Eine Sommerbraut für den verwegenen Gentleman? - Anne Gracie - E-Book

Eine Sommerbraut für den verwegenen Gentleman? E-Book

Anne Gracie

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Beschreibung

Ein Schiffsimperium hat der verwegene Ire Patrick Flynn sich geschaffen, ist ein reicher Mann geworden - nur eine adlige Gattin fehlt ihm noch. Doch Flynn vergisst seinen Plan, als er eines Tages Daisy Chance küsst. Bis jetzt war die junge Modistin nur eine gute Freundin. Aber plötzlich lodert die Leidenschaft heiß zwischen ihnen! Daisy in den Armen zu halten ist für Flynn der Himmel auf Erden. Doch als er ihr einen Antrag macht, lehnt sie ab. Flynn ahnt nicht, warum: Die Vergangenheit der zierlichen Schönheit ist anrüchig, und sie findet, er braucht eine adlige Lady an seiner Seite. Dafür opfert sie sogar ihre Liebe …

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Seitenzahl: 493

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IMPRESSUM

HISTORICAL GOLD erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2016 by Anne Gracie Originaltitel: „The Summer Bride“ This edition published by arrangement with Berkley, an imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC. Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL GOLDBand 359 - 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Ira Panic

Abbildungen: Harlequin Books S. A., Patryk_Kosmider / Getty mages, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 11/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733749262

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, TIFFANY

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1. KAPITEL

„Nicht, was wir sagen oder denken, macht uns zu dem, was wir sind, sondern was wir tun.“

Jane Austen: „Verstand und Gefühl“

London, März 1817

Ich kann nun wirklich aus allem was machen, aber nich’ mal ich kann aus ’nem verflixten Schweineohr ’nen Seidenbeutel nähen!“, verkündete Daisy Chance. „Ich bin inner Gosse geboren worden, in ’nem Hurenhaus aufgewachsen, und ich hab ein Hinkebein. Ich sehe nich’ aus wie ’ne Dame, ich rede nich’ wie ’ne Dame, und ich werd nie ’ne Dame sein, also was soll das hier bringen, frag ich …“

Lady Beatrice fiel ihr ins Wort. „Unsinn! Du kannst alles erreichen, was du dir in den Kopf setzt!“

„Vielleicht schon.“ Daisy rollte mit den Augen. „Aber ich will gar keine Dame sein! Ich will ’ne Schneiderin sein – und nich’ irgendeine Schneiderin. Ich werd die gefragteste Modistin von ganz London, um die sich die ganze Hautevolaute reißt.“

Die alte Dame zuckte wegwerfend mit den Schultern. „Ich sehe keinen Grund, warum du nicht eine Modistin und eine Dame sein kannst.“

Daisy starrte sie ungläubig an. „Sie haben keine Ahnung nich’, stimmt’s? Was es braucht …“

„Keine Ahnung. Es heißt einfach nur: keine Ahnung.“

Daisy verdrehte die Augen. „Arbeit. Das braucht es – harte, niemals endende Arbeit. Ich arbeite jetzt schon jede Stunde, die Gott werden lässt, und trotzdem schaffe ich’s kaum. Ich hab keine Zeit, in der Gegend rumzulaufen und so zu tun, als wär ich ’ne Dame!“

„Du bist eine Dame!“

Daisy schnaubte geringschätzig, doch Lady Beatrice sprach ungerührt weiter. „Dein ganzer Charakter beweist das, Daisy. In deinem Inneren bist du eine Dame. Loyal, liebevoll, empfänglich für die Bedürfnisse anderer Menschen. Das Einzige, was uns zu tun bleibt, ist, dir beizubringen, auch äußerlich als Dame zu erscheinen.“

„Da pfeif ich drauf“, erwiderte die angehende Dame. „Abgesehen von der Tatsache, dass mir die Zeit für all den Kram fehlt, hab ich auch keine Lust dazu. Außerdem würde das sowieso nichts nützen! Alle Lektionen auf der Welt machen mich nich’ zu so ’ner Art Dame, wie Abby oder Jane oder Damaris eine is’. Die sind schon mit feinen Manieren und hübscher Sprechweise geboren worden. Ich komm von der Gosse her und bin ruppig aufgewachsen.“

„Aus der Gosse, nicht von der Gosse her, und wie Abby oder Jane oder Damaris sind. Aber das ist unwichtig …“

„Is’ es nich’. Ich hab jetzt eine Chance, dank Ihnen und Abby und den Mädchen, was aus mir zu machen.“

„Ja, eine Dame.“

„Nein, eine Modistin mit einem eigenen Geschäft. Ich will feine Damen anziehen, nich’ nachäffen.“

Lady Beatrice richtete sich steif auf. „Nach den Lektionen, die ich dir erteilen lasse, kann von nachäffen keine Rede sein. Und bitte benutz nicht so einen vulgären Ausdruck.“

„Nun ja, ich komm nun mal aus ’ner vulgären Schicht und red’, wie mir der verflixte Schnabel gewachsen is’, aber wenn Ihnen das zu direkt is’, dann kann ich’s auch anders sagen: Ich bin keine Lady, und ich mag nichts vortäuschen.“

„Sagt das Mädchen, das unter falschem Namen in meinem Haus lebt“, entgegnete die alte Dame wie aus der Pistole geschossen. „Und vermutlich auch plant, ihr Geschäft unter besagtem falschem Namen zu führen.“

Empört schnappte Daisy nach Luft. „Das sagen ausgerechnet Sie? Wo Sie mehr Lügen über uns erzählt haben als jeder sonst? Wer hat denn eine falsche Halbschwester erfunden – und dann sogar noch eine uneheliche, was? Wer hat uns denn als Nichten ausgegeben, obwohl wir nichts dergleichen sind? Wer hat sich diesen ganzen Blödsinn über Venedig ausgedacht? Wer…“ Sie brach ab. Die alte Dame kicherte entzückt. Sie war stolz auf ihre Lügen.

„Sie wissen verd… ganz genau, dass ich nur Abby und Jane zuliebe bei der Sache mit dem Chance-Nachnamen mitgemacht hab“, fuhr Daisy würdevoll fort. „Die beiden waren in Gefahr.“

„Das waren sie.“ Lady Beatrice zuckte abermals mit den Schultern. „Aber du nennst dich immer noch Daisy Chance statt … wie lautet eigentlich dein eigentlicher Nachname?“

„Smith. Aber das war nur ein Name, den irgendwer aus dem Hut gezaubert hat. Ich bin ein Findelkind, hab meine Mum und meinen Dad nie gekannt, daher weiß keiner, wie ich richtig heiße.“

„Du lenkst vom Thema ab“, sagte Lady Beatrice. „Die anderen Mädchen treffen sich morgen Nachmittag oben im Salon, und ich will, dass du ebenfalls dort bist.“

„Ich dachte, sie sind mit all dem Kram durch, jetzt, wo die Saison angefangen hat.“

Die alte Dame wedelte herablassend mit einer Hand. „Sie brauchen noch ein bisschen mehr Schliff. Nicht allen Damen liegt die feine Kunst des gesellschaftlichen Umgangs im Blut, und Jane neigt dazu, eher herumzutollen, als ordentlich zu tanzen. Also, du kommst.“ Es war ein Befehl, doch in ihrer Stimme schwang ein Anflug von Unsicherheit mit.

Den sich Daisy sofort zunutze machte. „Nein“, widersprach sie. „Ich hab jetzt zu viel zu tun, um meine Zeit weiter mit solchem Gesellschaftsblödsinn zu verschwenden.“ Sie hatte die Lektionen in Sachen Konversation und Benehmen durchaus interessant gefunden und sah auch ein, dass ein formvollendeter Knicks für ihr Geschäft vorteilhaft sein könnte. Aber das reichte ihr. Außerdem redete Lady Bea ständig davon, dass sie tanzen lernen sollte, und das würde sie auf gar keinen Fall tun.

„Es kann doch nicht auf eine Stunde ankommen.“

„Ich kann in einer Stunde einen Ärmel oder einen Saum nähen.“

„Pah!“ Die alte Dame tat den Ärmel und den Saum mit einer ungeduldigen Geste ab. „Ich will, dass du dabei bist, und du wirst kommen.“

„Tja Pech. Ich komme nich’.“

„Ich werde nicht mit dir streiten, Daisy. Du lernst das, was ich dir sage! Keine meiner Nichten wird dieses Haus mit mangelnden Kenntnissen verlassen.“

Daisy funkelte sie verärgert an. „Aber ich bin nich’ Ihre Nichte, und das wissen wir beide.“ Die alte Dame verlangte Unmögliches von ihr, was ihr auch klar sein musste, warum also …

Lady Beatrice funkelte ebenso verärgert zurück und stampfte mit ihrem Gehstock auf den Boden. „Mädels, die unter meinem Dach leben, tun, was ich ihnen sage!“

„Oder was?“, fragte Daisy. Nach einer kurzen, angespannten Stille fügte sie halb ungläubig hinzu: „Drohen Sie mir? Heißt das, ich muss tun, was Sie sagen, oder Sie schmeißen mich raus?“

Die Stille dehnte sich weiter aus. Daisy zog sich der Magen schmerzhaft zusammen. Oh, Mist, ihr verdammtes aufbrausendes Temperament … Die alte Dame hatte alles Recht der Welt, sie wieder auf die Straße zu verbannen …

Mit einem Seufzer ließ Lady Beatrice sich in ihren Sessel sinken. „Oh, mach dich nicht lächerlich, Kind. Natürlich werfe ich dich nicht raus. Ich würde dich vielleicht gern erwürgen – was im Übrigen völlig gerechtfertigt wäre, du stures Ding! Aber du solltest doch wohl inzwischen wissen, dass ich dich wie eine Tochter liebe. Zugegeben, eine dickköpfige, vertrackte Tochter, die nicht weiß, was gut für sie ist. Aber das ist wohl recht verbreitet bei Töchtern, wie mir Frauen versichern, die welche haben. Und Nichten sind augenscheinlich ebenso problematisch. Jedenfalls manche Nichten“, fügte sie vielsagend hinzu.

Daisy konnte wieder atmen. Hinter ihren Lidern brannten Tränen, die sie hastig wegblinzelte. Sie weinte nie, doch Lady Beas Worte hatten sie vollkommen durcheinandergebracht. Sie wusste, dass das alte Mädchen sie gernhatte – Daisy hatte sie ebenfalls schrecklich gern, sogar mehr als das –, aber laut auszuspreche, dass sie Daisy liebte. Wie eine Tochter …

„Aber das heißt nicht“, fuhr Lady Bea fort, „dass ich nicht drohe, schikaniere, erpresse und vehement insistiere, um dich dazu zu bewegen, ein paar Dinge zu tun, die du nicht tun willst.“ Sie bedachte Daisy mit einem strengen Blick. „Denn genau dazu sind Mütter und Tanten da, sofern sie einigermaßen bei Verstand sind.“

Sie hob ihre Lorgnette und richtete ein gruselig vergrößertes Auge auf Daisy. „Also wirst du an dieser Unterrichtsstunde teilnehmen, Missy, und wenn ich Featherby und William holen muss, damit sie dich hintragen.“

Daisy kam zu dem Schluss, dass es keinen Sinn hatte, die Diskussion fortzusetzen. Sie würden sich mit ihren Argumenten nur immer im Kreis drehen, wie zwei alte Boxer im Ring, nicht wirklich vorankommen und nur müde werden. Und sich ärgern. „Na schön, ich denk drüber nach“, erklärte sie in, wie sie hoffte, überzeugendem Ton.

Wenn es so weit war, würde sie sich einfach in ihrem Zimmer einschließen. William und Featherby würden ja wohl kaum die Tür aufbrechen.

Die alte Dame neigte gnädig den Kopf. „Ich bin froh, dass du endlich zur Vernunft kommst. Du wirst sehen, diese Lektionen sind von unschätzbarem Wert.“

„Ich behaupte immer noch, dass man kein Seidentäschchen aus einem …“

„Hör auf, das immer wieder zu sagen, Daisy! Wenn du ein Schweineohr wärest, was bitte schön wäre ich denn dann, als deine Tante?“

Daisys Lippen zuckten, während sie sich Mühe gab, nicht zu grinsen.

„Wage bloß nicht, es auszusprechen, du schreckliches Mädchen!“ Lady Beatrice warf einen Fächer nach ihr, verfehlte sie jedoch. Und fing dann an zu kichern und zu prusten. Daisy konnte nicht mehr an sich halten und brach in lautes Gelächter aus.

Irgendwann lehnte Lady Beatrice sich in ihrem Stuhl zurück und wischte sich mit einem Spitzentüchlein die Augen. „Du schreckliches, schreckliches Mädchen! Ich weigere mich entschieden, die Tante eines Schweineohrs zu sein!“

Daisy lachte. „Seine Verwandten kann man sich nicht aussuchen.“ Sie hob den Fächer auf, legte ihn auf ein Beistelltischchen und stand auf.

„Unsinn“, widersprach Lady Bea. „Ich mache das ständig. Es ist ganz einfach und sehr viel befriedigender als die andere Methode. Selbst wenn besagte Verwandte sich unmöglich aufführen.“ Sie schaute Daisy vielsagend an. „Also, morgen Nachmittag um vier im oberen Salon.“

„Mal sehn, wie ich mit’m Nähen vorankomm.“ Vielleicht konnte sie ja etwas Arbeit zum Unterricht mitnehmen.

„Mal sehen, wie ich mit dem Nähen vorankomme“, wiederholte Lady Beatrice, die einzelnen Worte langsam und deutlich aussprechend. „Verschluck nicht die Hälfte der Silben.“

Daisy verengte rebellisch die Augen. „Ihr Freund, dieser Sir Oswald Merridew, verschluckt ständig Silben.“

„Ja, aber auf aristokratische, stilsichere Art.“

„Dann werd ich meine ab sofort auch auf diese Art verschlucken“, verkündete Daisy grinsend.

Jetzt warf Lady Beatrice ihr Taschentuch nach ihr. „Du bist wirklich unmöglich!“ Aber sie musste ein Lächeln unterdrücken.

Daisy klaubte das Taschentuch auf und gab es zurück, bevor sie sich zum Gehen wandte. Als sie die Tür hinter sich zuzog, hörte sie noch den Ausruf: „Stures Ding!“

Immer noch aufgewühlt, eilte sie die Treppe hoch. Ihr verflixtes Temperament. Sie hatte Lady Beatrice praktisch dazu herausgefordert, sie rauszuschmeißen, und was sollte dann aus ihr werden? Sie wäre wieder ganz am Anfang, obdachlos, ohne Freunde und mit kaum zwei Pennys in der Tasche.

Oh, sie wusste, dass Abby oder Damaris sie aufnehmen würden, aber Daisy hatte noch nie von Almosen gelebt und würde jetzt ganz bestimmt nicht damit anfangen.

Außerdem liebte sie Lady Bea, und sie hasste es, die alte Dame zu verärgern. Auch wenn die sich diese verrückte Idee in den Kopf gesetzt hatte, Daisy in eine Dame zu verwandeln.

Wenn sie bloß nicht dauernd so müde wäre. Jeden Morgen erwachte Daisy lange vor Sonnenaufgang und begann die immer wieder gleichen Probleme zu wälzen: die Arbeit, die sie erledigen musste, die Versprechungen, die sie gemacht hatte, das Geld, das sie nicht besaß …

Sie hatte den Versuch aufgegeben, danach wieder Schlaf zu finden, und sich stattdessen angewöhnt, in aller Herrgottsfrühe aufzustehen. Zum Glück war Lady Beas Haus mit dem Wunder der Gasbeleuchtung ausgestattet.

Es war besser zu arbeiten, als sich Sorgen zu machen.

Aber das führte dazu, dass sie beim läppischsten Anlass aus der Haut fuhr und den Leuten gegenüber, die ihr am meisten am Herzen lagen, die Beherrschung verlor.

Du solltest doch wohl inzwischen wissen, dass ich dich wie eine Tochter liebe …

In ihrer Kehle bildete sich ein Kloß. Niemand hatte sie je wie eine Tochter geliebt.

Niemand hatte sie überhaupt irgendwie geliebt, nicht wirklich. Nicht, bevor sie Abby und Damaris und Jane kennengelernt hatte. Oh, es hatte in der Vergangenheit entsprechende Beteuerungen gegeben, die sich jedoch allesamt als falsch herausstellten. Männer waren Lügner und Betrüger, zumindest einem Mädchen gegenüber, das sich allein durchschlug und nichts zu bieten hatte außer sich selbst.

Und ja, sie hatte mal geglaubt, dass Mrs. B. mütterliche Gefühle für sie hegte, doch als es dann hart auf hart gekommen war … Nein, Daisy hatte früh ihre Lektion gelernt: Man war in diesem Leben auf sich allein gestellt.

Aber sogar als Abbys und Janes Situation völlig verzweifelt war, hatten die beiden Damaris und Daisy, mit denen sie kein bisschen verwandt waren, nicht sich selbst überlassen, was doch die praktischste Lösung gewesen wäre. Stattdessen hatten sie geschworen, nur noch fester zusammenzuhalten und einander fortan so nah zu sein wie Schwestern.

Von diesem Wunder hatte Daisy sich noch immer nicht erholt.

Und dann waren sie bei Lady Bea eingezogen, einer echten blaublütigen Aristokratin, ganz egal, in welch erbärmlichem Zustand sie sich damals befand. Und die hatte sie zu ihren Nichten erklärt.

Lady Beatrice war das Beste, was ihnen allen hätte passieren können.

Trotzdem, irgendwie hatte das alte Mädchen einen Vogel. Schließlich konnte ein Blinder sehen, dass aus Daisy niemals eine feine Dame werden würde, selbst wenn sie gewollt hätte, was verdammt noch mal absolut nicht der Fall war! Aber hörte Lady Bea etwa auf die Stimme der Vernunft?

Daisy hegte keinerlei Illusionen über sich selbst. Sie war eine kleine Gossengöre mit Hinkebein und dreckigem Mundwerk – immerhin feilte sie an ihrer Grammatik und versuchte, weniger zu fluchen. Aber sie liebte schöne Kleider und war, gottlob, gut darin, sie anzufertigen.

Sie würde jemand sein – und dieses Ziel aus eigener Kraft erreichen: Daisy Chance, Schneiderin der feinen Pinkel, mit eigenem Laden und eigener Firma. Das war ihr Traum, und den verfolgte sie so hungrig, dass sie ihn fast schon schmecken konnte.

Sie erreichte ihre Werkstatt. Ursprünglich war es ihr Schlafzimmer gewesen – das erste eigene Zimmer ihres Lebens –, doch nach und nach hatten ihre Näharbeiten dermaßen überhandgenommen, dass ihr Bett in Janes Zimmer ausgelagert und durch einen großen alten Tisch ersetzt worden war.

Der Raum war großzügig geschnitten und hatte hohe Fenster, die bei schönem Wetter jede Menge Tageslicht hereinließen. Licht war kostbar für eine Schneiderin. Überall häuften sich Kleider und Stoffballen und Streifen von Borte und Spitze.

Es war jedes Mal ein erhebendes Gefühl für Daisy, ihr Arbeitszimmer zu betreten – ihre Schatzhöhle der schönen Dinge. Das hier war, was wirklich zählte. Hier lag ihre Zukunft – nicht in der absurden Idee, sie zur schlechten Kopie einer Dame zu machen.

Daisy fädelte einen Faden ein und nahm das Kleid zur Hand, an dem sie gerade arbeitete. Sie hatte so viel zu tun, die Liste schien täglich länger zu werden. Zwar hatte die Saison bereits begonnen, doch das bedeutete nicht weniger Aufträge, im Gegenteil. Momentan brannten ihr noch zwei Ballkleider auf den Nägeln, die es möglichst schnell fertigzustellen galt, glücklicherweise waren die Teile nicht so aufwendig wie das Gewand, das sie für Janes ersten Ball entworfen hatte. Außerdem musste sie noch drei Tageskleider – du liebe Güte, die feinen Leute hatten wirklich Spaß daran, sich andauernd gegenseitig zu besuchen – und eine Pelisse zuschneiden.

Janes Schäferinnen-Gewand für den Maskenball nächste Woche hing schon neben der Tür. Daisy hatte dafür einfach eine alte Robe von Lady Bea abgeändert, und das Ergebnis konnte sich durchaus sehen lassen. Es war die perfekte Lösung für ein Kostüm, das nur ein einziges Mal getragen wurde, und hatte ihr viel Zeit gespart.

Aber … da waren noch so viele Aufträge, so viele Versprechungen, die es zu erfüllen galt.

Ja, Lady Bea hatte ihr die Dienstmädchen Polly und Ginny zur Verfügung gestellt, die jeden Nachmittag für Daisy nähten. Und Jane, Abby und Damaris wussten von ihrem Traum und taten, was sie konnten, um ihr zu helfen.

Doch Abby und Damaris waren inzwischen verheiratete Damen, und Jane hatte ihr Debüt gefeiert und war bei einem Mann im Wort, wenn auch noch nicht offiziell verlobt. Ihre Aufgabe war es jetzt, so viele gesellschaftliche Ereignisse wie möglich zu besuchen und sich fest als Mitglied des tons zu etablieren. Alle drei Mädchen hatten nun andere Verpflichtungen. Worüber Daisy sich gewiss nicht beschweren würde, da ihre Freundinnen bei jeder sich bietenden Gelegenheit Daisys Kleider trugen – was der Grund dafür war, dass ihr Auftragsbuch gerade so prall gefüllt war.

Daisy nähte nahezu rund um die Uhr – aber es reichte immer noch nicht.

Sie hatte versucht, ihre Preise zu erhöhen, verlangte geradezu lächerliche Summen, um potenzielle Kundinnen abzuschrecken und die Situation etwas zu entspannen, aber das machte einige Damen nur umso versessener darauf, einen von Daisys Entwürfen zu tragen.

Reiche Leute waren verrückt. Aber dieser Irrsinn würde Daisy reich und berühmt machen.

Eines Tages.

Wenn sie die Kleider bloß schneller fertigen könnte. Aber wie? Sie kam ja so schon kaum über die Runden. Sie gab Polly und Ginny, wann immer sie konnte, etwas Geld, zusätzlich zu dem Lohn, den sie von Lady Bea erhielten, aber es war nicht genug übrig, um noch jemanden einzustellen.

An Stoff zu kommen war kein Problem. Ihre Schwäger Max und Freddy besaßen eine Handelsgesellschaft, die Seide importierte. Aber Spitze und Borte und anderer schicker Krimskrams hatten ihren Preis, und die Händler trennten sich erst von ihrer Ware, wenn sie bezahlt war.

Und feine Pinkel mochten in Geld schwimmen, aber sie ließen sich ewig Zeit, ihre Rechnungen zu begleichen.

Ihre Gedanken drehten sich im Kreis um die stets gleichen Probleme, und wie immer war die einzige Lösung, die Daisy einfiel, noch härter zu arbeiten. Und länger. Und schneller.

Ihre Nadel flog förmlich.

Einige Zeit später klopfte es. Daisy blickte auf und sah, dass Lady Beatrices Butler Featherby in der Tür stand.

„Was ist?“ Sie funkelte ihn argwöhnisch an. „Wenn Sie hier sind, um mich wegzuzerren …“

Er wirkte leicht entsetzt. „Ich hege keinerlei Absicht, Sie irgendwohin zu zerren, Miss Daisy. Ich wollte nur kurz mit Ihnen sprechen. Darf ich eintreten?“

Sie seufzte. „Kommen Sie rein, Mr. F. – und nennen Sie mich nicht Miss Daisy. Nicht, wenn wir allein sind. Anders als offenbar jeder andere in diesem verflixten Haus hab ich nich’ vergessen, wie wir uns alle kennengelernt haben. Ich, Abby, Jane, Damaris, Sie und William.“

„Ich habe es nicht vergessen“, erwiderte Featherby ungerührt und zog die Tür hinter sich zu. „Aber ich dachte, Sie hätten es vielleicht.“

Ungläubig starrte Daisy ihn an. „Was soll das denn heißen? Na klar erinnere ich mich.“ Sie klopfte auffordernd auf den Platz neben sich. „Wir war’n im Dachgeschoss dieses halbverfallenen Hauses, das abgerissen werden sollte, und Sie und William haben unten gewohnt.“

Featherby ließ sich mit einem erinnerungsseligen Seufzer auf den Stuhl sinken. „Wir alle haben am Rande der Katastrophe gelebt.“

„Ja, schon, aber …“

„William war ein alternder, abgehalfterter Berufsboxer, der sich für ein paar Schillinge zu Brei schlagen ließ, und ich ein ehemaliger Butler ohne Zeugnis, der wegen Trunkenheit in Ungnade gefallen war.“

„Trunkenheit?“, wiederholte Daisy überrascht. „Aber ich hab nie gesehen, dass Sie nie auch nur ’nen Tropfen anrühren.“

„Nein, das tue ich auch nicht. Aber es war das reinste Glück …“ Er lächelte. „Oder eine unvermutete Chance, wenn Sie so wollen, dass ihr Mädchen an jenem Tag unsere Hilfe benötigt habt. Und dass Lady Beatrice William und mich ebenfalls aufgenommen hat.“ Er schaute sie eindringlich an. „Wir sind jetzt abgesichert – oder zumindest so abgesichert wie Diener mit einer älteren Arbeitgeberin nur sein können –, und wir haben nicht die Absicht, unsere Stellung hier zu gefährden.“

Daisy machte schmale Augen. „Wollen Sie mir sagen, dass ich Ihre Sicherheit gefährde?“

„Nein, keineswegs“, sagte Featherby geschmeidig. „Aber, und ich sage das aufgrund unserer früheren engen Bekanntschaft und nicht als ein Butler – oder nicht nur als ein Butler: Lassen Sie der alten Dame ihren Willen, Daisy.“

„Aber es ist dumm …“

„Tun Sie es trotzdem. Es ist ihr wichtig, Ihnen all die Dinge beizubringen, die eine Dame wissen muss.“

Daisy verdrehte die Augen. Wie oft musste sie es noch sagen. „Aber ich wird’ niemals nich’ …“

„Tun Sie es trotzdem“, beharrte Featherby. „Weil Sie sie lieben. Weil sie Sie liebt.“

Einen Moment lang schwieg Daisy. Heute Morgen wurde ziemlich viel über Liebe geredet. Das war sie nicht gewohnt. Sie hatte keine Ahnung, wie man damit umging.

Sie runzelte die Stirn, dachte über seine Worte nach. Sie liebte die alte Dame, das tat sie wirklich. Aber … Sie deutete auf die Berge von Kleidungsstücken in unterschiedlichen Fertigungsstufen. „Schauen Sie sich das doch mal an, Featherby. Ich kann keine Zeit damit vergeuden, mich in Damensachen zu üben, ohne Sinn und Verstand.“

„Dann schaffen Sie sich die Zeit.“

„Ach, und meine Arbeit? Wie soll ich die fertigkriegen?“

Featherby zuckt mit den Schultern. „Finden Sie einen Weg. Sie sind talentiert und klug und erfinderisch. Und Sie sind jung. Sie haben noch Ihre ganze Zukunft vor sich, Daisy.“ Er senkte vielsagend die Stimme. „Lady Beatrice nicht. Sie ist alt. Und warum auch immer, das ist es, was sie für Sie will.“

„Hat sie Sie hier hochgeschickt, um mich dazu zu überreden …?“

Beinahe beleidigt schüttelte Featherby den Kopf. „Nein, sie hat keine Ahnung. Ich bin als Freund zu Ihnen gekommen, nicht als Butler.“

Daisy glaubte ihm. Sie nickte besänftigt.

Featherby schwieg einen Moment. „Lady Beatrice ist der Grund, warum heute keiner von uns mehr in einem heruntergekommenen Elendsviertel von der Hand in den Mund lebt. Sie ist der Grund, warum Sie diese rosige Zukunft haben, für die Sie so hart arbeiten.“

Wieder senkte sich Stille zwischen sie. „Sie wollen sagen, dass ich es ihr schuldig bin“, sagte Daisy schließlich.

Featherby machte eine unbestimmte Geste. „Es ist Ihre Entscheidung.“

Sie seufzte tief. „Ich weiß.“ Sie zögerte kurz, rieb mit einem Finger über eine Naht ihres Rocks. „Aber ich komme mir vor wie eine Närrin, Mr. Featherby“, murmelte sie dann. „Wenn ich mit meinem Hinkebein herumtrampele, um richtig knicksen zu lernen. Oder erst recht, wenn ich versuch zu tanzen.“

„Das weiß ich“, erwiderte er freundlich, und ein leichtes Lächeln legte sich über seine normalerweise unbewegten Züge. „Sie hätten William hören sollen, als er das erste Mal die Livree eines Dieners anzog.“

Daisy schaute auf. „Das gefiel ihm nich’?“

Featherbys Lächeln wurde breiter. „Er hat es gehasst. Er schwor Stein und Bein, dass er nicht eingewickelt wie eine Weihnachtsgans unter die Leute gehen würde.“

Daisy lachte. Der riesige, ungehobelte William entsprach nicht gerade dem Ideal des eleganten Dienstmanns.

„Aber er hat sich daran gewöhnt“, fuhr Featherby fort, „und einen Weg gefunden, sich diese Rolle zu eigen zu machen. Und das werden Sie auch, Daisy. Sie können alles erreichen, was Sie sich vornehmen.“

Damit ist klar, dass er die ganze Auseinandersetzung zwischen mir und Lady Bea mit angehört hat, dachte Daisy. Aber sie wusste auch, dass Featherby nicht dazu neigte, Dinge zu sagen, die er nicht meinte. „Glauben Sie?“

„Ich weiß es. Also, werden Sie nun morgen an dem Unterricht teilnehmen?“

„Natürlich.“ Sie seufzte. „Das brauchen Sie doch gar nich’ zu fragen. Sie haben geschafft, dass ich mich sooo klein fühle.“ Sie unterstrich ihre Worte mit Daumen und Zeigefinger, die sie im geringen Abstand übereinanderhielt.

Featherby lächelte wohlwollend. „Meine Liebe, glauben Sie niemals, dass ich Sie in irgendeiner Form reduzieren möchte. Ihr Mädchen, alle vier, habt die größten Herzen der Welt.“ Nach kurzem Zögern fügte er mit leicht belegter Stimme hinzu: „Sie sollten wissen, dass Lady Beatrice und Ihre Schwestern nicht die Einzigen sind, die Sie lieben. Ich selbst hatte niemals Kinder …“

Daisy blinzelte, und in ihrer Kehle bildete sich schon wieder ein Kloß. Featherby war so ein hervorragender Butler, da vergaß man leicht, dass er auch ein Mensch mit eigenen Gedanken und Gefühlen war. Sie öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, doch er räusperte sich und stand hastig auf. Und war von einer Sekunde zur nächsten nicht mehr der gute Freund, der ihr die Sprache verschlagen hatte, sondern ein äußerst würdevoller Butler, dessen Gesicht niemals auch nur den Anflug einer Emotion zeigte.

Er wandte sich zur Tür.

„Mr. Featherby.“

Er blieb stehen und schaute über die Schulter zu ihr, eine Augenbraue hochgezogen.

„Sind Sie gern Butler?“ Nie zuvor hatte sie sich das gefragt, hatte es als selbstverständlich vorausgesetzt. Doch jetzt war sie neugierig.

Einen Moment lang befürchtete sie, er würde nicht antworten, aber dann sagte er: „Erinnern Sie sich daran, wie die Situation war, als wir zu Lady Beatrice kamen? Ihr furchtbarer Zustand, die Unordnung, die überall herrschte, der Schmutz, das Chaos? Wie schrecklich unbehaglich alles war?“

Daisy nickte. Sie erinnerte sich sehr gut.

Das Haus war ein Schweinestall gewesen, Lady Beatrice bettlägerig und hilflos.

„Und weil ich da bin, läuft dieser Haushalt nun wie das perfekteste aller Uhrwerke, makellos und unauffällig.“ Und dann grinste Featherby, ein echtes, breites Grinsen. „Ob ich gern Butler bin, Daisy?“ Er bedachte sie mit einer Verbeugung, die Anmut und Würde mit einer beträchtlichen Dosis Triumph kombinierte. „Ich liebe es! Ich bin beim Butlern das, was Sie beim Schneidern sind: schlicht und ergreifend der Beste von allen. Ich möchte mich nicht brüsten, aber tatsächlich werden mir regelmäßig große … lassen Sie es mich Anreize nennen – ich sollte nicht von Bestechung sprechen – geboten, bei anderen Damen und Gentlemen in Stellung zu gehen.“ Er rümpfte pikiert die Nase.

Daisy riss die Augen auf. „Was? Sie meinen, die Leute versuchen, Sie Lady Bea abspenstig zu machen? Sie sind doch nich’ versucht, oder?“

Stolz richtete Featherby sich zu voller Höhe auf. „Nicht eine Sekunde lang. William und ich werden Lady Beatrice niemals verlassen. Niemals! Nicht, solange noch ein Tropfen Blut durch meine Adern rinnt.“

Daisy nickte. Sie hegte dieselben Gefühle gegenüber der alten Dame.

„Ich bin froh, dass wir zu einer Übereinkunft gekommen sind, Miss.“

Daisy zuckte mit den Schultern. Sie würde einfach ihre Arbeit mit zum Unterricht nehmen, sie konnte gleichzeitig nähen und zuhören. „Aber tanzen wird’ ich nich’“, rief sie ihm nach, bevor die Tür ins Schloss fiel. „Sie kriegen mich auf keinen verda…, äh, verflixten Tanzboden!“

2. KAPITEL

„Es gilt als weltweit akzeptierte Wahrheit, dass ein vermögender Junggeselle dringend einer Ehefrau bedarf.“

Jane Austen: „Stolz und Vorurteil“

Patrick Flynn sprang leichtfüßig von der Mietdroschke, wies den Kutscher an zu warten und läutete die Klingel von Lady Beatrices Domizil am Berkeley Square.

„Morgen, Featherby“, grüßte er den Butler vertraulich. Als er in London eingetroffen war und niemanden außer seinem Geschäftspartner Max kannte, den Neffen von Lady Beatrice, hatte die alte Dame ihn eingeladen, bei ihr zu wohnen. Er hatte die ersten paar Wochen in ihrem Haus verbracht, und das hatte ihn gesellschaftlich genau auf den Weg gebracht, den er anstrebte.

„Ist Miss Daisy fertig?“, erkundigte er sich. Es war noch ziemlich früh, aber er hatte am Vorabend eine Nachricht geschickt: Eins seiner Schiffe mit einer Extraladung Seide sollte heute Morgen in London anlegen. Da Daisy Kleider für Max’ Frau Abby und ihre beiden anderen Schwestern nähte, wollte Max, dass sie die erste Wahl hatte.

„Noch nicht, Sir, aber ich bin sicher, dass es nicht mehr lange dauert. Ich nehme Ihren Hut und Mantel, wenn Sie kurz warten wollen …“

Flynn wollte nicht warten, aber ihm blieb nichts anderes übrig. Frauen waren immer zu spät dran.

Als der Butler Flynns Überzieher entgegennahm, wurde seine Miene noch ausdrucksloser als üblich. Flynn lächelte über Featherbys vorgetäuschte Gleichgültigkeit, aus der absoluter Schmerz sprach, und strich sich liebevoll über seine Weste.

Featherby missbilligte Flynns farbenfrohe Westen. Er war nicht der Einzige. Als Flynn in das Junggesellenapartment von Freddy Hyphen-Hyphen gezogen war, hatte er auch dessen Diener Tibbins übernommen. Tibbins machte keinen Hehl daraus, wie abgrundtief er die grellen Westen verabscheute, und ergriff jede sich bietende Gelegenheit, seinem Herrn klarzumachen, wie dringend er sich von besagten Kleidungsstücken trennen müsste.

Flynn scherte sich nicht die Bohne um die Meinung seines Dieners – oder sonst eines Menschen. Und er hatte nichts für die herrschende englische Mode übrig, die verlangte, dass ein Mann sich kleidete wie ein verregnetes Wochenende in Wales. Flynn mochte lebhafte Farben.

Aber er war mit der Absicht in die Londoner Gesellschaft eingetreten, sich eine vornehme, ansehnliche Braut zu suchen, und weisere und modebewusstere Köpfe – nun ja, Freddy Hyphen-Hyphen, der eine elegante Bohnenstange war – hatten ihn dazu überredet, sich etwas konventioneller zu kleiden, zumindest für den Moment.

An diesem Morgen könnte nicht mal ein so strenger Schiedsrichter des guten Geschmacks wie Hyphen-Hyphen etwas an den makellosen Hirschleder-Breeches auszusetzen haben, die sich glatt an Flynns Schenkel schmiegten, oder an den auf Hochglanz polierten schwarzen Stiefeln, dem feinen Leinenhemd mit hohem, gestärktem Kragen, dem elegant geknoteten Halstuch. Und schon gar nicht an dem perfekt geschnittenen dunkelblauen Gehrock, den der höchst exklusive Weston, Schneider der vornehmen Gentlemen des tons, ihm auf den Leib geschneidert hatte.

Nein, Flynn wäre komplett dezent gekleidet gewesen – seiner Meinung nach also extrem langweilig –, wäre da nicht seine Weste gewesen, die kein Herrenschneider der noblen Gesellschaft für ihn gefertigt hatte.

Auf dem Modell du jour kämpften aufgestickte schwarze und gelbe Tiger fauchend vor einem Hintergrund aus scharlachroter beziehungsweise blauer Seide. Ihre Augen bestanden aus winzigen Kristallen, die bei jeder Bewegung grün oder rot funkelten.

Er besaß ein halbes Dutzend dieser farbenprächtigen Westen, die meisten mit chinesischer oder indischer Stickerei und alle gefertigt von Miss Daisy Chance, die Flynn dafür unverschämte Preise abverlangte – begleitet von einem frechen Grinsen, das dem Zugeständnis gleichkam, dass es sich bei diesem Handel um schamlosen Raub handelte.

„Sagen Sie dem Mädel, sie soll schnell machen, Featherby.“

Der Butler neigte hoheitsvoll den Kopf. „Ich werde die junge Dame informieren, Sir. In der Zwischenzeit wäre Lady Beatrice gewiss entzückt, Sie zu empfangen. Sie finden Sie im vorderen Salon.“ Mit gebieterischer Geste deutete Featherby auf den erwähnten Raum. „Ich lasse Tee bringen.“

„Oh, aber ich habe keine Zei…“

Doch der Butler, verdammt sollte er sein, war schon weg, verschwunden durch die grün beschlagene Tür, die zum Dienstbotentrakt führte. Seufzend machte Flynn sich auf den Weg zum Salon, schon halb bereuend, dass er sich bereit erklärt hatte, Daisy mit zum Hafen zu nehmen.

Flynn hatte nichts gegen Daisys Gesellschaft – er mochte das Mädchen. Es war nur so, dass er eintreffendes Frachtgut gern allein in Augenschein nahm; ein kleines Ritual, an dem er sich jedes Mal erfreute, wenn eins seiner Schiffe anlegte: erst zusammen mit dem Kapitän die Ladeliste durchgehen, dann in aller Ruhe die Bündel und Truhen, Kisten und exotisch verpackten Gegenstände sichten und überlegen, was er mit den Waren tun würde.

Diese stillen Minuten erinnerten ihn daran, wie weit er es gebracht hatte, sie boten die Gelegenheit zu einer kleinen privaten … nun gut, ja, einer kleinen privaten Prahlerei.

Unwillkürlich musste Flynn grinsen. Vielleicht war diese Prahlerei ja gar nicht immer so klein.

Der Handel lag ihm im Blut. Er wusste nie im Voraus, was genau die Kapitäne mitbringen würden. Oh, es gab natürlich die Alltagsfracht, Seide und Tee und Gewürze und Ähnliches, je nach Region, in der das Schiff unterwegs gewesen war, aber er hielt all seine Kapitäne dazu an, nach besonderen und ungewöhnlichen Dingen Ausschau zu halten.

Reiche Leute legten für rare und exklusive Waren gerne ein hübsches Sümmchen hin.

Und das Schiff, das heute angelegt hatte, war die Derry Lass, dessen Kapitän McKenzie mit seiner Frau Mai-Lin reiste, deren schottische und chinesische Wurzeln sie zu einer doppelt gewieften Händlerin machten. Sie hatte bislang noch nie versäumt, ihn mit einigen seltenen und schönen Objekten zu überraschen. Außerdem hatte sie nicht nur ein feines Näschen für Seide, sondern auch für hochwertige Jade. Flynn sammelte Jade.

Trotzdem, wenn er schon jemanden mitnehmen musste, noch dazu ein weibliches Wesen, dann war Daisy eine gute Wahl. Das Mädchen hatte ein Auge für Qualität und einen untrüglichen Sinn dafür, auf welche Art Waren sich die vornehmen Damen – und demzufolge auch die Kaufleute – stürzen würden.

Er klopfte an die Tür des Salons und trat ein.

Die verwitwete Lady Davenham, die es vorzog, als Lady Beatrice angesprochen zu werden, also mit dem Titel, mit dem sie geboren wurde, saß in einem dick gepolsterten Sessel. Sie hatte ihre Röcke um sich herum drapiert wie eine Königin und blätterte gelangweilt in einer Zeitschrift. Als sie ihn hörte, schaute sie auf, und ihre Miene hellte sich auf.

„Mr. Flynn, meine lieber Junge, kommen Sie rein, kommen Sie rein. Genau der Mann, den ich sehen wollte. Frauen langweilen mich zu Tode! Oh, ich meine nicht meine Schätzchen-Mädels, das wissen Sie ja. Aber die morgendlichen Besucherinnen. Und als ich eben die Klingel hörte, dachte ich schon, Sie wären eine von denen, auch wenn es noch lächerlich früh ist und niemand, der auch nur vorgibt, den geringsten Sinn für die herrschende Mode zu besitzen, vor dem Mittag einen Morgenbesuch machen würde. Aber für einen Gentleman gelten diese Regeln natürlich nicht, schon gar nicht für einen so attraktiven Gentleman wie Sie. Sie sind mir jederzeit willkommen.“

Sie hob ihre Lorgnette und beäugte ihn von oben bis unten, wobei ihr Blick besonders lange auf seinen perfekt sitzenden Hirschleder-Breeches verweilte. „Sie scheinen in prächtiger Form zu sein, mein Junge. Mir gefallen diese Breeches. Viele Männer verfügen einfach nicht über die notwendige Körperspannung, um ein Paar Breeches ordentlich auszufüllen.“

Flynn unterdrückte ein Grinsen. Er war ziemlich sicher, was sie mit notwendiger Körperspannung meinte. Lady Beatrice war eine unverschämte alte Schachtel.

Endlich schaute sie ihm ins Gesicht und lächelte strahlend. „Also, was treibt Sie her? Wollen Sie Tee? Natürlich wollen Sie Tee. Ziehen Sie doch einfach an dem Klingelzug da, und … oh, da kommen ja schon William und Featherby mit dem Tee. Hervorragendes Zeitgefühl wie immer, Featherby. Nehmen Sie Platz, lieber Junge, dorthin, wo ich Sie sehen kann.“ Sie gestikulierte hoheitsvoll.

Flynn tat, wie ihm geheißen.

Der Diener William setzte das Tablett ab. Featherby schenkte den Tee ein, während William einen Teller mit feinem Gebäck auf den Tisch stellte. Als Featherby ihm die Tasse reichte, bemerkte er: „Miss Daisy lässt ausrichten, dass sie sich umzieht und in Kürze unten sein wird.“

Lady Beatrice ließ die Brauen in die Höhe schnellen. „Wird sie das tatsächlich? Es geschehen noch Wunder. Sie dürfen sich geehrt fühlen, Mr. Flynn. Das verflixte Mädchen beglückt uns dieser Tage kaum noch mit seiner Anwesenheit. Nicht für rein gesellschaftliche Anlässe.“ Sie schnaubte.

„Oh? Warum das denn?“

Die alte Dame wedelte geringschätzig mit der Hand. „Pure Sturheit.“

Der Diener und der Butler zogen sich zurück. Lady Beatrice trank einen Schluck Tee und griff nach einem pinkfarben glasierten Mandelküchlein. „Nun erzählen Sie mal, mein Junge, wie sich Ihre Heiratspläne gestalten?“

„Ganz gut, Mylady.“ Er wählte einen Ingwerkeks, erwog kurz, ihn in seinen Tee zu tunken, rief sich aber noch rechtzeitig in Erinnerung, dass diese Angewohnheit in eleganten Kreisen missbilligt wurde, und verspeiste den Keks stattdessen mit zwei Bissen, die er mit einem Schluck Tee hinunterspülte. Der Ingwerkeks war gut und scharf, der Tee so dünn wie Wasser. Er schätzte indischen Tee, so stark wie möglich. Lady Beatrice trank ausnahmslos chinesischen.

Sie hob die Lorgnette. „Ganz gut?“, wiederholte sie streng. „Was heißt ‚ganz gut‘? Haben Sie eine passende junge Dame gefunden oder nicht? Wen haben Sie bislang kennengelernt? Wie entwickelt sich die Angelegenheit?“

Flynn nahm sich noch einen Keks. „Ausgezeichnete Ingwerkekse, Mylady. Übermitteln Sie Ihrer Köchin mein Kompliment.“

Lady Beatrice versuchte ständig, ihm Informationen über sein Heiratsvorhaben zu entlocken und herauszufinden, welche Brautwerbungen er in Erwägung zog. Seit er sie kannte, brannte die alte Dame darauf, ihn zu verkuppeln. Und er war ihr dankbar, dass sie ihn so vielen Leuten vorgestellt hatte. Doch er war stets jemand gewesen, der seinen eigenen Kurs verfolgte, und er bevorzugte es, seine Meinung so lange für sich zu behalten, bis er eine endgültige Entscheidung getroffen hatte.

Seine Abneigung, das Thema en détail zu diskutieren, machte die alte Dame ganz verrückt. Und wenn Flynn ehrlich war, musste er zugeben, dass er es genoss, sie zu necken.

Sie musterte ihn aus schmalen Augen. „Sie merken wohl langsam, dass Sie zu hoch zielen, stimmt’s? Ich habe Sie gewarnt. Ein ungebildeter Kapitän von niederer Herkunft, Ire – und zu allem Überfluss auch noch Katholik!“ Sie schüttelte den Kopf.

„Nicht praktizierend, Mylady, und obwohl alles, was Sie sagen, zutrifft, glaube ich nicht, dass ich zu hoch ziele“, erwiderte Flynn milde. Er fühlte sich wohl in seiner Haut und kannte seinen Wert. „Denn ich bin außerdem reich. Ein Mann, der es aus eigener Kraft zu einer Schiffsflotte gebracht hat – und zu einem Handelsimperium, das sich von hier aus in alle vier Himmelsrichtungen erstreckt.“

Lady Beatrice schniefte. „Sie haben Ihr Geld, durch Geschäftemacherei verdient.“

Ihr abfälliger Ton konnte Flynn nicht täuschen. „Klar, Mylady“, gab er grinsend zurück. „Mir steht so viel hässliches vulgäres Geld zur Verfügung, dass das arme Mädchen, das sich dazu herablässt, meine Frau zu werden, mithelfen muss, es auszugeben. Das wird mit Sicherheit eine schreckliche Bürde für sie sein.“

Die zart geschminkten Lippen der alten Dame zuckten. „Zweifellos. Bescheidenheit zählt nicht gerade zu Ihren Tugenden, nicht wahr, Mr. Flynn?“

Flynn machte eine wegwerfende Geste mit der Hand. Er hatte noch nie einen Sinn darin erkennen können, sein Licht unter den Scheffel zu stellen.

Nachdenklich biss sie von einer Cremeschnitte ab. „Ich weiß, dass auch Max und Freddy Sie bereits etlichen infrage kommenden jungen Damen vorgestellt haben. Doch die Saison hat gerade erst begonnen. Geben Sie die Hoffnung noch nicht auf, lieber Junge, es sind reichlich heiratswürdige Optionen vorhanden …“

„Oh, ich habe schon ein Auge auf ein geeignetes Mädchen geworfen“, versicherte Flynn unvorsichtig.

Er hatte sich mehr oder weniger für Lady Elizabeth Compton entschieden, die Tochter des Earl of Compton. Sie war alles, was er von einer Ehefrau wollte: blaublütig, hübsch, jung, aber nicht zu jung und, soweit Flynn das beurteilen konnte, von liebenswertem Wesen. Sie war die einzige Tochter eines verarmten Earls, und ihr Vater hatte diskret angedeutet, dass er nichts gegen einen nicht praktizierenden irisch-katholischen Emporkömmling einzuwenden hätte, sofern der über ein angemessen großes Vermögen verfügte. Und Flynns Vermögen war angemessen groß.

„Ach was?“ Lady Beatrice beugte sich vor, und ihre aristokratische Römernase zitterte förmlich, wie bei einem Jagdhund, der die Witterung eines Hasen aufgenommen hat. „Sie wollen die feinste junge Dame in London, haben Sie mir gesagt. Dieses Mädel ist also adelig, nehme ich an?“

„Bis in die Fingerspitzen, mit einem Stammbaum so lang wie Ihr Arm.“

„Wer ist sie? Kenne ich sie?“

Flynn schüttelte den Kopf. „Noch ist nichts offiziell.“

„Ich kann meinen Mund halten, wenn es das ist, was Ihnen Sorgen bereitet“, entgegnete sie säuerlich und setzte sich wieder aufrecht hin.

„Davon bin ich überzeugt, Madam“, beteuerte er besänftigend. „Aber ich bin auch ein kleines bisschen abergläubisch und möchte es daher nicht beschreien, bevor irgendwelche Übereinkünfte getroffen wurden. Sobald alles in trockenen Tüchern ist, sind Sie die Erste, die davon erfährt, das verspreche ich Ihnen hoch und heilig. Ich bin wirklich dankbar, dass Sie mich vorgestellt haben.“

„Oho!“ Lady Beatrice stellte ihre Tasse ab, hob die Lorgnette und beugte sich erneut vor. „Ich habe Sie dem Mädel also vorgestellt! Welche ist es denn? Ist es …“

„Ich habe nicht die Absicht, diese Angelegenheit näher zu besprechen, Mylady“, erklärte Flynn bestimmt. Er war wirklich dankbar, dass Lady Beatrice und Max ihn mit verschiedenen Mitgliedern des ton bekannt gemacht hatten. Trotzdem wollte er nicht, dass die alte Dame, auch wenn sie es nur gut meinte, sein Werben beaufsichtigte. Oder irgendetwas ausplauderte, bevor er auch nur mit dem Mädchen gesprochen hatte.

Sie ignorierte seinen Einwand, fing an, Namen herunterzurattern und fixierte ihn dabei mit ihrem scharfsinnigen, durch die Lorgnette noch mal intensivierten Blick. „Ist es Miss Harrington? Oder das Grainger-Mädchen, habe ihren Namen vergessen, die Hübsche mit dem etwas merkwürdigen Haar? Nein? Was ist mit dem Sherry-Mädel – Marianne? Ein bisschen in die Jahre gekommen, aber noch immer absolut heiratswürdig. Auch nicht? Hmm, lassen Sie mich nachdenken, wem habe ich Sie denn sonst noch vorgestellt?“

Er hätte schwören können, dass er während ihrer Aufzählung nicht mit der Wimper gezuckt hatte. Woher zum Teufel wusste die alte Dame, dass es keins der genannten Mädchen war? Freddy Hyphen-Hyphen behauptete, Lady Beatrice wäre eine Art gedankenlesende Hexe, und so, wie sie gerade loslegte, war eine Ablenkung dringend erforderlich.

„Es könnte sich um die Tochter eines Dukes handeln“, bekannte er. „Und das ist alles, was ich dazu sage. Ich will nicht, dass es sich herumspricht.“ Er griff nach einem dritten Ingwerkeks und biss hinein. Das alte Mädchen sollte ruhig erst mal an diesem falschen Köder kauen.

„Die Tochter eines Dukes?“ Sie runzelte die Stirn. „Davon sind nicht mehr allzu viele im Angebot – und mir ist keine bekannt, die in dieser Saison debütiert. Sie ist also bereits in die Gesellschaft eingeführt, Ihr Mädel, stimmt’s?“

„Oh ja.“ Flynn nippte an seinem Tee und bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck.

„Die einzige Duke-Tochter, die mir einfällt – jedenfalls die einzige unverheiratete –, ist Lady Pamela Girtle-Bute. Aber die kann es unmöglich sein.“

„Warum nicht?“ Er setzte eine, wie er hoffte, unschuldige Miene auf.

„Pammy Girtle-Bute?“ Sie schnaubte. „Schreckliches Wesen! Längst über die erste Blüte hinaus, aber immer noch ledig, kein Wunder. Nicht mal ansatzweise gut aussehend – Figur wie ein Fass, und diese Zähne! Und zu allem Überfluss auch noch eine entsetzliche Langweilerin. Redet immer drauflos, als wäre sie die einzige Person im Raum, und laut. Man kann sie nicht zum Schweigen bringen. Und dann kommt noch hinzu, dass sie sich Ratten als Haustiere hält. Wissen Sie, dass sie einmal sogar eine zu einem Ball mitgenommen hat – in ihrem Retikül? Natürlich flüchtete das verflixte Viech, Sie hätten den Tumult erleben sollen. Und der Geruch erst …“ Sie wedelte mit einer Hand vor ihrer Nase hin und her. „Nein, ein Mann müsste schon mehr als verzweifelt sein, um Pammy Girtle-Bute den Hof zu machen.“

„Oh.“ Flynn nippte scheinbar betrübt an seinem Tee. „Tut mir leid, dass Sie so denken.“

Die alte Dame richtete sich mit einem Ruck zu ihrer vollen Größe auf. „Das kann nicht Ihr Ernst sein! Nicht Pammy Girtle-Bute!“

„Nun, sie ist die Tochter eines Dukes.“

„Aber sie ist absolut abscheulich! Sie können nicht ernsthaft …“

„Ich möchte nicht darüber sprechen“, erklärte er tugendhaft.

„Aber Sie dürfen nicht …“

„Köstliche Ingwerkekse“, sagte Flynn.

„Es gibt jede Menge Mädchen, die von fast ebenso vornehmer Herkunft sind wie Pammy Girtle-Bute, aber sehr viel liebensw…“

„Wie gesagt, Mylady, ich treffe meine eigenen Entscheidungen.“ Mit der Attitüde eines Mannes, der zu einem Thema alles gesagt hat, was er zu sagen bereit ist, musterte Flynn den Kuchenteller, gelangte zu dem Schluss, dass ein vierter Ingwerkeks zu viel des Guten wäre, und griff zu einem großen Gebäckstück, aus dem Sahne und Marmelade quollen.

Er hob es vor sein Gesicht, um vorsichtig hineinzubeißen und gleichzeitig seinen Gesichtsausdruck vor der alten Dame zu verstecken. Es war eine heikle Angelegenheit, und als er das Gebäck sinken ließ, stellte er fest, dass Lady Beatrice ihn streng durch ihre Lorgnette musterte.

„Sie sind ein böser, böser Spötter, Mr. Flynn!“

Er verspeiste den Rest des Gebäckstücks und wischte sich anschließend Hände und Mund mit seiner Serviette ab – und hoffentlich auch jede Spur eines Lächelns aus dem Gesicht. „Wenn Sie das sagen, Mylady.“

„Das tue ich! Fast hätte ich Ihnen diese haarsträubende Geschichte geglaubt.“

„Sie doch nicht, Mylady, dazu sind Sie viel zu gescheit.“

Sie bedachte ihn mit einem stechenden Blick. „Schmieren Sie mir keinen Honig um den Mund, Sie Schlingel! Diese grauenhafte Geschichte hätte mir Herzrasen verursachen können! Herzrasen!“

Flynn lächelte. „Herzrasen? Das kann ich mir nicht vorstellen, Myl…“

Sie klopfte mit ihrem Gehstock auf den Boden. „Ich bin eine gebrechliche alte Frau, die man nicht belügen darf!“

„Ach was, Sie sind stark wie ein …“

„Wenn Sie jetzt Ochse sagen, Mr. Flynn, dann … dann schlage ich Sie!“ Sie hob vielsagend ihren Stock.

Er lachte leise. „Es besteht kein Anlass, gewalttätig zu werden, Madam. Ich wollte sagen, so stark wie … äh, eine Elfe. Ja, das ist es: Sie sind stark wie eine Elfe, eine delikate, elegante, schlaue, alterslose kleine Elfe.“

Lady Beatrice schnaubte. „Sie sind ein redegewandter Halunke und schamloser Schuft, Mr. Flynn.“

„Wenn Sie das sagen, Mylady.“

„Das tue ich. Keine Ahnung, warum ich mir mal eingebildet habe, Sie zu mögen.“ Sie blickte ihn an, um einen möglichst gebieterischen Ausdruck bemüht.

Er grinste träge. „Nun, Mylady, das liegt zweifellos an meinem unwiderstehlichen irischen Charme.“

Ihre Lippen zuckten. Sie presste sie energisch zusammen, um nicht zu lächeln. „Wohl eher am unwiderstehlichen irischen Gesäusel. Weil ihr Iren diesen verflixten Stein auf Blarney Castle küsst oder wie immer ihr Iren es anstellt, so überzeugend zu schwadronieren.“

„Warum sollte ich meine Zeit damit verschwenden, den Blarney-Stein der Sprachgewandtheit zu küssen, wenn es doch viele reizvollere Dinge gibt, die man küssen könnte, Mylady.“

Das entlockte ihr ein widerwilliges Kichern. „Sie sind wirklich unerhört dreist.“ Ihre Augen funkelten listig, und sie wackelte mit einem strafend erhobenen Zeigefinger. „Sie haben eine Lektion verdient, Mr. Flynn.“

Fragend hob er eine Braue. „Tatsächlich?“

„Ja, und Sie werden sie auch erhalten, morgen um Punkt vier Uhr nachmittags.“ Sie deutete zur Decke. „Oben.“

Sie konnte doch unmöglich das meinen, was er vermutete. „Welche Art Lektion?“, erkundigte er sich argwöhnisch.

„Eine Tanz-Lektion, Mr. Flynn. Versuchen Sie gar nicht erst, sich darum zu drücken. Sie werden tun, was ich Ihnen sage, Sie böser Mann. Das sind Sie mir schuldig, nach dem furchtbaren Schreck, den Sie mir eingejagt haben.“

Sie erhob sich unter Einsatz ihres Gehstocks. Flynn sprang auf, um ihr zu helfen, doch sie schlug ungeduldig seine Hände beiseite. „Punkt vier Uhr, haben Sie gehört?“

„Aber ich kann tanzen.“

Sie schnaubte abfällig. „Unsinn! Sie haben den größten Teil Ihres Lebens auf See verbracht. Bei Almack’s tanzt man keine Hornpipe wie die Matrosen!“

Er öffnete den Mund, um sie wissen zu lassen, dass er zwar ein Seemann sein mochte, aber dennoch sämtliche modischen Tänze beherrschte, doch in diesem Moment trat Daisy ein. Sie knöpfte im Gehen ihre Pelisse zu, an einem Arm baumelte ihr Bonnet. „Morgen, Flynn. Tut mir leid, dass ich Sie warten lassen hab.“

Lady Beatrice richtete ihre Lorgnette auf Daisy. „Du bist zum Ausgehen gekleidet.“

Daisy nickte. „Stimmt. Ich geh mit Mr. Flynn wo hin.“

„Ach ja, und wohin, wenn ich fragen darf?“ Als Daisy nur grinste, wandte die alte Dame sich an Flynn. „Ich muss schon sagen, Sie dürfen sich wirklich geehrt fühlen, Mr. Flynn. In letzter Zeit hat das verflixte Mädel sich rundheraus geweigert, mich irgendwohin zu begleiten! Sie weigert sich, Morgenbesuche zu machen, rümpft die Nase über die vergnüglichsten Veranstaltungen und lässt sich nur äußerst selten herab, mit mir und den Mädchen im Park spazieren zu gehen.“

„Pah, Sie gehen ohnehin kaum einen Schritt zu Fuß.“ Daisy schloss den letzten Knopf ihrer Pelisse, rammte sich das Bonnet auf den Kopf und verknotete die Bänder. „Sie sitzen nur in Ihrer Kutsche und holen sich da Leute rein, um mit denen zu tratschen. Für solche Dingen hab ich keine Zeit zu verschwenden.“

Flynn beobachtete, wie sie offenbar achtlos ihren Hut festband. Das Ding saß einigermaßen verwegen auf ihrem zerzausten braunen Schopf, trotzdem war der Gesamteffekt modisch und schmeichelte ihrem blassen, schmalen, lebhaften Gesicht. Daisys ganzes Ensemble war schlicht, ohne Rüschen und all den Schnickschnack, den andere zu lieben schienen, wirkte dabei wie aus dem Ei gepellt und irgendwie elegant. Sie war schon ein ansehnliches kleines Ding, die junge Daisy.

Sie wandte sich Flynn zu, mit vor gespannter Erwartung strahlenden Augen. „Alles klar, Flynn, ich bin fertig.“

„Mr. Flynn hat seinen Tee noch nicht beendet“, bemerkte Lady Beatrice gereizt, ungeachtet der Tatsache, dass sie selbst soeben im Begriff gewesen war, den Raum zu verlassen.

Daisy schaute ihn finster an. „Sind Sie hergekommen, um Tee zu trinken? Ich dachte, Sie hätten es eilig, zu den Docks zu kommen.“

„Die Docks?“, wiederholte Lady Beatrice einigermaßen entsetzt. „Du willst zu den Docks?“

„Eins meiner Schiffe ist gerade eingelaufen, Mylady …“

„Und ich darf die Beute als Erste sichten“, verkündete Daisy fröhlich. „Nun kommen Sie schon, Flynn. Ich hab nich’ viel Zeit.“

Draußen zog Daisy ihre Handschuhe an und schaute in den blaugrauen Himmel. „Brrrr. Von wegen Frühling. Es ist immer noch verdammt kalt!“ Nebelfetzen hingen am Boden, eine Decke aus ätherischen Federn. Heute früh, als sie aufgestanden war, hatte noch so dichter Nebel geherrscht, dass die Gaslaternen auf der Straße nur als Flimmern in der Dunkelheit zu sehen gewesen waren.

Flynn hatte eine Mietdroschke warten lassen. Die Pferde schlugen mit den Köpfen und atmeten rauchige Wölkchen in die kühle Luft. Ihre ruhelosen Hufe klapperten auf dem Kopfsteinpflaster.

Daisy stieg ein, ließ sich in eine Ecke sinken und grinste, als die Kutsche mit einem Ruck losfuhr. „Danke, dass Sie mich mitnehmen, Flynn.“

„Kein Problem. Danke, dass Sie mich nicht lange haben warten lassen.“

„Schon …“ Sie unterbrach sich mit einem Gähnen. „… gut.“

Er lächelte. „Sie wünschten wohl, Sie wären noch im Bett. Hoffentlich habe ich Sie nicht am Ausschlafen gehindert.“

„Ausschlafen?“ Sie schnaubte verächtlich. „Ich bin seit vier Uhr auf.“

„Vier Uhr? Morgens? Die lieber Gott, warum denn?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich stehe meist um vier auf. Ich hab keine Zeit, im Bett rumzulungern wie ’ne feine Dame.“

„Warum um alles in der Welt haben Sie keine Zeit?“

„Ach, das is’ einfach die Macht der Gewohnheit“, schwindelte sie. „Ich langweile mich, wenn ich bis mittags im Bett bleibe.“

Er hob skeptisch eine dunkle, wohlgeformte Braue, was darauf schließen ließ, dass er ihre Lüge durchschaute, daher fügte sie hinzu: „Ich hätt gedacht, dass gerade Sie das kapieren, Flynn. Ich bau mir hier gerade ein Geschäft auf, also arbeite ich jede freie Minute.“ Und manchmal noch ein bisschen mehr.

„Verstehe. Das Geschäft läuft also?“

„Kann man wohl sagen.“ Sie zwang sich ein Lächeln ab. „Komme kaum nach mit den Aufträgen.“ Ehrlich gesagt, kam sie überhaupt nicht nach, aber das würde sie niemals eingestehen.

„Großartig. Wenn Sie so müde sind, dann machen Sie doch ein Nickerchen. Ich wecke Sie, wenn wir da sind.“ Er streckte seine langen Beine aus, lehnte sich in seinem Sitz zurück und schaute aus dem Fenster.

Daisy hatte keineswegs die Absicht zu schlafen, wenn Flynn direkt neben ihr saß. Sie tat so, als würde sie ebenfalls aus dem Fenster starren, musterte ihn aber verstohlen aus dem Augenwinkel. Er war schon ein attraktiver Mann, dieser Flynn. Seine Breeches saßen wie angegossen, seine Beine waren lang und kräftig, und er duftete einfach köstlich, sauber und männlich, nicht wie so viele feine Pinkel, die sich mit Parfum überschütteten und rochen wie ein verflixter Blumentopf.

Nein, Flynn war durch und durch Mann. Sie war verrückt nach ihm – schon immer, seit dem Tag, als er in Lady Beas Salon stolziert war, so dreist und selbstbewusst, als ob ihm das Haus gehörte. Diese verwegenen blauen Augen hatten jedes weibliche Wesen im Raum taxiert, eine perfekte Einladung zur Sünde.

Von Anfang an hatte er diese Wirkung auf sie gehabt, verpackt in Schattierungen maskuliner Eleganz – er war gerade von Freddy Monkton-Coombes’ höchst exklusivem Schneider gekommen und beklagte sich wortreich darüber, wie eine Pfauhenne in trostlosen Farben herumlaufen zu müssen, statt leuchten zu dürfen wie ein Pfau. Im Ohr hatte er einen goldenen Ohrring, wie ein verdammter Pirat. Er trug ihn auch heute; das Ding glitzerte im dämmrigen Licht.

An jenem ersten Tag hatte er mit ihr geflirtet, ein ganz kleines bisschen, und sie hatte zurückgeflirtet.

Daisy seufzte. Früher hätte sie sich wie der Blitz auf ihn gestürzt, aber inzwischen war sie respektabel geworden – und Flynn ebenfalls.

Er wollte die feinste junge Dame in London heiraten, und Daisy gründete ein eigenes Geschäft. Sie befanden sich auf unterschiedlichen Pfaden, und eine vergnügliche Affäre passte gerade keinem von ihnen in den Kram. Was wirklich jammerschade war.

Andererseits war Flynn ihr Freund, der erste Mann, mit dem sie je wirklich befreundet war. Die Männer, die sie in der Vergangenheit kannte, waren unzuverlässig gewesen – Zuhälter, Schürzenjäger, Diebe und Betrüger … Ganoven, alle miteinander.

Flynn war anders, und sie würde ihre Freundschaft nicht mit einem Techtelmechtel riskieren, egal wie groß die Versuchung war. Solche Liebeleien währten nie lange, und die unvermeidliche Trennung ruinierte immer die Freundschaft.

Also lautete das Motto: angucken erlaubt, anfassen verboten.

Sie beäugte seine langen, muskulösen Schenkel und musste unwillkürlich lächeln. Zum Glück war er eine richtige Augenweide.

Die Droschke bahnte sich ihren Weg durch die Straßen. Daisy konnte riechen, dass sie sich den Docks näherten – sie roch den kalten, nassen, stinkenden Flussschlamm und erschauderte.

„Kalt?“, fragte Flynn.

„Nein, nur … der Geruch.“

„Ah.“ Die Kutsche hielt an, und sie stiegen aus. Während Flynn den Fahrer bezahlte, schaute Daisy sich um. Hier war der Nebel noch dicht, lag wie eine zähe, schmutzige Rauchglocke über der Themse. Darunter hörte sie Wasser plätschern, darüber die Schreie der Möwen. Sie zog ihre Pelisse enger um sich.

Ein halbes Dutzend große Boote ankerten am Hafenkai; der wabernde Nebel liebkoste ihre Rümpfe, die Masten hoben sich scharf und dunkel vor dem silbrigen Himmel ab.

„Welches is’ unser Boot?“

„Schiff“, verbesserte Flynn sie. „Da draußen.“ Er deutete auf eine entfernte Silhouette, ein Geisterschiff, das im Nebel trieb. Dann steckte er sich zwei Finger in den Mund und stieß einen langen, kompliziert klingenden Pfiff aus. Aus den Tiefen des Nebels antwortete ihm ein anderer Pfiff.

Daisy runzelte die Stirn. „Was macht es denn da draußen? Sie sagten doch, es liegt im Hafen.“

„Das tut es auch. Ich inspiziere die Ladung immer vor dem Anlegen.“

„Warum? Wäre es nich’ leichter, das an Land zu machen?“

„Ja, aber es geht schneller an Bord, während wir das Löschen und den Transport in unsere Warenlager organisieren. Ich ziehe es vor, so wenig Zeit wie möglich in den Docks zu verbringen.“

Das konnte Daisy durchaus nachvollziehen – sie selbst hasste den Fluss und die Docks –, aber Flynn war immerhin Seemann. Und Seeleute sollten den Geruch der See doch eigentlich mögen. „Warum?“

„Diebe.“ Flynn pfiff noch einmal, kürzer als eben, und drehte sich wieder Daisy zu. „Diebesbanden plündern hier in der Nacht, manche auch am Tag, dreist und unverschämt. Und grausam. Deshalb sind hier auch diese Zäune und Gräben.“ Er gestikulierte. „Nicht, dass man jetzt in diesem Nebel viel erkennen kann. Außerdem patrouillieren private Wachleute, aber wenn es um wertvolle Fracht geht, verlasse ich mich lieber auf meine eigenen Männer. Erst vorige Woche hat eine der Banden ein Lagerhaus angezündet, daher gehe ich kein Risiko ein. Die Ladung bleibt keine Sekunde länger am Hafen als zwingend notwendig.“

Daisy nickte. Diebe gab es überall. Andererseits … Sie starrte misstrauisch aufs Wasser, das sie unter der dämpfenden Nebeldecke an die Anlegepfosten schwappen hörte. „Und wie kommen wir an Bord? Haben Sie gepfiffen, damit Ihre Leute mit dem Boot anlegen?“

„Mit dem Schiff, ein Boot ist kleiner. Nein, wir fahren mit dem … ach, da ist es ja schon.“ Er ging zum Rand der Anlegestelle, beugte sich vor und sprach mit jemandem, den Daisy nicht sehen konnte.

Sie folgte ihm und schaute nach unten. Wo ein kleines Ruderboot mit einem Mann darin im Nebel schaukelte. „Mit dieser Nussschale?“, rief sie. „Nie im Leben!“

„Es ist vollkommen sicher“, beteuerte Flynn.

„Das ist es verdammt noch mal nich’!“ Daisy wich ein paar Schritte zurück. Sie wäre einmal fast ertrunken. Jedes Mal, wenn sie diesen eisigen, nassen Flussgestank in die Nase kriegte, erinnerte sie sich an ihre Angst, an das Gefühl, wie das Wasser über ihrem Kopf zusammenschlug, wie sie beinahe erstickt wäre …

Flynn lächelte belustigt. „Keine Angst, ich lasse Sie nicht da reinfallen.“

„Dazu kriegen Sie auch keine Gelegenheit!“

„Ich dachte, Sie wollten den ersten Zugriff bei den Waren haben. Wenn dem nicht so ist …“ Er zuckte mit den Schultern.

Daisy dachte an all die wundervollen Dinge, die sich auf dem großen Boot da hinten verbargen. Erster Zugriff… Sie schluckte. „Na schön, aber ich warn Sie, Flynn, wenn das Ding umkippt …“

„Das wird es nicht, und selbst wenn, würde ich Sie nicht ertrinken lassen. Anders als die meisten Seeleute kann ich schwimmen wie ein Fisch, Sie sind bei mir also vollkommen sicher.“ Er streckte eine Hand aus, die Daisy zögernd ergriff, in der Hoffnung, dass er nicht merken würde, wie sehr sie zitterte. Seine Finger waren warm und kräftig.

Der einzige Weg, in das grässliche kleine Boot zu gelangen, führte über eine Holzleiter, die am Anleger befestigt war.

„Ein Gentleman würde Ihnen den Vortritt lassen“, bemerkte Flynn.

„Denken Sie nich’ mal dran“, beschied Daisy ihn. Sitte und Anstand konnten sie mal. „Ich geh hier nirgendwo hin, wenn Sie nich’ bereitstehen, um mich aufzufangen.“

Leise lachend schwang Flynn sich über die Kaimauer und landete mit einem dumpfen Aufschlag im Boot. „Jetzt sind Sie dran, Miss Daisy.“ Das winzige Ruderboot schwankte und hüpfte wie wild. Flynn stand aufrecht darin und schaute zu ihr hoch, so gelassen, als befände er sich auf festem Boden.

Erster Zugriff auf die Waren … Daisy holte tief Luft, drehte sich vom Fluss weg, raffte ihre Röcke ein wenig und kletterte die Leiter hinunter, einen vorsichtigen Schritt nach dem anderen. Sie klammerte sich an das Holzgeländer, als ginge es um ihr Leben.

Der Nebel waberte um sie herum, Wellen klatschten bösartig an das zerbrechliche kleine Boot und die von Algen überwucherten Planken des Anlegers. Über ihr kreischten Seevögel wie verlorene Seelen. Daisy atmete langsam ein und aus, um sich zu beruhigen … und der Gestank des Flusses überwältigte sie.

Sie erstarrte.

„Daisy?“, hörte sie Flynns Stimme von weit weg.

Sie rührte sich nicht – konnte sich nicht rühren.

Zwei kräftige Hände packten sie um die Taille. „Lassen Sie los, ich habe Sie.“

Aber sie konnte sich nicht bewegen.

Er schlang einen muskulösen Arm um sie, löste mit der anderen Hand ihre erstarrten Finger von der Leiter, und sie landeten mit einem kleinen Bums in dem Boot, das heftig zu schwanken begann. Daisy klammerte sich ängstlich an Flynn.

„Alles in Ordnung, Daisy.“ Seine Stimme klang tief und beruhigend. „Setzen Sie sich einfach hin und halten Sie still.“ Er drückte sie auf eine Art Bank hinunter.

Er sagte etwas zu dem Mann und machte dann irgendetwas mit einem Seil. Das Bötchen löste sich mit einem Rauschen vom Anleger, und der Mann fing an zu rudern.

Flynn ließ sich neben ihr nieder. „Es dauert nur ein paar Minuten bis zum Schiff.“ Sie mussten sich ein bisschen quetschen, aber das Gefühl seines starken Körpers an ihrer Seite war tröstlich. Er hatte ja gesagt, dass er schwimmen konnte.

Beschämt über ihre dumme Angst, saß Daisy, so still sie konnte, aufrecht und mit erhobenem Kopf. Dabei hielt sie sich krampfhaft und, wie sie hoffte, unauffällig fest. Sie zitterte wie Espenlaub.

Die Ruder platschten in stetem Rhythmus.