Eine kleine Horrorfibel - Judith Poschke - E-Book

Eine kleine Horrorfibel E-Book

Judith Poschke

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Beschreibung

In dieser kleinen gruseligen Sammlung befinden sich 20 Horror Kurzgeschichten für den spannenden Abend daheim, die Pyjama Party mit Freunden oder für die langweilige Mittagspause auf der Arbeit. Von Dämonen und Wesen unter dem Bett, Geistern und unheimlichen Begegnungen. Jede Kreatur, jedes Monster ist hier vertreten und kommt auf seine Kosten.

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Seitenzahl: 297

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Vorwort und Widmung

Das Erbe

Es kriecht

Freundschaft

Bitte spülen

Alexandra

Einfach lächeln

Das Geburtstagsgeschenk

Nachtschicht

Der Untermieter

Unter meinem Bett

Abgrund

Allein

Sie kommen in der Nacht

Comic Con

Das Phantom

Fehlfunktion

Mitbewohner

Gewitter

Tulpa

Der Tod

Vorwort und Widmung

Wie es ist jahrelang einen Traum mit sich herumzutragen, ihn ab und an mal anzufassen, nur um ihn dann wieder fallen zu lassen. Mein größter Kritiker bin ich selbst und das in allem, was ich tue.

Der Gedanke ich bin nicht gut genug, dass was ich tue ist nicht gut genug, verfolgt mich jeden Tag. Spornt mich allerdings aber auch immer an etwas zu tun. So habe ich schon als Kind angefangen zu schreiben. Zwischendurch gab es immer wieder Pausen und Anläufe. Mit 16 Jahren sogar den ersten Roman. Den darf man nur keinem zeigen, das ist nicht untertrieben. Immer wieder habe ich mir vorgestellt wie es wäre mein erstes eigenes Buch in den Händen zu halten. Doch wie sollte es aussehen, in welches Genre sollte ich einsteigen und hätte ich überhaupt die Ausdauer am Ball zu bleiben?

Ja und dann, mit 35, ging es plötzlich ganz schnell. Ich bekam eine Idee, die Idee für ein Buch, von einem lieben Freund. Ein Fantasy Roman, ja warum nicht über etwas schreiben, was ich selbst gerne lese. Doch das Projekt wurde immer umfangreicher und entwickelte sich weiter. So weit, dass auch hier der Traum vom Buch erst einmal in weiter Ferne rückte, denn das hier schien ein Langzeitprojekt zu werden. Und wie es der Zufall dann aber so wollte, präsentierte mir genau dieser liebe Freund einen Podcast Sprecher, der Creepy Pastas vorlas. Und dass mit einer verdammt guten Stimme. In meinem Kopf spukte eine Idee. Sie nagte an mir und wollte zu Papier gebracht werden. Ob ich es schaffen würde auch solch eine Horror Kurzgeschichte zu verfassen? Wieso nicht einfach loslegen und warum nicht einfach mal schicken. Der kennt mich nicht und mehr wie nein sagen kann er nicht. Na gut, außer vielleicht noch ein: Das ist Mist oder ziemlich scheiße, mit ran zuhängen. Aber meine Geschichte gefiel. Und sie schaffte es in seinen Podcast. Meine erste Geschichte, vertont von einer wahnsinnig tollen Stimme. Und so wurde ein neuer Plan geschmiedet. Soll mein Fantasy Roman wachsen und gedeihen, aber was ist mit Horror Kurzgeschichten. Das zweite, was ich gerne lese. Das Ziel war es 20 Kurzgeschichten zu entwickeln und diese niederzuschreiben. Ich erfuhr unglaubliche Unterstützung von den wenigen, die ich in meinen Plan einweihte. Und irgendwann war ich bereit, mein Baby mit der Welt zu teilen. Es ist unfassbar wie viel Zuspruch ich erfahren durfte. Und bei den Geschichten waren nicht nur ausgedachte dabei.

Ich glaube es finden sich nicht genug Worte für das, was ich empfinde, wenn ich dieses Herzstück in der Hand halte. Ein lang gehegter Traum, der endlich wahr wird und genau diesen Platz wollte ich noch nutzen um 4 besonderen Menschen zu danken.

An erster Stelle meiner besseren Hälfte, mein Hafen, mein Seelenverwandter, die Liebe meines Lebens. Mein Mann Marco, für den keiner meiner Träume zu verrückt ist, jede Idee unterstützt wird und der mich einfach immer in den Arm nimmt, wenn ich es brauche. Ich verdanke ihm so viel und hoffe dass er immer stolz auf mich sein wird und weiterhin an meiner Seite steht.

An zweiter Stelle meiner Freundin Nora. Meine erste Internetfreundin. Kennengelernt über ein Buch, welches wir beide schrecklich fanden und so über eine Internetplattform zusammenkamen. Ein ehrlicher Mensch, der gerne Arschtritte verteilt, aber liebevolle. Die man auch wirklich braucht. Nicht nur um Träume zu verfolgen, auch für Lebensweisheiten. Ich bin dankbar für all die guten Tipps und die wunderbare Freundschaft, die sich über die Jahre entwickelt hat.

An dritter Stelle meiner lieben Freundin Stefanie, die Künstlerin hinter dem Cover. Ohne sie wäre die Welt schwarz und weiß. Mit ihr wird alles bunt und laut. Wir fühlen gleich, wir verstehen uns wie kein zweiter und wir teilen die gleiche Leidenschaft, uns in Dinge hineinzusteigern. Wenn man glaubt niemand versteht einen mehr, dann weiß Stefanie ganz genau was zu sagen und zu tun ist. Und wenn sie einfach nur zu hört. Ich bin so dankbar für dieses wundervolle Wesen.

Ja und abschließend noch meinem lieben Freund, der mir die Idee lieferte für das Fantasy Epos und der mich auf diesen Podcast stupste. Mit dem ich eventuell auch eine der Geschichten erlebt habe. Ich danke Max, dass er in mein Leben gestolpert ist. Er füllt es mit Turbolenzen, unvergesslichen Erlebnissen und unzähligen Gesprächen über all den Nerdquatsch, den sonst keiner verstehen würde. Seine Meinung ist mir sehr wichtig, denn er nimmt kein Blatt vor dem Mund, um mir auch den Kopf mal zurecht zu rücken. Ich danke ihm, dass er mich aushält, mit allem, was dazu gehört und immer ehrlich zu mir ist.

Und bevor ich es vergesse, ein letzter Dank an Dr. Zargota, den super Podcaster, der lieben Anja für das geduldige Korrigieren und ein Herz für alle Unterstützer!

Das Erbe

Ich konnte es immer noch nicht fassen. Mein Verstand, mein Herz, jeder Sinn in mir sträubte sich gegen diesen Gedanken. Er war tot, einfach nicht mehr da. Und ich stand hier, wie in all meinen Sommerferien, zwischen seinen Sachen, seinen Habseligkeiten. Sein Geruch lag noch immer in der Luft, aber da war auch etwas Anderes. Etwas Beißendes. Meine Mutter sagte, sie hätten ihn erst nach 3 Wochen gefunden, weil er nicht zur Arbeit erschien. Man dachte, er wäre wieder auf einer seiner üblichen Entdeckungsreisen. Das kam öfter mal vor. Mein Onkel war immer auf der Suche nach unbekanntem und altem Wissen aus vergangenen Zeiten. Wie viele Nächte hatten wir zusammen Bücher durchwälzt und er zeigte mir unglaubliche Dinge aus längst vergessenen Kulturen oder verschollene Liebesbriefe von großen Herrschern an verbotene Liebschaften. Jeden Sommer verbrachte ich hier, zwischen staubigen Büchern und alten Pergamentrollen. Doch das war jetzt alles vorbei. Wie konnte es nur soweit kommen?

Er war ein gesunder Mensch, achtete immer auf sich. Gut, das Sonnenlicht bekam er nicht oft zu Gesicht. Er betrieb seinen Sport lieber auf einem Laufband und er ernährte sich gesund. Es gab auch keine Krankheiten in unserer Familie. Der Anruf hatte mich wie ein Schlag in die Magengrube getroffen. Ich kam gerade aus meinem Geschichtskurs, wollte nur kurz die Augen für ein paar Minuten schließen, als ich die rote Lampe, wie ein mahnendes Mahl aufblinken sah. Ein verpasster Anruf… Eine hinterlassene Nachricht. Nur meine Familie nutzte den Festanschluss in meinem Studentenheim. Die Stimme meiner Mutter, sie klang so… schockiert, bedrückt und irgendwie ängstlich. Sie hatte mit den Worten gerungen, durch Tränen immer wieder abgebrochen. Aber sie wusste wie wichtig er mir war und sie wollte es mir unbedingt mitteilen. Noch immer übermannte mich tiefer Schmerz, wenn ich an diese Nachricht denke.

Er soll friedlich in seinem Bett gestorben sein. Friedlich… wie meine Mutter dieses Wort ausgesprochen hatte. Als würde sie seine Bedeutung nicht kennen. Irgendetwas wurde hier verschwiegen, aber das war nicht der richtige Zeitpunkt um darüber zu sprechen.

„Kannst du bitte in das Schlafzimmer gehen? Ich kann das nicht“, bat mich meine Mutter schluchzend und drückte mir einen Umzugskarton in die Hand. „Nimm was du möchtest, schau bitte auch nach Familienfotos, um den Rest kümmert sich das Umzugsunternehmen.“ Sie stöhnte laut auf. „Ich habe deinen Onkel sehr geliebt. Er war immerhin mein kleiner Bruder. Ich weiß wie sehr sein Herz an seiner Sammlung hing, aber alles bekomme ich nicht unter. Wir werden es wohl der örtlichen Bibliothek spenden.“

Ich nickte stumm, nahm den Karton und schlich behutsam zum Schlafzimmer. Die Tür war geschlossen. Der beißende Geruch war hier viel stärker. Ich spürte wie er sich in meine Kleidung fraß, in meine Poren drang und sich festsetzte, wie ein unerwünschter Keim. Die Klinke war kühl und mit dem Öffnen der Tür entschwand jeder gute Gedanke an die gemeinsamen Tage in diesen Zimmern. Was mir früher so geheimnisvoll erschien, wirkte nun kalt und bedrohlich. Diese Stille, diese Dunkelheit. Als wäre ich in einer fremden Wohnung. Ich stellte den Karton neben dem Bett ab. Der Bezug fehlte, es lag lediglich die Matratze dort auf dem Lattenrost und auf ihr befand sich ein Fleck. Oh mein Gott, er hatte eine Form und diese war deutlich zu erkennen. Oder bildete ich mir das nur ein. Nein, ich war mir sicher. Der Fleck ähnelte einer menschlichen Gestalt, als würde noch jemand auf dieser Matratze liegen.

Ein säuerlicher Geschmack bahnte sich seinen Weg in meinen Mund, vermischte sich mit diesem Gestank von Tot. Ich versuchte mich abzulenken, ich wollte stark sein. Für meine Mutter, für mich. Mein Blick schweifte über die Regale, über die staubigen Bücher, den offenen Kleiderschrank. Schnell griff ich nach ein paar Bilderrahmen ohne den Fotos darin irgendwelche Beachtung zu schenken. Ich wusste, dass mein Onkel seine besonderen Werke in seinem Büro aufbewahrte. Lieber wollte ich dort nach Erinnerungsstücken Ausschau halten, als mich noch eine Sekunde länger als nötig hier aufzuhalten. Mir wurde langsam schwindlig, ich fühlte mich wie in einem Traum und gerade, als ich im Begriff war schwankend das Zimmer zu verlassen, da erblickte ich ihn. Ein schneeweißer Umschlag mit meinem Namen. Er lag auf einem der Nachttische und wirkte so deplatziert und verloren in diesen dunklen Räumen. Warum war er mir nicht vorher aufgefallen. Jetzt stach er mir, wie eine Nadel in die Augen. Ich griff nach ihm und bemerkte, dass er auf einem Buch lag. Der Umschlag und das Buch fühlten sich warm an, als hätte sie gerade eben noch jemand in den Händen gehalten. Erneut überkamen mich die Übelkeit und der Schwindel. Schnell steckte ich Buch und Umschlag in die weite Bauchtasche meines Hoodies, griff nach dem Karton, in dem sich nur ein paar Bilder befanden, und verließ das Zimmer fluchtartig.

Danach verschwamm alles wie in einem merkwürdigen Tagtraum. Die Worte meiner Mutter, das Mittagessen im Diner, welches ich nicht anrührte, und die Fahrt zum Studentenheim. Wortlos ließ ich die Umarmung zum Abschied meiner Mutter über mich ergehen. Dabei presste sie das Buch in meiner Tasche fest gegen meinen Bauch. So sehr mich meine Neugier auch voran in mein Zimmer trieb, wollte ich mich doch zu aller erst meiner Sachen entledigen und einfach nur duschen. Nachdem ich mir die Haare ungefähr zehn Mal gewaschen hatte und einfach nur unter dem warmen Wasser stand, war zumindest das Gefühl der Übelkeit verschwunden. Ich schleppte mich müde, als hätte ich mehrere Nächte nicht geschlafen, zurück auf mein Zimmer. Als wäre die bedrückende Stimmung, diese Schwere, aus der Wohnung meines Onkels mit mir gekommen, fühlte sich nun mein eigener Bereich unglaublich kühl an. Jede Freude, die ich hier sonst empfand, wich einem Gefühl von Angst und Einsamkeit. Schlaf, ich musste einfach nur etwas schlafen. Wie benommen legte ich mich auf mein Bett und verfiel in einen traumlosen Schlaf. Als ich erwachte musste es bereits sehr spät in der Nacht gewesen sein. Die Zeit war mir egal. Mein Zimmer lag in absoluter Dunkelheit und der Himmel musste bewölkt sein, denn nicht einmal das Mondlicht fiel durch mein Fenster. Langsam fand ich mich zurecht und schaltete meine kleine Leselampe an, welche sich neben meinem Bett befand. Dabei berührte ich etwas Warmes, etwas Ledriges, dass direkt neben meiner Lampe lag. Das Buch schoss es mir durch den Kopf. Aber warum fühlte es sich noch immer so warm an. Wie war das möglich? Darunter lugte eine weiße Ecke hervor. Der Briefumschlag. Behutsam nahm ich ihn an mich. Laut las ich meinen Namen vor. J O SH U A. Der Briefumschlag war nicht verschlossen. Ich strich einmal über das Papier, dieses weiße fast blendende Papier. Ein Blatt, hastig wie aus einem Notizblock herausgerissen, befand sich darin. Doch was darauf geschrieben stand, war ebenfalls so sauber geschrieben wie der Name auf dem Umschlag. Irgendetwas passte hier nicht zusammen. Diese ganze Situation hatte mich so aufgewühlt und nun wurde mir langsam bewusst, dass das die letzten Sätze waren, die mein Onkel an mich richten würde. Ich setzte mich gerade auf und erwartete liebe und warme Worte. Vielleicht auch einen Witz oder ein spannendes Rätsel. Doch die sauberen geschriebenen Buchstaben entpuppten sich als hastiger Absatz. Ich lass ihn wieder und wieder. War er wirklich nur friedlich eingeschlafen? Das hier klang verrückt, wie gehetzt und einfach nicht typisch für meinen witzigen und intelligenten Onkel.

„Joshua, nicht gut, wenn dich dieser Brief erreicht. Hatte gehofft es kommt nie dazu. Du musst widerstehen. Sperr dieses Buch weg. Du kannst nicht entkommen, nur überleben. Nicht öffnen, egal was passiert! NICHT ÖFFNEN!“

Mein Blick glitt hinüber zu diesem Buch. Es hatte keinen Titel. Zumindest war kein Name oder Titel in das Leder geprägt. Es sah alt aus, sehr alt und es verbreitete einen modrigen Geruch. Ich hatte genug. Genug von allem, von diesem Tag, den Verlust meines Onkels und von Gerüchen jeglicher Art, die dafür sorgten dass sich mir der Magen umdrehte. Ich nahm das Buch und den Brief und schmiss es in meinen Kleiderschrank, der gegenüber von meinem Bett stand. Ich sollte es eh nicht lesen, warum dann weiter darüber nachdenken. Mein Körper hatte sich noch nicht erholt und ich ließ mich zurück auf das Bett sinken. Dann konnte ich es hören. Ein leises Kratzen. Wie von feinen Krallen an Holz, war es gleichmäßig und langsam. Ratten schoss es mir durch den Kopf. Das würde mich nicht wundern. Obwohl Essen auf den Zimmern nicht erlaubt war, wusste ich von einigen Mitstudenten, die massenweise Süßigkeiten versteckten. Aber dieses Kratzen klang so nah. Als wäre es direkt bei mir. Ich lauschte, strengte meine Ohren an. Viele Möglichkeiten gab es nicht. In meiner kleinen Bude befanden sich nur ein Bett, mein Schreibtisch und der Kleiderschrank. Aber das Kratzen war eindeutig hier. Desto mehr ich mich konzentrierte, umso lauter wurde es für mich und es kam, nein das konnte nicht sein, es kam aus meinem Schrank! Bitte nicht, keine Ratten in meinem Schrank. Wenn ich etwas absolut nicht nötig hatte, dann das sich auch noch Ungeziefer in meinen Sachen befand. Zuerst schaltete ich das große Licht in meinem Zimmer ein und schlich dann zum viereckigen Koloss, baute mich vor ihm auf und riss die Tür fast aus den Angeln. Doch keine leuchtenden Augen und spitzen Zähne starrten mich an. Nur das Buch lag vor mir auf einem Rucksack und ein paar Pullover. Ungläubig betrachtete ich die Innenseite der Tür. Mit meinen Fingern fuhr ich über kleine Kratzer, feine Einkerbungen im Holz. Wie konnte das sein? Ich war mir absolut sicher, dass das vorher noch nicht da war. Ich nahm das Buch in die Hand. Noch immer spürte ich die Wärme. Konnte das Papier und Leder in Leim gebunden tatsächlich Wärme ausstrahlen? Und dann packte mich die Angst. Es fuhr durch meinen ganzen Körper. Ein Puls! Das Buch pulsierte plötzlich, wie Adern oder ein Herzschlag. Ich musste noch immer schlafen, versuchte ich logisch zu denken. Natürlich. Das ist ein Traum. Es kann nur ein Traum sein. Ich ließ mich auf das Bett nieder. Bemerkte erst jetzt, dass ich das Buch fest umklammerte. Öffne es nicht! Der Satz meines Onkels hallte in meinem Gedächtnis wieder. Was war hier los?

Joshua, zischte es plötzlich. JOSHUA. Ich sprang auf, ließ das Erbe meines Onkels zu Boden fallen. Das Licht in meinem Zimmer begann zu flackern. Wenn ich vorher schon dachte, es wäre kalt in meinem Zimmer, so hatte ich nun das Gefühl in der Arktis zu stehen. War das mein Atem, der sich da aus meinem Mund stahl wie kleine Rauchwölkchen?

Joshua, zischte es wieder und ich vernahm einen langsamen Singsang. Die Stimmen, so zierlich und zaghaft, umspielten mein Ohr, beruhigten mich. Es klang so friedlich und auch die Kälte machte mir nichts mehr aus.

Joshua, du bist es! Du bist der Eine! Das Zischen stimmte mit dem Gesang ein. Langsam ließ ich mich zu Boden gleiten. Ich schloss die Augen. Fühlte mich zum ersten Mal seit dem Anruf meiner Mutter wieder glücklich. Die Kälte verschwand und wich einer glühenden Hitze. Mir wurde warm, zu warm. Ich spürte wie Schweiß über meine Stirn ran. Meine Augen öffneten sich, obwohl ich es nicht wollte. Ja ich kämpfte dagegen an. Die salzigen Tropfen liefen mir in die Augen und sie brannten. Der Schmerz war nicht in Worte zu fassen. Ich wollte schreien, alles hinaus schreien, doch meine Stimme war stumm. Als ob kleine Flammen an meinem Körper hinauf glitten, hatte ich das Gefühl als würde ich in mitten eines Feuers knien.

Joshua, das alles kann ein Ende haben. Jetzt, hier, sofort!

„Wie“, flüsterte ich, denn mehr vermochte ich nicht hinaus zubringen.

Lies mich, öffne mich. Und alles wird enden!

„Ich kann nicht“, wollte ich sagen, doch brachte kein Wort mehr heraus. Ich wollte mir über die Augen wischen, doch meine Hände gehorchten mir nicht. Verzweifelt vor Schmerzen, fast ohnmächtig, kniete ich vor dem Buch und meine Arme hingen schlaff an meinem Körper hinunter, der sich einfach nur am Boden winden wollte.

Du kannst, du bist stark! Wir wissen es, wir wollen dich!

Wieder dachte ich an den Brief meines Onkels. Was hatte er mir da hinterlassen? Was sollte ich nur tun? In meinem Kopf herrschten Chaos und Wut. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen.

Streck deine Hände aus!

Ich streckte die Hände aus.

Fass mich an!

Ich berührte den Einband. Die Wärme, die das Buch ausstrahlte, vertrieb die brennende Hitze, linderte den Schmerz in meinen Augen, denn sie hüllte mich ein, löschte das Feuer. Ich begann zu weinen, die Erleichterung überfiel mich, meine Stimme kehrte zurück und ich lachte ein irres Lachen.

Ich kann dir jeden Schmerz nehmen. DU musst nie wieder leiden, wenn du mich nur liest!

Es war so einfach. Der Singsang lullte mich ein, die zischende Stimme versprach mir das Einzige was ich mir gerade am sehnlichsten wünschte. Ich glitt über das Leder, spürte den Puls Babumm Babumm und ich öffnete das Buch. Alles wich von mir. Angst, Pein, Schmerz und auch Liebe. Ich lächelte und las die ersten Worte in einer mir unbekannten Sprache. Ich las sie laut und voller Stolz und bemerkte nicht, wie mein Lächeln immer breiter wurde und mit jedem gelesenen Wort mir die Lust immer und immer mehr entwich. Ich las weiter, bis ich mich so leer fühlte, so unglaublich leer und ich lächelte.

Der nächste Morgen.

Anrufbeantworter: Joshua hier ist Mama. Ich bin gerade ein paar Sachen deines Onkels durchgegangen. Eigentlich wollte ich es dir nicht sagen, aber nun da ich sein Tagebuch gefunden habe. Er schreibt hier von einem bösen Wesen, gefangen zwischen den Seiten eines Buches. Ein Buch das nicht gelesen werden darf, da es ihm sonst Macht verleiht und wenn es eine neue Seele hat, weiter wandert. Dein Onkel bezeichnet es als Fluch, der einen immer wieder auf die Probe stellt. Vielleicht ist er, aufgrund dessen was er alles gelesen hat, doch noch verrückt geworden. Joshua, dein Onkel… Als sie ihn gefunden haben, sein Gesicht. Es war wie am Mund aufgerissen, wie ein verrücktes Lächeln. Ich hoffe du bist schon wieder gut im Wohnheim angekommen. Du hättest ruhig etwas fester klopfen können, als du hier warst anstatt mir nur das Buch vor die Tür zu legen. Ich kann verstehen, wenn es dich zu sehr schmerzt ein Erinnerungsstück zu behalten. Ruf mich doch bitte zurück. Hab dich lieb.

Es kriecht

Pauli war ein aufgeweckter Junge. Mit seinen 6 Jahren rannte und redete er genauso viel wie andere Kinder in seinem Alter. Zumindest sagte das die Vorsorgeuntersuchung für den Schulbeginn. Die Schule würde ihn richtig fordern. Er würde lernen still zu sitzen und ruhiger zu werden. Das hatten Joanas Freundinnen ihr erzählt. Und Joana freute sich auf diese Zeit. Sie liebte ihren Sohn. Noch immer erinnerte sie sich gern an die Zeit im Kreissaal zurück, wie sie ihn stolz in ihren Armen hielt und Paulis Vater, nein nicht Vater, Erzeuger liebevoll auf seine kleine Familie hinab blickte. Schnell schlug liebevoll auf genervt daheim und lange Nächte auswärts um. Joana war oft mit dem Kleinen allein, der sich schnell als Schreihals entpuppte und nur sehr wenig Schlaf brauchte. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern wie lang sie nun zu zweit waren in dem kleinen Bungalow Haus mit Garten nach hinten raus. Irgendwann waren die Sachen des Erzeugers und ein Koffer aus dem Schrank verschwunden, während Joana mit Pauli bei einer Freundin war. Er hatte lediglich einen Zettel auf dem Nachttisch hinterlassen.

Halts nicht aus. Tut mir leid. „Tut mir leid“, sagte Joana laut und kehrte gerade die Scherben einer Vase zusammen. Sie hatte Pauli hinaus zum Spielen geschickt. Wieder einmal war etwas zu Bruch gegangen. Wieder einmal musste sie sich von einem schönen Gegenstand in ihrem Heim verabschieden. „Genau wie andere Kinder“, sprach sie wieder laut. Wie oft musste sie die Babysitter wechseln. Wie oft hatte sie sich weinend und Haare raufend im Badezimmer vor ihrem eigenen Sohn versteckt, wenn er mal wieder nicht still sein wollte und lauthals schreiend durch den Flur rannte und gegen Möbel schlug. Sie hatte es aufgegeben die Wände neu zu streichen. Wenn Pauli sein Essen nicht mochte warf er es wild umher. Joana hatte gelernt ihn einfach machen zu lassen. Wenn sie mit ihm schimpfte, wenn sie ihm etwas verbat, steigerte er sich nur noch mehr hinein. Und Pauli hatte Ausdauer und so viel Kraft und Energie. Freunde lehnten gemeinsame Treffen und Stunden bereits in seinem zweiten Lebensjahr ab. Dieser Junge wollte nie stillsitzen, nicht ruhig sein. Joana konnte es niemanden verübeln. Selbst die Großeltern mieden seit einem gemeinsamen Sommer ihre Tochter und ihren Enkel. Es heißt ja immer Kinder seien ein Geschenk. „Ein Geschenk“, flüsterte Joana und ließ die Scherben in den Müllsack gleiten. Sie sah zum Fenster hinaus. Da saß ihr Sohn in seinem Sandkasten. Seine leuchtenden blonden Haare, wie von der Sonne geküsst, ließen ihn wie einen kleinen Engel aussehen. Er schlug mit seiner kleinen Schaufel nach irgendetwas im Sand, was Joana nicht sehen konnte. Aber so lange er das dort draußen tat und nicht im Haus, genoss sie die paar Minuten Ruhe und überlegte welches Abendmahl keinen Tobsuchtsanfall auslösen würde. Lecker musste es sein und nicht schwer im Magen liegen, damit er gut schläft. Makkaroni mit Käse, ja das liebte ihr Sohn. Während Joana einen Topf und die Nudeln aus einem Schrank fischte, stapfte Pauli mit seinem Eimerchen hinüber zum Blumenbeet. Hier befanden sich nur noch grüne Stängel und etwas Unkraut. Seine Mutter hatte wunderschöne Tulpen und Osterglocken gepflanzt. Diese Farben, Pauli wollte sie alle. Genüsslich hatte er die Blütenblätter gepflückt und sie dann in die Luft geworfen. Seiner Mutter musste es gefallen haben, denn sie stand auf der Terrasse und Tränen liefen über ihre Wangen. Sie weinte oft. Manchmal auch sehr laut. Pauli mochte das Geräusch von Wimmern und Schluchzen. Oft tat er es seiner Mutter nach. Dann bekam er schöne Dinge, vor allem wenn sie unterwegs waren. Am besten funktionierte es bei Spielzeug. Er brauchte nicht einmal zu fragen. Sobald seine kleinen grünen Augen etwas erblickten zeigte er darauf, fing an zu schreien und schon lag es in seinen Händen. Das waren die schönsten Ausflüge. Pauli liebte einkaufen. Den Spielplatz leider nicht so. Seine Mama fühlte vermutlich so ähnlich. Früher gingen sie viel spazieren und Pauli musste dann auf diesem Platz mit fremden Kindern Geräte und Spielzeug teilen. Das gefiel ihm gar nicht. Seitdem er ein Kind die Rutsche hinunter geschuppst hatte, musste er nicht mehr an diesen schrecklichen Ort. Das andere Kind war doch nur leicht unten aufgeschlagen. Es gab nicht mal viel Blut.

Der Schrei war allerdings unbezahlbar. Pauli erinnerte sich zu gern daran und lächelte vor sich hin, wenn er auch nur daran dachte. Doch es gab eine Sache, die er noch mehr liebte als das Schreien, Weinen und Schluchzen von Menschen, wenn sie Qualen erlitten. Der stumme Tod. Vor einiger Zeit hatte Pauli sich die Nachbarskatze geschnappt und sie in den Schuppen gesperrt. Sie war ein vertrauenswürdiges schwarzes Fellknäuel, mauzte viel und schnurrte. Ein grässliches Geräusch von Zufriedenheit und Zuneigung. Immer wieder kam sie rüber und benutzte Paulis Sandkasten als Katzentoilette. Seine Mutter sammelte die Notdurft heraus und beschwerte sich bei ihren Nachbarn. Doch die Katze kam und ging wie sie wollte. Dem musste ein Ende gesetzt werden. Allein mit ihr im Schuppen ließ er sie zum Kuscheln rankommen, nahm dann einen Stein hervor, den er hinter seinem Rücken versteckt hielt und schlug kräftig auf den Kopf der Katze. Der Schlag war dumpf und der Schrei der Katze erbärmlich und kurz. Das klang nicht so schön wie der schrille Schrei des Kindes. Ob seine Mutter ihn gehört hatte, wusste er nicht. Sie kam nie in den Schuppen. Auch nicht als der Nachbar sie nach seiner Katze fragte. Das Mistviech verbreitete zunächst einen miesen Gestank. Pauli versteckte das tote Tier hinter ein paar Säcken Blumenerde. Nicht das er Angst gehabt hätte, dass seine Mama den Kadaver finden würde. Der Anblick gefiel ihm nicht. Aber das Resultat, nachdem der Stein auf den kleinen Kopf hinunter gesaust war, interessierte ihn. Es dauerte nicht lange und er wollte etwas Neues ausprobieren. Nur dieses Mal ohne Schrei. Dieser letzte aufbäumende Schrei sagte ihm nicht zu. Doch welches Tier würde stumm sterben? Und die Erleuchtung kam ihm im Schuppen, wie er seinen Eimer und die Schaufel hervorholte. Die Neugier ergriff ihn und Pauli wollte wissen was wohl aus der Katze geworden war. Der Gestank nahm langsam ab und er hörte ein Summen und Schmatzen. Da waren Fliegen, Maden und auch einige Käfer auf der toten Katze. Na gut, dachte Pauli. Sie sind klein, aber still. Er sammelte ein paar dicke Würmer und Käfer in seinen Eimer und verließ das kleine Gartenhäuschen. Auch wenn es ihm egal war, was seine Mutter zu ihm sagte, setzte er sich doch lieber mit dem Rücken zum Fenster. Bei seinen Experimenten sollte ihn niemand stören. Das hier war wichtig. Pauli nahm ein paar Maden und vergrub sie zuerst in dem feinen Sand. Es dauerte nicht lange und dieser begann sich langsam zu bewegen. Mist. Nicht tief genug. Er ließ ein paar sich windende Maden in ein zweites Loch fallen. Hierfür hatte er mehr Sand ausgehoben und diesen schaufelte er fleißig wieder hinein. Nun zu den Käfern. Die waren etwas schneller und ein paar schienen schon entkommen zu sein. Pauli nahm sich einen, presste ihn fest auf die Umrandung des Sandkastens und trennte ihm mit der Schaufel den Kopf ab. Tot. Stille. Kein Schrei, kein Klagen. Auch die Maden entkamen ihrem zweiten tödlichen Gefängnis nicht mehr. Pauli strahlte. Vielleicht würden sie schreien. Doch es war nichts zu hören. Dieser Gedanke gefiel ihm. Und der kleine Junge setzte seine grausame Mordserie an hilflosen Insekten fort.

Die kleinen Krabbeltiere an der Katze waren bereits alle geflohen oder in einem Loch hinten am Zaun verscharrt. So sehr Pauli es genoss die Tiere sterben zu sehen, so wollte er allerdings nicht seinen ganzen Sandkasten voller toter Insekten haben. Nachdem heutigen Arztbesuch war er besonders aufgekratzt. Pauli mochte keine fremden Menschen. Schon gar nicht, wenn sie ihm sagten was er zu tun und zu lassen habe. Stolz weigerte er sich jede einzelne Frage zu beantworten. Ausziehen wollte er sich auch nicht. Nur das Malen war erträglich. Allerdings musste er mit einem anderen Jungen um zwei Stifte kämpfen. Er brauchte das Schwarz und Rot und der kleine braunhaarige Junge hielt sie krampfhaft fest. Pauli spitze einen gelben Buntstift an und rammte ihn dann mit voller Absicht in die Hand des Buben, damit dieser die Stifte fallen ließ. Und sein Plan ging auf. Der damit einhergehende Aufschrei und das Gewimmer stimmten Pauli glücklich. Der Tadel von der fremden Frau im weißen Kittel interessierte Pauli nicht. Er sah wie sie auch mit seiner Mutter sprach und ihr Kopf rot anlief. Auch das passierte oft, wenn sie unterwegs waren. Er verstand nicht warum, aber es war ihm auch egal. Nun konnte er einen schwarzen Käfer malen und Blut aus seinen Gliedmaßen strömen lassen. Dennoch musste er die ganze Untersuchung über sich ergehen lassen. Auf dem nach Hause weg schrie er seine Mutter an. Schrie noch lauter als sonst, damit sie sich im Auto nicht zu ihm umdrehte und nicht sah wie Pauli ein Feuerzeug aus ihrer Handtasche stahl. Manchmal verzog sich seine Mutter in das Badezimmer und brannte dort weiße Papierstängel nieder. Sie gaben einen schrecklichen Geruch von sich, den Pauli nicht leiden konnte. Doch wenn seine Mutter sich im Badezimmer befand, konnte er ungestört etwas aus der Küche entwenden. Zum Beispiel ein kleines Messer. Diese Schätze versteckte er in einer Blechbüchse im Schuppen. Das Feuerzeug würde auch dort hin wandern, sobald er seine Idee ausprobiert hatte. Daheim warf Pauli einen kleinen Tisch im Flur um, schrie einfach weiter und trampelte wie verrückt auf dem Sofa herum. Es dauerte nicht lange und seine Mutter bat ihn im Garten zu spielen. Nachdem Theater würde er seine Ruhe haben. Damit er am Abend glücklich wäre, würde sie ihm etwas Leckeres zu Abend kochen und mit ganz viel Glück würde das Bad danach ausfallen. Sonst würde Pauli den ganzen Akt von vorne beginnen.

Doch nun war er allein mit seinem Eimer, seiner Schaufel und seinem Feuerzeug, welches sicher in seiner Tasche ruhte. Er grub etwas in dem Beet herum und fand wonach er suchte. Regenwürmer. Gleich zwei auf einer Schaufel mit modriger feuchter Erde. Glückstreffer. Freudestrahlend langte er erneut zu. Fehlanzeige. Dann noch eine weitere Schaufel. Wieder einer, sehr dick und kurz. Perfekt. Brav landeten die armen kleinen Würmer, die sich noch nicht einmal ausmalen konnten was sie erwarten würde, in den Eimer. Pauli grub weiter, bis er genug kleine Opfer hatte. Das sollte für ein paar Gräueltaten langen. Mit dem Rücken zum Küchenfenster nahm er in seinem Sandkasten Platz. Der erste Wurm, den er in seinen Händen hielt, schien zu erahnen was ihm bevorstand. Er wand sich wild von einem Ende zum anderen. Ein Zittern ging durch den geringelten rosa Körper. Pauli legte den Regenwurm auf den Rand des Sandkastens und mit seiner Schaufel zerteilte er ihn wütend und schnell in mehrere kleine Teile. Ein paar von ihnen zuckten sogar noch. Der kleine Junge stellte sich den klagenden Schrei vor, der jedoch nie an die Welt drang und kicherte verrückt dabei. Nun der zweite Streich. Das Feuerzeug. Wie einen heiligen Gral zog er es behutsam aus seiner Tasche hervor. Es war ein Einfaches, nur drücken, kein Zahnrad. Die Worte darauf konnte er nicht lesen. Vermutlich Werbung für irgendein Geschäft oder einer Tankstelle. Aber es leuchtete in seiner Lieblingsfarbe. ROT. Hoch erfreut griff Pauli in seinen Eimer und zog erneut ein Opfer heraus. Dieser Wurm war dick und rundlich. Nicht so lang wie der andere, aber das spielte keine Rolle. Er zündete die kleine heiße Flamme und hielt das arme wehrlose Tier direkt darüber. Dieser krümmte sich, versuchte sich in die Luft zu erheben. Doch er konnte nicht aus diesen festen Kinderfingern entkommen. Langsam schrumpelte seine Haut, wurde schwarz. Das Wackeln und Winden wurden stärker. Pauli stieg ein merkwürdiger Geruch in die Nase. Dieser war nicht so angenehm. Aber das Schauspiel sensationell. Langsam spürte er auch die Hitze an seinen Fingern. Das war nicht so gut. Er ließ den Wurm fallen, löschte die Flamme und schlug die Überreste mit seiner Schaufel zu Brei. Dafür brauche ich eine Vorrichtung, dachte Pauli sich. Sonst würde er sich beim nächsten Versuch noch die Finger verbrennen. Doch für heute war er zufrieden mit seinen Fortschritten. Mit lieblicher Stimme rief seine Mutter aus dem Fenster, ob ihr kleiner Schatz hungrig wäre. Der merkwürdige Geruch des verbrannten Wurmes wurde übertüncht von Käse. Pauli liebte Käse. Schnell sprang er auf, rannte zum Gartenhäuschen hinüber, verstaute sein neues Spielzeug und stolperte ins Haus hinein.

Joana lag in der Badewanne. Diese war bis zum Rand voll mit warmen Wasser und es schwamm eine Menge Schaum darauf. Ihre braunen und langen Haare hatte sie zu einem Dutt auf ihrem Kopf zusammengebunden. Nach diesem Tag wollte sie es erst gar nicht versuchen Pauli in die Wanne zu bekommen. Der Arztbesuch, die frische Luft und das Essen hatten ihren kleinen Jungen doch sehr müde gemacht. Joana war einfach nur froh, dass er nach dem Spielen wieder mit guter Laune in die Küche kam. Nach den Nudeln ließ er sich anstandslos den Mund abwischen und verschwand freiwillig in sein Bett. Sobald er in die Schule ging würde er hoffentlich Freunde finden, an einer Freizeitaktivität interessiert sein und sich ordentlich austoben können. Und Joana hätte endlich wieder mehr Zeit für sich selbst. Sie war immerhin erst 32 Jahre alt. Sie könnte zum Friseur gehen, vielleicht zur Kosmetik. Neue Kleider kaufen ohne Angst haben zu müssen, dass ihr Sohn die Kleider vom Ständer riss, fremden Leuten in die Umkleidekabine folgte oder sich einfach nur auf den Boden warf, weil ihm langweilig war. Ja die Schule, bald wäre es soweit. Nur noch den Sommer rumbekommen und ein Stück Freiheit lockte.

Joana stieg aus der Badewanne. Ihr Körper hatte sich durch die Wärme etwas entspannt und erholt. Sie wickelte ein frisches Handtuch um ihren nackten feuchten Körper und ließ das Wasser ablaufen. Während sie sich bückte und ihr Gesicht in der Spiegelung des Wassers betrachtete, welches langsam in einem Strudel ablief, erblickte sie plötzlich voller Schrecken zwei riesige Augen hinter sich. Joana zuckte zusammen, wand sich um, rutschte aus und fiel zu Boden. Sie landete mit dem Rücken gegen die Badewannenwand und schlug mit dem Hinterkopf dagegen. Das Handtuch hatte sich gelöst und so hockte sie nackt und mit Schmerzen am Boden.

„Verdammte Scheiße!“, brüllte sie laut auf und hielt sich mit beiden Händen den Kopf. Sie suchte nach einer Wunde oder Blut unter ihren Haaren. Dann glitt ihr Blick auf die Fliesen vor sich. Sie sah zwei Beine oder nein keine Beine. Fühler? Sie waren grün und schwarze dicke Haare standen von ihnen ab. Es hätten auch Stelzen sein können. Joana war sich nicht sicher. Langsam sah sie nach oben erblickte eine Art Gottesanbeterin vor sich, die sie mit großen leuchtenden Insektenaugen betrachtete. Ihr Beißwerkzeug war weit geöffnet und sie kam auf die junge hilflose Frau am Boden zu. Joana schrie laut auf, konnte nicht zurück, da hinter ihr bereits die Badewanne war.

„Noch gebe ich dir keinen Grund zu schreien!“, zischte das riesige Insekt.

„Das muss ein Traum sein. Ich habe mir den Kopf gestoßen. Das ist nicht echt. Du bist nicht echt!“ Joana schrie das Tier vor sich an. Sie versuchte mit Tritten etwas Abstand zwischen sich und dem Ungetüm zu bringen.

Da schnellte das Beißwerkzeug nach vorne und schnitt Joana eine tiefe Wunde in den rechten Oberschenkel. Joana schrie vor Schmerzen, griff nach dem Handtuch am Boden und drückte es kräftig auf die Schnittwunde.

„Sei ruhig und hör mir zu“, zischte die Gottesanbeterin erneut. „Lange habe ich zugeschaut. Lange habe ich es mit angesehen. Aber du tust nichts! Dein Kind bringt meine Kinder um! Qualvoll und einfach nur aus Spaß! Beende das oder schlimme Dinge werden euch wiederfahren!“

Ungläubig starrte Joana in die zwei riesigen Augen. „Pauli bringt deine Kinder um? Er ist ein kleines Kind und er weiß doch gar nicht was er tut.“

„Halt deine Klappe! Du weißt genau, dass das nicht stimmt. Dein Sohn ist bösartig und du wirst ihm Einhalt gebieten. Sonst lernt er seine Lektion von mir. Ich warne dich nur einmal. Ein einziges Mal. Stirbt eines meiner Kinder durch seine Hand, komme ich und hole ihn!“