Stürmische Küsse - Maja Keaton - E-Book
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Stürmische Küsse E-Book

Maja Keaton

5,0

Beschreibung

Nie wieder mit dem Ex! Hollys Onkel, Ziehvater, Herausgeber, Chefredakteur und Kotzbrocken der "Roseport News" in Personalunion schreckt vor nichts zurück, wenn es darum geht, die Zeitung vor dem endgültigen Aus zu retten. Das Stichwort lautet: Romantik. Nicht gerade das Lieblingsthema der allein an harten Fakten interessierten Reporterin Holly. Also so gar nicht. Doch nach vier Jahren unter Onkelchens Fittiche, ist die künftige Erbin der Zeitung gleichfalls mit allen Wassern gewaschen. Sie nimmt die Idee ihres Onkels zum Anlass, einen Vorteil für sich selbst rauszuschlagen: Die 22-Jährige will nämlich schon lange raus aus dem schnuckeligen Nest, in dem sie seit dem Tod ihrer Eltern bei Onkel und Tante lebt. Holly möchte endlich was von der Welt sehen, austesten, wie, wo und mit wem sie ihr Leben verbringen will. Doch dann kehrt Jack O'Brien, ein ehemaligen Mitbürger, der einst einen Haufen verbrannte Erde in Roseport hinterließ, zurück. Mittlerweile ist er Star der Fernsehserie "Blut und heiße Küsse" ... und Hollys Ex. Und damit so ziemlich der Letzte, der Holly zu ihrem Glück gefehlt hat. Was diesen Traum von einem Mann jedoch nicht daran hindert, wie ein Orkan über Roseport hinwegzufegen, denn er hat schließlich so einiges wieder gut zu machen. Holly will nichts mehr von ihm wissen. Aber was, wenn Jack schmerzvolle Gründe für sein fieses Verhalten in der Vergangenheit hat? Roseport Lovers: Teil 1 der "Roseport Lovers" Reihe von Maja Keaton. Alle Bücher der Reihe sind in sich abgeschlossene Romane und können unabhängig voneinander gelesen werden!

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STÜRMISCHE KÜSSE

ROSEPORT LOVERS - TEIL 1

MAJA KEATON

IMPRESSUM

Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung - auch auszugsweise - nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages!

Im Buch vorkommende Personen und Handlung dieser Geschichte sind frei erfunden und jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist zufällig und nicht beabsichtigt.

Copyright © 2022 dieser Ausgabe Obo e-Books Verlag,

alle Rechte vorbehalten.

M. Kluger

Fort Chambray 

Apartment 20c

Gozo, Mgarr

GSM 2290

[email protected]

INHALT

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Epilog

Roseport Lovers - Küsse vom Doc

Über OBO e-Books

WIDMUNG

Gewidmet den Liebenden, den sich nach Liebe Sehnenden sowie allen Liebesroman-Süchtigen.

PROLOG

Sie saß in der ersten Reihe. Zwischen Mr. Halligan, dem Boss der Roseport News, und seinem besten Freund Ethan. Mit ihrem pechschwarzen, in alle Himmelsrichtungen abstehenden, krausen Haar versperrte sie den Leuten, die hinter ihr saßen, die Sicht. Und anstatt dass er als Hamlet das Publikum faszinierte, bekam er seine Augen nicht von ihr. In ihrem schmalen Schoß lag ein kleiner Notizblock, in den sie ab und zu ein paar Worte kritzelte. Zwischen den Worten blickte sie auf. Sie hatte die größten, dunkelsten, schönsten Augen, die er je an einem Menschen gesehen hatte. Augen, die seine Seele berührten.

„Jack? Alles klar?“

Seine Hand steckte in einem weißlichen Gummihandschuh und umfasste eine Hühnerleber. Er nickte.

„Dann setz den geilen Blick auf und zieh das verdammte Geschwür aus der Lady. Und zeig die Eckzähne. – Hey, Sandy, seine Nase glänzt.“

Die dicke Sandy streichelte ihm mit der Puderquaste über die Nase. Wann hatte er das letzte Mal geniest, wenn die Maskenbildnerin ihn mit dem Pinsel kitzelte? Vor einem Jahr, vor zweien? Wann hatte er eigentlich aufgehört, Dinge zu fühlen?

„Jack, verpass deinen Einsatz nicht schon wieder. – Amy, lies ihm seinen Text vor.“

„Mann, hab ich einen Kohldampf! Begleitest du mich nachher zu den Blutkonserven“, las Amy tonlos aus dem Skript vor.

Er nickte zum Zeichen, dass er bereit war, zog die rechte Augenbraue hoch und die Hühnerleber aus der penetrant nach Miss Chanel duftenden Patientin. Dabei kroch er der Anästhesistin mit den Augen in den Ausschnitt, ganz so wie Anthony es von ihm verlangte.

„Und Cut. Für heute sind wir fertig. Wer kommt mit was trinken?“, trötete der Regisseur in die Runde.

Während seine Kolleginnen und Kollegen der Einladung laut plappernd folgten, murmelte er nur „Hab noch was vor“, floh geradewegs in die Garderobe und stürzte sich auf sein Handy.

Gott sei Dank, die Buchungsbestätigung war da!

Ryan. Er musste Ryan eine SMS schicken.

„Hi Ryan“, seine Finger flogen über das Display, „Was hältst du von einem Bier bei Paddy? Ich lande am Freitag, 17:48 eurer Zeit, am Knock International. Holst du mich ab? Danke. Jack.“

Ihm war schlecht. Nicht von dem Stück Eingeweide, das die Requisiteurin ihm mit einem lasziven Augenaufschlag abgenommen hatte, sondern von sich selbst.

1

Holly vergrub ihr Gesicht in beide Hände und fragte sich, was sie wohl in einem früheren Leben verbrochen hatte.

Nicht, dass sie an Wiedergeburt glaubte, doch bei dem, was ihr blühte, hätte sie das Licht der Welt vermutlich besser als Schmeißfliege erblickt. Dann wäre sie mit ihrem grün schillernden Körper auf einem Kuhfladen gelandet und sogar noch glücklich gewesen, weil sie keine Ahnung gehabt hätte, dass sie nicht im Schlaraffenland angekommen war, sondern mitten auf einem Scheißhaufen herumbrummte.

„Hast du eine bessere Idee?“ Die Stimme von Rory Halligan, Onkel und Ziehvater von Holly Halligan sowie Herausgeber, Chefredakteur und Kotzbrocken der Roseport News in Personalunion, donnerte durch den Raum.

Vor so ziemlich genau drei Jahren war das Blatt zum 31. und sicherlich zum letzten Mal in Folge zur beliebtesten Zeitung im gesamten County Mayo gewählt worden. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Sport – die kleine Roseport News hatte alle Themen bedient, und zwar in 1 A Qualität. Aber seit selbst an diesem Zipfel Irlands jede Oma mit einem Smartphone über die saftigen, grünen Weiden trampelte, ging es mit dem Blatt nur noch bergab. Tatsächlich war die einst so renommierte Traditionszeitung zu einem Anzeigenblatt verkommen. Kein Mensch wollte sich mehr gepflegt informieren, geschweige denn einen Cent für einen Haufen Papier ausgeben, den nur noch die Werbung am Leben erhielt. Diejenigen, die noch lasen, steckten ihre Nasen lieber in ein gutes Buch oder glotzten in ihren Ebook-Reader.

Jamie kicherte. Die Fotografin im Team war Hollys beste Freundin, obgleich Holly in dem Moment Zweifel an der Aufrichtigkeit der Freundschaft kamen.

Kapierte die werdende Mutter unter dem Einfluss des Kuschel-Hormons Oxytocin nicht, dass Rory Halligans sogenannte Idee der endgültige Untergang jedes ernst zu nehmenden Journalismus in Roseport und Umgebung bedeutete? Abgesehen von der winzigen Kleinigkeit, dass Holly allein beim Wort Romantik die Tränen kamen. Doch genau darum ging es ihrem Onkel: Seine einzige verbliebene Reporterin sollte statt kritischer Berichterstattung und harter Fakten Woche für Woche eine romantische Artikelserie liefern, die den geradezu idiotischen Titel Stürmische Küsse trug.

„Bisher habe ich immer mitgemacht bei deinen Ideen, habe getan, was nötig war, um das Blatt zu retten, aber das ... Vergiss es!“ Holly stand auf und riss das klapprige Fenster des Raums auf, in dem seit der Gründung der Zeitung durch ihren Urgroßvater die wöchentliche Redaktionssitzung stattfand. Sofort schlugen ihr die salzige Feuchtigkeit entgegen, die der Wind vom nahen Meer bis in die schnuckelige Einkaufsstraße trieb, in der die Redaktion gerade vollends verlotterte.

Als sie ein Kind war, hatten sich bei der Roseport News sieben fest angestellte Reporter die Finger wund geschrieben. Seit der Entlassungswelle vor zwei Jahren arbeiteten neben Onkel Rory nur noch die kurz vor der Pensionierung stehende und täglich drei Äpfel mampfende Sekretärin Mrs. Finnley, Jamie und Holly selbst hier.

„Frauen sind heutzutage die einzigen Lebewesen auf der Welt, die noch lesen. Aber sie verschlingen vorzugsweise und mit schierer Begeisterung Liebesromane.“

„Wir sind aber eine Wochenzeitung und kein Meine-wahre-Liebesgeschichte-Magazin.“

„Diese Serie von Lovestories ist eine geniale Idee! Einen solchen Riecher hatte ich ewig nicht. Das ist richtig-richtig clever!“, schmetterte der Verleger.

Obwohl Holly es nicht sehen konnte, wusste sie, dass der Onkel hinter ihr den Finger mit dem Siegelring hob, der einst ihrem Urgroßvater gehört hatte. Ja, der Herr Verleger wusste schon, welche Knöpfe er drücken musste, um ihr ein schlechtes Gewissen zu machen.

Ein paar Häuser weiter, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, schloss Paddy seinen urigen, von außen irischgrün vertäfelten Pub auf. Der Wirt schien genauso in Gedanken zu sein wie sie selbst. Vielleicht wollte er auch nur so schnell wie möglich ins Warme, denn draußen war es ziemlich ungemütlich.

Holly knallte das Fenster zu und ging langsam zu ihrem Platz zurück.

Richtig-richtig clever wäre es gewesen, gleich nach dem Schulabschluss bei einem namhaften Blatt in Dublin oder in London anzuheuern, vielleicht sogar nach New York zu gehen, zumal ihre Mutter ursprünglich aus den Staaten stammte und Holly noch nie dort gewesen war. Soviel sie wusste, lebten dort sogar entfernte Verwandte von ihr. Ganz davon abgesehen hatte Holly das beste Leaving Certificate aller Zeiten in den Händen gehalten. Der Rektor persönlich hatte es ihr mit den stolzen Worten überreicht: „Damit steht dir die Welt offen, Holly Halligan. Hol sie dir.“

Ihrer Karriere als ernstzunehmende Reporterin hatte nichts im Wege gestanden. Außer diese verdammte Tradition ihrer Familie väterlicherseits und sie selbst, denn in ihrem tiefsten Innern war sie anscheinend ein Landei ersten Ranges.

Und dann war sie ja auch noch bis über beide Ohren verliebt gewesen damals. Als sie noch hautenge T-Shirts trug, neckische Unterwäsche und ein Kettchen mit Herzanhänger um ihren Hals baumelte – und an ihrer linken Hand ein hübscher silberner Ring steckte. Heiraten, Häuschen mit Garten und zwei Kinder, davon hatte sie plötzlich geträumt, statt von Reisen ins Ausland, interessanten Jobs bei großen Redaktionen. Da war ihr das Angebot ihres Onkels, ein Volontariat bei der Roseport News zu machen, gerade recht gekommen.

Sie hatte ein Volontariat bei der Dublin Post abgesagt! Gott, wie selten dämlich! Und dass sie die Familientradition aufrechterhalten würde, hatte sie sich eingeredet. Und dass die Zeitung vor vier Jahren ja auch noch eine gute Adresse war.

„Was ist nun, Holly“, knurrte der Verleger.

Einerseits war sie Onkel Rory und Tante Elizabeth, die sie nach dem Tod ihrer Eltern bei sich aufgenommen hatten, zutiefst dankbar; andererseits widerte sie fast ihr ganzes Leben an. Am allermeisten verabscheute sie sich selbst, weil sie nichts daraus machte.

„Also, ich bin dabei“, sagte Jamie mit einem vorsichtigen Seitenblick auf Holly, die wieder auf ihren Platz zurückgekehrt war.

Holly verdrehte die Augen. Jamie war bei allem dabei.

Ganz besonders war sie dabei gewesen, als Onkel Rory sie mit seinem Sohn Ethan verkuppelt hatte, und zwar in vollem Bewusstsein, dass die ganze Aktion nur gelaufen war, um Jamie, die eine ausgezeichnete Fotografin war, an die verdammte Zeitung zu ketten. Okay, im Gegensatz zu seinem Vater war Ethan groß, schlank, gut aussehend, sympathisch. Das komplette Gegenteil seines Vaters, gegen dessen Willen er Architekt geworden war, statt bei der Zeitung einzusteigen. Aber trotzdem. Familientradition hin oder her – was Onkel Rory mit Holly anstellte, war wie Mittelalter und Frühkapitalismus zusammen. Fast schon Folter.

Fast schon? Für sie war es Folter. Nach allem, was sie in Sachen Liebe erlebt hatte, sowieso. Eine Romantik-Serie ... Gott, der Gerechte!

„Die Auflage befindet sich im Sturzflug. Wir verteilen die Zeitung schon kostenlos. Verdammt, Holly, wir brauchen die Werbeeinnahmen! Weil auch andere ihre Werbeblätter kostenlos verteilen, müssen wir uns etwas Besonderes einfallen lassen, denn sonst laufen uns auch noch die Werbekunden davon. Und dann ist Hängen im Schacht. Schluss, Aus, Feierabend“, polterte Onkel Rory.

Holly schüttelte erst langsam und dann immer entschiedener den Kopf. Nein, nein und nochmals nein!

Sie musste weg von hier. Raus aus Roseport, raus aus dem County, raus aus Irland. Aus purer Loyalität zu dem Lebenswerk ihres Urgroßvaters und aus Dankbarkeit ihrem Onkel gegenüber würde sie nicht all ihre Überzeugungen über Bord werfen und in der irischen Pampa verschrumpeln.

„Ich bin dankbar für alles, was du und Tante Elizabeth für mich getan habt, aber es ist höchste Zeit, meinen eigenen Weg zu gehen“, schmetterte sie innbrünstig.

Gerade mal zu einem billigen Zimmer bei einer privaten Vermieterin hatte sie es gebracht. Von den Männern ganz zu schweigen. Nicht, dass sie ein gesteigertes Interesse am anderen Geschlecht gehabt hätte, denn interessante Exemplare gab es hier ohnehin nicht. Ihr letztes Date lag mehr als ein halbes Jahr zurück. Da war sie doch tatsächlich über einem panierten Seehecht mit Chips und Mayonnaise eingeschlafen, als Tante Elizabeths Großneffe Henry aus Westport ihr im Restaurant eine ganze Schachtel Knöpfe an die Backe gequatscht hatte.

Aber sie wollte nicht auch noch über Männer jammern. Sie wollte überhaupt nicht jammern! Irgendwann würde ihr ein nettes Exemplar über den Weg laufen. Nur würde das ganz bestimmt nicht in Roseport geschehen!

Ihr Onkel schnalzte mit der Zunge. Wie immer, wenn ihm etwas missfiel.

„Du willst also raus in die Welt“, stellte er dann aber zu ihrer Überraschung fest.

Holly musterte das stets wachsame, in den vergangenen Jahren von den Sorgen um die Zeitung und vom Whiskey gezeichnete Gesicht ihres Onkels, während Jamie neben ihr zunehmend hektischer über ihren Bauch streichelte. Aber von der neuerdings ausgebrochenen Harmoniesucht ihrer Freundin würde Holly sich nicht beeinflussen lassen. „Inzwischen bin ich seit vier Jahren bei deiner Zeitung ...“

„Erstens wird das eines Tages deine Zeitung sein. Zweitens habe ich dich als vollwertige Redakteurin angestellt“, unterbrach sie Onkel Rory.

„Du wirst Ersatz für mich finden. Viele würden kostenlos arbeiten, nur um den Einstieg in den Beruf zu kriegen“, gab sie zurück. „Mein Entschluss steht fest: Ich gehe für ein paar Monate nach Dublin, dann nach London und dann sehe ich mir New York an – ganz so wie ich es früher vorhatte. Mit 22 bin ich dafür immer noch jung genug und als Single muss ich auf niemanden Rücksicht nehmen.“

„Und was ist mit mir?“, empörte sich Jamie.

„Mr. Halligan, jetzt tun Sie was, bevor Sie mit Ihren Schnapsideen Ihre Nichte von hier vertreiben“, ließ sich Mrs. Finnley aus dem Sekretariat vernehmen.

Normalerweise kam über die Lippen der Sekretärin nur Nettes, aber dem Verleger gegenüber nahm sie kein Blatt vor den Mund. Seltsamerweise ließ Rory Halligan ihr alles durchgehen. Vermutlich, damit die patente Sekretärin nicht vor der Rente noch das Weite suchte. Dabei suchten hier in der Gegend nur die Wenigsten ihr Glück in der Fremde. Wer hier geboren war, der blieb. Vor allem, wenn er zu den Glücklichen gehörte, die noch eine Arbeit hatten.

Aber Holly würde zu den anderen gehören. Sie würde endlich den Mut aufbringen, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen, was von der Welt sehen und dabei herausfinden, wie, wo und mit wem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte. Auch wenn die Eltern der Hunger nach der Fremde das Leben gekostet hatte, aber die Beiden waren Kriegsreporter gewesen, was ihr selbst dann doch zu wahnsinnig war. Ihr genügten schon die ganz normalen Nachrichten aus Politik, Wirtschaft und Kultur.

„O-kay“, sagte Onkel Rory.

Drei Augenpaare, einschließlich ihres eigenen, richteten sich auf den kleinen, rundlichen Mann.

O-kay? Rory Halligan sagte nie O-kay. Dieses Wort kam in seinem Wortschatz überhaupt nicht vor. Schon gar nicht würde er es auf diese lang gezogene Weise aussprechen.

„Das heißt, ich habe deinen Segen.“ Holly bemühte sich, den fragenden Unterton nicht durchklingen zu lassen.

„Unter einer Bedingung“, entgegnete er.

„Nur zu, Onkel Rory.“ Auf den Haken war sie mal gespannt.

„Na, warte erst mal ab, was ich dir zu sagen habe. Ich will dir nämlich ein Angebot machen.“

„Willst du einen schnelleren Internetanschluss beantragen, damit ich von meinem Schreibtisch aus mit Google Earth die Welt ruckelfrei erkunden kann?“

„Bei der miesen Bezahlung in diesem Hause konntest du kein Geld zurücklegen“, fuhr Onkel Rory ungerührt fort. „Aber mir ist klar, dass ich dich nicht anketten kann – auch wenn es mir allein um dein Wohl geht. Glaub es oder nicht. Wir haben oft genug über deine unverantwortlichen Eltern gesprochen.“

Das hatten sie. Onkel Rory hatte wenig, beziehungsweise gar kein Verständnis für die Abenteuerlust seines Bruders und seiner Schwägerin gezeigt. Ganz so wie all die anderen Menschen, die sie kannte. Eltern, die sich in Todesgefahr begaben, waren nicht gerade Sympathieträger. Schon gar nicht in der katholischen, irischen Pampa.

„Holly“, setzte Onkel Rory seine Rede fort, „ich will dir eine halbjährige Reise finanzieren. Die Fahrt nach Dublin mit der Bahn, Flüge nach London und New York.“

„Du willst was?“ Beinahe hätte Holly sich an ihrer eigenen Spucke verschluckt.

„Das billigste Ticket selbstverständlich. Du weißt, dass ich genügend Leute bei verschiedenen Zeitungen kenne, bei denen du jederzeit unterkommen kannst. Also, ich spreche von Leuten, die dir ein Zimmer und eine Praktikantenstelle zur Verfügung stellen.“

Jamie kniff Holly in die Taille und zwinkerte ihr aufgeregt zu, um ihr zu verstehen zu geben, dass hier etwas ganz fürchterlich faul sein musste.

„Du hast mich schon verstanden“, grunzte ihr Onkel. „Und du hör auf, Holly gegen mich aufzubringen!“, fuhr er seine Schwiegertochter an.

Es dauerte eine Weile, bevor Holly, die normalerweise nicht gerade um Worte verlegen war, den Mund aufbekam. „Aber das tust du doch nicht uneigennützig.“

Onkel Rory lachte. „Ich bin nicht die Wohlfahrt, meine liebe Nichte. Trotzdem kannst du sofort auf die große Reise gehen, das heißt, sobald alles geregelt ist. Ich mache das mit den Unterkünften und den Jobs klar, Mrs. Finnley besorgt die Fahrkarten. Du musst nur noch packen.“

„Verarschen kann ich mich selbst.“

„Ich schicke meinem alten Freund Aaron Lasalle aus Dublin noch heute eine E-Mail – mit Durchschlag an dich, damit du nicht denkst, ich verspreche dir etwas, das ich niemals vorhatte zu halten.“

„Was ist mit London und New York?“ Holly hatte beinahe Schnappatmung.

Onkel Rory verzog die fleischigen Lippen zu einer Mischung aus Grinsen und Schmerz. „Tom Pinter und Mary Lou Catrell schreibe ich auch. Ich verlange nur eins von dir.“

„Was?“ Inzwischen war sie bereit, in Erwägung zu ziehen, dass ihr Onkel es tatsächlich ernst meinte. Immerhin verlangte er etwas für seine Großzügigkeit und er wollte Durchschläge versenden. Sollte er eine linke Tour planen, konnte sie sich immer noch selbständig an die Umsetzung ihres Traums machen, denn mit einem hatte der Mann vollkommen recht: Von ihrem Hungerlohn hatte sie kaum Geld zurücklegen können. Der Gedanke an die dreistellige Zahl auf ihrem Sparbuch würde sie zum Weinen bringen, wenn sie eine von diesen Frauen wäre, denen bei jeder Gelegenheit die Tränchen aus den Augen laufen. „Was soll ich für dich tun?“

„Wie gesagt: Ich habe da eine richtig-richtig gute Idee“, Onkel Rory sah sie aus zusammen gekniffenen Augen an, „Schreiben kannst du auch von unterwegs. Du schickst jede Woche eine Folge dieser Schnulzen-Serie hierher. Jamie sorgt für das dazu passende Titelfoto. Für ein Titelbild und für den Anfang der Geschichte habe ich schon eine Idee.“

* * *

Bis zum kommenden Freitag hatte Holly sich glaubhaft eingeredet, dass das Angebot ihres Onkels für sie besser war als für ihn. Und zwar erstens, weil sie andernfalls vermutlich niemals aus Roseport wegkäme. Zweitens, weil sie sich damit alle Optionen offen hielt. Falls es da draußen schwieriger würde als erwartet, konnte sie wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren und die bis dahin vermutlich zu einem Rührblättchen für Hausfrauen verkommene Zeitung übernehmen.

Sie fuhr auf den gähnend leeren Parkplatz vor dem International Airport Knock, der einer Großstadt zur Ehre gereicht hätte. Das war auch so eine Sache. Nicht der Wahnsinn, dass ein Dorf sich einen internationalen Flughafen leistete. Also, das auch. Aber diese Geschichte mit dem Kussfoto zu der erfundenen Liebesgeschichte.

„Was für ein Aufwand, hierher zu fahren, um ein Nackenbeißerfoto zu knipsen“, stöhnte Holly.

„Rory geht es doch nicht um das Foto“, kicherte Jamie. „Er will dich verkuppeln. So wie er mich mit Ethan zusammengebracht hat, damit ich für alle Ewigkeit als Sklavin für ihn Fotos schießen muss.“

Das war Holly auch klar. Ihr Onkel war der festen Überzeugung, dass sie nur auf diese Reise gehen wollte, weil sie keinen Mann hatte. Natürlich hätte sie sich dagegen wehren können, dass ausgerechnet sie das weibliche Kussmodel spielen sollte, aber sie hatte das Gefühl gehabt, ihm diesen Gefallen schuldig zu sein. „Tu es für deine Tante. Ich musste es ihr versprechen“, hatte er mit diesem Hundeblick gebettelt.

Sie war gespannt, was für ein Prachtexemplar Tante Elizabeth ihr dieses Mal unterjubeln wollte. Trotz allem war sie Onkel Rory nicht wirklich böse, denn er tat einfach nur alles, was in seiner Macht stand, um seine geliebte Zeitung zu retten. Er wusste, dass er nicht immer gewinnen konnte, und am Ende würde er ihr alles Glück der Welt wünschen, wenn sie in den Zug nach Dublin stieg, was in vier Wochen der Fall sein würde. Onkel Rory hatte nämlich Wort gehalten. Zunächst würde sie für zwei Monate im Gästezimmer einer erfahrenen Redakteurin der Dublin Post unterkommen, die sie bei der Recherche unterstützen sollte. Die Zusagen für London und New York standen noch aus, aber das würde schon noch.

„Wenigstens kommen wir auf diese Weise mal raus“, seufzte Jamie.

„Ein Schwätzchen bei Tee und Cones in Mrs. Vannickles Café wäre mir lieber gewesen.“

„Ich hätte jedenfalls nichts dagegen, wenn du in Roseport bleiben würdest“, gab Jamie zu. „Ehrlich gesagt hoffe ich, dass der Mann eine Granate ist und du dich in ihn verknallst, während ihr so tut, als würdet ihr euch küssen.“

Holly schüttelte sich, während sie den Zündschlüssel abzog. Sie würde sich garantiert in niemanden verknallen. „Kennst du den Mann eigentlich?“

„Ich weiß nur, dass er beim Bodenpersonal beschäftigt ist, gut aussehen soll, dunkle Haare hat und Rory einen Gefallen schuldet. Und, oooh, er wird einen Tweetmantel tragen. Oder eine Tweetjacke.“

„Ich hoffe nur, er weiß, was ein Filmkuss ist.“

„Man wird weder dich, noch ihn auf dem Foto erkennen.“

Holly warf ihrer Freundin einen dankbaren Blick zu und stieg aus dem Wagen, um gemeinsam mit ihr zum nahe gelegenen Flughafengebäude zu eilen. In zehn Minuten würde ein Mr. Logan McOwen am vereinbarten Ort in der Ankunftshalle auftauchen. Sie mussten sich sputen, wenn sie vorher das Setting für dieses beknackte Shooting in Augenschein nehmen wollten.

„Vergiss mal das Foto, Holly, und sieh die positiven Aspekte.“

„Ich wäre wohl jetzt kaum hier, wenn ich nicht genau das täte.“

„Wer weiß, vielleicht steckt in dir ja eine verkappte Romanautorin“, phantasierte Jamie. Die Eingangstür schwang auf und die Freundinnen betraten das Flughafengebäude. „Die Frauen werden die Story lieben und nachher werden sie die wöchentlichen Artikel als Buch haben wollen. Und dann wollen sie noch mehr Bücher aus deiner Feder und du wirst berühmt ...“

„Als Zeitungsredakteurin halte ich nicht viel davon, meiner Phantasie freien Lauf zu lassen.“

„Was für Phantasien hast du?“, fragte Jamie mit hochgezogenen Augenbrauen. „Du hast alles, was eine Autorin braucht: Du kennst unser Land und unsere Leute. Und du hast die große Liebe erlebt. Was brauchst du noch?“

„Das war eine Jugendliebe. Dieser Kerl ...“

„... ist ein ausgewachsenes Arschloch. Ja, ja“, fiel Jamie ihr ins Wort. „Aber, mein Spatz ...“

„Lass uns das Thema wechseln.“

„Natürlich, Spatzilein“, sagte Jamie mit leicht besorgtem Blick, was Holly mit einem ärgerlichen Naserümpfen quittierte. „Ich wollte damit auch bloß andeuten, dass du alles hast, was eine Schriftstellerin braucht, die eine großartige Liebesgeschichte schreiben will.“

„Muss“, korrigierte Holly. „Noch bezweifele ich ernsthaft, dass ich solch einen Kitsch überhaupt hinbekomme.“

„Schwachsinn! Natürlich kriegst du das hin.“ Jamie zeigte auf die Rolltreppe, die Abflug und Ankunftshalle miteinander verband. „Dort wird es geschehen. Am Fuß der Rolltreppe.“

„Hoffentlich hat der Typ keinen Mundgeruch.“

Jamie drückte ihrer Freundin einen liebevollen Schmatz auf die Wange. „Er wird dich nicht wirklich küssen. Wir sprechen alles genauestens ab.“

Zehn Minuten nach dem vereinbarten Termin standen Holly und Jamie immer noch zu zweit neben der Rolltreppe.

„Meinst du, ich könnte dich ein paar Minuten hier allein lassen?“ Jamie trat seit geraumer Zeit von einem Fuß auf den anderen, ihre Augen schimmerten bereits leicht glasig.

„Hau ab, bevor du dir noch in die Hosen pinkelst“, schmunzelte Holly. Sie sah der Freundin nach, die mit wehendem Mantel und dem Fotoapparat um den Hals davonstürmte.

Den Tweetmantel- oder Tweetjacken-Mann konnte sie auch allein abfangen. Außerdem hegte sie inzwischen sowieso die Vermutung, dass er gar nicht kommen würde. Unter der Handynummer, die Onkel Rory ihnen gegeben hatte, meldete sich ein Hundefrisör. Und natürlich war Rory Halligan um diese Zeit nicht erreichbar. Jeden Freitagnachmittag fuhr er ins türkische Dampfbad nach Newport, wo er, wie er sich ausdrückte, den Rotz der Woche ausschwitzte.

Aus purer Langeweile fuhr Holly mit der Rolltreppe in die Ankunftshalle hinauf und gleich wieder hinunter, als ihr von oben ein hochgewachsener Mann zuwinkte. Das kurzgeschnittene, wellige Haar war straff nach hinten gekämmt und glänzte in diesem schönen dunklen Rotbraun, das bei den Iren so häufig ist. Er trug eine Tweetjacke.

Das war also der Mann, der ihrem Onkel einen Gefallen schuldete. Holly winkte zurück. „Mr. McOwen?“

„Miss Halligan? Mrs. Halligan?“, ertönte eine sympathische Männerstimme vom oberen Ende der Rolltreppe.

Der Tweetjacken-Mann war auf alle Fälle ein ganz anderes Kaliber als Tante Elizabeths Großneffe Henry. Trotzdem – das würde nichts werden. Sie freute sich einfach viel zu sehr auf ihre halbjährige Reise.

„Kommen Sie nach unten, Sir. Wir warten seit einer Ewigkeit auf Sie“, rief sie dem Mann zu, den Onkel Rory ihr nicht nur zum falschen Zeitpunkt lieferte, sondern der zudem ein paar Jährchen zu alt für sie war.

Mr. McOwen sprang geradezu auf die Rolltreppe.

„Es tut mir sehr leid, wenn Sie auf mich warten mussten. Hallo erstmal. Nennen Sie mich Logan. Und, bitte, duzen Sie mich. Ich bin zwar mindestens zehn Jahre älter als Sie, also ich bin 30, aber ... Egal. Ich rede mal wieder zu viel. Guten Tag, Miss, äh, Mrs. Halligan.“

Mr. McOwen, den Holly nun Logan nennen durfte, reichte ihr eine Hand, die perfekt zu seinem absolut gepflegten Äußeren passte. Er war acht Jahre älter als sie, aber sie musste ihm zustimmen: Während er aussah wie 30, musste sie den Ausweis vorzeigen, wenn sie im Getränkemarkt eine Flasche Wein kaufte.

„Ich bin die Miss. Mrs. Halligan ist meine Schwägerin. Zugleich ist sie die Fotografin bei der Roseport News. Die Gute“, Holly sah in die Richtung, in die ihre Freundin vor einer Ewigkeit entschwunden war, „ist anscheinend ins Klo gefallen. Sie erwartet ein Baby.“

„Aha. Dann darf ich wohl Sie küssen“, mutmaßte Logan und lächelte auf eine sehr sympathische, schüchterne Art.

„Aber erst, wenn Jamie hier ist“, beeilte sich Holly zu sagen.

Sie fand das Thema reichlich peinlich, auch wenn es nicht wirklich eklig werden würde, diesen Mann zu küssen. Er erweckte einen netten Eindruck und sah gut aus. Sehr gut, wenn man auf große, breitschultrige, muskulöse Kerle mit zurückgekämmtem, welligem Haar und schmalen Augen stand, bei denen man die Farbe nicht erkennen kann. „Darf ich fragen, warum du meinem Onkel einen Gefallen schuldest?“

In dem Moment kam Jamie angewatschelt und Logan blieb ihr die Antwort schuldig, da ihre Freundin sich mehr oder weniger auf ihn stürzte.

„Logan McOwen ...“ Jamie schüttelte seine Hand, stellte sich vor, knuffte Holly mit einem anzüglichen Grinsen auf dem neuerdings rundlichen Gesicht in die Rippen und erklärte: „Wenn du nichts dagegen hast, duzen wir uns, Logan. Ich bin Jamie. Am besten legen wir gleich los. Der Kuss wird hier unten vor der Rolltreppe stattfinden. Holly kommt runtergefahren, du wartest auf sie und nimmst sie in die Arme. Das ist schon alles.“

„Muss das mit dem Runterfahren sein? Wir drehen doch keinen Film.“ Holly warf ihrer Freundin einen skeptischen Blick zu.

„Aus der Bewegung heraus aufgenommene Fotos wirken realistischer“, Jamie tippte mit dem Fuß auf die silberne Bodenplatte vor der Rolltreppe, „Hier küsst ihr euch. Ich fotografiere von der Seite, so dass man von euren Gesichtern nicht viel erkennt. Großaufnahme, aber alles nur angedeutet. Danach läufst du weg, Logan. Aber nicht rennen, sonst wird es unscharf. Ich fotografiere dich von hinten. Okay?“

Logan nickte.

Holly sah mit zusammengekniffenen Augen zu Jamie. „Wolltest du Logan nicht etwas über die Art des Kusses erklären.“

„Ihr seid erwachsene Menschen. Ihr werdet doch wohl wissen, wie ein Kuss funktioniert.“

„Jamie!“, zischte Holly, doch die Freundin war bereits ein paar Schritte zurückgetreten, bereitete ihre Kamera vor und ignorierte sie.

Oh nein, du Biest, dachte Holly, so kommst du mir nicht davon. Sie wandte sich an Logan. „Weißt du, wie ein Filmkuss geht?“

Logan blickte unergründlich auf sie hinab.

„Darf ich das als ein Nein deuten?“, hakte sie nach.

„Ohne Zunge?“

Holly schnappte nach Luft. „Ganz recht, Logan! Wenn du die Zunge rauslässt, tritt mein Knie in Erscheinung. Eine Aufwärtsbewegung, wenn du verstehst, was ich meine?“

Logan tippte sich mit einem Finger an die Stirn und sagte: „Aye, aye, M’am.“

Obwohl sie es nicht wollte, musste Holly lachen. „Danke, Logan. Diese ganze Geschichte ist mir mehr als peinlich, aber ...“

„Rory hat’s drauf, die Menschen für sich springen zu lassen“, setzte Logan ihren Satz fort. „Er hat mich dabei erwischt, wie ich seinen Wagen angetitscht und mich klammheimlich davongemacht habe. Ich bin übrigens der Pressesprecher des Flughafens und es hätte nicht sehr vorteilhaft ausgesehen, wenn die Story am nächsten Tag in allen Zeitungen erschienen wäre. Aber die Strafe heute nehme ich gern inkauf.“

Onkel Rory war wirklich das größte Schlitzohr, das ihr je unter die Augen gekommen war.

„Also, Logan, du gehst mit deinen Lippen seitlich an Hollys Wange, ohne sie zu berühren. Diese Position hältst du so lange, bis ich das Kommando zum Loslaufen gebe“, erklärte Jamie dann zum Glück doch noch genau, was Logan tun sollte.

Wie vereinbart fuhr Holly mit der Rolltreppe in das obere Stockwerk. Augen zu und durch. Der Mann würde sie nicht mal wirklich berühren. Alles war gut.

Wirklich?

Holly schüttelte den Kopf über sich selbst und konzentrierte sich auf die Stufen der Rolltreppe, die sich vor ihr senkten und im Boden zu verschwinden schienen. Noch vier Stufen.

„Komm schon, Holly, es ist gerade so schön voll“, rief Jamie. „Das gibt eine großartige Kulisse. Und denk dran: Kopf nach rechts, und hier unten: Augen zu!“

Unten war wirklich richtig was los.

„Soll ich rennen?“, rief sie Jamie zu.

„Gute Idee! Tempo, Spatzi!“

Holly eilte die fahrende Treppe hinunter, die Augen immer nach rechts, wie abgesprochen. Unten angekommen, schoss sie ein wenig über die silberne Bodenplatte hinaus. Doch sie sollte ja die Augen schließen. Logan packte das schon. Als Pressesprecher hatte er sicher ein Studium abgeschlossen.

In wenigen Sekunden ist es vorbei, beruhigte sie sich selbst, bevor sie mehr oder weniger gegen ein menschliches Bollwerk bretterte, ein Paar harte Arme sich um ihren Rücken und weiche Lippen sich heißblütig auf die ihren legten.

2

Jack O’Brien schwor sich, nie wieder einen Tropfen Alkohol zu sich zu nehmen. Wobei die Sache in diesem Fall mit einem einzigen Tropfen nicht erklärt war.

Er wollte gar nicht erst versuchen, darüber nachzudenken, wie viele Whiskeys er sich in den vergangenen 24 Stunden hinter die Binsen gekippt hatte. In seinem Kopf rackerte sich ein Presslufthammer ab und zerlegte offenbar jedes einzelne Alkoholmolekül in Staub.

Dagegen kamen auch die beiden Aspirin nicht an, die ihm dieses blondierte Mäuschen von einer Stewardess im Austausch gegen zwei Autogramme überlassen hatten. Eins hatte er in ihr Notizbuch kritzeln müssen, das andere auf ihren Hintern. Jawohl! Auf ihren Hintern. In der Kombüse. Sie hatte sich außerdem auffällig unauffällig an ihn gepresst und ihm ihre schlauchbootförmigen Lippen entgegengestreckt, aber daraus war nichts geworden.

Er sah jetzt noch die in die Wand eingebaute Kaffeemaschine vor sich, die in ihm einen Würgereiz ausgelöst hatte, während er den silbernen Kugelschreiber mit dem aufgedruckten Logo der Airline über nackte, sehr weiße Haut bewegte. Bei dieser Aktion war er bereits so blau gewesen, dass er sich nicht mal mehr erinnerte, ob seine Schreibunterlage eher apfel- oder birnenförmiger Natur gewesen war.

Zum Glück durfte er endlich das letzte verdammte Flugzeug verlassen.

Die Stewardessen standen in Reih und Glied und grüßten ihn zum Abschied besonders freundlich. Er hielt den Kopf gesenkt. Sollten sie ihn für einen arroganten Arsch halten. Er hängte sich den Riemen der Sporttasche über die Schulter und stolperte auf die Flugbrücke.

Am schlimmsten war der Flug von L.A. nach New York gewesen. Er hatte keine Ahnung, wie viele seiner kaum erkennbaren Unterschriften er in Zeitschriften, auf Postkarten, abgerissene Zettelchen und T-Shirts gekritzelt hatte. Gut möglich, dass er sogar Klopapier beschriften musste. Nach dem Check-In war er gleich aufs Klo gerannt und hatte sich dort so lange verbarrikadiert, bis die verängstigt klingende Klofrau mit der Polizei drohte. Danach hatte er geglaubt, nur noch die halbe Stunde bis zum Boarding überstehen zu müssen. An der Bar ließ es sich vergleichsweise gut aushalten. Da hatte er die ersten zwei, drei oder auch vier Whiskeys gekippt. Aber weit gefehlt. Als die Boeing erst mal in der Luft war und die Leute ihre Sicherheitsgurte lösen durften, waren sie wie bei einer Prozession an seinem Platz vorbeimarschiert.

Die Autogrammjägerei hörte nicht mal auf, als er bereits eine Kotztüte im Gesicht hatte. Eine Frau hatte ihn sogar gefragt, ob sie die Tüte halten sollte. Es war widerlich, wozu Menschen sich hinreißen ließen, wenn ihnen ein Filmstar gegenüberstand, beziehungsweise, wie in seinem Fall, total verzweifelt und schier am Ende vor Übelkeit in einem Flugzeugsitz vor ihnen kauerte.

Aber er wollte niemandem die Schuld in die Schuhe schieben. Er selbst hätte es ja vermeiden können, denn das wäre alles nicht passiert, jedenfalls nicht in diesem Ausmaß, wenn er rechtzeitig gebucht hätte. So musste er den Horror, der hinter ihm lag, wohl als gerechte Strafe für alle seine Sünden sehen. Sofern das überhaupt langte.