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Der technische Fortschritt schafft neue Gelegenheiten für Kriminalität. Man denke nur an Hacking, Datenbeschädigung, Trojanische Pferde und andere Schadsoftware im Internet. Auch im Alltag werden immer häufiger technische Hilfsmittel zu kriminellen Zwecken eingesetzt, wie beispielsweise Drohnen mit hochauflösenden Kameras, Miniwanzen und andere Sensoren zur Aufzeichnung von vertraulichen Bildern und Ton. Die Technik ist aber auch ein Hilfsmittel für die Kriminalprävention. Zu nennen sind etwa bauliche Massnahmen an Häusern, Videoaufzeichnungen in Trams, Bussen oder der Eisenbahn, automatische Suchläufe nach illegalen Inhalten im Internet, Aufklärungsdrohnen, elektronische Fussfesseln und Apps zur Registrierung von verdächtigem Verhalten. Sie alle können zur Verhinderung von Straftaten und zur Beweissicherung eingesetzt werden. Mit der zunehmenden Verfügbarkeit von Daten sind auch neue Auswertungsmethoden (machine learning, big data analysis) möglich, die zu individuellen oder räumlichen Prognosen eingesetzt werden. Das neue Zauberwort lautet: Computational Criminology. Diese Sammlung von Aufsätzen beschreibt die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten neuer Technologie im Dienste der Kriminalprävention. Anwendungsbeispiele erläutern den gegenwärtigen Stand der Umsetzung in der Praxis.
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Seitenzahl: 157
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Elftes Zürcher Präventionsforum von Christian Schwarzenegger und Rolf Nägeli wird unter Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell-Keine Bearbeitung 4.0 International lizenziert, sofern nichts anderes angegeben ist.
© 2020 – CC BY-NC-ND
Editors: Christian Schwarzenegger, Rolf Nägeli – Europa Institut an der Universität ZürichPublishing & production: buchundnetz.comCover: buch&netzISBN: 973-3-03805-286-9 (Print – Hardcover), 978-3-03805-285-2 (Print – Softcover), 978-3-03805-308-8 (PDF), 978-3-03805-309-5 (ePub), 978-3-03805-310-1 (mobi/Kindle)DOI: https://doi.org/10.36862/eiz-286Version: 1.21-20200309
Dieses Werk ist als buch & netz Online-Buch und als eBook in verschiedenen Formaten, sowie als gedrucktes Buch verfügbar. Weitere Informationen finden Sie unter der URL: http://buchundnetz.com/werke/eizpraeventionsforum11
Der technische Fortschritt schafft neue Gelegenheiten für Kriminalität. Man denke nur an Hacking, Trojanische Pferde und andere Schadsoftware oder Drohnen und Miniwanzen zur Überwachung und illegalen Aufzeichnung von Bild und Ton. Technik ist aber ebenso ein Hilfsmittel für die Kriminalprävention. Bauliche Massnahmen an Gebäuden, Videoinstallationen in Zügen und Bussen, automatisierte Suchläufe im Internet, Drohnen, elektronische Fussfesseln und Apps auf Mobiltelefonen können zur Verhinderung von Straftaten eingesetzt werden. Analyse-Tools mit Zugriff auf eine Vielzahl an Daten ermöglichen Prognosen über die Kriminalitätsentwicklung. Software mit künstlicher Intelligenz wird auch in der Kriminalprävention zum Einsatz kommen.
Technische Massnahmen sind wesentlicher Bestandteil der Kriminalprävention auf allen Ebenen. Dieser Band bietet einen Überblick über neueste Entwicklungen und die Forschung zur Wirksamkeit technischer Kriminalprävention. Das 11. Zürcher Präventionsforum hatte sich zum Ziel gesetzt, über den Stand der Präventionsmassnahmen im Bereich technische Innovationen und Prävention zu informieren und beste Praktiken aufzuzeigen. Entsprechend geht der vorliegende Band insbesondere folgenden Fragen nach: Welche Massnahmen haben sich in der Schweiz und international als wirksam erwiesen? Welche Gefahren gehen von der technischen Innovation aus? Welche Verbesserungen können mit technischen Massnahmen erzielt werden? Welche Möglichkeiten stehen der Polizei, den Behörden, aber auch den Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung? Wie ist der Stand der technischen Prävention in der Schweiz im Vergleich mit anderen Ländern?
Ladina Cavelti, wissenschaftliche Mitarbeiterin am kriminologischen Institut der Universität Zürich, gibt einen Überblick über die verschiedenen Technologien, die bei Kriminalprävention Anwendung finden und zeigt auf, welche Entwicklungstendenzen sich im positiven wie negativen abzeichnen.
Dr. Jasmine Stössel, ausserordentliche Staatsanwältin des Kantons Schaffhausen, informiert über das Electronic Monitoring im Schweizer Erwachsenenstrafrecht, wobei sie sowohl auf die verschiedenen technischen Möglichkeiten mit ihren Vor- und Nachteilen, als auch auf die verschiedenen Anwendungsbereiche eingeht.
Dr. Ulf Blanke, Co-Founder der Antavi GmbH in Zürich, stellt App gesteuertes Crowd-Management und Einsatzführung bei Grossveranstaltungen vor und erklärt, wie gefährliche Situationen auf diese Weise besonders schnell erkannt und ein frühzeitiges Eingreifen ermöglicht werden können.
Bettina Zahnd, Leiterin der Unfallforschung und Prävention der AXA, Winterthur, erläutert anhand verschiedener Studien die Verkehrsunfallprävention durch Fahrerassistenzsysteme und zeigt auf, welche Vorteile und Risiken mit dieser Technologie einhergehen.
Tomas Wenk, Chef des Kompetenzzentrums Digitale Ermittlungsdienste der Stadtpolizei Zürich, vermittelt einen Einblick in aktuelle Phänomene digitalisierter Kriminalität und der Cyber-Crime Prävention. Er zeigt die Schwierigkeiten, mit denen sich die Ermittler bei der Verfolgung von Cybercrime konfrontiert sehen, auf und erläutert praxisnah das Vorgehen der Zürcher Stadtpolizei im Umgang mit digitalisierter Kriminalität.
Dr. Ulrich Schimpel, CTO beim IBM Schweiz und Mitglied beim IBM CTO Europe Team, informiert darüber, wie künstliche Intelligenz die Polizei bei erfolgreicher Präventionsarbeit unterstützen kann und wo derartige wissensbasierte Systeme bereits verwendet werden.
Für das gute Gelingen der Tagung und der Veröffentlichung dieses Bandes möchten wir herzlich danken: Frau Irina Ruf für die professionelle Organisation und Durchführung der Veranstaltung sowie Frau Sue Osterwalder, Frau Noura Ranja Mourad und Frau Daniela De Marco für die Gestaltung dieses Tagungsbandes.
Zürich, im November 2019
Christian Schwarzenegger, Rolf Nägeli
Im chinesischen Gebiet Xinjiang wird die Prävention von Kriminalität, insbesondere von terroristischen Handlungen, extensiv betrieben. Die Sicherheitsbehörden kontrollieren und überwachen die uigurische Bevölkerung auf Schritt und Tritt, zunehmend wird dabei auf technische Massnahmen und Innovationen gesetzt, wie im März 2019 in einem Artikel im Tagesanzeiger Magazin beschrieben wurde.[1] Xinjiang, ein Wüstengebiet und vierzigmal so gross wie die Schweiz, ist technisch hochgerüstet wie sonst kaum ein anderes Gebiet auf der Welt. Die rund elf Millionen Uiguren werden rund um die Uhr und grossflächig von Überwachungskameras gefilmt, auch in privaten Wohnungen und Schulen. Das Überwachungssystem zeichnet Daten aus Telefonanrufen, E-Mails, Chats, Internetseiten und sogar den Stromverbrauch und das Einkaufsverhalten auf. Messer werden verkauft mit eingraviertem QR-Code des Käufers, damit eine sofortige Identifikation möglich ist. Wer an einer Tankstelle Benzin tanken möchte, muss sich zuerst an einem Automaten registrieren mit Ausweis und Gesichtsscan. Die Polizei und Sicherheitsbehörden installieren GPS-Sender in Autos und Bussen. Eine obligatorische App der Regierung kontrolliert alle Kommunikation, ausländische Mail- und Messenger-Anbieter wie WhatsApp sind blockiert. Dank künstlicher Intelligenz und selbstlernenden Algorithmen werden Daten systematisch ausgewertet und bei „verdächtigen Aktivitäten“ wie beispielsweise Abweichungen beim Einkaufsverhalten, wird automatisch eine Meldung an die zuständige Polizeistation erstellt.[2]
Die chinesische Bevölkerung scheint diesen „Volkskrieg gegen Terrorismus“ zu befürworten. Sie scheinen auch die eigene Überwachung unter anderem durch Videokameras, erheblich ausgebaut unter Präsident Xi Jinping, zu befürworten. Dennoch fürchten sie sich gleichzeitig auch vor den psychischen Folgen der Überwachung und vor Datenleaks.[3]
Nicht nur in China werden technische Massnahmen wie Überwachungskameras zwiespältig bewertet, je nach Situation und Kontext, in welchem die Massnahmen eingesetzt und angewendet werden. Überwachungskameras sind somit ein gutes Beispiel für sogenannte Dual Use Instrumente, also für den „positiven“ und „negativen“ Einsatz der gleichen technischen Massnahme je nach Standpunkt und Wahrnehmung des Nutzens oder der Verhältnismässigkeit. Der Einsatz von Überwachungskameras als Einbruchschutz beim eigenen Wohneigentum wird gemeinhin als positiv und sinnvoll betrachtet, da es zu unserem eigenen Schutz und Vorteil eingesetzt wird. Ähnliche oder gleiche technische Massnahmen, in diesem Beispiel Überwachungskameras, können hingegen auch in einem negativen Sinne verwendet werden, um Personen zu überwachen wie es der uigurischen Bevölkerung in China momentan geschieht. Der Zweck ist sowohl bei dem für uns positiven und negativen Einsatz ähnlich, es geht um Prävention oder Verhinderung von Kriminalität, im aktuellen Beispiel entweder Einbruch- oder Terrorismusprävention mittels technischer Massnahmen.
Der Beitrag beginnt mit einem Überblick, was unter Kriminalprävention durch technische Massnahmen zu verstehen ist und welche Arten technischer Massnahmen unterschieden werden können. Der zweite Teil widmet sich sodann der Wirksamkeit technischer Massnahmen im kriminalpräventiven Rahmen im Allgemeinen und im Detail anhand verschiedenen, zuvor definierten Anwendungsbereiche. Danach wird auf die neue Welt der technischen Kriminalprävention eingegangen und mögliche Entwicklungstendenzen der Kriminalprävention, speziell in Bezug auf technische Massnahmen, aufgezeigt.
In der kriminologischen Forschung gibt es einige Untersuchungen und Evaluationen zur Wirksamkeit von Überwachungskameras, Strassenbeleuchtung, Electronic Monitoring, Body-Cams und verschiedenen Einbruchschutzmassnahmen wie Fensterverriegelungen. Die verschiedenen Massnahmen, welche zur Prävention verschiedener Straftaten eingesetzt werden, werden in der Forschung jedoch nicht unter „technische Massnahmen“ oder „technische Kriminalprävention“ zusammengefasst. Sucht man im Internet beispielsweise nach technischer Kriminalprävention, dann werden einige Seiten verschiedener Polizeistellen und Organisationen, die sich um Kriminalprävention kümmern angezeigt, die zumeist über Massnahmen zum Einbruchschutz oder über die Möglichkeiten von Überwachungskameras in Kleingartenanlagen informieren.[4]
Dementsprechend ist es nicht offensichtlich, welche Präventionsmassnahmen unter den Begriff „technische Massnahmen“ fallen und wie dieser Begriff einzugrenzen ist. Auch der Begriff Kriminalprävention ist nicht klar umrissen, wie es möglicherweise den Anschein hat. Obwohl Kriminalprävention eine lange Geschichte hat, ist sie immer noch ein vager und ungenau definierter Gegenstand.[5]
Wie erwähnt sind die Gedanken zur Prävention straffälligen Verhaltens nicht neu. Seit einigen Jahrhunderten macht man sich Gedanken darüber, wie Straftaten verhindert werden können. In früheren Zeiten bestand Kriminalprävention vorwiegend aus harter, vielfach grausamster Bestrafung der Täter.[6] Während früher Kriminalprävention demnach vorwiegend als Abschreckung verstanden wurde, wird heute unter Kriminalprävention jegliche Massnahme gefasst, die den Anspruch hat, die Kriminalitätsraten zu reduzieren, bzw. die erstmalige und/oder wiederholte Deliktbegehung zu unterbinden.[7]
Gemäss Dollinger ist die Notwendigkeit von Prävention in sich evident.[8] Wenn es effektiv möglich sei, ein Übel zu verhindern, bevor es auftritt oder bevor es noch gravierende Intensität erreiche, dann solle man dies tun.[9] Das frühe Verhindern eines Übels wird gemeinhin fraglos als gültig und richtig gesehen und leuchtet jedem ein. Ob es gelungen ist, ein Übel wie Kriminalität zu verhindern oder zu vermindern, ist unter Umständen nicht unmittelbar ersichtlich. Das Auftreten von Kriminalität ist nicht zwingend als Scheitern von Präventionsmassnahmen zu interpretieren, sondern kann auch ein Bedarf nach mehr Prävention signalisieren. Die Wirksamkeit von Kriminalprävention ist folglich nicht immer klar und ersichtlich.[10]
Neue technische Innovationen wurden und werden stetig entwickelt, um Kriminalität zu verhindern. Der technische Fortschritt hat im Laufe der Jahre die Art und Weise, wie wir über Kriminalität denken und welche Anstrengungen unternommen werden um sie zu verhindern, entscheidend beeinflusst.[11] Eine treibende Kraft der Innovation technischer Massnahmen zur Kriminalprävention ist die Überzeugung, dass ohne die Entwicklung neuster technischen Trends in Bezug auf Sicherheit und Schutz die Öffentlichkeit im Nachteil ist, da die „andere Seite“ technische Massnahmen einsetzt, um Straftaten zu begehen.[12] Für die Kriminalprävention tun sich somit gänzlich neue Interventionen auf, die ohne technische Massnahmen nicht denkbar wären oder aufgrund fehlender Ressourcen nicht umgesetzt werden können. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Nachweise der tatsächlichen Erreichung des Ziels, Kriminalität zu reduzieren oder zu verhindern notwendig sind, um die dafür eingesetzten technischen Massnahmen zu legitimieren.[13]
Im vorliegenden Beitrag liegt der Schwerpunkt auf Strategien oder Massnahmen, welche technische Innovationen oder Massnahmen nutzen, entweder um erstmalige Straftaten zu verhindern oder um Rückfälle von Personen zu verhindern, die sich nicht ausschliesslich auf traditionelle Aktionen stützen.
Gemäss Kett-Straub erschweren die vielfältigen Möglichkeiten technischer Präventionsmassnahmen die Herleitung eines allgemein gültigen theoretischen Bezugsrahmens.[14] Als Grundprinzip technischer Präventionsmassnahmen müsse gelten, dass die „tatsächlichen Bedingungen am Tatort so gestaltet werden, dass die Begehung einer Straftat für den Täter schwieriger, risikoreicher und weniger lohnend erscheint.“ [15]
Dieser Ansatz beruht auf der sogenannten situativen Kriminalprävention, welche die Prävention nicht direkt an der Person des Täters ansetzt, sondern am Kontext der Straftat, indem eine für die Kriminalität begünstigende Gelegenheitsstruktur aufgebrochen wird.[16] Der Ansatz der situativen Kriminalprävention begründet sich hauptsächlich auf den Erkenntnissen der kriminologischen Konzepte Routine Activity Approach und Rational Choice Theorie. Der Routine Activity Approach beschreibt Kriminalität als Zusammenspiel von Täter, Ziel und Bewachung und untersucht die Tatgelegenheiten und Viktimisierungsrisiken, die sich aus dem täglichen Leben und den Routinen in der Freizeit, am Arbeitsplatz oder im Urlaub ergeben. Nach diesem Ansatz entsteht kriminelles Verhalten dann, wenn ein potenzieller Täter auf ein potenziell lohnendes Ziel ohne entsprechenden Schutz trifft. Die Rational Choice Theorie ist geprägt von einem Grundsatz des rationalen Handelns und geht von einer rationalen Kosten-Nutzen-Analyse aus. Dieser Ansatz nimmt an, dass ein potenzieller Täter seine Risiken mit den zu erwartenden Gewinnen abgleicht und sich daraufhin für oder gegen eine Tat entscheidet. Die situative Kriminalprävention nutzt die Erkenntnisse aus diesen zwei Konzepten insofern, als sie die Gelegenheiten für Kriminalität reduzieren möchte. Im Grunde sagt dieser Ansatz aus, dass es einfacher ist, Orte und Gegebenheiten zu ändern, als Personen. Folglich hat angemessener Schutz durch technische und soziale Massnahmen eine grössere präventive Wirkung als ein direkter Einfluss auf die Persönlichkeit oder das Privatleben des Täters. Das Ziel der situativen Kriminalprävention ist, dem potenziellen Täter so wenig Gelegenheit zur Kriminalität wie möglich zu bieten und dadurch Menschen nicht zur Begehung von kriminellem Verhalten zu verleiten.[17] Situative Kriminalprävention fokussiert sich auf die Kriminalitätsverhütung durch die Reduzierung der Zahl der kriminellen Möglichkeiten und durch die Erhöhung des wahrgenommenen Entdeckungsrisikos.[18]
Dieses situationsbezogene Präventionskonzept lässt sich nun auf Kriminalprävention durch technische Massnahmen übertragen: technische Massnahmen erhöhen das Risiko des (potenziellen) Täters, entdeckt zu werden, steigern die Kosten und reduzieren die Erfolgswahrscheinlichkeit der Tat im Sinne des sinkenden Nutzens und Belohnung.[19] Nicht alle technischen Massnahmen zur Kriminalprävention vermögen alle diese Punkte gleichzeitig zu erfüllen, sie erheben allerdings diesen Anspruch auch nicht. Gemeinhin können technische Massnahmen zur Kriminalprävention als eine Art der situativen Kriminalprävention gelten. Es gibt jedoch umgekehrt situative Interventionen der Kriminalprävention, die keine technischen Massnahmen sind. Man denke hier beispielsweise an die Kontrolle von Wohnanlagen durch Sicherheitspersonal, der Eingrenzung von Räumen oder Grundstücke durch Zäune oder das Entfernen von Sitzmöglichkeiten im öffentlichen Raum um der Ansammlung (unerwünschter) Personen entgegenzuwirken.[20]
Technische Massnahmen zur Kriminalprävention können unterschieden werden zwischen material- und informationsbasierten technischen Präventionsmassnahmen.[21] Materialbasierte technische Präventionsmassnahmen, auch hard technology genannt, umfassen typischerweise Geräte, Hardware und Ausrüstungen, die zur Prävention von Kriminalität genutzt werden können. Dazu gehören auch die bekannten baulich-technischen Massnahmen, wie bspw. Fensterverriegelungen, oder die allgegenwärtigen Überwachungskameras, Metalldetektoren in Schulen, Gepäckkontrollen an Flughäfen, kugelsichere Bankschalter, Wegfahrsperren in Autos und Sicherheitssysteme in Haushalten und Firmen.[22]
Informationsbasierte technische Massnamen, auch soft technology genannt, umfassen die strategische Nutzung von Informationen zur Kriminalprävention, wie bspw. die Entwicklung von Risiko-Assessment-Instrumenten und Massnahmen die zur Verbesserung der Leistung der Polizei dienen, wie bspw. Predictive Policing.[23] Zu den Innovationen der informationsbasierten technischen Massnahmen gehören neue Softwareprogramme, Klassifizierungssysteme sowie technische Innovationen und Massnahmen zur Datenweitergabe und Systemintegration.[24] Dank der stetig entwickelnden Möglichkeiten der Datenverarbeitung können mittels erfassten und gespeicherten Daten umfassende Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile erstellt werden, anhand welcher Risikoprofile berechnet werden, die als Grundlage für die Prognoseentscheidung darüber dienen, ob eine präventive Massnahme im Sinne eines Eingreifens erforderlich ist oder nicht.[25] Zu den neusten technischen Massnahmen gehören die aktuellste Generation von Instrumenten zur Klassifizierung von Straftätern, Instrumente zur Identifizierung von Mobbing, Softwareprogramme zur Verhinderung von Identitätsdiebstahl und zum Datenschutz, neue Instrumente zur Überwachung der Position und Bewegung von gefährdeten Bevölkerungsgruppen wie Sexualstraftäter.[26]
Die soeben eingeführte Unterscheidung zwischen informations- und materialbasierten Massnahmen verliert jedoch stetig an Relevanz, dank des unaufhaltsamen Fortschrittes der Digitalisierung und der Internet der Dinge. Immer weniger technische Massnahmen zur Kriminalprävention sind rein materialbasierter Natur. Eine Lichtanlage beispielsweise besteht zwar aus physischen Geräten wie den Lampen oder einem Bewegungssensor, was ist aber wenn die Lichtanlage elektronisch, zum Beispiel per Smartphone, gesteuert werden kann? Was, wenn Radarfallen per Software aus einer Zentrale ein- und ausgeschaltet werden können?
Trotz der schwindenden Relevanz der Einteilung in material- und informationsbasierte Arten technischer Massnahmen haben wir versucht, einen Überblick über die verschiedenen technischen Massnahmen, die zur Kriminalprävention eingesetzt werden, zu erstellen. Grafik 1 ist das Resultat unserer Überlegungen. Die technischen Massnahmen, welche uns bei der Recherche zum Beitrag wiederholt über den Weg liefen und zu denen auch Literatur oder Studien gefunden werden konnten, sind aufgeführt. Die Aufführung ist nicht erschöpfend, es gibt sicherlich deutlich mehr technische Massnahmen im kriminalpräventiven Bereich.
Grafik 1: "Überblick über die technischen Massnahmen zur Kriminalprävention" (eigene Grafik)
Nachdem bei der Recherche einige technische Massnahmen zusammenkamen, wurden sie in verschiedene Anwendungsbereiche eingeteilt. Die Anwendungsbereiche Detailhandel, Einzelperson, Haus, Öffentlicher Raum, Polizei und Strassenverkehr wurden von uns erstellt. Man sieht in Grafik 1 auch, dass es technische Massnahmen wie die Überwachungskamera (CCTV) gibt, die in vielen verschiedenen Anwendungsbereichen zum Einsatz kommt. Im vorliegenden Format wurden sie aus diesem Grunde mehrfach aufgeführt.
Zusätzlich ist zu bemerken, dass sowohl die verschiedenen Anwendungsbereiche, wie auch die in den Anwendungsbereichen enthaltenen einzelnen technischen Massnahmen alphabetisch aufgeführt identifiziert und die entsprechenden technischen Massnahmen zugeteilt. Die Reihenfolge der Aufzählung impliziert keine Relevanz oder besondere Bedeutung, der Übersicht wegen wurde eine alphabetische Reihenfolge bevorzugt.
Es ist schwierig, eine genaue Schätzung des Ausmasses zu geben, in welchem jede einzelne technische Massnahme zur Kriminalprävention ein- und umgesetzt wird. Offensichtlich ist jedoch, dass es sich um eine Wachstumsbranche handelt, mit zunehmenden neuen technischen Massnahmen und Möglichkeiten, wie Kriminalität vorgebeugt und verhindert werden soll, sowohl national wie auch international.[27]
Wie bereits erwähnt sind und waren technische Innovationen seit jeher treibende Kräfte, die zu Reformen von Kriminalprävention führten. Jedoch wissen wir erstaunlich wenig über das wie und warum gewisse Innovationen oder Massnahmen angewendet werden und welches die intendierten und nicht-intendierten Konsequenzen von technischen Massnahmen sind.[28]
Um entsprechende präventive Massnahmen zu legitimieren, sind Nachweise der tatsächlichen Erreichung dieses Ziels notwendig.[29] Die finanziellen Investitionen in die unterschiedlichen Innovationen und Massnahmen müssen im Sinne eines ökonomischen Umgangs mit öffentlichen Mitteln der Frage der Wirksamkeit kriminalpräventiver Massnahmen eine besondere Bedeutung zukommen.[30] Während in den USA bereits in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts festgelegt wurde, dass 10% der Fördermittel bei unterstützten Projekten für eine Evaluation der Projekte verwendet werden müssen, gibt es hierzulande kaum solche Regelungen.[31] In Deutschland, wie auch in der Schweiz, herrscht derweilen ein Mangel an Wirkungsforschung.[32]
Mehrere Faktoren beeinflussen die Kriterien zur Beurteilung der Qualität der Evaluationsforschung, wie beispielsweise die politischen Rahmenbedingungen, finanzielle Möglichkeiten aber auch wissenschaftliche Unklarheiten darüber ob „nur“ randomisierte Studien mit Kontrollgruppen (die gemeinhin als Goldstandard gelten) miteinbezogen werden sollen oder auch Studien, die dies nicht erfüllen.[33] Zudem kann effektive Kriminalprävention gemäss dem niederländischen Forscher de Waard nur unter Mitarbeit von wissenschaftlicher Seite konzipiert werden.[34] Grundlage dafür ist reliables und valides Wissen, das aus bewährten und qualitativ hochwertigen Forschungsergebnissen stammt.[35]
Ansichten über die Art und das Niveau der benötigten Beweise, die für die Feststellung der Wirksamkeit erforderlich sind, sind je nach Entscheidungsträger, Wissenschaftler oder Praktiker unterschiedlich. Angesichts dieser Diskrepanz werden unterschiedliche Kriterien und Überprüfungsverfahren verwendet um festzustellen, was funktioniert und was nicht („What Works?“). Daher kann es durchaus vorkommen, dass eine kriminalpräventive Massnahme oder Richtlinie, von einer Seite als wirksam erfasst wird, von einer anderen Seite als nicht wirksam bewertet wird.[36] Solche Diskrepanzen verunsichern und verwirren natürlich die Öffentlichkeit sowie die politischen Entscheidungsträger und können das Vertrauen in wissenschaftliche Standards und Empfehlungen schlimmstenfalls untergraben. Darüber hinaus gibt es nicht immer besonders hohe Standards in Bezug auf die Strenge der Evaluierungsforschung die erforderlich ist, um eine Intervention als wirksam zu bezeichnen. Das führt dazu, dass kriminalpräventive Massnahmen empfohlen werden, die bei der Umsetzung keine signifikante Kriminalitätsreduktion bewirken dürfte.[37]