früh hier, wenn dir das recht ist. Sagen wir, um halb zehn? Bis dahin weiß ich, welche Fälle das Gericht noch zu erledigen hat, bevor wir an der Reihe sind.«

»Also, um halb zehn.« Als Geoffrey hinausging, zog Maitland das Telefon zu sich heran. »Aber rechne nicht damit, dass ich bis dahin alle Einzelheiten im Kopf habe«, rief er dem Freund nach. »Ich lerne, wie Meg das ausdrückt, meine Rollen nur schwer.«

Geoffrey grinste, während er hinausging. Er wusste, dass das genaue Gegenteil richtig war.

 

 

 

2

 

 

Das Gespräch hatte in der Kanzlei von Sir Nicholas Harding im Inner Temple stattgefunden, bei dem auch Maitland Mitglied war. Da außerdem Sir Nicholas sein Onkel war, gab es zwischen ihnen mehr als eine rein berufliche Verbindung, und das war auch der Grund, weshalb er und seine Frau Jenny die beiden oberen Stockwerke im Haus von Sir Nicholas am Kempenfeldt Square bewohnten.

Diese Übereinkunft war bereits vor vielen Jahren getroffen worden, provisorisch, wie man sich damals gesagt hatte, doch daran wollte sich inzwischen keiner der Beteiligten mehr erinnern. Und nach der Hochzeit von Antony und Jenny war der Haushalt noch einmal um eine Person erweitert worden: Sir Nicholas hatte vor inzwischen fast drei Jahren die ehemalige Miss Vera Langhorne, eine Strafverteidigerin, geheiratet, und das war für alle, wie man es auch betrachten mochte, ein Gewinn. Nicht nur, dass man Vera um ihrer selbst willen lieben musste, sie hatte auch bewiesen, dass sie imstande war, einen hervorragenden Einfluss auf das zu umfangreiche und zu untätige Personal von Sir Nicholas auszuüben. Beispiel dafür war der Butler Gibbs, dessen Pensionierung von allen mit Sehnsucht erwartet wurde. Er liebte es zwar noch immer, den Märtyrer seiner Pflichten zu spielen, aber vielleicht nicht mehr ganz so penetrant wie in den Tagen vor Veras Ankunft in diesem Hause.

Immerhin schlich er auch jetzt noch jeden Abend in der großen Halle herum, bis er sicher war, dass alle zu Hause waren, und auch an diesem Abend machte er keine Ausnahme. Aber außer der Bemerkung »Sie kommen spät, Mr. Maitland« - was natürlich heißen sollte, dass dieses in gewisser Weise ein Akt der Rücksichtslosigkeit den anderen gegenüber sei - gestattete er Antony, ohne weitere Diskussion hinaufgehen zu dürfen in seine Wohnung.

Obwohl die Wohnung keineswegs in sich abgeschlossen war, gab es für die Maitlands immerhin eine eigene Wohnungstür auf dem Treppenabsatz der zweiten Etage. Als man das Haus beim Einzug von Jenny geteilt hatte, waren alle möglichen Regeln aufgestellt worden, doch Antony konnte sich nicht erinnern, dass auch nur eine davon eingehalten wurde, und es lag wohl auch lange zurück, dass die Maitlands diese Tür absperrten, von einem Anlass abgesehen, an den Antony lieber nicht denken wollte. Ansonsten hatte die Tür ein charakteristisches Quietschen entwickelt, das die Maitlands im Großen und Ganzen recht praktisch fanden und das unter anderem bewirkte, dass Jenny, wenn sie es hörte, auf die Diele herauskam. »Ich dachte, du hättest jetzt etwas mehr Luft«, sagte sie, »nachdem dir dieser Mandant davongelaufen ist, aber ich kann nicht behaupten, dass du heute besonders früh nach Hause kommst.«

»Das hat mir Gibbs schon vorgeworfen, Liebes«, protestierte Antony. »Und ich fürchte, inzwischen hat sich die Lage völlig umgekehrt. Geoffrey hat einen Fall, den ich sofort übernehmen soll. Wahrscheinlich gehen wir damit morgen schon vor Gericht.«

»Das ist aber ungewöhnlich für Geoffrey.« Antony war müde, das konnte sie deutlich erkennen. Immerhin war die Sitzungsperiode in vollem Gang, und man konnte nicht behaupten, dass sie bisher für ihren Mann einfach gewesen wäre. Aber Jenny hatte sich vorgenommen, nicht mit ihm über solche Dinge zu sprechen. Stattdessen sagte sie: »Komm rein, ich mach’ dir einen Drink. Du brauchst dich nicht zu beeilen, das Abendessen kann ruhig noch ein wenig warten. Und nun«, fuhr sie fort, nachdem sie ihm einen Sherry serviert, sich auf ihren Lieblingsplatz auf dem Sofa zurückgezogen und gesehen hatte, dass Antony sein Sherryglas auf den Kaminsims neben die Uhr gestellt hatte, »möchte ich wissen, was Geoffrey diesmal von dir will.«

»Ich soll einen Mann namens John Ryder verteidigen.«

»Der Mann, der von diesem Russen belastet worden ist?«

»Genau den. Kevin O’Brien hatte den Fall übernommen, aber er liegt im Krankenhaus und ist heute am Blinddarm operiert worden.«

»Warum hat dich Geoffrey nicht gleich damit beauftragt?«

»Weil ich ziemlich sicher bin, dass Kevin in diesem Fall die bessere Schau abgezogen hätte.«

»Das ist Unsinn, Antony, und du weißt es genau.«

Maitland schüttelte den Kopf. »Die großen Galen von Irland«, sagte er, als erkläre das alles.

»Was, um alles in der Welt, willst du damit sagen?« frage Jenny und schaute ihn völlig verdutzt an.

»Denn die großen Galen von Irland«, wiederholte Antony zuvorkommend, »sind die Männer, die Gott selbst gemacht. Im Kriege sind sie fröhlich, doch traurig sind ihre Lieder. Nicht, dass die beiden letzten Zeilen unbedingt zutreffen müssen«, fügte er nachdenklich hinzu.

»Ich glaube, ich verstehe«, sagte Jenny skeptisch. »Ich meine, warum Geoffrey ihn dafür haben wollte. Aber es überrascht mich doch ein wenig, dass du zugesagt hast.«

»Wahrscheinlich hätte ich nicht zugesagt, wenn er gleich zu mir

gekommen wäre. Aber jetzt befindet er sich in einer schwierigen Lage. Er muss jemanden finden, und du weißt, meine Liebe, wir sind Geoffrey manche Gefälligkeit schuldig.«

»Ja, ich weiß. Ich möchte nur nicht, dass du Fälle übernimmst, die dir Sorgen machen.«

»Ich bin sicher, dieser Fall wird mir nicht die geringsten Sorgen bereiten. Das verspreche ich dir - wenigstens keine Sorgen von der Art, auf die du anspielst. Aber in meiner Mappe ist ein Riesenhaufen Papiere, die ich heute Abend noch durchgehen muss, weil es, wie gesagt, sehr wahrscheinlich ist, dass der Fall bereits morgen verhandelt wird, und ich weiß darüber momentan noch gar nichts, außer dass Halloran der Ankläger ist und dass wir nichts zur Verteidigung anzuführen haben als das Leugnen des Angeklagten.«

»In diesem Fall sehe ich wenig Sinn darin, dass du die Papiere überhaupt durchsiehst«, sagte Jenny und lächelte ihn an. Er stand an seinem bevorzugten Platz, etwas seitlich vom offenen Kamin, in dem ein Feuer brannte, und jetzt drehte er sich nach rückwärts, um sein Glas vom Kaminsims zu nehmen: ein großer Mann mit dunklem Haar, einem schmalen, intelligenten Gesicht und mehr Humor und Gefühl, als es für ihn gut war. Danach wandte er sich wieder Jenny zu und stellte fest, dass ihn ihre grauen Augen ein wenig besorgt anblickten. Er erwiderte ihr Lächeln und dachte dabei, dass sein Leben ohne die heitere Gelassenheit seiner Frau nicht selten schwierig und manchmal unerträglich wäre.

»Es ist noch etwas dran an dem Fall«, sagte er so leichthin wie möglich. »Unser Mandant scheint ein Bigamist zu sein.«

»Die Zeitungen waren in diesem Punkt nicht sonderlich informativ«, erwiderte Jenny.

»Nicht in bezug auf die Bigamie«, bestätigte Antony.

»Natürlich. Es wäre Missachtung des Gerichts in einem Fall, der vor der Verhandlung steht«, sagte Jenny klug. »Trotzdem habe ich den Eindruck gewonnen... Ich meine, es ist schon eine Menge geschrieben worden, ohne dass die Reporter sich genauer damit befasst hatten, nicht wahr?«

»Das kann man behaupten«, sagte Antony ein wenig lahm. »Nach dem, was ich inzwischen weiß, gibt es manche Aspekte in den Aussagen Gollnows, die besser nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollten.«

»Ich verstehe«, sagte Jenny skeptisch. »Heißt das, du kannst mit uns nicht darüber sprechen?«

Maitland musste über ihre Bemerkung lachen, obwohl sie Erinnerungen wachrief, die ihm kein Vergnügen bereiteten. »Meine liebste Jenny, ich glaube kaum, dass bei einer öffentlichen Verhandlung besonders prekäre Geheimnisse ausgeplaudert werden«, erwiderte er ihr.

»Na schön, die Juristen werden es schon wissen. Ich nehme an, der Mann plädiert auf nicht schuldig.«

»Wenn er das nicht täte, hätte Geoffrey keine solche Mühe gehabt, einen Verteidiger für seinen Mandanten zu finden.«

»Das stimmt. Glaubt Geoffrey denn, dass er nicht schuldig ist?«

»Ich fürchte, der gute Geoffrey wird auf die alten Tage ein bisschen weich«, sagte Antony. »Soweit ich es feststellen konnte, glaubt er ihm nicht unbedingt, aber er ist auch nicht sicher, ob er belogen wird. Übrigens, Ryder hat offenbar eine höchst attraktive Frau.«

»Welche? Ich meine, welche von den beiden?«

»Soviel ich weiß, gilt das für beide. Aber ich spreche jetzt von seiner wirklichen Frau, mit der er in Wolverhampton wohnte, nicht von der mit der Wohnung in der Stadt.«

»Mein Lieber, das ist wirklich höchst verwirrend.«

»Nicht wahr?« Er trank den Sherry aus, schenkte Jenny und sich noch einmal nach, und statt sich wie üblich auf dem Sessel niederzulassen, kam er zu ihr her und setzte sich neben sie auf das Sofa. »Aber deshalb brauchst du dir keine Sorgen zu machen, Liebes«, versicherte er ihr. »Selbst wenn ich mich einmischen wollte, wie Onkel Nick das zu bezeichnen pflegt, ich hätte nicht mehr die Zeit dazu.«

»Nein, vermutlich nicht.« Jennys Stimme klang immer noch zweifelnd. »Also gibt es nichts an der Sache, was Onkel Nick missfallen könnte«, fügte sie etwas fröhlicher hinzu, nachdem sie kurz nachgedacht hatte.

»Gar nichts, meine Liebe«, bestätigte er ihr. »Bis auf die Tatsache«, erklärte er dann der Vollständigkeit halber, »dass Onkel Nick immer einen Grund zum Meutern findet, wenn er sich ernsthaft mit einer Sache befasst.«

 

 

 

 

  Regina versus Ryder (1974)

 

 

 

 

Der Prozess

 

 

Dienstag, der erste Tag der Verhandlung

 

 

1

 

 

Der Prozess wurde vor der Ersten Kammer im Old Bailey verhandelt, und es war bemerkenswert, dachte Maitland, während er auf der Verteidigerbank saß und auf den Richter wartete, wieviel ernster man diesen Fall zu nehmen schien als selbst einen Mordprozess. Vielleicht verfügte der Mann auf der Straße selbst in diesen Zeiten noch über so etwas wie ein angeborenes Gefühl für Patriotismus. Die Stille war fast vollkommen; es gab kein Scharren und kein Hüsteln, kein Rascheln, wenn die Reporter ihre Notizblöcke umblätterten.

Und um sich Wichtigerem zuzuwenden: Der Ankläger, Queen’s Counsel Bruce Halloran, ein gefürchteter Strafverfolger zu jeder Zeit, war offenbar völlig sicher, dass er sämtliche Fakten, die er für den Prozess und für eine Verurteilung des Angeklagten benötigte, besaß. Auch er saß still an seinem Platz, und die Bücher und Akten, die er vor sich auf dem Tisch gestapelt hatte, waren bisher unberührt geblieben. Mr. Hawthorne, sein gelehrter Freund und Beisitzer, wirkte ebenso ruhig und entspannt.

Und auch das Team der Verteidigung tat nichts, um die allgemeine Atmosphäre einer erwartungsvollen Ruhe zu stören. Maitland hatte sich vor Beginn der Verhandlung halb amüsiert, halb verärgert einem Kreuzverhör seines Solicitors unterzogen, bei dem es um das Ergebnis seines Aktenstudiums und der Zusammenfassung über den Fall gegangen war. Außerdem hatte er seinen Juniorpartner Derek Stringer, der von Anfang an in die Affäre eingeweiht worden war, genau über den Fall informiert. Derek war seit langem mit ihm befreundet und residierte ebenfalls in der Kanzlei von Sir Nicholas. Antony wusste, dass er ihm voll und ganz vertrauen konnte, und Stringer war stets bereit, in die Bresche zu springen, falls Antony einmal vom richtigen Pfad abweichen sollte. »Eines freilich macht mich stutzig«, hatte dieser bei der Besprechung gesagt, »nämlich, dass Ryder es für sinnvoll hält, überhaupt einen Verteidiger zu benennen. Warum plädiert er nicht auf schuldig und harrt der Dinge, die da kommen?«

Stringer hatte dazu nur mit den Achseln gezuckt. Er ließ sich nicht so leicht aus der Fassung bringen, und wenn er erleichtert war darüber, dass sein Meister diesmal auf einen Kreuzzug zu verzichten schien, ließ er sich das jedenfalls nicht anmerken. Stringer würde ihm folgen, wie Maitland wusste, und zwar ohne Fragen zu stellen und ohne sich zu beschweren, aber auch ohne seine eigene Meinung zu der Angelegenheit zu äußern.

Aus beruflichen Gründen bedauerte er es keineswegs, dass Halloran die Anklage führte. Wenn er ihm unterliegen würde, womit ziemlich sicher zu rechnen war, dann war das wenigstens eine Niederlage vor einem erstklassigen Gegner. Sicher, auch Halloran war ein alter Freund seines Onkels, und der Prozess würde vermutlich danach monatelang Stoff für Scherze und Sticheleien liefern, doch Antony sah keine Möglichkeit, dies zu vermeiden. Er war auch froh darüber, dass Richter Carruthers den Prozess leitete. Er war ein Mann des fairen Ausgleichs und nie so heftig und ungeduldig wie manche seiner Amtsbrüder auf der Bank, wenn die Verteidiger zu Mitteln griffen, welche als unorthodox galten. Nicht, dass Antony für diesen Prozess so etwas wie ein Feuerwerk vorbereitet hätte - dazu war der Fall zu geradlinig.

Und jetzt betrat Richter Carruthers den Gerichtssaal. Er sah nicht älter aus als Vorjahren bei Maitlands erster Begegnung mit ihm - einer jener Männer, die nicht zu altern schienen, weil sie nie jung ausgesehen hatten. Er war klein, und Maitland fand, er hatte das Gesicht eines intelligenten Bluthunds; wenn das eine respektlose Beschreibung war, so lag die Schuld eindeutig bei ihm und nicht beim Richter.

Carruthers seinerseits war natürlich informiert worden, dass Maitland anstelle von Kevin O’Brien die Verteidigung vor Gericht übernommen hatte - zweifellos, um seinem Freund Horton einen Gefallen zu tun, und nur aus diesem Grund. Es wird interessant sein, dachte der Richter ein klein wenig boshaft, zu sehen, was der berühmte Maitland aus einer so gut wie hoffnungslosen Situation macht. Und da war auch Derek Stringer, ein pflichtbewusster, präziser Begleiter seines etwas launischen Herrn und Meisters, ein sehr großer Mann, frühzeitig kahl geworden, der im Umkleideraum, wie der Richter wusste, sein Haarteil abnehmen musste, wenn er die Perücke aufsetzte.

Bruce Halloran war seiner Lordschaft natürlich ebenfalls gut bekannt. Mit Überraschungen war kaum zu rechnen; Halloran würde die Anklage komplett darlegen, manchmal fast wütend und wild, und doch ohne sich auch nur für Sekunden die Sympathie der Geschworenen zu verscherzen. Der Ankläger war ein großer Mann mit sehr dunklem Teint, was unter der Perücke besonders deutlich auffiel. Und er verfügte über eine zu seiner Größe passende Stimme, die er meist unter Kontrolle hielt, aber gelegentlich in überaus beeindruckender Weise durch den Gerichtssaal dröhnen lassen konnte.

Die Geschworenen wirkten etwas befangen und verlegener als gewöhnlich, was freilich bei einem derartigen Prozess nicht anders zu erwarten war. Der Angeklagte, der zwischen zwei Gefängniswärtern saß, war ein gutaussehender Mann, ganz und gar nicht, was man erwartet hätte... Aber die jungen Leute hatten heutzutage eben häufig merkwürdige Vorstellungen. Die Straftat, deren er sich laut Anklage schuldig gemacht hatte, war in den Augen seiner Lordschaft des Richters besonders geschmacklos, obwohl er gerechterweise zugeben musste, dass es durchaus möglich war, eine solche Tat mit bestem Gewissen und guten Glaubens zu begehen. Das mit den zwei Frauen freilich, ein Vergehen, das hier nicht unbedingt zur Debatte stand, war eine andere Sache. Auch dabei musste man wieder die Moral der jüngeren Generation in Rechnung stellen...

Die Anklageschrift war verlesen worden, jetzt war es an der Zeit, sich auf Hallorans Eröffnungsworte zu konzentrieren. Richter Carruthers nahm seinen Füllfederhalter, den sein Bürodiener jeden Morgen als erstes mit Tinte aufzufüllen hatte, und gab sich aufmerksam und interessiert, wobei er aus dem Augenwinkel bemerkte, dass Maitland seiner Gewohnheit entsprechend auf dem Sitz nach hinten gerutscht war und sich für ein Nickerchen einzurichten schien.

Wenn Antony in Wirklichkeit nicht fast so aufmerksam wie der Richter zugehört hätte, so hatte er doch beim Studium der Unterlagen - das ihn übrigens trotz der von Geoffrey geäußerten Zweifel bis in die frühen Morgenstunden beschäftigt hatte - genug erfahren, um ebenso gut wie Halloran ein Eröffnungsplädoyer halten zu können. Dennoch lauschte er mit geschlossenen Augen den Worten seines Prozessgegners, denn schließlich war es durchaus möglich, dass ihm das eine oder andere entgangen war, Details, wie sie sich ihm erst bei einem eingehenderen Studium enthüllt hätten. Aber wie der Richter interessierte auch er sich zugleich für den Gefangenen, den er zum ersten Mal zu Gesicht bekam, und er bemerkte, dass er dabei war, sich durch die Person John Ryders von Hallorans sorgsam vorbereitetem Vortrag ablenken zu lassen, indem er sich überlegte, mit wem er es dort drüben auf der Anklagebank zu tun haben mochte.

Doch so groß war die Versuchung wiederum nicht, weil ihm ärgerlicherweise mit dem Anblick von John Ryder eine Passage aus einer Gilbert-und-Sullivan-Operette einfiel: Ein gewöhnlicher Typ mit ’nem Stock und ’ner Pfeife und ’nem scheckigen Rösslein dazu... Und Sullivans Musik und Gilberts Textgeklingel lieferten jetzt den Hintergrund für seine Gedanken. Nicht, dass Ryder ein schlechtaussehender Mann gewesen wäre: gestanden wäre das zutreffende Wort für ihn gewesen, mit einem angenehm geröteten Gesicht und dichtem, drahtigem, braunem Haar. Aber er sah irgendwie... Ja, irgendwie gewöhnlich sah er aus. Kein Idealist und ganz bestimmt kein Narr. Das Verbrechen des Landesverrats wäre so ziemlich das Letzte gewesen, was man ihm zugetraut hätte. An dieser Stelle wurde es Maitland vermutlich klar, wie wichtig es war, dass er selbst mit Ryder sprach, obwohl er sich selbst später unter Mitwirkung von Derek und Geoffrey einzureden versuchte, dass dieser Entschluss das Ergebnis der Aussage von Boris Gollnow gewesen war.

»...mag es Ihnen erscheinen, meine Damen und Herren Geschworenen« - Halloran war bereits prächtig in Fahrt -, »...dass ein Vergehen dieser Art in Friedenszeiten weniger schändlich erscheint, als wenn unser Land sich im Kriegszustand befände. Seine Lordschaft selbst wird Sie zu gegebener Zeit darüber informieren, was das Gesetz dazu sagt, aber bevor wir die Frage der Schuld des Angeklagten überprüfen, möchte ich noch ein paar Punkte deutlich darlegen. Das Gesetz über die Verletzung der Geheimhaltungspflicht aus dem Jahre neunzehnhundertelf ist durch Zusätze in den Jahren neunzehnhundertzwanzig und neunzehnhundertneununddreißig ergänzt worden und wird in der Praxis als ein einziges Gesetz gehandhabt. Dabei geht es auch um die Beschaffung, das Aufbewahren oder das Weitergeben an andere Personen von Dokumenten oder Informationen, die direkt oder indirekt einem Gegner unseres Landes nützen können. Es gibt genügend Präzedenz-Urteile, die festlegen, was unter einem Gegner zu verstehen ist, nämlich ein potentieller Feind, mit dem wir möglicherweise eines Tages Krieg führen könnten. Es gibt noch einen Passus in dem Gesetz, den ich Ihnen ins Gedächtnis rufen möchte angesichts der Beweise, die ich Ihnen vorlegen werde, und der lautet, dass alle Personen, welche ein solches Verbrechen oder Vergehen unterstützen, dazu anstiften oder dem Täter mit Rat und Tat zur Seite stehen, genauso behandelt werden sollen wie der eigentliche Täter.

Und nun kommen wir kurz zu dem traurigen Bericht über John Ryders Mitwirkung bei dieser unglücklichen Affäre. Wir werden Ihnen Beweise vorlegen, welche die von mir behaupteten Tatsachen belegen und bestätigen, und es liegt dann an Ihnen, das Gewicht dieser Beweise zu werten und zu einer Entscheidung zu gelangen. Aber ich muss Ihnen jetzt schon sagen: Ich gehe davon aus, dass es bei diesem Prozess nur einen Spruch geben kann, und zwar schuldig in allen Punkten der Anklage.