Einer Mutter größtes Glück - Corinna Volkner - E-Book

Einer Mutter größtes Glück E-Book

Corinna Volkner

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Beschreibung

Große Schriftstellerinnen wie Patricia Vandenberg, Gisela Reutling, Isabell Rohde, Susanne Svanberg und viele mehr erzählen in ergreifenden Romanen von rührenden Kinderschicksalen, von Mutterliebe und der Sehnsucht nach unbeschwertem Kinderglück, von sinnvollen Werten, die das Verhältnis zwischen den Generationen, den Charakter der Familie prägen und gefühlvoll gestalten. Mami ist als Familienroman-Reihe erfolgreich wie keine andere! Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Waltraud Böhm saß bei ihrer Mutter in der gemütlichen Küche und ließ sich ein verspätetes Mittagessen schmecken. In diesem Augenblick ahnte die junge Hebamme nicht, was ihr der Tag noch Schreckliches bringen sollte. »Nun erzähl doch mal, Kind«, drängte Frau Böhm und betrachtete ihre hübsche Tochter voller Stolz. Tüchtig war sie in ihrem Beruf, äußerst beliebt bei den werdenden Müttern, obwohl sie erst seit zwei Jahren als Hebamme in St. Blasien tätig war. Und nun hatte sogar der größte Bauer anstatt der alten Frau Speidel, eine erfahrene Frau, ihre Waltraud zur Geburt seines ersten Kindes auf den Hof geholt. »Was ist es denn? Ein Junge? Hat die Veronika dem Bauern den ersehnten Erben geschenkt? So rede doch schon, Mädel«, bat sie ungeduldig. Lächelnd nickte Waltraud. »Ja, Mama, es ist ein prachtvoller Junge, und die Veronika hat sich tapfer gehalten, obwohl es nicht leicht war für sie.« »Wie schön! Da war wohl eitel Freude beim Grasegger.« Frau Böhm erhob sich vom Küchenstuhl, trat an den Herd, um für ihre abgekämpfte Tochter einen Kaffee aufzubrühen. Ihr Blick ging dabei aus dem Fenster, und seufzend mußte sie feststellen, daß der Sturm eher noch zugenommen hatte. Dabei wirbelten dicke Schneeflocken vom Himmel. »Die Frau Speidel kann heilfroh sein, daß du ihr in diesem Winter einen Teil der Geburten abnimmst, Waltraud«

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Mami Bestseller – 51 –

Einer Mutter größtes Glück

Waltraud sehnt sich nach Kindern

Corinna Volkner

Waltraud Böhm saß bei ihrer Mutter in der gemütlichen Küche und ließ sich ein verspätetes Mittagessen schmecken.

In diesem Augenblick ahnte die junge Hebamme nicht, was ihr der Tag noch Schreckliches bringen sollte.

»Nun erzähl doch mal, Kind«, drängte Frau Böhm und betrachtete ihre hübsche Tochter voller Stolz. Tüchtig war sie in ihrem Beruf, äußerst beliebt bei den werdenden Müttern, obwohl sie erst seit zwei Jahren als Hebamme in St. Blasien tätig war. Und nun hatte sogar der größte Bauer anstatt der alten Frau Speidel, eine erfahrene Frau, ihre Waltraud zur Geburt seines ersten Kindes auf den Hof geholt.

»Was ist es denn? Ein Junge? Hat die Veronika dem Bauern den ersehnten Erben geschenkt? So rede doch schon, Mädel«, bat sie ungeduldig.

Lächelnd nickte Waltraud. »Ja, Mama, es ist ein prachtvoller Junge, und die Veronika hat sich tapfer gehalten, obwohl es nicht leicht war für sie.«

»Wie schön! Da war wohl eitel Freude beim Grasegger.« Frau Böhm erhob sich vom Küchenstuhl, trat an den Herd, um für ihre abgekämpfte Tochter einen Kaffee aufzubrühen. Ihr Blick ging dabei aus dem Fenster, und seufzend mußte sie feststellen, daß der Sturm eher noch zugenommen hatte. Dabei wirbelten dicke Schneeflocken vom Himmel.

»Die Frau Speidel kann heilfroh sein, daß du ihr in diesem Winter einen Teil der Geburten abnimmst, Waltraud«, meinte sie und kehrte zurück an den Tisch, wo ihre Tochter schlaftrunken aufschreckte. Herrje! Die Ärmste schlief ja mit offenen Augen.

Doch nun reckte Waltraud ihre geschmeidigen Glieder, seufzte und gab zurück: »Ist wohl auch viel zu anstrengend für die alte Frau. Doch sie versorgt den Säugling der Veronika.«

Das fand Frau Böhm sehr gut. »Fein, Waltraud! So fühlt sich die Speidel nicht völlig übergangen. Doch du hast recht. Mit dem Fahrrad käme Frau Speidel jetzt kaum rechtzeitig zu den einzelnen Gehöften und Pensionen. Da hast du es doch mit dem Wagen um einiges besser.«

»Mein Wagen!« Besorgt runzelte Waltraud ihre Stirn. »Du, Mama, mit dem stimmt was nicht. Da war vorhin so ein komisches Geräusch am Motor. Den bringe ich morgen früh gleich in die Werkstatt.«

Frau Böhm goß ihrer Tochter Kaffee ein und meinte dabei: »Hoffentlich streikt er nicht, wenn du nun zu den Lorrimers hinausfährst, mein Kind.«

Erstaunt blickte Waltraud die Mutter an. »Zu Lorrimers? Mama! Willst du damit sagen, daß von dort schon wieder angerufen wurde wegen…?«

»Genau«, entgegnete Frau Böhm seelenruhig und schob Waltraud die Tasse zu. »Trinke erst mal in Ruhe, sonst schläfst du unterwegs ein. Ist sicher wieder falscher Alarm.«

Unruhig und leicht verärgert, leerte Waltraud rasch ihre Tasse, verbrannte sich ein wenig die Zunge, was ihre Stimmung nicht gerade hob. »Mutter«, sagte sie eindringlich, »wie oft habe ich dir schon gesagt, daß du mir von diesen Anrufen sofort berichten mußt, wenn ich ins Haus komme. Nicht erst nach dem Essen oder einer halben Stunde Schlaf. Bitte, merke dir das doch endlich!«

Unwillig wehrte Frau Böhm ab. »Das ist wie bei einem Arzt. Dessen Frau muß auch darauf achten, daß da nicht Essen und Schlaf vergessen werden. Außerdem wurde nur wenige Minuten, bevor du todmüde und hungrig durch die Hausfür gewirbelt kamst, angerufen. Ja, der Sturm trieb dich so richtig vor sich her. Matt und erschöpft, wie du warst. Sollte ich dich da gleich wieder fortlassen?«

Frau Böhm folgte ihrer Tochter aus der Küche hinaus. Während ihrer Worte hatte Waltraud sich schon die Stiefel angezogen und in der Diele die Strickmütze aufgesetzt. Nun schlüpfte sie in die Lodenjacke und griff nach ihrer schweren Tasche.

»Hoffentlich streikt der Wagen nicht«, sagte sie noch einmal, dann riß ihr der Wind vor der Haustür das Wort von den Lippen.

»Falscher Alarm«, das hatte Frau Böhm gerade noch verstehen können, und in der Tat war es schon das dritte Mal, daß ihre Tochter sich zu den Lorrimers aufmachte.

Waltraud bahnte sich ihren Weg durch Sturm und Schneegestöber zu ihrem Wagen hin, der noch vor der Garage stand.

Ihre Gedanken eilten der Fahrt voraus zu dem schmucken, renovierten Schwarzwaldhaus der Familie Lorrimer. Frau Lorrimer erwartete ihr zweites Kind, ein zartes blondes Mädchen von acht Jahren hatten sie schon.

Lange wohnten die Lorrimers noch nicht in dem etwas abseits gelegenen kleinen Tal, in dem der Mann eine Forellenzucht betrieb. Die Familie kam aus Baden, das hatte Frau Lorrimer ihr einmal während einer Untersuchung erzählt. Verwandte besaßen sie hier in der Gegend nicht, und Frau Lorrimer litt unter Kontaktschwierigkeiten. Herrn Lorrimer schien die Abgeschiedenheit nichts auszumachen. Er war ein Mann, der hart arbeitete, seinen Betrieb ständig vergrößerte und nun schon viele Hotels in St. Blasien mit frischen Forellen belieferte.

Waltraud hatte ihn einige Male gesehen und fand ihn recht interessant, wenngleich etwas einsilbig. Er schien seine Frau sehr zu lieben und – nun ja, er wünschte sich gleich dem Bauern Grasegger auch einen Sohn.

Versonnen lächelte Waltraud, während sie langsam und unter großen Mühen – wegen der schlechten Sicht – über die verschneite Landstraße dem Mühltal entgegenfuhr.

Plötzlich begann der Motor des Wagens zu stottern und setzte dann ganz aus.

»Oh, nein! Ich hab’s doch geahnt!« rief Waltraud und versuchte den Motor erneut durchzustarten. Vergebens!

Langsam überkam die junge Hebamme ein Gefühl der Panik. Sie war allein hier mitten auf der Landstraße. Außer dem wirbelnden Schnee, dem Heulen des Windes und den kahlen Pappeln zu beiden Seiten der Straße war nichts zu sehen und zu hören. Sie war allein!

Mit unendlicher Mühe und Anstrengung gelang es ihr, das Auto von der Straße fort zwischen die Pappeln zu schieben. Zwischendurch hielt sie verzweifelt nach einem Wagen Ausschau, doch die Welt schien wie ausgestorben zu sein. Niemand kam und nahm sie ein Stück mit.

Hoffentlich war es nur falscher Alarm, dachte Waltraud und kämpfte sich mit ihrer schweren Tasche mühsam aufwärts, denn nun lag die schnurgerade Landstraße hinter ihr, und der Weg führte bergauf, dann wieder bergab ins Mühltal.

Hoffentlich kommt der Doktor auch diesmal wieder her, dachte Waltraud und blieb zunächst einen Moment vor der Haustür stehen, um ihren jagenden Atem ein wenig zur Ruhe kommen zu lassen. Ein Blick über den von Schnee verwehten Hof ließ sie resigniert feststellen, daß vom Wagen des Doktors nichts zu sehen war.

Doch vielleicht würde er noch kommen. Bei diesem Wetter ging auch bei Dr. Maier sicher einiges nicht so wie geplant.

Gerade wollte die Hebamme klingeln, als die Tür aufgerissen wurde, und Herr Lorrimer einen Schritt auf sie zutrat.

»Da sind Sie ja endlich! Kommen Sie rasch, meiner Frau geht es nicht gut.«

Damit packte er die schwere Tasche, und Waltraud trat in die Diele ein. »In welchen Abständen kommen denn die Wehen?«

Ein erstaunter, fast zorniger Blick aus den hellen Männeraugen traf sie. »Wie soll ich das wissen? Ich war drüben in der Mühle, bis das Kind mich rief. Meine Frau liegt im Bett. Sie bringt vor Schmerzen kein Wort hervor. Warum hat das denn mit Ihnen so lange gedauert? Fast eine Stunde warten wir schon auf Sie.«

Lorrimers Gesicht war bleich, sah angstverzerrt aus. Waltraud kannte ihn so gar nicht, hielt ihn immer für einen nervenstarken Mann, den so leicht nichts erschüttern konnte.

»Meine Tasche! Schnell!« Fast riß sie ihm die Tasche aus der Hand und verschwand im Schlafzimmer der Eheleute, wo man die Betten schon vor Tagen auseinandergeschoben hatte. Vor dem Fenster stand die schöne buntbemalte Kinderwiege, etwas davon entfernt eine Wickelkommode. Alles liebevoll vorbereitet für den neuen Erdenbürger.

Doch von alledem sah Waltraud Böhm in dieser Sekunde nichts. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt der jungen Frau, die mit bleicher, schmerzverzerrter Miene in den Kissen ruhte.

Ein Seufzer der Erleichterung drang über ihre Lippen. »Da sind Sie ja endlich! Gottlob! Das Baby muß bald kommen. Sie müssen mir gleich sagen, wie – wie es ihm geht. Hören Sie, Fräulein Böhm! Ich muß wissen, wie es dem Kind geht. Ob alles in Ordnung mit – mit…«

»Still, Frau Lorrimer! Sparen Sie Ihre Kräfte. O Gott!« Das letzte kam tonlos und in tiefer Besorgnis von Waltrauds Lippen. Sie erhob sich vom Bettrand, eilte zur Tür und rief nach Herrn Lorrimer, der sofort zur Stelle war.

»Verständigen Sie Dr. Maier! Rasch! Er soll sofort kommen«, flüsterte Waltraud ihm zu, ehe sie wieder ins Schlafzimmer zurücktrat und die Tür schloß.

»Frau Lorrimer! Was ist passiert?« Während sie diese Frage stellte, drängte das Kind schon ins Leben, ließ Waltraud kaum Zeit zum Nachdenken.

Es ging nun alles sehr schnell. Das Kind kam, wurde von ihr notdürftig versorgt, und während sein erster, kräftiger Schrei das Haus durchzog, lag seine Mutter sehr still und bleich in den Kissen.

»Ist – es gesund?« fragte sie leise, und Waltraud erklärte ihr, es sei ein gesunder, kräftiger Junge.

»Ein Prachtkerlchen, Frau Lorrimer«, sagte sie ruhig, obwohl sie innerlich vor Nervosität zitterte, denn der jungen Mutter ging es immer elender. Sie hatte einen starken Blutverlust erlitten, und der Kreislauf war äußerst labil.

So gut Waltraud vermochte, setzte sie ihre Kenntnisse ein, behalf sich mit den Medikamenten, die ihr zur Verfügung standen. Doch bei alledem wußte sie, daß schon ein Wettlauf mit dem Tod eingesetzt hatte.

Würde Dr. Maier früh genug kommen? Und konnte er überhaupt noch helfen?

Wieder eilte die junge Hebamme zur Tür, rief nach dem Mann und wies ihn an, einen Krankenwagen aus dem Marienhospital herbeizurufen.

Martin Lorrimer erstarrte. »So schlimm?« fragte er mit zusammengezogenen Brauen, und als Waltraud stumm nickte, fügte er gepreßt hinzu: »Das ist Ihre Schuld. Warum sind Sie nicht sofort gekommen?«

Damit wandte er sich brüsk um und eilte die Treppe hinunter. Waltrauds Herz pochte dumpf, und sie fühlte Schweißperlen auf ihre Stirn treten. Schuld? War es wirklich ihre Schuld, daß es der jungen Mutter so schlecht ging?

Wieder verabreichte Waltraud ihr ein kreislaufstärkendes Mittel, be­mühte sich, die Blutung zu stillen. Vergebens!

Dann war plötzlich Dr. Maier an ihrer Seite, ordnete leise und präzise einiges an, doch in seiner Miene las Waltraud Sorge.

»Wie konnte das nur passieren?« murmelte er einmal, wobei er sie scharf von der Seite her musterte.

Auch er gibt mir die Schuld, dachte Waltraud in aufkommender Panik. Habe ich etwas versäumt? Einen Fehler gemacht?

Doch nein! Sie war sich keines Fehlers bewußt, und das Kind in der Wiege zeugte davon, daß es eigentlich überhaupt keine Komplikationen hätte geben dürfen.

Was war überhaupt der Grund, daß Frau Lorrimer so überstürzt nach ihr gerufen hatte?

Bange Minuten vergingen noch. Dr. Maier hatte alles zum Transport vorbereitet, und als der Krankenwagen endlich kam, atmete Waltraud wie von einer drückenden Last befreit auf.

Herr Lorrimer wollte natürlich mit ins Hospital fahren, und Waltraud bot sich an, bei den Kindern zu bleiben.

»Aber der Säugling, Herr Lorrimer?« fragte sie erstickt. »Soll er nicht besser mit in die Klinik kommen? Dort würde er gut betreut werden.«

Martin Lorrimer blickte sie scharf an und fragte: »Ist das Kind gesund? Was – ist es überhaupt?«

Nun war die junge Hebamme fast den Tränen nahe. Meine Güte! Nach der glücklichen Geburt und der freudigen Stimmung drüben beim Grasegger-Bauer schien dies hier wirklich ein schlimmer Alptraum zu sein. Die junge Mutter wurde ins Krankenhaus getragen, war längst in eine Ohnmacht gefallen und war dem Tode näher als dem Leben. Der junge Vater wußte nicht einmal, ob er einen Sohn oder eine Tochter geschenkt bekommen hatte, weil er sich aus Sorge um das Leben seiner Frau noch gar nicht dafür interessiert hatte.

Unbewußt suchte Waltrauds umflorter Blick das blasse verschüchterte Kind, das da auf der untersten Treppenstufe hockte und zum Vater hin­übersah mit einem angstvollen Ausdruck im Gesichtchen.

Arme Liesel, dachte Waltraud, während sie nun zu Martin Lorrimer sagte: »Es ist ein Junge. Ein schönes, gesundes Kind.«

Da belebte sich die starre bleiche Miene des Mannes ein wenig.

»Nun gut! Das Kind bleibt im Haus, und Sie, Fräulein Hebamme, werden gut auf meinen Sohn achtgeben.«

Jäh zuckte sein Zeigefinger dabei vor, tippte kurz gegen Waltrauds Schulter, dann wandte Herr Lorrimer sich brüsk um und trat hinter Dr. Maier hinaus in das Schneegestöber.

Zögernd folgte Waltraud, sie wollte etwas antworten, doch jedes Wort schien ihr plötzlich sinnlos angesichts der Tragik dieser Stunde.

Dr. Maier hob eigenhändig die Trage mit ins Auto, lief dann zurück zu der jungen Hebamme und meinte: »Kopf hoch, Kindchen. Man wird die Frau schon durchbringen. Doch es ist schlimm für Sie, das kenne ich. Bei meinem ersten To…«

Er brach ab, schüttelte den Kopf und murmelte etwas vor sich hin, was Waltraud nicht verstand. Sie starrte mit tränenblinden Augen dem Krankenwagen hinterher.

Dann schritt auch Dr. Maier zu seinem Wagen. Seine letzten Worte brannten in Waltrauds Herzen.

»Den Mann wird es furchtbar treffen. Zwei Kinder und völlig allein. Dazu ein Säugling. Waltraud, kümmern Sie sich um den Säugling. Zum Glück sind ja im Moment keine weiteren Geburten in Aussicht. Wenigstens was unsere Gegend betrifft.«

Ja, das sagte Dr. Maier zu ihr, und eigentlich hätte er es gar nicht zu tun brauchen, denn Waltraud versorgte den kleinen neuen Erdenbürger selbstverständlich mit der gleichen Fürsorge, wie sie all ihre ins Leben geholten Kinderchen während der ersten Tage ihres jungen Lebens betreute.

Sie versorgte an diesem schrecklichen Tag auch die Liesel, bereitete ihr einen Pudding zu und wunderte sich dabei etwas über das kleine Mädchen, das völlig verängstigt schien. Dabei kannte Waltraud die Liesel als ein zwar stilles, so doch fröhliches Kind, das stets ohne Scheu mit ihr redete, wenn sie der jungen Frau Lorrimer mit ihrem Töchterchen begegnete. Oder hier im Haus aufsuchte. Aber an diesem Tag war das Mädchen völlig verändert.

»Du mußt nicht traurig sein, Liesel«, sagte sie dann mitleidig und zog das Kind sanft zu sich heran. »Deine Mama kommt bald zurück. Sie – mußte leider ins Hospital, weil doch nicht alles so gut verlaufen ist. Aber nun komm, ich zeige dir dein Brüderchen. Es ist ein süßes, hübsches Kerlchen, und du wirst es bestimmt sehr lieb gewinnen.«

Über das blasse Kindergesicht huschte ein Aufleuchten. »Mama und Papa wollten so gern einen Buben haben. Da bin ich aber froh!«

Hand in Hand gingen sie die Treppe hinauf, betraten den Raum, in dem Waltraud vorhin schon etwas Ordnung gemachte hatte.

Sie traten an die Wiege, blickten hinein und betrachteten lange Zeit schweigend das Neugeborene.

»So winzig habe ich mir die Babys aber nicht vorgestellt«, wisperte Liesel endlich voller Andacht. »Es hat ja ganz viele krause Haare wie Papa. Ganz dunkelbraune Haare und – so kleine Fäustchen. Da wird Papa sich aber freuen. Er wollte so gern einen Jungen haben, schon wegen der Hilfe. Bestimmt wird mein kleines Brüderchen dem Papa später draußen bei den Fischteichen helfen, so wie ich immer der Mama in der Küche helfe.«

Plötzlich schaute Liesel die Hebamme an, wobei sich ihre blauen Augen angstvoll weiteten: »Meine Mama kommt doch wieder? Ich meine, so schlimm war das doch nicht. Oder? Bitte, Fräulein Waltraud, sagen Sie doch was!«

Aber Waltraud konnte plötzlich nichts mehr sagen, sie schloß das Kind stumm in ihre Arme, drückte es fest an ihr Herz. Ihre Kehle schien wie zugeschnürt, und die Furcht drohte sie zu überwältigen. Die heiße Furcht, dem Mann später in die Augen blicken zu müssen, seine zornig-rauhe Stimme zu hören, die ihr vorhin eine schreckliche Anklage entgegengeschleudert hatte. Sie sei schuld daran, daß es seiner Frau so schlecht gehe. Sie, die Hebamme! Weil sie nicht sofort gekommen sei.

»Liesel«, sagte Waltraud erstickt zu dem Kind. »Ich bringe dich jetzt in dein Bettchen. Du bist müde, Kleines, nicht wahr? Du schläfst nun ganz rasch ein, und morgen – morgen sieht die Welt wieder heiter aus.«

Verstohlen fuhr Liesels kleine Hand über die Wange, wischte eine Träne fort, wobei sie wisperte: »Glaubst du, das Brüderchen kann hier so ganz allein bleiben? Paßt du auf das Baby auf, bis mein Papa wieder da ist?«

Liesel hätte sich niemals eingestanden, daß auch sie leise Furcht empfand, weil ihre Eltern nun doch beide fort waren. Noch niemals war sie über Nacht allein gewesen.

In den hellen Kinderaugen las Waltraud Böhm wie in einem offenen Buch. Zärtlich streichelte sie Liesel über das blonde Haar und gab fest zurück: »Ich passe sehr gut auf dein Brüderchen auf, da hab’ gar keine Sorge, und auch auf dich gebe ich acht. Ja, Lieselchen, auch auf dich. Du kannst ganz ruhig schlafen, ich bleibe hier im Haus. Solange ihr beide, du und das Baby, mich braucht. Das verspreche ich dir, Kleines.«

Da ging ein Aufatmen durch die zarte Gestalt der achtjährigen Liesel Lorrimer. »Das finde ich gut, Waltraud. Dann ist auch bestimmt meine Mama beruhigt und – und ist nicht mehr so – so schrecklich nervös. Wenn sie doch bloß nicht auf…«

Da schwieg sie erschrocken und legte ihre kleine Hand über die Lippen.

»Was denn, Liesel? Was hätte deine Mama besser nicht getan?« fragte Waltraud in plötzlicher Erregung.

Doch das Kind schüttelte nur wild das Köpfchen, machte sich fast heftig von Waltrauds Armen frei und eilte hinaus.

Seufzend folgte diese ihr schließlich und fand Liesel schon im Badezimmer, wo sie sich für die Nacht emsig ihre Zähne bürstete.

Wenig später lag die Kleine in ihrem Bett.

Waltraud hielt sich noch eine Weile in dem Zimmer auf, das mit hübschen, buntbemalten Bauernmöbeln ausgestattet war. An den Fenstern hingen blau-rot karierte Vorhänge, und im Gebälk der Decke hockten einige Schelmfiguren.

»Du hast es sehr hübsch hier, Lieselchen«, sagte Waltraud, den Blick nachdenklich auf das Kind gerichtet. Warum schwieg es vorhin so hartnäckig? Und was verschwieg die kleine Liesel? Es mußte mit Frau Lorrimers überstürzter Geburt zu tun haben.

Der Sturm tobte unvermindert heftig ums Haus, als Waltraud das Kinderzimmer verließ, um sich wieder dem Neugeborenen zu widmen. Doch es ging ihm gut, und nun kam die Müdigkeit wie ein schwerer grauer Nebel über die junge Hebamme, die seit der ersten Morgenstunde auf den Beinen war und harte Arbeit geleistet hatte.

Quälende Gedanken, Überlegungen, Mutmaßungen. Doch dann verschwamm alles, verlor sich in einem kurzen, unruhigen Schlaf, zu dem Waltrauds Kopf einfach auf ihre verschränkten Arme sank, die sie auf die harte Tischplatte gelegt hatte. Sie war todmüde gewesen.

*

Irgend etwas schreckte die Schlummernde auf. Ein leises Geräusch von oberhalb der Treppe.

Es glich mehr einer vagen Ahnung, daß sich oben jemand im Schlafzimmer des Ehepaares befinden mußte.

Doch oben war ja auch der Säugling.