Einführung in die Religionsethnologie - Bettina Schmidt - E-Book

Einführung in die Religionsethnologie E-Book

Bettina Schmidt

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Beschreibung

Warum glauben wir oder auch nicht? Was praktizieren Gläubige und warum? Warum überdauern einige Glaubensaspekte und andere nicht? Im Zentrum der Religionsethnologie steht die Beschäftigung mit fremden Glaubenssystemen, mit Weltbildern, Mythen, religiösen Praktiken und Heilsvorstellungen. Die Religionsethnologie untersucht das, was Menschen glauben und was sie täglich praktizieren, ob sie nun auf abgelegenen Inseln oder in einer Weltmetropole leben. Denn Religion ist Teil der Kultur und der Gesellschaft und stets verwoben mit Fragen nach der Identität, sozialer Gerechtigkeit und Gleichberechtigung.

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Bettina E. Schmidt

 

Einführung in die Religionsethnologie

 

Ideen und Konzepte

2., durchgesehene Auflage

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

1. Auflage 20082., durchgesehene Auflage 2015

 

©

2015, 2008 by Dietrich Reimer Verlag GmbH, Berlin

 

www.reimer-verlag.de

 

Umschlaggestaltung: Nicola Willam, Berlin

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN 978-3-496-03001-0 (PDF)

ISBN 978-3-496-03002-7 (EPUB)

ISBN 978-3-496-03003-4 (Mobipocket)

 

I  Grundlagen der Religionsethnologie

Einleitung – Nachdenken über „Religion“

 

Meinen ersten Vortrag vor der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde hielt ich 1993 auf einer Tagung in Leipzig. Ich kam gerade frisch vom Feld und berichtete über erste Ergebnisse meiner Forschung in Puerto Rico. Mein Thema war der puertoricanische Spiritismus, und ich erläuterte, dass es möglich sei, ethnische Identität auf der Basis einer Religion zu entwickeln. Interessanterweise wurde in der anschließenden Diskussion dieser Zusammenhang zwischen Ethnizität und Religion kaum beachtet, sondern es wurde vielmehr die Frage diskutiert, warum ich den puertoricanischen Spiritismus als Religion behandle. Diese für mich unerwartete Resonanz verdeutlichte mir, dass ich mich – wie mein Betreuer bereits angedeutet hatte – in meiner Dissertation auch mit der Frage auseinandersetzen musste, was denn Religion sei. Bis dahin hatte ich diese Frage ignoriert. Ich war der Ansicht, dass ein Glaubenssystem mit Ritualen, Gemeinschaften, einem ausgearbeiteten Weltbild und ethischen Grundsätzen, d. h. ein Glaubenssystem mit Gläubigen, eine Religion sei, auch ohne institutionalisierten Glauben und zentrale Dogmen, und dass ich solch ein System auch „Religion“ nennen dürfe. Nun, ich hatte mich geirrt. Ich kam zu der Erkenntnis, dass ich meine Einordnung mit einer Definition begründen musste. Aber mit welcher?  

Religion, abgeleitet vom lateinischen religio (übersetzt als „Gottesfurcht“), ist ein Begriff, der in europäischen Sprachen alltäglich verwendet wird. Die Herkunft ist allerdings ziemlich unklar. Nach Cicero stammt der Begriff von relego („wieder zusammennehmen“), er wird aber auch mit religo verknüpft („zurückbinden“, „anbinden“, „festbinden“). Erst im 16. Jahrhundert hält der Begriff „Religion“ Einzug in die europäischen Sprachen. Erste Bibelübersetzungen verwenden das Wort „Religion“ nicht und ebensowenig die Religionsgründer. Ihnen ging es um den rechten Pfad, die richtige Lehre oder den Weg zur Erlösung, nie um Religion. So gab es ursprünglich in nichteuropäischen Sprachen keine Äquivalenzbegriffe für „Religion“. Der Begriff wurde als Fremdwort aus einer europäischen Sprache (häufig der jeweiligen dominierenden Kolonial- oder Imperialsprache) entliehen: meistens für importierte Religionen wie beispielsweise in Japan für das Christentum, nicht aber für die einheimischen Systeme wie Shinto in Japan oder Konfuzianismus in China (siehe dazu auch Hock 2006).  

 

Dagegen wird in Puerto Rico Spanisch gesprochen, eine europäische Sprache, die den Begriff „Religion“ kennt. Aber auch hier wird er nur für bestimmte Glaubenssysteme angewendet, nicht für alle. Auf die Frage: „Was ist deine Religion?“ folgt in Puerto Rico (wie fast überall in Lateinamerika) meistens die Antwort: „Ich bin katholisch“ bzw. zunehmend häufig: „Ich gehöre zur Pfingstkirche“. Religion wird von fast allen mit Kirche und mit Christentum verbunden. Auch wenn Katholizismus nicht praktiziert wird (außer für Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen), gilt es als respektabel, sich als katholisch zu bezeichnen. Die Antwort auf die Frage: „Was praktizierst du?“ würde allerdings anders lauten (sofern ein Vertrauensverhältnis vorliegen würde). Vergleichbares gilt für Vodou[1] in Haiti. Die Entscheidung der Regierung im Jahr 2003, zusätzlich zum Katholizismus Vodou zur offiziellen Religion zu ernennen, hat viele Vodou-Anhänger in Haiti erstaunt. Sie beantworten die Frage nach der Religionszugehörigkeit weiterhin mit katholisch, wenngleich sie „den Geistern dienen“, wie Vodou in Haiti meistens umschrieben wird.  

Mehr als zehn Jahre nach Abschluss meiner Dissertation über Puerto Rico kämpfe ich immer noch mit der Frage, was denn Religion sei. Ich vermittle nun seit vier Jahren Studierenden der Theologie und Religionswissenschaft die theoretischen Grundlagen der Religionsforschung, und ein Überblick über Definitionen ist Teil des Curriculums. Die Diskussionen mit den Studierenden zeigen mir immer wieder, wie wichtig es ist, nicht nur auf die Mängel der Theorien und Grenzen der Definitionen zu verweisen, sondern diese mit Erkenntnissen aus der Forschung zu verbinden, d. h. mit gelebten Glaubenssystemen. Einige Kollegen in der Religionswissenschaft lehnen den Begriff Religion völlig ab und plädieren dafür, ihn einfach nicht mehr zu verwenden.

Diese Forderung geht mir allerdings zu weit. Wir können einen Begriff, der in der Alltagssprache verwendet wird und der Eingang in internationales Recht, in die Menschenrechte und andere Verfassungen erhalten hat, nicht einfach ignorieren und uns damit vom Alltag der Menschen, deren Kultur wir erforschen, distanzieren. Ethnologie arbeitet schon lange nicht mehr nur im Elfenbeinturm der Wissenschaft. Wir setzen uns mit Menschen und ihren kulturellen Systemen auseinander und gerade der Dialog ist die Stärke der Ethnologie. Im Zentrum der Religionsethnologie steht die Beschäftigung mit fremden Glaubenssystemen, mit Weltbildern, Mythen, religiösen Praktiken, Heilsvorstellungen und vielem mehr, d. h. die Beschäftigung mit dem, woran Menschen glauben und was sie täglich praktizieren. Ist das alles nun „Religion“? Vielleicht nicht nach einigen ausgefeilten Definitionen, die im Verlauf der Wissenschaftsgeschichte entwickelt wurden, aber nach unserem heutigen Alltagsverständnis von Religion und Glauben. 

Seit der Aufklärung trennen wir in Europa Religion von Wissenschaft; Religion gelangte dadurch in eine eigene „Schublade“, getrennt vom Rest der menschlichen Kultur. Religion gehört zum Arbeitsgebiet der Theologie und hat mit Kirche zu tun, mit Predigten und dem Papst. Ethnologie als die „Wissenschaft vom kulturell Fremden“ (Kohl) schaut auf die exotischen Religionen, auf Schamanen, Hexen und die Traumwege der Aborigines. Wo passt der puertoricanische Spiritismus hinein? In meiner Dissertation habe ich mich, mangels anderer Möglichkeiten, Tylors allgemeiner und inzwischen veralteter Definition angeschlossen und auf die Geister im Spiritismus verwiesen. In den 1990er Jahren hat kaum jemand über karibische Religionen oder gar über den lateinamerikanischen Spiritismus geforscht, so dass ich neue Wege in der wissenschaftlichen Einordnung der Religionen beschreiten musste. Das ist heute, zum Glück, anders.  

Hier zeigt sich die Veränderung, die die Ethnologie seit dem Erfolg der postkolonialen Kritik durchlaufen hat. Ethnologie war lange ein Kind der Kolonialzeit und Produkt der Aufklärung. Den Gründervätern (leider gab es in der Gründungszeit keine „Mütter“) ging es darum, den Ursprung der Religion zu finden (Frazer), sie bei den scheinbar „Primitiven“ nachzuweisen (Tylor) oder ihre Funktion für die Gesellschaft zu erklären (Durkheim). Es wurden dabei bereits zahlreiche Definitionen von Religion erstellt und Religion von Magie und Aberglaube unterschieden; der Fokus war allerdings stets auf Religionen der kleinen „Stammesvölker“ gerichtet. Es ging somit um indigene Ethnien in, aus europäischer Sicht, abgelegenen Regionen der Welt und deren religiöse Vorstellungen, die häufig in einer evolutionären Abfolge unterhalb der so genannten europäischen Zivilisation verortet wurden. Diese bipolare Denkweise, nach der in Magie und Religion, Schrift und Oralität, Natur und Kultur, Europa und Außer-Europa unterschieden wurde, hat sich lange gehalten und die Entwicklung der Religionsethnologie behindert. Heute haben wir diese Sichtweise zum Glück überwunden. Die Ethnologie hat sich von der einsamen Insel befreit und beschäftigt sich mit „kulturell Fremden“, wo immer diese auch leben, ob in Berlin-Kreuzberg, New York City oder Gibraltar. Damit hat sich auch die Religionsethnologie verändert. Es geht keineswegs nur noch um Hexerei, Schamanismus oder andere indigene Glaubenssysteme, sondern auch um Muslime in Marokko, Hindus in Nepal, Anhänger neuer Religionen in Japan und damit auch um Vodou-Anhänger und Spiritisten in New York City, Paris oder Madrid.  

 

Religionsethnologie untersucht fremde Glaubenssysteme und deren Bedeutung für die Angehörigen fremder Kulturen. Was glauben sie? Was praktizieren sie; und warum? Welche Bedeutung hat es für sie? Warum werden einige Aspekte beibehalten und andere nicht? Religion ist Teil der Kultur und Teil der Gesellschaft, keineswegs isoliert, sondern darin verwoben. Eine Untersuchung darüber, warum Frauen in Bangladesch sich mit einer Burqa verschleiern, betrifft die soziale Ordnung, das Verwandtschaftssytem, das politische System, die koloniale Vergangenheit – und auch die Glaubensvorstellung. Eine Beschränkung auf nur einen dieser Punkte würde mehr verhüllen als aufdecken. Das macht die Religionsethnologie so faszinierend und spannend, stellt aber auch eine hohe Anforderung an alle, die sich auf diesen Arbeitsbereich einlassen.  

Mit diesem Buch versuche ich Studierenden, die sich in das exotische Feld der Religionsethnologie begeben wollen, den Einstieg zu erleichtern. Einige Teile basieren auf meinen Vorlesungen, die ich in Oxford und Bangor gehalten habe, und auf den Diskussionen mit den Studierenden, bei denen ich mich hiermit herzlich für all ihre kritischen Fragen bedanke. Ich habe den Text allerdings für die deutschsprachigen Interessenten neu geschrieben und wende mich stärker den kontinental-europäischen Traditionen zu.

Das Buch ist in zwei Teile untergliedert: Im ersten Teil stelle ich die Grundlagen der Religionsethnologie vor, im zweiten gehe ich auf ausgewählte Themen der Religionsethnologie ein. Der erste Teil umfasst neben der Einleitung vier Kapitel. Zuerst erkläre ich den Gegenstand der Religionsethnologie. Ich stelle Definitionen von Religion vor und präsentiere Beispiele aus der neueren religionsethnologischen Forschung, um zu verdeutlichen, wie stark sich der Gegenstand unseres Arbeitsfeldes verändert hat.

Das folgende Kapitel beinhaltet einen Überblick über die Geschichte der Religionsethnologie, d. h. der so genannten westlichen Religionsethnologie, wobei ich in jeder Phase die wichtigsten Vertreter und ihre Ansätze kurz vorstellen werde. Studierende reagieren oftmals abwehrend auf die Wissenschaftsgeschichte. Es ist aber wichtig, den Ursprung unserer Ansätze und Theorien zu kennen, da sie weiterhin unsere Gedanken beeinflussen.

Zentraler Punkt in allen ethnologischen Arbeitsfeldern ist die Methode der Feldforschung. Ich werde daher im dritten Kapitel die Bedeutung der Feldforschung für die Religionsethnologie erläutern. Es wird zudem ein Thema angesprochen, das sich in der postkolonialen Forschung als zunehmend wichtig erwiesen hat: das going native der Forschenden. Obwohl das Problem, dass bestimmte Informationen geheim und daher für Außenseiter nicht zugänglich sind, die Religionsethnologen bereits von Anfang an beschäftigt hat (beispielsweise Evans-Pritchards Methodik beim Studium der Hexerei bei den Zande), zeigt sich, dass mehr und mehr Ethnologen so stark von ihrem Arbeitsfeld fasziniert sind, dass sie sich initiieren lassen. In diesem Kapitel werde ich die Auswirkung, die dieser Schritt auf die Forschung hat, herausarbeiten.  

Im vierten Kapitel diskutiere ich dann die Relevanz der Religionsethnologie für die globalisierte Gegenwart und zeige anhand von Beispielen, wie unverzichtbar es nach wie vor ist, religionsethnologisch zu arbeiten.

Der zweite Teil des Buches stellt zentrale Themen der Religionsethnologie vor. Er ist in drei Kapitel unterteilt, wobei jedes Kapitel theoretische Diskurse sowie Beispiele aus der Forschung vorstellt. In dieser Dreiteilung habe ich mich von der erweiterten aristotelischen Aufteilung von Lambeks Textsammlung (2002) inspirieren lassen und ordne die Themen in die Kapitel poiesis und praxis sowie den zusätzlichen Bereich Gesellschaft. Im Kapitel zur Schaffung der Welt (poiesis) geht es um Symbolinterpretation und Mythentheorie, aber auch um Kosmologien, Umwelt und Klimawandel, Moral und Hexerei. Im Kapitel zur Religionsausübung (praxis) liegt der Schwerpunkt auf der Ritualforschung, aber auch Schamanismus, Besessenheit und Identität werden behandelt. Im dritten Kapitel wird Religion dann im gesellschaftlichen Kontext betrachtet, d. h. es werden Themen zur politischen Dimension vorgestellt, wie beispielsweise Kolonialismus, Identität, Gewalt und Migration. Auf diese Weise verbinde ich im zweiten Teil des Buches klassische Themen der Religionsethnologie mit neuen Arbeitsbereichen. Damit möchte ich Anstöße für neue Forschungsideen geben und illustrieren, in welche neuen Felder sich die Religionsethnologie bereits begeben hat. Es ist unmöglich, alle Themen der Religionsethnologie aufzuzeigen. So habe ich mich beispielsweise entschieden, Geschlechterbeziehung nicht als gesondertes Thema zu behandeln, sondern ich werde in allen drei Kapiteln des zweiten Teils auf Frauen und die Interpretation ihrer Rolle in Religionen eingehen. Ich möchte damit zeigen, dass die Beziehung zwischen den Geschlechtern ein Bestandteil der ethnologischen Forschung sein sollte und keineswegs in eine gesonderte Ecke gehört. Meine Auswahl ist somit sehr persönlich, geleitet von meiner eigenen Forschung und Aspekten, die ich aufgrund meiner Lehrerfahrung als wichtig erachte. Die Liste kann nicht als vollständig angesehen werden. Es fehlt mir der Platz, näher auf die Religionsgeografie oder die kognitive Religionsethnologie einzugehen. Diese beiden neuen Arbeitsbereiche werden dennoch im Text kurz skizziert. 

Ich habe beim Schreiben vor allem Studierende der neuen Studiengänge im Blick gehabt, die sich heute immer stärker interdisziplinär ausrichten. Traditionelles Zielfach ist zwar weiterhin die Ethnologie, aber ich richte mich auch an die Religionswissenschaft, die Kulturwissenschaften, die Sozialwissenschaften und die zahlreichen anderen neu entstandenen Fachverbindungen. Studierende der neuen Bachelorprogramme werden zwar stärker angeleitet als frühere Studierende, ihr Selbststudium wird aber auch stärker überprüft. Ich stelle deshalb am Ende eines jeden Kapitels zentrale Werke vor und nenne Literaturhinweise zum weiteren Selbststudium. Im Anhang des Buches folgt ein Register mit Schlüsselbegriffen der Religionsethnologie. Das Buch eignet sich zum Nachschlagen, es soll aber auch zum Weiterlesen und vor allem zum Nachdenken anregen.

Liste aktueller Einführungswerke

Bowie, Fiona. 2006. The Anthropology of Religion. (2nd edition) Oxford: Blackwell.

Dieses Buch ist derzeit eine der besten Einführungen in die Religionsethnologie. Es richtet sich zwar ausschließlich an einen britischen Leserkreis und präsentiert hauptsächlich die britische Religionsethnologie, dennoch ist die Einführung auch für Studierende deutscher Studiengänge geeignet. Hilfreich ist vor allem ihre Liste von Filmen und Videos im Anhang der zweiten Auflage.

 

Braun, Willi und Russell T. McCutcheon (Hrsg.). 2000. Guide to the Study of Religion. London: Cassell.

Hinnells, John (Hrsg.). 2005. The Routledge Companion to the Study of Religion. Oxford: Routledge.

Segal, Robert A. (Hrsg.). 2006. The Blackwell Companion to the Study of Religion. Oxford: Blackwell.

Diese Werke sind vor allem zum Nachschlagen geeignet, da sie gute Abhandlungen, beispielsweise zu Einzelthemen wie Ritual und Mythen und zu bestimmten Bereichen der Forschung wie Gender anbieten. Da die Trennung von Religionsethnologie und Religionswissenschaft außerhalb der deutschsprachigen Wissenschaft nicht strikt vollzogen wird, befinden sich unter den Autoren der Sammelwerke auch ethnologisch arbeitende Wissenschaftler.

 

Eller, Jack David. 2007. Introducing Anthropology of Religion: Culture to the Ultimate. New York/London: Routledge.

Dieses neueste Werk auf dem Markt basiert auf Vorlesungen und richtet sich vor allem an einen US-amerikanischen Leserkreis, wie gerade der Überblick über die Theorien zeigt. Dennoch ist diese Einführung auch für deutsche Studierende interessant, vor allem die Bezüge auf seine Feldforschungserfahrungen sowie die späteren Kapitel, in denen sich Eller von der traditionellen Ethnologie löst und neue Themen der Religionsethnologie, wie z. B. Religion in den USA, religiöse Gewalt und vieles mehr, behandelt.

 

Firth, Raymond. 2004 (1996). Religion: A Humanist Interpretation. London/New York: Routledge.

Das Buch beinhaltet eine Sammlung von Aufsätzen zu unterschiedlichen Themen im Bereich der Religionsethnologie, beispielsweise zum Problem der methodischen Annäherung an das Forschungsfeld, zu Opfer, Monotheismus/Polytheismus, Ritual, Geisterbesessenheit und mehr. Firth befürwortet dabei einen humanistischen Zugang zu Religion (er betrachtet Religion als menschliches Kunstwerk). Das Buch präsentiert eine sehr persönliche Einführung in die Religionsethnologie, die vor allem für fortgeschrittene Studierende sehr zu empfehlen ist.

 

Hock, Klaus. 2006 (2002). Einführung in die Religionswissenschaft. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Dieses Buch präsentiert einen guten Überblick über die verschiedenen Ansätze in der Religionsforschung. Die Kapitel sind nach Disziplinen unterteilt, wobei vor allem Religionsgeschichte und -phänomenologie ausführlich vorgestellt werden, die Religionsethnologie dagegen etwas weniger. Insgesamt bietet diese Einführung einen guten Einblick in die deutsche Religionsforschung.

 

James, Wendy. 2005 (2003). The Ceremonial Animal: A New Portrait of Anthropology. Oxford: Oxford University Press.

Dieses Buch ist aufgrund seiner inhaltlichen Dichte und dem vorausgesetzten Wissensbestand eher für Doktoranden geeignet, die bereits einen Einblick in die Ethnologie gewonnen haben und nun mehr über die Religionsforschung erfahren möchten. Interessanterweise verwendet die Autorin den Begriff Religionsethnologie nicht, beschreibt aber die ethnologische Forschung zu Ritualen und Religionen.

 

Kippenberg, Hans G. und Kocku von Stuckrad. 2003. Einführung in die Religionswissenschaft: Gegenstände und Begriffe. München: Beck.

Dieses Buch stellt die Religionsforschung im weiten Sinne vor, da die Autoren die Religionswissenschaft nachdrücklich im kulturwissenschaftlichen Bereich verorten, der „quer“ zu den etablierten Fächern steht. Ihr Schwerpunkt liegt auf den Gegenständen der Forschung. Interessant ist auch ihre Einbeziehung der Religionsforschung im öffentlichen Raum (unter dem Stichwort Zivilreligion) sowie der Forschung über religiöse Gewalt. Die Religionsethnologie wird nicht gesondert behandelt, ist aber mit zahlreichen Bezügen zur ethnologischen Religionsforschung im theoretischen Überblick enthalten.

 

Lambek, Michael (Hrsg.). 2002. A Reader in the Anthropology of Religion. Malden/Oxford: Blackwell Publishing.

Bei diesem Buch handelt es sich nicht um eine Einführung im eigentlichen Sinn, sondern um eine Zusammenstellung wichtiger Texte (bzw. Auszügen aus Texten), die einen sehr guten Überblick über die Religionsethnologie liefern. Das Buch ist für den Unterricht und zum Selbststudium sehr geeignet. Ich warne allerdings davor, dem Trend zu folgen und die Originalquellen zu ignorieren. Ein Reader soll lediglich Neugierde zum Weiterlesen hervorrufen und keinesfalls das Studium der klassischen Werke etwa von Geertz, Turner und Evans-Pritchard ersetzen.

 

Morris, Brian. 1987. Anthropological Studies of Religion: An Introductory Text. Cambridge: Cambridge University Press.

Morris, Brian. 2006. Religion and Anthropology: A Critical Introduction. Cambridge: Cambridge University Press.

Diese beiden Bücher ergänzen sich gut. Im ersten Buch gibt der Autor eine Einführung in die Theorie der Religionsethnologie (und repräsentiert dabei den Diskussionsstand der 1980er Jahre), in seinem neuesten Buch konzentriert er sich auf einen Überblick über Religionen. Diese Zweiteilung macht den Gebrauch der Bücher nicht einfach. Dennoch sind sie als zusätzliche Informationsquelle zu einzelnen Themen zu empfehlen.

 

Thiel, Josef Franz. Religionsethnologie: Grundbegriffe der Religionen schriftloser Völker. Berlin: Reimer, 1984.

Weiss, Gabriele. Elementarreligionen: Eine Einführung in die Religionsethnologie. Wien/New York: Springer Verlag, 1987.

Diese beiden Bücher sind zwar mittlerweile im theoretischen Überblick etwas veraltet. Dennoch bieten sie interessante Einblicke in die religionsethnologischen Debatten der 1980er Jahre und illustrieren dadurch eindrucksvoll die Veränderungen der heutigen Religionsethnologie.

Der Gegenstand der Religionsethnologie

Religionsethnologen müssen sich noch vor Beginn jeglicher Forschung die problematische Natur des Konzepts, das im Zentrum unseres Arbeitsgebietes steht, vergegenwärtigen, d. h. die Natur von Religion. „Religion“ ist ein Schlüsselwort in der modernen Gesellschaft, das „by millions of Western people as routinely as they use the words ‚politics‘ or ‚sex‘, and with an apparently effortless sense of its self-evident meaning“ verwendet wird (Braun 2000: 4). Aber „Religion“ ist ein Produkt europäischer Wissenschaften, das nicht in außereuropäische Sprachen übersetzt werden kann. Wenn wir uns die Quellentexte ansehen, erkennen wir, dass keiner der Religionsgründer gesagt hat, dass er oder sie eine „Religion“ gründet. Wie Max Charlesworth schreibt, „they spoke of a ‚revelation‘ or disclosure of the divine, or of a ‚Way‘ of belief and living, or of a ‚Law‘, or of the ‚spiritual life‘, or of a life of ‚perfection‘“ – aber nie von der Gründung einer Religion (1997: 1). Der Begriff „Religion“ enthält die irreführende Idee, dass „all the multifarious beliefs and practices and […] ‚phenomena‘ that we now call ‚religious‘, have something in common by reference to which we can define religion and clearly demarcate it from other areas of human life such as the realms of ethics, or art, or science“ (1997: 1). Leider verwenden wir nicht nur im Alltag den Begriff „Religion“ in vielfältiger Bedeutung, oftmals basierend auf einer sehr oberflächlichen Vorstellung von dem, was Religion sein kann. Wie Jonathan Z. Smith schreibt, ist es nicht das Problem, dass Religion nicht definiert werden könnte, sondern, dass sie mehr oder weniger erfolgreich öfter als fünfzig Mal definiert wurde (Smith 1982: 281). Religion ist daher für Jonathan Z. Smith lediglich eine Erfindung von Wissenschaftlern und hat keine unabhängige Existenz außerhalb der Wissenschaft (Smith 1982: XI). Willi Braun folgt dieser Kritik und argumentiert für eine Verwendung des Begriffs Religion als Konzept im technischen Sinne und „not as a substance that floats ‚out there‘, a something that might invade and enlighten us if we should only be fortunate as to have the right kind of receiving apparatus“ (Braun 2000: 9). Ausgehend von diesen Überlegungen muss eine Einführung in die Religionsethnologie mit der Entstehungsgeschichte des Religionsdiskurses an europäischen Universitäten beginnen.  

Die Religionsethnologie entstand Mitte des 19. Jahrhunderts, zu einer Zeit, in der das Interesse an fremden Kulturen und Religionen in Europa wuchs. Bis ins 19. Jahrhundert wurden lediglich die drei monotheistischen Religionen in der Tradition Abrahams, d. h. Judentum, Christentum und Islam, als Religion bezeichnet. Alle anderen Vorstellungen galten als Aberglaube oder Magie, bis sich dann im 19. Jahrhundert die Denkweisen veränderten.  

Die ersten Wissenschaftler waren stark von der Aufklärung beeinflusst, die vor allem auf den scheinbaren Fortschritt der menschlichen Zivilisation blickte. Wie Fiona Bowie betont, waren es die Philosophen der Aufklärung, die bereit waren, Traditionen abzulegen und existierende Autoritäten in Frage zu stellen (2000: 3). Jean-Jacques Rousseau (1712–1778), die führende Gestalt der Aufklärung, konstruiert das Modell des „noblen Wilden“, das die Ethnologie über Jahrhunderte inspirierte. Der französische Philosoph bewertete die „noblen Wilden“ höher als die Vertreter der „europäischen Zivilisation“, die er als degeneriert gegenüber dem ursprünglichen harmonischen kollektiven sozialen Leben betrachtet. Rousseau glaubte an die Erziehung als einzigen Weg im Kampf gegen soziale Ungleichheit, die er als Zeichen der Degeneration der europäischen Gesellschaften verurteilte. Beeinflusst von Rousseau widersprachen Ethnologen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, wie z. B. der Brite Sir Edward Burnett Tylor (1832–1917), den vorherrschenden Ideen ihrer Zeit. Zu Tylors Zeit glaubten die meisten Wissenschaftler, dass die menschliche Kultur auf einem relativ hohen Niveau entstanden sei, einige Kulturen degenerierten, während andere sich auf ein noch höheres Niveau entwickelten. In Bezug auf Religion wurde davon ausgegangen, dass die so genannten Wilden keine Religion hätten. Evans-Pritchard verweist beispielsweise auf Sir Samuel Baker, einen berühmten Entdecker der Viktorianischen Zeit, der in einem Vortrag vor der ethnologischen Gesellschaft in London 1866 behauptete, dass die Völker, die er in Afrika traf, keine Religion hätten, weder einen Glauben an einen Schöpfergott noch eine andere Form der Verehrung. Ihre Vorstellungswelt sei noch nicht einmal vom Aberglauben erhellt (Evans-Pritchard 1981: 38). Dieses Missverständnis lässt sich heute erklären mit der Unkenntnis von Sprache und Kultur der Völker. Die damaligen europäischen Reisenden suchten nach Bezugspunkten zu ihrer eigenen Kultur und verkannten daher alles, was fremdartig war. Und sogar wenn eine Kommunikation mittels einer Pidgin-Sprache zustande kam, war dies, wie Bowie betont, noch keine Garantie, dass die Bedeutung der Begriffe auch verständlich war (2000: 21). Evans-Pritchard warnte deshalb in seiner Vorlesung zur Religionsethnologie vor Behauptungen über Glaubensvorstellungen anderer Menschen und schrieb, dass sie nur mit Vorsicht aufgestellt werden sollten, da man es mit etwas zu tun habe, das nicht direkt beobachtet werden kann. Begriffe für Konzepte, Ideen und Vorstellungen von Religionen setzen eine große Sprachkompetenz sowie ein großes Verständnis der gesamten Ideensysteme, deren Bestandteil Religion ist, voraus und entzögen sich daher meist dem Verständnis (Evans-Pritchard 1981: 39). Das ist der Beginn der Religionsethnologie.  

Gegenstand der Religionsethnologie waren ursprünglich fremdartige Glaubensvorstellungen. Es ging den ersten Religionsethnologen nicht um die Erforschung der eigenen Religion, sondern um die anderer Völker außerhalb Europas, die allerdings auf ein bestimmtes Ziel hin untersucht wurden. Die außereuropäischen Kulturen, z. B. in Afrika und Australien, wurden aus europäischer Sicht auf einer niedrigeren Stufe der Entwicklung der menschlichen Kultur eingeordnet. Im Unterschied zu Vertretern dieser Richtung, den so genannten Degeneristen, sahen Evolutionisten eine progressive Entwicklungslinie von den Kulturen auf der niedrigsten Stufe hin zu denen auf der höchsten. Evolutionisten wie Tylor und Spencer vertraten die Ansicht, dass sich alle Kulturen in die gleiche Richtung weiterentwickelten. Um etwa zu untersuchen, wie die früheren Stufen der europäischen Kultur funktioniert hatten, müsse man die Kulturen betrachten, die sich gegenwärtig auf einer niedrigeren Stufe befänden. Religionsethnologen dieser Zeit konstruierten ihren Gegenstand mit der Absicht, die Urgeschichte der eigenen Kultur zu untersuchen, allerdings nicht mit historischen, sondern mit ethnologischen Methoden. Tylor betonte immer wieder die Notwendigkeit, dass Ethnologen die Kulturen in den entlegensten Regionen erforschen sollten. Damit kritisierte er keineswegs die Unterdrückung der Völker, sondern verwies lediglich auf die Anpassung an die dominante europäische Kultur, die zum Verlust aller niedrigeren Kulturen führen werde. Seine Kritik richtete sich vor allem gegen Missionare, denen er vorwarf, mit den Schriften über ihre Missionsarbeit und über die Kulturen, bei denen sie meistens jahrelang lebten, ein verfälschendes Bild zu verbreiten.[2] Mit seiner Anklage gegen die Missionsschriften versuchte Tylor, den Weg für eine institutionalisierte Ethnologie zu ebnen, da er darauf bestand, dass nur ausgebildete Ethnologen die wirklichen Glaubensvorstellungen ermitteln könnten. Für Tylor war der Gegenstand der Religionsethnologie somit klar umrissen: Es ging um die Erforschung der Glaubensvorstellungen tribaler Völker, die sich auf einer niedrigen Entwicklungsstufe (erkennbar an ihrer materiellen Entwicklung) befanden. Tylor definierte Religion als den Glauben an spirituelle Wesen. Wenngleich er Religion lediglich als Survival früherer Entwicklungen betrachtete, als etwas das angesichts wissenschaftlicher Entdeckungen verschwinden würde, war es seiner Meinung nach dennoch wichtig, die Glaubensvorstellungen zu erforschen. Animismus, für Tylor die Religion auf der untersten Stufe der menschlichen Entwicklung, sei die erste bedeutende Theorie, die Menschen entwickelt hätten, und bis heute würden Reste davon in Europa verbreitet sein.[3] Auch wenn auf dem europäischen Kontinent die Ethnologie anfangs einen anderen Weg beschritten hat, wie ich im nächsten Kapitel ausführen werde, wurde auch hier der Gegenstand der Religionsethnologie ähnlich definiert. Religionsethnologen grenzten sich von Anfang an von Nachbardisziplinen ab, die sich auch mit Glaubenssystemen beschäftigen (vor allem von der Theologie) und plädierten für einen nachdrücklich „wissenschaftlichen“ (d. h. naturwissenschaftlichen) Ansatz. Sogar Wilhelm Schmidt (1868–1954), Priester des Missionsordens Societas Verbi Divini, betonte als Ethnologe stets die empirische Ausrichtung des Faches. Er widersprach der Übertragung des Evolutionismus auf menschliche Kulturen und versuchte mittels einer kulturhistorischen Methode, den Urmonotheismus empirisch nachzuweisen. Religion war für Schmidt in erster Linie Gottesglaube, den er als „Anerkennung eines oder mehrerer persönlicher über die irdischen und zeitlichen Verhältnisse herausragender Wesen“ beschrieb (Schmidt 1926: 5). Wie Tylor ging es auch Schmidt in der Forschung darum, die Vorstellungen der so genannten Wildbeuter- und Erntevölker, der Sammler und Jäger und der einfachen Bauern, die außerhalb Europas lebten, zu erkunden. Diese Ausgangshaltung kennzeichnete die Ethnologie jahrzehntelang. Obwohl sich die Definitionen änderten, und Religion anhand anderer Kennzeichen definiert wurde, blieb der Gegenstand ähnlich fernab der eigenen Lebenswelt. Claude Lévi-Strauss beschrieb in seinem berühmten Buch Traurige Tropen sehr deutlich den Schmerz angesichts des Verlusts der „kleinen“ Kulturen im Amazonasgebiet, ein Gefühl, das viele Religionsethnologen teilten.  

Im Bestreben, den Gegenstand der Forschung eindeutig zu definieren, wurden verschiedene Wege beschritten. Viele Definitionen – wie auch Tylors Version – enthielten dabei eine unlogische Verkettung, denn eine Definition kann nicht auf einer Kategorie basieren, die ebenfalls eine Definition benötigt. In Tylors Fall bleibt die Definition von Religion ohne eine vorherige Definition von spirituellen Wesen unverständlich. Bei der Definition von Émile Durkheim (1858–1917) und auch anderen Kollegen ist das Adjektiv sakral bzw. heilig das entscheidende Wort, das eine eigene Definition benötigt. So ist Religion nach Durkheim ein vereinigendes Glaubenssystem von Praktiken, die in einem Verhältnis zu sakralen Dingen stehen, zu Dingen, die abgesondert sind. Spätere Studien haben aber deutlich gezeigt, dass in vielen Kulturen Religion keineswegs abgesondert ist, und dass damit eine Trennung in sakral und profan ebenfalls ein Konstrukt der europäischen Denkweisen ist. Obgleich Durkheim Tylors Vorgehensweise kritisierte und dessen substantielle Definition (eine Definition mit Bezug auf die Substanz des Glaubens) ablehnte, verschob er mit seiner Definition das Problem lediglich auf eine andere begriffliche Ebene: er ersetzte Religion durch sakral. Dennoch brachte Durkheim eine wichtige Neuerung in die Debatte, indem er Religion als soziales Faktum betrachtete, das Menschen zu einer Gemeinschaft verbindet. Er sah somit in der Funktion von Religion den zentralen Gegenstand unserer Forschung und verschob damit die Perspektive von substantiell zu funktional (siehe auch Hock 2006: 14, 16). Auch wenn seine Definition aufgrund des Verweises auf sakral Religion sui generis definiert, d. h. Religion für sich genommen betrachtet, gehören seine Arbeiten doch zu der anderen Kategorie von Definitionen, die Religion als Kennzeichen eines differenzierten Sets eines Phänomens (mit Ideen, Ritualen, Erfahrungen, Praktiken etc.) betrachten.  

 

Als Meisterleistung in dieser Kategorie gilt bis heute die Definition von Clifford Geertz (1926–2006), der Religion als kulturelles System fest in der Ethnologie verankerte. Geertz definiert Religion in einem 1966 erstmals erschienenen Aufsatz als  

„(1) ein Symbolsystem, das darauf zielt, (2) starke, umfassende und dauerhafte Stimmungen und Motivationen in den Menschen zu schaffen, (3) indem es Vorstellungen einer allgemeinen Seinsordnung formuliert, und (4) diese Vorstellungen mit einer solchen Aura von Faktizität umgibt, dass (5) die Stimmungen und Motivationen völlig der Wirklichkeit zu entsprechen scheinen“ (Geertz 1991: 48).  

Geertz folgt somit einem symbolistischen Ansatz, der das untersucht, was Religion repräsentiert. Er definiert den Begriff in Beziehung auf zwei seiner Aspekte: Ethos und Weltauffassung, was auch seine Arbeit über den Islam (Islam Observed, 1968) verdeutlicht. Er zeigt darin, wie religiöses Verhalten (ausgedrückt im Ethos) mit religiösen Glaubensvorstellungen (ausgedrückt in der Weltauffassung) zusammenkommt. Hier liegt, wie Dan Merkur schreibt, ein besonderer Bereich der Religionsforschung vor, da jede religiöse Person im Spannungsbereich zwischen Ethos und Weltbild lebt, d. h. im Spannungsbereich zwischen dem, wie jemand lebt, und dem, wie jemand nach den religiösen Vorstellungen leben sollte. Jede Beschreibung einer lebenden Religion muss diese Spannung einfangen (Merkur 1998: 81).  

Talal Asad, Vertreter der postkolonialen Religionsethnologie, geht einen anderen Weg in seiner Kritik an Geertz und dessen Definition und beanstandet vor allem dessen Methode. Geertz beschreibt beispielsweise das Vorgehen der Religionsethnologie anhand zweier Stufen: „erstens eine Erforschung der Bedeutungssysteme, wie sie sich in den Symbolen materialisieren, die die eigentliche Religion ausmachen; und zweitens das Inbeziehungsetzen dieser Systeme mit soziokulturellen und psychologischen Prozessen“ (1991: 94). Wie Asad kritisiert, können wir aber religiöse Symbole nicht von nichtreligiösen Symbolen trennen, weil religiöse Symbole gar nicht unabhängig von ihren historischen Beziehungen zu nichtreligiösen Symbolen oder zu anderen Artikulationen des sozialen Lebens verstehbar sind; religiöse Symbole können somit nicht von Machtfragen abgelöst verstanden werden (Asad 1993: 53). Obwohl Asad an dieser Stelle Geertz kritisiert, weist seine Kritik auf einen zentralen Aspekt aller Definitionen von Religion hin. Asad fragt beispielsweise: Wenn religiöse Symbole als Träger von Bedeutung betrachtet werden, kann dann solch eine Bedeutung unabhängig von der Lebensweise etabliert werden? Oder einfacher formuliert: Ist es möglich, religiöse Symbole zu verstehen, ohne sie in Bezug zum Alltag der Gläubigen zu setzen? Religion ist, wie Asad in seinem Buch deutlich darstellt, eine historische Kategorie, die im Westen entstand, nun aber als universelle Kategorie verwendet wurde und wird. Ethnologen wie Geertz, die Religion als abstraktes und universelles System betrachten, vergessen laut Asad, dass Religion mit der christlich-europäischen Geschichte verbunden ist und daher übertragen auf andere Kontexte keine Bedeutung hat.[4]  

Definition an sich ist ein historisches Produkt bestimmter diskursiver Prozesse (Asad 1993: 29) und deshalb nur bedingt auf andere Kontexte übertragbar, wie sich in der Religionsethnologie immer wieder zeigt. Nicht nur bei der Definition von Religion, sondern auch bei speziellen Phänomenen werden wir mit diesem Problem der diskursiven Machtposition konfrontiert. Totemismus oder Schamanismus sind beispielsweise Konzepte bestimmter Kulturen, die im Verlauf der Wissenschaftsentwicklung abstrahiert, generalisiert und dann auf andere Kulturen übertragen wurden. Sie wurden dadurch mit bestimmten Bedeutungen versehen, die nicht in allen Kontexten einen Sinn haben, aber dennoch weiterhin verwendet werden, da ihre Bedeutung normativ wurde. Religionen und religiöse Phänomene sollten aber stets im historischen und kulturellen Kontext untersucht und behandelt werden und nicht als normative Kategorie.  

Was ist also der Gegenstand der Religionsethnologie heute, wenn wir Religion nicht als westliche Kategorie auffassen sollen? Viele Definitionen wurden kritisiert, weil sie zu weit gefasst seien und sogar profane Weltanschauungen wie Marxismus und Kapitalismus einbeziehen würden. Andere wurden kritisiert, weil sie sich zu eng an den monotheistischen Religionen orientieren und nicht-theistische Systeme ausschließen. Es ist nicht möglich, eine Religionsdefinition zu finden, die von allen akzeptiert wird. Und das ist in der Religionsethnologie auch gar nicht notwendig. Außerhalb der Wissenschaft verlangen bestimmte gesellschaftliche Notwendigkeiten, dass Religion eine normative Kategorie wird. Wenn beispielsweise ein Gesetz einer Landesverfassung das Wort Religion enthält, muss dieses auch klar definiert sein. Das sind aber lediglich Zweckdefinitionen, die in einem bestimmten Kontext ihre Bedeutung erhalten. Die religionsethnologische Forschung arbeitet anders.  

Karen McCarthy Brown veröffentlichte 1991 die Biografie einer haitianischen Vodou-Priesterin in Brooklyn, der sie den Namen Mama Lola gab (auch gleichzeitig der Titel des Buches).[5] Ich habe beide Frauen 1999 in New York kennengelernt und war von ihnen sehr beeindruckt. Brown beschreibt in dieser Monografie wie auch in ihren weiteren zahlreichen Veröffentlichungen ein System von Glaubensvorstellungen und Praktiken, so wie es ihr von einer bestimmten Priesterin erklärt, gelehrt und auch gezeigt wurde. Mama Lola (ich verwende weiterhin ihr Pseudonym, obgleich ihr richtiger Name in New York seit langem allseits bekannt ist) bezeichnet sich allerdings als Katholikin, denn es ist für sie kein Widerspruch, etwas zu sein und etwas anderes zu praktizieren. Der Katholizismus ist in Haiti ein Teil von Vodou, wenngleich das Hotel in Benin von einem katholischen Priester exorziert wurde, nachdem Mama Lola sich dort während eines Kongresses einige Tage aufgehalten hatte (so wurde mir berichtet). Das Buch basiert auf der Beziehung zwischen den beiden Frauen und auf der Offenheit, die zwischen ihnen herrscht. Brown beschreibt einfühlsam eine faszinierende Frau, kein schier übernatürliches Wesen wie eine Heilige, sondern eine lebendige Person mit einer ambivalenten Vergangenheit und Charakterfehlern. Vodou wird dadurch zu einem sehr persönlichen Glaubenssystem. Indem Brown die diversen Aufgaben und Praktiken der Priesterin beschreibt und sie auf ihren Reisen nach Haiti begleitet, wird gleichzeitig deutlich, dass es sich hierbei auch um eine Migrationsgeschichte und somit um ein Porträt der haitianischen Diaspora handelt. James Clifford bezeichnet die Arbeit als Paradebeispiel der neuen ethnologischen Methode. Er beschreibt diese Forschung als multiply located, vielfach verortet, da die ethnografische Arbeit nicht allein an einem Ort, sondern vielmehr innerhalb einer zwischenmenschlichen Beziehung lokalisiert ist. Browns Feldforschung umfasste Beobachtungen, Gespräche und Unterweisungen, aber vor allem entstand sie auf der Basis der Freundschaft zu der Priesterin (Clifford 1997: 189). Bei dieser Form von Forschung ist die Frage, was denn nun Religion sei, bedeutungslos. Gegenstand der neuen Religionsethnologie sind Systeme von Glaubensvorstellungen und Praktiken, die eine Bedeutung für eine bestimmte Gruppe, in einem bestimmten historischen und kulturellen Kontext haben.  

Folglich schließt die Religionsethnologie heute keine Glaubensvorstellungen mehr aus. Evans-Pritchard hatte 1965 noch geklagt, dass Kollegen einiger Nachbardisziplinen – er führte Theologen, Klassische Altertumswissenschaftler, Judaistiker und Religionswissenschaftler an – die so genannten Naturreligionen als unwichtig erachten und auf Ethnologen herabsehen, da „wir keine schriftlichen Überlieferungen haben“ (1981: 34). Er begrenzte somit die Religionsethnologie auf das Studium schriftloser Völker, während so genannte Offenbarungsreligionen in das Aufgabengebiet anderer Fächer fielen, wobei er allerdings festhielt, dass „die Voraussetzung zum Verständnis des Wesens der Offenbarungsreligionen das Verständnis der sogenannten Naturreligionen ist“ (1981: 33). Dieser Gegensatz gilt nicht mehr, lediglich der Ansatz ist unterschiedlich. Richard Gombrich beispielsweise, Professor Emeritus für Sanskrit an der University of Oxford, bezeichnet sich mitunter auch als Ethnologe, vor allem wenn er über den sri-lankischen Buddhismus spricht, denn dann analysiert er nicht mehr Sanskrit-Texte, sondern spricht über die Praktiken in einem Kloster in Sri Lanka, die er beobachten und studieren konnte. Während er als Indologe Texte studiert und textkritisch arbeitet, wendet er als Ethnologe ethnografische Methoden an, vor allem Interviews und teilnehmende Beobachtung unter den Gläubigen in Sri Lanka. Ein anderes Buch, das die Religionsethnologie ebenfalls sehr bereichert hat, ist die Publikation von Lynn Bennett über Hindu-Frauen in Nepal (1983). Es ist, wie David Gellner in einem Review-Artikel lobt, ein bereits klassisches Buch über den Göttin-Kult und dessen Bedeutung für Frauen, das mit einer ethnografischen Methode Hinduismus darstellt (Gellner 2004). Wie in Islam Observed von Geertz geht es in diesem Buch von Bennett nicht um die Darstellung der zentralen Dogmen des Hinduismus oder der Religionsgeschichte. Vielmehr stehen die Bewohner eines Dorfes, in dem sie gelebt hat, im Mittelpunkt. Es geht im weiteren Verlauf des Buches um individuelle Frauen dieses Dorfes und ihre sozialen Rollen. Bennett beschreibt sehr deutlich, dass es nicht möglich ist, die Frauen abgelöst von der Hindu-Kultur zu verstehen, so dass sie in den ersten Kapiteln zuerst den Rahmen behandelt und die Hindu-Kultur vorstellt. Ausgangspunkt ist ihre eigene Position in Nepal, denn sie schrieb ihre Monografie auf der Basis einer zehn Jahre langen Vertrautheit mit den Dorfbewohnern. Obgleich das Buch noch nicht von den postkolonialen Studien späterer Jahre beeinflusst ist, deutet sich hier bereits ein Wechsel in der religionsethnologischen Forschung an, auf den ich später, im Kapitel über die Bedeutung der Feldforschung, noch genauer eingehen werde. Bennett präsentiert den Hinduismus durch die Perspektive der Frauen und verdeutlicht, wie stark ihre sozialen Rollen durch den Hinduismus geprägt sind und wie stark der Kult einer Göttin sie beeinflusst.  

Heute ist eine solche Verfahrensweise zwar noch nicht Standard, wird aber doch immer üblicher.[6] Ethnologen untersuchen Glaubenssysteme und deren Praktiken, um etwas über die Kultur und die sozialen Rollen der Kulturträger zu lernen. Das ist das Besondere an religionsethnologischer Forschung: die Untersuchung von Einzelfällen und von Beziehungen innerhalb neuer, globaler Zusammenhänge. Der Gegenstand der Religionsethnologie sind heute somit schon lange nicht mehr ausschließlich indigene oder autochthone Religionen (Kohl 1988). Heute geht es um religiöse Praktiken und Glaubenssysteme und die Art und Weise, wie sie Kulturen und Menschen prägen und verändern, sei es in Hermannsburg in Australien, in Yogyakarta in Indonesien oder in Brooklyn in New York. Eine Frage allerdings sollte nicht in der Religions-ethnologie beantwortet werden: Die Frage nach der Wahrheit. Raymond Firth weist uns in diesem Punkt den Weg:  

“To a humanist such as myself, religion is not a set of truths about the divine or transcendent. The idea of revelation from on high is an illusion – every religion has its own different revelation. But to me as an anthropologist, each religion, even that which may appear to be intellectually not very sophisticated, contains some explanatory ideas about the world, some rituals as guides to conduct, serving as patterns for human relationships. Therefore I would argue that there is a truth in every religion” (Firth 2004: 215). 

Empfehlenswerte religionsethnologische Monografien

Es handelt sich bei dieser Liste erneut um eine sehr persönliche Auswahl. Es ist heute nicht mehr möglich, einen Überblick über alle Neuerscheinungen zu bewahren. Die Liste enthält daher neben einigen klassischen religionsethnologischen Werken neue Studien, auf die ich in den letzten Jahren aufmerksam wurde oder auf die ich von Kollegen und Freunden aufmerksam gemacht wurde.

 

Allen, Catherine J. 2003 (1988). The Hold Life Has: Coca and Cultural identity in an Andean Community. Washington/London: Smithsonian Institution.

Es handelt sich hierbei um eine ethnografisch sehr detailgenaue Studie eines Dorfes im Hochland Perus, die deutlich die Verbindung zwischen Ritualen und Identität und Dorfzusammenhalt illustriert. Religion wird hier nicht als abstraktes System vorgestellt, vielmehr beschreibt die Autorin Rituale, die eine zentrale Bedeutung für die Runa-Identität in Peru haben.

 

Behrend, Heike. 1993. Alice und die Geister. Krieg im Norden Ugandas. München: Trickster.

Im Mittelpunkt steht eine religiöse Bewegung, die 1986 in Uganda aktiv in den Bürgerkrieg eingriff. Auslöser war eine junge Frau, die auf Befehl des christlichen Heiligen Geistes zu agieren vorgab. In dem Buch werden neben der Vorstellung der Bewegung vor allem deren Verwobenheit mit dem Krieg besprochen. Es ist somit insgesamt eine ungewöhnliche und gleichzeitig überaus aktuelle religionsethnologische Studie.

 

Bennett, Lynn. 1983. Dangerous Wives and Sacred Sisters. Social and Symbolic Roles of High-Caste Women in Nepal. New York: Columbia University Press.

Diese ethnografisch sehr detaillierte Studie über Hindu-Frauen in einem Dorf in Nepal beinhaltet eine interessante Mythen- und Symbolanalyse sowie eine verwandtschaftsethnologische Studie, und ist somit für verschiedene ethnologische Bereiche geeignet.

 

Brown, Karen McCarthy. 2001 (1991). Mama Lola: A Vodou Priestess in Brooklyn. Updates and Expanded Edition. (Comparative Studies in Religion and Society; 4) Berkeley/Los Angeles: University of California Press [2000 bei der Europäischen Verlagsanstalt auf Deutsch erschienen].

Diese Biografie einer Vodou-Priesterin bietet einen interessanten und überaus persönlichen Einblick in den haitianischen Vodou. Obwohl nicht die Religion an sich dargestellt wird und andere Bücher zu Vodou hinzugezogen werden sollten, ist dies ein sehr gutes Beispiel einer religionsethnologischen Studie und sehr zu empfehlen.

 

Capone, Stefania. 1999. La quête de l’Afrique dans le candomblé. Pouvoir et tradition au Brésil. Paris: Karthala [erscheint 2009 auf Englisch unter dem Titel: Searching for Africa in Brazil. Power and tradition in Candomblé].

Capone, Stefania. 2005. Les Yoruba du Nouveau Monde. Religion, ethnicité et nationalisme noir aux États-Unis. Paris: Karthala.

Die Autorin präsentiert in ihrem ersten Buch eine eindrucksvolle Beschreibung der afrobrasilianischen Religion Nagô-Candomblé und diskutiert darin u. a. die Frage nach Authentizität und Originalität. In ihrem zweiten Buch folgt sie dann der Religion und beschäftigt sich mit der Ausbreitung der von Yoruba abstammenden Religion in den USA. Beide Bücher bieten eine eindrucksvolle Einsicht in die Dynamik afroamerikanischer Religionen.

 

Geertz, Clifford. 1960. The Religion of Java. Illinois: The Free Press of Glencoe.

Geertz, Clifford. 1968. Islam observed: Religious Development in Morocco and Indonesia. New Haven/London: Yale University Press, [auf Deutsch 1988 unter dem Titel Religiöse Entwicklungen im Islam. Beobachtet in Marokko und Indonesien erschienen].

Wenngleich Geertz vor allem mit seinen theoretischen Werken berühmt wurde, sollten seine religionsethnologischen Monografien nicht ganz ignoriert werden, da sich hier einige seiner theoretischen Konzepte andeuten, allerdings auch einige der Schwachstellen. Im Unterschied zu vielen seiner Zeitgenossen beschrieb Geertz bereits in den 1960er Jahren die Vielfalt religiöser Erscheinungen, beispielsweise in seiner Monografie über Java.

 

Khan, Aisha. 2004. Callaloo Nation: Metaphors of Race and Religious Identity among South Asians in Trinidad. Durham/London: Duke University Press.

Auch dieses Buch ist keine übliche Religionsstudie, d. h. es bietet keine Einführung in den Hinduismus an. Dennoch ist es eine faszinierende Untersuchung, die die Verwobenheit von Religion, Kultur und Identität zeigt. Fallbeispiel sind Hindus in Trinidad. Das Buch bietet daneben auch einen guten Einblick in die angloamerikanische kulturtheoretische Debatte.

 

Kohl, Karl-Heinz. 1998. Der Tod der Reisjungfrau: Mythen, Kulte und Allianzen in einer ostindonesischen Lokalkultur. (Religionsethnologische Studien des Frobenius-Instituts Frankfurt am Main, 1) Stuttgart: Kohlhammer.

Es handelt sich bei dieser religionsethnologischen Monografie um eine klassische Mythenanalyse, welche die Vielfalt der individuellen Sichtweisen auf Mythen widerspiegelt. Gleichzeitig wird auch die Veränderung in Mytheninterpretationen deutlich, indem die Arbeit die Wandelbarkeit indigener Religionen illustriert.

 

Rodriguez Toulis, Nicole. 1997. Believing Identity: Pentecostalism and the Mediation of Jamaican Ethnicity and Gender in England. Oxford: Berg.

Ausgehend von der These, dass vor allem Frauen von der Pfingstbewegung angezogen werden, untersucht die Autorin die Beziehung zwischen Pfingstbewegung und Identitätskonstruktionen bei jamaikanischen Einwanderinnen in Birmingham. Es ist eine interessante und sehr detailliert beschreibende Studie, die die Pfingstbewegung als einflussreiches Forum für die Ausbildung von Identität darstellt.

 

Schlehe, Judith. 1998. Die Meereskönigin des Südens, Ratu Kidul. Geisterpolitik im javanischen Alltag. Berlin: Dietrich Reimer Verlag.

Diese Monografie bietet eine detaillierte Einführung in den Kult der indonesischen Meeresgöttin. Das Buch folgt zum einen den klassischen ethnologischen Traditionen einer Ethnografie und beschreibt Java anhand der üblichen Details. Daneben werden allerdings auch verschiedene Querverbindungen und Interpretation angeboten, die religionsethnologisch überaus spannend und wegweisend sind.

 

Turner, Victor W. 1996 (1957). Schism and Continuity in an African Society. A Study of Ndembu Village Life. (Classic Reprints in Anthropology) Oxford/Washington: Berg.

Turner, Victor W. 1968. The Drums of Affliction: A Study of Religious Processes among the Ndembu of Zambia. Oxford: Clarendon Press.

Turner, Victor W. 1982 (1970). The Forest of Symbols: Aspects of Ndembu Ritual. Ithaca: Cornell University Press.

Obgleich heute hauptsächlich seine ritualtheoretischen Werke gelesen werden, sind auch seine klassischen Monografien zu den Ndembu wichtige religionsethnologische Werke, die einen interessanten Einblick in die britische Religionsforschung bieten.

Geschichte der Religionsethnologie

Wie bereits in dem vorherigen Kapitel deutlich wurde, ist es wichtig zu wissen, wie unsere Paradigmen entwickelt wurden, wer das Fach geprägt und verändert hat. In diesem Kapitel werde ich aus diesem Grund einen Überblick über die Wissenschaftsgeschichte der Religionsethnologie geben und die Veränderungen des Faches erläutern. Ich habe mich für eine Unterteilung in historische Phasen entschieden, obwohl die Zuordnung bestimmter Autoren mitunter sehr schwierig war.[7] Bevor ich beginne, möchte ich noch eine Randbemerkung einfügen: In den ersten Abschnitten werden ausschließlich Männer vorgestellt. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts treten Frauen als Vertreterinnen einer neuen Religionsethnologie in Erscheinung. Ein bekanntes Beispiel ist Jane Harrison, deren Werke zur griechischen Religion (siehe z. B. Prolegomena to the Study of Greek Religion, 1903) wegweisend waren, leider aber nur geringen Einfluss auf die institutionelle Entwicklung der Religionsethnologie hatten. Frauen wurde die universitäre Erziehung lange untersagt, und sie wurden oft nur am Rand der Wissenschaften geduldet. Daher fehlen sie in den meisten wissenschaftshistorischen Überblicken, leider auch in meinem. Erst im zweiten Teil des Buches, in dem ich Themen der Religionsethnologie vorstelle, wird dieses Manko behoben. Die heutige ethnologische Forschung wird von Ethnologen und Ethnologinnen gleichermaßen bereichert.  

Die Anfänge der Religionsethnologie

Wenngleich die Ethnologie stolz auf ältere Vorläufer aus der Philosophie, Geschichtswissenschaft, Theologie und Linguistik verweisen kann, beginnt mein Überblick Ende des 19. Jahrhunderts, d. h. mit der Zeit, in der die Ethnologie ihre universitären Weihen erhielt und ein Studienfach wurde. Bereits in dieser frühen Phase bildeten sich erste Differenzen zwischen einer kulturwissenschaftlichen und einer sozialwissenschaftlichen Ausrichtung heraus, die allerdings keineswegs nationale Schulen charakterisierten. Sowohl an angelsächsischen als auch an kontinental-europäischen Universitäten war die Ausrichtung, in die sich die Ethnologie einmal entwickeln sollte, keineswegs vorbestimmt; vielmehr wurden sehr unterschiedliche Ansätze diskutiert, umworben und zurückgewiesen. Auch wenn wir heute die britische Schule als sozialanthropologisch kennzeichnen, kann der erste Lehrstuhlinhaber an einer britischen Universität, Edward Burnett Tylor, eher zur kulturanthropologischen Tradition gezählt werden. Ebenso gehörten einige einflussreiche deutsche Vertreter, wie beispielsweise Fritz Gräbner, zu Beginn der Ethnologie einer sozialanthropologischen Tradition an. Gerade in der ersten Phase war die Ethnologie ein überaus interdisziplinäres Arbeitsfeld, in der die unterschiedlichsten Ansätze aus den verschiedensten Disziplinen diskutiert wurden. Das lag vor allem an den unterschiedlichen Ausbildungen, mit denen die ersten hauptberuflichen Ethnologen an die Ethnologie herankamen. So waren Ansätze aus den Sprachwissenschaften, Geschichtswissenschaften und der Theologie vertreten bis hin zu Wirtschaftswissenschaften und Rechtswissenschaften. Diese Vielfalt bereicherte auch die Erforschung der Religion innerhalb der Ethnologie. Die ersten Ethnologen an den europäischen Universitäten hatten alle etwas gemeinsam. Sie kämpften mit unterschiedlichen Ansätzen um die Anerkennung des neuen Faches als Wissenschaft. Dabei wurde Wissenschaft in der Tradition der Aufklärung verstanden. Es ging um Vernunft, Regelwerke und objektiv-distanzierte Methoden. Meistens galten die Naturwissenschaften als Paradebeispiel, dem sich die Ethnologie annähern sollte.[8] Obwohl einige Ethnologen eher für eine historische Richtung plädierten, befürworteten auch sie eine sachliche Ausrichtung und sammelten mehr Materielles als Ideelles. Objekte wurden als vermessbar und daher vergleichbar angesehen, während Ideen schwer zu fassen waren, vor allem religiöse Ideen. Spekulation wurde zum Schimpfwort, denn Ethnologie sollte ja gerade aus dem „Bereich der Spekulation“ (Evans-Pritchard) befreit und in den Bereich der logischen Wissenschaft überführt werden. Dass Bedarf an der Ethnologie bestand, war keine Frage, denn es war die Zeit einer veränderten Kolonialpolitik. Statt Eroberung stand nun Kontrolle und Inbesitznahme im Mittelpunkt, und folglich wurde korrektes Wissen über die fremden Kulturen wichtig. Reisende, Kolonialbeamte und Missionare begannen im 18. Jahrhundert mit wachsendem Erfolg, ihre Beobachtungen zu veröffentlichen. Nun benötigte man Spezialisten, um diese Informationen zu interpretieren. Gleichzeitig setzte sich der Darwinismus nicht nur in den Naturwissenschaften, sondern auch in den Humanwissenschaften als zentrale Ideologie durch. Nachdem europäische Intellektuelle lange davon überzeugt waren, dass es keine Verbindung zwischen den europäischen Kulturen und den nichteuropäischen gab, und dass letztere degeneriert waren und keinerlei Religion besaßen, wurden sie durch den Sozialevolutionismus plötzlich zu den Ahnen europäischer Kulturen erhoben.  

 

Herbert Spencer (1820–1903) war einer der ersten, der die Idee der menschlichen Evolution, die Charles Darwin (1809–1882) in seinem Buch The Descent of Man (1871) verkündete, zu einer Theorie der sozialen Evolution (bzw. Sozialdarwinismus) ausbaute. In seinem mehrbändigen Werk The Principles of Sociology (1876–1896) vertrat Spencer die Idee einer einheitlichen, universellen Evolution aller Menschen, getragen von der Vorstellung, dass nur der Beste überlebt (survival of the fittest). Er schrieb, dass alle Dinge, beseelte und unbeseelte, sich von einfachen Formen hin zu komplexeren entwickelten, von homogen zu heterogen. Im Unterschied zu den meisten seiner Zeitgenossen sah Spencer alle Menschen mit Vernunft ausgestattet, lediglich ihre Technologien seien unterschiedlich gut entwickelt. Da somit alle Kulturen die gleiche Entwicklung durchlaufen, sei es auch möglich, den Ursprung der Religion zu ermitteln – nach Spencer war der Ahnenkult die erste religiöse Idee überhaupt, d. h. der Ursprung von Religion. Er sah den Beginn im Geisterglauben: Träume von Verstorbenen suggerieren zwar eine Seele, die unabhängig vom Körper nach dessen Tod existiert, dennoch entwickelte sich der Glaube an übernatürliche Wesen erst auf der Basis der weltweit verbreiteten Vorstellung eines Geistes. Aus der Vorstellung von Geistern entstand dann die Vorstellung von Göttern, d. h. die Geister wichtiger Ahnen werden zu Gottheiten.  

Edward Burnett Tylor (1832–1917), der sich dem Sozialevolutionismus begeistert anschloss, widersprach der Idee vom Ahnenkult als Ursprung der Religion. Stattdessen sah er die Vorstellung von Seelen, den Animismus als Ursprung von Religion an. Analog zu Darwins Entwicklungsstadien entwickelte Tylor ein Schema von der Evolution der Religion, in der dem Animismus der Polytheismus und diesem der Monotheismus folgte. Tylor gilt als einer der wichtigsten Gründerväter der Ethnologie, wobei vor allem auf seine grundlegenden Werke, Researches into the Early History of Mankind and the Development of Civilization (1865) und Primitive Culture (1871, in zwei Bänden, auf Deutsch 1873), verwiesen wird. 1884 erhielt er dafür den ersten Lehrstuhl für Ethnologie an einer britischen Universität (in Oxford). Tylor hat selbst keinerlei universitäre Ausbildung genossen, da er als Quäker von jeglicher Universität ausgeschlossen war (Bowie 2006: 13). Aus gesundheitlichen Gründen reiste er nach Mexiko und in die USA und kam, wie Bowie schreibt, fasziniert vom Leben der indigenen Bevölkerung zurück. Daraufhin begann er, seine Beobachtungen und die anderer Reisender zu systematisieren und seine Theorien zu entwickeln. Angeregt durch seine Arbeiten stieg die Zahl ethnologischer Studien vor allem im britischen Kolonialreich, aber auch in anderen Regionen, in die europäische Kolonialmächte vordrangen. Wie Spencer vertrat Tylor die Theorie einer einheitlichen progressiven Entwicklung menschlicher Kulturen. Die heutigen „Hochkulturen“ entsprangen nach seiner Ansicht einem Stadium, das den heutigen Kulturen entspricht, die in einem unteren Stadium der Entwicklung verblieben seien (von Tylor mit dem heute nicht mehr verwendeten Begriff „primitive Kulturen“ bezeichnet). Folglich sei es möglich, den Ursprung der europäischen Hochkultur anhand der unentwickelten, niedrigen Kulturen außerhalb Europas zu studieren. Er widersprach rigoros den Degeneristen und wollte, wie Benson Saler betont, deren diskriminierende Ansicht durch eine evolutionäre, progressive Perspektive auf die Entwicklung menschlicher Religiosität ersetzen (Saler 1997: 1). Sein Ziel war daher nicht, wie Tylor selbst schreibt, Religion in allen Einzelheiten zu beschreiben, sondern er wollte die große Lehre des Animismus, die er in den frühsten Stadien der menschlichen Entwicklung fand, aufzeigen und dabei nachweisen, wie sich der Animismus in den religiösen Ideen weiterentwickelte (Tylor 1871, Vol. 2: 445). Er konzentrierte sich dazu auf den Animismus und dessen Survivals in anderen, weiter entwickelten Kulturen. Der Animismus war für Tylor die erste große Theorie der menschlichen Geschichte, die so einflussreich und mächtig war, dass Teile des Animismus (als survivals) weiterbestünden, sogar innerhalb des Christentums. Wenngleich seine Idee einer psychischen Einheit der Menschheit heute allgemein abgelehnt wird, und seine Methodik sehr zweifelhaft ist (siehe Evans-Pritchards Vorwurf eines Ammenmärchens, 1981: 59), hat sein intellektualistischer Blick auf Religion als eine Methode, mit der Menschen ihre Welt mit einem Sinn versehen, die Religionsethnologie bereichert. Er vertrat die Meinung, dass Religionen, welche die Jäger und Sammler aufgrund ihrer Beobachtungen entwickelten, unzureichend bzw. sogar falsch seien, sie aber dennoch auf rationalen Überlegungen beruhten.  

 

Von Anfang an waren die Religionsethnologen von den australischen Religionen fasziniert. Die damaligen Forscher suchten nach der einfachsten Form von Religion, um so etwas über den Ursprung aller Religionen, auch der europäischen, zu entdecken. In den ersten Jahrzehnten der Religionsethnologie galten die Religionen der australischen Aborigines als kulturelle Erscheinungen, die auf einer frühen Stufe der menschlichen Entwicklung verblieben waren. Max Charlesworth vermerkt, dass die australischen Aborigines in der Auffassung der frühen Ethnologen zu paradigmatischen „Primitiven“ wurden, die in einer vor-religiösen Stufe der Magie statisch fixiert seien (1997: 58). Neben Tylor war James George Frazer (1854–1941) der einflussreichste Vertreter dieser Debatte. Er schrieb beispielsweise in seinem berühmten mehrbändigen Werk The Golden Bough (1890) über die Aborigines in Australien, dass sie die krudesten Wilden seien, über die wir „akkurate Informationen“ hätten. Sie würden Magie praktizieren, denn Religion sei ihnen noch unbekannt. Religion verbindet Frazer in diesem Zusammenhang mit der Vorstellung von höheren Mächten. Frazer war ein in Cambridge ausgebildeter Klassizist mit einer Vorliebe für die Ansammlung von Informationen über andere Kulturen, wie Bowie ihn beschreibt (2006: 13). Wie andere seiner Zeitgenossen auch durchforstete Frazer die stetig zunehmende ethnologische Literatur nach Beispielen, um seine Theorien zu illustrieren. Wie Evans-Pritchard schreibt, waren die Ethnologen dieser Zeit, obwohl sie auf Empirie beim Studium sozialer Institutionen bestanden, doch „nicht weniger dialektisch, spekulativ und dogmatisch als die Moralphilosophen des 18. Jahrhunderts“ (1981: 11). Der einzige methodische Unterschied war, dass sie ihre theoretischen Konstruktionen, wie beispielsweise die progressive Entwicklung von Religion in Stufen, mit Faktenmaterial zu belegen versuchten. Dafür sichteten sie eine schier unglaubliche Menge an Literatur, trugen so einen „großen Schatz an ethnologischen Details“ zusammen und systematisierten die Informationen. The Golden Bough