Eine Hütte im Weinberg - Hansjörg Breinlinger - E-Book

Eine Hütte im Weinberg E-Book

Hansjörg Breinlinger

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Beschreibung

Professor Paul begegnet in der Vorlesung einer kurdischen Studentin, die er vor einem aggressiven Studenten beschützen muss. Die Fußtritte des türkischen Studenten erwidert Paul mit einr Ohrfeige, die schwerwiegende Folgen hat. Paul muss die Stadt verlassen und in seine Hütte umziehen. Die Studentin findet ihn wieder und versucht, sein einsames Dasein zu verbessern. Die Angriffe des Studenten mit seinem Familienclan, der sein Bienenhaus anzündet, stören die Freundschaft der beiden, die der Professor durch eine List abwehrt. Als sie aber seine Lebenspartnerin werden möchte, muss sie das mit ihrem Leben bezahlen.

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Hansjörg Breinlinger, Hansjörg Breinlinger

Eine Hütte im Weinberg

Warum ein friedliches Zusammenleben so schwer sein kann?.

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

1

Impressum neobooks

1

Hansjörg Breinlinger

Eine Hütte im Weinberg

Roman

Vorwort

Ein Professor der Philosophie, in weit fortgeschrittenem Alter, hält noch Vorlesungen an der Universität. In seiner geistigen Tätigkeit stellt er an sich selbst und die Studenten hohe Ansprüche, die auch ein umfangreiches Wissen voraussetzen. Die Veränderungen in der Gesellschaft, mit den vielen ausländischen Studenten, betrachtet er als Bereicherung. Dennoch besteht er darauf, dass unsere Werte sowie Kultur geachtet werden und die Gesetze für alle gelten. Dazu gehört auch nach seiner Meinung vor allem, der Respekt und die Würde der Mitmenschen zu achten. Darüber hinaus zählt für ihn auch Emphatik und Hilfsbereitschaft. Auch die Anwesenheit von Studenten aus anderen Kulturen mit eigenwilligen Traditionen, ist ihm nicht entgangen, was das Zusammenleben nicht immer spannungslos macht. Das stellt an uns Fragen zum Verhältnis, von Orient und Okzident, zwischen dem Islam und Christentum, die heute relevanter sind wie nie. Es ist nicht unübersehbar, dass es Abgründe zwischen einer aufgeklärten Gesellschaft mit Demokratie gibt, der eine streng religiöse Gemeinschaft des Orients, nicht gewachsen ist.

Ein gesellschaftskritischer Roman, der zum Nachdenken anregt.

Integration ist nur dann möglich, wenn sie zum Ziel hat, stabile Identitäten hervorzubringen, wenn die Mehrheitsgesellschaft nicht fordert, die Kultur des Herkunftslandes abzulegen. Und wenn es keine Parallelgesellschaften gibt, die die Kultur der Mehrheit bekämpfen.

Seyran Ates

Alle Namen und Figuren dieses Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit realen Menschen und deren Namen ist zufällig.

Inhalt

Provokation einer Vorlesung

Umzug in eine Holzhütte

Die Bergkapelle

Reise nach Westafrika

Die Lehrerin besucht Abidjan

Das Wohnhaus des Gärtners

Rückkehr aus der Gefangenschaft

Eine Burgruine im Wald und das alte Haus

Besuch einer Jurastudentin

Die Bibliothek

Weinlese und das Herbstfest

Winter im Weinberg und alte Traditionen

Immobilienhandel

Der Schrott

Kinder der Emigranten

Anschlag

17. Suche nach dem Täter

erbstfestH

1

Die alte Kirchturmuhr weckte Paul am Morgen, doch sie erinnerte ihn daran, dass er pünktlich zur Vorlesung erscheinen sollte. Das half ihm auf die Beine, um die Kaffeemaschine zu bedienen. Zu dieser Jahreszeit öffnete er das Küchenfenster, ein frischer Wind trieb Seeluft heran. Von der Straße herauf hörte Paul, wie von der Müllabfuhr die Container bewegt wurden, die noch am Abend Hunde oder Füchse durchsuchten. Es waren nur Schatten, die sofort verschwanden, wenn er nachts von seinem Stammtisch zurückging. Die tägliche Gymnastik an der offenen Balkontür war für Paul, den früheren Leistungssportler, ein Muss. Beim Frühstück hörte er den Deutschlandfunk wie jeden Morgen: Im Norden Syriens eroberte die türkische Armee Afrin, warum vertrieb man dort die Kurden, die an der Seite der Amerikaner den IS bekämpften? So etwas konnte man als -Bruch des Völkerrechts- verurteilen. An einem Badestrand in Abidjan, an der Elfenbeinküste, wurde eine Mitarbeiterin des Goetheinstituts bei einem Überfall von islamischen Terroristen getötet. Arbeitete dort nicht seine Tochter? Der Kaffee schmeckte ihm nicht mehr und er schaute auf die Wanduhr, die halb acht anzeigte. Im Treppenhaus grüßte ihn Frau Steiner, eine ältere Nachbarin, die mit ihrer knurrenden Bulldogge in ihrer Wohnung verschwand. Der Hund kläffte in der Nacht, wenn er spät nachhause kam. Auf der Straße gegenüber stand der Apotheker vor dem Eingang, der die Markise herunterdrehte und seinen Gruß mit „Guten Morgen Herr Professor!“ beantwortete. Die wenigen blühenden Kirschlorbeer- und Fliederbüsche in den Vorgärten, vermischten sich mit dem Duft von frischem Brot, der Filiale einer Bäckerei. Auf dem Bürgersteig parkte ein besonders respektloser Freak seinen Porsche, an dem sich Paul und die Passanten mühsam vorbeidrängen mussten. Der Busfahrer musste ihn gesehen haben, er öffnete nochmals die Schiebetür und Paul stieg ein. Die Mappe mit den Vorbereitungen klemmte er unter den linken Arm, die rechte Hand hielt sich an der Halteschleife. Einer jungen Dame, die ihm ihren Sitzplatz anbot, dankte er dafür. Jedoch machte ihn das nachdenklich -sah er schon so alt aus-, oder wurden manche jungen Leute noch so gut erzogen? Er fuhr früher mit dem Fahrrad zur Universität, aber der starke Verkehr mit den Abgasen und der zunehmenden Rücksichtslosigkeit, ließen ihndarauf verzichten. Außerdem wurden schon Leute auf dem Radweg überfallen, das rief ihn zur Vorsicht, bei seinem fortgeschrittenen Alter.

Am Waldrand blühten die Kastanien und die abgefallenen Blüten lagen auf dem Weg, die der Morgenwind aufgewirbelte. Auf der Treppe zum Obergeschoss der Uni begrüßte Paul Herrn Habicht, ein Kollege der Juristen, mit dem er gelegentlich in der Cafeteria Schach spielte. Der FC- Freiburg hat wieder einmal gegen Hamburg verloren, berichtete er ihm. „Das sieht nach Abstieg aus!“ Die Studentenschaft wurde immer bunter, am Eingang zum Hörsaal begrüßten ihn drei Chinesinnen und auf der Liste gab es Namen, die schwer auszusprechen waren.

Bei der Lesung über Martin Heideggers „Sein und Zeit“ kam er aus didaktischen Gründen auf die Griechen, Sokrates und Plato zu sprechen. Dabei erwähnte er die Ilias von Homer, mit den Helden von Troja, eine griechische Stadt in jener Zeit. Ein dunkelhaariger Student hob die Hand und meldete sich, indem er sagte: "Das ist eine türkische Stadt!" „Wenn wir die Geschichte leugnen, ändern wir nichts an den Tatsachen, und auch die Vertreibung der Armenier im osmanischen Reich, muss man als Genozid bezeichnen“, antwortete Paul ihm darauf. Es entstand eine erregte Diskussion zwischen ihm und einer Studentin, die zu entgleisen geriet. Außerdem erinnerte er sich daran, dass türkischer Studenten Hitzköpfe waren. „Ich muss sie um Ruhe bitte,“ ermahnte er die Störer. „Das ist unsere Sache, halten sie sich raus,“ brüllte der junge Mann.“ „Wenn wir verlernen, sachlich miteinander zu diskutieren und Kompromisse zu schließen, gefährdet man die Demokratie, auch bei uns. Wie sollen wir friedlich zusammenleben, wenn wir die einfachsten Regeln missachten?“ „Ihre Meinung interessiert mich nicht,“ antwortete ihm der Student. “ Warum beginnt unser Grundgesetz im 1. Artikel mit dem Satz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar?“ Das schien aber den Studenten, mit der anatolischen Sturheit, nicht zu interessieren. Als die Situation für die Studentin bedrohlich wurde, ging Paul zu ihnen, um im schlimmsten Fall einzuschreiten. Nach einem aggressiven Wortwechsel nannte er die junge Frau – du kurdische Schlampe- und trat sie an die Beine. Darauf ermahnte ihn Professor Paul, die Studentin in Frieden zu lassen und sich zu entschuldigen. Doch missachtete er seine Worte, er beschimpfte den Professor und gab auch ihm einen Fußtritt. Danach erteilte ihm Paul eine Ohrfeige und schützte die Kurdin vor seinen erneuten Angriffen, indem er sie auf ihren Platz führte. Nach der Vorlesung kam die Studentin an seinen Tisch und fragte; „Würden sie mich bitte begleiten?“ Das schien ihm nun doch etwas ernster zu sein, für eine Auseinandersetzung zwischen Studenten und er fragte sie; „wie heißt der junge Mann, der sie angegriffen hat?“ „Sein Name ist Okan Ölzyn!“

Professor Paul und die Studentin verließen die Universität durch den Haupteingang und auf der Treppe fragte sie: „Darf ich mit ihnen nach Hause?“ Es interessierte ihn nun doch, weshalb sie so viel Angst hatte und mit ihm gehen wollte, und fragte: „Warum fürchten sie sich vor Okan?“ „Er ist besonders gefährlich! Das ist die Feindschaft zwischen Türken und Kurden, eine lange Geschichte, die sich auch auf unsere Generation übertragen hat.“

2

In einer Frühlingsnacht fegte ein starker Ostwind durch die dürren Tannen, sie rauschten, ächzten und bogen sich im Wind, doch er ahnte noch nichts von dem was seine Hütte bedrohte. Wie zumeist in seinen Schlafgewohnheiten, erwachte Paul etwa zwei Stunden nach Mitternacht, aber eine ungewöhnliche Helligkeit flutete durchs Fenster. Um nachzusehen, kroch er aus dem warmen Bett und ging zum Fenster; das Bienenhaus stand in Flammen. Sofort wählte er auf seinem Handy, die Nummer der Feuerwehr. Wenn nicht gleich etwas unternommen wird, erreichte das Feuer über die Tannen auch seine Hütte. Schnell kleidete er sich an, legte einige Schriftstücke, das Handy und Portemonnaie in die Aktentasche und öffnete die Tür. Die Flammen loderten schon durch das Dach, die armen Bienenvölker in den Kisten waren wohl kaum noch zu retten. Ohne an seine eigene Sicherheit zu denken trat er die Türe ein, ging durch den Rauch und zog eine Kiste hinaus. Noch einmal hastete Paul hinein und schleppte eine Bienenkiste aus den Flammen. Vom Rauch fast erstickt und hustend, stand er auf der Wiese, da kamen auch schon die Feuerwehrleute und begannen zu löschen. Der Feuerwehrhauptmann Ottmar Malter fragte ihn, wie das Feuer ausbrechen konnte. Darauf musste ihm Paul seine Ahnungslosigkeit anbieten: “Ich weiß es nicht!“ Am Morgen, bei Tageslicht zog die Feuerwehr ab und das Bienenhaus war nur noch ein rauchender Schutthaufen. Das Ziegeldach war eingestürzt und zwischen den verkohlten Wänden standen die angebrannten Bienenkisten. Es roch nach verbranntem Holz, Bienenwachs sowie undefinierbaren Dingen, vielleicht Papiere, Benzin oder Gummireste.

Die Hütte mit einigen Hektar Weinreben und einer Obstbaumwiese hatte er geerbt, wer gönnte ihm das bisschen Erde nicht? Wie konnte das passieren? Es gab kein fahrlässiges Verhalten seinerseits, oder musste man nach einem Brandstifter suchen? Diese Frage würde Paul noch länger beschäftigen, zumindest wurde sein Leben bedroht. Sein Handy klingelte, es war Isabelle, die wissen wollte: „Hat auch der Schuppen gebrannt?“ „Nein, nur das Bienenhaus, aber warum willst Du das wissen?“ „Karl hat meine alte Nähmaschine, ein Erbstück meiner Mutter, dort untergebracht!“ „Die verrosteten Geräte und Maschinen mit den vielen Plastikstühlen im Hangar, müssen bald entsorgt werden oder ich bestelle, auf Karls Rechnung, einen Müllcontainer!“ Noch am Tag davor erwachte Professor Paul sehr spät und ging wie sonst über die Wiese zum Brunnen, um sich mit dem kalten Wasser zu waschen. Das klare Quellwasser erfrischte ihn und das gehörte zu seiner Morgentoilette. Als er sich im kühlen Morgenwind gerade abgetrocknet, gekämmt und sein kariertes Hemd angezogen hatte, da hörte er Kinderstimmen. Eine Schulklasse näherte sich auf dem Feldweg und die Lehrerin wendete sich an ihn: „Mein Name istThülay Coruma, mit a und y, dürfen wir ihre Blumenwiese betreten und die Pflanzen anschauen.“ „Ich habe hier keinen botanischen Garten, für die Öffentlichkeit!“, knurrte Paul. „Sollen wir etwa Eintritt bezahlen?“, fragte sie ihn. Eigentlich kam ihm die junge Dame bekannt vor und ganz passable Manieren hat sie auch, weshalb sollte er dann ein Spielverderber sein. „Wenn Sie vorsichtig sind, und das Gras nicht zertrampeln, habe ich nichts dagegen.“ „Das ist selbstverständlich, wir betrachten nur die Blumen und Kräuter.“ „Ich habe ein Herbarium angelegt,“ sagte Paul zu ihr. „Sind Sie Biologe?“ „Nein, Professor der Philosophie.“ „Aha, Sokrates, Aristoteles, Plato und Co,“ hörte er sie sagen. „Sind wir uns nicht schon begegnet?“, fragtes sie ihn dann. „Sie kommen mir auch bekannt vor, sie könnten die Studentin sein, die sich in meiner Vorlesung mit Okan angelegt hatte?“ „Jetzt erinnere ich mich auch, sie haben mich vor ihm beschützt!“ „Ich zeige ihnen gerne das Herbarium, wenn Sie einmal auf einen Kaffee vorbeikommen.“ „Mein Hauptfach ist Biologie, das würde mich schon interessieren.“ „Dann kommen Sie doch am Sonntagnachmittag.“ „Wann?“ „Sagen wir um vier.“ „Abgemacht!“ Auf der Wiese gab es im Frühjahr nicht nur eine Vielfalt von Blumen, sondern auch viele Maulwurfhügel, aber das störte Paul nicht. Nach seiner Meinung konnte das nur ein Zeichen dafür sein, wie gut sich die Erde, ohne chemische Pflanzenschutzmittel und Dünger, erhalten hatte. Manchmal tummelte sich ein Igel durch die Sträucher. Es gab sehr große Nussbäume, die sein Urgroßvater noch pflanzte. Die alten Apfel- und Pflaumenbäume standen in voller Blüte und trugen im Herbst immer noch Früchte, nur zwei davon faulten, sie wurden zu Baumruinen. In den Bäumen zwitscherten eine Menge Vögel, die Paul beobachtete und viele Arten fand. Es gab Amseln, Eichelhäher, Spechte, Lerchen, Meisen, Rotkelche, Buchfinken, Sperlinge und sogar einen Kleiber, doch die Starenschwärme im Herbst wurden zur Plage, die man aus den Weinreben vertreiben musste. Das machte er in seiner Bubenzeit mit einer Karbit- Kanone. Am Sonntagnachmittag klopfte jemand an die Tür, es gab bei ihm keine Klingel an der Hütte und die Einladung hatte er längst vergessen. Im karierten Hemd mit Sandalen und Dreitagebart öffnete Paul. Da stand vor der Holztür die LehrerinThülay Coruma.Mit einem freundlichen Lächeln begrüßte sie ihn und zu den blauen, strahlenden Augen trug sie ihr blondes Haar kurz geschnitten. „Für den Kaffee habe ich noch einen Kuchen,“ sagte die freundliche Dame und Paul wurde etwas verlegen, darauf zu antworten. Nachdem sie den Kuchen aus ihrer Tasche auf den Tisch gestellt hatte und der Professor seine Fassung zurückgewann, fragte er sie: “Möchten Sie den Kaffee sehr stark oder lieber schwächer?“ „Das überlasse ich Ihnen!“ „Machen Sie es sich doch auf einem Stuhl bequem, bei mir gibt es keinen großen Luxus.“ Als er die Kaffeemaschine bediente, ging sie an die Vitrine und fragte: „Darf ich den Tisch decken?“ „Selbstverständlich,“ antwortete er und beobachtete die junge Frau erstaunt. Sie stellte viel geschickter als er, die Tassen und Teller um den Kuchen auf den Tisch und legte die Servietten dazu. Inzwischen hatte er ihr das Herbarium gegeben, eine dicke Mappe, in der sie schon aufmerksam blätterte. „Sind die Pflanzen alle aus diesem Gebiet?“, fragte sie ihn. „Ja, aus unserer Region, nur einige sind aus Südfrankreich.“ „Sie haben sich viel Mühe gemacht, sogar die lateinischen Namen angegeben.“ „Meine noch wertvollere Sammlung sind die Weine.“ „Wie kommen Sie auf Weine, sind Sie etwa Trinker?“ „Nein, aber mein Vater war Winzer, seine Reben sind hier bei der Kapelle und ich trinke nur Tee oder Kaffee.“ „Dann sind sie ja ein Einheimischer.“ „Ja, eine endemische Pflanze, doch derzeit suchen wir den Romanée-Conti 1986 aus Burgund.“ „Warum hat man die Kapelle auf den Weinberg gebaut?“, wollte sie nun wissen. „An der Wand der Kapelle hängt eine Liste mit den Namen der Gründer, darunter der meiner Mutter,“ antwortete ihr Paul. „Was hat das zu bedeuten?“ „Das geht auf ein Gelübde zurück, das man nach dem Krieg machte.“ „Kann ich diese Gedenktafel sehen?“ „Wenn es sie wirklich interessiert, dann können wir hingehen!“ Im Hangar gab es einen Schlüssel der Kapelle, den Karl und Isabelle verwalteten, man musste nur wissen wo er lag. Auf dem Weg zur Kapelle erzählte er der Lehrerin, wie das Gelübde nach dem Krieg entstanden war. Die Stille im sakralen Raum der Kapelle gab der Urkunde, die sie gemeinsam lasen, eine feierliche Atmosphäre. Die beiden, in ihrem Alter sehr unterschiedlichen Personen, setzten sich danach auf die Bank neben dem Portal. „Wenn ich nachdenken will, gehe ich hier hinauf zu dieser Bank, die mich an meine Mutter und die nicht einfache Kindheit erinnert“, sagte Paul zu ihr. „Meine Eltern kamen mit mir aus Syrien, das vom Krieg zerstört wurde.“ „In meiner Schulzeit hatte ich viele Schulfreunde, die Flüchtlinge aus dem II. Weltkrieg waren“, antwortete er ihr darauf, um seine Empathie auszudrücken. „Wir lebten nach der Flucht in Freiburg, dort habe ich auch Pädagogik studiert.“ „Wohnen Ihre Eltern noch dort?“ „Nein, sie wohnten zuletzt in einem kleinen Dorf im Wiesenthal. Jedoch sind sie bei einem Verkehrsunfall umgekommen und von meinem Mann bin ich getrennt.“ „Mich hat man aus der UNI rausgeworfen, wegen der Ohrfeige, die ich Okan gab!“ „Sie haben mich nur beschützt und sehen nicht wie ein Raufbold aus.“ „Wenn Okan uns nicht angegriffen hätte, wäre ich auch friedlich geblieben.“ „In ihre Vorlesung kam ich nur als Gaststudentin, mich interessierte das Thema; „Martin Heideggers -Sein und Zeit-“.

Sie gab ihm Ihre Visitenkarte: „Bitte besuchen Sie mich bei Gelegenheit!“

Auf dem Rückweg durch die Weinreben, trennten sich ihre Wege. Sie ging auf der Dorfstraße weiter und Paul zu seiner Hütte zurück. Die junge Lehrerin machte einen guten Eindruck auf ihn, der etwas seine Ansichten über die jungen Leute verbesserte. Warum hatte sie ihm ihre schicksalhafte Familiengeschichte erzählt? Seine eigene war nur anders, aber nicht besser. Es wurde Paul erst später bewusst, dass dies einer jener Augenblicke war, die man niemals wieder vergisst. Und eine kleine Kerbe war der Erinnerung hinzugefügt worden.

Am Sonntagmorgen versuchte Paul die Lehrerin anzurufen, sie konnte als Fremde neutral urteilen, doch unter ihrer Telefonnummer war sie nicht zu erreichen. Nach dem Frühstück versuchte er es noch einmal. „Entschuldigen sie, wenn ich störe!“ „Guten Morgen, Sie stören überhaupt nicht!“ „Bei mir ist das Bienenhaus abgebrannt und das Feuer hätte auch meine Hütte erfassen können.“ „Konnte es die Feuerwehr löschen?“ „Ja, sie löschten es, aber es sieht trostlos aus!“ „Haben es die Bienen überlebt?“, fragte sie mit zitternder Stimme. „Ich konnte nur zwei Kästen retten!“ „Das ist sehr schade!“ „Es gib einiges zu tun mit den Bienenkisten,“ meinte Paul, in seiner Verzweiflung. „Ich werde ihnen helfen, bis bald,“ hörte er sie noch sagen, dann legte sie den Hörer auf. Am Nachmittag sah Paul die Lehrerin über die Wiese zur Hütte heraufkommen, dann klopfte die junge Frau an die Tür. Als er öffnete, stand sie in einer Latzhose mit einem leichten Mantel darüber, vor ihm. Er ging mit ihr zur abgebrannten Bienenhütte, die an ihrem üblen Zustand nicht zu überbieten war. Dann zogen sie gemeinsam, die angesengten Bienenkisten aus dem verkohlten Schutt, und transportierten sie zum Hangar. Dort gab er ihr einen Hut mit Netz und Handschuhe. Dazu zitierte Paul – Janosch; „Wer nicht lacht, den sticht die Biene zuerst!“ An ihn hatten sich die Bienen gewöhnt, deshalb konnte er auch ohne Schutzkleidung arbeiten. Am Ende standen im Schuppen sieben fast intakte Bienenkisten, einige davon außen ziemlich angesengt. In seinem Kühlschrank gab es noch etwas Essbares, dazu stellte Paul einen Weißburgunder aus dem Weingut Bacherauf den Tisch. „Eigentlich darf ich keinen Alkohol trinken, doch das sollte man bei meinem aufgeklärten Denken vergesse!“ sagte Thülay,indem sie einen kräftigen Schluck von dem guten Wein nahm und mit den Augen zwinkerte. Sie verabschiedeten sich mit dem Versprechen seinerseits, Sie am Sonntag zu besuchen. „Wer hatte mir das angetan?“, fragte sich Paul. Doch im Schutt der Bienenhütte roch es verdächtig nach Benzin, das konnte er aber nicht einordnen. Vor drei Wochen wurde Paul von der Universität entlassen. Seit vielen Jahren unterrichtete er dort als Professor für Philosophie. Die Entlassung begründete man juristisch in einem kurzen Satz: Körperverletzung durch Niederschlagen eines Studenten.

Dem jungen Mann namens OkanÖlzyn, der in seiner Vorlesung eine Studentin und ihn beleidigte und mit Fußtritten angriff, hatte er -gewisser Weise- in Notwehr- eine Backpfeife gegeben. Er nannte Paul, einen Feind der Türken und einen Kafir, (Ungläubiger) nur weil er sagte, dass im osmanischen Reich das Massaker an den Armeniern als Völkermord eingestuft wurde, und Troja einst zu Griechenland gehörte. Sein Vater, ein reicher Händler, drohte ihm mit einem Strafprozess. Und Okan bedrohte Paul mit seiner Sippe, die ihn kaltstellen würde. Jedoch eine Intoleranz gegenüber Ausländern hatte er noch nie, und niemand konnte ihm unterstellen, ein Rassist zu sein. Eines Tages wurdePaul in einer Seitenstraße von einer Gruppe Jugendlicher beschimpft und mit Hockeyschlägern angegriffen, er konnte sich gerade noch in seine Wohnung retten. Danach erhielt er Briefe und E-Mails, in denen sie ihn beschimpften, sowie mit dem Erschießen bedrohten. Von wem diese Angriffe auf den Professor kamen, konnte er freilich erahnen. Die Beleidigungen und Drohbriefe hörten nicht auf, darum hatte er die Stadtwohnung aufgegeben.