Eine Warnung an die Neugierigen und andere Geistergeschichten - Montague Rhodes James - E-Book

Eine Warnung an die Neugierigen und andere Geistergeschichten E-Book

Montague Rhodes James

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Beschreibung

'Eine Warnung an die Neugierigen und andere Geistergeschichten', nach dem Buch 'A Warning to the Curious and other Ghost stories' von Dr. M.R. James, erschienen im Jahre 1925. SPUK IM PUPPENHAUS DAS UNGEWÖHNLICHE GEBETBUCH DER GRENZSTEIN DES NACHBARN EIN BLICK VOM HÜGEL EINE WARNUNG AN DIE NEUGIERIGEN EIN ABENDVERGNÜGEN Dr. Montague Rhodes James war ein englischer Paläograf, Altertumsforscher und Autor von Geistergeschichten sowie Vorsteher des Eaton College. Er war einer der großen und auch von seinen Kollegen sehr geachteter Verfasser von Geistergeschichten, die gerne, einer langen Tradition folgend, an Weihnachtsabenden im Kreise von Familie und Freunden vorgelesen wurden, wobei er seinen eigenen, teils eigentümlichen Stil hatte. Dazu verfasste er im Laufe der Zeit eine große Anzahl von Lehrbüchern und Ausarbeitungen. Sein besonderes Interesse galt apokryphen Bibelschriften und mittelalterlichen Manuskripten. Als profunder Kenner der Materie katalogisierte er einen Großteil der Manuskriptbestände der Universitäten von Cambridge und Oxford. Seine einzelnen Geschichten erschienen mehrfach in gesammelter Form in Büchern. Bei denen im vorliegenden Werk handelt es sich nicht unbedingt um seine bekanntesten Geschichten, die jedoch alle ihren besonderen Reiz haben. Man kennt seine Geschichten aus dem Hörfunk und Fernsehen; die BBC sendete über viele Jahre weihnachtliche Lesungen.

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INHALT

DANKSAGUNGEN

SPUK IM PUPPENHAUS

DAS UNGEWÖHNLICHE GEBETBUCH

I.

Kapitel

II.

Kapitel

III.

Kapitel

IV.

Kapitel

DER GRENZSTEIN DES NACHBARN

EIN BLICK VOM HÜGEL

EINE WARNUNG AN DIE NEUGIERIGEN

EINE GUTENACHTGESCHICHTE

ENDNOTEN

Erläuternde Endnoten findet man ab Seite → im Buch – im Text mit *) markiert. Manche Erklärungen wurden dagegen direkt in den Text eingearbeitet […]

DANKSAGUNGEN

Die erste dieser Geschichten wurde für die Bibliothek des Puppenhauses der Königin *1) geschrieben und in diesem Buch abgedruckt; ich bin dankbar für die gnädige Erlaubnis Ihrer Majestät, sie in diesem Band abdrucken zu dürfen.

Für ähnliche Erlaubnisse der Redakteure von Atlantic Monthly, Empire Review, London Mercury und Eton Chronic bedanke ich mich.

M. R. JAMES, September 1925.

SPUK IM PUPPENHAUS

»Ich nehme an, dass Sie solches Zeug ziemlich oft in die Finger bekommen«, sagte Mr. Dillet, ein in England lebender Amerikaner, während er mit seinem Stock auf ein Objekt zeigte, das zu gegebener Zeit beschrieben werden wird. Es war nicht wahr, was er da sagte, und er wusste selbst, dass er gelogen hatte.

Nicht ein einziges Mal in zwanzig Jahren, vielleicht nicht ein einziges Mal in seinem Leben, konnte der Antiquitätenhändler Mr. Chittenden, der vergessene Schätze von einem halben Dutzend Grafschaften aufzuspüren wusste, damit rechnen, einmal ein solches Exemplar im Laden zu haben.

'Das übliche Verhandlungsgeschwätz eines Sammlers', dachte Mr. Chittenden, der an solche Dinge gewöhnt war.

»Solches Zeug, Mr. Dillet! Was sagen Sie da?«, gab er scharf zurück. »Es ist ein Museumsstück, das ist es ohne Zweifel.«

»Nun ja, ich nehme an, es gibt Museen, die alles Mögliche hereinnehmen«, bekam er als Antwort.

»Ich habe vor Jahren eines gesehen, das an aber dieses keineswegs heranreicht«, sagte Mr. Chittenden gedankenvoll und ohne weiter auf Mr. Dillon einzugehen, »aber das wird wohl kaum auf den Markt kommen, und ich habe gehört, dass es auf der anderen Seite des Atlantiks auch einige schöne Exemplare aus dieser Zeit geben soll.«

»Ich bin ehrlich mit Ihnen, Mr. Dillett. Wenn Sie mir einen uneingeschränkten Auftrag erteilen würden, das beste zu finden, das zu bekommen ist – und Sie wissen, dass ich die Möglichkeiten habe, so etwas aufzuspüren und auch einen Ruf zu wahren habe – dann würde ich sie direkt zu diesem Exemplar hier führen und sagen: 'Ich kann nichts Besseres für Sie tun, Sir.'«

»Hört hört!«, sagte Mr. Dillet und applaudierte ironisch mit dem Ende seines Stocks, mit dem er auf dem Boden klopfte. »Wie viel verlangen Sie von einem lauteren amerikanischen Käufer dafür, hm?«

»Oh, ich werde nicht zu hart mit dem Käufer sein, ob Amerikaner oder nicht.«

»Sehen Sie, es ist so, Mr. Dillet – wenn ich nur ein bisschen mehr über die Herkunft wüsste ...«

»Oder vielleicht auch nur ein bisschen weniger«, warf Mr. Dillet ein.

»Ha, ha! Sie belieben wohl zu scherzen, Sir. Nein, aber wie gesagt, wenn ich nur ein wenig mehr über das Stück wüsste, dann wäre der Preis, den ich verlange, ein ganz anderer.«

»Wie jeder selbst sehen kann, ist es echt«, fuhr er fort – »durch und durch. Niemandem habe ich erlaubt, es auch nur anzufassen, seit es in den Laden gekommen ist.«

»Und wie viel wäre das? Fünfundzwanzig?«

»Multiplizieren Sie das mit drei und Sie haben es, Sir. Fünfundsiebzig ist mein Preis.«

»Und fünfzig ist meiner«, sagte Mr. Dillet.

Man einigte sich natürlich irgendwo dazwischen; es ist nicht so wichtig, wo genau – ich denke sechzig Guineen *2). Wie auch immer, eine halbe Stunde später war das Objekt verpackt, und noch innerhalb derselben Stunde hatte Mr. Dillet es in seinem Auto abgeholt und war damit weggefahren.

Mr. Chittenden, der den Scheck in der Hand hielt, verabschiedete sich lächelnd von ihm und kehrte – immer noch mit einem Lächeln auf seinem Gesicht – zum Salon zurück, wo seine Frau gerade den Tee vorbereitete.

An der Tür blieb er stehen.

»Es ist weg«, sagte er.

»Gott sei Dank!«, erwiderte Mrs. Chittenden und stellte die Teekanne ab.

»Das war Mr. Dillet, nicht wahr?«

»Ja, das war er.«

»Nun, besser er ist es als ein anderer Kunde.«

»Oh, ich weiß nicht, er ist kein übler Kerl, meine Liebe.«

»Vielleicht nicht, aber meiner Meinung nach ist er einer derjenigen, die ein wenig mehr Aufregung vertragen können«, sagte Mrs. Chittenden.

»Nun, wenn du das denkst ... Ich meine, er hat die Dinge selbst herausgefordert und wollte es unbedingt haben. Jedenfalls sind wir es los, wofür wir ihm dankbar sein müssen.«

Dann setzten sich Mr. und Mrs. Chittenden an den Tisch und tranken ihren Tee.

Und was war nun mit Mr. Dillet und seiner neuen Errungenschaft?

Was es war, wird Ihnen der Titel dieser Geschichte verraten haben. Wie es war, werde ich so gut wie möglich beschreiben müssen.

Im Wagen war gerade noch Platz genug dafür, und Mr. Dillet konnte nur noch vorne neben dem Fahrer sitzen. Außerdem war dieser gezwungen langsam fahren, denn obwohl alle Zimmer des Puppenhauses sorgfältig mit weicher Watte ausgestopft waren, mussten Erschütterungen vermieden werden, angesichts der vielen kleinen Gegenstände, die sich darin drängten.

Die zehn Meilen lange Fahrt war für ihn, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, eine unruhige Zeit. Schließlich war man an der Haustür angekommen, und Collins, der Butler, kam heraus.

»Hören Sie, Collins, Sie müssen mir mit diesem Ding hier helfen – das ist eine heikle Sache. Wir müssen es aufrecht stehend herausholen, verstehen Sie? Es ist voller kleiner Sachen, die wir möglichst nicht durcheinanderbringen sollten.«

»Mal sehen, wo sollen wir es hinstellen?«, sagte er nach einer Bedenkpause. »Wirklich, ich glaube, wir sollten es in mein Privatzimmer bringen, jedenfalls für den Anfang, und dort auf den großen Tisch – ja so machen wir das.«

Schließlich wurde es mit reichlich Gedöns in das geräumige Zimmer von Mr. Dillet im ersten Stock gebracht, von dem aus man auf die Auffahrt blicken konnte.

Die Folie für den Transport wurde entfernt und die Vorderseite geöffnet. In den nächsten ein oder zwei Stunden war dann Mr. Dillet damit beschäftigt, die Schutzpolsterungen zu entfernen und den Inhalt der Zimmer zu ordnen.

Als diese für ihn recht angenehme Aufgabe beendet war, muss ich sagen, dass es schwierig gewesen wäre, ein perfekteres und attraktiveres Exemplar eines Puppenhauses im Stil der Gotik von Strawberry-Hill *3a) zu finden, als jenes, das jetzt auf Mr. Dillets großem Schreibtisch stand, beleuchtet von der Abendsonne, die schräg durch drei hohe Schiebefenster hereinkam.

Es war ziemlich genau sechs Fuß lang, einschließlich der Kapelle oder auch Gebetsraum, die, wenn man ihm gegenüberstand, die linke Flanke der Vorderseite bildete, mit dem Stall am Ende der rechten Seite.

Der Hauptteil des Hauses war, wie ich schon sagte, im gotischen Stil gehalten, d. h. die Fenster hatten Spitzbögen und ebensolche Ziergiebel, mit kreuzblumenartigen Kapitälverzierungen, wie man sie auf den Dächern von Grabstätten findet, die in Kirchenmauern eingebracht sind.

In den Winkeln befanden sich seltsame Türmchen, die mit gewölbten Platten bedeckt waren. Die Kapelle hatte Fialen und Strebepfeiler, eine Glocke im Turm und farbiges Glas in den Fenstern.

Wenn man die Vorderseite des Hauses öffnete, sah man vier große Zimmer – Schlafzimmer, Esszimmer, Salon und Küche, jedes mit den dafür geeigneten Möbeln in einem sehr kompletten Zustand.

Der Stall auf der rechten Seite war zweistöckig, mit einer entsprechenden Anzahl von Pferden, Kutschen und Stallknechten und mit einer Uhr und einer gotischen Kuppel für die Uhrenglocke.

Über die sonstige Ausstattung des Hauses – wie viele Bratpfannen, wie viele vergoldete Stühle, welche Gemälde, Teppiche, Kronleuchter, Himmelbetten, Tischwäsche, Glas, Geschirr und Servierplatten vorhanden waren – könnte man ein ganzes Buch füllen, aber all das muss der Fantasie des Lesers überlassen bleiben.

Ich will lediglich erwähnen, dass der Sockel, auf dem das Haus stand, eine recht ordentliche Tiefe hatte und eine Treppe zur Eingangstür und eine teilweise mit einem Geländer versehene Terrasse ermöglichte.

Dieser Unterbau war auch groß genug für mehrere flache Schubladen, in denen, fein säuberlich geordnet, gestickte Vorhänge, Kleider für die Bewohner und, kurz gesagt, alle Materialien aufbewahrt wurden, die unzählige Variationen und Umgestaltungen der reizvollsten und interessantesten Art ermöglichten.

»Es hatte die Züge von Horace Walpole *3b), ja, das ist es. Er muss etwas mit der Herstellung zu tun gehabt haben«, murmelte Mr. Dillet, als er in ehrfürchtiger Verzückung davor kniete.

»Einfach wundervoll; das ist heute mein Tag, das ist sicher.«

'Fünfhundert Pfund kamen heute Morgen für die Vitrine herein, die mich nie so recht interessiert hat', dachte er sich, 'und nun fällt mir dieses Ding für höchstens ein Zehntel dessen in die Hände, was es in der Stadt kosten würde. Nun denn! Man bekommt fast Angst, dass etwas passiert könnte und dieses Glück wieder kaputtmacht.'

'Schauen wir uns doch einmal die Bewohner an', sagte er zu sich selbst.

Er stellte sie in einer Reihe vor sich auf. Auch hier böte sich eine Gelegenheit, die manche nutzen würden, um eine Inventur der Kostüme zusammenzustellen; ich bin dazu nicht in der Lage.

Da gab es einen Herrn und eine Dame; er im blauen Satin, sie in Brokatkleid und auch zwei Kinder – ein Junge und ein Mädchen. Dazu eine Köchin, ein Kindermädchen, ein Lakai, die Stallknechte, zwei Postillione, ein Kutscher, sowie zwei Reitknechte.

Sonst noch jemand? Ja, vielleicht ...

Die Vorhänge des Himmelbetts im Schlafzimmer waren an vier Seiten dicht zugezogen. Er steckte einen Finger hindurch und tastete im Bett.

Hastig zog er den Finger wieder zurück, denn er hatte fast den Eindruck, es hätte sich etwas gerührt, als er darauf herumdrückte – vielleicht nicht gerührt, sondern nachgegeben – auf eine seltsam lebendige Weise.

Daraufhin zog er die Vorhänge beiseite, die ordentlich auf Stangen liefen. Und siehe da, er konnte einen weißhaarigen alten Herrn in einem langen leinenen Nachthemd und einer Mütze aus dem Bett holen, den er neben die anderen hinlegte.

Jetzt waren alle zusammen, die zur Geschichte gehören.

Da die Zeit des Abendessens nahte, verbrachte Mr. Dillet schnell noch fünf Minuten damit, um die Dame und die Kinder in den Salon, den Herrn in das Esszimmer, die Diener in die Küche und die Ställe und den alten Mann zurück in sein Bett zu bringen.

Nach dem Essen zog er sich in sein Ankleidezimmer nebenan zurück, und wir sahen und hörten nichts mehr von ihm, bis es etwa elf Uhr nachts war.

Er hatte die Angewohnheit, umgeben von einigen der Prachtstücke in seiner Sammlung zu schlafen. Der große Raum, in dem wir ihn gesehen haben und in dem er gelegentlich schrieb, oft saß und sogar Besucher empfing, beherbergte sein Himmelbett, das selbst ein wertvoller Schatz war.

Bad, Kleiderschrank und was sonst noch zum Ankleiden benötigt wurde, befanden sich in einem geräumigen Nebenzimmer.

Als er sich an diesem Abend zur Ruhe begab, war er in einer höchst zufriedenen Stimmung.

Es gab keine schlagende Uhr in Hörweite, die seinen Schlaf hätte stören können – weder im Treppenhaus noch im Stall noch im entfernten Kirchturm. Dennoch ist es unzweifelhaft, dass Mr. Dillet durch das Läuten einer Glocke, die ein Uhr schlug, aus einem sehr angenehmen Schlummer gerissen wurde.

Er war so erschrocken, dass er erst atemlos und mit weit aufgerissenen Augen dalag und sich dann im Bett aufrichtete. Aber erst als die Morgenstunden kamen, dachte er erstmals daran, wie es sein konnte, dass er das Puppenhaus auf dem großen Schreibtisch in aller Deutlichkeit sehen konnte, obwohl überhaupt kein Licht im Raum war.

Aber es war so. Es wirkte, als ob ein heller Herbstmond voll auf die Fassade eines großen weißen Steinhauses scheinen würde – vielleicht eine Viertelmeile entfernt von ihm – und doch war jedes Detail äußerst scharf erkennbar.

Es gab Bäume in der Nähe – Bäume, die sich hinter der Kapelle und dem Haus erhoben. Er schien sogar den Geruch einer kühlen, stillen Septembernacht wahrzunehmen und glaubte, gelegentliches Stampfen und Klirren aus den Ställen zu hören, als würden sich die Pferde bewegen.

Und dann erlebte er einen richtigen Schock, als ihm bewusst wurde, dass er oberhalb des Hauses nicht auf die Wand seines Zimmers mit den Gemälden blickte, sondern in das tiefe Blau eines Nachthimmels.

In den Fenstern brannten mehrere Lichter, und er erkannte schnell, dass es sich nicht mehr um ein Haus mit vier Zimmern und einer beweglichen Fassade handelte, sondern hier stand jetzt auf einmal eines mit vielen Zimmern und Treppen – ein reales Haus, aber wie durch das falsche Ende eines Fernglases gesehen.

»Ihr wollt mir etwas zeigen«, murmelte er vor sich hin und starrte gebannt auf die erleuchteten Fenster. Im richtigen Leben wären sie zweifellos verriegelt oder mit Vorhängen verdeckt gewesen, dachte er, aber so wie es war, gab es nichts, was ihm den Blick auf das, was in den Räumen vor sich ging, verwehrte.

Zwei dieser Räume waren beleuchtet, einer im Erdgeschoss rechts von der Tür, einer im Obergeschoss links – der erste sehr hell, der andere eher schwach.

Das untere Zimmer war das Esszimmer; ein Tisch war gedeckt, aber das Essen schien beendet worden zu sein, da nur noch Wein und Gläser auf dem Tisch standen.

Der Mann im blauen Satin und die Frau im Brokatkleid waren allein im Zimmer und führten ein ernstes Gespräch. Dicht beieinander saßen sie am Tisch, die Ellbogen darauf gestützt und hielten hin und wieder inne, um zu lauschen, wie es schien. Einmal stand er auf, ging zum Fenster, öffnete es, steckte den Kopf heraus und legte die Hand an sein Ohr.

Auf einer Anrichte brannte eine schlanke Kerze in einem silbernen Leuchter. Als der Mann vom Fenster wegging, schien er auch den Raum zu verlassen. Die Dame nahm die Kerze und blieb mit dieser in der Hand stehen und lauschte. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war der einer Frau, die mit allen Mitteln versucht, eine Angst zu unterdrücken, die sie zu beherrschen droht – und es schließlich schafft. Es war ein hasserfülltes Gesicht, breit, flach und durchtrieben.

Jetzt kam der Mann zurück. Sie nahm ihm eine Kleinigkeit ab und eilte aus dem Zimmer.

Auch er verschwand wieder aus dem Blickfeld, aber nur für einen oder zwei Augenblicke, denn langsam öffnete sich die Haustür, und er trat heraus, stellte sich oben auf die Plattform und schaute hin und her. Dann wandte er sich dem oberen Fenster zu, das erleuchtet war, und schüttelte seine Faust.

Es war an der Zeit, einen Blick auf das obere Fenster zu werfen. Durch dieses hindurch sah man ein Himmelbett, eine Krankenschwester – oder eine andere Bedienstete – in einem Sessel, die offensichtlich fest schlief.

Im Bett lag ein alter Mann, wach und man könnte sagen, ängstlich, so wie er sich herumbewegte und nervös mit den Fingern auf die Bettdecke klopfte.

Hinter dem Bett öffnete sich eine Tür. An der Decke konnte man die Reflexion eines Kerzenlichts erkennen, und die Dame trat ein. Sie stellte ihre Kerze auf einem Tisch ab, kam zum Kamin und weckte die Schwester. In der Hand hielt sie eine altmodische Weinflasche, die bereits entkorkt war.

Die Pflegerin nahm sie, goss etwas von dem Inhalt in eine kleine silberne Kanne, fügte etwas Gewürz und Zucker aus den Streuern auf dem Tisch hinzu und stellte sie zum Wärmen über das Feuer.

Währenddessen winkte der alte Mann im Bett schwach der Dame zu, die lächelnd zu ihm kam. Sie nahm sein Handgelenk, als wolle sie seinen Puls fühlen und biss sich auf die Lippen, als sei sie erschrocken.

Er sah sie ängstlich an, deutete dann auf das Fenster und sagte etwas. Sie nickte und tat, was der Herr vorher unten im Erdgeschoss getan hatte; sie öffnete den Fensterflügel und lauschte – vielleicht etwas zu betont zur Schau gestellt – dann zog sie den Kopf zurück, schüttelte ihn und sah den alten Mann an, der zu seufzen schien.

Inzwischen dampfte das Heißgetränk auf dem Feuer, und die Krankenschwester goss es in ein kleines silbernes Behältnis mit zwei Henkeln und brachte es an das Bett.

Der alte Mann schien es nicht zu mögen und winkte ab, aber die Dame und die Pflegerin beugten sich gemeinsam über ihn und drängten es ihm offensichtlich auf. Er muss nachgegeben haben, denn gemeinsam halfen sie ihm in eine sitzende Position und brachten es an seine Lippen. Nachdem er das meiste davon in mehreren Schlucken getrunken hatte, legten ihn wieder hin.

Die Dame verließ das Zimmer, lächelte ihm zu und nahm die Kanne, die Flasche und das silberne Behältnis mit und die Krankenschwester kehrte zum Stuhl zurück. Danach herrschte für eine Zeit lang völlige Ruhe.

Plötzlich richtete sich der alte Mann in seinem Bett auf – und er muss einen Schrei ausgestoßen haben, denn die Schwester sprang von ihrem Stuhl auf, machte aber nur einen Schritt hin zum Bett. Er bot einen traurigen und schrecklichen Anblick – das Gesicht errötet, fast bis zur Schwärze, die Augen weiß glühend, Schaum auf den Lippen und er presste beide Hände an sein Herz.

Einen Augenblick ließ ihn die Pflegerin allein, lief zur Tür, riss sie weit auf und schrie wohl laut um Hilfe; dann eilte sie zurück zum Bett und schien fieberhaft zu versuchen, ihn zu beruhigen – ihn hinzulegen – einfach irgendetwas zu tun.

Doch als die Dame, ihr Mann und mehrere Bedienstete mit entsetzten Gesichtern ins Zimmer stürmten, brach der alte Mann unter den Händen der Krankenschwester zusammen. Er legte sich zurück; die vor Qual und Wut verzerrten Gesichtszüge entspannten sich und kamen langsam zur endgültigen Ruhe.

Nur wenige Augenblicke später tauchten links vom Haus Lichter auf, und eine Kutsche mit Fackeln fuhr vor die Tür. Ein schwarz gekleideter Mann mit weißer Perücke und einem kleinen Aktenkoffer in der Hand schoss heraus und lief die Treppe hoch.

In der Tür kamen ihm der Mann und seine Frau entgegen, sie mit einem Taschentuch in der Hand, er mit tragischem Gesicht, aber beherrscht. Sie führten den Neuankömmling in den Speisesaal, wo er seinen Koffer mit Papieren auf den Tisch stellte und, zu ihnen gewandt, mit fassungslosem Gesicht zuhörte, was sie zu erzählen hatten.

Er nickte immer wieder mit dem Kopf, streckte leicht die Hände aus, und lehnte, wie es schien, das Angebot einer Erfrischung und einer Unterkunft für die Nacht ab. Dann, wenige Minuten später, kam er langsam die Treppe hinunter, stieg in die Kutsche und fuhr auf dem Weg zurück, auf dem er gekommen war.

Als ihn der in blauem Satin gekleidete Mann vom oberen Ende der Treppe aus beobachtete, stahl sich langsam ein unangenehm anzuschauendes Lächeln über sein fettes weißes Gesicht; Dunkelheit legte sich über die ganze Szene, als die Lichter der Kutsche verschwanden.

Mr. Dillet blieb im Bett sitzen; er hatte mit Recht vermutet, dass es eine Fortsetzung geben würde, denn bald konnte man die leuchtende Hausfassade wieder deutlich sehen.

Aber jetzt gab es einen Unterschied. Die Lichter befanden sich in anderen Fenstern, eines davon im oberen Teil des Hauses, das andere beleuchtete die Reihe der farbigen Fenster der Kapelle.

Wie er durch diese farbigen Fenster sehen konnte, ist nicht ganz klar, aber er tat es. Der Innenraum war ebenso sorgfältig eingerichtet wie der Rest des Hauses, mit seinen winzigen roten Kissen auf den Bänken, seinem gotischen Chorgestühl, seiner linken Empore mit der zugespitzten Orgel mit goldenen Pfeifen.

In der Mitte des schwarz-weißen Steinbodens stand eine Bahre, an deren Ecken vier Kerzen auf hohen Ständern brannten. Auf der Bahre stand ein Sarg, der mit schwarzem Samt bedeckt war.

Als er hinschaute, bewegten sich die Falten des Grabtuchs. Es schien sich an einem Ende zu heben; es rutschte nach unten; es fiel weg und gab den schwarzen Sarg mit den silbernen Griffen und dem Namensschild frei.

Einer der Kerzenständer schwankte und kippte um; es schien, als hätte sich etwas aus dem Sarg herausgeschlichen …

Fragen Sie nicht weiter, lieber Leser, sondern drehen Sie sich um, wie Mr. Dillet es eilig tat, und schauen Sie zum erleuchteten Fenster im oberen Teil des Hauses, wo ein Junge und ein Mädchen in zwei Klappbetten lagen, überragt von dem dahinter stehenden Himmelbett des Kindermädchens.

Das Kindermädchen war im Moment nicht zu sehen, aber der Vater und die Mutter waren da, jetzt in Trauerkleidung, aber mit sehr wenig Anzeichen von Trauer in ihrem Verhalten. Sie lachten und unterhielten sich angeregt, manchmal miteinander, manchmal mit einer an die Kinder gerichteten Bemerkung, und lachten über die Antworten.

Dann sah man den Vater auf Zehenspitzen aus dem Zimmer gehen. Er nahm einen weißen Umhang mit, der an einem Haken neben der Tür hing, und schloss die Tür hinter sich.

Ein oder zwei Minuten später wurde sie langsam wieder geöffnet, und ein vermummter Kopf lugte herein. Eine gekrümmte, unheimliche Gestalt schritt zu den Betten hinüber, blieb plötzlich stehen, warf die Arme hoch und entpuppte sich – natürlich – als der Vater, der heftig lachte.

Die Kinder waren zu Tode erschrocken, der Junge zog sich das Bettzeug über dem Kopf, während das Mädchen aus dem Bett sprang und sich in die Arme der Mutter warf.

Es folgten Versuche, sie zu trösten – die Eltern nahmen die Kinder auf den Schoß, streichelten sie, hoben den weißen Umhang auf, um ihnen zu zeigen, dass darin nichts Schlimmes verborgen sei.

Schließlich legten sie die Kinder wieder ins Bett und verließen das Zimmer mit aufmunternden Handbewegungen. Als sie gingen, kam das Kindermädchen herein, und bald erlosch das Licht.

Mr. Dillet sah immer noch unbeweglich hin.

Eine neue Art von Licht – nicht von einer Lampe oder Kerze – ein blasses, hässliches Licht, begann um den Türkasten an der Rückseite des Raumes herum zu dämmern.

Die Tür öffnete sich wieder. Mr. Dillet wolle später nicht näher darauf eingehen, was er in den Raum eintreten sah: Er sagt, es sei wie eine Kröte von der Größe eines Mannes gewesen, aber mit spärlichem weißen Haar auf dem Kopf. Er hatte sich kurz an den Kinderbetten zu schaffen gemacht.

Zugleich hörte man den Klang von Schreien – schwach, als kämen sie aus weiter Ferne, aber dennoch unendlich entsetzlich.

Überall im Haus gab es Anzeichen einer schrecklichen Aufregung; Lichter gingen hin und her, Türen öffneten und schlossen sich, und Gestalten eilten an den Fenstern entlang.

Als die Uhr auf dem Türmchen eins schlug, brach die Dunkelheit wieder herein, lies aber noch genug Licht, um die Hausfassade zu zeigen.

Am Fuß der Treppe sah man in zwei Reihen aufgestellte, dunkle Gestalten, die brennende Fackeln in den Händen hielten. Weitere dunkle Gestalten kamen die Treppe hinunter und trugen erst einen, dann einen weiteren kleinen Sarg hinaus, und die Reihen der Fackelträger, mit den Särgen zwischen ihnen, bewegten sich lautlos nach links.

Die Stunden der Nacht vergingen – so langsam wie noch nie, dachte Mr. Dillet.

Allmählich sank er in seinem Bett vom Sitzen ins Liegen – aber er schloss kein Auge, und am nächsten Morgen schickte er nach dem Arzt.