Eine kostbare Affäre - Katie Fforde - E-Book

Eine kostbare Affäre E-Book

Katie Fforde

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Beschreibung

Eine überraschende Erbschaft verspricht Floras bisheriges (Großstadt-)Leben komplett auf den Kopf zu stellen: Gemeinsam mit Charles, einem entfernten Cousin, ist sie fortan Eigentümerin eines idyllisch gelegenen Anwesens mit kleinem Antiquitätenladen. Als sie vor Ort auftaucht, lassen Charles und dessen Verlobte Annabel zunächst keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie sich als die wahren Herren des Hauses fühlen. Doch glücklicherweise erhält Flora schon bald von unerwarteter Seite sehr charmante Hilfe ...

Eine moderne Liebesgeschichte voller Humor, Romantik und Leichtigkeit von Bestsellerautorin Katie Fforde.

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Seitenzahl: 629

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Dank

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Über dieses Buch

Eine überraschende Erbschaft verspricht Floras bisheriges (Großstadt-)Leben komplett auf den Kopf zu stellen: Gemeinsam mit Charles, einem entfernten Cousin, ist sie fortan Eigentümerin eines idyllisch gelegenen Anwesens mit kleinem Antiquitätenladen. Als sie vor Ort auftaucht, lassen Charles und dessen Verlobte Annabel zunächst keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie sich als die wahren Herren des Hauses fühlen. Doch glücklicherweise erhält Flora schon bald von unerwarteter Seite sehr charmante Hilfe …

Über die Autorin

Katie Fforde wurde in Wimbledon geboren, wo sie ihre Kindheit verbrachte. Heute lebt sie mit ihrem Mann, drei Kindern und verschiedenen Katzen und Hunden in einem idyllisch gelegenen Landhaus in Gloucestershire, England. Erst vor wenigen Jahren begann sie mit dem Schreiben romantischer, heiterer Gesellschaftskomödien, die stets sofort die englischen Bestsellerlisten eroberten.

Katie Fforde

EINEKOSTBAREAFFÄRE

Ins Deutsche übertragen vonMichaela Link

beHEARTBEAT

Digitale Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Titel der englischen Originalausgabe: Flora’s Lot

© 2005 by Katie Fforde

Für die deutschsprachige Ausgabe© 2007/2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Kozhadub Sergei | JasminkaM

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN: 978-3-7325-4821-7

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für die Thameshead Singers,vor allem aber für die subversiven Zweiten Soprane.Danke, dass ihr mich aufgenommen habt.

Dank

Das Buch wäre ohne folgende Menschen nicht möglich gewesen. Ihr wisst selbst, was Ihr für mich getan habt, und ich danke Euch dafür:

Chris und Jean Arnison, Lindsey Braune, Elizabeth Poole, Paul Wakeman, Catriona Aspray und der ganzen Mannschaft der Cotswold Auction Company. Elizabeth Lindsay und Cheryl Gibson, den Experten für Trödelmärkte.

Bei Random House in ungeordneter Reihenfolge Kate Elton, Georgina Hawtrey-Woore, Charlotte Bush, Justine Taylor, dem wundervollen Verkaufsteam, Mike Morgan und allen anderen, die dafür sorgen, dass es die reine Freude ist, von Random Haus verlegt zu werden.

Richenda Todd, die wie immer eine peinlich genaue und einfühlsame Lektorin war und ihr Gewicht in Rubinen wert ist.

Sarah Molloy, Sara Fisher und dem Rest der Belegschaft von A. M. Heath, die sich als freundlich, hilfsbereit und in bester Weise geldgierig erwiesen haben!

Und zum Schluss meiner Familie, die mich inspiriert, unterstützt und (manchmal) auf dem rechten Weg hält.

Kapitel 1

Aus der Plastikkiste zu ihren Füßen kam ein kläglicher Laut, und Flora riskierte einen ängstlichen Blick nach unten. Bekam Imelda gerade ihre Kätzchen, oder jammerte sie nur, weil sie an einem heißen Sommertag in einem Katzenkäfig eingesperrt war?

»Nicht jetzt, Süße, bitte!«, flehte Flora mit zusammengebissenen Zähnen. »Halt einfach durch, bis ich diese Sitzung hinter mich gebracht habe. Dann suche ich dir eine hübsche Frühstückspension, in der die Leute Katzen mögen.«

Im klaren Bewusstsein ihrer eigenen Ohnmacht in dieser Angelegenheit nahm Flora den Käfig mit der greinenden Imelda in die Linke, hängte sich ihre Handtasche über die Schulter, schnappte sich ihre Reisetasche und taumelte die Treppe hinauf. Ein ganz klein wenig bereute sie es, ihre neuen Schuhe angezogen zu haben. Sie waren einfach gottvoll hübsch, mit einer himmlischen, falschen Pfingstrose zwischen den Zehen, aber sie waren nicht eingelaufen und daher mörderisch unbequem. Da sie nicht dazu neigte, Schönheit der Bequemlichkeit unterzuordnen, ignorierte Flora die ersten sich bildenden Blasen, stellte oben auf dem Treppenabsatz ihre Reisetasche wieder ab und drückte auf den Klingelknopf. Der Anblick ihres eigenen Nachnamens auf dem Messingschild darüber elektrisierte sie auf seltsame Weise. Die Familienfirma, und sie stand im Begriff, dieser Firma beizutreten.

Die Tür wurde von einer hochgewachsenen Frau geöffnet, die eine Menge Dunkelblau trug. Sie war ein wenig älter als Flora und verströmte eine Nüchternheit, die in Flora unausweichlich den Gedanken an Pfadfinderinnen heraufbeschwor. Meine Schuhe mögen nicht ganz passend sein, überlegte Flora, um sich ein wenig Mut zu machen, aber Dunkelblau ist bei dieser Hitze auch nicht gerade angemessen. Unter anderen Umständen hätte es sie in allen Fingern gejuckt, der Dame einen Vortrag in Sachen Mode zu halten.

»Hallo«, sagte die Frau mit einem professionellen Lächeln, »Sie müssen Flora sein. Kommen Sie doch herein. Wir freuen uns ja so darauf, Sie kennen zu lernen. Besonders Charles.«

Flora lächelte ebenfalls. »Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, aber ich habe meine Katze mitgebracht. Ich kann sie bei dieser Hitze nicht im Wagen lassen. Abgesehen von allem anderen ist sie auch noch hochträchtig.«

Eine kleine Falte erschien zwischen den Augenbrauen der Frau, während sie nun den Blick auf den Tragekorb senkte. »Oh, hm, nun … nein, für eine kurze Zeit wird es wohl gehen. Obwohl ich schrecklich allergisch bin, fürchte ich.«

»Ach herrje. Ich könnte sie wohl draußen vor der Tür lassen …« Flora biss sich auf die Unterlippe, um anzudeuten, dass sie sich in Wahrheit keinen anderen Platz für Imelda vorstellen konnte als den direkt zu ihren Füßen. »Aber sie könnte jeden Moment ihre Kätzchen zur Welt bringen.«

»Sie kommen am besten erst einmal rein«, meinte die Frau, deren professionelles Gehabe langsam ins Wanken geriet. »Wir sind hier drin.« Sie öffnete die Tür zu einem Raum, der fast zur Gänze von einem Tisch mit mehreren leeren Stühlen darum ausgefüllt wurde.

Die einzige Person in dem Raum, ein hochgewachsener, auf konventionelle Weise gut aussehender Mann in einem dunklen Anzug und mit einer sehr konservativen Krawatte, stand auf. Offensichtlich Charles, ihr Vetter fünfzehnmillionsten Grades.

Nicht sehr vielversprechend. Flora verließ sich ganz auf ihren Charme, um sich den Weg durchs Leben zu erleichtern, und sie hatte gelernt, die wenigen Menschen, bei denen das nicht funktionierte, sehr schnell zu erkennen. Er war ein klassisches Beispiel, das spürte sie sofort; er hatte nicht viel übrig für Frauen mit hübschen Schuhen, fast schulterfreien Kleidern und witzigem Schmuck. Er mochte vernünftige Frauen, die Sportschuhe oder schlichte Lederpumps mit mittelhohen Absätzen trugen. Seine Vorstellung von gutem Geschmack war eine einreihige echte Perlenkette mit dazu passenden Ohrringen und vielleicht – zu besonderen Anlässen – ein Armreif.

Die Frau, die sie hereingeführt hatte (und all diese Zeichen eines angemessenen Bekleidungsstils aufwies), berührte ihn am Arm und erklärte: »Darling, das ist Flora.« Flora war nicht im Mindesten überrascht, einen Verlobungsring aus Diamanten und Saphiren an ihrer linken Hand zu entdecken. Die beiden waren das ideale Provinzpaar.

»Flora«, sagte Charles und hielt ihr die Hand hin. »Wie nett, Sie nach all diesen Jahren einmal kennen zu lernen.« Er klang ganz und gar nicht erfreut.

»Hm.« Flora schüttelte ihm die Hand, lächelte und nickte; auch sie war nicht erfreut. Sie hatte ihr Leben vollkommen umorganisiert, um sich dem Familiengeschäft anzuschließen, und jetzt wurde ihr klar, dass ihre Nachforschungen sehr zu wünschen übrig ließen. Charles und seine würdige, konventionell gekleidete Verlobte wollten sie nicht haben, sie war hier nicht willkommen, und ihre Zeit in der Provinz konnte sich als grauenhaft langweilig entpuppen. Trotzdem, sie hatte sich ihr Bett gemacht, und nun würde sie darin liegen müssen – zumindest bis der Vertrag auslief, mit dem sie ihre Londoner Wohnung untervermietet hatte. »Ich freue mich auch sehr, Sie beide kennen zu lernen. Ich begreife einfach nicht, warum wir uns nicht schon früher begegnet sind.«

»Sie haben einen großen Teil Ihrer Kindheit und Jugend außerhalb des Landes verbracht«, erwiderte er nüchtern, als könnte sie das vielleicht vergessen haben.

»Ja, das erklärt es wohl. Wir haben jedenfalls eine Menge Familienhochzeiten verpasst.« Sie lächelte. »Obwohl ich die nächste vielleicht nicht verpassen werde?«

»Oh ja, habt ihr beiden euch bekannt gemacht? Das ist Annabelle, Annabelle Stapleton. Meine Verlobte und möglicherweise auch meine zukünftige Geschäftspartnerin.« Sein Lächeln, wenn auch förmlich, bewies zumindest, dass er sich die Zähne putzte, und das war immerhin etwas.

»Wie hübsch«, meinte Flora und wünschte, sie hätte mehr Erkundigungen über das Geschäft eingezogen, bevor sie diesem netten Mann gesagt hatte, dass er selbstverständlich ihre Wohnung für mindestens sechs Monate mieten könne, weil sie sie ohnehin nicht benötigen würde.

»Ja«, pflichtete Charles ihr bei. »Und nun lasst uns Platz nehmen und über Ihre Rolle bei Stanza und Stanza reden.«

»Möchte vielleicht irgendjemand zuerst ein Glas Wasser?«, fragte Annabelle.

»Oh ja, bitte«, antwortete Flora. »Und könnte ich auch ein klein wenig für Imelda haben? In der Box? Ich muss ohnehin nach ihr sehen.« Flora schenkte ihrem entfernten Cousin ihr reizvollstes Lächeln, ein letzter, verzweifelter Versuch, ihn auf ihre Seite zu ziehen. »Ich hätte sie nicht mitgebracht, wenn es eine Alternative gegeben hätte, das versichere ich Ihnen.«

»Das ist kein Problem«, entgegnete Charles glatt, und es gelang ihm beinahe (aber eben nicht ganz), seine Ungeduld zu verbergen. Als schließlich das Wasser verteilt und die Katze versorgt war, sagte er: »Eines wüsste ich gern, Flora, und ich hoffe, Sie betrachten diese Frage nicht als Unhöflichkeit – wie viel verstehen Sie denn nun wirklich von Antiquitäten und dem Auktionsgeschäft?«

Flora nahm noch einen Schluck Wasser. »Na ja, diese Dinge schnappt man doch so nebenbei auf, oder?«

»Tut man das?«, fragte Charles, dessen Augen unter den skeptischen Brauen das Graublau der winterlich kalten Nordsee zeigten.

»Hm, ja.« Flora versuchte, sich auf eine passende Phrase zu besinnen, um den Anschein zu erwecken, als wüsste sie mehr, als es der Fall war. Denn ihre Kenntnisse hatte sie sich erst in jüngster Zeit durch den reichlich hektischen Konsum verschiedener Fernsehsendungen zu dem Thema erworben. »Natürlich«, erklärte sie lässig, »verstehe ich, da ich einen so großen Teil meiner Jugend in Europa zugebracht habe, nicht sehr viel von englischen Möbeln.«

»Aber Sie sind bestimmt mit diesen prächtigen Keramiken gut vertraut«, bemerkte Annabelle. »Ich liebe Keramiken.«

Nur für einen kurzen Moment war Flora unsicher, was Keramiken eigentlich waren. »Ah, Sie meinen Porzellan und solches Zeug? Ja, das liebe ich auch. Ich sammle Teekannen, komische Teekannen, verstehen Sie?«

Charles zuckte sichtlich zusammen. »Ich denke, wir sollten besser weitermachen. Also …« Er schlug einen Aktenordner auf und nahm einen Stapel Papiere heraus. Er war nicht der Typ Mann, der bei seinem Papierkram etwas anbrennen ließ. Das sah man ihm förmlich an. Er war ein Sortierer und Ordnungsfanatiker.

»Also«, begann er, »unser beiderseitiger Großonkel hat die Dinge etwas ungeschickt geregelt.«

»Ach ja?«, gab Flora zurück. »Ich fand die Dinge eigentlich recht klar geregelt. Sie hatten bereits neunundvierzig Prozent von Ihrem Vater geerbt, und mir sind mit Onkel Clodios Tod die restlichen einundfünfzig Prozent zugefallen. Die Dinge sind also so klar wie Fensterglas aus dem sechzehnten Jahrhundert oder etwas in der Art. Obwohl mir bewusst ist, dass man normalerweise wohl kaum erwartet hätte, dass ich etwas erben würde«, fügte sie zum Trost hinzu.

»Ja«, erklärte Charles, der sich keine Mühe mehr machte, seine Verärgerung zu verbergen. »Doch es bleibt eine ungeschickte Regelung. Ihnen gehört mehr als mir. Und Sie wissen nichts über das Geschäft, während ich dieses Auktionshaus mehr oder weniger mein Leben lang geleitet habe.«

»Hm, ich werde natürlich nicht hier hereingefegt kommen und gewaltige Veränderungen vornehmen!« Flora machte eine weit ausholende Bewegung mit den Armen. »Ich möchte etwas über das Geschäft lernen, an dem ich beteiligt bin.«

Charles und Annabelle tauschten einen fragenden Blick. »Das ist sehr ermutigend«, entgegnete Charles wachsam, »aber damit ist die Sache noch nicht ganz geregelt. Ich kann nicht zulassen, dass Sie mehr Aktien halten als ich. Das ergibt keinen Sinn, wie immer man es auch betrachtet.«

Die Katze schrie – möglicherweise, um sich mit Charles solidarisch zu erklären.

»Entschuldigung, ich muss mal kurz nachsehen. Für den Fall, dass es so weit ist.«

»So weit?«

»Dass die Kätzchen kommen. Es ist nämlich ihr erster Wurf, und die Kätzchen können innerhalb einer halben Stunde da sein, wenn es erst mal losgeht. Ich habe alles darüber gelesen.«

Während Flora sich mit der Katze beschäftigte, dachte sie über ihre eigene Situation nach. Sie war hier offensichtlich höchst unwillkommen, und Charles war grässlich. Was eine Schande war – normalerweise entwickelte sie kaum je eine Abneigung gegen jemanden. Wahrscheinlich war sie gut beraten, sich einen Plan B zurechtzulegen. Es würde bestimmt keinen Spaß machen, in der tiefsten Provinz bei zwei Menschen zu leben, denen ihre Anwesenheit offenkundig ein Gräuel war. »Wenn du nicht wärst, Imelda«, flüsterte sie unhörbar, »würde ich mich hier jetzt sofort aus dem Staub machen.«

»Eins wüsste ich gern«, bemerkte Charles, als Flora sich auf ihrem unbequemen Stuhl wieder aufgerichtet hatte. »Was genau erhoffen Sie sich von Ihrem Besuch hier?« Die graublauen Augen waren durchdringend und tatsächlich so kalt wie die Nordsee. Flora fühlte sich wie bei einem Vorstellungsgespräch für einen Job, für den sie keinerlei Qualifikationen mitbrachte – was ja in gewisser Weise auch zutraf. Mit Mühe rief sie sich ins Gedächtnis, dass sie, zumindest theoretisch, mehr zu sagen hatte als Charles.

Sie atmete tief durch und ließ sich von Imeldas Heulen nicht ablenken. »Im Gegensatz zu Ihnen bin ich nicht in diesem Geschäft groß geworden, aber ich habe natürlich davon gewusst. Ich habe, wie gesagt, nicht mit einem Erbe gerechnet. Als Niccolò damals bei diesem Autounfall ums Leben kam, war das ja ein furchtbarer Schock für alle, und niemand hat zu dem Zeitpunkt darüber nachgedacht, wer einmal an seiner Stelle erben würde. Ich bin jedenfalls nie auf die Idee gekommen, dass Onkel Clodio – kannten Sie ihn übrigens, er war ein reizender Mensch – mir etwas hinterlassen würde.«

»Nein. Ich habe ihn nicht gekannt.«

»Nickis Tod hat ihm das Herz gebrochen.«

»Es muss schrecklich gewesen sein«, murmelte Annabelle.

»Wir – meine Eltern und ich – waren also vollkommen überrascht, als wir erfuhren, wie er die Dinge geregelt hat.«

»Dann spreche ich Sie von dem Verdacht frei, dass Sie ihn auf dem Totenbett gezwungen haben, sein Testament zu ändern«, erwiderte Charles trocken. »Aber das macht unsere Situation nicht weniger schwierig. Theoretisch könnten Sie hier auftauchen und alles auf den Kopf stellen.«

Flora lächelte. »Ja, das könnte ich, nicht wahr?«

»Sie werden es natürlich nicht tun«, informierte Charles sie energisch. »Aber es wäre viel besser, wenn wir die Dinge anders arrangieren könnten.«

»Und wie sollte das aussehen?«, fragte Flora, die spürte, dass die beiden bereits einen perfekten Plan geschmiedet hatten.

»Annabelle könnte drei Prozent Ihrer Anteile kaufen, sodass ich ein Prozent mehr hätte als Sie. Was eingedenk der Tatsache, dass ich der Seniorpartner bin, nur recht und billig wäre.«

»Und Annabelle würde drei Prozent der Anteile halten?«

»Ja.«

»Und Sie beide wollen heiraten, sodass Sie gemeinsam verfahren könnten, wie Sie wollen?«

»Ja, aber Sie hätten immer noch achtundvierzig Prozent der Anteile, was Ihnen eine hübsche Summe einbringen würde, wenn wir Gewinn machen.«

»Was im Augenblick nicht der Fall ist?« Tatsächlich wusste Flora, dass die Geschäfte nicht allzu gut liefen. Sie und ihr Vater hatten ausführlich darüber gesprochen, doch Charles war so pedantisch und tyrannisch, dass sie ihn dazu zwingen wollte, es auszusprechen.

»Im Augenblick nicht, nein«, gab Charles zu, »aber wir haben Pläne, wie sich das ändern ließe.«

»Oh, schön. Und jetzt haben Sie mich! Ich weiß natürlich nicht allzu viel über das Geschäft, doch ich bin lernfähig. Und zwei Köpfe sind besser als einer – oder sollte ich sagen, drei Köpfe sind besser als zwei?« Sie blickte zu Annabelle hinüber, die sich ziemlich unwohl in ihrer Haut zu fühlen schien.

Charles runzelte die Stirn. »Haben wir Sie, Flora? Ich hatte den Eindruck …« Wieder sah er fragend zu Annabelle hinüber, »dass Sie nur zu Besuch hier sind.«

»Hm, ja, aber ich hatte die Absicht, länger zu bleiben. Mindestens sechs Monate. Um festzustellen, ob ich das Landleben ertragen kann – ich meine, ob ich es mögen kann.«

»Sechs Monate!«, rief Annabelle. »Aber wo wollen Sie wohnen?«

Flora hatte insgeheim gehofft, dass irgendjemand ihr ein Gästezimmer anbieten würde, zumindest für einige Tage. Da mit einem solchen Angebot offensichtlich nicht zu rechnen war, antwortete sie: »Vielleicht in einer netten kleinen Frühstückspension? Wo Katzen willkommen sind?«

»Flora, bevor wir uns ausführlich darüber unterhalten, wo Sie unterkommen werden – und ich bin davon überzeugt, dass Sie vorübergehend bei uns unterkommen könnten …«

»Nein, Charles!«, unterbrach ihn Annabelle. »Ich bin schrecklich allergisch gegen Katzen. Das musst du vergessen haben.«

»Tut mir leid, das hatte ich allerdings vergessen.« Einen Moment lang blickte er gequält drein. »Aber wie dem auch sei, stellen wir diese Überlegungen zunächst einmal hintan. Ich denke, ich habe mich vollkommen klar ausgedrückt. Es gibt in diesem Geschäft wirklich nichts für Sie zu tun. Es wird besser für uns sein – ich meine, für Stanza und Stanza – und unterm Strich auch für Sie, wenn Sie einfach drei Prozent Ihrer Anteile verkaufen …« Imelda begann von neuem zu schreien. »Machen Sie einen kurzen Urlaub hier, wenn es sein muss, und dann verschwinden Sie mitsamt Ihrer Katze wieder nach London.«

»Ah – hm«, sagte Flora, die nicht zugeben wollte, dass sie vorübergehend obdachlos war.

»Ihren Eltern gehört doch immer noch diese hübsche kleine Wohnung in Lancaster Gate?«

»Ja.«

»Und Sie wohnen dort?«

»Wenn ich in London bin, ja.« Und im Moment bin ich nicht in London, du Armleuchter, und ich habe die Wohnung mit einem geringfügigen Profit untervermietet, sodass ich meine Kreditkartenkonten wieder ausgleichen kann, fügte sie im Stillen hinzu. Nicht einmal Daumenschrauben hätten sie dazu bringen können, diese Dinge Charles gegenüber zuzugeben.

»Sie könnten also nach London zurückkehren?«, vergewisserte sich Annabelle.

»Ich hatte eigentlich vor, hierher zu ziehen. Zumindest für den Augenblick. Um es mit bescheideneren Verhältnissen zu versuchen!«, fügte sie ungezwungen hinzu, obwohl sie sich ganz und gar nicht ungezwungen fühlte. »Gesundschrumpfen sozusagen. Das ist gerade schrecklich modern!«

»Aber wenn Sie mir die Anteile verkaufen würden, hätten Sie eine Menge Geld zur Verfügung. Sie könnten eine andere Wohnung mieten und Ihre Konten ausgleichen«, entgegnete Annabelle, die ebenfalls graublaue Augen hatte und einen aufreizend geduldigen Tonfall anschlug.

Hexe!, dachte Flora. Sie weiß, dass ich knapp bei Kasse bin. Sie und Charles haben einander verdient. »Nun ja, so gesehen klingt Ihr Angebot ziemlich verführerisch. Ich werde mich natürlich mit meinem Vater beraten müssen. Obwohl ich offenkundig über einundzwanzig bin …«

»So offenkundig ist das nun auch wieder nicht«, murmelte Charles, was ihm einen ärgerlichen Blick von Annabelle eintrug.

»Allerdings bespreche ich solche Dinge für gewöhnlich mit ihm. Meine Eltern sind zurzeit nicht im Land, aber wir stehen ständig per Telefon oder E-Mail in Kontakt.«

»Gut«, antwortete Charles. »Er wird Ihnen sicher raten, Annabelles Angebot anzunehmen.«

»Möglicherweise – wenn er wüsste, wie hoch das Angebot ist«, gab Flora zurück und lächelte. »Haben Sie eine Summe im Sinn?«

»Zehntausend Pfund«, erwiderte Charles. »Das ist natürlich erheblich mehr, als die drei Prozent wert sind, aber wir wollen großzügig sein.«

»Das Angebot klingt tatsächlich großzügig«, erklärte Flora, die keine Ahnung hatte, ob das der Wahrheit entsprach oder nicht. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich darüber nachdenke?«

»Wie lange werden Sie dafür brauchen? Um sich mit Ihrem Vater in Verbindung zu setzen, das Ganze zu besprechen und so weiter?«, fragte Charles.

»Ein Besuch auf der Toilette wäre schon mal ein guter Anfang.« Flora hatte nicht nur das Bedürfnis, zur Toilette zu gehen, sie wollte sich auch kaltes Wasser über die Handgelenke laufen lassen, um den Kopf ein wenig freier zu bekommen. Es war heiß, und sie war müde. Sie wollte sich von diesem geschniegelten Paar mit den farbkoordinierten Augen nicht gegen ihren Willen in irgendetwas hineindrängen lassen.

»Selbstverständlich«, sagte Annabelle. »Tut mir leid, das hätte ich Ihnen gleich bei Ihrer Ankunft anbieten sollen. Wie dumm von mir!«

»Nein, das ist schon in Ordnung«, antwortete Flora großmütig.

»Folgen Sie mir«, bat Annabelle.

»Wenn Sie solange ein Auge auf die Katze haben könnten?« Flora schenkte Charles ein liebenswürdiges Lächeln, wohlwissend, dass es ihn ärgern würde.

Flora trocknete sich in dem schäbigen Bad die Hände an dem kleinen Stück Handtuch ab, das ihr der Rollenautomat großzügigerweise zur Verfügung stellte. Scheußliche Seife, schlechtes Licht und billiges Klopapier, alles Dinge, die sie geändert hätte, wäre es ihr erlaubt gewesen. Der Gedanke, dass all ihre Pläne für ein Leben auf dem Land durchkreuzt worden waren, enttäuschte sie, aber mit zehntausend Pfund konnte sie ihre restlichen Kreditkartenrechnungen begleichen, eine Kaution hinterlegen und für einige Wochen die Miete in einer neuen Wohnung bezahlen. Oder sie konnte den Mieter in der Wohnung ihrer Eltern auszahlen.

Diese neuen Möglichkeiten hätten ihre Stimmung heben sollen, doch als sie den umgebauten Korridor, der jetzt die Damentoilette war, verließ, fühlte sie sich seltsam mutlos. Bevor sie in den Hauptflur zurückkehrte, vertrat ihr ein älterer Mann in einem braunen Kittel den Weg. »Entschuldigen Sie, sind Sie vielleicht Miss Stanza?«

»Ja.« Er hatte silbernes Haar und eine geschliffene Aussprache, aber das Hemd und die Krawatte unter dem Kittel wirkten ziemlich abgetragen.

»Mein Name ist Geoffrey Whiteread. Ich habe Ihren Großonkel noch gekannt – das liegt jetzt schon viele Jahre zurück. Ich bin der Chefporter.«

Flora geriet für einen Moment ins Schwimmen. »Der Mann, der bei den Auktionen die Sachen hochhält?«

Der Mann lächelte. »Hm, ja, obwohl ein bisschen mehr dazugehört als das.« Er sah sich eigenartig verstohlen um. »Die Situation ist ein wenig schwierig. Ich wollte mit Ihnen sprechen.«

Flora, die stets geneigt war, sich die Probleme anderer zu eigen zu machen, lächelte, obwohl ihr das Ganze ein wenig unheimlich erschien. »Schießen Sie los.« Der Mann wirkte freundlich und eine Spur beunruhigt.

In diesem Augenblick hörten sie, dass die Bürotür geöffnet wurde, und sie zuckten beide zusammen.

»So bekommen wir zumindest etwas frische Luft«, hörten sie Charles sagen.

Der alte Mann runzelte die Stirn. »Hier können wir nicht reden«, flüsterte er. »Aber vielleicht könnten wir uns später irgendwo treffen? Es ist sehr wichtig, dass diese Annabelle keinen Zugriff auf das Geschäft bekommt.«

»Warum?«, gab Flora leise zurück.

Er bedeutete ihr, dass er sich im Moment nicht genauer dazu äußern könne. »Weil sie eine …« Er hielt inne. Offensichtlich war er drauf und dran gewesen, eine sehr unhöfliche Bemerkung über Annabelle zu machen, hatte seine Meinung jedoch wieder geändert. »Wir können hier nicht reden«, wiederholte er.

Durch die geöffnete Tür war Imeldas klägliches Miauen jetzt deutlich zu hören. »Ich sollte besser wieder reingehen«, meinte Flora. »Können Sie mir nicht jetzt schon irgendetwas erzählen?«

Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein, nicht jetzt. Lassen Sie nur nicht zu, dass sie die Kontrolle über das Geschäft gewinnt. Sie ist ein wahrer Albtraum.« Flora, die befürchtete, dass man sie würde hören können, nickte und ging langsam auf die Tür zu. Offensichtlich war sie in eine Art Kriminalroman hineingeraten, und sie, Flora, würde diesen armen alten Mann vor der habgierigen Verlobten retten müssen.

»Sie ist ein absoluter Hohlkopf«, hörte sie die habgierige Verlobte sagen. »Aber ich gehe davon aus, dass sie das Geld nehmen wird. Ein Modegeschöpf wie sie wird sich wohl darauf stürzen.«

Modegeschöpf? Flora tauschte einen entrüsteten Blick mit Geoffrey, der das Gespräch mit dem gleichen Entsetzen verfolgte wie sie. Sie mochte Kleider, aber war sie deshalb ein Modegeschöpf?

Ein Kichern, das vermutlich von Charles kam, folgte diesen Worten. »Ja, sie ist offensichtlich eine echte Blondine.«

Flora kniff die Augen zusammen. »So echt nun auch wieder nicht«, raunte sie Geoffrey zu.

»Ich hätte mir nie träumen lassen, dass sie auf die Idee kommen könnte, sich hier häuslich einzurichten«, bemerkte Annabelle.

Flora war verwirrt. Sie hatte in ihrer E-Mail klipp und klar geschrieben, dass sie sich ein wenig Zeit lassen wolle, um das Geschäft zu erlernen. Ihrer Meinung nach hatte sie sich absolut unmissverständlich ausgedrückt.

»Ich muss sagen, ich hätte doch gedacht, dass selbst jemand wie sie das vorher erwähnt hätte. Ein solches Verhalten ist unhöflich, und es kommt höchst ungelegen.«

»Nun …« – das war wieder Annabelle – »es könnte sein, dass sie in einer E-Mail davon gesprochen hat. Ich habe einfach angenommen, dass sie sich nur mal eben umschauen und dann nach London zurückeilen würde.«

Es folgte ein kurzes Schweigen, während Flora den Atem anhielt, darauf bedacht, keinen Laut von sich zu geben, damit die beiden sie nicht beim Lauschen ertappten.

»Oh.« Das war Charles. »Wir können nur hoffen, dass du Recht behältst.«

»Du brauchst nicht darauf herumzureiten, Charles«, entgegnete seine Verlobte.

Selbst Flora, die keine freundlichen Gefühle für Charles hegte, fand diese Bemerkung ein wenig unfair. Er hatte nur »oh« gesagt.

»Wir werden versuchen müssen, sie davon zu überzeugen, dass es eine schlechte Idee wäre, hierzubleiben. Und dann können wir nur hoffen, dass sie den Hinweis versteht«, antwortete er.

Bevor Annabelle weiter über sie lästern konnte, drückte Flora die Schultern durch und marschierte zurück in den Raum. Bis zu der Bemerkung über die »echte Blondine« war sie unschlüssig gewesen, aber das hatte den Ausschlag gegeben. Auf keinen Fall würde sie sich mit einem Scheck über zehntausend Pfund nach London zurückjagen lassen! Selbst ohne die Warnungen dieses netten älteren Herrn hätte sie der Sache jetzt eine Chance gegeben.

»Also«, begann sie, nachdem sie sichergestellt hatte, dass sowohl Charles als auch Annabelle sie ansahen. »Ich habe ein wenig nachgedacht, und im Augenblick ist mir nicht danach, Ihr großzügiges Angebot anzunehmen, Annabelle.«

»Was? Warum nicht?«, fragte Charles entrüstet und überrascht zugleich.

»Weil ich wirklich mehr über unser Familienunternehmen herausfinden möchte, weil ich hier arbeiten und mehr über Möbel und solche Sachen lernen will.« Der Ausdruck »und solche Sachen« schmälerte ihre großartige Ankündigung ein wenig, dessen war sie sich durchaus bewusst, aber sie hatte nicht viel Zeit gehabt, um sich vorzubereiten, und sie hoffte, dass die beiden es nicht bemerken würden.

»Meine liebe Flora«, entgegnete Charles und bediente sich damit unwissentlich einer Ausdrucksweise, die seine Cousine unweigerlich in eine wutschnaubende Emanze verwandeln musste, »Sie haben nicht die geringste Ahnung vom Geschäft. Sie haben uns absolut nichts zu bieten. Es gibt keinen Platz für Sie. Wir hätten keine Verwendung für Sie.«

»Ist das so?«, erwiderte Flora spitz. »Warum suchen Sie dann in der Lokalzeitung nach einer ›Assistentin der Geschäftsleitung‹?«

»Wann haben Sie die Lokalzeitung gelesen?«, verlangte Charles zu wissen, als wäre der Kauf der Zeitung irgendwie illegal gewesen.

»Vor meiner Ankunft hier. Ich habe nach einer Frühstückspension gesucht.« In Wirklichkeit hatte sie nach einer Mietwohnung Ausschau gehalten, in der später auch die Kätzchen unterkommen konnten.

»Die Lokalzeitung wird Ihnen da auch nicht weiterhelfen«, erklärte Annabelle. »Ich fürchte, es gibt im Moment keine freien Zimmer.«

»Was soll das heißen? Es muss welche geben. Dies ist eine hübsche kleine Stadt. Irgendjemand vermietet hier doch sicher Zimmer.«

»Allerdings. Das tun viele Leute«, erwiderte Charles. »Aber zurzeit findet das Musikfestival statt. Es wimmelt hier nur so von Geigern.«

»Oh. Dann ist das ja schon mal vergeigt«, murmelte Flora. Aus Imeldas Box kam ein leises Geräusch.

Eine winzige Falte in seinen Augenwinkeln verriet Flora, dass Charles ihre Bemerkung durchaus komisch fand, sich jedoch nicht gestatten würde, darüber zu lachen. Nun, zumindest hatte er Sinn für Humor, selbst wenn er ihn kaum je benutzte.

»Aber eigentlich hatte ich ohnehin eher daran gedacht, etwas zu mieten.« Trotz ihrer mutigen Entschlüsse war sie sich bewusst, dass ihre Stimme ihr Unbehagen verriet.

Charles seufzte ungeduldig, als hätte er es mit einem Kleinkind zu tun, das er beschwichtigen musste, obwohl er das Problem lieber mit einem Klaps gelöst hätte. »Irgendwie scheinen wir einander auf dem falschen Fuß erwischt zu haben. Wir versuchen nicht, Sie daran zu hindern, ins Geschäft einzusteigen, uns war bisher einfach nur nie der Gedanke gekommen, dass Sie sich das wünschen könnten.«

Diese Bemerkung war aufreizend genug, um Flora von einem Moment auf den anderen neuen Mut zu geben. »Nein?« Ihre braunen Augen verrieten Ungläubigkeit, während sie seinem kalten, nordseeblauen Blick standhielt. »Aber ich habe eine E-Mail geschickt. Ich dachte, ich hätte mich ziemlich klar ausgedrückt, was meine Absichten betrifft. Oder haben Sie die Mail nicht bekommen?«

Annabelle räusperte sich. »Sie … ähm, sie ist nur halb hier angekommen, also haben wir die Mail tatsächlich nicht bekommen, jedenfalls nicht ganz. Aber Sie verstehen Charles sicher. Er möchte nicht, dass Sie hierherkommen und in Dingen herumpfuschen, von denen Sie keine Ahnung haben«, fuhr sie energischer fort. »Natürlich werden Sie die ganze Angelegenheit mit Ihrem Vater besprechen wollen, aber er wird Ihnen gewiss raten, vernünftig zu sein und mein Angebot anzunehmen.«

»Vielleicht«, erwiderte Flora. »Doch ich sollte eines vielleicht klarstellen: Mein Vater berät mich zwar, aber ich bin alt genug, um meine eigenen Entscheidungen zu treffen.« In dem Bewusstsein, dass sie sich in einer starken Position befand, wurde Floras Stimme tiefer und freundlicher. Sollten die beiden ruhig nach Lust und Laune Phrasen dreschen.

»Es wird einige Tage dauern, die juristischen Formalitäten zu erledigen«, erklärte Charles. »Wenn Sie also hier unten ein paar Tage Urlaub machen möchten, werden Sie vielleicht feststellen, dass ein kleiner Marktflecken wie dieser wirklich nicht der richtige Ort für eine Frau aus einer Weltstadt ist.«

»Aber wo soll sie unterkommen?«, fragte Annabelle. »Hier kann sie nicht bleiben – sie hat eine Katze!«

»Und weil ich eine Katze habe, die jeden Augenblick ihre Jungen bekommt, kann ich nicht nach London zurückkehren. Ich könnte einen Unfall verursachen. Stellen Sie sich doch nur die Schlagzeile vor! ›Krankenwagen herbeigerufen, um nach einer Massenkarambolage auf der M4 bei der Geburt von Kätzchen zu helfen. Der Tierschutzverein ermittelt.««

»Wir sollten uns da nicht unnötig hineinsteigern«, sagte Charles, der Floras melodramatische Schilderung nicht einmal annähernd komisch fand.

»Nein, das lassen wir besser«, pflichtete Flora ihm bei, enttäuscht darüber, dass er kein noch so winziges Lächeln erübrigen konnte, und sei es auch nur, um höflich zu sein.

»Flora kann in dem Ferienhaus wohnen«, fuhr er fort.

»Mach dich nicht lächerlich!« Annabelle tat diese Idee unverzüglich ab. »Das Cottage ist nicht bewohnbar. Wenn es anders wäre, hätten wir es längst vermietet.«

»Es ist durchaus bewohnbar«, widersprach Charles ihr. »Es entspricht nur nicht ganz dem Standard, den die Agentur verlangt.«

»Es liegt mitten im Nichts!«, protestierte Annabelle.

Charles betrachtete diesen Umstand nicht als Problem; tatsächlich war es wahrscheinlich sogar ein Vorteil. »Flora hat einen Wagen.«

»Ja, den habe ich.« Flora lächelte, denn sie verspürte nicht das Verlangen, weiterhin Zeuge dieses Streits unter Liebenden zu sein. »Ferienhaus klingt jedenfalls wunderbar.«

»Sie werden dort wirklich nicht wohnen wollen«, erklärte Annabelle. »Es liegt weit draußen auf dem Land, in der Nähe eines Waldes. Die Eulen werden Ihnen schreckliche Angst einjagen.«

»Meinen Sie?«

»Ich möchte nicht, dass Sie Charles ständig mitten in der Nacht anrufen, weil Sie sich vor der Dunkelheit fürchten«, gab Annabelle zurück.

»Natürlich nicht«, pflichtete Flora ihr freundlich bei. »Was für ein Glück, dass ich keine Angst im Dunkeln habe. Und Eulen stören mich auch nicht.«

»Entschuldigung!«, sagte Annabelle. »Es ist einfach so, dass die meisten Leute aus London nicht in der Lage zu sein scheinen, mit der ländlichen Geräuschkulisse zurechtzukommen: mit sich paarenden Füchsen, Eulen, Katzenkämpfen und dergleichen mehr.«

»Wenn Sie Löwen haben brüllen und Elefanten haben trompeten hören und wenn zwischen Ihnen und den Tieren nur eine dünne Zeltleinwand war, dann machen Sie sich um etwas, von dem Sie nicht gefressen werden können, wohl kaum große Gedanken«, bemerkte Flora. Sie glaubte, dass diese Bemerkung der Wahrheit entsprach, auch wenn ihr selbst entsprechende Erfahrungen fehlten.

»Oh. Richtig«, erwiderte Annabelle gereizt. »Wahrscheinlich nicht.«

»Gibt es in dem Ferienhaus Bettwäsche? Töpfe, einen Schraubenzieher?«, erkundigte Flora sich zaghaft, denn sie wollte ihren Gastgebern nicht mehr Unannehmlichkeiten bereiten als notwendig.

»Ich fahre für einen Sprung nach Hause und hole ein paar Sachen. Bettwäsche habe ich wirklich reichlich«, sagte Annabelle. Sie nahm die praktische Ledertasche vom Stuhl und zog einen großen Schlüsselbund heraus. »Ist es in Ordnung, wenn ich den Landy nehme, Schätzchen?«

»Natürlich«, antwortete Schätzchen.

Als sie mit ihrem Cousin allein war, meinte Flora: »Ich sollte Sie wohl warnen, dass ich wirklich hier arbeiten will. Wenn Sie wollen, bewerbe ich mich für die Stelle der Assistentin.«

»Ich glaube wirklich nicht, dass es Ihnen gefallen würde.«

»Sie können mich unmöglich gut genug kennen, um zu wissen, was mir gefällt und was nicht! Wir sind uns gerade das erste Mal begegnet.«

»Ich weiß, aber …«

»Aber was?«

»Sind Sie früher mit einem Mann namens Justin Mateland zusammen gewesen?«

Plötzlich war Flora auf der Hut. »Ja. Kennen Sie ihn?«

»Wir haben gemeinsam die Schule besucht.«

»Oh, verstehe.«

»Ja.« Charles sah Flora lange genug mit seinen harten, blauen Augen an, um ihr die Botschaft zu übermitteln, dass sie sich seiner Meinung nach Justin gegenüber sehr schlecht benommen habe. Er sprach es nicht laut aus, sodass Flora sich hätte verteidigen können, er ließ sie lediglich wissen, wie er die Dinge betrachtete.

»Nachdem wir jetzt unsere gemeinsamen Bekannten erörtert haben, könnten wir da vielleicht zum Thema zurückkehren?«, fragte sie scharf.

»Und welches Thema wäre das?«

»Der Job. Ich wollte mich gerade darum bewerben. Wenn Sie mir vielleicht einfach ein Formular geben, das ich ausfüllen kann?«

Charles stieß einen tiefen Seufzer aus. »Oh, schon gut, das wird nicht nötig sein.«

»Aber falls Sie noch mit anderen Bewerbern sprechen …«

»Nein. Es gibt keine anderen Bewerber. Die Annonce ist schon seit Wochen geschaltet, und bisher hat sich niemand beworben, der auch nur annähernd geeignet gewesen wäre.«

»Warum nicht?« Diese Information war ein wenig beunruhigend. Galt Charles bei den Einheimischen als ein so unfairer, humorloser Arbeitgeber, dass niemand etwas mit ihm zu tun haben wollte? Das schien durchaus im Bereich des Möglichen zu liegen.

»Weil niemand, der einigermaßen qualifiziert ist, hier arbeiten will.«

»Aber warum nicht?« Sie erwartete nicht, dass er ihr unbedingt die Wahrheit sagte, doch vielleicht könnte sie ja aus seiner Antwort gewisse Schlüsse ziehen.

»Die Bezahlung, meine liebe Cousine, ist ausgesprochen mies.«

Flora biss sich auf die Unterlippe. Das war keine gute Nachricht, aber es hätte schlimmer sein können. »Ich verstehe.«

Charles schwieg eine Weile, damit Flora darüber nachdenken konnte, was es bedeutete, praktisch umsonst für eine Firma zu arbeiten, die sie nicht haben wollte, und in einem entlegenen Cottage mitten im Wald zu leben. Schließlich erklärte er: »Ich muss den Anwalt anrufen. Darf ich Sie für ein paar Minuten allein lassen? Wir haben hier einige Zeitschriften …«

»Ich komme schon zurecht. Erledigen Sie nur Ihren Anruf.« Aus reiner Gewohnheit lächelte sie abermals, aber er bemerkte es nicht.

Kapitel 2

Als Flora die uralten Ausgaben der Antiques Trade Gazette durchblätterte, Imelda in ihrer Box streichelte und darüber nachdachte, ob sie nicht einfach nachgeben und die zehntausend annehmen sollte, klopfte es an der Tür, und jemand schob den Kopf ins Zimmer. Es war der nette alte Mann. Geoffrey Irgendwer.

»Sind Sie allein?«

Flora legte die Zeitschriften, deren Lektüre ihr wie Schularbeiten erschienen war, erleichtert beiseite. »Ja. Charles spricht mit seinen Anwälten, und Annabelle ist weggegangen, um das Ferienhaus herzurichten, in dem ich wohnen soll.« Da Flora ein mitfühlendes Ohr witterte, ergriff sie die Gelegenheit, sich ihre Kümmernisse vom Herzen zu reden. »Diese Frau hatte doch tatsächlich die Frechheit, so zu tun, als wüsste sie nicht, dass ich bleiben wollte! Ich habe ihr eine E-Mail geschickt und mich diesbezüglich ganz klar ausgedrückt. Außerdem sieht es so aus, als wäre jede Frühstückspension in der Stadt wegen eines Musikfestivals vollkommen ausgebucht.«

»Das stimmt. In puncto Musik genießt Bishopsbridge einen ansehnlichen Ruf. Unser Chor hat letzte Woche das Festival eröffnet.«

Geoffrey Whiteread entschloss sich jetzt, ganz hereinzukommen. »Heißt das, dass Sie doch nicht Hals über Kopf nach London zurückfahren?«

»Nicht sofort, nein.« Flora seufzte. Sie war erhitzt und müde und ein wenig mutlos, und sie wusste nicht recht, wie lange sie das Gefühl ertragen konnte, derart unerwünscht zu sein.

»Gut. Halten Sie durch. Dieses Geschäft braucht jemanden, der frischen Wind bringt.«

»Und warum glauben Sie, ich sei die Richtige dafür? Ich habe keinen blassen Schimmer von Antiquitäten.« Charles’ Unnahbarkeit und die Realität ihrer eigenen Situation hatten das Selbstbewusstsein, das sie noch kurz zuvor an den Tag gelegt hatte, in nichts aufgelöst.

»Sie sind jung. Und Sie gehören zur Familie. Im Gegensatz zu Annabelle.«

»Wenn Sie Charles heiratet, wird sie ebenfalls zur Familie gehören.«

Geoffrey schauderte. »Nur weil die beiden einander schon seit einer Ewigkeit kennen, heißt das nicht, dass sie heiraten sollten! Annabelle hat für das Auktionsgeschäft nicht das Geringste übrig!«

»Warum will sie dann in das Geschäft einheiraten? Oder sich einkaufen?«, fügte sie bei der Erinnerung an das Zehntausend-Pfund-Angebot hinzu.

»Sie liebt Macht, und wenn sie Charles heiratet, wird sie Macht haben.« Er hockte sich auf die Tischkante. »Sie hat bereits einige katastrophale Ideen zur Kosteneinsparung entwickelt.«

»Worum geht es dabei?«, fragte Flora.

»Zunächst einmal darum, mich zu entlassen«, berichtete Geoffrey. »Sie hat Recht, ich bin alt, aber ich habe im kleinen Finger mehr Wissen und Erfahrung, was dieses Geschäft betrifft, als Annabelle in ihrem ganzen Leben je besitzen wird. Sie sagt, wir brauchen keinen Vollzeitporter, wir könnten geradeso gut mit Selbstständigen als Aushilfen arbeiten. Aber die Auktionsstücke müssen zunächst einmal sortiert und katalogisiert werden. Dafür hat Charles keine Zeit.«

Flora seufzte. »Die Sache ist die, ich weiß rein gar nichts über Antiquitäten und Sammlergegenstände oder wie immer man diese Dinge nennt. Ich kann die beiden dazu zwingen, mich hier zu behalten, aber es besteht die Möglichkeit, dass ich alles nur noch schlimmer mache.«

»Oder dass Sie genau die frische Brise sind, die dieses Geschäft braucht.«

Flora schüttelte den Kopf. »Das klingt so wie aus der Reklame für ein Raumdeo. Doch ich weiß nur das, was ich im Fernsehen aufgeschnappt habe. Ich habe einige Folgen der Antiques Roadshow gesehen und diese Sendung, in der man Dinge auf Antiquitätenmessen kauft und sie dann bei einer Auktion wieder verkauft. Das wird nicht genügen.«

»Ich werde es Ihnen beibringen«, sagte Geoffrey. »Ich habe mehr vergessen, als Sie jemals zu wissen brauchen. Ich habe jahrelang selbst als Händler gearbeitet, bevor ich dann hierher zurückgekehrt bin.«

Flora lächelte ihn an. »Das ist ein wunderbares Angebot, aber das löst nicht all meine Probleme. Da wäre noch die Frage, ob ich mit dem Leben auf dem Land zurechtkomme. Charles und Annabelle glauben offensichtlich jetzt schon, dass ich auf der Stelle zusammenbrechen werde, wenn ich nicht mindestens zwei Mal die Woche in den Genuss eines Schuhgeschäfts und einer Weinbar komme. Und dabei habe ich mir bisher noch nicht einmal irgendwelche schrecklichen Schnitzer erlaubt.« Sie sah ihn ernst an. »Es stimmt, dass ich eine Schwäche für Schuhe habe, aber ich hätte dieser Sache trotzdem gern eine Chance gegeben.«

»Wenn es Ihnen wirklich ernst damit ist, könnte ich Ihnen auch dabei helfen, sich hier einzuleben.« Er lächelte, und in seinen Augenwinkeln bildeten sich freundliche Fältchen. »Ich könnte Ihnen zwar keine Weinbar im Umkreis von dreißig Meilen nennen, aber dafür gibt es andere Möglichkeiten, sich hier zu amüsieren.« Er hielt inne. »Haben Sie schon mal gesungen?«

»Sie meinen, abgesehen von meinen Darbietungen unter der Dusche? Ich singe nämlich immer unter der Dusche. Und ich habe in der Schule gern gesungen. Meine Lehrer haben mich immer gebeten, bei den Weihnachtsliedern die Oberstimme zu singen, und ein Mal habe ich bei einem Schulkonzert ein Solo gesungen.« Sie runzelte die Stirn. »Das ist allerdings lange her. Warum fragen Sie? Wollen Sie mich zu einem Karaoke-Abend mitnehmen?«

Er kicherte. »Nicht direkt. Ich wollte Sie fragen, ob Sie nicht vielleicht Lust hätten, meinem Chor beizutreten.«

Der Gedanke war so absurd, dass Flora um ein Haar laut gelacht hätte. »Was, Sie sprechen von dem Chor, der das Festival eröffnet hat?«

Er nickte. »Das ist eine gute Möglichkeit, um Leute kennen zu lernen. Wir stellen zwar hohe Anforderungen, sind aber alles in allem eine sehr tolerante Truppe. Und wir brauchen einige höhere Stimmen. Sie wären uns sehr willkommen.«

»Das kann ich bestimmt nicht! Ich habe seit Jahren nicht mehr gesungen, und im Notenlesen war ich noch nie besonders gut.« Sie konnte sich jetzt schon vorstellen, was ihre Freunde in London sagen würden, wenn sie ihnen erzählte, sie sei einem Chor beigetreten.

»Ihre Fähigkeiten im Notenlesen werden sich schnell verbessern, wenn Sie sich erst wieder in die Materie hineingekniet haben, und Sie werden von uns die nötige Unterstützung erhalten.«

Flora dachte nach. Geoffrey war seit ihrer Ankunft hier der erste Mensch, der ihr das Gefühl gab, einigermaßen erwünscht zu sein, und sie war gerührt. »Sind Sie sich sicher? Die anderen werden mich nicht für eine grässliche Städterin halten und mich zum Kuckuck wünschen?«

Er kicherte. »Ein hübsches Mädchen wie Sie würde uns aufheitern. Nicht dass wir alle alt sind, das will ich damit nicht gesagt haben, aber im Chor gibt es schon seit Jahren keinen jungen, weiblichen Single mehr. Sie sind doch Single, oder?«

»Zurzeit, ja. Um genau zu sein, ist das quasi eine Premiere für mich.«

Wieder lachte er; er schien sie tatsächlich sehr amüsant zu finden, jedoch auf eine freundliche Art, nicht – wie Charles und Annabelle – weil er sie lächerlich fand.

»Dann begleiten Sie mich heute Abend und sehen sich das Ganze an. Vielleicht gefällt es Ihnen ja.«

Es war ein verführerischer Gedanke, vor allem, solange die Alternative darin bestand, den Abend allein in einem Ferienhaus zu verbringen. Und da sie sich ungefähr vorstellen konnte, welche Anforderungen Charles und Annabelle an ein Ferienhaus stellten, würde sie wahrscheinlich nicht einmal einen Fernseher haben, um sich von Imeldas Jaulen abzulenken. Bei dem Gedanken an Imelda bemerkte sie: »Da ist noch meine Katze. Imelda könnte jeden Augenblick werfen.«

»Sie wird sicher zurechtkommen – Katzen schaffen das schon seit einer ganzen Weile. Warum lassen Sie sie nicht für ein Weilchen aus ihrer Box, solange niemand hier ist? Vielleicht meldet sie sich ja nur deshalb zu Wort, weil sie eingesperrt ist.«

Flora schloss den alten Mann mehr und mehr ins Herz; statt zu sagen, dass die Katze schlicht und einfach Krach machte, sprach er davon, dass sie sich »zu Wort melde«.

»Würde es Ihnen dann etwas ausmachen, auf sie aufzupassen, während ich die Katzentoilette aus dem Wagen hole? Sie würde bestimmt niemals etwas tun, was sie nicht darf, aber ich kann mir lebhaft vorstellen, wie sehr Annabelle mich hassen würde, falls meine Katze auf ihren Teppich machen sollte.«

»Ich schätze, sie würde Sie dann ebenso sehr hassen, wie sie mich hasst.« Er lächelte. »Holen Sie nur die Katzentoilette, dann lassen wir Imelda für ein Weilchen heraus.«

»Sie mögen Katzen, nicht wahr?«

»Genau wie meine Frau. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie eins der Kätzchen wird haben wollen, wenn die Tiere so weit sind. Dieses Geschäft ist nicht das Einzige, was etwas junges Leben braucht.« Er grinste breit.

Es war eine solche Wohltat, mit jemandem zu sprechen, der auf sie reagierte, der sie als Menschen sah, statt nur ein Riemchenkleid, unpassende Schuhe und teure Strähnchen wahrzunehmen. Flora erwiderte Geoffreys Lächeln voller Zuneigung. Wenn dieser Mann wollte, dass sie blieb, dann würde sie bleiben, um seinetwillen ebenso wie um ihrer selbst willen. »Ich hole dann mal die Katzentoilette.«

Während Imelda im Büro umherstreifte und Geoffrey wieder an seine Arbeit zurückgekehrt war, beschloss Flora, ihre beste Freundin anzurufen, und holte ihr Handy heraus.

»Hey! Ich bins! Amüsierst du dich?«

»Ja«, antwortete Emma. »Ich bin zu Hause. Und wie gehts bei dir?«

»Nun, um ehrlich zu sein, sieht es nicht besonders vielversprechend aus, aber ich bin fest entschlossen, durchzuhalten. Zumindest für eine Weile.«

»Hast du deinen Vetter schon kennen gelernt? Wie ist er denn so?«

»Absolut grässlich.«

»Oh. Wie schade. Ich hatte gehofft, dass ihr beide, du und dein Vetter, ein wenig Spaß haben könntet, wenn du schon in der finstersten Provinz leben musst. Ist er verheiratet?«

»Verlobt. Und so stoffelig, dass er alles Lebendige allein mit seinem Blick mumifizieren könnte.«

»Und richtig fies? Oder nur im übertragenen Sinne?«

»Hm, seine Gesichtszüge sind wohl alle mehr oder weniger am richtigen Platz, doch in puncto Charme lässt er sehr zu wünschen übrig, und sein Sinn für Humor tendiert gegen null. Denke ich jedenfalls«, fügte sie hinzu.

»Also haben die beiden das neue Mitglied des Familiengeschäfts nicht gerade mit offenen Armen willkommen geheißen?«

»Das kannst du laut sagen«, erwiderte Flora grimmig. »Sie haben schon versucht, mich rauszukaufen. Ich hatte Annabelle geschrieben, dass ich gern bleiben würde, aber sie hat Charles angelogen und behauptet, sie hätte keine Ahnung von dieser Idee gehabt.«

»Oh nein.«

»Und ich muss in einem Cottage mitten in der Wildnis leben. Es hört sich ein wenig unheimlich an.«

»Aber einer der Vorteile des diplomatischen Dienstes ist doch sicher der, dass du mit deinen Eltern schon an allen möglichen eigenartigen Orten gelebt hast, oder?«

»Ja, doch die Worte ›mit meinen Eltern‹ sind der entscheidende Teil des Satzes. Es ist nicht besonders schwierig, Kakerlaken zu ignorieren, wenn man Personal hat.« Sie seufzte. »Mit anderen Worten, ich bin ein armes reiches Mädchen, Em.«

»Unsinn! Du bist zäh wie Leder. Du wirst schon zurechtkommen.« Emma wusste, welche Art von Zuspruch Flora brauchte, und sie war nur allzu gern bereit, ihn zu liefern.

Flora reagierte sofort. »Natürlich komme ich zurecht, außerdem habe ich bereits einen entzückenden alten Mann kennen gelernt, der ausgesprochen nett war und mich gefragt hat, ob ich seinem Chor beitreten möchte.«

»Ach ja?« Emma klang skeptisch.

»Nein, wirklich, er ist furchtbar nett. Älter als Dad, Em. Seine Frau wird vielleicht eins der Kätzchen nehmen.«

»Imelda hat also schon geworfen? Mein Gott! Das muss ja schrecklich gewesen sein! Deine Katze bekommt auf dem Fußboden des Konferenzzimmers ihre Jungen, während dein Vetter sie durch einen strengen Blick mumifiziert. Du sollst sehen, am Ende wirst du eine grässliche Installation mit den Kätzchen machen müssen, und dann wirst du vom Tierschutzbund durchs ganze Land verfolgt«

»Nein!«, rief Flora, als sie aufgehört hatte zu lachen. »Imelda hat noch nicht geworfen. Und du hast Recht, es wäre schrecklich gewesen. Was mich tröstet, ist die Hoffnung, dass Geoffreys Frau vielleicht eins der Kätzchen nehmen wird. Annabelle ist natürlich allergisch gegen Katzen.«

»Natürlich. Was selbstverständlich nicht ihre Schuld ist.«

»Nein. Ganz und gar nicht. Sie ist weggegangen, um irgendwelche Sachen für dieses Ferienhaus zu holen. Ich hoffe, sie denkt an einen Korkenzieher. Vielleicht fahre ich gleich noch einmal los, um einzukaufen. Du musst unbedingt irgendwann mal übers Wochenende herkommen. Und zwar bald, bitte!«

»Ich habe die nächsten Wochenenden schon ziemlich fest verplant, aber ich verspreche dir, dass ich dich besuchen werde, sobald ich kann.« Emma hielt inne. »Hör mal, du wirst bestimmt wunderbar zurechtkommen, doch du weißt, dass ihr, du und Imelda, jederzeit bei mir wohnen könnt, falls es schiefgehen sollte.«

Die Tatsache, dass ihr soeben ein Fluchtweg angeboten worden war, erhärtete Floras Entschluss, durchzuhalten und dem Landleben eine echte Chance zu geben. »Das ist wirklich lieb von dir, Em, doch was würde Dave dazu sagen? Ich, Imelda und wahrscheinlich sechs Kätzchen?«

»Er würde sich bestimmt darüber freuen, dich hier zu haben.«

Etwas in der Stimme ihrer Freundin ließ Flora stutzen. »Ist alles in Ordnung zwischen euch beiden?«

»Oh ja, alles bestens«, seufzte Emma. »Tatsächlich müsste ich ihn unbedingt gleich anrufen.«

»Dann machen wir am besten Schluss. Oh, mein Gott! Ich kann Annabelle hören, und Imelda läuft frei herum!«

Flora war es gerade gelungen, Imelda wieder in ihre Box zu verfrachten, als Annabelle auch schon mit einem großen Plastikkorb auf den Armen eintrat.

»Ich habe Ihnen ein paar Sachen mitgebracht, die Sie sicher benötigen werden. Laken, Kissenbezüge, ein Federbett und einige Bettbezüge. Wie steht es mit Ihren Kochkünsten?«, fragte sie energisch. »Oder sind Sie eher der Typ, der sich sein Essen bringen lässt?«

»Ahm – habe ich denn viel Auswahl? Gibt es in Bishopsbridge viele Restaurants, die ins Haus liefern?«

»Einige Imbissstuben, einen Chinesen und einen Balti, der übrigens sehr gut ist.«

»Aber keine Sushi-Bars?«

Annabelle hob einen Moment lang den Blick gen Himmel, was Flora sagte, dass ihre Finte funktioniert hatte.

»Nein.«

»Dann koche ich selbst. Aber natürlich nichts Besonderes«, fügte sie hinzu, weil Annabelle ihr plötzlich leidtat. Es war nicht ihre Schuld, dass sie aussah wie ein Pferd, und wenn sie sich nur anders gekleidet hätte, wäre sie vielleicht sogar hübsch gewesen.

»Aber Sie werden wohl kaum einen Schmortopf von Le Creuset benötigen. Selbst wenn Sie kochen, werden Sie bei diesem Wetter sicher keine Eintöpfe zubereiten.« Annabelle, die nicht wusste, dass sie zum Gegenstand von Floras Mitgefühl geworden war, wandte sich wieder dem eigentlichen Thema zu. »Im Cottage werden Sie einige annehmbare Töpfe finden. Jedenfalls sind sie groß genug, um Kochbeutel hineinzulegen.«

Flora beschloss, sich einen geistigen Waffenstillstand mit Annabelle zu verordnen. Womöglich war sie in nächster Zeit für sie das Einzige, was weiblicher Gesellschaft halbwegs nahekam, und es war in jedem Falle besser, wenn sie sich anfreundeten. Außerdem brannte es Flora unter den Nägeln, sich Annabelles Kleiderschrank einmal vorzunehmen, und wenn sie auch nur in die Nähe dieses Schranks kommen wollte, musste sie sich mit der anderen Frau gut stellen.

»Ich komme sicher mit allem zurecht, was Sie haben. Obwohl eine antihaftbeschichtete Bratpfanne nicht schlecht wäre. Wenn ich müde bin, kriege ich immer furchtbaren Appetit auf ein Omelett. Das kennen Sie doch bestimmt auch?«

»Eine solche Pfanne haben Sie drüben, aber für Omelettes brauchen Sie eine richtige Pfanne.«

Flora schüttelte den Kopf. »Eine beschichtete Pfanne reicht mir vollkommen. Ich möchte Ihnen wirklich keine Umstände bereiten.«

Annabelle erwiderte ihr Lächeln, und Flora dachte, dass sie öfter lächeln sollte. Es ließ sie erheblich weicher erscheinen, und sie hatte sehr schöne Zähne. Vielleicht eine Spur zu groß, aber weiß und regelmäßig. »Das macht keine Mühe. Wir hätten das Feriencottage schon vor einer Ewigkeit auf Vordermann bringen sollen. Wenden Sie sich an mich, wenn etwas fehlt oder überhaupt nicht funktioniert.«

»Gern.«

»Es gehört auch ein hübscher kleiner Garten zum Haus. Sie mögen nicht zufällig Gartenarbeit? Es wäre uns wirklich eine Hilfe, wenn Sie die Zeit erübrigen könnten, die vorderen Beete zu jäten.«

»Das kann ich bestimmt einrichten. Natürlich nur, wenn ich die nötigen Geräte habe.«

»Oh ja, die Gartengeräte hatte ich ganz vergessen. Ich werde mal sehen, was ich da organisieren kann. Schließlich werden Sie hier nicht viel zu tun haben, nicht wahr?«

Flora lächelte. Charles hatte wahrscheinlich noch keine Gelegenheit gehabt, ihr zu erzählen, dass sie sich auf das Zeitungsinserat beworben und den Job bekommen hatte. »Zumindest im Augenblick noch nicht«, meinte sie. »Und das Wetter ist ja einfach himmlisch. Es wäre schön, ein wenig Zeit an der frischen Luft zu verbringen.«

»Hmhm.« Annabelle durchquerte den Raum und öffnete das Fenster, das Flora geschlossen hatte, damit Imelda es nicht zur Flucht benutzen konnte. »Da wir gerade davon reden – es riecht hier furchtbar nach Katze, finden Sie nicht auch?«

»Ah. Das könnte Imeldas Katzentoilette sein. Ich musste sie hereinholen.«

»Oh.« Annabelle blickte beunruhigt drein. »Sie wissen ja, dass ich damit nicht in Berührung kommen darf.«

»Oh«, murmelte Flora und vergaß prompt ihren Waffenstillstand. »Sind Sie schwanger?«

»Natürlich nicht! Wir sind noch nicht verheiratet. Ich dachte, das hätten wir erzählt.«

»Natürlich, aber Sie wissen ja, wie das auf dem Land so ist.« Flora konnte der Versuchung nicht widerstehen. »Viele Männer heiraten erst dann, wenn die Frau bewiesen hat, dass sie fruchtbar ist und einen Erben gebären kann.«

»Sie machen Witze, nicht wahr?«, fragte Annabelle nach einigen qualvollen Sekunden.

»Ja«, seufzte Flora. Aber diese Mühe werde ich mir nicht noch einmal machen, fügte sie im Stillen hinzu. »Wenn Sie jetzt so freundlich wären, mir den Weg zum nächsten Supermarkt zu beschreiben, könnte ich schnell noch einkaufen gehen. Geoffrey wird solange ein Auge auf Imelda haben.«

»Geoffrey? Whiteread? Sie haben ihn kennen gelernt?«

»Ja. Wir haben uns vorhin kurz unterhalten.«

»Ein grässlicher Mensch«, murmelte Annabelle. Dann fügte sie lauter hinzu: »Aber er wird sich um Ihre Katze kümmern?«

»Ich glaube, ja. Wenn Sie mir zeigen, wo ich ihn finden kann, werde ich ihn darum bitten.«

Dank Annabelles bemerkenswert präziser Wegbeschreibung hatte Flora den Supermarkt schon bald gefunden. Er war klein, führte aber alles, was man sich wünschen konnte. Sie ließ gerade, auf der Suche nach einer Streuwürze, den Blick über die Dosen mit Soßenpulver gleiten, als ihr ein Einkaufswagen über die Zehen fuhr.

»Au!«

»Oh, mein Gott, das tut mir leid!«

Flora sah zu dem Besitzer einer ausgesprochen wohlklingenden Stimme empor. Er hatte von der Sonne gesträhntes Haar und ein markantes, ausdrucksvolles Gesicht. Die Bräune seiner Haut ließ seine Augen umso blauer erscheinen. Sein Hemd stand am Hals offen und war unzweifelhaft einmal ziemlich teuer gewesen. Jetzt jedoch war es verblichen und gerade auf die richtige Weise abgetragen, um ausgesprochen anziehend zu wirken. Seine Hose befand sich in einem ähnlichen Zustand. Jetzt blickte er mit einem entschuldigenden Lächeln auf sie herab.

»Das tut mir sehr leid«, wiederholte er. »Ich habe einen Wagen erwischt, der sich nicht lenken lässt. Sind Sie verletzt?«

Flora lächelte zurück. »Nein, nein, alles bestens. Ich habe mich nur ein wenig erschreckt, das ist alles.«

»Und Ihre Zehen sind nicht gebrochen?«

Sie sahen beide auf ihre Zehen hinunter, deren Nägel passend zu der Pfingstrose auf ihren Schuhen in einem leuchtenden Pinkton lackiert waren. »Scheint nichts passiert zu sein«, antwortete sie.

»Ich hätte mir nie verziehen, wenn einem so hübschen Fuß etwas zugestoßen wäre«, sagte er mit einem unübersehbaren Zwinkern.

»Das hätte ich Ihnen auch nicht verziehen.« Flora zwinkerte zurück.

Er lachte. »Sind Sie neu in der Gegend? Oder sind wir uns einfach nur noch nicht begegnet?«

»Ich bin neu hier, aber ich freue mich zu hören, dass Sie nicht ständig irgendwelche Leute mit Ihrem Einkaufswagen überrollen.«

»Ich überrolle nur dann jemanden, wenn mein Wagen ein schief stehendes Rad hat. Das verspreche ich Ihnen.«

»Ich nehme Sie beim Wort«, meinte Flora und ging weiter. So sehr sie einen Flirt zu schätzen wusste, würde Charles sie gewiss bald zu dem Cottage führen wollen, und sie wollte ihn nicht warten lassen. Seine Laune war schon schlecht genug.

»Vielleicht stoßen wir ja irgendwann noch einmal zusammen«, sagte der Mann und schnitt eine Grimasse, als ihm die unbeabsichtigte Doppeldeutigkeit seiner Worte bewusst wurde.

»Vielleicht«, rief Flora grinsend über die Schulter.

Zu ihrer Überraschung war Charles keineswegs schlecht gelaunt, als sie mit fünf Minuten Verspätung ins Haus zurückkehrte. Stattdessen wirkte er eher zerknirscht.

»Es tut mir furchtbar leid, aber es ist etwas mit Ihrem Wagen passiert.«

»Was soll das heißen?«, fragte Flora verwirrt. »Was kann denn schon passiert sein? Ich war doch gar nicht damit unterwegs.«

»Nein, natürlich nicht. Ihr Wagen ist angefahren worden.«

»Aber wie ist das möglich? Und wer hat ihn angefahren?«

Die ganze Angelegenheit schien ihm äußerst peinlich zu sein. »Es war Annabelle. Es ist ihr furchtbar unangenehm.«

»So unangenehm, dass sie es mir nicht persönlich sagen kann?«, fuhr Flora auf.

»Ja«, erwiderte er energisch. »Und es tut ihr sehr leid. Jetzt lassen Sie uns Ihre Sachen in den Landrover packen, dann fahre ich Sie zu dem Cottage rüber. Ihr Wagen wird so schnell wie möglich in Ordnung gebracht werden. Wir haben hier eine sehr gute Werkstatt, die das übernehmen kann. Ihre Katze sitzt bereits im Auto und macht einen Höllenlärm.«

»Annabelle hat sich über die Sache mit Ihrem Wagen wirklich sehr aufgeregt«, wiederholte Charles einige Minuten später, als sie in dem Landrover saßen und Imelda in ihrer Box immer noch laut miaute.

»Ich weiß. Sie hat es mir erzählt. Es ist schon in Ordnung.«

Nachdem Charles Annabelle beteuert hatte, dass Flora ihr nicht den Kopf abreißen würde, war sie selbst aufgetaucht, um sich persönlich zu entschuldigen. Flora, die sich vergeblich bemühte, dieses schwierige Paar für sich zu gewinnen, hatte sehr freundlich reagiert.

»Wenn Sie nicht ganz so dicht an der Ecke geparkt hätten, dann …«, begann Charles jetzt.

Flora seufzte. Sie fand es ein wenig ermüdend, dass die beiden versuchten, ihr die Schuld an diesem kleinen Zwischenfall in die Schuhe zu schieben. Da sie zu der Zeit jedoch im Supermarkt gewesen war, würde es ihnen ganz gewiss nicht gelingen. »Das hat Annabelle auch gesagt.«

»Sie ist ganz außer sich deswegen. So etwas ist ihr noch nie zuvor passiert.«

»Oh, hm. Wahrscheinlich leidet sie am prämenstruellen Syndrom.«

»Was?« Charles war sichtlich entsetzt.

»Haben Sie noch nie davon gehört? Es betrifft Frauen …«

»Ich weiß genau, was das ist. Vielen Dank. Annabelle hat damit keine Probleme!«

»Nun, wahrscheinlich war sie abgelenkt. Von einer Katze oder etwas Ähnlichem. Völlig verständlich.«

»Wie dem auch sei, der Schaden ist nur sehr geringfügig. Sie werden Ihren Wagen in wenigen Tagen zurückhaben.«

»Ich weiß. Das haben wir alles bereits besprochen.«

»Ich muss schon sagen, Sie nehmen das alles sehr gelassen auf.« Er musterte sie verwirrt.

Flora dachte bei sich, dass ihre Gelassenheit relativ war – weil andere Leute heftiger reagiert hätten –, aber sie entgegnete: »Nun, der Wagen gehört nicht mir. Warum sollte ich mir also darüber den Kopf zerbrechen?«

»Der Wagen gehört Ihnen gar nicht!« Charles war sofort wieder auf hundertachtzig. »Wem gehört er dann?«

»Meinen Eltern. Aber es ist wirklich kein Problem«, versicherte sie zum zehnten Mal. »Die beiden sind auch nicht übermäßig empfindlich, was Autos betrifft.«

»Dasselbe gilt für mich, aber Reparaturen kosten Geld!«

»Ich hoffe, Sie haben Annabelle deswegen nicht angeschrien.«

»Ich schreie nie!«, sagte er sehr laut.

»Nein, natürlich nicht«, antwortete Flora und blickte aus dem Fenster.

»Vielleicht manchmal, wenn man mich sehr herausfordert.«

»Seien Sie versichert, ich werde Sie niemals herausfordern, Charles«, erklärte sie und fragte sich, wie um alles in der Welt sie miteinander auskommen sollten. »Es ist sehr freundlich von Ihnen, mich zu fahren«, fügte sie rasch hinzu, um das Gespräch wieder auf das Niveau langweiliger Höflichkeit zu lenken. »Und vor allem ist es wirklich freundlich, dass Sie mir das Ferienhaus leihen.«

»Es ist Annabelles Cottage. Ich springe nur ein, wenn man Leitern benötigt oder schwer tragen muss.«

Flora fragte sich, in welche dieser Kategorien sie selbst fallen mochte. Alles in allem bevorzugte sie es, eine Leiter zu sein.

»Sie hätte Sie selbst hingebracht«, fuhr er fort, »aber sie hasst den Landrover. Sie ist auf eine Tasse Tee nach Hause gefahren.«

»Gute Idee«, murmelte Flora und verspürte plötzlich ihrerseits ein heftiges Verlangen nach einer solchen Stärkung.

»Das Cottage ist sehr einfach eingerichtet, aber wenn Sie wirklich bleiben wollen, wären Sie unterm Strich besser bedient mit einem Fahrzeug mit Vierradantrieb.«

»Ich werde schon klarkommen. Ich möchte nicht noch einen Wagen kaufen.«

»Die Firma könnte Ihnen womöglich einen passenden Wagen zur Verfügung stellen. Tatsächlich werden wir genau das tun, falls die Reparaturen an Ihrem Auto zu lange dauern sollten. Den Landrover würden Sie nicht fahren wollen.«

»Ach nein?«

»Er ist sehr schwer.«

Flora seufzte. Würde sie jemanden aus einem brennenden Gebäude retten müssen, um Charles davon zu überzeugen, dass sie im Leben und mit Autos ganz gut zurechtkam?

Vielleicht aus reiner Solidarität begann Imelda wieder zu miauen.

»Sie ist aber ziemlich beharrlich«, meinte Charles mit einem Blick über die Schulter zu dem Katzenkorb hinüber. »Das muss man ihr lassen.«

»Sie ist seit Stunden in diesem Ding eingepfercht, das arme kleine Schätzchen«, erinnerte Flora ihn. »Wenn es eine andere Möglichkeit gegeben hätte, hätte ich sie nicht mitgenommen, das versichere ich Ihnen.«

»Es wäre besser gewesen, wenn sie nicht trächtig wäre«, bemerkte Charles.

»Ja. Unglücklicherweise war sie aber schon trächtig, als ich sie bekam.«

»Und könnte derjenige, von dem Sie sie bekommen haben, sie nicht zurücknehmen? Unter den gegebenen Umständen …«

»Eigentlich nicht. Es war nämlich der Grand Union Canal. Ich habe sie aus dem Wasser gefischt; sie trieb in einer Einkaufstüte den Kanal hinunter.«

»Ah.« Er hielt inne. »Tut mir leid. Das wusste ich nicht. Sie machen auf mich nicht den Eindruck eines Menschen …« Er brach abermals ab, als wollte er es vermeiden, sie irgendwie zu kränken.

»Eines Menschen, der Katzen in Einkaufstüten rettet?«

»Oh nein.« Er runzelte die Stirn. »Sie sehen genauso aus wie jemand, der so etwas tun würde, sentimental und mit einem furchtbar weichen Herzen. Ich meinte, Sie wirken nicht wie ein Mensch, der dem Kanal freiwillig auch nur in die Nähe kommen würde.«

Trotz seines beleidigenden Benehmens erheitert, beeilte sie sich, ihn zu beruhigen. »Oh, es war kein richtiger Kanal, es war in Klein-Venedig. Die Gegend dort ist furchtbar elegant. Ich habe eine Freundin auf einem schmalen Boot besucht.«

»Verstehe.«

Einen Moment lang glaubte sie, einen schwachen Funken von Humor wahrzunehmen, aber er war sofort wieder erloschen.

»Ich denke, dass Sie mir gegenüber ein bisschen unfair waren«, bemerkte sie freundlich. »Oh?«

»Hmhm. Sie ziehen wegen meines Aussehens voreilige Schlüsse über mich, statt herauszufinden, was ich unter meinen Kleidern wirklich für ein Mensch bin.« Eine Sekunde zu spät wurde ihr die Doppeldeutigkeit ihrer Worte bewusst. »Ich meine, obwohl ich nicht viel anhabe, weil heute so ein heißer Tag ist, bin ich ziemlich vernünftig und habe durchaus meine Talente.«

»Mir ist bewusst, dass Sie eine sehr attraktive Frau sind, Flora.« Sie musste wohl schon dafür dankbar sein, dass er nicht »Mädchen« gesagt hatte. »Aber Sie werden feststellen, dass Sie sich nicht ständig nur auf ihren Charme und Ihr Aussehen verlassen können.«

»Nein.« Flora fühlte sich fast so mies, als hätte er ihr ins Gesicht geschlagen.