Eine Nacht im Februar - Lisa Kruger - E-Book

Eine Nacht im Februar E-Book

Lisa Kruger

0,0

Beschreibung

Nick Hutton hat ein Leben, wie es viele träumen: erfolgreich, vermögend, attraktiv, ungebunden. Zu seinem Leben zählen zahllose Affären - die große Liebe mit Hochzeit, Familie und Kindern kam für ihn nie Frage. Womit er bei Frauen viele gebrochene Herzen hinterließ. Der einzige, der nicht in das Bild des Playboys passt, ist sein Hund. Der junge Terrier Murphy sorgt dafür, das Nick Huttons sorgloses Leben aus den Fugen gerät. Murphy führt ihn zu einer Frau, die ihm so gefährlich werden kann wie kaum jemand zuvor. Denn Rebecca Hold ist Journalistin und für ihre ebenso hartnäckigen wie kompromisslosen Recherchen bekannt. Ihr nächstes Ziel: der verschwiegene Hedgefonds-Manager Nick Hutton. Eine Nacht im Februar ändert alles. Denn beiden kommt etwas dazwischen, mit dem sie nicht gerechnet hatten. Sie müssen sich zwischen Job und Liebe entscheiden, es sei denn ....

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 418

Veröffentlichungsjahr: 2017

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Eine Nacht im Februar

Das BuchImpressumKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22

Das Buch

Nick Hutton hat ein Leben, wie es viele träumen: erfolgreich, vermögend, attraktiv, ungebunden. Zu seinem Leben zählen zahllose Affären - die große Liebe mit Hochzeit, Familie und Kindern kam für ihn nie Frage. Womit er bei Frauen viele gebrochene Herzen hinterließ. Der einzige, der nicht in das Bild des Playboys passt, ist sein Hund. Der junge Terrier Murphy sorgt dafür, das Nick Huttons sorgloses Leben aus den Fugen gerät. Murphy führt ihn zu einer Frau, die ihm so gefährlich werden kann wie kaum jemand zuvor. Denn Rebecca Hold ist Journalistin und für ihre ebenso hartnäckigen wie kompromisslosen Recherchen bekannt. Ihr nächstes Ziel: der verschwiegene Hedgefonds-Manager Nick Hutton. Eine Nacht im Februar ändert alles. Denn beiden kommt etwas dazwischen, mit dem sie nicht gerechnet hatten. Sie müssen sich zwischen Job und Liebe entscheiden, es sei denn ....

Impressum

Die Personen und die Handlung des Buches sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.

Texte: © Copyright by Lisa Kruger

Umschlag: © Copyright by pexels.com

Verlag:

Lisa Kruger

Holzweg 77

46509 Xanten

[email protected]

Kapitel 1

“Hey…”. Rebecca hörte ein leichtes Trappeln und sah gerade noch, wie ein Fellknäuel durch ihre Wohnungstür huschte. Natürlich hatte sie sie wieder offen stehen gelassen, als sie eben kurz zum Briefkasten ging. Natürlich hatte sie wieder keinen Schlüssel mit, und natürlich hoffte sie, dass die Wohnungstür nicht wieder zufallen würde. Sie schloss den Briefkasten auf, nahm zielsicher einige Briefe mit und klappte die kleine Tür wieder zu.

Vermutlich war sie eine der wenigen, die in diesen digitalen Zeiten noch Briefe erhielt. Wenn heute ein Postbote kam, war er meistens mit Paketen diverser Onlineshops bepackt. Sie aber schätzte den guten alten Brief – des Postgeheimnisses wegen. Dies hing sicher auch mit ihrem Job als Journalistin zusammen. Im Netz war der Datenschutz schon lange nicht mehr gewährleistet. Das Briefgeheimnis hingegen war nach wie vor ein hohes Gut. Wollte sie an wichtige, geheime oder belastende Informationen gelangen, ging es heutzutage manchmal nicht anders als mit einem guten alten Brief.

Wer oder was da genau in ihrer Wohnung unterwegs war, hatte sie so schnell nicht sehen können. Sie beeilte sich. “Hallo?”, rief sie vorsichtig in ihren Flur. Okay, nach einem Tier Hallo zu rufen, war nicht wirklich clever, andererseits verstand ein Tier ihre Worte auch nicht. Tapp, tapp, tapp – sie hörte wieder die leisen, aber federnden Schritte. Dann schauten zwei Knopfaugen aus der Küche neugierig hervor Ein Hund! Und was für einer! Ein Foxterrier. In den bekannten drei Farben: weiße Haare an Kopf, Körper, Beinen und Schwanz, abgesetzt mit schwarzen und braunen Flecken. In seinem Fall waren beide Ohren braun, der Hals braun und schwarz. Auf dem Rücken hatte er noch einen schwarzen Fleck, der aussah, als ob sich eine Decke um ihn legte. Die Schwanzspitze war ebenfalls schwarz. Ein bildhübscher Hund. Und das wusste er offenbar auch selbst.

Sie schloss die Wohnungstür, blieb im Flur stehen und beugte sich leicht hinunter. Nicht zu tief, falls er versuchte, sie anzuspringen oder nach ihr zu schnappen. “Hey, mein Kleiner, wer bist Du denn?” Angst hatte sie vor Hunden noch nie gehabt. Sie streckte ihren Arm aus, ballte die Hand zu einer lockeren Faust und drehte sie etwas nach innen. Das schien seine Neugier zu wecken. In der Hoffnung, ein Hundeleckerli zu finden. Er trabte auf sie zu, blieb aber rechtzeitig stehen. Streckte die schwarze, feuchte Nase leicht vor und beschnupperte ihre Hand.

Sie öffnete vorsichtig die Faust, drehte die Hand und versuchte, ihn unter seinem Hals zu streicheln. Was er auch zuließ. Ängstlich schien er jedenfalls nicht zu sein. Sie erhob sich und ging den Flur entlang, bog rechts in die Küche ab. Er folgte ihr. Nun hatte sie nur das Problem: Wie hieß der Hund? Woher kam er – und vor allem: Wem gehörte er? Da die Haustür verschlossen war – wie eigentlich immer – musste er bereits im Gebäude gewesen sein. Er hätte sonst nur mit dem Briefträger ins Haus gelangen können. Der aber hätte sicherlich etwas bemerkt.

Außer ihr selbst im Erdgeschoss wohnten in den oberen Etagen jeweils zwei Parteien, insgesamt 13 Wohnungen. Sie kannte sie zwar nicht alle Bewohner bestens, wusste aber, dass eigentlich kein Hund im Haus lebte. Also vielleicht zu Besuch? Immerhin eine Möglichkeit. Den einzigen, den sie bisher nicht gesehen und kennengelernt hatte, war der neue Eigentümer der Wohnung im obersten Stockwerk. Die Ausbauarbeiten schienen beendet, und es sollte wohl auch jemand eingezogen sein, so viel wusste sie.

Ein Banker oder Manager. Zweifelsohne aber jemand mit Geld, sonst hätte er den Ausbau nicht finanzieren können. Wobei – Ausbau traf es nicht richtig. Das Hausdach war abgetragen und das Gebäude um eine komplette Etage aufgestockt worden. Zwar bestand Wohnungsmangel allerorten, dass der aber durch solche Maßnahmen behoben werden konnte, daran zweifelte sie.

Ob der Kleine Durst hatte? Sie nahm eine Porzellanschüssel aus einem der Küchenschränke und füllte sie mit lauwarmem Wasser. Erwartungsvoll beobachtete der Terrier sie. Als er jedoch merkte, dass sich nur Wasser in der Schüssel befand, schleckte er zwar höflich ein bisschen davon, hatte aber wohl etwas anderes erwartet. Er schaute sie erneut mit seinen dunkelbraunen Augen an und wedelte langsam mit dem Schwanz.

Rebecca war zwar keine Hundeexpertin, schätzte den Hund aber noch jung ein. Zwei bis drei Jahre alt, vielleicht. Als sie sich nicht rührte, drehte er sich weg. Ihre Wohnung interessierte ihn ohnehin mehr. Im Wohnzimmer war ihm – zum Glück für sie – der Weg in den Garten versperrt. Dort hätte er sich vermutlich gut aus dem Staub machen können. Der Garten war zwar eingezäunt, aber wer weiß, wie sicher der Zaun noch war und wie hoch er springen konnte.

Nachdem er die Terrassentür abgeschnüffelt hatte, wandte er sich dem kleinen Couchtisch und dem Sofa zu. Ein schneller Sprung – schon thronte er auf der Couch. Rebecca musste unwillkürlich lachen. Sie war sich nicht sicher, ob seine Krallen dem Sofaleder gut täten. Aber er war schon weiter in der Wohnung unterwegs. Den Schwanz auf halber Höhe leicht wedelnd, besuchte er nun ihr Arbeitszimmer. Ein wenig aufgeregt zwar, aber er schien niemanden zu vermissen.

Als Nachrichtenchefin in einem großen Verlag hatte sie häufig unkonventionelle Arbeitszeiten – so auch heute. Erst ab dem frühen Nachmittag wurde sie in der Redaktion erwartet. Noch ein paar Stunden Zeit also bis dahin. So sehr sie den Hund mochte, er ließ sie doch etwas unruhig werden. Was, wenn keiner nach dem kleinen Racker suchte? Dann müsste sie wohl im Haus von Tür zu Tür gehen und fragen, ob jemand einen jungen, vorwitzigen Terrier vermisse.

Aus ihrem Schlafzimmer – Schlafzimmer! – riss sie ein leises Knurren aus ihren Gedanken. Sie lief aus dem Wohnzimmer durch den Flur ins Schlafgemach. Der Hund hatte einen ihrer dicken Wollsocken gefunden. Offensichtlich war er ihm feindlich gesonnen. Den Socken zwischen den Zähnen schüttelte der Terrier wild seinen Kopf, als wollte er den Socken-Feind in der Luft zerreißen, und knurrte angsteinflößend. Sobald sie jedoch nach dem Strumpf griff, lief er triumphierend davon, drehte sich um, wartete und lauerte darauf, dass sie es wieder versuchen würde. Konnte sie ihn erhaschen, spielte er Tauziehen mit ihr und dem Strumpf. Den Strumpf konnte sie also abschreiben. Wegnehmen war also zwecklos. Rebecca setzte sich auf ihr Bett und beobachtete ihn bei seinem Spiel. Sie hatte ihn bereits jetzt in ihr Herz geschlossen. Wie gern würde sie ihn behalten! Rebecca seufzte. Leider kam das so gar nicht in Frage. Und nun?

Alle Wohnungstüren waren erneuert worden. Sie waren gut gedämmt und schirmten den Geräuse aus dem Treppenhaus weitgehend ab. Deswegen vernahm sie den Pfiff auch kaum. Der Hund dagegen hielt plötzlich inne, hob seinen schlanken, hübschen Kopf, ließ die Socke fallen und galoppierte in Richtung Tür.

Rebecca wusste nicht, ob Hunde galoppieren können, jedenfalls ähnelten Murphys Tempo und Gangart der einem Pferd. Sie folgte ihm völlig überrascht. Erst jetzt hörte auch sie die lauter werdenden Pfiffe. Offensichtlich suchte doch jemand nach dem Hund! Der Terrier jaulte leise, wedelte mit dem Schwanz und sprang an der Tür hoch.

Wenn sie jetzt die Tür öffnete, um nachzusehen, könnte er ihr vielleicht entwischen. Sie bekam ihn zu fassen und bugsierte ihn gegen seinen Willen in ihr Arbeitszimmer. So konnte sie gefahrlos ihre Wohnungstür öffnen, ohne dass ihr der Hund entwischte. Sie verschloss sorgfältig die Tür des Arbeitszimmers, ging durch den Flur zurück, öffnete ihre Wohnungstür und spähte hinaus. “Murphy, Murphyyy!”, hörte sie draußen jemanden rufen. “Wo bist du denn schon wieder?” Dann ein scharfer Pfiff. Sie griff nach ihrem Schlüssel am Garderobenbrett (dass sie in diesem Moment daran dachte!) und ging hinaus.

Was sie sah, verschlug ihr fast den Atem – oder wahlweise hätte sie fast durch die Zähne gepfiffen: Ein unfassbar gut aussehender Typ kam durch das Treppenhaus. Alles an ihm erschien perfekt und teuer: durchtrainiert, groß, schwarze Jeans, hellblaues Hemd, den obersten Knopf geöffnet, die Ärmel lässig hochgekrempelt. Die pechschwarzen Haare erschienen auf der einen Seite länger als auf der anderen, offenbar trug er sonst einen Seitenscheitel. Im Moment fielen ihm einige vorwitzige Strähnen direkt in die Stirn. Unter den schmalen schwarzen Augenbrauen glänzten hellwache grüne Augen, die unablässig alles in sich aufzunehmen schienen. Sein Gesicht war eher schmal, mit hohen Wangenknochen, vollen Lippen und einem etwas kantigen Kinn.

Rebeccas Gefühle fuhren Achterbahn, die ihr Verstand verzweifelt in den Griff zu bekommen suchte. Aus ihren zahlreichen Gesprächen und Interviews als Journalistin kannte Rebecca solche Menschen. In der Regel Männer, die wissen, was sie wollen und es auch durchsetzen. Die ihre Macht, ihren Einfluss und ihr Vermögen nicht verbergen können, egal wie höflich, freundlich oder charmant sie sich nach außen gaben oder wie leger sie sich auch kleideten. Es lag in ihren Bewegungen, ihren Gesten, selbst in ihren Stimmen. Rebecca stand gewissermaßen einem Prototypen dieser Gattung gegenüber.

Offensichtlich war er leicht verärgert, wie seine Stimme verriet. Rebecca schätzte ihn auf Ende Dreißig, höchstens Anfang Vierzig. “Endlich sieht man in diesem Haus mal jemanden”, rief er, als er sie entdeckt hatte, und nahm locker die beiden letzten Stufen Richtung Erdgeschoss. Es war ein Dienstag, ein früher Vormittag. Eine Zeit, zu der viele Hausbewohner auf der Arbeit waren. Er offensichtlich aber nicht. “Haben Sie meinen Hund gesehen? Einmal nicht aufgepasst, schon ist der Racker wieder entwischt.” Zur Bestätigung hielt er die Hand mit der schwarzen Leine leicht hoch. Er lächelte, seine Augen verrieten aber eher Sorge. Rebecca musste sich an sich halten, damit sie ihn nicht anstarrte: Sein Auftreten, seine Stimme, seine Augen nahmen sie gefangen.

Sie schluckte, weil sie sich innerlich zusammenreißen musste, und kam ihm einen Schritt entgegen. “Ich habe ihn nicht nur gesehen, ich weiß, wo er ist”, sagte sie. Froh, dass sich nun doch alles aufklärte. “In meiner Wohnung. Ihr Hund hat die Gelegenheit genutzt, als ich zum Briefkasten ging.” Er musterte sie von oben bis unten – interessiert, offen, ungeniert. Und er wollte, dass sie es bemerkte. Sie blickte ihm möglichst unbeeindruckt direkt in die Augen. Das wäre dann schon mal geklärt, dachte sie. Das Spiel hatte begonnen. Also doch so ein Frauentyp, der sich seiner Wirkung sehr bewusst ist. Und sehr, sehr sicher.

“Murphy ist bei Ihnen? Glück gehabt. Ich hatte befürchtet, er wäre ganz weggelaufen, raus auf die Straße.” Wieder dieses Lächeln. Weiße Zähne. Grüne Augen. Noch nie hatte sie solche grünen Augen und einen solchen stechenden, durchdringenden Blick gesehen. Und noch nie hatte sie eine solche Stimme gehört. Gar nicht mal sehr tief, eher dunkel und rau. Als wenn er heiser wäre, aber dabei viel vibrierender. Sie hinterließ einen kleinen, wohligen Schauer auf Rebeccas Haut. “Kommen Sie bitte mit”, sagte sie und schloss ihre Wohnungstür auf.

Murphy konnte es kaum erwarten, er jaulte aus dem Arbeitszimmer, weil er die Stimme natürlich längst erkannt hatte. Als Rebecca die Tür öffnete, sprang er dem gut aussehenden Fremden vor Freude fast auf den Arm. “Alter Junge, nichts als Ärger mit Dir”, tadelte er den Hund mit gespielter Sorge. Murphy verstand sofort: Er nahm den Tadel überhaupt nicht ernst.

“Entschuldigung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt”, wandte er sich an Rebecca. “Das macht nichts, ich ja auch nicht”, erwiderte sie steif. “Nick Hutton. Ich bin erst kürzlich eingezogen. Oberstes Geschoss.” Er hielt ihr die Hand hin. “Freut mich. Rebecca Hold.” Angenehm warme, trockene Hand, fester Händedruck – was auch sonst – und den sie erwiderte. Seine Augen ließen sie nicht aus dem Blick, Rebecca fühlte sich wie unter einem Mikroskop. Sie standen unschlüssig in ihrem Flur, und er machte keine Anstalten, zu gehen.

“Kaffee?”, dazu rang Rebecca sich schließlich durch, um die Stille zu überbrücken. “Ja, gern.” Wieder ein Lächeln. Sie führte ihn durch den Flur zur Küche. Der Flur war der längste Raum ihrer Wohnung, dunkles Parkett, weiße Wände und Decke, und mehrere Türen zweigten ab. Direkt rechts am Eingang befand sich eine Garderobe, in schwarz gehalten, mit einem kleinen Tisch als Ablage und einer kleinen Leuchte. Strahler sorgten für angenehmes Licht. Eine Tür auf der linken Seite war unverschlossen, es handelte sich um das Schlafzimmer. Murphy kannte sich schon aus und trabte vorneweg.

Nick Hutton folgte ihr. Sie war schmal, kleiner als er, gut 1,70 m groß, schätzte er. Sie bewegte sich sehr geschmeidig, fast ohne Anstrengung. Ihre Hüften schwangen leicht in der Bewegung mit, ohne dabei aufreizend oder gar provozierend zu wirken. Einfach natürlich. Ihre schwarzen Haare, dazu die schwarze Hose und Bluse unterstrichen diesen Eindruck, der sie zugleich sehr elegant wirken ließ. Lediglich ein knallrotes Halstuch wich von diesem Look ab. Es irritierte ihn. Nicht allein der hervorstechenden Farbe wegen, sondern weil es nicht locker um den Hals und auf die Schultern fiel, sondern sehr eng gebunden war. Draußen war zwar erst leichtes Frühjahr, aber es war nicht mehr so kalt, dass man mit dicken Schals aufwarten müsste, fand er.

Die Wohnung schien gut aufgeteilt. Am Ende des Flurs befand sich offenbar ein größerer Raum, vermutlich das Wohnzimmer. Sie bog vorher rechts ab. “Bitte kommen Sie und nehmen Sie Platz.” Die Küche war überraschend groß. Sie verfügte über zwei Türen: die Flurtür, aus der sie beide die Küche betraten, links davon eine weitere zum Wohnzimmer. Gegenüber der Flurtür befanden sich zwei große Fenster, so dass es hier fast immer sehr hell war. Direkt rechts und an der vierten Wand standen Schränke, Backofen, Herd und vermutlich auch ein Kühlschrank. Die Mitte des Raumes nahm ein großer dunkler Tisch mit sechs ebenso dunklen Stühlen ein. Das scheint offensichtlich das Konzept dieser Wohnung zu sein, dachte Nick. Starke Kontraste. Für seinen Geschmack zu viel Kontraste und zu wenig Abwechslung. “Danke”, sagte er, zog einen der Stühle zu sich und setzte sich so, dass er sie sehen konnte. Murphy legte sich zu seinen Füßen.

Natürlich setzte er sich nicht einfach so an einen Tisch, dachte Rebecca. Er ging um den Tisch, die Fenster im Rücken, den Stuhl platzierte er so, dass er die Beine übereinanderschlagen und einen Arm locker auf der Lehne eines zweiten Stuhls ablegen konnte. Reviermarkierung. Immerhin, den Tisch gab er frei. Ein Mann, der sich seiner sehr sicher war, aber auch etwas gelangweilt schien. Sie kam sich beobachtet vor. “Milch? Zucker?”, fragte sie. “Oh, danke nein, schwarz bitte.” Sie nahm aus einem Küchenfach eine große weiße Tasse, stellte sie in den Kaffeeautomaten und startete diesen. Während die Maschine mahlte und brühte, ging sie in ihr Arbeitszimmer und holte ihre eigene Tasse. Mit Löffel und Keks reichte sie ihm den Kaffee, während sie selbst einen Espresso mit Zucker nahm.

Er schaute sie interessiert an. Sie gefiel ihm. Unter dem schwarzen Pony blickten ihn zwei dunkelbraune Augen leicht spöttisch, zugleich auch offen und neugierig an. Das Gesicht war leicht gebräunt, vermutlich zeigten die ersten Sonnenstrahlen bereits ihre Wirkung. Sie musterte ihn nicht, sie versuchte, ihn einzuschätzen. Dennoch musste sie sich eingestehen, dass er seine Wirkung bei ihr nicht verfehlte. Seinem Blick hielt sie so lange stand, bis er die Augen abwandte. “Seit wann wohnen Sie hier?”, eröffnete sie das Gespräch. “Seit gut acht Wochen, aber es ist noch nicht alles richtig fertig geworden”, erzählte er. Rebecca setzte sich an die Kopfseite des Tisches. Sie beobachtete ihn und drehte den kleinen Löffel gedankenverloren zwischen ihren Fingern. Wie immer, wenn sie konzentriert war.

“Sie mögen Hunde?”, fragte er. Obwohl Murphy ihm schon selbst die Antwort gegeben hatte. Der Hund spürte sofort, ob jemand Angst hatte, ihn ablehnte oder ihm zugetan war. Auf die Frauen, die Nick er bisher kannte, trafen die Punkte eins und zwei zu. “Sehr”, antwortete sie. “Ich hoffe, er hat sich anständig benommen und nichts angefressen? Ich habe ihn nicht richtig gut erzogen, und er ist manchmal etwas wild. Foxterrier eben”, lächelte er entschuldigend. “Nein, nein, alles in Ordnung. Er hatte lediglich in meinen Strümpfen einen Feind entdeckt, den es zu bekämpfen galt. Aber das ist okay”, sagte sie und lachte, als sie an die Szene dachte. Ihr feines Lachen und ihre wachen Augen berührten Nick sehr. “Wenn er etwas kaputt gemacht hat, sagen Sie es mir bitte. Ich ersetze es”, bat er sie. Sie winkte ab. “Alles gut.” Und er glaubte ihr.

“Kennen Sie die anderen Bewohner hier? Ich meine, Sie wohnen doch hier bestimmt schon etwas länger…”. Ja, sie wohnte hier schon länger, aber die meisten kannte sie auch nur vom Sehen oder von einem “Guten Morgen”. “Ich kenne die Leute nicht sehr viel näher. Tagsüber ist es hier meistens sehr ruhig, dann sind fast alle arbeiten”, erzählte sie, während Nick sie über den Rand seiner Kaffeetasse beobachtete. Murphy stand auf, trank etwas, kam zu ihr, stellte sich auf die Hinterbeine und legte ihr die Vorderpfoten auf die Oberschenkel. Er wollte beachtet werden. Sie streichelte ihn

Nick beobachtete die Szene. Als er in die Küche gekommen war, hatte er außerdem schon registriert, dass sie dem Hund eine Wasserschüssel hingestellt hatte. Gute Wahl, Murphy, dachte er anerkennend. “Mach Sitz, Murphy”, sagte er. Der Hund gehorchte, setzte sich, wandte den Blick aber nicht von ihr. “Er soll Leute nicht immer so anspringen.” “Ach, das ist doch gar kein Problem.” Wieso hatte ein solcher Mann einen Hund? Was wollte er damit? Diese Fragen gingen ihr nicht aus dem Kopf.

“Und Sie haben Urlaub?” Die Frage zielte darauf, dass er ebenfalls nicht arbeitete. “Nein, nein”, er schüttelte amüsiert den Kopf. Was war daran so lustig? Ihr Blick traf ihn. Es war unfair, sie konnte es ja nicht wissen. “Ich bin Manager in einer Bank”, das war stark untertrieben. “Heute ist nur alles irgendwie schiefgelaufen. Meine Haushaltshilfe ist krank, deswegen konnte sie nicht auf Murphy aufpassen. Also wollte ich ihn mit zur Arbeit nehmen, dabei ist er mir entwischt. Den Rest kennen Sie.” Während er erzählte, blickte er sie offen an. “Und was ist mit Ihnen?” Small Talk at its best, dachte sie, Austausch von Höflichkeiten. “Ich arbeite als Journalistin in einem Verlag. Deswegen habe ich zuweilen unkonventionelle Arbeitszeiten”, fasste sie kurz zusammen, “so dass ich heute erst ab ungefähr mittags in der Redaktion arbeiten werde.”

Nick schaute sie noch intensiver an. “Welcher Verlag denn? Und worüber schreiben Sie?”, fragte er weiter. Rebecca lächelte. “Morgennews-Verlag. Und ich schreibe in der Hauptsache über Politikthemen”, antwortete sie. “Dann habe ich also schon mal von Ihnen gelesen?”, fragte er interessiert. “Wenn Sie nicht nur den Wirtschaftsteil lesen, vermutlich schon”, antwortete Rebecca vorsichtig. “Ich werde darauf achten. Schön, auch mal die Journalisten hinter den Artikeln kennenzulernen”, erwiderte Nick. “Sie haben also nicht regelmäßig mit den Medien zu tun?”, fragte Rebecca weiter. “Eher selten.” Eine leichte Spannung baute sich auf. Ihre Erfahrung sagte Rebecca, dass ihm das Thema nicht behagte und er es beendet wissen wollte. Sollte sie weiterfragen, würde sie sich auf unsicheres Terrain begeben. Männer wie Nick Hutton waren es gewohnt, Unterhaltungen zu bestimmen. Als Journalistin interessierte sie das nicht sonderlich, denn es war ihr Job, Menschen zum Reden zu bringen und sich nicht von ihrem Äußerem beeindrucken zu lassen. Aber in diesem Fall hielt sie sich zurück, es war schließlich kein berufliches Treffen.

Murphy schien ihr als Thema besser geeignet. “Nehmen Sie Murphy öfter mit ins Büro?”, fragte sie stattdessen, um zu zeigen, dass sie seine Unterhaltungsführung verstanden hatte. “So oft wie möglich. Sonst bräuchte ich keinen Hund, wenn ich ihn fast nie sehen würde”, antwortete Nick, nachdem er noch einen Schluck Kaffee getrunken hatte. “Dann scheinen Sie ja einen toleranten Arbeitgeber zu haben”, sagte Rebecca, mit etwas Neid in der Stimme. “Das kann man glücklicherweise so sagen, ja. Meinen Arbeitgeber interessieren die Ergebnisse mehr als die Umstände.” Nick lächelte leicht spöttisch. Offensichtlich wusste Rebecca wirklich nicht, wer er war. Und er ließ sie gern in ihrem Glauben.

“Wenn Ihnen Ihre Haushaltshilfe nochmal absagt, bringen Sie Murphy gern zu mir, falls es bei mir zeitlich passt. Er sorgt für Abwechslung.” Das Angebot war ehrlich gemeint. Das Schmunzeln auch. Nick war einigermaßen überrascht. “Ja, sehr gern. Aber nur, wenn es Ihnen wirklich nichts ausmacht.” Er freute sich sehr. Sie war offenbar doch schwieriger einzuschätzen, als er zunächst gedacht hatte. Er war es gewohnt, dass Frauen von ihm beeindruckt waren und er leichtes Spiel hatte. Bei Rebecca war er sich nicht sicher. Bisher war sie eher reserviert gewesen. Aber sie kannten sich ja kaum.

Rebecca erging es ebenso. Sie war überrascht von sich selbst. Warum hatte sie ihm das Angebot gemacht? Was wollte sie mit einem Hund? Oder wollte sie ihn? Ein nerviges Summen riss sie beide aus ihren Gedanken. Ihr Handy. Neue Nachrichten trudelten ein. “Sorry, danach muss ich schauen”, setzte sie an. “Kein Problem. Ist mir bekannt. Ich möchte Sie auch gar nicht länger aufhalten. Danke für den Kaffee und fürs Murphy-Einfangen.” Er erhob sich, Murphy mit ihm. Diese Kombination aus Machtbewusstsein, Lässigkeit und Souveränität hatte sie so noch nie zuvor bei einem Menschen gesehen.

Er bewegte sich auf einem schmalen Grat zwischen Arroganz und Smartness – das allerdings sehr gekonnt. Dieser Faszination konnte sie sich nur schwer entziehen, wie sie sich eingestehen musste. Sie begleitete die beiden bis Tür: “Es hat mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen. Einen schönen Tag noch. Wir werden uns ja bestimmt wiedersehen – wo wir doch Nachbarn sind.” Rebecca zweifelte keine Sekunde daran. Der Satz war leicht gesagt, aber ernst gemeint. “Hat mich auch sehr gefreut.”

Ich kenne diesen Typen, grübelte Rebecca, nachdem die beiden ihre Wohnung wieder verlassen hatten. Sie setzte sich wieder an ihren Laptop im Arbeitszimmer. Eine kurze Anfrage bei Google verriet ihr, dass er nicht nur einfach “Manager in einer Bank” war. Er war Hedgefondsmanager. Einer der bekanntesten und erfolgreichsten dazu. Kein Wunder, dass er seinen Hund ins Büro mitnehmen durfte – er war der Boss. Über sein wahres Vermögen gab es nur vage Angaben. Einige Auszeichnungen, ein paar Bilanzen seiner Arbeit, bei welchen Events er mit welcher Frau gesehen wurde, ziemlich viele Links zu Klatschportalen und Blogs. Das Übliche eben.

Doch alles in allem schien ihr die Trefferliste recht kurz. Keine Accounts in den einschlägigen Social Networks. Keine wirklichen News. Rebecca hatte ihr Spezialgebiet eher in der Politik. Dort unterhielt jeder Polit-Promi – und vor allem die, die sich dafür hielten – über alle mögliche Auftritte in Social Media. Die Finanzbranche schien ihr dagegen regelrecht verschwiegen. Egal, Rebecca musste sich auf ihre eigene Arbeit konzentrieren. Später, wenn sie etwas Zeit hätte, würde sie die Recherche intensivieren.

In der nächsten Zeit hatte Rebecca tatsächlich einen neuen Freund gewonnen. Nein, eigentlich gleich zwei: Murphy und dessen Haushaltshilfe. Mrs Cox – so ihr Name – war eine ausgesprochen patente, freundliche, warmherzige Frau. Sie war etwa Mitte Fünfzig und schien das Leben von Nick Hutton mehr oder weniger zu organisieren. Auch Murphy stand sie freundlich gegenüber, jedoch schien sie sich nicht so recht für Hunde erwärmen zu können. Deshalb war sie ganz froh, dass es noch jemand anderen gab, der sich zur Not um Murphy kümmern konnte. Bei ihrem ersten Treffen tat sie sich schwer, um Hilfe zu bitten. “Entschuldigen Sie, Ms Hold, mein Name ist Cox. Ich bin die Haushaltshilfe von Mr Hutton. Er hat mir gesagt, dass es ausnahmsweise in Ordnung ist, wenn Sie zwei Stunden auf Murphy aufpassen könnten. Wäre das übermorgen Nachmittag vielleicht möglich?”

Rebecca mochte die Dame auf Anhieb. “Ja, sicher, kein Problem. Bringen Sie mir Murphy einfach vorbei.” “Futter, Spielzeug und Leine auch?” “Das wäre am einfachsten. Möchten Sie kurz hereinkommen?” Mrs Cox lehnte ab, es war ihr schon unangenehm genug, Rebecca überhaupt mit ihrer Bitte belästigt zu haben. Die nächsten Tage verbrachte Rebecca nicht mehr nur mit ihrer Freundin Lou und ihrem Arbeitskollegen David, sondern eben auch mit Murphy. Er wusste beide - Lou und David - sofort für sich einzunehmen. Und Rebeccas Tagesablauf änderte Murphy auch: Er wollte unterhalten werden, im Garten spielen und vor allem spazieren gehen. Als sie eines Nachmittags von einem etwas ausgedehnteren Spaziergang zurückkehrten, wartete Mrs Cox bereits vor ihrer Wohnungstür.

“Oh, Mrs Cox, haben Sie uns gesucht? Warten Sie schon länger? Ich habe die Zeit völlig vergessen”, entschuldigte sich Rebecca, ein bisschen außer Atem. Mehr Bewegung war für sie offenbar dringend angeraten gewesen. “Kommen Sie doch auf einen Kaffee mit”, lud Rebecca die Dame ein. “Hm, gern. Aber nur kurz. Mr Hutton erwartet heute Abend Besuch, dazu muss alles perfekt vorbereitet sein.” Seit ihrem ersten Kennenlernen hatte Rebecca ihn noch ein paar Mal auf ein kurzes Gespräch im Treppenhaus getroffen. Diese Unterhaltungen waren zwar amüsant, aber ebenso unverbindlich geblieben.

Gesehen hatte Rebecca ihn dagegen öfter: Einmal war er mit einer sehr hübschen jungen Frau Richtung Aufzug gegangen. Die beiden hatten viel Gefallen aneinander gefunden, um es so auszudrücken. “Ich schätze mal, Damenbesuch”, gab Rebecca lakonisch zurück, während sie, Mrs Cox und Murphy in die Wohnung bis zur Küche gingen. Sie setzten sich an den großen Esstisch. “Schön haben Sie es hier”, lobte Mrs Cox. “Danke”, erwiderte Rebecca und errötete ob des Lobes leicht. “Na ja, wissen Sie, was soll ich Ihnen jetzt dazu sagen? Frauen mögen ihn einfach”, erzählte Huttons Haushälterin verlegen. Klar, so kann man das auch sagen, dachte Rebecca, alles eine Frage der Perspektive. Vermutlich schleppte er jeden Abend Frauen ab, weil ja keine seinem Charme widerstehen konnte. Aber Mrs Cox war eben vollkommen loyal. Sie plauderten noch etwas, Rebecca erzählte von ihren Spaziergängen mit Murphy, dann musste sich Mrs Cox auch schon wieder verabschieden. Rebecca hatte den Nachmittag dennoch sehr genossen, wie sie sich hinterher eingestehen musste. Durch Murphy war mit einem Mal mehr Leben in ihre Wohnung gekommen. Und in ihr Leben – das gefiel ihr.

“Mann, Dich hat es ja ganz schön erwischt.” Ben schmunzelte. Gerade eben hatte sein Freund Nick ihm von seiner neuen Nachbarin berichtet. Obwohl: Vorgeschwärmt traf es besser. Schon lange hatte Nick nicht mehr so über eine Frau gesprochen wie jetzt über Rebecca. “Aber sonst weißt Du schon recht wenig über sie, oder? Außer, dass sie auch in diesem Haus wohnt. Und dich nachhaltig beeindruckt hat.” Den letzten Satz konnte Ben sich nicht verkneifen. “Sie ist Journalistin. Offenbar eine sehr gute. Dummerweise ausgerechnet bei diesem Morgennews-Verlag.” Ben runzelte die Stirn. “Journalistin. Hältst Du das für eine gute Idee? Ich meine, bei Deiner Vergangenheit …” “Bei meiner Vergangenheit? Was soll das denn heißen? Du tust ja gerade so, als hätte ich Jahre im Knast gesessen.” Nick reagierte auch nach dieser langen Zeit noch sehr gereizt auf die alte Geschichte.

Journalisten des besagten Morgennews-Verlags konnten dem Unternehmen, für das Nick damals arbeitete, unsaubere Praktiken bei der Beratung zur Altersvorsorgeprodukten nachweisen. Nicks Name war damals zwar auch gefallen, irgendwie war es ihm aber gelungen, dass die Journalisten sich auf andere Kollegen konzentriert hatten. Im Detail wusste selbst Ben nicht, wie tief Nick damals in die Geschichte verwickelt gewesen war und wie er sich dann letztlich doch heraushalten konnte. Aber das war einer seiner wunden Punkte. Nein. Es war DER wunde Punkt in seinem Leben, der ihn für immer angreifbar machte. Immerhin: Danach hatte Nick sofort gekündigt und sich als Hedgefondsmanager etabliert. Doch es blieb für Nick nach wie vor ein Spiel, wie weit er die gesetzlichen Rahmenbedingungen austesten konnte. Er ging aber nicht mehr so weit, dass es ihm noch einmal gefährlich werden könnte.

“Es gibt genug Frauen da draußen, von denen Du nahezu jede als Freundin haben könntest”, setzte Ben noch einmal an, obwohl er die Antwort kannte. “Ich will aber nicht jede oder irgendeine x-beliebige, Ben. Ich weiß, dass viele Frauen mich toll finden – ersatzweise auch mein Geld. Das ist zwar schön fürs Ego. Auf Dauer aber kann ich mit ihnen nicht viel anfangen, es wird langweilig. Deswegen glaubt Ihr immer, ich wäre bindungsunfähig oder hätte einen hohen Frauenverschleiß”, kam es von Nick erwartungsgemäß zurück.

“Nick, Du hast einen hohen Frauenverschleiß. Wie lange hat Deine letzte ernsthafte Beziehung wirklich gehalten? Drei Monate? Ein halbes Jahr? Das wäre für Dich ja schon eine Ewigkeit. Und außerdem: Wenn Dich ein bestimmter Typ Frauen immer wieder langweilt – warum suchst Du Dir solche Frauen immer wieder gezielt aus?” “Weil sie es mir so einfach machen. Ich brauche ja nicht mal groß zu suchen … Manchmal sind gutes Aussehen und Charme eben auch nicht hilfreich.” “Dann kauf Dir Brille, Perücke und falsche Zähne – wenn Du so sehr leidest”, kam es beißend von Ben zurück.

Beide mussten lachen. “Im Ernst, sie mag Hunde. Das konnte ich bisher auch nicht von jeder Frau sagen.” “Ach. Und Journalistinnen, die Hunde mögen, können per se schon mal keine schlechten Menschen sein, oder wie?” “Ben, eigentlich wollte ich das alles mit Dir gar nicht diskutieren. Ich war davon ausgegangen, dass Du Dich freust und mich unterstützt.”

“Dich beim Kennenlernen einer Frau zu unterstützen, ist ja mal etwas ganz Neues. Aber gut, Du weißt, dass ich auf Deiner Seite bin. Immer. Also, fast immer.” Nick kannte das unverschämte Grinsen – und er war froh darüber. Sie hatten sich bisher noch nie gegenseitig im Stich gelassen. Und beide konnten sich darauf verlassen, dass es immer so sein würde. Deswegen dauerte ihre Freundschaft schon seit Jahrzehnten an.

Kapitel 2

“Du denkst daran, dass wir heute Abend im Wirtschaftsclub eingeladen sind?” “Ich denke ununterbrochen an nichts anderes”, frotzelte Rebecca. “Da ich mir das gedacht habe, erinnere ich Dich immer wieder gern an die Veranstaltung”, gab Oliver schmunzelnd zurück. Sie kannten sich schon seit Jahren - und auch die Vorlieben und Abneigungen eines jeden. Oliver Krug war der Chefredakteur des Verlags, Rebecca seine Nachrichtenchefin. Zusammen hatten sie schon so manche anstrengende Nachrichtensituation durchgestanden: El Kaida und Osama bin Laden, Fukushima, Anschläge, Erdbeben, Überschwemmungen, Wahlen, Rücktritte, Fußballweltmeisterschaften und olympische Spiele.

Alles, was Nachrichten ebenso zu bieten haben. Rebecca war immer froh gewesen, Oliver an ihrer Seite zu haben. Um seinen Job beneidete sie ihn nicht. Er saß stets zwischen allen Stühlen: Redaktion, Vermarktung, Verleger. Hier die richtige Balance zu finden, mit möglichst allen gut auszukommen, war nicht immer leicht.

Auch derzeit war die Welt wieder in einer unruhigen Phase, was sich stark auf die Arbeit in der Redaktion auswirkte: Anschläge in der Türkei, Flüchtlingskrise, Krieg in Syrien. Einerseits bedeuteten solche Krisenlagen viele Überstunden für alle Kolleginnen und Kollegen, andererseits wollten Journalisten wie Rebecca auch das richtige Gespür behalten. Das bedeutete, nicht abzustumpfen, gleichzeitig aber auch nicht alle Krisen dieser Welt mit nach Hause zu nehmen. Bei der derzeitigen Lage fand Rebecca es daher umso unpassender, bei einem Empfang die Champagnergläser zu heben.

Aber es war einer dieser Pflichttermine, bei denen auch Redaktionsmitglieder Präsenz zeigen mussten. Schließlich waren auf dem Empfang auch Anzeigenkunden und politische Gesprächspartner zugegen. Rebecca seufzte. Gerade heute Abend hätte sie lieber faul auf dem Sofa abgehangen, als überflüssigen Small Talk zu betreiben. “Ich fahre nachher eben kurz nach Hause, ziehe mich um und komme dann direkt dorthin”, sagte sie in Richtung Oliver. “Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Du suchst nur nach einem Grund, auf Deinem Sofa zu bleiben”, zog er sie mit einem Grinsen auf. “Ich werde mir Mühe geben, Dich nicht zu enttäuschen…”

Natürlich war es so, wie Oliver in der Redaktion prophezeit hatte: Einmal zu Hause, fiel es Rebecca schwer, sich doch wieder aufzuraffen. Sie legte Mantel, Tasche und Schuhe im Flur ab. Im Wohnzimmer schaltete sie das Licht ein und öffnete die Terrassentür Die klare Luft tat gut. Sie atmete sie tief ein. Nur ein paar Minuten auf dem Sofa, nur kurz ausstrecken. Das musste möglich sein, fand Rebecca. Sie schloss die Tür wieder. Zur Sicherheit schaltete sie ihren Handywecker ein. Einmal auf der Couch, streckte sie sich ganz lang und schloss die Augen für ein paar Minuten. Sie bemerkte die Ruhe fast körperlich.

Der Newsroom des Verlages schwebte ständig in Unruhe. Es handelte sich um einen einzigen großen Raum, von dem aus viele verschiedene Redakteure die Veröffentlichungen für die Print- und Onlineausgabe und die TV-Nachrichten koordinierten: Stimmengewirr, Fernseher, Radio, Telefone sorgten für eine ständige Geräuschkulisse. Auch wenn sich Experten bemüht hatten, für den besten Schutz zu sorgen. Kein Wunder, dass manchmal die Konzentration litt - ihre eigene und die ihrer Kolleginnen und Kollegen natürlich auch. Zu ihrer eigenen Überraschung war sie gar nicht richtig müde. Die Stille ließ sie zwar zur Ruhe kommen, sie konnte abschalten, aber es überfiel sie keine bleierne Müdigkeit.

Als ihr Handywecker nach einer Viertelstunde klingelte, schreckte sie nicht auf. Rebecca stellte ihn ab und erhob sich. Ein Abendessen war nicht nötig, denn die Versorgung im Wirtschaftsclub galt bekanntermaßen als exzellent. Rebecca machte sich frisch. Im Schlafzimmer öffnete sie ihren Kleiderschrank und setzte sich im Schneidersitz auf ihr Bett. Sie war unschlüssig wegen ihrer Garderobe. Nachdem sie eine Weile in den Schrank geblickt hatte, als wenn sie darauf wartete, dass die Kleidungsstücke zu ihr sprechen und ihr die Entscheidung abnehmen würde, wählte sie ein schmales schwarzes Kleid, hochgeschlossen mit Rollkragen und langen Ärmeln.

Die kurze, ineinander geschlungene Goldkette samt Armband passte ebenfalls zum Kleid. Dazu schwarze Schuhe mit hohen Absätzen und ihr schwarzer Kurzmantel. Das musste aus ihrer Sicht reichen. Schließlich ging sie nicht zu einer Cocktailparty.

Da Rebecca keine Lust verspürte, in diesem Aufzug die U-Bahn zu nehmen, gönnte sie sich ein Taxi. “Bist Du unterwegs?” Ihr Smartphone zeigte Olivers Nachricht mit einem kurzen Piepton an. “Bin in ein paar Minuten da, komme mit dem Taxi”, schrieb Rebecca zurück. Vor dem Eingang fand sie ihn problemlos. “Zeitlos schön wie immer”, empfing Oliver sie. “Mach Dich bitte nicht auch noch lustig, sonst gehe ich direkt wieder. Außerdem habt Ihr Männer es immer einfacher. Weißes Hemd, schwarzer Anzug - fertig”, gab Rebecca zurück. “Rebecca, das war ernst gemeint. Warum kannst Du immer so schlecht mit Komplimenten umgehen?”, fragte er. Statt einer Antwort hakte Rebecca sich bei seinem Arm ein, zusammen nahmen sie den Aufzug in die oberste Etage. Der Wirtschaftsclub residierte so, wie man es sich klischeemäßig vorstellt: mitten in der City, oberstes Geschoss, Concièrge, gediegene Einrichtung, die Stimmen und Geräusche dämpfte.

Der Club verfügte über mehrere Séparées, mehrere kleinere Besprechungszimmer und eine Art große Lounge mit Bar, von der aus man zur Terrasse gelangte. Das richtige Ambiente für Hintergrundgespräche mächtiger Herren mit grauen Schläfen in grauen Anzügen. Heute war allerdings etwas mehr Leben im Club, Jazzmusik perlte durch die Räume, das Stimmengewirr war lauter als sonst. Gerade nach dem sie ihre Mäntel abgelegt hatten, versorgte aufmerksames Personal sie bereits mit den ersten Getränken. Rebecca wählte eine Weißweinschorle, nippte aber nur wenig daran. Bei solchen Veranstaltungen brauchte sie einen klaren Kopf, damit sie sich nicht versehentlich bei irgendwelchen, eigentlich belanglosen Gesprächen verplauderte.

Da sie es am Mittag ausnahmsweise in die verlagseigene Kantine zum Mittagessen geschafft hatte, war Rebecca noch nicht sehr hungrig. Doch das Buffet sah trotzdem sehr verlockend aus. Aber natürlich war es wie immer: Bevor es richtig interessant wurde, kam stets der sogenannte offizielle Teil. Platz nehmen, Reden hören, ein paar nichtssagende Folien an der Wand, Applaus. Dieses Verfahren - je nach Gastgeber und Anlass - wiederholte sich mindestens dreimal. Immerhin durften sie während dieser Zeit sitzen. Sparsame Gastgeber zogen ein solches Programm auch als Stehempfang durch.

Mit der Zeit hatte Rebecca doch Hunger bekommen. Zusammen mit Oliver sichtete sie das Buffet. Sie bedienten sich an Suppe, Salat und Dessert. Vor allem die Mousse au chocolat aus richtig dunkler Schokolade begeisterte Rebecca. Langsam nahm sie Löffel für Löffel die dunkelbraune Masse aus dem kleinen Gläschen und genoss sie ausdauernd. Dass sie dabei beobachtet wurde, merkte sie noch nicht, zu sehr war sie mit dem Dessert beschäftigt. Nach dem Essen verlagerten sich die Gespräche Richtung Terrasse - sowohl drinnen wie draußen. Hier ein kurzes “Hallo”, dort ein “Haben Sie schon gehört, ...?”. Ein solcher Empfang war immer auch ein Marktplatz für allerlei Anekdoten und Gerüchte. Manche amüsant, manche so überzogen, dass keiner sie glaubte. Gerade diese entpuppten sich dann jedoch als die echten Wahrheiten.

Nick Hutton war schon länger auf dem Empfang und langweilte sich. Hier ein Lächeln, dort ein unverfänglicher Small Talk. Nick musste innerlich ein Gähnen unterdrücken. Es war einer dieser Pflichttermine, die er nach Möglichkeit mied. Immerhin hatte Ella - seine Begleitung - ihren Spaß. Mit ihren High Heels und ihrem dunkelgrünen Kleid wirkte sie noch schlanker, und sie war fast so groß wie er selbst. Sie genoss die bewundernden Blicke der anderen anwesenden Männer - und flirtete völlig ungeniert mit ihnen.

Nick kannte es nicht anders. Und es war ihm auch egal. Ella war ein nettes Mädchen, nett anzuschauen, aber nicht die richtige Frau für ihn. Trotz ihrer Schönheit erhielt sie einen großen Teil der Aufmerksamkeit, weil er an ihrer Seite war. Und dass wusste Ella auch. So wäre sie ohne ihn überhaupt nicht zu diesem Empfang gekommen. Da auch sonst niemand Nicks volle Aufmerksamkeit beanspruchte, ließ er seinen Blick locker durch den Raum schweifen.

Und entdeckte Rebecca. Unwillkürlich schlug sein Herz schneller. Sie hatte ihn seit der ersten Sekunde fasziniert. Ihre völlig unaufgeregte, fast schon sparsame Gestik, die ständig wachen Augen, ihr aufrechter Gang: Nick hatte sie schon bei ihrer allerersten Begegnung sehr attraktiv gefunden. Aber dieser Auftritt löste in ihm ein Verlangen aus, das er so schon lange nicht mehr gekannt hatte. In der linken Hand drehte sie ihr Weinglas, eine Geste, die er auch schon beobachtet hatte, als sie Kaffee in ihrer Küche getrunken hatten. Sie sprach und lächelte, vor allem aber schien sie Menschen zu beobachten. Dumm nur, dass dieser andere Journalist ständig an ihrer Seite war. Deswegen hatte sich ihm bisher noch keine Gelegenheit geboten, mit ihr unverfänglich ins Gespräch zu kommen. Außerdem hing seine eigene Begleitung wie eine Klette an ihm.

Rebecca stand zusammen mit Oliver in einer Gruppe von mehreren Staatssekretären, die Gespräche verliefen vertraulich, aber erstaunlich humorvoll, als Rebecca sich irgendwie beobachtet fühlte. Sie hob den Blick. Über ein paar Meter Entfernung fixierten grüne Augen sie. Rebecca wurde etwas verlegen, sie hatte diese grünen Augen sofort wiedererkannt - und sie lösten in ihrem Magen ein Kribbeln aus. Gerade in dem Moment, als Rebecca Nick freundlich zunickte und ihre Blicke sich trafen, sah sie, wie eine junge, sehr schlanke Dame Nicks Aufmerksamkeit beanspruchte. Da er nur etwas größer war als sie, neigte er den Kopf leicht zur Seite, um ihr zuzuhören. Seine Augen blieben dabei auf Rebecca gerichtet. Er lächelte, es war nur ein kurzer Moment, aber Rebecca kam dieser Augenblick ungewöhnlich intim vor. So, als wenn sie sich kannten und er ihr etwas sagen wollte.

Erst dann wandte Nick Hutton sich der jungen Dame an seiner Seite zu. Die beiden gingen zusammen durch den Raum zur Bar. Ein wunderschönes Paar, dachte Rebecca, während sie beobachtete, wie fast alle anderen Damen den Mann in seinem perfekt sitzenden Anzug unverhohlen mit ihren Blicken verfolgten. Nick Hutton schien das aber nichts auszumachen, er bemerkte es nicht einmal. Oder er war so daran gewöhnt, dass es ihm schon egal war? Für jede Frau an seiner Seite musste es jedoch ein schwerer Gang sein, denn ob der Blicke müsste sie sich ständig rechtfertigen, warum gerade sie an seiner Seite sein durfte.

Rebecca konzentrierte sich wieder auf ihre Gesprächsrunde, doch sie musste sich Mühe geben, nicht mit ihren Gedanken abzuschweifen. “Sie entschuldigen mich bitte kurz, meine Herren? Oliver?”, fragte Rebecca höflich. Sie wandte sich ab, strebte der großen Terrasse zu und atmete draußen tief ein. Das murmelnde Stimmengewirr, das im Innern für eine ständige Geräuschkulisse gesorgt hatte, war mit einem Schlag verstummt. Draußen war es doch noch kälter als gedacht. Dennoch tat die frische Luft gut. Hier merkte Rebecca erst recht, wie stickig und warm es im Innenraum gewesen war. Obwohl es dort vermutlich Lüftungsanlagen gab. Am Balkongeländer zündete sie sich eine Zigarette an und ließ ihren Blick ziellos über die angrenzenden Häuser und die Stadt schweifen. Von einer Seite der großen Terrasse konnte sie bis zum See hinunterblicken. Die Promenade und die umliegenden Straßen waren erleuchtet wie immer. Durch die klare Luft konnte sie bis in das Wasser des Sees sehen. Wie ein großes schwarzes Loch begann es jenseits der Promenade, ein Ende konnte sie nicht erkennen. Für den perfekten Kitsch fehlte nur noch der Vollmond, der sich im See spiegelte, dachte Rebecca. Sie fröstelte. Sie sollte sich beeilen.

“Gerade von Ihnen hätte ich nicht gedacht, dass Sie rauchen.” Rebecca zuckte leicht, weil sie in ihren Gedanken versunken war und nicht damit gerechnet hatte, angesprochen zu werden. Die Stimme kam ihr bekannt vor. Langsam drehte sie sich um. In seinem schwarzen Anzug, weißem Hemd, schwarzer Fliege, die Hände in den Taschen, schlenderte Nick Hutton lässig auf sie zu. Den Kopf leicht geneigt, ließen seine Augen sie nicht aus dem Blick. Sowohl Anzug als auch Hemd saßen perfekt, als wären sie speziell für seinen wohl proportionierten Körper geschneidert worden. Er gehörte definitiv zu den Menschen, denen Aufmerksamkeit sicher ist, sobald sie einen Raum - oder einen Balkon - betraten. Und die sich dieser Aufmerksamkeit bewusst sind und damit spielen können. Nick wiederum war fasziniert von der Journalistin. Das schmale Kleid und die hohen Absätze ließen sie elegant, aber gleichzeitig auch zerbrechlich wirken. Der wenige Schmuck - Halskette, Ring und Armband - unterstrich das klassische Understatement. Er folgte ihrem Blick über die Stadt.

“Solche Veranstaltungen lassen sich mich zur Raucherin werden - jedenfalls manchmal”. Rebecca lächelte. Sie hielt ihm die Packung hin. “Sie auch?” Er winkte ab. “Angst vor Abhängigkeiten?” Er zuckte mit den Schultern. Rebecca konnte seinen Blick nicht richtig deuten. “Noch etwas zu trinken?”, fragte er stattdessen, nachdem er sie eine Weile beobachtet hatte. “Verstehe. Sie bevorzugen die andere Droge. Für mich stilles Wasser, bitte.” Nick blinzelte. “Etwas ungewöhnlich.” Rebecca zuckte nur kurz mit den Schultern.

“Mein Fahrer kann Sie heimbringen”, bot Nick an. Rebecca verzog das Gesicht. “Glauben Sie, ich kann mir kein Taxi leisten?” “Soweit ich gehört habe, gehören Journalisten nicht zu den bestbezahlten Angestellten”, antwortete Nick und zog eine Augenbraue leicht hoch. “Mein Angebot steht daher.” Rebecca winkte ab. “Nein, danke, ich komme schon zurecht.” “Was, wenn ich kein Nein akzeptiere?” Langsam nervte er Rebecca, weil er sich offenbar für unwiderstehlich hielt. “Was Sie akzeptieren oder nicht, ist Ihr Problem, nicht meins”, gab sie leicht säuerlich zurück.

Nick lächelte amüsiert. “Also warum dann?” “Warum was?” “Warum trinken Sie nicht wenigstens einen Weißwein, um mit mir anzustoßen? Ich will wenigstens einen akzeptablen Grund hören”, beharrte Nick weiter. “Sind Sie immer so hartnäckig?”, fragte Rebecca genervt. “Nur, wenn ich etwas will. Also?” Nick Hutton fand mehr und mehr Gefallen an der Unterhaltung. “Erstens kann ich auch mit Wasser anstoßen - falls ICH das möchte. Zweitens brauche ich auf solchen Veranstaltungen einen klaren Kopf. Ich muss wissen, wer mir etwas erzählt hat, und vor allem muss ich wissen, was ich selbst erzähle. Alkohol ist da nicht hilfreich. Reicht das?”, fragte Rebecca genervt und blickte ihn herausfordernd an.

“Hm. Das heißt, wenn ich Sie jetzt etwas betrunken mache, dann verraten Sie mir ein paar kleine schmutzige Geheimnisse?” Der lauernde Unterton in Nicks Stimme war Rebecca nicht entgangen. “Sie haben wirklich eine unnachahmliche Art, sich beliebt zu machen…”, erwiderte Rebecca und wandte den Blick von ihm ab. Nick lachte. Es war tiefes, warmes Lachen, das Rebecca so noch nie zuvor bei einem Mann gehört hatte. “Da es von Ihnen kommt, fasse ich es als Kompliment auf”, sagte er, aber der Blick, den Rebecca auf sich spürte, war ernst. Rebecca wusste nicht, was sie sagen sollte und antwortete daher nicht mehr.

Nick Hutton ging zur Outdoor-Bar, die direkt auf der Terrasse aufgebaut worden war. Er kam mit zwei Gläsern zurück und reichte ihr das gewünschte Wasser. Er selbst trank Whisky - klar, dachte Rebecca, was auch sonst. Damit wäre das nächste Klischee ja auch erfüllt. Nick Hutton lehnte sich ebenfalls mit dem Rücken an das Geländer wie Rebecca, so dass sie zusammen in den Innenraum schauen konnten. Vertraulich nah neigte er seinen Kopf zu ihr. Es war so vertraulich, dass Rebecca jeden ihrer Herzschläge spürte. Sehr deutlich spürte.

“Dann fangen wir doch mal mit den kleinen Geheimnissen an. Meinen Sie solche Sachen, wie die, dass Mr. X dort hinten schon zweimal fast pleite gewesen wäre, hätte er nicht in letzter Minute einen Kredit erhalten?”, nahm er die Unterhaltung wieder auf. “Im Ernst?” Rebeccas Interesse war mit einem Schlag geweckt. Er blickte sie fast schon gekränkt an. Offenbar war er für sie jemand, dem sie nicht so ohne weiteres Glauben schenkte. “Klar. Glauben Sie mir nicht? Dann sollten sie eines wissen: Ich sage immer die Wahrheit.”

Jetzt war es an Rebecca, zu grinsen. “Vorsicht. Bedenken Sie, mit wem Sie gerade sprechen.” “Keine Chance. Ich werde alles abstreiten.” Nick lachte wieder. “Sie werden alles abstreiten? Wie passt das zu Ihrer Wahrheits-Philosophie, wenn Sie später alles abstreiten?”, fragte Rebecca spöttisch. “1 zu 0 für Sie.” Nick gab sich gern geschlagen. “Sind alle hier Kunden bei Ihnen?”, forschte Rebecca weiter, deren Neugier jetzt auf Touren war. “Hm. Gibt es nicht so etwas wie ein Bankgeheimnis?”, fragte Nick zurück, dessen Tonfall sich langsam veränderte.

“Bestimmt”, sagte Rebecca und blickte ihn interessiert an. “Selbst wenn ich wollte, könnte ich Ihnen das nicht einmal genau sagen, weil ich nicht jeden Kunden persönlich kenne. Darum kümmern sich meine Mitarbeiter”, antwortete Nick diplomatisch, jetzt doch auf der Hut. “Tja. Dann würde ich sagen, 2 zu 0 für mich”, lästerte Rebecca. “Wie kommen Sie jetzt darauf?” “Weil Sie mir ganz zu Beginn erzählt hatten, dass Sie Manager in einer Bank wären. Es ist aber ganz offensichtlich weder eine Bank noch sind Sie dort nur einfach ein Manager. Soviel zum Thema Wahrheit”, schloss Rebecca.

Nick lachte wieder. “Jetzt haben Sie es mir aber richtig gegeben.” “Nein. Sie sollten einfach nur auf Ihre Wortwahl achten”, sagte Rebecca ganz ruhig. “Sind Sie da jetzt nicht etwas spitzfindig oder kleinlich?”, fragte er, immer noch lächelnd. “Wörter sind mein Job. Deswegen gehören spitzfindig und kleinlich auch dazu”, gab Rebecca in einem leicht belehrenden Ton zurück.

Nick lächelte innerlich. Endlich eine Frau, die sich von ihm nicht einschüchtern ließ und gegenhalten konnte. Er lehnte sich jetzt seitlich an das Balkongeländer, sein Glas locker in der Hand, um sie besser beobachten zu können. Sein schwarzes Haar glänzte durch das Licht fast blau, seine Augen leuchteten vollkommen wach. Rebecca spürte seinen Blick auf ihr, was sie unruhig werden ließ. Sicherheitshalber betrachtete sie weiter die Menschen im Innenraum.

“Und jetzt Sie”, fuhr Nick Hutton fort. “Ich? Was meinen Sie?”, fragte Rebecca leicht verwirrt. “Ich habe Ihnen etwas über einen Beinahe-Pleitier erzählt. Jetzt sind Sie an der Reihe.” “Niemals. Quellen- und Informantenschutz. Sie verstehen?” “Nein. Sie dürfen sich auf Informantenschutz berufen, ich aber nicht auf das Bankgeheimnis? Damit zeigen Sie mir nur, dass Sie mir nicht vertrauen.” “Sollte ich das? Oder besser: Müsste ich das denn? Ihre Wahrheitsliebe war ja nur vorgeschoben. Außerdem kenne ich Sie schließlich kaum”, fragte Rebecca amüsiert. “Ich Sie auch nicht. Außer - dass mein Hund Sie offenbar sehr mag. Aber das ließe sich ja ändern”, erwiderte Nick. “Dass Ihr Hund mich mag?” “Nein. Es ließe sich ändern, dass wir uns kaum kennen. Obwohl wir immerhin im gleichen Haus wohnen.” Nicks grüne Augen trafen sie. Wie konnte ein Mann nur so charmant und selbstsicher sein? Rebecca dagegen wurde immer unsicherer und verlegener. Sie zögerte.

Aus dem Augenwinkel sah sie Oliver von der Tür winken. Ihre Chance. Doch bevor sie sich von Nick Hutton abwenden konnte, kam Oliver bereits auf sie zu. “Hier bist Du. Ganz schön frisch draußen”, setzte Oliver an. “Darf ich vorstellen? Nick Hutton, mein Nachbar. Oliver Krug, Chefredakteur unseres Verlags”, sagte Rebecca zu beiden gewandt. “Danke, wir hatten bereits des Öfteren das Vergnügen”, sagte Oliver etwas steif. “Vergnüglich fand ich unsere Treffen bisher nicht”, erwiderte Nick Hutton ungerührt.

Die Stimmung wurde frostiger als die ohnehin schon kühlen Temperaturen. Rebecca stutzte. Hatten die beiden eine Art gemeinsame Vergangenheit? Wenn ja, warum wusste sie nichts davon? “Dann macht es Ihnen sicher nichts aus, wenn Rebecca mich wieder zu den anderen Gästen begleitet?”, fragte Oliver, bevor Rebecca richtig zu Ende denken konnte. Eigentlich war es rhetorisch gemeint. “Doch, tut es”, gab Nick überraschend zurück. Nicht nur Oliver, auch Rebecca war irritiert. Sie hatte Nick Huttons letzte Bemerkung noch nicht vergessen. Aber so konnte sie eine Antwort schuldig bleiben.

“Es tut mir leid, ich werde offensichtlich erwartet”, sagte Rebecca, deutete auf Oliver und hoffte, so die Situation zu entspannen. “Sie wissen, dass Sie das jetzt nur als Ausrede nutzen”, gab Nick leise zurück. Er beugte wieder leicht seinen Kopf so, wie Rebecca es schon zuvor beobachtete hatte. Dieses Mal allerdings wanderten seine Augen mit. Rebecca wandte ihren Blick schnell ab. “Und warum sollte ich eine Ausrede benötigen?” “Weil Sie sich sonst überlegen müssten, wie Sie auf meine Essenseinladung reagieren.”

Rebecca errötete, weil er sie ertappt hatte. Sie hoffte, dass er das in der Dunkelheit nicht sehen konnte. “Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend, Mr. Hutton.” Damit ging Rebecca eilig mit Oliver nach drinnen. Puh, Glück gehabt, dachte Rebecca. Ein mögliches Treffen mit diesem Mann ließ sie unruhig werden. Warum das so war, darüber wollte sie lieber nicht nachdenken. Nick trank in Ruhe sein Glas leer. Er lächelte. Offenbar war sie doch nicht so selbstsicher, wie es nach außen den Anschein hatte. Er sah, wie sie drinnen wieder in die Menschentrauben eintauchte und verlor sie zunächst aus dem Blick.

Deswegen konnte er auch Olivers Warnung nicht hören: “Ihr benehmt Euch wie zwei verknallte Teenager, die vor lauter Verlegenheit nicht wissen, wohin sie schauen sollen.” Was? Was redete Oliver da? Rebecca glaubte, nicht richtig zu hören. “Was erzählst Du denn? Wie kommst Du…”, setzte sie ehrlich empört an. “Schon gut, Rebecca, sei bitte einfach vorsichtig.” Rebecca wollte Klarheit haben. “Ich verstehe Dich nicht. Was ist denn mit Euch los? Was ist mit ihm los? Ist er ein Serienkiller oder Psychopath, oder was meinst Du?”

Oliver seufzte. Er nahm einem vorbeikommenden Mitarbeiter zwei Weißweingläser vom Tablett, wovon er eines Rebecca reichte. Außerdem ging er ein paar Schritte Richtung Fenster, so dass sie etwas abseitsstanden, damit keiner sie hören konnte. Dafür gerieten sie wieder in das Blickfeld von Nick Hutton, der immer noch auf der Terrasse stand.

“Jetzt beruhige Dich doch. Serienkiller - quatsch, natürlich nicht, Psychopath - weiß ich nicht. Aber es gibt Menschen, die einen manipulieren können, ohne dass Du es merkst. Sie sind freundlich, höflich, zuvorkommend - aber eigentlich wollen sie etwas anderes. Dich aushorchen, Dich beeinflussen, eventuell wollen sie Dich auch ausspionieren, wenn Du sie in Deine Wohnung oder gar Dein Leben lässt. Und manchmal sehen sie auch noch unverschämt gut aus”, sagte Oliver. “Außerdem bist Du doch sonst immer so vorsichtig. Wie kann es sein, dass Du Dich mit so einem Typen näher beschäftigst? Und jetzt sag’ mir nicht, dass es rein beruflich war”, schloss Oliver.

“Oliver, der Typ ist mein Nachbar. Wir wohnen in demselben Haus. Sein Hund ist ihm mal davongelaufen und ich habe den Hund eingefangen”, beschwichtigte Rebecca. So kannte sie ihn gar nicht. ”Wer sagt Dir, dass der Hund nicht mit Absicht so freigelassen wurde, dass er zu Dir kommen musste?”, fragte Oliver.

Rebecca war völlig überrascht, perplex. “Was ist denn bloß los mit Dir? Du klingst, als littest Du unter Verfolgungswahn.” Oliver trank einen Schluck Wein, bevor er weitersprach. “Rebecca, Du bist Journalistin, eine hochrangige dazu. Wir arbeiten an einer heiklen Story, die Wirtschafts- und Politikbeziehungen durchleuchtet. Wer sagt Dir, dass dieser Mr Hutton bei Dir nicht auskundschaften will, wie der Stand der Dinge ist und wie weit wir sind?” Oliver blickte Rebecca an, die ihr Glas in ihren Händen drehte. Rebecca stutzte.

Hatte Nick Hutton sie vorhin nicht aufgefordert, auch ein paar Geheimnisse auszuplaudern, nachdem er ihr eines verraten hatte? Aber die Art und Weise wäre dann schon sehr plump gewesen. Obwohl, einfach und plump war manchmal der beste Weg. “Was ist?”, fragte Oliver sofort. “Nichts, ich muss nur morgen früh unbedingt noch eine Sache prüfen, die mir gerade eingefallen ist, als Du ‘ausplaudern’ erwähnt hattest”, log Rebecca. Sie nahm ihr Handy und gab vor, eine Notiz einzutippen. Sie musste mehr über diesen Typen in Erfahrung bringen. Und vor allem musste sie wissen, was zwischen Oliver und Nick Hutton vorgefallen war. Das war es, was Rebecca als Notiz in ihr Smartphone getippt hatte.

Kapitel 3

Ein ungeduldiges Klingeln riss Rebecca aus ihrer Konzentration. Gerade jetzt! Unwillig hob sie den Kopf über ihren Laptop. Diese Dokumente konnten verdammt wichtig werden, waren ebenso schwierig zu verstehen. Wer, verdammt, musste sie jetzt stören? Als es noch einmal klingelte, erhob sie sich genervt von ihrem Stuhl. Wenn das jetzt der Briefträger … der konnte was erleben. Sollte er das Paket doch vor die Tür stellen. Unwirsch riss sie die Wohnungstür auf: “Jaa?” “Es tut mir sehr leid, dass ich Sie störe, Ms Hold.” Mrs Cox trat unsicher einen Schritt von der Tür zurück. Rebecca beruhigte sich augenblicklich. ”Ach Sie sind es, Mrs Cox. Kommen Sie doch herein.” Zögernd kam Mrs Cox in die Wohnung, ihr Unbehagen war offensichtlich.

Noch bevor die beiden Frauen die Küche erreicht hatten, legte die Haushaltshilfe auch schon los: “Es tut mir sehr leid, dass ich Sie damit belästigen muss, aber ich habe heute Abend ganz kurzfristig ein Problem”, setzte sie nervös an. Rebecca wies auf einen Küchenstuhl. Mrs Cox setzte sich gerade auf die Kante und knetete ihre Hände nervös in ihrem Schoß. “Was ist denn passiert?”, fragte Rebecca beruhigend. “Mr. Hutton erwartet heute noch wichtige Nachrichten per Boten. Irgendwann am Abend. Ich werde nicht so lange bleiben können. Mr. Hutton selbst weiß aber nicht, wann er heimkommen wird. Und ich dachte, dass Sie… Könnten Sie in seiner Wohnung warten - und dabei auch auf Murphy aufpassen?” fragte Mrs Cox sichtlich verlegen. Rebecca bemühte sich, die Dame freundlich anzuschauen. Sie verstand, dass ihre Organisation aus dem Ruder lief, womit sie offenbar nicht richtig umgehen konnte.