Elements - Morten Hering - E-Book

Elements E-Book

Morten Hering

4,8

Beschreibung

Durch Evolution sind wir zu dem geworden, was wir sind. Vom Primaten zum modernen Menschen. Genau wie die vier Elemente gehört Evolution also zu unserem Leben. Einige Menschen, die unter uns leben, tragen eines der Elemente in sich. Auch Michael ist einer von ihnen. Während seine Familie und seine Freunde denken er sei Tod, lebt er in der geheimen Basis der sogenannten »Elements«. Im Gegensatz zu den meisten der Elements die einfach in Frieden leben wollen, sieht ein Elemental namens Zdenko jedoch nicht ein sich zu verstecken und rebelliert gegen seine Meister. Damit es nicht zum Kampf mit den normalen Menschen kommt, versuchen Michael und seine Freunde, Zdenko aufzuhalten. Leider haben bereits einige radikale Menschen von der Existenz der Elements erfahren und bekämpfen sie. Das Ganze wird so richtig kompliziert, als Michael seiner ersten großen Liebe über den Weg läuft und seine Familie on seiner Auferstehung erfährt. Nun muss Michael alles unter einen Hut bekommen. Was beinahe unmöglich wird, als Michaels Familie ins Kreuzfeuer gerät.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 1

Es war fast stockdunkel. Nur der Mond warf ein schwaches Licht, das aber durch die Äste, Zweige und Blätter der Bäume noch zusätzlich gedimmt wurde.

Darum war es auch beinahe unmöglich den Mann zu sehen, der sich vorsichtig durch das Geäst bewegte.

Er trug einen zerschlissenen dunkelblauen Mantel, der seine beste Zeit wohl schon hinter sich gelassen hatte. Auch der schwarze Anzug, den er darunter trug, war nicht mehr in der allerbesten Verfassung, zeigte aber, dass er recht wohlhabend sein musste. Nachdem er einige Zeit gelaufen war, lichtete sich der Wald ein wenig und er sah, dass er auf eine Lichtung zulief. Am Rand jener Lichtung blieb er abrupt stehen. Vor ihm lag eine recht große Grasfläche, die von einem Bach in zwei Hälften geteilt wurde. Am Bach stand ein Hirsch und trank mit dem Rücken zu dem Mann. Eine Zeit lang beobachtete der Mann ihn ohne sich dabei aus dem Schutz der Bäume zu bewegen. Plötzlich hob der Hirsch seinen Kopf und schaute sich um. An der Stelle, an der der Mann stand, blieb er mit seinem Blick hängen. Der Mann überlegte einen Moment, ob der Hirsch ihn gesehen haben könnte, doch dann wurde ihm klar, dass das nicht sein konnte. Da war es wahrscheinlicher, dass er ihn gerochen hatte. Was im nächsten Augenblick passierte, hätte jedem Jäger oder Forstarbeiter wohl die Kinnlade herunterfallen lassen.

Der Hirsch drehte sich nun vollständig in die Richtung des Mannes und grinste breit. Nicht so ein verziehen der Lefzen wie es Hunde tun, wenn man sie am Bauch krauelt. Nein, er grinste richtig breit- so wie wir Menschen es tun. Dem Mann schien das allerdings nicht ungewöhnlich vorzukommen. Er blieb dort stehen, wo er war und schaute den Hirsch unverwandt an. Dieser lief ein paar Schritte in seine Richtung und blieb dann stehen. Nun bewegte sich der Mann auch wieder. Er trat nach vorne aus dem Unterholz und stand nun auf der vom Mondschein erhellten Lichtung. Einen Moment standen sie sich so gegenüber, der Mann und der Hirsch und schauten sich direkt an. Dann hörte man den Mann so etwas sagen wie: „Wollen wir diese Maskerade nicht endlich beenden?“ Darauf duckte sich der Hirsch ein bisschen vornüber und stieß sich vom Boden ab, so dass er auf den Hinterbeinen stand. Aber statt wieder nach vorn auf alle Viere zu fallen, blieb er in dieser Position stehen. Und nun begann er sich zu verändern. Die Ohren wurden kleiner und runder und wanderten an die Seiten des Kopfes. Sein Gesicht veränderte sich und nahm menschliche Züge an.

Auch seine Beine und Arme wurden breiter und verloren ihr Fell. Das alles passierte recht schnell und ehe es sich der Mann versah, stand er einem Mann gegenüber, der ein Stück größer war als er. Allerdings war dieser Mann im Gegensatz zu ihm nicht braunhaarig, sondern blond. Zudem hatte er auch einen breiteren Körperbau und war geschätzte zwanzig Jahre jünger. „Zdenko. Es war mir beinahe klar, dass du es bist.“ seufzte der Ältere.

Der Mann, der gerade eben noch ein Hirsch gewesen war, schüttelte sich, um auch die letzten der ausgefallenen Haare loszuwerden. „Tja, Meister Cronus, ihr seid eben sehr schwer zu täuschen.“, stellte er dann süffisant grinsend fest. „Was soll dieser Smalltalk , Zdenko? Du weißt doch ganz genau, weshalb ich hier bin!“ Sagte Meister Cronus.

„Ja, Meister, das weiß ich nur zu genau, allerdings…“ dann sah er seinen Meister an und schüttelte den Kopf.

„Meister Cronus, Meister Cronus. Ihr hättet nicht kommen sollen!“

Und nach einem weiteren musternden Blick sagte er grinsend: „Und euer Geschmack in punkto Kleidung war auch schon einmal sehr viel besser, wenn ich mich richtig erinnere.“

Dann steckte er seine Hände in die Seitentaschen seiner Jeans und begann auf der Lichtung hin und her zu spazieren. Dabei ließ er aber seinen Meister nicht eine Sekunde aus den Augen. „Das mag sein.“ antwortete dieser. „Aber es gab da ein oder zwei kleinere Probleme, die ich auf dem Weg hierher aus der Welt schaffen musste.“ Während er das sagte tat er so, als klopfte er sich etwas lästigen Staub vom Mantel. Einen Moment verschwand das Grinsen vom Gesicht des Mannes, dann schaute er seinen Meister an und schüttelte lachend den Kopf. „Dann haben also Gregor, Veit und Adrian versagt? Schlecht für sie, gut für Sie, Meister Cronus.“

Dann spazierte er ruhig weiter.

„ Zdenko“, sagte Meister Cronus jetzt in sanftem Ton, allerdings auch mit großer Überzeugungskraft. „Meinst du nicht, dass es nun langsam Zeit ist, mit diesem ganzen Unsinn aufzuhören?“

Das schien Zdenko wütend zu machen, denn er blieb stehen, schaute seinen Meister mit wildem Blick an. „Ihr nennt das, was ich mache, Unsinn? Meister, Ihr solltet einsehen, dass es nicht unsere Bestimmung ist, uns immer und ewig zu verstecken. Das halte ich für den größten Unsinn.“

„Zdenko. Was haben ich und die anderen Meister euch beigebracht? Haben wir euch nicht beigebracht und auch an Beispielen gezeigt, dass die normalen Menschen alles bekämpfen, was für sie ungewöhnlich empfinden oder was auch nur neu ist?“ warf Cronus mit etwas genervtem Unterton ein.

„Das ist mir doch egal!“ brüllte Zdenko. „Wir sind schließlich viel stärker als die normalen Menschen. Wenn sie einen Krieg haben wollen, den sie nicht gewinnen können, dann sollen sie den haben.“ Sein Gesicht lief vor Wut auf seinen ehemaligen Meister rot an. Warum sah Meister Cronus das nicht ein? Warum wollte er immer noch im verborgenen Leben und den Menschen damit einen Gefallen tun? Sie konnten, wenn sie wollten, die Weltherrschaft an sich reißen. Meister Cronus sah Zdenko an, aber blieb nach außen hin völlig ruhig.

„Zdenko. Ein Krieg bedeutet aber, dass auf beiden Seiten Lebewesen sterben würden. Es ist ganz egal wie stark eine Seite ist. Das kann nicht der Weg sein, den du für deine Freunde und Verwandten vorgesehen hast.

Denke daran, dass auch deine Eltern zu den normalen Menschen gehören!“

Zdenkos Gesichts verzog sich, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen. Meister Cronus wusste, dass er gerade einen wunden Punkt getroffen hatte.

Zdenko war in einem kleinen armen Dorf aufgewachsen. Die Leute dort waren froh, wenn sie jeden Tag genug zu Essen für ihre Kinder hatten. Zdenkos Vater arbeitete in einem Stahlwerk, das nicht weit vom Dorf gebaut worden war. Seine Mutter nähte für andere Leute Kleider.

Trotz all dem war er ein sehr glücklicher Junge gewesen, der selten krank war und genauso viel anstellte wie die anderen Kinder. An Zdenkos neuntem Geburtstag hatten ihm seine Eltern ein Taschenmesser aus der Schweiz geschenkt. Seine Eltern hatten dafür sehr viele Überstunden machen müssen und auch Himmel und Hölle in Bewegung setzen müssen. Zdenko hatte sich aber sehr darüber gefreut und war sofort hinaus gelaufen, um das Messer seinen Freunden zu zeigen. Sie hatten den ganzen Tag draußen gespielt und als Zdenko abends nach Hause kam, war sehr erschöpft gewesen und ohne noch etwas zu essen ins Bett gegangen.

Am nächsten Morgen hatte er sich noch immer nicht besser gefühlt und darum hatten seine Eltern den Arzt gerufen. Dieser hatte nicht mehr feststellen können als eine starke Erkältung und Zdenko deshalb eine Woche Bettruhe verordnet. Und dann, nach einer Woche, war sie auch wirklich wieder verschwunden und Zdenko konnte wieder nach draußen, um mit seinen Freunden zu spielen. Einer seiner Freunde – ein Junge namens Jokho – hatte ihn an diesem Tag sehr geärgert. Das alles konnte Zdenko ertragen. Doch dann fiel sein Messer aus seiner Tasche und Jokho hob es schnell auf. Er betrachtete es lange und lies es durch seine Finger gleiten.

Zdenko stellte sich vor ihn, streckte seine Hand aus und sagte: „ Gib es mir wieder! Es ist meins!“ Jokho schaute ihn an und dann wieder auf das Messer, als wäre es ein großer Schatz.

„Lass es mich bitte noch einen Moment lang betrachten.“

„Nein.“ Erwiderte Zdenko. „Gib es mir wieder. SOFORT!“

Dann streckte er seine Hand blitzschnell aus und versuchte Jokho das Messer aus der Hand zu nehmen. Dieser zog sie schnell zurück und versetzte Zdenko mit der anderen einen Stoß, so dass dieser hinfiel. Einen Moment schaute Zdenko Jokho erstaunt an. Jokho sah man an, dass er sich sehr erschrocken hatte. Nun streckte er seine Hand wieder aus und hielt Zdenko das Messer hin. Der allerdings wurde rot vor Wut im Gesicht. Er wurde so wütend, dass er nicht mehr genau wusste, was im nächsten Augenblick passierte. Als ihn der Polizist später fragte konnte er ihm nur erzählen, dass er seine Faust am ausgestreckten Arm in die Richtung in der Jokho stand, gehoben hatte. Dann, als er sie geöffnet hatte, hatte er sich eingebildet, dass seine Hand sehr heiß wurde. Jokho wurde kurz darauf fast fünf Meter nach hinten geschleudert und blieb dann regungslos liegen.

Ihre Freunde hatten fassungslos von einem zum anderen geschaut und waren dann schreiend weggerannt. Zdenko wusste nicht was passiert war. Es war, als wäre er in Trance. Dann sprang er wieder auf die Beine, ging zu dem regungslosen Körper seines Freundes, nahm sein Messer und rannte ebenfalls davon. Er versteckte sich bis zum Abend in einem nahe gelegenen Wald und kam erst spät am Abend wieder zurück nach Hause.

Als er in die Küche kam, die auch gleichzeitig das Wohnzimmer war, sah er seine Mutter auf der Couch sitzen und man konnte ihr ansehen, dass sie bis kurz vorher noch geweint hatte. Sein Vater saß neben ihr und hielt ihre Hand in seiner. Ihnen gegenüber saß ein Mann in dem Sessel, in dem normalerweise nur sein Vater saß. Daran merkte Zdenko, dass dieser Mann sehr wichtig sein musste. Als seine Mutter ihn sah, brach sie wieder in Tränen aus. Der Mann stand auf und ging auf Zdenko zu. Zdenko wusste nicht was er jetzt machen sollte. Er wollte weglaufen, doch seine Beine gehorchten ihm nicht. So, wie sie sich anfühlten war er froh, dass sie ihn überhaupt noch trugen. Doch es wäre mittlerweile schon zu spät gewesen, denn der Mann war bei ihm angekommen und legte ihm nun väterlich die Hand auf die Schulter.

„Du musst wohl Zdenko sein, was?“ Das hörte sich für Zdenko nicht so an, als wäre es eine Frage gewesen. Der Mann ging vor ihm in die Knie ohne allerdings seine Hand von seiner Schulter zu nehmen. „Ich bin Hauptmann Radovic.“ Fuhr der Fremde fort. „Ich habe gehört, dass du heute dabei warst, als dein Freund Jokho verletzt wurde.“

Zdenko schaute dem Mann in die Augen und er sah, dass es wohl keinen Zweck hatte den Hauptmann anzulügen. Also nickte er nur stumm und senkte dann wieder seinen Blick und starrte den Holzfußboden an. „Darf ich dir dazu vielleicht ein paar Fragen stellen?“

Auch das hörte sich nicht an, als wäre es eine Frage gewesen und Zdenko lies sich widerstandslos zum Sessel führen. Als der Hauptmann ihm andeutete, dass er sich dorthin setzten sollte, schaute er erst fragend zu seinem Vater hinüber. Der nickte ihm zustimmend zu und darum lies sich Zdenko schließlich nieder.

Hauptmann Radovic zog sich den Fußhocker an den Sesseln heran und lies sich dort nieder.

„Kannst du mir denn erzählen, was mit deinem Freund passiert ist? Er liegt immer noch im Krankenhaus und wir machen uns alle große Sorgen.“

Zdenko schaute ihn an und dann brach er in Tränen aus. Er erzählte dem Hauptmann alles, was passiert war. Er lies auch den Teil nicht aus, in dem er den Arm hob und Jokho nach hinten geflogen war.

Der Hauptmann hörte ihm gespannt zu und als Zdenko fertig war stand er auf und seufzte. Dann schaute er zu Zdenkos Eltern hinüber und sagte: „Würden Sie mich bitte in die Küche begleiten? Ich müsste mit Ihnen unter vier Augen reden.“

Die drei Erwachsenen verschwanden in der Küche und schlossen die Tür hinter sich. Nach einiger Zeit wurde Zdenko unruhig und begann auf dem alten verschlissenen Leder des Sessels hin und her zu rutschen.

Er überlegte, ob es nicht besser wäre, wieder wegzulaufen und sich im Wald zu verstecken. Während er überlegte, bemerkte er plötzlich ein rotes Licht, das draußen vor dem Fenster ungleichmäßig aufflackerte. Es war wie ein kleines Feuer, das dort zwischen den Bäumen brannte. Erst dachte er, dass er sich dies nur einbilden würde. Darum schloss er die Augen und schüttelte seinen Kopf, um wieder zur Besinnung zu kommen. Als er die Augen allerdings wieder öffnete war das Licht noch immer nicht verschwunden. Deshalb stand Zdenko auf und ging zum Fenster. Er war fast dort angekommen, als die Küchentür aufging und der Hauptmann und Zdenkos Vater ins Wohnzimmer traten. Der Hauptmann ging forsch und schnell auf Zdenko zu, stellte sich vor ihn und sagte in einem Ton, der lang nicht so freundlich war wie der, mit dem er ihn eben angesprochen hatte: „Du musst jetzt mit mir mitkommen!“

Zdenko schaute seinen Vater fragend an, doch dieser machte keinerlei Anstalten etwas zu sagen. Der Hauptmann nahm Zdenkos Arm und zerrte ihn zur Tür. Verzweifelt versuchte der Junge sich dem eisernen Griff des Polizisten zu entreißen, was er allerdings nicht schaffte.

Er versuchte sich an irgendetwas fest zu halten, doch auch das gelang ihm nicht.

Schließlich waren sie draußen und beim Fahrzeug des Hauptmanns angekommen, wo ein weiterer Polizist auf sie wartete. Zdenko unternahm noch einen Versuch, sich dem Griff zu entreißen. Wie ein Wilder trat und schlug er um sich. Der Hauptmann hielt an, hob Zdenko hoch bis sie sich in die Augen schauen konnten, schüttelte ihn heftig und sagte: „Junge. Lass das doch. Du hast keine Chance dich zu befreien. Ich bin größer und stärker als du.“

Einen Moment schauten sie sich stumm an. Dann hob Zdenko blitzschnell seine beiden Zeigefinger und stach dem Hauptmann in die Augen. Dieser stieß einen kurzen Schmerzensschrei aus und ließ Zdenko fallen, um mit den Händen seine Augen zu schützen. Zdenko fiel zwar etwas hart auf den Boden, aber das machte ihm nichts. Er rappelte sich schnell wieder auf und begann zu rennen, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her. Weit kam er allerdings nicht. Als er um das Auto herum rannte um in den Wald zu kommen, hörte er eine Autotür zufallen. Während er sich umdrehte wurde ihm klar, dass dies der zweite Polizist aus dem Wagen sein musste. Dann sah er nur noch wie ein Schlagstock auf sein Gesicht zugerast kam. Die Zeit vom Auftreffen des Schlagstocks auf seinen Schädel bis er das Bewusstsein verlor, war einfach zu kurz, um einen Schmerz zu fühlen und so sank er nur mit einem leisen Seufzer zu Boden.

Als er wieder zu sich kam, lag er nicht mehr auf der kalten und feuchten Erde vor ihrem Haus. Er lag auf einer Matratze in einem kleinen Zimmer. Wenn er den Schmerz vorhin noch nicht gespürt hatte, so merkte er ihn jetzt umso stärker. Sein Kopf dröhnte, als hätte eine Haubitze genau neben seinem Ohr gefeuert. Er versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen, was jedoch sehr schwierig war. Bei dem Versuch sich aufzurichten, wurde ihm so schlecht, dass er sich neben die Matratze erbrach. Mit einem Stöhnen sank er wieder auf sein Lager und blieb dort regungslos liegen. Langsam verschwand das mulmige Gefühl in seinem Magen und sein Kopf wurde auch etwas klarer.

Plötzlich flog die Tür auf und es kamen zwei Männer in den Raum. Forsch packten sie Zdenko am Arm. Sie warteten nicht einmal bis er aufgestanden war, sondern zogen ihn hinter sich her, so dass seine Füße über den Boden schleiften. Nachdem sie ihn durch einige Gänge und Türen befördert hatten, hielten sie geradewegs auf einen Raum zu, dessen Tür weit offen stand. Zdenko hatte nicht viel Zeit sich dort richtig umzuschauen, denn kaum hatte sie den Raum betreten, fesselten ihn die beiden auf einen Tisch. Dann verließen sie den Raum, ohne ein weiteres Wort zu ihm zu sagen. Eine Zeit lang war es still. Dann öffnete sich eine Tür an dem Ende des Raumes, das hinter Zdenkos Kopf lag, weshalb er nicht sehen konnte, wer dort hineingekommen war. Er merkte, wie dieser jemand langsam an den Tisch lief. Gleich darauf beugte sich der Hauptmann, der ihn aus dem Haus seiner Eltern verschleppt hatte, über ihn und betrachtete ihn eine Zeit lang. Vor Angst konnte Zdenko sich nicht einen Zentimeter rühren. Schließlich drehte der Hauptmann sich um und holte sich aus einer Ecke einen Stuhl. Diesen stellte er neben den Tisch und lies sich darauf nieder. Eine Weile saß er einfach nur stumm neben Zdenko, aber dann sagte er: „Also du Missgeburt. Sag mir, wo euer Versteck ist und wir lassen dich laufen.“ Zdenko fuhr bei den ersten Worten zusammen. Der Hauptmann bemerkte das und stellte die Frage erneut – allerdings auch dieses Mal nicht, ohne eine Beleidigung auszusprechen. Weil er nicht wusste, was der Mann meinte, antwortete Zdenko erst nicht. Erst als er die Frage zum dritten Mal gestellt bekam, hatte er soweit einen klaren Kopf bekommen das er ein: „Was …was wollt ihr von mir? Ich weis nicht, was ihr meint! Welches Versteck und wer ist >>Ihr<<?“

Nun seufzte der Hauptmann. „Alle Achtung. Ihr werdet echt immer besser. Jetzt habt ihr schon euren Lehrlingen beigebracht, zu lügen und nichts Preis zu geben. Tja, dann wollen wir doch mal sehen, wie es mit deiner Widerstandsfähigkeit aussieht!“

Mit diesen Worten stand er auf und ging an einen anderen Tisch auf dem allerlei lag. Zdenko konnte nichts davon klar erkennen, wusste aber, worum es sich da handelte. Er hatte Gerüchte über diese schrecklichen Stücke gehört. Schauergeschichten, mit denen die Eltern ihre Kinder einschüchterten, damit sie brav blieben. Es hieß, dass nur wenige diese Methoden je überlebt hatten. Und wenn, dann waren sie meist nicht mehr dieselben, wie zuvor gewesen. Sie hatten Albträume und Wahnvorstellungen. Und redeten immer still vor sich hin, nicht wahrnehmend, was um sie herum passierte. Und jetzt kam dieser Mann mit eben solchen Instrumenten auf ihn, auf Zdenko zu.

Zdenko schüttelte sich. Dies war nun schon Jahre her. Doch noch immer bekam er nachts Albträume und diese Erinnerungen schließlich waren es auch, die ihn zu der Erkenntnis gebracht hatten, dass die Menschen es niemals verstehen würden. Darum gab es für ihn nur einen logischen Weg: Sie mussten den Menschen zeigen, dass nicht mit ihnen zu spaßen war. Jetzt gerade ärgerte ihn nur, dass sein Meister das aus irgendeinem Grund nicht verstehen wollte! Es war schade, denn er hatte Meister Cronus immer sehr geschätzt. Er war es gewesen, der in den Raum von der Geheimpolizei gestürmt war, den Hauptmann mit einem schlag gegen die Wand geschleudert hatte und ihn dann losgebunden hatte. Dann hatte er ihn schnell über seine Schulter geworfen und mit einer Handbewegung die Mauer des Gebäudes weggesprengt. Dann war er wieder Bewusstlos geworden. Und nun stand Meister Cronus hier vor ihm und sagte, er könne ihn nicht verstehen. Ja mehr noch: Er sagte, er könne das nicht zulassen! Das machte Zdenko so wütend, wie er lange nicht mehr war. Das letzte Mal, an das er sich erinnern konnte so wütend gewesen zu sein war, als der Junge ihm sein Messer weggenommen hatte.

„Es ist schade, dass ihr es noch immer nicht einsehen wollt! Das einzige Problem, das ich dann habe ist, dass ich euch nicht guten Gewissens gehen lassen kann.“

Meister Cronus lachte. Das Bedauern liegt ganz auf meiner Seite und ich weiß, in welchem Dilemma du dich befindest! Denn, wenn du diese Einstellung weiterhin vertrittst und denkst es wäre die einzige Lösung, dann kann auch ich dich unmöglich gehen lassen.“

Zdenko grinste ihn an. Es war ein wutverzerrtes Grinsen. In seinen Augen spiegelte sich der Wahnsinn wieder.

Ohne jede Vorwarnung machte Zdenko einen großen Sprung in die Richtung seines Meisters. Es sah sogar ein bisschen so aus, als würde er fliegen. Das war zwar einerseits eigentlich unmöglich, weil niemand fliegen konnte, aber andererseits konnte auch niemand so weit springen.

Zdenko stieß einen Schrei aus und holte mit seiner rechten Hand, die er zur Faust geballt hatte, aus, um seinen Meister zu schlagen. Dieser wich allerdings mit einer geschickten Drehbewegung seinem schlag aus, kurz bevor Zdenko ihn treffen konnte. Nun trat er aus eben dieser Bewegung heraus nach seinem ehemaligen Schüler und traf diesen im Rücken, sodass er in den Wald geschleudert wurde. Dann war es ruhig. Meister Cronus blieb einfach stehen und lauschte in die Stille hinein. Er konnte allerdings kein untypisches Geräusch für einen Wald hören. Aber hatte es dort nicht gerade im Unterholz geraschelt? Und jetzt auf der anderen Seite der Lichtung wieder? Aber raschelt und knarrt es nicht immer im Wald? Er kam nicht mehr dazu lange darüber nachzudenken, ob es ein natürliches Geräusch war, denn ein roter Ball raste aus dem Wald heran, traf ihn an der Brust und riss ihn mit sich. Der Feuerball nahm Meister Cronus viele Kilometer mit sich. Dann spannte Meister Cronus seine Muskeln an und stieß einen Schrei aus. Einen Moment später sah es so aus, als würde der Feuerball auch langsamer. Es sah so aus, als würde eine unsichtbare Wand ihn aufhalten. Dann fing er aber an heller und heller zu werden bis er schließlich gelb glühte. Er bohrte sich langsam durch diese unsichtbare Wand und kam Meister Cronus wieder näher.

Dieser versuchte mit aller Kraft dagegen zu halten. „Alle Achtung Zdenko, du bist um einiges stärker als früher. Wie hast du das geschafft?“ Der Feuerball blieb stehen und fing an sich in großer Geschwindigkeit zu verformen. Ihm wuchsen Arme und Beine. Seine runde Form wurde zu einem Körper, der in einem komischen Anzug steckte. Auch ein Kopf formte sich aus dem Ball bis schließlich derjenige wieder vor Meister Cronus stand, den er eben angesprochen hatte. Zdenko.

Der lächelte seinen Meister böse an. „Ich habe trainiert. Nein, eigentlich habe ich sehr hart trainiert. Und eure Männer Meister Cronus, waren hervorragende Trainingspartner. Oder sollte ich doch lieber sagen…Opfer?“

Das Gesicht seines Meisters wurde ausdruckslos. „Ich wusste, dass sie alle irgendwo und irgendwie ums Leben gekommen sind, da sie sich sonst immer im Abstand von mindestens zwei oder drei Tagen gemeldet haben. Aber, dass du dafür verantwortlich bist, habe ich nicht für möglich gehalten.“

„Habt ihr es nicht gewusst oder wolltet ihr es nicht wahr haben? Ich meine, wen kennt ihr, der stark genug wäre, alle eure Agenten zu erledigen?“

Meister Cronus machte ein betroffenes Gesicht. „Ja. Wahrscheinlich wollte ich es nicht wahrhaben. Aber das tut jetzt nichts zur Sache.“

Ohne jede Vorwarnung sprang jetzt er nach vorne und feuerte aus seiner Hand eine runde, blau/silberne Kugel, die mit rasender Geschwindigkeit auf Zdenko zuraste. Der wich geschickt aus und verwandelte sich wieder. Diesmal allerdings wurde er nicht zu einem Feuerball, sondern schaffte es, dass nur sein Körper aus Flammen zu bestehen schien. „Warum verwandelst du dich nicht in eine noch stärkere Form; Zdenko?“ fragte Meister Cronus herausfordernd.

„Das brauche ich nicht Meister.“ Antwortete dieser angeberisch. „Für euch reicht auch diese Form. Ich will ja auch, dass Ihr eine Chance habt. Aber nur aus Respekt.“

„Deine Überheblichkeit wird dich eines Tages noch mal den Kopf kosten.“

„Das kann gut sein. Aber ich dachte das Sie mich jetzt schon aufhalten wollten?“ fragte Zdenko.

„Nein. Ich kann dich auch aufhalten, ohne dich zu töten. Aber das ist etwas, was du noch nicht gelernt hast. Du denkst immer, man müsste alle Probleme gleich so aus der Welt schaffen. Wahrscheinlich haben dir das damals die Leute in deinem Dorf auch so beigebracht.“

Das trieb Zdenko zur Weißglut. Er wollte nicht an die meisten Dinge aus seiner Vergangenheit erinnert werden und schon gar nicht an die Leute aus seinem Dorf, seine Eltern oder an irgendetwas anderes. Er wollte wieder mit dem Angriff auftrumpfen, mit dem es vorhin schon einmal geklappt hatte- allerdings war sein ehmaliger Meister diesmal schneller. Er feuerte aus jeder seiner Hände wieder eine dieser Kugeln ab, so dass Zdenko ausweichen musste. Darauf war Meister Cronus allerdings gefasst. Als Zdenko einmal nach rechts und einmal nach links flog, um dem tödlichen Angriff seines Meisters zu entgehen, bewegte sich Cronus mit übermenschlicher Geschwindigkeit auch dorthin und trat Zdenko, indem er sich dreimal blitzschnell um die eigene Achse drehte, heftig gegen die Brust. Dabei hätte man erwartet, dass er sich den Fuß heftig an dem Flammenkörper von Zdenko verbrennt, doch das passierte nicht. Vielmehr wurden die Teile, die den Körper berührten, kurz vor ihrem Auftreffen ebenfalls in dieses blau/silberne Licht gehüllt. Dadurch verbrannten sie aus irgendeinem Grund nicht. Meister Cronus traf Zdenko hart an der Brust. Der wurde dadurch heftig nach hinten geschleudert. Er fing sich aber ab, bevor er gegen den nächsten Baum krachte und ging zum Gegenangriff über. Er raste wieder mit einem Affentempo auf seinen Meister zu und dieser machte sich wieder bereit, den Angriff abzufangen. Als Zdenko fast herangekommen war, probierte er es mit dem gleichen Trick, mit dem er eben schon einmal erfolgreich gewesen war. Doch diesmal war Zdenko darauf vorbereitet. Er bremste ab und in dem Moment als Meister Cronus zutrat, wich er aus und krachte in die ungeschützte Seite seines Meisters. Sie kämpften noch eine ganze Weile und flogen und rannten dabei durch den ganzen Wald. Dabei zogen sie eine Schneise der Verwüstung hinter sich her.

Plötzlich tauchte vor ihnen eine Villa auf. Beide waren aber so konzentriert und vertieft in ihren Kampf, dass sie nicht darauf achteten. Und so rasten sie beide ungebremst in das Gebäude. Dabei entstand ein großes Loch in der Wand und Trümmerteile flogen umher. Dann schlugen sie beide auf den Boden auf wodurch sie von einander getrennt wurden. Durch den Ohrenbetäubenden Krach als sie in das Gebäude einschlugen kam Bewegung in die Villa. Überall gingen Lichter an und es öffneten sich Türen aus denen Menschen in Schlafanzügen kamen. Zdenko sprang auf die Beine und sah sich nach seinem Kontrahenten um. Er sah ihn ein paar Meter von sich entfernt bewusstlos auf dem Boden liegen. Er wollte ihm eigentlich gerade den Todesstoß versetzen dann sah er aber dass sich um ihn herum immer mehr Leute versammelten. Meister Cronus kam langsam auch wieder zu Bewusstsein und ermerkte das es jetzt keinen Sinn machte noch länger zu warten. Also sprang er hoch und flog mit einem Affenzahn durch das Loch in der Wand und damit aus dem Gebäude. Ein paar Sekunden später war er schon nicht mehr zu sehen.

Die Leute rannten zu Meister Cronus und beugten sich über ihn. „Er lebt noch.“ Rief einer von ihnen der gerade den Puls gefühlt hatte. „Schnell. Wir brauchen ein Trage und macht den Behandlungsraum fertig. Er ist schwer verwundet.“ In Windeseile liefen ein paar Leute in alle Richtungen um die Anweisungen zu befolgen.

Eine der Frauen die aus einer der beiden großen Flügeltüren kam, rannte schnell auf das Grüppchen zu das sich mittlerweile um Meister Cronus gebildet hatte. Als sie sah wie der Mann dort auf dem Boden lag schlug sie die Hand vor den Mund. Der Mann der eben die Anweisungen an die anderen gegeben hatte sah sie und ging schnell zu ihr hinüber. Gerade kamen zwei Männer aus der Flügeltür aus der auch eben die Frau gekommen war. Sie trugen eine Trage zwischen sich und hielten zielsicher auf den am Boden liegenden Cronus zu. Bei ihm angekommen legten sie ihn behutsam auf die Trage und drehten sich in Richtung Flügeltür. Der Mann folgte den Beiden. Die Frau die eben so entsetzt über die Verletzungen von Meister Cronus gewesen war, stützte sich nun auf ihn denn sie war mit ihrer Kraft scheinbar am Ende. Mit der Zeit leerte sich die Halle wieder und die meisten – vor allem die jüngeren Leute - gingen wieder zurück in ihre Betten. Die Anderen aber betraten einen Raum der einer Bibliothek glich. Drei Wände waren auch fast vollständig mit Büchern belegt wenn man mal von Fenster und Tür absah. Doch an der Wand die der Eingangstür gegenüber lag waren die Bücherregale nach beiden Seiten hin wie zwei riesige Türflügel auseinandergeschoben. Dahinter befand sich zwar auch nur eine Wand allerdings waren in sie drei Fahrstühle eingelassen. Mittlerweile hatte sich eine Gruppe von Menschen davor gesammelt. Eine große, dünne Frau deren Haare schon langsam grau wurden stand in der Mitte und redete mit den Anderen. „Ihr habt es ja alle gerade mitbekommen. Zdenko hat sich gegen uns gestellt. Er hat sicher schon mehr Leute um sich herum versammelt als wir annehmen. Wir müssen nun absolut vorsichtig sein. Wir brauchen Wachen am Tor und am Zugang zum unteren Komplex. Schwarzstein und Demel…“ Zwei Männer die recht einschüchternd aussahen traten vor. „Ihr übernehmt die erste Wache an der zufahrt zum Gelände. Ich werde euch in vier Stunden eine Ablöse schicken.“ Die beiden drehten sich um und verließen Augenblicklich den Raum. Die Frau wartete nicht bis sie ganz hinausgegangen waren sondern fuhr eilig fort. „Diemal und Artemus ihr werdet Streife auf dem Gelände gehen. Auch euch schicke ich Ablöse in vier Stunden.“ Während die beiden Angesprochenen Männer ebenfalls den Raum verließen. Wandte sie sich um und drückte auf den Knopf der den Fahrstuhl rief. „Die Anderen kommen mit mir. Wir müssen unser weiteres Vorgehen besprechen.“ Dann stiegen sie alle in den Fahrstuhl der inzwischen gekommen war und fuhren nach unten. Im Krankenbereich standen die Aufgelöste Frau und ihr Begleiter vor einer großen Scheibe. Dahinter lag Meister Cronus der an allerlei Gerätschaften und Apparaturen angeschlossen war. Er war bewusstlos und der Arzt meinte, dass er auch sobald nicht aufwachen würde. Der Man hatte seine Arme um die Frau gelegt und hielt sie fest denn auch ein Mann am anderen Ende des Ganges konnte sehen wie ihr die Beide wackelten. „Ist gut mein Schatz das wird schon alles wieder werden.“ Versicherte er ihr und versuchte sie damit zu trösten und ihr Mut zu machen. Sie schaffte es erst nicht etwas darauf zu erwidern. Dann presste sie Mühsam zwischen ihren Lippen hervor: „Meinst du echt? Ich kann nicht sehen wie er da so Regungslos liegt. Ich weis nicht was ich machen soll wenn er stirbt.“

Jetzt drehte sie sich um und schaute auf Meister Cronus während sie sich die Tränen aus dem Gesicht wischte. Der Mann schlang wieder seine Arme um sie und legte sein Kinn auf ihre Schulter. So standen sie eine Weile mit ihrem Rücken an seiner Brust. Dann hob er seinen Kopf hoch küsste sie auf die Wange und sagte: „Keine Angst. Wenn es jemand schafft dann dein Vater, mein Schatz.“

Kapitel 2

Es war einer dieser Tage, an denen man Spiegelei auf den Gullideckeln braten konnte. Die Eiskaffees der Stadt waren zum Bersten gefüllt und man konnte froh sein, wenn man noch einen Platz unter einem der Schatten spendenden Sonnenschirme ergattern konnte. Michael - ein mittelgroßer sechzehn Jahre alter Teenager mit dunkelbraunem Haar, das er nach oben gegelt hatte - fragte sich, wie man bei dieser Hitze eigentlich freiwillig vor die Tür gehen konnte. Nun, sein Grund saß ihm gegenüber: Christina! Doch sie wurde von allen nur Chris genannt. Sie war ein - wie Michael fand - wunderschönes Mädchen. Neben ihrem wunderschönen schulterlangen blonden Haar und ihren stahlblauen Augen, waren ihr Charakter und ihre Intelligenz das, was sie zu etwas ganz Besonderem machte. Er hatte sie schon an seinem ersten Tag an der neuen Schule kennen gelernt. Sie waren vor drei Monaten aus den USA oder genauer gesagt aus Oregon nach Deutschland gezogen, da sein Vater von seiner Firma hierher versetzt worden war. Nach den ersten Stunden in denen er sich in jedem neuen Kurs aufs Neue vorstellen musste, war dann auch leider die erste Pause gekommen. Er hatte nicht lange allein dagestanden, da kamen auch schon die ersten Mitschüler auf ihn zu.

„Ey, guck mal da! Ist das nicht der Neue?“ hatte einer von ihnen gesagt. Ein anderer sagte: „Ja, Mann. Sag mal Neuer, wie heißt’n du?“ Michael hatte dagestanden und nichts gesagt. Er kannte die Prozedur, die jetzt gleich kommen würde nur zu genau und hatte sie bei neuen Schüler schon oft miterlebt. Es schien auch egal zu sein, in welchem Land man gerade war. Dieses >RITUAL< schien überall gleich abzulaufen. „Warum sagst du nichts, Neuer? Wir haben dich was gefragt!“ Jetzt antwortete er: „Ich heiße Michael.“

„Michael was?“ fragte der größte von ihnen. „Denkst, du bist was Besseres oder was? Pass mal lieber auf! Das hier ist unsere Schule und hier wird nach unseren Regeln gespielt!“ Michael blieb möglichst entspannt und sagte erst einmal nichts. Einer der Jungen trat auf ihn zu. „Sag mal, du Arsch, merkst du nicht, dass wir mit dir reden?“

Inzwischen hatte sich eine kleine Gruppe von schaulustigen Mitschülern um sie versammelt.

Das schien diese Halbstarken aber nicht abzuschrecken.

Im Gegenteil. Sie fingen an Michael hin und her zu schubsen. Erst war es nur leicht, wurde aber zunehmend härter bis Michael schließlich stolperte und dann auf den Asphalt fiel. Er stand langsam auf, klopfte sich den Staub von den Klamotten und wandte sich an den größten der Jungen. „Seid ihr jetzt fertig oder müsst ihr uns allen noch weiter demonstrieren, wie stark ihr in der Gruppe seid und wie wenig erwachsen?“

Für einen Moment standen den anderen auch die Münder offen, dann grinsten sie aber dümmlich und Michael wusste, dass er gerade einen schweren Fehler gemacht hatte, indem er sie noch weiter gereizt hatte – sofern man Leute durch sein Nichtstun zur Gewalt provozieren konnte. Der von Michael eben angesprochene trat nun gefährlich nah an ihn heran. „ Pass mal auf!“ zischte er drohend. „Wenn du die nächsten Jahre hier lebend überstehen möchtest, dann beherrsch dich besser und spiel nach unserem Regeln!“ „Eure Regeln? Wie sehen die aus?“ fragte Michael interessiert. Der Anführer- denn das war er wohl zweifellos- staunte einen kurzen Moment nicht schlecht, dann verzog sich sein Gesicht aber zu einer wutverzerrten Fratze und er holte aus, um Michael mit einem Faustschlag Respekt beizubringen.

„Schluss jetzt, Jungs!“ Der Junge hielt mitten im Schlag inne um zu sehen, wer ihn da in seiner Zurechtweisung unterbrach. Zu seinem Entsetzen musste er feststellen, dass es ein Mädchen war, das nun dreist aus der Menge trat. Es war Chris gewesen. Sein Gesicht hatte sich verändert als er sie gesehen hatte. Und als er sie ansprach tat er das so, als würde er mit einem kleinen Kind reden.

„Hör mir mal gut zu, Süße! Das hier geht dich nichts an!

Wie wäre es denn, wenn du mich hier fertig machen lässt und wir dann nach der Schule ins Kino oder zu mir nach Hause gehen?“ Chris hatte ihn erstaunt angesehen. „Um was zu machen?“

„Tja, Süße, das werde ich dir dann schon zeigen!“

Chris hatte angefangen laut zu lachen. „Entschuldige bitte.“ Prustete sie. „Aber bevor das passiert, müssten Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen und…warte mal. Wenn ich es mir recht überlege…Nein, nicht einmal dann. Sorry.“

Der Junge schien so gekränkt in seinem Stolz, dass sein Gesicht nun rot anlief. Noch bevor jemand reagieren konnte, war er bei dem Mädchen und wollte ihr gerade eine schallende Ohrfeige verpassen, als er quiekend zusammenbrach. Das Mädchen stand vor ihm und ein Bein von ihr war leicht angewinkelt. Sie musste ihn perfekt mit ihrer Kniescheibe zwischen den Beinen getroffen haben. Er krümmte sich auf dem Boden, jaulte und japste nach Luft.

Die andere schauten einen Moment auf ihren Anführer hinunter scheinbar unschlüssig, was sie machen sollten.

Dann wurde ihnen aber diese Entscheidung leicht gemacht als man eine Stimme hörte, die laut rief: „Was ist denn hier für ein Auflauf? Macht mal Platz, los los los! Aus dem Weg jetzt!“

Gleich darauf tauchte zwischen den ganzen Schülern einer der Lehrer, die die Pausenaufsicht führten, auf. Er schaute einen Moment auf den Jungen am Boden und dann auf Michael. Schließlich fiel sein Blick auf Chris.

Er seufzte: „Christina. Bitte sag mir, dass du nicht schon wieder hier drin verwickelt bist.“

Christina schaute ihn an, aber antwortete ihm nicht. Der Lehrer seufzte abermals und zeigte dann auf sie und Michael. „Du und du. Ihr kommt bitte mit! Und ihr anderen geht in eure Klassenräume zurück. Die Pause ist vorbei!“ Zu den anderen Jungen, die eben noch zusammen mit ihrem Anführer Michael in die Mangel nehmen wollten,, jetzt aber wie versteinert da standen gewandt, sagte er: „Und ihr bringt euren Kumpel bitte schnellst möglichst ins Krankenzimmer.“

Michael und Chris folgten dem Lehrer bis vor das Büro des Rektors. Michael kannte es schon, denn er war ja an diesem Morgen erst dort von seinen Eltern abgeliefert worden. Der Rektor hatte ihn herzlich Willkommen geheißen und ihn dann zu seinem Klassenzimmer gebracht.

Der Lehrer wies sie beide an, sich auf die Bank vor der Tür zu setzen und sich nicht zu rühren. Er selber klopfte an und trat dann ein. Die Minuten vergingen und nichts geschah. Chris und er saßen stumm nebeneinander. Sie schaute immer wieder interessiert zu ihm hinüber. Als er das bemerkte, wurde er rot. Sie grinste frech und sagte dann: „ Du bist doch der, der aus den USA rüber gekommen ist, oder?“ Michael nickte. „Von wo da kommst du denn genau?“ fragte sie. „Oregon.“ war die kurze und sehr knappe Antwort. „Das liegt ziemlich im Westen, oder?“

Michael verdrehte die Augen. „Bist du denn niemals ruhig?“

Das schien sie sehr gekrängt zu haben. Sie sagte keinen Ton mehr, bis der Lehrer aus dem Büro kam und ihnen beiden deutete, dass sie nun hinein gehen sollten. Sie standen auf und traten ein. Der Rektor – ein großer Mann, der schwarze Locken hatte und breit wie ein Schrank war- saß hinter seinem Schreibtisch, die Ellbogen auf den Tisch gestützt massierte er sich die Stirn. Dies tat er auch noch eine Weile, selbst als Michael und Chris auf den beiden Stühlen vor seinem Schreibtisch Platz genommen hatten. Dann atmete er tief ein und fing langsam an zu sprechen. „Was ist nur los mit dir, Chris? Das ist schon das dritte Mal in dieser Woche, dass du hier auf diesem Stuhl sitzt. Und wir haben erst Donnerstag! So langsam weiß ich auch nicht mehr, was ich deiner Mutter sagen soll!“

„Aber das ist ungerecht! Ich habe nicht angefangen.

Diese Idioten wollten Michael zusammenschlagen. Ich wollte ihm nur helfen.“ Der Rektor schaute kurz zu Michael hinüber. Dabei zog er fragend eine Augenbraue hoch. Michael nickte nur kurz zur Bestätigung und senkte dann wieder den Kopf. „ Das ist zwar sehr lobenswert von dir, Chris, aber es geht doch darum, dass am Montag niemand etwas getan hatte, was dich nicht davon abgehalten hatte, einen Mohrenkopf quer durch die Cafeteria zu werfen, der dann dem Hausmeister an den Kopf flog.“ „Darüber haben wir doch schon zu Hause geredet. Ich wollte eigentlich Tamara treffen, die mir am Wochenende in der Stadt einen Kaugummi in die Haare geschmiert hat.“

„Und ich habe dir dann doch gesagt, dass du bitte zu einem von uns kommen sollst und wir reden dann mit den Eltern von Tamara.“

Jetzt wunderte sich Michael doch schon sehr. Chris schien ja sehr oft bei dem Rektor im Büro zu sein, denn die beiden redeten ja so als würden sie sich schon Jahre kennen.

„Ja, sicher. Wie sieht denn das aus, wenn ich einen Streit mit einem anderen Mädchen habe und dann immer zu meinen Eltern renne? Das musst selbst du einsehen, Papa!“

Michael fiel die Kinnlade herunter. Er schaute sie abwechselnd an und nun, wo er genauer hinsah, fiel ihm auch eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den beiden auf.

„Chris, wir haben uns doch darauf geeinigt, dass niemand hier wissen sollte, dass wir verwandt sind. Und das wir nur zufällig den gleichen Nachnamen haben.“ Während er das sagte, schaute er Michael an. Chris sah das und sagte: „Ach, Michael ist kein Problem. Der hält dicht.

Oder er kann sehen, wer ihm demnächst diese Idioten vom Hals hält.“ Dabei grinste sie ihn wieder keck an.

Jetzt wandte sich der Rektor wieder Chris zu. „Ich meine es ernst, Chris. Halte dich in Zukunft zurück, sonst muss ich demnächst andere Seiten aufziehen.“

Chris verdrehte die Augen. „Ja, Papa. Ich werde mich zusammenreißen.“

Der Rektor seufzte. „Warum habe ich das Gefühl, dass du nächste Woche schon wieder hier sitzen wirst? Los, ihr beiden, geht wieder in eure Klasse! Ihr habt schon genug vom Unterricht verpasst.“

Als sie das Büro verlassen hatten, schaute Michael Chris erstaunt an. Sie sah ihn an und fragte dann: „Was ist denn? Mein Vater ist der Rektor dieser Schule, ja und?

Bin ich jetzt kein Mensch mehr, oder was?“ Der harte Ton, in dem sie sprach, erschreckte Michael ein bisschen, aber er konnte jetzt gut verstehen, warum sie so war. Er würde auch keinen besonders großen Wert darauf legen, dass es alle Welt wüsste, wenn sein Vater der Rektor der Schule wäre.

Er musste Lächeln, als er sie so herausfordernd vor sich stehen sah. Es gab wahrscheinlich viele Leute, die Angst gehabt hätten, aber er konnte nicht anders. Er musste einfach lächeln.

„Was ist?“ Er stellte fest, dass in ihrer Stimme ein erstaunter Unterton mitschwang.

„Keine Angst, dein Geheimnis ist bei mir sicher!“ Ihre Gesichtszüge glätteten sich und sie schaute ihn zufrieden an. „Dann ist ja gut. Also…machen wir denn jetzt mal was zusammen?“

Er musterte sie und als er in ihre Augen sah, bemerkte er einen flehenden Blick. Er fragte sich warum, denn sie war ein echt sehr hübsches Mädchen, das doch bestimmt viele Einladungen von Jungen bekam. Dann aber dachte er, dass sie mit ihrer Art wohl auf viele Jungen auch abschreckend wirkte. Er nickte und lachte sie an. „Ja, sicher. Machen wir auf jeden Fall.“ Sie lachte zurück und während sie sich auf den Weg ins Klassenzimmer machten, hakte sie sich bei ihm ein. „Dann beschütze ich dich auch in Zukunft vor den Idioten.“

Er lachte. „Weißt du, in Oregon war ich Landesmeister in Tae-kwon-do. Ich hätte mich also auch ganz gut selbst verteidigen können.“

Chris schaute ihn gespielt böse an. „Dann war es also völlig sinnlos, dass ich mich eingemischt habe?“

Jetzt schaute Michael erstaunt auf sie hinab, denn sie war doch einen guten Kopf kleiner als er.

„Nein. Wie kommst du denn darauf? Wenn du dich nicht eingemischt hättest, dann hätten wir uns wohl nie kennen gelernt.“ Während er das sagte merkte er, wie es komisch in seinem Bauch kribbelte. In der nächsten Stunde hatte sich Chris dann auch gleich neben ihn gesetzt. Lang war das Vergnügen allerdings nicht gewesen, denn als die Schulstunde etwa zur Hälfte vorbei war, hatte sie der Lehrer wieder auseinander gesetzt, denn sie hatten während des Unterrichts zuviel miteinander geredet und geblödelt. Als er dann an diesem Tag nach Hause gekommen war, hatte der Rektor schon bei seinen Eltern angerufen und sie hatten ihm einen Vortrag darüber gehalten, dass man sich am ersten Tag nicht gleich Feinde machen sollte. Aber das war für ihn nicht schlimm gewesen, denn ihm ging dieses Gesicht nicht mehr aus dem Kopf. Dieses Gesicht, das ihn beinahe angefleht hatte, mit ihm auszugehen. Das Problem war nur, dass ihm dieses Gesicht auch den Rest des Tages und auch die halbe Nacht nicht mehr aus dem Kopf ging, weshalb er auch am zweiten Schultag prompt zu spät kam.

Als er dann den Klassenraum ca. eine halbe Stunde nach Beginn des Unterrichts betrat, sah er sofort Chris und wie sich ihr Gesicht aufhellte. Sie hatte neben sich einen Platz freigehalten und da es der einzige freie Platz im Klassenzimmer war, hatte Michael den Lehrer entschuldigend angegrinst und der Lehrer hatte die Augen verdreht und ihm bedeutet, dass er sich endlich setzen sollte. Als er sich gesetzt hatte, flüsterte ihm Chris zu: „Ich dachte schon, du würdest mich versetzen!“ Zu ihrem Erstaunen klang in ihrer Stimme ein echter Vorwurf mit. Er lächelte. „Würde ich niemals machen.“

Und zu ihrer Befriedigung klang in seiner Stimme echtes Bedauern mit. Zwei Wochen später hatten sie sich dann auch das erste Mal verabredet. Sie waren ins Kino gegangen. Michael wunderte sich ein wenig als er feststellte, dass sie nicht einer dieser Typen war, die in so einen romantischen Film gehen wollte. Sie hatten eine Komödie gesehen und sich dabei sehr gut amüsiert. Von da an hatten sie sich jeden Tag getroffen. Und jetzt saßen sie also beide in diesem Eiscafé und aßen beide ein großes Eis.

Michael schaute sie an und bemerkte, dass sie ihn erwartungsvoll ansah. Oh, nein! Was hatte sie eben gesagt? Was sollte er jetzt sagen? Sie hatte ihn sicher irgendwas gefragt.

„Äh ja, da bin ich völlig deiner Meinung.“ sagte er.

Chris starrte ihn an. „Du hast absolut keine Ahnung, was ich dich gerade gefragt habe, oder?“

Michael merkte, wie er rot anlief. Er fing an, zu stottern.

„Äh, t-tut mir echt leid. Ich weiß e-echt nicht, was los ist.

Ist wa-wahrscheinlich die Hitze, die macht mich einfach fertig und dann auch noch deine Schönheit, die lenkt mich total ab. Es tut mir echt leid.“

Die Worte sprudelten nur so aus seinem Mund. Und als der sich wieder schloss, musste sein Gehirn noch einmal die Worte Revue passieren lassen. Schließlich dämmerte ihm dann auch, was er zuletzt gesagt hatte. Und als er Chris ansah, wusste er überhaupt nicht mehr, wo er ihren Blick einordnen sollte. Sie wussten beide nicht, wie lange sie sich angestarrt hatten, doch als sie es bemerkten, schauten sie beide schnell verlegen weg. Nach einer Weile sagte Chris: „Ich hatte dich gefragt: Wenn du dir eine von den Superkräften von einem Superhelden aussuchen könntest welche, würdest du dann nehmen?“

Michael war ganz froh darüber, dass sie das Thema wieder aufgegriffen hatte. Er dachte einen Moment darüber nach und antwortete dann: „Ich glaube, am liebsten würde ich fliegen können.“ Chris nickte. „Ja. Ich glaube ich auch.“

Als sie sich an diesem Tag verabschiedeten, war das irgendwie ein komisches Gefühl für Michael. Er nahm sie in den Arm und drückte sie fest an sich. Nach einer halben Minute, in der sie so standen und sich nicht wirklich bewegten, drückte Chris ihn ein bisschen von sich weg. „Sag mal, wird das mit uns jetzt etwas Ernstes?“

Michael wusste nicht mehr, was er tat. Er zog sie zu sich heran, beugte sich etwas herunter und küsste sie auf ihre wunderschönen Lippen. Es war nur ein kurzer Kuss. Als sie sich von einander lösten, schaute er sie erschrocken an. „Oh, mein Gott, das tut mir leid! Ich weiß echt nicht, was heute mit mir los ist…“ Chris schaute ihn einfach nur an. „Na, endlich!“ sagte sie dann und zog seinen Kopf wieder zu sich herunter. Nachdem sie sich ein zweites Mal geküsst hatten und sie beide ganz außer Atem auf die Bank an der Haltestelle fielen, sagte Michael: „Ja.“ Chris schaute ihn verwirrt und fragend an.

Michael grinste. Noch immer rot im Gesicht, sagte er:

„Ich glaube, das mit uns ist jetzt schon etwas Ernstes.“

Es war klar, dass ausgerechnet in diesem Moment der Bus um die Straßenecke kam, mit dem Michael nach Hause fahren musste.

Als Michael eingestiegen war, setzte er sich ganz nach hinten und bevor der Bus um die nächste Ecke bog, konnte er noch einen Blick auf Chris erhaschen, die immer noch an der Haltestelle stand und hinter ihm her sah. Nachdem er sie aus den Augen verloren hatte, lehnte er sich zurück und versuchte, sich zu entspannen. Er hatte den ganzen Tag über schon Kopfschmerzen gehabt. Jetzt fühlte es sich aber gerade so an, als ob sein Kopf explodieren würde. Er war froh, als er endlich zuhause ankam und sich in sein Bett legen konnte.

Als er am nächsten Morgen aufstand, um sich fertig zu machen und in die Schule zu gehen, schaffte er es kaum bis ins Bad. Als er dann in die Dusche stieg, verlor er das Gleichgewicht und schlug hart auf die Fliesen am Boden auf. Seine Mutter Gabrielle, die den Schlag bis in die Küche gehört hatte, kam ins Bad geeilt, wo sie Michael blutend auf dem Boden fand. Sie stieß einen Schrei aus, den auch Steve hörte, der sich gerade im Schlafzimmer fertig für die Arbeit machte. Als er ins Bad kam, fand er seine Frau, die gerade versuchte, die Blutung der Platzwunde am Kopf seines ältesten Sohnes zu stillen.

Steve lies seine Tasche fallen und kniete sich neben die beiden. „Was ist passiert?“ wollte er wissen. „Ich weiß nicht.“ antwortete seine Frau panisch. „Ruf bitte einen Krankenwagen!“

Das tat Steve dann auch. Die Zeit bis der Krankenwagen kam, schien endlos zu sein. Plötzlich erschien David in der Tür. David war Michaels zwölf Jahre jüngerer Bruder. „Mama, Papa, was ist mit Michael?“ fragte er und jetzt erst bemerkten die beiden ihren jüngsten Sohn, der da sehr verloren und hilflos in der Tür stand. Steve stand vom Boden auf und lief zu ihm. „Deinem Bruder geht es gerade nicht gut. Komm, wir gehen in dein Zimmer.“

Dann nahm er ihn an der Hand und brachte ihn in die Richtung seines Zimmers. Als er mit ihm fast dort angekommen war, klingelte es an der Tür. Er hob David schnell auf seinen Arm und eilte dann zur Tür. Es waren die Sanitäter, die gleich nachdem er auf das Badezimmer gedeutet hatte, dorthin eilten. Sie ließen sich neben Michael nieder und fingen an seinen Puls zu fühlen, seine Pupillen zu kontrollieren und seine Temperatur zu messen. Nach einer Weile standen sie beide wieder auf und sagten Steve und Gabrielle, dass sie Michael in die Klinik bringen müssten, da sie hier vor Ort nicht die richtige Ausrüstung hätten, um ihn zu behandeln.

Also holten sie die Trage aus dem Wagen, legten Michael darauf und brachten ihn mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus. Gabrielle durfte im Krankenwagen mitfahren, während Steve und David ihnen mit dem Auto folgten. Als sie ankamen, wartete Gabrielle immer noch weinend im Empfangsraum auf sie. Die Ärzte hatten Michael sofort auf die Intensivstation verlegt, wo sie ihn nun behandelten. Im Moment durfte noch niemand zu ihm. Also setzten sie sich in den Warteraum und Steve versuchte Gabrielle ein wenig zu beruhigen, indem er den Arm um sie legte. Auch der dreijährige David der noch gar nicht wusste, was so genau los war, kam zu ihnen und versuchte seine kleinen Arme um seine Mama zu legen.

Das gelang ihm noch nicht so richtig, weil sie noch viel zu kurz waren. Es machte ihm allerdings nichts aus und nun versuchte er auch auf sie beruhigend einzureden, genauso wie es sein Papa auch tat.

„Es wird alles gut, Mama! Er schafft das schon!“ Das hörte sich allerdings mehr nach, „Ef wird allef dud Mama. Er fafft daf fon.“ an. Gabrielle brach nun wieder in Tränen aus, nachdem sie sich gerade ein wenig beruhigt hatte. Sie hob David auf ihren Schoss und drückte ihn fest an sich. Er schlang nun seine kleinen Ärmchen um ihren Hals und drückte sie ebenfalls so fest er nur konnte. So saßen sie eine Weile und als der Arzt kam, konnten sie gar nicht genau sagen, wie lang sie so gesessen hatten. Der Arzt zog sich einen Stuhl heran und setzte sich der Familie gegenüber. Er wartete, bis Gabrielle und Steve ihn registriert hatten und er ihre Aufmerksamkeit hatte. „Wir haben es geschafft, ihren Sohn vorübergehend zu stabilisieren. Wir können allerdings noch nicht mit Sicherheit sagen, was er hat.

Uns ist bisher so ein Fall nicht bekannt. Ehrlich gesagt, wissen wir nich,t was wir noch tun sollen! Wir können nur hoffen, dass sich das Fieber senkt. Das ist im Moment unsere Hauptsorge.“

Gabrielle schaute ihn fassungslos an. „Soll das etwa heißen, dass sie ihm überhaupt nicht helfen können?“ fragte Steve. Der Arzt nickte mit bedauerndem Gesichtsausdruck. „Wir können nur hoffen, dass es von alleine besser wird.“

Doch es wurde nicht besser. Am nächsten Tag wie auch am übernächsten, ja nicht mal in der nächsten Woche.

Steve nahm sich Urlaub und er und Gabrielle wechselten sich damit ab, im Krankenhaus bei Michael zu sein und zu Hause auf David aufzupassen, da dieser nicht die ganze Zeit im Krankenhaus verbringen, sondern seinen normalen Rhythmus beibehalten sollte.

Auch Chistina kam ihn besuchen. Als sie an das Bett trat und all diese Schläuche sah, die dort aus ihm herausragten, brach sie in Tränen aus. Sie fiel vornüber auf sein Bett und klammerte sich verzweifelt an die Decke, die über ihm lag. Als die Ärzte kamen und meinten, dass sie nun gehen müsste da die Besuchszeit vorbei war und man in dem Fall nur der engsten Familie erlaubte hier zu bleiben, wehrte sie sich erst mit Händen und Füßen, sodass sie ihre Eltern anrufen mussten. Diese schafften es dann mit sehr viel Überzeugungsarbeit, Christina zu überreden, das Krankenhaus für heute zu verlassen und dafür morgen die Schule ausfallen zu lassen, damit sie gleich wieder zu ihm kommen konnte.

An diesem Abend war Steve im Krankenhaus, um auf Michael aufzupassen. Wenn es nach Gabrielle gegangen wäre, dann wäre sie die ganze Zeit dort geblieben. Doch Steve hatte es besser gefunden, wenn sie sich abwechseln würden. Dann hatte einer von beiden immer die Möglichkeit zu duschen und ihren jüngsten Sohn zu sehen. Also nahm er auf einem der Sessel Platz, die das Krankenhauspersonal extra aus ihrem Aufenthaltsraum in das Zimmer gebracht hatten, da sie bequemer waren als die normalen Stühle.

Nach einiger Zeit begann Steve schläfrig zu werden. Er versuchte zwar am Anfang krampfhaft wach zu bleiben, womit er allerdings wenig Erfolg hatte, denn kurze Zeit später war er schon eingeschlafen. Er wusste erst gar nicht wo er war, als er aus dem Schlaf aufschreckte. Der Anblick seines kranken Sohnes holte ihm aber schnell die Erinnerungen wieder ins Gedächtnis. Gleich darauf konnte er sich auch wieder daran erinnern, warum er aufgewacht war,- denn jetzt wurde eine Tür zur Intensivstation aufgestoßen, sodass sie an die Wand flog!

Steve stand auf und blickte durch das Glasfenster in der Zimmertür nach draußen auf den Gang. Dort waren zwei Männer zu sehen, die eilig auf das Zimmer zugelaufen kamen. Eine Schwester lief ihnen allerdings schon entgegen und stellte sich ihnen mit verschränkten Armen in den Weg. „Meine Herren!“ sagte sie leise, aber doch verständlich und deutlich. „Was glauben sie denn, wo sie sind? Sie können hier nicht einfach reinspazieren und einen Lärm machen, der selbst eine Horde Bären aus dem Winterschlaf reißen würde! Außerdem ist die Besuchszeit vorbei. Wer, zum Teufel, sind sie denn eigentlich?“ Sie war so richtig in Fahrt gekommen. Ihr Gesicht war rot angelaufen und sie atmete schneller.

Steve musste bewundernd anerkennen, dass sie trotz ihrer Wut nicht lauter und ausfallender geworden war.