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Kessedy, kurz Kess genannt, ist nicht nur wegen ihres Namens unglücklich. Bereits in der Schule ist sie deswegen gehänselt worden und der ihr damals verliehene Spitzname haftet noch immer an ihr. Nun hat sie die einmalige Chance, sich beruflich zu profilieren und gleichzeitig ihre Geldbörse aufzubessern. Ihr Arbeitgeber, eine renommierte Werbeagentur, hat sie beauftragt, ein Konzept für einen dringend benötigten Auftrag zu erstellen und Kess steckt ihre ganze Energie in dieses Projekt. Allerdings ist es als Ehefrau, Mutter und Oma nicht so einfach, in Ruhe zu arbeiten. Schlussendlich sitzt sie aber doch mit einer fabelhaften Idee im Besprechungssaal von Lohse Media und alle warten gespannt auf ihre Präsentation. Diese entpuppt sich jedoch als Katastrophe und alles läuft aus dem Ruder. Aber nicht nur das.
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Seitenzahl: 201
Veröffentlichungsjahr: 2014
Zu diesem Buch
Kessedy, kurz Kess genannt, ist nicht nur wegen ihres Namens unglücklich. Tagelang hat sie an ihrem Konzept getüftelt, das ihrem Arbeitgeber einen dringend benötigten Auftrag und ihr eine dicke Provision bescheren soll. Und nun sitzt sie im Besprechungssaal von Lohse Media und alles läuft aus dem Ruder. Aber nicht nur das.
ROMANA KNÖTIG
Eiskaffee mit Schokostreuseln
Roman
www.tredition.de
© 2014 Romana Knötig
Umschlaggestaltung: Markus Maier
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN: 978-3-8495-7774-2
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
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Personen, Orte und Namen in diesem Buch sind frei erfunden.
Für meine Familie Für Selma und Gerhard, Manuela und Markus
Selbst an stürmischsten Regentagen zaubert ihr mir einen Sonnenstrahl,
Wenn die Frauen verblühen, verduften die Männer.
Prolog
Ich hieß Kessedy Bierholz. Was für ein bescheuerter Name! Solange ich denken konnte, hatte ich meine Mutter dafür gehasst und mich oft gefragt, ob sie betrunken gewesen war, als sie diesen Namen für mich ausgesucht hatte. Aber sie beteuerte stets, er rührte vom großen John F. Kennedy her, sie hätte ihn immer mächtig verehrt und als dieser im selben Jahr seinen ersten Versuch unternahm, ins Weiße Haus einzuziehen, als ich zur Welt kam, benannte sie mich kurzum nach ihm, indem sie einfach die beiden N in S umwandelte. Ihm zu Ehren und mir zur Qual! Freilich, Kennedy war ein fesches Kerlchen gewesen, aber eben doch ein Politiker, und nichts widerstrebte mir mehr, als nach einem solchen benannt zu sein. Und überhaupt klang Kessedy mehr nach einem Teenager auf der Highschool oder zumindest nach einer dreißigjährigen Blondine auf Shoppingtour. Aber ich war über siebenundfünfzig! Zugegeben, ich sah für mein Alter ganz gut aus, schulterlange braune Haare - okay, braun gefärbt - passable Figur, immer adrett gekleidet, sich in Grenzen haltende Falten um die Augen. Das hieß aber nicht, dass ich jünger aussah, nur eben ganz gut für mein Alter. Es gab ja auch Zwanzigjährige, die nicht gerade von der Sonne geküsst worden waren.
Mein Nachname schlug dann alles oder sagen wir besser, die Kombination aus Vor- und Nachnamen. Konnte ich denn nicht Parker oder Stone oder irgendeinen anderen amerikanisch klingenden Namen haben? Noch dazu, wo mein Vater Amerikaner gewesen war! Meine Mutter war während der Besatzungszeit auf ihn getroffen, hatte sich unsterblich in ihn verliebt, es jedoch verabsäumt, ihn zu heiraten, bevor ich zur Welt und er, zurück in den Staaten, bei einem Militäreinsatz ums Leben gekommen war. Ich war also ohne leiblichen Vater aufgewachsen und meine Stiefväter konnte ich an einer Hand nicht zählen. Ach Mama, warum konntest du denn nicht einen von ihnen ehelichen? Natürlich, wenn man Maria hieß, stellte sich diese Frage nur begrenzt, Maria Bierholz klang schließlich nicht außerirdisch. Ebenso glücklich konnte sich mein Bruder Josef schätzen, er war zwar vier Jahre vor Kennedys politischem Feldzug geboren, aber ich fand ja schon immer, dass du ihn in allem bevorzugt hattest. Sogar meine Schwägerin brauchte sich nicht über ihren neuen Nachnamen zu beschweren, hieß sie doch zuvor Gundula Großschädel!
Bereits im Volksschulalter wurde ich meines Namens wegen verspottet und ausgelacht, später bekam ich den Spitznamen Kess verpasst, der bis heute an mir hängen geblieben war. Ich wusste noch genau, wie mir die Jungs aus meiner damaligen Klasse im Pausenhof immer zuriefen: „Kess, gib uns nen Kuss!“ und dabei ihre Lippen schürzten. Wie lustig! Ich verstand nicht, wie Behörden ihre Bewilligung zu solch absurden Namen geben konnten. Wenn schon die Eltern nicht wussten, was sie ihren Kindern antaten, dann wenigstens jemand Außenstehender, der solchen Unfug verbot! Wer schützte denn sonst die armen kleinen Würmchen?!
Als ich meinen Mann kennenlernte, war ich Gott von Herzen dankbar: Er hieß Köhler. Kessedy Köhler klang nicht sonderlich berauschend, aber allemal besser als Bierholz. Das Schöne an meinem Mann war, dass er sich bestens in meine missliche Lage und meinen Kummer versetzen konnte. Er hieß mit Vornamen Gerfried.
Kessedy und Gerfried – das musste ja schiefgehen!
Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, während ich an einer Schatten spendenden Säule des Gerichtsgebäudes lehnte und auf meinen Mann wartete. Erstaunlich viele Leute tummelten sich auf dem Vorplatz, aber ich sah lieber den dunkelgrau gefiederten Tauben zu, die in den Ritzen des Kopfsteinpflasters nach Krumen pickten. Es war später Vormittag, die Luft stickig und die bevorstehende Hitze des Tages bereits zu erahnen. Genervt blickte ich auf die Uhr, unser Termin war bereits vor fünf Minuten anberaumt gewesen. Ich saugte geräuschvoll die Luft ein. Selbst zu seiner eigenen Scheidung kam Gerfried zu spät!
Kapitel 1
Herein!“, donnerte Lohses tiefe Stimme, der Elvis Presley unserer Werbeagentur.
Ich öffnete die Tür zum Büro meines Chefs. Er saß hinter seinem gläsernen Schreibtisch und kritzelte etwas in ein Notizbuch. Ohne aufzusehen, bedeutete er mir, Platz zu nehmen. Da er keine Anstalten machte, seine Beschäftigung zu unterbrechen, nützte ich die Zeit, um ihn ungeniert zu mustern. Lohse war ein groß gewachsener Mann Ende vierzig, schlank, dunkles Haar, mit Designerbrille und ebensolcher Kleidung. Seine dunklen Augen saugten alles wissbegierig in sich auf und wenn er lachte, vertieften sich seine Grübchen in den Wangen. Alles in allem wäre mein Chef ein durchaus attraktiver Mann gewesen, dem Frauenherzen nur so entgegengeflogen wären – hätte da nicht dieses hässliche Ding die ganze Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Genau zwischen seinen Augen, am Ende des Nasenrückens, saß eine dicke, schwarz behaarte Warze. Wenn man ihn beim Sprechen ansah, was ja bekanntlich zum guten Ton gehörte, kam man also nicht drum herum, auch diese anzustarren.
„Schön, schön“, meinte Lohse und legte den schwarzen Füller in ein Pennal. „Kaffee?“
„Nein, danke.“
Er drückte auf einen Knopf der Gegensprechanlage und als eine Stimme am anderen Ende ertönte, sagte er: „Für mich Kaffee. Zwei Löffel Zucker, wenig Milch.“
Ich fragte mich, ob ihm in all den Jahren nie der Gedanke gekommen war, dass dies seine Sekretärin inzwischen auswendig wusste.
„Also, die Lebensmittelkette Söhnle möchte eine neue Produktpalette in ihr Programm nehmen. Alles biologische, heimische Ware. Beginnend mit Getreideprodukten: Müsli, Teigwaren, Mehle, Kekse, et cetera, später auch Milchprodukte, Öle, Tiefkühlkost.“
Ich lauschte neugierig.
„Unsere Agentur wurde damit beauftragt, ein erstes Konzept zu erstellen. Werbename, Logo,… Sie wissen schon, das volle Programm. Wenn es ihnen zusagt, wird sofort in Produktion gegangen.“
„Sind wir die Einzigen?“
Er lachte auf. „Zwei Konkurrenten. Und die werden sich bestimmt genauso den Arsch aufreißen wie wir.“
Moni brachte den Kaffee und stellte ihn vor Lohse auf den Schreibtisch.
„Auch zwei Löffel Zucker?“
„Alles wie gewünscht.“
„Schön, schön.“ Er nippte vorsichtig an dem dampfenden Getränk und als ich Moni beim Hinausgehen zuzwinkerte, verdrehte diese die Augen.
„Frau Köhler“, fuhr Lohse fort, „ich möchte, dass Sie sich um dieses Konzept bemühen. Trauen Sie sich das zu?“
„Ich weiß nicht… “
„Es geht erstmals nur darum, einen groben Entwurf auszuarbeiten, eine erste Idee. Und dass Sie davon genug originelle besitzen, haben Sie uns allen in den letzten Jahren ja eindrücklich bewiesen. Wenn mir und dem Ausschuss Ihre Präsentation gefällt, stell ich Ihnen alle Grafiker und Texter zur Verfügung, die Sie brauchen und übertrage Ihnen die Projektleitung.“
Ich überlegte.
„Natürlich wird Ihr Bemühen auch mit einer dementsprechend großen Provision belohnt.“
Jetzt war mein Interesse geweckt.
„Wie sag ich immer? Kleine Aufträge – kleine Zuwendungen, große Aufträge – große Provisionen.“
Ich lächelte entzückt. Vor meinem inneren Auge türmten sich bereits die Geldscheine und Lohses Warze blinkte mir als Goldnugget entgegen. „Ich mach’s!“
„Schaffen Sie es bis übers Wochenende?“
„Natürlich!“
„Nähere Informationen zu Söhnle wird Ihnen Rolf geben. Es ist eine große Sache Frau Köhler und unsere Agentur könnte diesen Auftrag dringend gebrauchen. Wir dürfen es nicht vermasseln!“
„Ich werde Sie nicht enttäuschen!“
Beschwingt tänzelte ich den Gang entlang zu Rolfs Büro und klopfte. Keine Antwort. Nach wenigen Augenblicken probierte ich es erneut. Wieder keine Reaktion. Ich überlegte kurz und machte mich auf den Weg zum Sekretariat. Vielleicht hatte er dort eine Nachricht für mich hinterlassen oder die Papiere für mich hinterlegt.
Monika Kovic, kurz Moni genannt, war im selben Alter wie ich und hatte vor rund zehn Jahren ihren Dienst hier angetreten. Sie war eine äußerst genaue und hilfsbereite Kraft, was immer in der Firma kaputt ging, wo immer jemand Hilfe benötigte – Moni war mit vollem Einsatz stets zur Stelle. Wir hatten uns von Anfang an gut verstanden, teilten die Vorliebe für Kaffee und Pralinen und hatten denselben Modegeschmack.
„Was machst du da?“
Moni kniete auf dem Fußboden, unzählige Büroklammern vor ihr verstreut. Eine Strähne ihres goldblonden, mit einer Spange im Nacken festgehaltenen Haars hatte sich gelöst und hing ihr ins Gesicht. Sie blickte genervt auf. „Ich hab von Lohse den Auftrag bekommen, all seine Klammern nach Farbe zu sortieren. Es störe ihn und er meint, dann effektiver arbeiten zu können, da jede Farbe für etwas Bestimmtes stehe und wenn jemand aus der Agentur zusammengeheftete Unterlagen von ihm erhalte, so wisse er gleich anhand der farbigen Büroklammer, um was es sich handle.“
Ich sah sie mit großen Augen an. „Das ist doch krank, oder?“
Sie zuckte mit den Achseln. „Was soll’s, heut ist eh nix los.“
„Dass du dir das gefallen lässt!“
„Tja, ich bin aufs Geld angewiesen und somit letztendlich am kürzeren Ast.“
Ich seufzte. Wo sie recht hatte… „Sag mal, weißt du, wo ich Rolf finde? Sein Büro ist abgeschlossen.“
„Er ist schon vor einer Stunde weg.“
„Hat er was für mich hinterlegt?“
„Bei mir nicht.“
„Mist!“ Ich erzählte Moni von Lohses genialem Auftrag an mich und den sich daraus ergebenden fabelhaften Konsequenzen.
„Warte, ich seh nach, ob Rolf sich eingetragen hat.“ Ihr ausgestreckter Finger flog über den Terminkalender an der Wand. „Ja, Samstag Vormittag.“
„Okay, dann schau ich vorbei.“
Wir wünschten uns ein schönes Wochenende und Moni wandte sich wieder den bunten Büroklammern zu.
Calypso, der kleine Rauhaardackel von Lohse, saß in einer Ecke des Sekretariats und beschnüffelte den hoch gewachsenen Gummibaum. Calypso - auch so ein origineller Name! Bestimmt hätten sich Lohse und meine Mutter prächtig verstanden! Gar nicht auszudenken, wenn Lohse ein paar Jährchen älter gewesen wäre und sie sich im realen Leben kennengelernt hätten. Als er ihn vor neun Jahren zum ersten Mal in die Firma mitgebracht hatte, in eine babyblaue Flauschdecke gehüllt, hätte ich ihm fast mein Herz geschenkt. Aber nur fast. Denn als ich ihm liebevoll den Kopf tätscheln wollte, hatte er mich übel in den Finger gezwickt, sodass dieser ums Doppelte angeschwollen war und fünf Tage lang geschmerzt hatte. In all den Jahren hatte der Hund in meiner Gegenwart kein einziges Mal mit dem Schwanz gewedelt oder freudig gejapst. Im Gegenteil: Er stellte sofort die Nackenhaare auf und begann leise zu knurren. Und sein sonst so unschuldiger Dackelblick hatte etwas Böses, Teuflisches an sich. Es war ja nicht so, dass ich mich nicht um ein gutes Verhältnis bemüht hätte, ich liebte Tiere, hatte in meiner Jugendzeit selbst zwei Meerschweinchen und eine Schildkröte besessen und Nachbars Collie war oft zu Besuch gewesen, außerdem wusste ich, dass ich nun mal die Ältere von uns beiden und ihm naturgemäß im Denken überlegen war. Also hatte ich ihm des Öfteren kleine Leckereien ins Büro mitgebracht und das erste Jahr zu Weihnachten eine Gummiente als Spielzeug gekauft. Aber dieser hatte er gleich den Kopf abgebissen und meine Hundestangen stets verschmäht. Es half nichts, Calypso und ich waren Erzfeinde. Ich nannte ihn deshalb auch schlichtweg Scheusal!
Ich schloss die Tür zu meinem Büro ab und ging, die Aktentasche unter den Arm gepresst, Richtung Tiefgarage.
Als ich vor sechsundzwanzig Jahren bei Lohse Media angefangen hatte, war es noch Lohses Vater gewesen, der die Geschäftsführung innehatte. Schon damals war es ein gutes mittelständisches Unternehmen gewesen und über die Jahre hatte es seinen guten Ruf beibehalten können. Allerdings war mir in letzter Zeit vermehrt zu Ohren gekommen, dass es nicht gut um die Agentur stünde und die schwindende Auftragslage in den vergangenen Jahren durchaus aufgefallen. Umso wichtiger war es nun, diesen fetten Auftrag an Land zu ziehen und in meinem Gehirn glühten bereits alle Leitungen. Ich liebte meinen Beruf, hatte eine rege Vorstellungskraft und die Gabe, aus einem Sandkorn eine Wüste zu schaffen.
Mein Corsa parkte unweit der Ausfahrt, ich warf meine Sachen auf die Rückbank und trat aufs Gas. Als ich die Stadtautobahn erreichte, schob ich eine selbst gebrannte CD ein, kurbelte das Fenster herunter und ließ mir den Wind um die Ohren blasen. California Dreamin‘ von The Mamas & The Papas war mein zweites absolutes Lieblingslied, ich hatte es mindestens an die tausend Mal gehört. Bei The Moody Blues‘ Nights in White Satin ging mir das Herz über.
Unser Haus lag in einer halbwegs ruhigen Siedlungslage. Als wir es gekauft hatten, war es in einem stark renovierungsbedürftigen Zustand gewesen und einige Reparaturen standen noch immer an. Gerfried verdiente als Immobilienmakler zwar ganz gut, aber für ein neues Dach wäre mindestens sein gesamtes Jahreseinkommen draufgegangen und so hofften wir, dass es noch einige Stürme aushielt, bevor wir genug erspart hatten. Gerfried war kein Handwerker, er prahlte zwar immer vor seinen Freunden damit, aber in Wahrheit hatte er zwei linke Hände. Selbst wenn es nur darum ging, eine Glühbirne auszuwechseln, war ich diejenige, die auf die Leiter stieg und herumschraubte.
Als ich die zwei Stufen zum Haus hinaufhopste, überlegte ich, ob sich von einem Monatsgehalt plus Provision wohl eine neue Eingangstür ausgehen könnte. Vor wenigen Monaten hatte ich im Abverkauf eine solche erspäht, die mir sehr zugesagt hatte, der Preis hatte bei über dreitausend gelegen, dazu kam die Montage, aber immerhin hatte Lohse von „riesig“ gesprochen. Im Haus war es stickig, ich legte die Schlüssel auf die Garderobe und öffnete als Erstes alle Fenster in den unteren Räumen. Esszimmer und Wohnbereich waren mit modernen, hellen Möbeln eingerichtet, Ahorn. Wie sagte ich immer: Alt bin ich selber! In der Küche hingen selbst gehäkelte Scheibenvorhänge, die noch aus Zeiten meiner Mutter stammten. Darunter reihten sich violett und weiß blühende Orchideen, die ich nicht zuletzt wegen ihrer unkomplizierten Pflege allen anderen Pflanzen vorzog.
Ich öffnete den Kühlschrank. Der Topf mit Gulasch vom Vortag stand unangerührt darin, ich erkannte es an der vorhandenen Menge. Also war mein Mann noch nicht von der Arbeit zurückgekehrt. Ich schaltete den Ofen ein und während sich das Gulasch erhitzte, schnitt ich Weißbrot in Scheiben und deckte den Tisch. Dann holte ich eine Mineralwasserflasche aus der Vorratskammer und befüllte den Wasserkrug. In diesem Moment hörte ich jemanden die Treppe herunterpoltern. Gerfried! Sein Hemd war zerknittert, das schon schüttere graumelierte Haar stand ihm zu Berge.
„Ich dachte, du bist noch im Büro?“
„Heut war nicht viel los, drum hab ich früher Schluss gemacht. Hab mich ein Stündchen hingelegt.“
„Du hast ja noch gar nichts gegessen.“
„Ach, ich dachte, ich warte auf dich und wir essen gemeinsam.“
Die Wahrheit war: Gerfried war auch kein begnadeter Koch! Selbst ein Essen aufzuwärmen, verlangte ihm alles ab und als er kürzlich Würstchen kochte, ließ er diese so lange im Wasser baden, dass sie aufplatzten und jeder Zahnlose sie hätte essen können.
„Wie war dein Tag?“ Er setzte sich auf seinen angestammten Platz, schenkte uns beiden zu trinken ein und biss in ein Brot.
„Fantastisch! Du wirst es nicht glauben, Lohse hat mich beauftragt, ein Konzept für Söhnles neues Biosortiment zu erstellen. Und das Beste ist“, ich stellte einen vollen Teller vor ihm ab, „wenn es ihnen gefällt und wir den Auftrag bekommen, winkt mir eine Provision, die sich sehen lassen kann!“
„Wow!“ Er stand auf, um den Salzstreuer zu holen.
„Es ist genug gesalzen!“
Mein Mann besaß die Angewohnheit und Unart, alle Speisen zu würzen – Salz, Pfeffer, Tabasco – ohne auch nur einen Bissen zuvor gekostet zu haben.
„Jaja, nur ein bisschen“, meinte er und klopfte dabei kräftig mit dem Zeigefinger auf die Rückseite des Streuers.
„Gerfried!“ Ich schüttelte tadelnd den Kopf und stellte das Salz ans äußerste Ende des Tisches.
„Also, Söhnle sagtest du? Das wär ja der Knüller!“
„Ja, ich kann mich nicht erinnern, dass wir je einen Auftrag von solcher Dimension hatten. Aber ich will nicht voreilig sein, noch haben wir ihn nicht.“
„Hast du schon Ideen?“, fragte er kauend.
„Nicht wirklich.“
„Hmm. Du hör mal, ich hab mich heut noch mit Michael zum Kegeln verabredet.“
„Das trifft sich gut. Ich brauch ohnehin Ruhe zum Nachdenken, ich hab nur dieses Wochenende Zeit dafür.“
„So wenig?“
„Leider. Aber du weißt ja, unter Druck bin ich am besten.“
Er löffelte seinen Teller leer und tunkte den restlichen Saft mit Brot auf. Dann stand er auf, gab mir einen Kuss auf die Wange und ging durchs Wohnzimmer. „Ach ja, Mutter hat angerufen. Sie bringt uns morgen die Schlüssel vorbei.“
„Wann denn?“
„So gegen drei hab ich ihr gesagt.“
„Na prima“, murmelte ich, „das heißt auch noch nen Kuchen backen.“
„Was sagtest du?“ Gerfried erhob sich.
„Frisier dich, bevor du gehst!“
„Wart nicht auf mich, kann später werden.“
Und als er kurze Zeit danach die Haustüre hinter sich zuzog, war ich schon dabei, den Geschirrspüler einzuräumen.
Kapitel 2
Ich schlug die Decke zurück und wälzte mich aus dem Bett. Trotz stundenlangem Tüfteln bis kurz vor Mitternacht und zwei Gläschen Rotwein hatte ich eine unruhige Nacht verbracht. Erst war eine Gelse unerbittlich um meinen Kopf gesurrt, dann hatten mich Gerfrieds unzählige Versuche, die Haustür abzusperren, aus dem Schlaf gerissen. Nun fühlte ich mich wie gerädert und streifte äußerst schwerfällig ein Paar frische Baumwollsöckchen über.
Gerfried saß bereits auf der Terrasse, eine Tasse Kaffee vor sich, und las Zeitung. Die Luft war angenehm mild.
„Guten Morgen!“
Er blickte auf. „Morgen! Na, gut geschlafen?“
Ich schüttelte den Kopf und gähnte. „Zu kurz. Wie spät ist es?“
„Neun vorbei.“
Ich stieß einen Schrei aus. „Oh Gott! Ich muss in die Agentur, ich darf Rolf nicht verpassen!“
„Jetzt setz dich erst mal hin“, er drückte mich in einen der Rattansessel, „ich hol dir Kaffee. Die Zeit muss sein!“
Kurz darauf hörte ich das Mahlwerk rattern und ich bestrich eine Weißbrotscheibe vom Vortag mit Butter. Etwas spröde, aber essbar.
„Hat das nicht bis Montag Zeit?“ Gerfried trat auf die Terrasse.
„Nein, er hat Unterlagen von Söhnle, die ich für das Konzept brauche. Gestern hab ich ihn nicht mehr erreicht und er ist nur heute Vormittag dort.“ Ich nahm einen kräftigen Schluck. „Wenn ich mich beeile, schaff ich’s. Sag, wie war’s bei dir gestern?“
„Die neuen Bahnen sind ein Traum! Sieben Mal alle Neune! Sieben Mal!“ Seine Augen leuchteten. „Michael hatte keine Chance.“
Michael war der langjährige und beste Freund meines Mannes. Schon zu Schulzeiten hatten sie jeden Unfug gemeinsam angestellt, sich um dieselben Mädchen bemüht und waren in den Ferien nach London oder Paris getrampt. Als Gerfried dann im Alter von sechsundvierzig Jahren seinen Job als Heizungsinstallateur verlor, da seine Firma Konkurs anmelden musste, hatte ihm Michael angeboten, in seinem Immobilienbüro einzusteigen. Und auch hier lief es erstaunlich gut zwischen den beiden, nur selten Meinungsverschiedenheiten.
„Könntest du heute den Einkauf übernehmen? Mir wird das zu knapp.“
„Wenn du mir aufschreibst, was wir brauchen.“
Ich stand auf und holte Block und Stift. „Mal überlegen… Zwetschken für den Kuchen hätte ich eingefroren, Eier sind zuhause… ach ja, ein Würfel frische Hefe… der Kaffee ist auch fast leer…“ Ich notierte in großen Buchstaben. „Wenn du Faschiertes kaufst, lass es dir frisch herunterdrehen. Passt es, wenn wir heute kalt essen? Dann nimm etwas Wurst und Käse. Und frisches Brot. Tomaten, Paprika sind noch im Kühlschrank.“
„In Ordnung.“
Ich riss den Zettel ab.
„Ich werd heut gleich mal bei Söhnle einkaufen. Als gutes Omen sozusagen.“
Ich lachte und fegte die Brösel von meinem Pyjama. Dann begab ich mich auf den Weg ins Badezimmer.
Ich lenkte den Wagen aus der Garage und fuhr mit fünfzig Sachen durch die Dreißigerzone. An Wochenenden war immer viel Verkehr im Stadtgebiet, ich blinkte mindestens zehn Minuten, bis mich endlich jemand in den ohnehin fast stehenden Verkehr einfädeln ließ. Unser effektives Reißverschlusssystem!
Rolfs Wagen, ein silberner Mercedes, parkte im hinteren Teil der Garage, gleich neben dem Aufzug zu Lohse Media. Ich atmete erleichtert auf. Die beiden anderen Fahrzeuge kannte ich nicht, vermutete aber, dass sie dem Reinigungspersonal gehörten.
In der Agentur war es still und dunkel, nur ein entferntes Wasserplätschern und Scheppern von Putzkübeln. Rolfs Büro befand sich am Ende des Gangs, gleich neben Lohses. Er war seine rechte Hand, für Kundenbetreuung und die direkte Abwicklung von Aufträgen verantwortlich. Zudem genoss er als Einziger das Privileg, mit Lohse per Du zu sein. Nicht, dass ich sonderlich neidisch darauf gewesen wäre, aber ich empfand es doch als etwas merkwürdig, dass sich alle im Betrieb duzten, nur Lohse nicht. Chef hin, Chef her.
Ich klopfte kurz und trat ein.
„Ah, Kess, gut dass du da bist! Ich hab mir schon deine Adresse rausgesucht, für den Fall, dass du nicht gekommen wärst.“
„Du hättest mir die Unterlagen vorbeigebracht?“
„Klar! Söhnle hat äußerste Priorität!“ Er ging zu einem Wandschrank und zog eine schwarze Flügelmappe heraus. „Hier ist alles drin, was du brauchst.“
Ich warf einen raschen Blick hinein. Ein ziemlich dicker Packen an Zetteln. Dabei stach mir sofort die rote Büroklammer ins Auge und ich musste unwillkürlich grinsen. Stand Rot also für bevorzugte Behandlung? „Irgendwas, worauf ich achten sollte?“, fragte ich.
„Nur so viel: Söhnles Fokus liegt auf Qualität, Bodenständigkeit. Wir überzeugen mit Originalität! Sie erwarten klare Linien, etwas, das die Massen anspricht.“
Ich nickte.
„Ach, bevor ich’s vergesse“, er griff in seine Schreibtischlade, „meine Einladung zu meinem Runden im Herbst. Man kann bei solchen Anlässen nie früh genug dran sein.“ Er reichte mir einen silbernen Umschlag. „Außerdem dachte ich, es wär jetzt ein perfekter Zeitpunkt, denn da du ja nun eine fette Provision einkassierst, wird auch hoffentlich mein Geschenk dementsprechend größer ausfallen.“
Ich lachte. „Wer ist denn alles eingeladen?“
„Ein paar aus der Belegschaft, Freunde, Familie. Keine Angst, Moni ist auch dabei.“
Ich hasste nichts mehr als derartige Anlässe, zu denen man förmlich gezwungen wurde und es schwer war, sich davor zu drücken. Was sollte man mitbringen, was anziehen? Oberflächliche Gespräche, aufgesetztes Lächeln, eine Gesellschaft, in der man sich nicht wohlfühlte. Und das Feedback fiel selbstverständlich immer mit „prächtig, oh wie lustig, eine wirklich gelungene Feier“ aus. Rolf wusste Bescheid und ich war ihm dankbar dafür, dass er mir mit Moni jemanden zur Seite stellte, den ich darüber hinaus auch noch mochte.
„Dann bis Montag!“
Irene kam pünktlich. Ich war gerade dabei, den Kuchen aus dem Backrohr zu holen, als sie läutete.
„Gerfried“, rief ich, „mach du auf!“
Irene war eine große, kräftige Frau mit leichtem Buckel, kurzer Dauerwelle und korallenfarbenem Lippenstift. Sie trug eine blau-weiß getupfte Bluse unter einer leichten Strickweste, dazu einen hellen Flatterrock. In all den Jahren konnte ich mich nicht erinnern, sie je in einer Hose gesehen zu haben. Irene war eine gesellige Person, die sich kein Blatt vor den Mund nahm und ihre Meinung bei Jung oder Alt, Reich oder Arm, klug oder weniger gebildet, kundtat. Für sie gab es keine Klassenunterschiede, sie sprach, wie ihr der Schnabel gewachsen war, was aber nicht automatisch heißen sollte, dass sie in eine derbe Umgangsform verfiel. Sie versuchte in erster Linie, höflich und dezent zu bleiben. Nur wenn sie sich ihrer Rechte betrogen, entmündigt