Einzelgänger, männlich - Geoffrey Household - E-Book

Einzelgänger, männlich E-Book

Geoffrey Household

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  • Herausgeber: Kein & Aber
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

Irgendwo in Europa Anfang der 30er-Jahre: Ein Jäger schleicht sich auf das Anwesen eines gefürchteten Diktators, legt an und zielt. Doch er wird entdeckt. Man foltert ihn, stürzt ihn von einem Felsen, es soll wie ein Unfall aussehen. Nur stirbt er nicht, sondern entkommt. Eine atemberaubende Menschenjagd beginnt. Er flieht durch feindliches Gebiet, entrinnt den Verfolgern, erreicht sogar seine Heimat. Aber Sicherheit gibt es für ihn nirgends mehr. Gehetzt von Geheimagenten, gejagt von der Polizei, verkriecht er sich schließlich wie ein verwundetes Tier in seinem selbst gegrabenen Bau, lauert, harrt aus. Wochen und Monate vergehen. Er kämpft gegen Kälte und Nässe, gegen den Hunger und gegen die Angst, bis es schließlich zu einem allerletzten Kampf kommt – dem Kampf auf Leben und Tod.

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Seitenzahl: 308

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INHALT

» Über den Autor

» Über das Buch

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» Impressum

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ÜBER DEN AUTOR

Geoffrey Household, 1900 geboren, wurde nach dem Studium in Oxford Bankier in Rumänien, bis es ihn langweilte und er nach Spanien fuhr, um Bananen zu verkaufen. Nach einem Abstecher in die USA reiste er nach Europa zurück und weiter nach Südamerika.

Seinem ersten Roman The Third Hour (1937) folgten eine Sammlung von Kurzgeschichten The Salvation of Pisco Gabar (1938) und 1939 sein berühmtester Roman Rogue Male (Einzelgänger, männlich). Von dessen großen Erfolg konnte Household jedoch nicht profitieren, da er als Geheimdienstoffizier nach Rumänien entsandt worden war. Er blieb bis 1945 im Nahen Osten und musste danach als Autor von vorn anfangen.

Einzelgänger, männlich wurde bisher zweimal verfilmt, 1941 als Man Hunt von Fritz Lang und 1976 als Rogue Male von Clive Donner. 2018 kommt eine neue Verfilmung mit Benedict Cumberbatch in die Kinos.

Geoffrey Household starb 1988.

ÜBER DAS BUCH

Er wagt es, einen gefürchteten Tyrannen ins Visier zu nehmen, wird erwischt und von einem Felsen gestürzt. Doch er überlebt. Es beginnt eine Flucht ohne Ende. Gehetzt von seinen Verfolgern verkriecht er sich schließlich in einen unterirdischen Bau, liegt dort Wochen auf der Lauer. Nur eins hält ihn am Leben: Rache.

»Der beste Verfolgungsthriller aller Zeiten.«

Radio Bremen

»Nach jedem Maßstab ein Meisterwerk.«

The Independent

»Schlicht die beste Flucht- und Verfolgungsstory, die je geschrieben wurde.«

The Times

 

»Das Verhalten eines Einzelgängers kann mit Fug als eigentümlich. bezeichnet werden, wobei die Trennung von den Artgenossen sowohl Schlauheit als auch Wildheit zu fördern scheint. Diese einsamen Tiere, von chronischen Schmerzen oder Witwerstand in Wut versetzt, treten bei allen größeren Fleisch- und Grasfressern gelegentlich auf, wobei es sich in der Regel um männliche Exemplare handelt, obwohl im Falle der Flusspferde auch die mutwillige Bösartigkeit alter Kühe nicht außer Acht gelassen werden darf.«

 

FÜR BEN

der das Gefühl kennt

 

Ich kann ihnen keinen Vorwurf machen. Schließlich braucht man ein Zielfernrohr nicht, um Keiler und Bären zu schießen; als sie mich also dabei ertappten, wie ich die Terrasse aus einer Entfernung von fünfhundertfünfzig Yards beobachtete, war es nur natürlich, dass sie voreilige Schlüsse ziehen würden. Und sie verhielten sich, meiner Ansicht nach, recht taktvoll. Ich bin kein augenfälliger Anarchist oder Fanatiker, und ich sehe auch nicht aus, als ob ich mich für Politik interessieren würde; vielleicht könnte ich einmal einen ländlichen Wahlbezirk in Südengland vertreten haben, aber das zählt kaum als Politik. Ich trug einen britischen Pass bei mir, und wäre ich dabei, wie ich auf das Haus zuging, und nicht, wie ich es beobachtete, erwischt worden, hätte man mich vermutlich zum Mittagessen eingeladen. Es war ein schwieriges Problem, das zornige Männer hier in einem Nachmittag zu lösen hatten.

Sie müssen sich gefragt haben, ob ich gewissermaßen in offiziellem Auftrag handelte; aber ich denke, dass sie diesen Verdacht fallen ließen. Keine Regierung – am allerwenigsten die unsrige – unterstützt politische Morde. Oder war ich ein Söldner? Das musste sehr unwahrscheinlich sein; jeder kann sehen, dass ich nicht der Typ des Racheengels bin. War ich also bar jeder verbrecherischen Absicht und genau das, was ich zu sein behauptete – ein Sportsmann, der der Versuchung nicht widerstehen konnte, sich an das Unmögliche heranzupirschen?

Nach zwei oder drei Stunden ihrer Fragen hatte ich sie aus der Fassung gebracht. Sie glaubten mir nicht, auch wenn sie allmählich zu begreifen begannen, dass ein gelangweilter und wohlhabender Engländer, der alles gewöhnliche Wild bereits gejagt hatte, durchaus einen perversen Genuss daran haben mochte, das mächtigste Großwild der Welt zu jagen. Aber selbst wenn meine Erklärung der Wahrheit entsprach und die Jagd eine bloße Formsache war, so machte das keinen Unterschied. Man durfte mich nicht am Leben lassen.

Inzwischen war ich natürlich recht übel zugerichtet worden. Meine Nägel wachsen allmählich nach, aber mein linkes Auge ist immer noch ziemlich unbrauchbar. Ich war kein Fall, den man mit ein paar Entschuldigungen gehen lassen konnte. Sie hätten mir vermutlich ein pittoreskes Begräbnis spendiert, mit Jägern, die Ehrensalven abfeuern und ins Horn stoßen, im Beisein aller Parteibonzen in vollem Putz, und einen Steinobelisken errichtet, zum Andenken an einen guten Sportskameraden. Auf solche Sachen verstehen sie sich.

In Tat und Wahrheit aber verpatzten sie die Sache. Sie brachten mich an den Rand einer Felswand und kippten mich hinüber, aber so, dass ich mich festklammern konnte. Das war gerissen. Das Krabbeln an dem rauen Fels würde – wenigstens annähernd – den Zustand meiner Finger erklären, wenn man mich fand. Ich hielt mich denn auch fest; wie lange, weiß ich nicht. Ich begreife nicht, weshalb ich nicht froh war zu sterben, in Anbetracht der Tatsache, dass ich nicht auf ein Überleben hoffen konnte, und je schneller das Ende, umso geringer die Leiden. Aber ich war nicht froh. Man hofft immer – wenn man das Festklammern am Leben Hoffnung nennen kann. Ich bin nicht zu zivilisiert, um den Einfluss jener Macht zu spüren, die das Kaninchen laufen lässt, wenn ein Wiesel hinter ihm her ist. Das Kaninchen hofft auf nichts, nehme ich an. Sein Verstand hat keine Vorstellung von der Zukunft. Aber es läuft. Und so hielt ich mich fest, bis ich abstürzte.

Ich zweifelte, ob ich gestorben war oder nicht. Ich habe immer geglaubt, dass das Bewusstsein den körperlichen Tod überdauert (obwohl ich keine Meinung darüber habe, wie lange das währt), und so dachte ich, dass ich wahrscheinlich tot sei. Ich war eine so verdammt lange Zeit gefallen; es schien jeder Vernunft zu widersprechen, dass ich noch am Leben sein könnte. Und da war auch ein fürchterlicher Augenblick von Schmerz gewesen. Ich hatte das Gefühl, als sei die hintere Partie meiner Oberschenkel sowie mein Gesäß weggeschoren, weggerissen, weggescheuert worden – jedenfalls weg, wie genau auch immer. Ich hatte mich, offensichtlich und unwiederbringlich, von einer ganzen Menge meiner lebenden Materie getrennt.

Mein zweiter Gedanke war eine Sehnsucht nach dem Tod, denn es war widerlich, mir vorzustellen, dass ich noch am Leben war mit der Beschaffenheit von Schlamm. Ich war umgeben von einer breiigen Substanz, in deren Mitte ich mein absurdes Bewusstsein aufrechterhielt. Ich hatte angenommen, dass dieser Sumpf ich selbst war; er schmeckte nach Blut. Dann kam mir in den Sinn, dass dieser weiche Auswuchs meines Körpers vielleicht tatsächlich Sumpf war; dass jede Substanz, in die ich hineinfiel, nach Blut schmecken würde.

Ich war in einen Flecken Marsch geklatscht; klein, aber tief. Jetzt denke ich, dass ich lebe – heute, genauer gesagt, denn ich zögere noch immer, mir selbst ein Leben von irgendwelcher Dauer zuzuschreiben; denn damals konnte ich weder sehen noch fühlen, wie viel Schaden mir zugefügt worden war. Es war dunkel, und mein Körper war ziemlich taub. Ich zerrte mich heraus an den Grasbüscheln, eine Schlammkreatur, vom Schlamm verbunden und verborgen. Eine Geröllhalde erhob sich schroff aus dem Marsch. Diese hatte ich offensichtlich bei meinem Sturz gestreift. Ich fühlte den Schmerz nicht mehr. Ich konnte mir einreden, dass ich nicht ernsthafter verletzt war als zu dem Zeitpunkt, da sie mich über die Klippe kippten; also beschloss ich, mich davonzumachen, bevor sie kamen, um meine Leiche zu finden.

Ich hatte, obwohl es mir damals nicht bewusst war, recht viel Zeit zur Verfügung; sie hatten keineswegs die Absicht, meine Leiche zu finden, bevor sie steif wäre und sie selbst ein paar unabhängige Zeugen dabei hätten. Der unglückliche Sportskamerad würde ganz zufällig entdeckt werden, ohne dass seine Leiche angerührt worden war, und die ganze Geschichte seines Schicksals wäre klar und deutlich an der garstigen Felswand abzulesen, an der er abgerutscht war.

Das Terrain am Fuße der Felswand war offenes Waldgelände. Ich erinnere mich an nichts mehr, außer dass es dünne Schatten und dicke Schatten gab. Das Bild in meiner Erinnerung ist so verschwommen, dass es Gehölze oder Wolken oder Wellen auf See hätten sein können. Ich kam etwa eine Meile weit, nehme ich an, und suchte mir dann eine dicke Finsternis, in der ich in Ohnmacht fallen konnte. Während der Nacht kam ich mehrere Male zu einer Art Bewusstsein, das ich dann jedoch entgleiten ließ. Ich wollte nicht vor Morgengrauen in diese schwierige Welt zurückkehren.

Als es hell war, versuchte ich, auf meinen Füßen zu stehen, aber das schaffte ich natürlich nicht. Ich unternahm keinen zweiten Versuch. Jede Muskelbewegung störte meine schöne Schlammpackung. Wo immer ein Stück Kruste abbröckelte, fing ich zu bluten an. Nein, den Schlamm würde ich gewiss nicht stören.

Ich wusste, wo es Wasser gab. Ich hatte den Bach nie gesehen, und meine Gewissheit bezüglich der Richtung, in der er lag, mag einer unterbewussten Erinnerung an die Landkarte zuzuschreiben sein. Aber ich wusste, wo Wasser war, und ich bewegte mich darauf zu. Ich robbte auf dem Bauch vorwärts, indem ich meine Ellbogen als Beine gebrauchte, und hinterließ eine Spur wie die eines verwundeten Krokodils, lauter Schleim und Blut. Ich hatte nicht vor, in den Bach hineinzugehen – um nichts in der Welt hätte ich diesen Schlamm abwaschen wollen; soviel ich wusste, war der Schlamm das Einzige, was meine Eingeweide im Leib zurückhielt – aber ich wollte ans Ufer gelangen.

Das waren die Überlegungen eines gehetzten Tieres; genauer gesagt, waren es gar keine Überlegungen. Ich weiß nicht, ob der Verstand eines sesshaften Stadtmenschen ebenso gearbeitet hätte. Ich denke schon, wenn er genügend schwer verletzt worden wäre. Man muss schwer verletzt sein, um jenen Grad des Erlöschens zu erreichen, bei dem man aufhört, darüber nachzudenken, was man tun sollte, und es nur noch tut.

Ich ließ die Spur so aussehen, als wäre ich in den Bach geflüchtet. Ich kroch ans Ufer, trank und machte kehrt an einer seichten Stelle, welche jedoch sichere zwei Zoll tief war, sodass alle Anzeichen meines Herumwälzens weggespült würden. Sie würden mich bis zu dem Dickicht verfolgen können, wo ich mich die Nacht über verborgen hatte, und von dort bis zum Wasser. Wohin ich gegangen war, nachdem ich das Wasser verlassen hatte, würden sie erraten müssen.

Ich selbst hatte keinen Zweifel, wohin ich gehen würde, und meine Entscheidung muss meinen nützlichen Ahnen gutgeschrieben werden. Ein Reh würde flussaufwärts oder flussabwärts traben und das Wasser an einer Stelle verlassen, die des Jägers Nase oder Augen erkennen konnten. Ein Affe würde nichts dergleichen tun; er würde seine Spuren verwischen und in eine dritte Dimension entschwinden.

Nachdem ich in der Untiefe gewendet hatte, wand ich mich wieder zurück – immer weiter zurück entlang der verdammten Schlangenspur, die ich gemacht hatte. Es war leicht, ihr zu folgen; tatsächlich wirkte sie so eindeutig wie ein Feldweg, denn mein Gesicht schwebte bloß sechs Zoll über dem Boden. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, wundere ich mich, dass sie, als sie mich zum Bach verfolgten, nicht bemerkten, dass einige Grashalme in die falsche Richtung geknickt waren und dass ich demnach auf meiner Spur zurückgegangen sein musste. Aber wer zum Teufel sollte daran schon denken? Es gibt keine Regeln darüber, welche Art von Abdruck ein Mensch hinterlässt, wenn er seinen Leib dem Boden nach schleppt – und bei einer derart monströsen Fährte schien es unnötig, auf Einzelheiten zu achten.

Der Hinweg hatte mich unter einem Lärchenbestand hindurchgeführt, wo die Erde weich und frei von Unterholz war. Ich hatte den Stamm eines Baumes gestreift, den ich nun zu erklimmen gedachte. Der unterste Ast war knapp zwei Fuß über dem Boden; darüber war noch einer und noch einer, süß duftende schwarzbraune Äste, die einander so nahe standen wie die Sprossen einer Leiter. Die Muskeln meiner Hände waren unversehrt; was den Zustand ihrer Oberfläche betraf, so hatte ich jede Sorge längst aufgegeben.

Bevor ich mich nicht klar oberhalb der Augenhöhe eines Mannes befand, wagte ich nicht, meine Stiefel auf einem Ast abzustellen; sie hätten krustige Spuren hinterlassen, die kein Mensch übersehen konnte. Die ersten zehn Fuß aufwärts legte ich in einem einzigen Spurt zurück, denn ich wusste, je länger ich mich an einem Ast festhielt, desto weniger Kraft würde mir bleiben, um den nächsten zu erreichen. Diese halbe Minute war ein bloßes Zwingen einer Hand über die andere; zwei Kolben, die abwechselnd aus Gott weiß was für einem Zylinder der Kraft hervorschossen. Meine Freunde haben mir bisweilen vorgeworfen, ich sei stolz auf Kasteiungen meines Fleisches. Sie haben recht. Aber ich wusste nicht, dass ich mich zu einer solchen Qual wie dieser Kletterei überwinden konnte.

Der Rest war leichter, denn nun konnte ich mein Gewicht auf meine Füße verlagern und mich vor jedem Hochziehen so lange ausruhen, wie ich wollte. Meine Beine waren nicht schlaff; sie waren unbeweglich starr. Das war kein Nachteil. Ich konnte nicht herunterfallen, wenn ich so zwischen den kleineren Ästen dieses fruchtbaren Baumes eingekeilt war. Als ich in die Verjüngung des Baumkegels hinaufstieg, wo die Zweige dichter und kleiner und grüner waren, blieb ich stecken. Das war mir ganz recht, und so fiel ich wieder in Ohnmacht. Es war ein Luxus, schon fast eine Sünde.

Als ich wieder zu mir kam, schwankte der Baum in einem leichten Wind und duftete nach Frieden. Ich wiegte mich in köstlicher Sicherheit, denn ich blickte gar nicht voraus; ich fühlte mich wie ein Parasit des Baumes, der daran festgewachsen war. Ich hatte keine Schmerzen, keinen Hunger, keinen Durst, und ich war in Sicherheit. In keinem der verstreichenden Augenblicke der Gegenwart gab es etwas, das mir schaden konnte. Ich beschäftigte mich ausschließlich mit der Gegenwart. Wenn ich vorausgeblickt hätte, so hätte ich Verzweiflung verspürt, aber einem gehetzten, ruhenden Säugetier ist die Empfindung der Verzweiflung ebenso unmöglich wie jene der Hoffnung.

Es muss früher Nachmittag gewesen sein, als ich den Suchtrupp hörte. Während sie sich den Abhang nördlich von meinem Baum hinunterbewegten, konnte ich sie beobachten. Sie blickten gegen die Sonne, und es bestand keine Gefahr, dass sie inmitten des weichen, grünen Gefieders der Lärche, das ich beiseiteschob, mein Gesicht erspähten. Soweit ich erkennen konnte, bluteten meine Beine nicht; Tropfen, die auf die unteren Äste herabfielen, wären das einzige unmittelbare Anzeichen meiner Gegenwart gewesen. Die schwachen Blutflecke von meinen Händen waren wohl zu sehen, falls jemand danach suchte, aber auf den schwarzen Ästen im zwielichtigen Zentrum des Baumes nichts, was einem ins Auge stach.

Drei uniformierte Polizeibeamte kamen den Hügel heruntergetrampelt: schwerfällige, unerschütterliche Burschen, die den Sonnenschein genossen und gutgelaunt einem Zivilbeamten folgten, der auf meiner Fährte umherstreifte wie ein Hund, den sie auf einen Spaziergang mitgenommen hatten. Ihn erkannte ich wieder. Er war der Detektiv des Hauses, der den ersten Teil meiner Vernehmung durchgeführt hatte. Er hatte eine wahrhaft obszöne Methode vorgeschlagen, um die Wahrheit aus mir herauszupressen, und tatsächlich damit begonnen, als seine Kollegen Einspruch erhoben. Gegen seine Technik hatten sie an sich nichts einzuwenden, aber sie besaßen genug Verstand, um einzusehen, dass es nötig werden könnte, meine Leiche zu finden, und dass diese dann nicht unannehmbar verstümmelt sein sollte.

Als sie näher kamen, konnte ich einige Brocken ihrer Unterhaltung aufschnappen. Die Polizisten suchten mit gebührlicher Besorgnis nach mir. Sie wussten nichts von der Wahrheit und waren im Zweifel darüber, ob ich Mann oder Frau war und ob es sich um einen Unfall oder einen Selbstmordversuch handelte. Ich kam zum Schluss, dass man ihnen mitgeteilt hatte, in der Nacht sei ein Schrei oder ein Sturz gehört worden; dann hatten sie unter der unauffälligen Führung des Detektivs meinen Rucksack und den aufgewühlten Flecken Marsch gefunden. Freilich konnte ich mir die Lage zu jenem Zeitpunkt nicht zusammenreimen. Ich konnte nur Eindrücke aufnehmen. Ich verwuchs mit meinem Baum und war mir nur der unermesslich guten Natur bewusst, als ich ihnen zuhörte. Erst später verlieh ich ihren Worten Sinn.

Als er sah, wie meine reptilische Spur im Lärchenbestand verschwand, merkte der Haus-Detektiv auf und übernahm das Kommando. Er schien sich sicher zu sein, dass ich unter den Bäumen zu finden war. Er rief seinen drei Gesellen zu, sie sollten rundherum zur anderen Seite laufen, falls ich ihm entwische, und kroch selbst unter die niedrigen Äste. Hier hätte er sich um ein Haar verraten, denn ich sollte doch eigentlich sehnlichst Hilfe erwarten; er aber wollte mich selbst finden und allein. Falls ich noch am Leben wäre, müsste er mir diskret den Garaus machen.

Er glitt rasch unter meinem Baum hindurch und weiter ins offene Gelände hinaus. Ich hörte ihn fluchen, als er entdeckte, dass ich nicht in dem Gehölz geblieben war. Dann hörte ich ihre schwachen Stimmen, als sie einander bachauf- und bachabwärts zuriefen. Das überraschte mich. Ich hatte mir natürlich vorgestellt, dass der Bach einen ganzen Morgenmarsch weit entfernt sei.

Weiter sah ich nichts mehr von der Jagd. Ein paar Stunden später gab es viel Geplatsche und Aufregung am Wasser unten. Sie müssen die Tiefen mit Schleppnetzen nach meiner Leiche abgesucht haben. Das Flüsschen war ein seichter Bergbach, der allerdings schnell genug floss, um einen Mann mitzuwälzen, bis er an einem Felsen oder in einem Strudel hängen blieb.

Am Abend hörte ich Hunde und bekam große Angst. Ich fing an zu zittern und verspürte wieder Schmerzen, dumpfe, spitze und pulsierende, die ganze Symphonie der Schmerzen, bei der alle meine Glieder im Takt meines Herzschlags drauflosfiedelten, genau im Rhythmus oder knapp daneben oder um einen halben Takt verschoben. Ich war wieder zum Leben erwacht, dank diesem heilkräftigen Baum. Die Hunde hätten mich vielleicht gefunden, aber ihr Meister, wer immer er sein mochte, gab ihnen nie die Gelegenheit dazu. Er wollte keine Zeit verschwenden, indem er sie auf eine Fährte lenkte, die er auch selbst verfolgen konnte; er warf seine Angel dem Bach entlang aus.

Bei Einbruch der Nacht stieg ich von meinem Baum herunter. Ich konnte stehen, und mit Hilfe zweier Stöcke konnte ich langsam vorwärtsschlurfen, plattfüßig und steifbeinig. Auch denken konnte ich nun. Keine meiner geistigen Tätigkeiten in den vergangenen vierundzwanzig Stunden hätte als Denken bezeichnet werden können. Ich hatte meinem Körper erlaubt, die Sache in die Hand zu nehmen. Er wusste weit mehr von Flucht und Heilung als ich.

Ich muss versuchen, mein Verhalten begreiflich zu machen. Dieses Bekenntnis – soll ich es so nennen? – schreibe ich, um mich vorm Grübeln zu bewahren, um die Ereignisse in der Reihenfolge festzuhalten, in der sie sich ereigneten. Ich bin nicht mit mir zufrieden. Mit diesem Bleistift und diesem Schreibheft hoffe ich, zu etwas Klarheit zu gelangen. Ich erschaffe ein zweites Ich, einen Mann der Vergangenheit, an dem sich der Mann der Gegenwart messen lässt. Für den Fall, dass mein Schreiben jemals, durch Zufall oder Absicht, an die Öffentlichkeit dringen sollte, werde ich nicht erwähnen, wer ich bin. Mein Name ist weit und breit bekannt. Ich bin schon des Öftern und unvermeidlicherweise von den Schlagzeilen und Lobhudeleien der Revolverblätter in meiner Ehre verletzt worden.

Meine Jagdpartie begann, meine ich, durchaus harmlos. Wie die meisten Engländer bin ich nicht gewohnt, meine Beweggründe wirklich zu hinterfragen. Kaltblütiges Planen ist mir zuwider, und ich glaube auch nicht daran, ob es nun mir selbst oder jemand anderem unterstellt wird. Ich weiß noch, dass ich mich beim Einpacken des Zielfernrohrs fragte, wofür zum Teufel ich es mitnehmen wollte; aber ich hatte einfach das Gefühl, es könnte mir gelegen kommen.

Es trifft zweifellos zu, dass ich – aufgrund einer Neugier, die uns allen gemein ist – mir Gedanken gemacht hatte über die Methoden, mit denen ein großer Mann bewacht wird, und wie man sie umgehen könnte. Ich genoss vierzehn Tage Jagdsport in Polen und ging dann über die Grenze, um mehr davon zu bekommen. Ich begann, ziemlich ziellos von einem Ort zum andern zu ziehen, und als ich feststellte, dass ich bei jeder Übernachtung dem Haus etwas näher kam, wurde ich allmählich besessen von dieser Vorstellung einer reinen Sportpirsch. Ich habe mich seither ein- oder zweimal gefragt, weshalb ich meine Büchse nicht zurückließ. Ich glaube, die Antwort ist, dass das nicht den Spielregeln entsprochen hätte.

Polizeischutz beruht auf der Annahme, dass ein Attentäter ein halb wahnsinniger Idiot ist, mit einer schwerfälligen Waffe von kurzer Reichweite – Bombe, Revolver oder Messer. Es ist offenkundig, dass der Schlag von Mensch, der ein wirklich ausgezeichneter Schütze ist und erfahren im Anschleichen und im Erlegen von Großwild, vor politischem oder sonstigem Mord zurückschrecken würde. Er hat vermutlich keinen Grund zur Beschwerde, und wenn er einen hätte, so würde er wohl kaum die Büchse als Mittel zu deren Wiedergutmachung ansehen. Ich selbst habe keinen Grund zur Beschwerde. Man kann ja kaum die Störung seines trivialen Privatlebens und persönlicher Pläne durch Unruhen in Europa als Grund zur Beschwerde betrachten. Ich sehe mich nicht als jemanden, der wie ein italienischer Tenor von der Liebe jault und mit dem Stilett nach dem Bariton sticht.

Eine Büchse von der Bond Street ist meiner Meinung nach eine Waffe, die die Leibwache nicht in Betracht ziehen muss, denn ein potenzieller Attentäter kann sich nicht in ihrem Gebrauch ausbilden. Die Geheimpolizei, die alles über die politische Vorgeschichte von Regimegegnern weiß, würde keinem solchen Mann gestatten, eine gute Büchse zu besitzen, mit ihr herumzuspazieren oder sich gar zu einem erstklassigen Schützen auszubilden. Somit ist ein Attentäter gezwungen, eine Waffe zu verwenden, die sich leicht verbergen lässt.

Hier bin ich nun, überlegte ich, mit einer Büchse, mit einer Bewilligung, sie zu tragen, und einer Rechtfertigung für ihren Besitz. Wollen wir doch mal sehen, ob rein theoretisch eine solche Pirsch zu schaffen, eine solche Beute zur Strecke zu bringen ist. Weiter ging ich nicht. Ich plante gar nichts. Es war schon immer meine Gewohnheit, den Dingen ihren Lauf zu lassen.

Ich schickte mein Gepäck per Eisenbahn nach Hause und legte die letzten hundert Meilen oder so zu Fuß zurück, mit nur einem Rucksack, meiner Büchse samt Zielfernrohr, meinen Landkarten und meinem Feldstecher ausgerüstet. Ich marschierte nachts. Tagsüber versteckte ich mich im Gehölz oder im Heidekraut. Noch nie hatte ich etwas so genossen. Wer sich jemals über ein paar Meilen an ein Stück Wild herangepirscht hat, wird verstehen, was für ein höchst aufregendes Unternehmen es war, sich über hundert Meilen hinweg anzupirschen, ungesehen durch die Hauptherden von Menschen zu gelangen, vorbei an den Wächtern am Rande und den jungen männlichen Exemplaren, die unerwartet auf einem Hügel auftauchten. Ich schlug zwei Fliegen mit einer Klappe; ich rief mir die Abenteuerlust ins Leben zurück und – nun ja, ich weiß nicht, weshalb ich von zwei Fliegen geschrieben habe. Es war nur die eine Fliege: der Spaß an dieser Pirsch.

Ich erreichte das Jagdgebiet im Morgengrauen und verbrachte den ganzen Tag mit seiner Erkundung. Es war ein beängstigender Tag, denn im Wald um das Haus herum wurde sehr gründlich patrouilliert. Von Baum zu Baum und von Rinne zu Rinne durchstreifte ich fast den ganzen Umkreis, aber nur wenn ich mich flach auf die Erde presste, war ich wirklich sicher. Oft versteckte ich Büchse und Feldstecher, denn ich dachte, dass man mich bestimmt anhalten und ausfragen würde. Dazu kam es nie. Es war, als ob ich durchsichtig wäre. Ich beherrsche den Trick, auf Schatten zu achten und mich regungslos unter sie zu stellen, sodass sie meine Umrisse aufbrechen und sprenkeln; immerhin gab es auch Augenblicke, in denen mich selbst ein Nashorn hätte sehen können.

Hier jedenfalls hatten sie die Möglichkeiten eines Anschlags mit einer Büchse in Betracht gezogen. An allen Stellen mit Blick auf die Terrasse und die Gärten waren Lichtungen geschlagen worden; niemand konnte aus Deckung schießen, nicht einmal aus extremer Entfernung. Offene Bereiche, die ständig von Wachen durchzogen wurden, gab es in Hülle und Fülle. Ich wählte den schmalsten davon: einen gut fünfzig Fuß breiten Reitweg, der schnurgerade durch den Wald führte und am Rande einer niedrigen Klippe endete. Von dem grasigen Abhang über der Klippe waren die Terrasse und die Türen, die auf sie hinausführten, in voller Sicht. Die Entfernung schätzte ich auf fünfhundertfünfzig Yards.

Die Nacht verbrachte ich auf einem Bett von Kiefernadeln, wohlverborgen unter dem Mutterbaum. Ich aß den Rest meines Proviants auf und schlief ungestört. Kurz vor Morgengrauen kletterte ich ein Stück weit die Klippe hinunter und kauerte mich auf ein Sims, wo mich der Überhang vor jedem abschirmte, der über den Klippenrand herabspähen mochte. Ein verkümmerter Holunderstrauch, der sich mit den Spitzen seiner oberlastigen Wurzeln in den Kies krallte, diente als ausreichende Deckung gegen ferne Augen, die heraufblickten. In dieser verkrampften Stellung war meine Büchse unbrauchbar, aber ich konnte, und zwar ganz deutlich, den großen Mann sehen, falls er nach draußen kommen sollte, um mit dem Hund zu spielen, an einer Rose zu schnuppern oder an seinem Gärtner ein paar Gesten zu üben.

Direkt über meinem Kopf kreuzte ein Pfad das untere Ende des Reitwegs und führte weiter den unteren Waldrand entlang. Ich maß die Abstände, in denen ich Schritte hörte, und stellte fest, dass rund alle vierzehn Minuten jemand den Reitweg überquerte. Sobald ich mir dessen sicher war, verließ ich mein Versteck und folgte ihm. Ich wollte seinen genauen Trott kennenlernen.

Er war ein junger Wachtposten von vollendetem Körperbau und offensichtlich durch und durch loyal, aber er war meines Erachtens kaum jemals in seinem Leben außerhalb einer Industriestadt gewesen. Er hätte mich nicht einmal gesehen, wenn er mich unter den Füßen gehabt hätte. Er wusste sehr wohl, dass er nicht allein war, denn er blickte immer wieder über seine Schulter und starrte auf den Busch oder die Bodenfalte, wo ich war; aber natürlich hielt er seine Empfindung für bloße Nervosität oder Einbildung. Ich behandelte ihn ohne jede Achtung, aber er war mir sympathisch; er war so ein stämmiger Jüngling, mit einem von diesen fleischigen, offenen Gesichtern und den rechten Instinkten – ein Junge, dem man etwas beibringen konnte. Sein Blick, wenn er seinen ersten Tiger zur Strecke brächte, würde es lohnen, einen Monat lang seine naiven Vorstellungen anhören zu müssen.

Nachdem ich mit ihm und hinter ihm seine Runde abgeschritten hatte, wusste ich, wie viele Minuten ich jeweils auf dem grasigen Hang verbringen konnte und auf welchem Weg ich fliehen musste. Als der große Mann endlich auf die Terrasse heraustrat, war mein junger Freund soeben vorbeigegangen. Ich hatte zehn Minuten zur Verfügung. Im Nu war ich auf dem Abhang.

Ich machte es mir bequem und richtete die drei Balken im Fadenkreuz des Zielfernrohrs auf das V seiner Weste. Er war mir zugewandt und zog seine Uhr auf. Er hätte nie erfahren, was ihn zerschmetterte – falls ich zu feuern vorgehabt hätte, meine ich. Just in diesem Augenblick spürte ich eine leichte Brise an meiner Wange. Bis dahin war es völlig windstill gewesen. Nun musste ich den Wind einkalkulieren. Zweifellos würden die Jünger des großen Mannes darin die Hand des Allmächtigen erkennen. Ich würde ihnen nicht einmal widersprechen, denn die Vorsehung sorgt besonders gut für erhabene männliche Einzelgänger. Das weiß jeder, der sich einmal an ein besonders kapitales Exemplar angepirscht hat. Das ist nichts als natürlich. Der Allmächtige wird selbst immer als männlich angesehen.

Ich hörte einen Schrei. Und dann weiß ich nur noch, wie ich von einem schweren Schlag auf den Hinterkopf wieder zu mir kam und mein junger Freund mich mit seinem Revolver in Schach hielt. Er hatte einen Stein nach mir geschleudert und sich hinterhergestürzt – sofortiges, instinktives Handeln, das viel schneller war, als an seiner Revolvertasche herumzuhantieren. Wir starrten einander an. Ich entsinne mich, dass ich mit wirren Worten klagte, er sei sieben Minuten zu früh. Er sah mich an, als sei ich der Leibhaftige, voller Grausen, voller Angst – nicht Angst vor mir, sondern vor der plötzlich enthüllten Verderbtheit dieser Welt.

»Ich bin umgekehrt«, sagte er. »Ich hab’s gemerkt.«

Na ja, freilich hatte er das. Ich hätte niemals ein so eingebildeter Trottel sein und seine Nerven und seinen Trott durcheinanderbringen dürfen, indem ich ihm folgte. Er hatte mich weder gehört noch zu Gesicht bekommen, aber er hatte genug wahrgenommen, um die Regelmäßigkeit seines Rundgangs zu durchbrechen.

Zusammen mit seinem vorgesetzten Offizier brachte er mich ins Haus hinunter, und dort wurde ich, wie ich bereits geschrieben habe, von Fachleuten verhört. Der Wachtposten, der mich gefangen genommen hatte, verließ den Raum, nachdem er – zumindest in seinen Augen – sich unmännlich aufgeführt hatte, indem er sich heftig übergab. Ich für meinen Teil behielt Distanz. Vielleicht sollte ich es nicht Distanz nennen, denn mein Körper ist empfindsam, und es gab keinerlei Unterbrechung oder Lücke in seinen Botschaften an mein Gehirn. Aber Schulung ist da viel wert.

Ich breche hier keine Lanze für die spartanische Vorkriegsschulung der englischen Oberschicht – oder Mittelschicht, wie man sie heutzutage zu nennen beliebt, womit man die obere den Engeln überlässt –, denn in den gewöhnlichen Angelegenheiten einer konventionellen Existenz nützt sie niemandem auch nur das Geringste; sie ist jedoch durchaus brauchbar bei jenen zugegebenermaßen seltenen Gelegenheiten, in denen man ein hohes Maß an körperlicher Ausdauer braucht. Ich habe mich einmal am Rio Javary einer Initiationszeremonie unterzogen – die einzige Möglichkeit, um jene Menschen dazu zu bewegen, mir beizubringen, wie ihre Männer mit den Muskeln eine gewisse Kontrolle über Blutungen ausüben können – und ich hielt sie eher für ein unangenehmes Erlebnis denn für irgendeinen Beweis von Reife. Sie dauerte nur einen Tag und eine Nacht lang, wogegen die Initiationszeremonien englischer Stämme während der ganzen zehn Jahre der Schulerziehung fortgesetzt werden. Wir foltern lieber den Geist eines Knaben als seinen Körper, aber jede Form von Folter zielt letztlich auf den Geist ab. Ich war gewohnt auszuharren, ohne mich zum Affen zu machen. Das ist alles, was ich mit dem Wort Distanz sagen will.

Ich nehme an, dass mir die Resignation weitaus leichter fiel als einem echten Attentäter, denn ich hatte gar nichts preiszugeben, keine Mitverschwörer, kein Motiv. Ich konnte mich nicht retten, indem ich ihnen etwas Interessantes erzählte. Ich hatte kein Recht, durch irgendwelche unverantwortlichen Erfindungen jemand anders in Gefahr zu bringen. Also fuhr ich fort, mechanisch die Wahrheit zu wiederholen, ohne die geringste Hoffnung, dass man sie glauben würde.

Schließlich erkannte jemand meinen Namen, und nun gewann meine Geschichte von der Pirsch aus Sportsgeist einen Hauch von Wahrscheinlichkeit; doch ob sie der Wahrheit entsprach oder nicht, es war nun mehr denn je wesentlich, dass ich auf diskrete Weise ermordet wurde. Und das war leicht. Ich hatte gestanden, dass ich seit fünf Tagen keine Nacht unter einem Dach verbracht hatte und dass niemand wusste, wo ich war. Sie steckten mir alle meine Papiere und Habseligkeiten wieder in die Taschen, fuhren mich fünfzig Meilen nach Norden und inszenierten dort den Unfall.

Als ich von jener gesegneten Lärche herunterkam und feststellte, dass meine Beine mich trugen, begann ich, vorauszublicken. Man würde glauben, dass ich entweder ertrunken war oder dass ich irgendwo verletzt und bewegungsunfähig in einem Dickicht am Flussufer lag, wo man irgendwann meine Leiche finden würde. Die Polizei und die Behörden in den umliegenden Dörfern würden vermutlich angehalten, nach einem sterbenden Fremden Ausschau zu halten, aber es war höchst unwahrscheinlich, dass eine Beschreibung meiner Person an andere Bezirke weitergeleitet worden war. Die Sicherheitsbeamten des Hauses hatten keine offizielle Kenntnis von meiner Existenz und würden ihr inoffizielles Wissen möglichst wenigen Außenstehenden mitteilen wollen. Es war günstig, keine Existenz zu haben. Hätte ich eine Uhr gestohlen, statt mich an das Oberhaupt einer Nation heranzupirschen, so wäre mein Bild in jeden Polizeiposten gelangt.

Wenn ich gehen konnte, wenn ich neue Hosen bekam und wenn ich die Gefahrenzone durchqueren konnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, standen meine Chancen, problemlos aus dem Land zu kommen, gar nicht so schlecht. Ich hatte meinen Pass, meine Landkarten und mein Geld. Ich beherrschte die Landessprache gut genug, um jeden täuschen zu können außer ein hochgebildetes Individuum, das auf Fehler achtete. Der gute alte Heilige Georg – mein privater Spitzname für ihren Botschafter in London – schwört, dass ich einen Dialekt spreche, aber für ihn ist eine geschliffene Grammatik wichtiger als der Akzent. Das ist ein Aberglaube, der mit auswärtigen Angelegenheiten untrennbar verbunden ist. Ein gut ausgebildeter Diplomat soll beispielsweise Französisch schreiben können wie ein Engel, aber sprechen soll er es mit der eigentümlichen Memmenhaftigkeit eines Genfer Muttersöhnchens.

Ich wünschte, ich könnte mich beim Heiligen Georg entschuldigen. Er hatte gewiss mehrere Stunden der letzten vierundzwanzig damit verbracht, sehr vertrauliche Telegramme über mich zu beantworten – wobei er so respektvoll wie möglich kabelte, die Leibwache seines verehrten Meisters sei ein Haufen verdammter Idioten, und mit einem forschen Brief nachdoppelte, in dem er mitteilte, ich sei ein Mitglied seines Klubs und es sei undenkbar, dass ich in eine Affäre von der Art verwickelt wäre, wie dies, er könne es kaum glauben, allen Ernstes, angedeutet werde. Ich fürchte, dass man ihn wohl getadelt hat. Die Leibwache war, zumindest was den Anschein der Sache betraf, im Recht.

Es war inzwischen, glaube ich, Sonntagnacht; es war Sonnabend, als ich erwischt wurde, aber über den Zeitraum, der danach verging, bin ich mir nicht im Klaren. Irgendwo habe ich einen Tag verloren, aber ob es auf meinem Baum war oder auf meiner Insel, kann ich nicht sagen.

Ich wusste ungefähr, wo ich war und dass ich, um aus dieser wirren Welt von Fels und Wald zu entkommen, irgendeinem Pfad folgen musste, der parallel zum Bach verlief. Meine Reise wäre nicht schwierig gewesen, wenn ich Krücken gehabt hätte, doch ich konnte keine Holzstücke von der richtigen Höhe finden, die einen Winkel hatten, der mir unter den Arm passte. Es war, wenn ich es mir recht überlege, eine nahezu hoffnungslose Suche, aber zu der Zeit wurde ich wütend auf mich selbst, so wütend, dass ich schließlich kindliche Tränen der Ohnmacht weinte. Ich konnte meine Hände nicht dazu bringen, genügend Druck auf ein Messer auszuüben, und ich fand auch keine Stöcke von der richtigen Länge und Form. Eine ganze Stunde lang tobte ich und verfluchte mich selbst. Ich dachte, mein Wille sei ganz und gar gebrochen. Es war verzeihlich. Wenn alles unmöglich war, war es kaum vernünftig, zu erwarten, dass ich ein Wunder, das sich erzwingen ließ, von einem Wunder, das niemals geschehen konnte, zu unterscheiden vermöchte.

Am Ende musste ich mich natürlich mit einem Wunder zufrieden geben, das sich erzwingen ließ; mich ohne Krücken fortzubewegen. Mit einem groben Stock in jeder Hand schaffte ich etwa vier Meilen, indem ich über ebenen Boden schlurfte und kurze Strecken kroch, über Hindernisse hinweg, oder auch längere Strecken, wenn meine Beine unerträglich zu schmerzen begannen. Mir fällt dabei die allgemeine Erfahrung ein, dass man einen schweren Koffer manchmal weiter trägt, als es eigentlich zumutbar ist; man wechselt ihn von einem Arm zum andern, in immer kürzeren Abständen, bis man nicht mehr entscheiden kann, ob man nun den Schmerz im rechten Arm verlängern oder zu einem augenblicklichen Schmerz im linken hinüberwechseln will. So erging es mir bei meinen Wechseln vom Kriechen zum Gehen und wieder zurück.

Ich dankte Gott für das Morgengrauen, denn es bedeutete, dass ich mich nicht mehr weiter voranzutreiben brauchte. Solange ich nicht genau wusste, wo ich war und auf welchen Wegen die Menschen kamen und gingen, musste ich mich verstecken. Ich ließ mich in einen trockenen Graben fallen und blieb dort stundenlang liegen. Ich hörte kein Geräusch außer einer Lerche und dem Kauen von Kühen, die auf einem benachbarten Feld Gras rupften.

Schließlich stand ich auf und sah mir meine Umgebung an. Ich befand mich knapp unter dem Grat einer Hügelkette. Links unter mir lag das bewaldete Tal, durch das ich gekommen war. Ich hatte in der Nacht nicht bemerkt, dass ich aufwärtsging. Meine Erschöpfung war also zum Teil dem ansteigenden Gelände zuzuschreiben.

Ich schlurfte aufwärts zur Horizontlinie. Vor meinen Füßen breitete sich die lange Windung eines Flusses aus. Das nähere Ufer war in niedrige Büsche gekleidet, durch die ein Pfad führte, der stellenweise aufschien und wieder verschwand, bis er an einer Eisenbrücke die Mündung meines Bachs kreuzte. Am anderen Ufer, eine Meile stromaufwärts, lag ein ländliches Städtchen mit ein paar kleinen Fabriken. Stromabwärts säumten Weiden die beiden Ufer, und in der Flussmitte befand sich ein kleines Inselchen. Er war friedlich und sicher wie unser Avon und andere verborgene englische Flüsschen.

Ich holte die Karte hervor und bestimmte meine Position. Ich blickte auf einen Nebenfluss hinunter, der dreißig Meilen weiter unten in einen der Hauptströme Europas mündete. Von diesem Städtchen, einer Landeshauptstadt, würde die Suche nach mir ausgehen, und hierher gehörten vermutlich auch die Polizeibeamten, meine Möchtegernretter. Nichtsdestoweniger musste ich dorthin. Es war der Knotenpunkt aller Verbindungen: Straße, Fluss und Eisenbahn. Und da ich nicht gehen konnte, musste ich irgendeine Transportmöglichkeit zur Grenze finden.

In Abständen trug mir die Brise schwache Geräusche von Geschrei und Planschen zu. Ich dachte, da werde jemandem etwas angetan – eine morbide Ausgeburt meiner Phantasie, wenn auch den Umständen entsprechend begreiflich –, doch dann erkannte ich, dass das Gekreisch sich aus Stimmen mehrerer Frauen zusammensetzte und dass diese badeten. Es fiel mir ein, dass auch Männer zum Schwimmen an diesen Ort kommen könnten, wenn Handel und Bildung eine Mittagspause einschalteten, und dass mir dann ein Paar Hosen in die Hände fallen könnte.