4,99 €
Der zweite Teil einer Trilogie, die von den Abenteuern eines Aussteigers erzählt, von leidenschaftlicher Liebe, unsäglicher Gier und internationaler Geldwäscherei. Nach der abenteuerlichen Flucht aus dem von Vulkanausbrüchen heimgesuchten Island ist Samuel Frei mit seinen Tauchkumpanen und seiner neuen großen Liebe Marie in der Schweiz angekommen. In ihrem Gepäck befinden sich die in einer Lavaspalte gefundenen milchig-weißen Steine. Erst jetzt, dem Inferno entkommen, werden sie sich bewusst, was der Fund für ihr Leben bedeuten könnte. Der erhoffte Reichtum lässt hochfliegende Träume erwachen, doch zunehmend breitet sich auch Misstrauen in der Gruppe aus und bedroht Liebe und Freundschaft. Bei dem Versuch herauszufinden, ob es sich bei ihrem Fund wirklich um Diamanten handelt, geraten sie an ein internationales Diamanten-Syndikat. Ein zunehmender Strudel aus Gier und den Interessen der Reichen dieser Welt droht alle in die Tiefe zu reißen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 242
Veröffentlichungsjahr: 2019
Stefan Prebil arbeitet und schreibt in seiner Alphütte hoch über dem Brienzersee.
Nach einer Karriere im Top Management rund um den Globus, besteht seine Tätigkeit heute aus Beratung von Firmen im Technologie Bereich, Coachings und dem Schreiben von Romanen.
Seine Erzählungen handeln von persönlichen Beziehungen, außergewöhnlichen Biografien, im Kontext mit gesellschaftlichen Entwicklungen und dem rasanten technologischen Fortschritt.
Stefan Prebil
EISDIAMANTEN
BAND II
WEM GENUG NICHT GENÜGT,IST NICHTS GENUG.
© 2019 Stefan Prebil
Umschlag, Illustration:
Stefan Prebil
Cover Bild:
Stefan Prebil
Lektorat, Korrektorat:
Karin Engelkamp
Verlag & Druck:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback
978-3-7497-9641-0
Hardcover
978-3-7497-9642-7
e-Book
978-3-7497-9643-4
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären zufällig und nicht beabsichtigt.
Inhaltsverzeichnis
Eins
Zwei
Drei
Vier
Fünf
Sechs
Sieben
Acht
Neun
Zehn
Elf
Zwölf
Dreizehn
Vierzehn
Eins.
«Okay, Chuck. Mann, war das gut mit dirzu sprechen! Und wie gesagt, die Details erklären wir dir, wenn du hier bist. Ich hole dich dann übermorgen am Bahnhof ab. Schick mir eine SMS, wenn du weißt, wann du ankommst.» Sam beendet das Gespräch mit einem Klick und legt sein Smartphone auf den Tisch. Er schiebt die Glastür zur Terrasse auf und lässt seinen Blick über den See streifen. Es ist fast Sommer geworden und der Wind beginnt, kurz vor Mittag und durch das fahle Sonnenlicht angetrieben, aufzufrischen im Tal.
Er freut sich, Chuck wiederzusehen, nachdem sie sich im zerstörten Reykjavik vor der Hallgrímskirkja, der Kathedrale, getrennt hatte. Chuck wollte mit den Rettungsbussen nach Keflavik, um seine vermisste Seydür zu finden. Sam hatte sich mit Marie und den anderen Tauchguidekollegen Emma, Jace, Piet und Barbu mit einer „geborgten“ Cessna auf die Färöer Inseln retten können.
Er schüttelt lächelnd den Kopf. Dass er es als ehemaliger Privatpilot mit der zweimotorigen Maschine unter dem Bombardement des Ausbruchs von Katla geschafft hatte, sie alle heil dort hinauszuschaffen, ist ein Wunder.
Vorgestern sind sie schließlich mit dem Zug in Interlaken, in Sams kleinem Haus am See angekommen. Die Überfahrt von Tórshavn nach England hatte einiges an Organisation gekostet. Hunderte von Menschen waren mit Fischerbooten auf die Färöer gebracht worden und es gab nur wenige Transportmöglichkeiten, um von dort weiterreisen zu können.
Barbu konnte nicht mitkommen in die Schweiz. Er ist wohl noch auf den Färöer und wartet auf seine Papiere. Sie hatten ihm fünf der obskuren Steine, die sie während des Infernos entdeckt und mitgenommen hatten, und von jedem fünfzig Euro als „Wegzehrung“ dagelassen und er hatte versprochen, sich zu melden, sobald er zu Hause angekommen sei.
Jace hatten sie am Hafen in Liverpool in den Zug nach London gesetzt. Er hatte ein paar Mustersteine und Fotos des gesamten Schatzes dabei, um sie seinem Cousin, der sich mit Diamanten auskennt, zu zeigen und schätzen zu lassen. Nachdem sie ihre Notpässe erhalten hatten, dauerte es zehn Tage, bis sie Plätze auf einem Fährschiff ergattern konnten.
Katla hatte sich zwar sehr beruhigt und spuckte nur noch einen Bruchteil der Asche in den Himmel, aber die verbleibenden Aschepartikel in der Stratosphäre hatten inzwischen den Erdball mehrfach umrundet und bildeten eine Art Nebel über der Nordhalbkugel. Der zivile Flugverkehr war immer noch blockiert und bis zu den Alpen war das Sonnenlicht abgedunkelt. Es war jetzt Ende Juni fast so trüb und dunkel wie sonst im November. Natürlich waren die Medien immer noch voll von Schicksalen der Isländer oder betroffener Touristen. Auch Spekulationen über eine Weltwirtschaftskrise oder zumindest eine tiefe Rezession, ausgelöst durch die Folgen der Aschewolke, waren jeden Tag in den Nachrichten zu hören. Tatsächlich hatten bereits vor Tagen mehrere große Airlines Insolvenz angemeldet und die Finanzminister der EU tagten täglich im Krisenstab, um Maßnahmen zu beschließen, die Wirtschaft, die Landwirtschaft und den Tourismus zu stützen. Die Milliarden, die da flossen, würden die Gemeinschaft wohl tatsächlich für Jahrzehnte belasten. Allerdings hatte sich trotz der Krisensituation wieder eine Art Normalität eingestellt. Der Thailand Urlaub wurde gestrichen und Nachbarschaftshilfe wieder großgeschrieben, wenn es darum ging, sich mit Lebensmitteln auszuhelfen. Auch die Nahrungsmittelproduktion und die Logistik waren durch die Vulkanausbrüche stark betroffen und die Regierungen hatten vorsorglich Rationierungen beschlossen. Die Menschen hatten sich mit der Situation arrangiert und machten das Beste daraus. Bisher kam es zu keinen chaotischen Situationen, auch wenn einige Parteien die Chance witterten, die Gesellschaft und das System anzuprangern, um Behörden und Regierung infrage zu stellen.
Sie waren aus Liverpool mit dem Zug und der Fähre via Frankreich in die Schweiz nach Interlaken gereist – eine rechte Tortur. Mit ihren Transportgutscheinen und dem wenigen Bargeld, das sie von ihren Botschaften erhalten haben, waren sie auf Regionalzüge verteilt worden und hatten Stunden an Bahnhöfen verbracht, um den jeweiligen Anschluss zu bekommen. So waren sie fast drei Tage unterwegs gewesen, aber schließlich müde angekommen. Sie hatten sich mit Klamotten eingedeckt und den Kühlschrank aufgefüllt. Verwandte und Freunde hatten sie schon von den Färöern aus informiert und sich in der Schweiz mit Handys und Schweizer SIM-Karten ausgerüstet.
Hier in Sams Haus am See wollen sie nun Jace’ Nachricht abwarten und dann beschließen, wie ihr Leben weitergehen könnte – je nachdem, ob sie nun tatsächlich reich sind oder eben doch nicht.
Sam zündet eine Zigarillo an und versucht, sich zu erinnern, wie lange es her ist, dass er von zu Hause aufgebrochen war. Er hatte ein neues Leben beginnen wollen und seine Managerkarriere an den Nagel gehängt, um als Tauchguide in Island Touristen durch die Silfra-Spalte zu führen. Es muss vor acht oder neun Wochen gewesen sein. Die Zeit hatte sich durch all die Ereignisse gedehnt und es scheint ihm, als wäre es Jahre her, dass er die Tür seines Hauses mit dem Koffer in der Hand abgeschlossen hatte, um zum Flughafen zu fahren und den Flieger nach Island zu besteigen.
Sam betrachtet mit leerem Blick die Berghänge auf der gegenüberliegenden Seite. Als über Fünfzigjähriger aus einem lukrativen Job auszusteigen, um einen alten Jugendtraum wahrzumachen und als Guide in einer Wohngemeinschaft zu leben, hatte kaum jemand verstanden. Ich hätte mir einen Porsche gekauft und eine junge Freundin zugelegt – das war nur einer der Kommentare, die er zu hören bekam. Er ließ sich nicht beirren; das hatte er nie, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Ohne seinen Mut zum Risiko hätte er sich nie vom Pharmareferenten zum Manager hocharbeiten können.
Das Abenteuer fühlte sich gut an und er gewöhnte sich schnell an das neue Leben mit all den Leuten, deren Vater er hätte sein können. Alles war so wunderbar! Mit Marie hatte er eine leidenschaftliche Liebesbeziehung begonnen und sich Hals über Kopf in sie verliebt.
Doch dann hatte Island seinen Bewohnern und den Millionen von Touristen, die jedes Jahr die urtümliche Insel besuchen, Demut gelehrt. Jede Woche ereignen sich auf Island sechshundert kleine Erdbeben und die über hundertachtzig Vulkane dort sind sehr aktiv.
Einige der Vulkane waren überfällig auszubrechen angesichts ihres bekannten Rhythmus, aber hätte das Ganze nicht noch ein, zwei Jahre warten können, bis er sich in seinem neuen Leben gefestigt hatte? Sam schüttelt den Kopf über den Gedanken. Wie kann man so überheblich sein! Er kann froh sein, das Inferno überlebt zu haben. Und darüber hinaus sind er und die anderen, die diesen unglaublichen Gesteinsfund gemacht haben, nun vielleicht unglaublich reich.
Bilder des Lahars, der Schlammlawine, die sich nach den Erdbeben und dem Vulkanausbruch am Langjökull Gletscher mit tödlicher Wucht auf die Silfra gewälzt hatte, tauchen in seinem Geist auf. Wie sie als kleine Gruppe mit dem Jeep der Rangerin durch das Tal gerast waren, um dem Verderben zu entkommen und sich schließlich einen Hang hoch zu einer Mobilantenne in Sicherheit bringen konnten. Dort hatte Jace die milchig weißen Steine entdeckt, die sie in ihre Taschen gestopft hatten und von denen sie immer noch nicht genau wissen, ob es sich wirklich um Rohdiamanten handelt und wenn ja, was sie wert sind.
Wie sie dann von ihrem Platz am Hang den Tsunami sehen konnten, der Reykjavik ausradierte. Schließlich hatten sie es in die zerstörte Stadt geschafft und konnten von dort aus mit der Cessna auf die Färöer Inseln entkommen.
Als die Bilder wie Blitzlichter durch seinen Kopf schießen, läuft eine Gänsehaut über seinen Körper und sein Magen zieht sich zusammen, als wäre er jetzt gerade wieder mitten in der Katastrophe.
So viele Menschen waren gestorben. Simi, der beim Diamantenfund völlig außer sich versucht hatte, einen riesigen Stein zu bergen und damit in den Tod gestürzt war. Ian, der wild entschlossen zur Silfra gerannt war, um die Rangerin zu retten, als der Lahar bereits auf dem Weg zu ihnen war. Und Mickey, der verzweifelt seine Liebste, Julia, aus der einstürzenden Silfra retten wollte und dabei mit ihr verschüttet wurde. All die anderen Teams mit den Touristen, die es nicht geschafft hatten, rechtzeitig zu entkommen.
Sam schließt seine brennenden Augen, als könne er dadurch das Grauen verdrängen, und atmet tief durch. Sie sind am Leben! Das ist alles was zählt, versucht er sich zu beruhigen.
Auch auf Island versuchen die Menschen, sich wieder aufzurappeln. Die NATO Truppenverbände hatten die Evakuation der Überlebenden aus Island mit ihren Flottenverbänden organisiert. Notfälle konnten mit den tieffliegenden Helikoptern transportiert werden, welche die Verletzten entweder auf die Hospitalschiffe verteilten oder gleich via England in die verschiedenen Kliniken ausflogen. Für die Unversehrten gab es die Fährschiffe und die Fregatten unter NATO Kommando.
Sam drückt den Zigarillo am Geländer aus und steckt den Stummel in seine Hosentasche. Das Haus ist bescheiden, aber es reicht für sie alle. Bequemer als V18, wo sie auf Island untergebracht waren, ist es allemal. Ein großes Wohnzimmer mit einer Holzterrasse, die auf den See ragt, ein Schlafzimmer, wo er und Marie sich einquartiert haben, ein Gästezimmer, wo Emma schläft und das Büro, mit dem Piet vorliebnehmen muss. Hier würde man auch Chuck noch unterbringen können.
«Alles gut bei dir?», fragt Marie und umfasst Sam von hinten um die Brust. Sam löst sich sanft aus der Umarmung und dreht sich zu ihr. «Stell dir vor, Chuck hat sich gemeldet. Er ist auf dem Weg hierher. Morgen hol’ ich ihn vom Bahnhof ab.»
Bevor Marie die tausend Fragen stellen kann, die ihr durch den Kopf schießen, hören sie, wie die Eingangstür geöffnet wird. Piet und Emma waren einkaufen und sind offenbar zurück. Marie drückt Sam mit einem Augenzwinkern einen Kuss auf die Lippen und ruft: «Kommt her, wir haben Neuigkeiten!»
Piet fischt aus der Einkaufstüte ein paar Dosen Bier und stellt sie auf den Glastisch vor den Rattanstühlen. «Eisgekühlt», meint er freudig.
Emma holt sich aus der Küche eine Flasche Cola und kommt mit zwei Gläsern zurück. Sie hat richtig geraten, auch Marie will so früh am Tag lieber kein Bier.
«Habt ihr schon was von Barbu gehört?», fragt Emma, nachdem sich die Männer einen tüchtigen Schluck aus ihren Dosen genehmigt haben.
«Nein, aber ich habe gerade mit Chuck gesprochen», antwortet Sam und schaut in die Runde.
«Er hat offenbar seine Seydür nicht gefunden. Tragisch! Es gibt keine Spur von ihr. Entweder ist sie irgendwo unter den Trümmern verschüttet oder von Keflavik aus zu Verwandten irgendwo auf der Insel weitergereist.»
«Das ist der reinste Horror! Und wie geht es ihm?», fragt Emma.
«Nun, er meinte, es wäre einfach so, als hätte sich eine seiner Geliebten ohne Nachricht verabschiedet. Ihr kennt ja Chuck. Aber so ganz glaub’ ich ihm das nicht. Es scheint ihn tiefer zu treffen, als er es zeigen möchte.»
«Und woran merkst du das?», fragt Emma.
«Er wollte kaum darüber sprechen und hat immer wieder das Thema auf die Steine gelenkt, wenn ich ihn nach seinem Befinden fragte. Er war richtig versessen darauf zu erfahren, ob wir nun reich sind oder nicht. Natürlich habe ich ihm erklärt, dass wir das noch nicht wissen und Jace’ Bericht abwarten müssen, aber das hat ihn nicht beruhigt. Er ist auf dem Weg zu uns.»
«Wie? Chuck kommt hierher?», fragt nun Piet und stellt sein Bier auf den Tisch. «Traut er uns nicht? Also, ich würde weitersuchen nach meiner Liebsten. Aber ich bin ja nicht Chuck.»
Emma und Marie nicken nachdenklich. Es ist beruhigend, Chuck wohlbehalten zu wissen und ihn bald wiederzusehen, aber falls die Steine tatsächlich etwas wert sind, wird er sofort anfangen, Druck aufzubauen, wie damit umzugehen sei und was aus seiner Sicht nun zu tun ist. Sie haben sich bisher um die Frage gedrückt und nur manchmal vor dem Einschlafen daran gedacht, wie wenn man sich vorstellt, im Lotto den Jackpot geknackt zu haben. Dabei schwanken sie alle gleichermaßen dazwischen, es sich nicht vorstellen zu können und zu versuchen, es zu glauben. Fantasien machen sich in ihren Köpfen breit, was sie mit dem Geld alles anstellen könnte. Aber noch sind ja die Zahlen nicht gezogen und sie haben keine Ahnung, ob sie eine Niete in Händen halten oder ein Vermögen.
«Ich glaub’ nicht, dass Chuck uns nicht traut», antwortet Sam. «Er hält sich einfach an der Vorstellung fest, er könnte reich sein und verdrängt damit seine Verzweiflung. Und er will, ganz Chuck, sofort die nächsten Schritte planen und wird wohl wie immer alles besser wissen. Von Barbu habe ich übrigens auch eine E-Mail erhalten. Er ist offenbar in Wien angekommen. Das sind gute Nachrichten.»
«Ja, was tun wir denn, wenn wir tatsächlich reich sind? Hast du etwas von Jace gehört, Emma?», meint Piet fröhlich.
«Er ist in London bei seinem Onkel angekommen und sein Cousin John wird morgen einen seiner Partner treffen, um seine Beurteilung über die Steine mit ihm zu überprüfen.»
«Okay, aber hat er denn noch nichts dazu gesagt?», hakt Piet nach.
«John ist ein sehr gewissenhafter Mann. Jace konnte ihn nicht zu einer Stellungnahme bewegen, bevor er sich nicht sicher ist. Allerdings fand er die Sache ziemlich extrem, wie er sich gegenüber Jace ausgedrückt hatte.»
«Hmm», brummt Piet und schaut in die Runde.
«Mal angenommen, wir sind reich und können die Steinchen verklickern. Ich meine, nehmen wir an, wir sind richtig reich. Dann sind wir Milliardäre! Was tun wir, was tut jeder von uns, mit dem Geld?», bricht Marie das kurze Schweigen.
Alle schauen sich verdutzt an. Es ist, als denken sie zum ersten Mal überhaupt darüber nach. Natürlich hatten sich alle in den letzten Wochen sich Gedanken gemacht, aber so richtig bis ins Detail?
Wie die meisten Menschen hatten sie sich so eine Situation schon früher einmal vorgestellt, wenn das Geld nicht reichte oder sie Wünsche hatten, die weit über ihre finanziellen Möglichkeiten gingen. Ein Tagtraum, wie wenn man einen Ärger mit einem großen Drink herunterspült und sich die Wirkung des Alkohols wie eine warme Decke über die frostige Welt legt.
Es ist, als erzähle man sich eine schöne Gutenachtgeschichte, um der Wirklichkeit zu entfliehen und danach selig einzuschlafen. Um der Sehnsucht nach Befreiung von Zwängen und Einschränkungen zu entkommen und sich vorzustellen, wie es wäre, plötzlich reich zu sein und alle materiellen Wünsche in Erfüllung gingen. Wie ein Baden in dem Gefühl, eine solche Mitteilung zu erhalten.
Man empfindet dabei eine Art Taubheit – so erzählen es zumindest Menschen, denen so etwas Wiederfahren ist, – und dann ist man überschwemmt von Glücksgefühlen, sobald das Bewusstsein aufhört, sich zu weigern gegen die Unerhörtheit, dass es wahr ist.
Die Gedanken beginnen, sich zu überschlagen und die Stimmen im Kopf reden wild durcheinander. „Wow! Nun muss ich nie mehr irgendwelche mühsamen Jobs machen. Ich werde mir nie mehr Sorgen machen müssen, wie ich meine Rechnungen bezahlen sollt. Ich bin FREI!“ Und eine andere Stimme ruft: „Zehn Millionen – Wahnsinn! Obwohl – hat nicht vor ein paar Monaten einer den Jackpot mit neunzig Millionen geknackt? Shit, warum muss der Jackpot jetzt so niedrig sein, wenn ich einmal gewinne! Schließlich ist die Wahrscheinlichkeit so gering, überhaupt zu gewinnen, dass mir das wohl kaum noch einmal geschehen wird. Aber egal. Was soll’s. Zehn Millionen werden reichen für ein sehr bequemes Leben, in dem ich alles, was ich möchte, haben kann.“ „Hoffentlich fressen die Steuern nicht die Hälfte oder noch mehr auf“, meldet sich eine dritte Stimme.
Die Gedanken schwenken von Befürchtungen bis zu Ärger, zu tausend Möglichkeiten. Ängste steigen hoch, die vor der frohen Botschaft unbekannt hat waren. Und eine Glückseligkeit ergreift einen, wie als Kind vor dem Weihnachtsbaum mit unzähligen Geschenkpaketen, deren Inhalt man vorher auf einer Liste bestimmen durfte.
Was würden Sam und seine Kollegen auf so eine Liste schreiben? Ein tolles Haus, eine Villa auf dem Land vielleicht. Einen geilen Offroader, natürlich diesen Zehn-Zylinder-Mercedes. Na ja, und dann vielleicht noch ein Cabriolet für den Sommer. Und – ach ja, einen Pool müsste die Villa natürlich haben. Und Reisen, genau. In die Antarktis mit einem Expeditionsteam und dort tauchen. Und dann eine Safari mit dem Offroader durch die Savannen Afrikas. Oder gleich eine Weltreise? Mit einem luxuriösen Katamaran-Segler und der besten Ausrüstung, um unterwegs in den tollsten Gebieten tauchen zu können. Tauchen – genau! Vielleicht wäre es auch eine tolle Sache, ein Resort auf einer Insel mit einer Tauchbasis zu kaufen oder aufzubauen. Dazu gehören natürlich noch ein, zwei Speedboote und das Ganze natürlich so, wie es sich gehört: umweltverträglich, nachhaltig, keine Touristenfalle. Nicht so wie die Resorts, für die ich in der Vergangenheit gearbeitet habe. Aber ob für das alles die zehn Millionen reichen? Verdammt, warum kann es nicht der große Jackpot sein?! Dann könnte ich vielleicht auch noch ein Haus für die Mutter kaufen, sie hätte es mehr als verdient. Oder der Schwester ein Studium ermöglichen, dass sie als alleinerziehende Mutter niemals finanzieren kann. Für alles würden die zehn Millionen nicht reichen und ich werde auswählen müssen, mich beschränken. Beschränken? Mach ich das nicht jetzt schon ständig?
Dieser „Tagtraum“ jedoch, den die Taucherfreunde gerade träumen, ist komplett anders. Es geht nicht um ein paar läppische Millionen, die sie sich auch noch teilen müssen. Es geht um hunderte Millionen für jeden von ihnen.
Schweigen herrscht in der Runde. Nur am Glitzern in den Augen ist zu erahnen, welche Luftschlösser gerade in den Köpfen gebaut werden. Von schmucken Landhäusern bis zu goldenen Palästen. Von Lamborghinis bis zu getunten Offroadern, von Pferdegestüten bis zu Tauch Resorts.
«Und?», fragt Marie in die Runde. Alle glotzen sie an. «Was würdet ihr mit dem Geld machen?»
«Also, ich werde mir....», meldet sich Piet mit belegter Stimme.
«Halt – Stopp, Freunde!», fällt ihm Sam ins Wort.
«Bevor wir uns jetzt alle übertreffen mit den aberwitzigsten Ideen, müssen wir wissen, von welchen Beträgen wir sprechen und wie wir die Steine überhaupt zu Geld machen können. Das wird nicht so einfach. Wir können ja nicht einfach bei einem Juwelier hereinspazieren und ihn fragen, ob er einen Diamanten kaufen möchte. Wenn es wirklich so hohe Werte sind, werden wir zuerst Käufer finden müssen, bevor wir irgendwelche Anschaffungen machen oder sonst wie mit dem Reichtum hantieren. Wir werden vorsichtig vorgehen müssen, um nicht gleich die Behörden und die Medien am Hals zu haben», fährt Sam fort. Seine Nüchternheit bringt die anderen wieder auf den Boden der Tatsachen. Seine Worte lassen die funkelnden Traumbilder in den Köpfen verblassen. Etwas widerwillig kehren sie in die Realität zurück.
«Du hast natürlich recht», entgegnet Emma. «Aber angenommen wir lösen das. Wir haben uns alle unsere Wünsche erfüllt, dann sind wir immer noch unglaublich reich. Also, ich denke, wir sollten eine Stiftung gründen. Es gibt so viel Armut und Leiden auf der Welt. Und schließlich haben wir die Steine ja nur durch Zufall gefunden. Verdient haben wir uns in dem Sinne ja nicht. Da schulden wir der Welt doch etwas».
«Da wirst du bei Chucks aber wahrscheinlich auf Granit beißen. Im besten Fall macht er sich über dich lustig oder wird sauer werden, was ich sogar nachvollziehen könnte. All die Schwerreichen haben ihr Vermögen doch auch nicht wirklich verdient. Dann müssten die auch ihr Geld in lauter Stiftungen stecken», meint Jace lakonisch und erntet dunkle Blicke von Emma und Marie.
«Tun sie doch auch», erwidert Sam. «Schau dir doch an, was Buffet, Zuckerberg, Gates und wie sie alle heißen für wohltätige Zwecke in Stiftungen stecken» meint Sam.
«Ja, ja, so lassen sie es in den Medien verbreiten. Aber was tun sie wirklich? Und selbst wenn, ändert das was am Zustand der Welt? Abgesehen davon, ist das dann doch eine andere Liga. Die sind ja alle trotzdem noch unglaublich reich und müssen sich keine Sorgen machen. Also, ich möchte eine richtig tolle Tauchbasis gründen. Besser noch eine globale Kette von Basen, wo ich alles ökologisch und nicht so Geld-versessen anbieten könnte. Oder ich kaufe gleich alle Adventure-Unternehmen in Island und mache daraus ein nachhaltiges Business. Und wenn noch was übrigbleibt, kann ich ja immer noch was spenden. Das ist meine Meinung», erwidert Piet aufgeregt.
«Hmm, es wird wohl nicht so einfach, uns zu einigen. Wenn jeder von sich aus etwas spendet, ist das zwar gut, aber mit einer gemeinsamen Stiftung könnten wir schon mehr bewirken. Die Idee gefällt mir jedenfalls sehr», meint Sam.
«Also, dann müssen wir uns einigen, wie viel jeder für sich behält und den Rest geben wir in einen gemeinsamen Topf, um damit Gutes zu bewirken?», fragt Marie.
«Genau, das finde ich richtig. Und ich glaube, auch Jace findet das gut. Und es müsste was übrigbleiben, um Familie und Freunde mit ihren Projekten oder Bedürfnissen zu unterstützen. », entgegnet Emma.
Piet bricht in schallendes Gelächter aus und geht ins Haus, um sich noch ein Bier zu holen. «Ihr seid doch alle bescheuert», hören sie ihn noch brummen.
«Am besten wir überlegen uns, ob ein gemeinnütziger Teil bestehen soll oder nicht und wenn ja, wie hoch dieser Anteil vom Ganzen ist. Das wird nicht einfach, aber wir werden schon einen Konsens finden. Oder nicht?», fragt Sam in die verbleibende Runde. Emma und Marie schauen ihn mit kritischen Mienen an.
«Ihr seid doch alle komplett durchgeknallt. Spinnt ihr eigentlich? Da haben wir einmal Glück im Leben und können endlich tun, wovon jeder von uns nicht einmal zu träumen gewagt hat und das Erste, was euch in den Sinn kommt, ist die Kohle für die armen Kinderlein in Afrika zu spenden? Also, ich mach da nicht mit. Prost», ruft Piet aus der Küche und öffnet eine Dose Bier.
«Männer!», kommentiert Marie, legt den Arm um Emma und geht mit ihr auf die Terrasse.
Jace holt tief Luft und schaut Sam an. Vielleicht ist es besser, mit Piet ein Bier zu trinken, statt einen Streit mit den Frauen zu beginnen.
«Was soll das? Wollen die allen Ernstes jetzt auf Albert Schweitzer machen und die Welt aus der Armut retten? Das ist doch naiv, richtiges Frauengeschwätz», brummt Piet erbost, als er sich zu Sam an die Bar in der Küche setzt.
«Komm runter, Piet. Wir sollten den Hirsch erst teilen, wenn wir ihn erlegt haben. Ich bin überzeugt, es wird genug da sein, um sich ein gutes Leben machen zu können», antwortet Sam und massiert mit einer Hand Piets Schulter.
«Ich weiß nicht. Was machst du eigentlich mit dem Geld?» fragt Piet.
«Hmm, natürlich habe ich schon darüber nachgedacht. Ist gar nicht so einfach. Ich habe dieses Haus, ein Auto, kann mir Reisen leisten. Soll ich das alles einfach noch größer machen, luxuriöser, nur weil ich nun viel Geld habe? Jedenfalls bin ich schon froh, wenn ich nie, nie mehr irgendeinen stinklangweiligen und obendrein noch anstrengenden Job machen muss, um mein Leben zu finanzieren.»
Piet nickt nachdenklich. «Aber da muss es doch etwas geben, was dich wirklich begeistert außer die Kohle zu verschenken. Ich hätte da schon Ideen.»
«Hast Du einmal von der Studie gelesen, die man mit Lottogewinnern gemacht hat? Offenbar ist es mit dem Geld fast wie mit dem Verliebtsein. Nach ein paar Monaten des absoluten Hochgefühls, der Glückseligkeit, wobei Vernunft und Urteilsfähigkeit verloren gehen, landen fast alle unsanft auf dem Boden der Realität. Die meisten gehen pleite und sind danach unglücklicher als zuvor. Lass uns nachdenken, bevor wir wie verliebte Affen mit Geld um uns schmeißen», sagt Sam.
«Da magst du recht haben, aber ich träume ja gar nicht von dicken Autos, Villen und so einem Zeug. Okay, zugegeben, schon auch. Ein bisschen Spaß darf ja sein, aber mein wirklicher Traum ist, ein weltweites Netz von Tauch Resorts aufzubauen. Nachhaltig und mit Biologen, die den Gästen spannende Informationen über das Meer und seine Bewohner liefern, so wie Jacques Custeau das gemacht hat. Der hat’s drauf gehabt. Er ist mein Held. Hast Du gewusst, dass er eine Stadt unter dem Meer bauen wollte? Ich würde mit Unterwasserressorts anfangen. Vielleicht könnte ich das ja nun Realität werden lassen», meint Piet mit leuchtenden Augen.
«Hmm, klingt toll. Eine Tauchbasis wäre schon stark. Ich habe mit Marie auch über so etwas gesprochen», sagt Sam und wird sich bewusst, wie wenig Träume er offenbar aus seiner Jugend hat retten können. Er hat für sich keine Luftschlösser gebaut, eher Sandburgen. Und wenn er ehrlich ist, würde er sogar den ganzen Reichtum verschenken, wenn er dafür einen Pakt mit dem Teufel oder wer auch immer zuständig ist, schließen könnte: Das Geld gegen eine lebenslange, glückliche Liebe. Vielleicht sogar doch noch Vater werden und in Geborgenheit alt werden. Doch das lässt sich leider nicht kaufen, deshalb hatte er nur ein wenig mit Marie über eine Tauchbasis fantasiert. Nicht weil er es das Größte fand, sondern weil er dachte, es würde ihr gefallen.
«Marie hat mir heute übrigens auch gesagt, ich sei auch nur einer dieser Kindsköpfe der Tauch-Looser-Gemeinschaft. Dauernd auf Abenteuer aus und dazu noch völlig beschränkt. Da sei man endlich reich, die ganze Welt läge einem zu Füssen und man könnte etwas wirklich Wichtiges erreichen. Aber das Einzige, was uns dazu einfalle, sei eine Tauchbasis. Damit hat sie wohl auch dich gemeint», sinniert Piet, schaut sich die Dose, als wolle er prüfen, was er da eigentlich trinkt, und rülpst lautstark.
«Hmmm», brummt Sam. Er will sich nicht provozieren lassen, aber er spürt, wie sich sein Magen leicht zusammenzieht.
«Emma stand dabei und hat zustimmend genickt. Ihr Jace fasle auch dauernd nur von einer Tauchbasis. Mit solchen Männern solle man dann sein Leben aufbauen. Marie meinte zur Bestätigung, dass auf Männer sowieso kein Verlass sei. Wenn es darauf ankäme, würden sie immer verschwinden oder im besten Fall brav nicken. Mehr könne man nicht erwarten. Zu welcher Kategorie gehörst du, Sam?», fragt Piet und lächelt schief.
Sams Wangen bekommen ein wenig Farbe, aber er sagt immer noch kein Wort. Eine gute Frage. Zu welcher Kategorie gehört er? Er vermutet, zur Zweiten, gefolgt von der Ersten, wenn er es nicht mehr aushält. Zumindest war es so in der Vergangenheit.
«Wo willst du denn deine Basis aufmachen», fragt er, um das Thema zu wechseln.
„«Island...», antwortet Piet, ohne lange zu überlegen. Er schaut Sam forschend. «Da ist alles am Boden und es gibt keine Konkurrenz. Die Behörden würden heilfroh sein, wenn ich da eine Werft kaufe und die Module für meine Unterwasserhotels bauen. Dann können auch Nichttaucher diese Welt entdecken und ich kann etwas dazu beitragen, dass mehr Menschen mithelfen, den Planeten zu retten. Das ist tausendmal cleverer als diese naive Bäumchen-umarmen-Idee mit Spenden, um die Armut zu beseitigen», antwortet Piet. Er kommt jetzt richtig in Fahrt.
«Wann hast Du denn mit den beiden gesprochen?», fragt Sam, da kommen Emma und Marie Arm in Arm lachend ins Haus.
Stillschweigend einigen sie sich, das Thema vorerst ruhen zu lassen, bevor das schwelende Feuer auflodert und sich mit den Flammen bis zum Dach frisst.
«Ein Bier, die Damen?», fragt Sam charmant lächelnd. Die beiden nicken.
Marie liegt neben Sam im Bett. «Sam, chérie, was denkst du wirklich über unseren bevorstehenden Reichtum? Es wird wohl nicht nur lustig werden. Ich bin gar nicht so sicher, ob das gut ist. Wenn ich wählen könnte, wäre das alles gar nicht geschehen und ich wäre immer noch ein armer Guide auf Island.»
Sie löst sich aus seiner Umarmung und setzt sich auf. Sam brummt etwas Unverständliches.
«Ich kann jetzt nicht schlafen. Sprich bitte mit mir», versucht Marie ihn in ein Gespräch zu verwickeln.
Sam setzt sich ächzend auf. «Das ist nicht so einfach zu beantworten. Dazu geht mir vieles durch den Kopf, über unsere Gesellschaft, unser System, meine eigenen Werte. Kann ich daraus den Schluss ziehen, wie wir das anstellen sollen, Wohltätern zu werden?»
«Explique mois. Sag mir, was du darüber denkst, Sam.»
«Ich kann es versuchen», sagt er. Marie legt sich wieder hin, zieht Sam zu sich herunter und kuschelt sich an seine Schulter, als würde er nun mit Gutenachtgeschichte beginnen.
«Also, es war einmal ein Planet, auf dem lebte eine komische Spezies namens Homo sapiens...» Marie schaut Sam unverwandt an. Er sieht ihren Blick und seufzt, aber sie lässt nicht locker.
«Okay, mein Schatz, ich will versuchen, nicht zynisch zu werden und meine zugegebenermaßen etwas pessimistische Weltanschauung außen vorzulassen.»
«Das finde ich einen guten Anfang, mon cher. Ich bin gespannt.»