Élise & Maé - Michelle Zerwas - E-Book

Élise & Maé E-Book

Michelle Zerwas

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Beschreibung

Nach Jahren entwickelt Maé erneut Gefühle für ihre ehemalige Lehrerin Élise. Die erste Kontaktaufnahme verläuft postiv, doch danach bricht Élise den Kontakt ab. Maé gibt allerdings nicht so schnell auf und beschließt übers Wochenende zu ihr zu fahren. Sie besucht den Tag der offenen Tür an Élises Schule und sie verbringen eine schöne Zeit miteinander, in der sie sich sogar ein wenig näherkommen. Für Maé beginnt ein Kampf um ihre große Liebe, denn Élise ist mit einem Mann verheiratet und steht nicht auf Frauen. Eines Tages plant eine Kollegin eine gemeine Intrige gegen Élise und lässt es so aussehen, als ob Maé dahintersteckt. Für Élise bricht ihre heile Welt in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Nichts ist mehr so, wie es war, ihr Leben versinkt im Chaos. Doch Maé versucht mit allen Mitteln Élises Vertrauen zurückzugewinnen.

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Michelle Zerwas

Élise & Maé

Dieses Buch widme ich einem Menschen, der mein Herz sehr berührt hat. Ich werde deinen Namen nicht nennen, aber wenn du die Geschichte liest, weißt du, dass du meine Inspiration warst.BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Vorwort

Nur Träume verraten, was man wirklich fühlt…

 

Traum

Ich saß im Unterricht zwischen all meinen Mitschülern. Während die Mehrheit der Klasse sich auf den Unterricht konzentrierte und eifrig mitschrieb, hatte ich nur Augen für meine Lehrerin Frau Thalheim oder Élise, in meinen Träumen nannte ich sie beim Vornamen.

Sie stand an der Tafel, schrieb einige Sätze auf und erklärte uns anhand dessen die englische Grammatik, was mich so gar nicht fesselte. Élise hatte keine Chance mit ihrem Englischunterricht bei mir zu punkten, aber sie schaffte es, mich mit ihrem einzigartigen Lächeln in ihren Bann zu ziehen. Ich spürte die Freude, die ihr das Unterrichten bereitete, mit großer Freude gestaltete sie ihren Unterricht und ihr unverwechselbares Lächeln durfte da nicht fehlen. Wenn man einmal dieses Lächeln gesehen hatte, wollte man nie mehr etwas anderes sehen.

 

Traum

Wieder einmal saß ich in Élises Unterricht. In meiner Schultasche verbarg ich einen Brief, der für Élise bestimmt war. Die ganze Stunde überlegte ich, wie ich es am Ende der Stunde schaffen könnte, mit ihr allein im Klassenzimmer zurückzubleiben. Ich wollte ihr den Brief geben, ohne dass meine Mitschüler Zeugen davon wurden.

 

Traum

In meinem nächsten Traum war Élise bei mir zu Besuch, doch danach hat sie sich nicht mehr bei mir gemeldet.

 

Traum

Die Schule lässt einen wohl nie vollständig los…

Ich befand mich auf der Abschlussfeier meiner damaligen Schule und habe die ganze Zeit Élise gesucht, weil ich gehofft hatte sie zu sehen und mit ihr reden zu können. Sogar zum Lehrerzimmer bin ich gegangen und habe mich nach ihr erkundigt, aber ich konnte sie nicht finden.

 

Traum

Mein Handy piepste und zeigte das Eintreffen einer neuen Nachricht an, eine Nachricht von Élise. Mein Herz machte Luftsprünge vor Freude. Wir schrieben eine ganze Weile hin und her und plötzlich antwortete sie einfach nicht mehr. Ich konnte schreiben, was ich wollte, sie reagierte nicht mehr darauf.

 

Träume zeigen die wahren und verborgenen Hoffnungen, Wünsche und Ängste, denen man sich in der Realität vielleicht noch nicht mal bewusst ist.

Manchmal tauchen Menschen in unseren Träumen auf, die wir längst vergessen glaubten. Doch unser Unterbewusstsein vergisst niemals. Wenn man einen Menschen in sein Herz geschlossen hatte, war dieser Mensch auf ewig ins Herz eingebrannt und löste gute oder schlechte Erinnerungen aus.

1. Kapitel

Endlich waren wir an unserem Ziel angekommen. Die Fahrt war lang gewesen, aber ich hatte das Glück Élises Gegenwart genießen zu dürfen, denn sie hatte während der ganzen Fahrt neben mir gesessen. Wir waren zusammen mit einigen anderen Schülern unterwegs, die zum Teil aus meiner Klasse waren, aber auch mir völlig unbekannte Schüler befanden sich darunter, letztere waren sogar etwas jünger.

Während alle anderen Schüler zum Hotel voraus liefen, in dem wir die nächsten Tage unserer Klassenfahrt verbringen sollten, nahm Élise sacht meine Hand und gemeinsam schlenderten wir Hand in Hand Richtung Eingang. Auch während des Aufenthaltes im Hotel, konnte Élise es nicht lassen mich zu küssen oder mir auf andere Art und Weise Zärtlichkeiten zukommen zu lassen, durch liebevolle Berührungen, Blicke und Gesten. Es war uns beiden egal, was die Schüler dachten, aber seltsamerweise störte sich niemand daran. Ich fühlte mich wohl in Élises Nähe, geborgen und geliebt.

 

Das Klingeln ihres Handys ließ Maé abrupt aus ihrem Schlaf schrecken. Sie musste sich zunächst einmal orientieren und ehe sie ihrem Gehirn den Befehl geben konnte aus dem Bett zu springen und den Anruf entgegenzunehmen, verstummte das Klingeln, so plötzlich wie es angefangen hatte.

Maé drehte sich auf den Rücken und schloss wieder die Augen. Warum hatte das Handy ausgerechnet jetzt klingeln müssen? Einen ungünstigeren Zeitpunkt hätte es dafür wirklich nicht geben können. Der Traum von Élise war so real gewesen, so wunderschön. Jede einzelne Berührung von ihr, hatte sie ganz genau gespürt. Es war lange her, dass Maé solch einen schönen Traum gehabt hatte. Am liebsten wäre sie nie wieder aufgewacht. Nun, da sie wach war, wünschte sie sich, den Traum in der nächsten Nacht weiterträumen zu können, doch sie wusste, dass das unmöglich war und bedauerte diese Tatsache. Noch nie in ihrem Leben hatte sie den Wunsch verspürt, einen ihrer Träume weiterträumen zu können. Sie hatte große Sehnsucht nach Élise und wünschte sich nichts sehnlicher, als sie in diesem Moment bei sich zu haben.

Erneut meldete sich ihr Handy zu Wort und signalisierte ihr den Eingang einer neuen SMS. Es war offensichtlich, dass irgendjemand sie ganz dringend erreichen wollte.

Lustlos kroch sie aus dem Bett und machte sich auf die Suche nach ihrem Handy. Weit weg konnte es nicht sein, da es immerhin die Frechheit besessen hatte, sie aus einem wunderschönen Traum zu reißen.

Endlich fand sie es auf ihrem chaotischen Schreibtisch und öffnete die Textnachricht.

Wo bleibst du? Wir waren für 10 Uhr verabredet. LG Lena

„Oh verdammt“, fluchte Maé laut. „Das habe ich ja total vergessen.“ Schnell wählte sie die Nummer ihrer besten Freundin, die bereits nach dem ersten Klingeln das Gespräch annahm.

„Na endlich. Sag mal, wo bleibst du? Ich warte hier schon seit einer halben Stunde auf dich.“

„Es tut mir echt leid, aber ich habe verschlafen. Ich dachte eigentlich, dass ich auch ohne Wecker rechtzeitig wach werde, aber das ist ganz offensichtlich nach hinten losgegangen.“

„Ja, so sieht es aus. Kommst du denn noch oder soll ich wieder nach Hause gehen?“

„Ich bin schon auf dem Weg“, versicherte Maé schnell. „Bestell dir schon mal einen Kaffee, der geht selbstverständlich auf mich.“

Maé war froh, dass sie ihre Freundin wieder besänftigt hatte, obwohl sie insgeheim wusste, dass Lena nicht wirklich sauer auf sie war. Sie kannten sich schon so lange und Lena hatte Maés manchmal verträumte und verpeilte Art lieben gelernt.

Keine zwanzig Minuten später stürmte Maé in das Café, in dem sie mit Lena verabredet war.

„Da bist du ja endlich. Ich dachte schon du kommst überhaupt nicht mehr, du Schlafmütze.“

„Ja, wie gesagt, ich habe verschlafen. Es tut mir leid.“

„Schon gut, jetzt bist du ja da. Ich habe uns übrigens schon mal Frühstück bestellt, ich weiß ja, was du so magst.“

„Das ist gut, ich habe einen Bärenhunger.“

Kaum hatte Maé am Tisch Platz genommen, sagte Lena: „Ich bin gleich wieder da, die zwei Tassen Kaffee, die ich dir voraus habe, machen sich langsam bemerkbar.“

Maé hatte nun noch etwas Zeit über ihren Traum nachzudenken, denn er ließ sie nicht los. Manchmal gab es das ja, dass ein Traum einen den ganzen Tag hindurch begleitete.

Ihr Blick glitt aus dem Fenster, doch sie nahm gar nicht richtig wahr, was draußen passierte. Sie musste daran denken, wie geborgen sie sich in Élises Nähe gefühlt hatte und verspürte sofort wieder diese Sehnsucht nach ihr.

Maé war so tief in Gedanken versunken, dass sie Lenas Rückkehr nicht bemerkte.

„Maé, geht es dir gut?“, fragte Lena und holte ihre Freundin aus dem Reich der Träume in die Realität zurück.

„J-ja, ich war nur gerade… in Gedanken.“

„Das war nicht zu übersehen“, meinte Lena. „Du bist generell in letzter Zeit irgendwie komisch, so nachdenklich und in dich gekehrt. Ich merke das schon länger. Du warst zwar schon immer eher ein ruhiger und nachdenklicher Mensch, aber seit ein paar Wochen ist es ganz extrem und mittlerweile mache ich mir ein wenig Sorgen um dich.“

„Das musst du nicht. Es geht mir gut“, versuchte Maé Lena zu beruhigen.

„Das glaubst du doch selbst nicht. Wir kennen uns nun schon so lange und die Zeiten, in denen du mir etwas vormachen konntest, gehören schon lange der Vergangenheit an.“

Da Maé genau wusste, dass sie nun ohnehin keine Ruhe mehr haben würde, bis Lena die Wahrheit kannte, ergab sie sich in ihr Schicksal und erzählte Lena von ihrem letzten Traum.

„Ich träume in den letzten Wochen so oft von ihr“, setzte sie noch hinzu.

Lena wirkte überrascht. „Und das beschäftigt dich so sehr? Weißt du, wie oft ich von irgendwelchen Menschen aus der Vergangenheit träume oder von Arbeitskollegen? Das heißt doch nichts. In unseren Träumen verarbeiten wir schließlich unsere Erlebnisse, das kannst du überall nachlesen.“

„Das mag ja sein, aber ich habe das Gefühl, diese Träume wollen mir irgendetwas sagen. Vielleicht sind Élise und ich ja vom Schicksal füreinander bestimmt oder was hat es deiner Meinung nach sonst für einen Grund, dass ich nach so langer Zeit wieder von ihr träume?“

„Du weißt, ich glaube nicht an so was, Schicksal und so, das ist alles Unsinn. Ich weiß, dass du Élise mal sehr gern mochtest und wahrscheinlich hat dein Unterbewusstsein das noch nicht vollständig verarbeitet. Ich kann dir nur raten dich nicht in irgendetwas hineinzusteigern. Betrachte die Sache doch mal realistisch: Sie ist mit einem Mann zusammen und etliche Jahre älter als du, deshalb geht die Chance, dass ihr zusammenkommt, quasi gegen null.“

„Ich weiß“, sagte Maé seufzend. „Aber Gefühle lassen sich nicht so einfach abstellen.“

„Welche Gefühle? Du steigerst dich da eindeutig in etwas hinein. Du kennst diese Frau überhaupt nicht, weißt so gut wie nichts über sie. Eine dir völlig fremde Person kannst du unmöglich lieben.“

„Das kannst du ja so auch nicht sagen“, widersprach Maé. „Schließlich soll es die Liebe auf den ersten Blick geben und dabei verliebst du dich auch in eine wildfremde Person.“

„Es war ja klar, dass du wieder ein Beispiel findest, aber was Élise betrifft, bin ich mir ziemlich sicher, dass du da vergeblich auf ein Happy End hoffst.“

„Und wenn du dich irrst?“

Lena verdrehte genervt die Augen. „Dann hast du Glück gehabt und ich hatte Unrecht, aber mal ehrlich: Was willst du jetzt tun? Hast du vor in ihr geordnetes Leben hineinzuplatzen und Chaos zu stiften? Was meinst du wohl wie sie das findet?!“

„Vielleicht ist ihr Leben ja gar nicht so geordnet, wie du glaubst.“

„Zumindest wissen wir, dass sie vergeben ist und ich finde, das reicht aus.“

„Nur weil sie vergeben ist, heißt das nicht, dass sie glücklich ist“, widersprach Maé vehement.

„Mal angenommen, es ist so, wie du denkst: Glaubst du allen Ernstes, dass du nur bei ihr auftauchen musst und schwups ändert sie ihr ganzes Leben ausschließlich für dich?“

„Das erwarte ich doch gar nicht von ihr, aber ich muss der ganzen Sache auf den Grund gehen. Es muss eine Bedeutung haben, dass ich in der letzten Zeit so oft von ihr träume.“

Lena schüttelte verzweifelt den Kopf. „Oh man, wach endlich auf Maé. Man könnte glatt denken du träumst immer noch. Ich habe letzte Woche von meinem Fitnesstrainer geträumt. So was kommt vor, aber das heißt noch lange nicht, dass er und ich nun füreinander bestimmt sind.“

„Das kann man nicht miteinander vergleichen“, protestierte Maé heftig. „Wenn ich nur einmal von Élise geträumt hätte, würde es mich vermutlich nicht viel länger als einen Tag beschäftigen, ich habe nun aber schon so oft von ihr geträumt. Das muss doch etwas bedeuten.“

„Ich merke schon, dass du meine Einwände nicht hören willst. Du musst selbst wissen, was du machst. Ich jedenfalls kann dir nur raten die Finger von Élise zu lassen, denn am Ende bist du nur wieder unglücklich.“

„Ich muss es zumindest versuchen, sonst werde ich nie erfahren, ob ich Recht habe.“

„Das ist mal wieder typisch für dich, sobald dir eine Frau gefällt, lässt du nichts unversucht. Hast du denn schon einen konkreten Plan?“

„Nein, keine Ahnung, aber mir fällt schon etwas ein.“

Das glaubte Lena Maé nur zu gerne. Sie hoffte, dass der Plan nicht zu waghalsig wurde und am Ende nach hinten losging.

 

2. Kapitel

Wieder zu Hause angekommen, nutzte Maé ihre freie Zeit, um darüber nachzudenken, was sie nun tun sollte. Sie musste auf jeden Fall zunächst mal versuchen Kontakt mit Élise aufzunehmen und da bot das Internet die perfekte Möglichkeit.

Es dauerte nicht lange, bis sie in einem sozialen Netzwerk Élises Profil entdeckte und ihr nach einigem Zögern eine Freundschaftsanfrage schickte.

Danach war sie froh, endlich den ersten Schritt getan zu haben, dennoch quälte sie sich auch mit Bedenken herum und fragte sich, ob es richtig gewesen war ihr gleich eine Freundschaftsanfrage zu schicken. Vielleicht wäre es besser gewesen ihr zuerst einmal eine Nachricht zu schreiben, immerhin lag das letzte Zusammentreffen gut 6 Jahre zurück.

Bestimmt erinnert sie sich gar nicht mehr an mich, dachte Maé. Sie hat jedes Jahr mit so vielen Schülern zu tun, warum sollte gerade ich ihr in Erinnerung geblieben sein?

Maé konnte nichts anderes tun, als abzuwarten und verbrachte den restlichen Tag in nervöser Vorfreude.

 

Bereits am nächsten Tag erlebte sie eine große Überraschung, denn Élise hatte ihre Freundschaftsanfrage angenommen.

Es sieht ganz so aus, als ob sie mich doch nicht vergessen hat, dachte Maé. Erneut sammelte sie etwas Mut und schrieb eine Nachricht an Élise. Doch danach fühlte sie sich wieder unsicher und fragte sich, ob es nicht zu aufdringlich gewesen war ihr zu schreiben. Am liebsten hätte sie die Nachricht wieder zurückgeholt, trotzdem war sie natürlich auch gespannt, ob Élise ihr antwortete.

Immer diese ewige Zerrissenheit, dachte Maé. Mittlerweile verstand sie das Symbol ihres Sternzeichens, zwei Fische, die in unterschiedliche Richtung schwammen. Immer wieder war sie unsicher bei ihren Entscheidungen und wusste nicht welchen Weg sie gehen sollte.

Am nächsten Tag sah Maé nach, ob bereits eine Antwort eingetroffen war und traute ihren Augen kaum, als sie eine Nachricht von Élise vorfand.

Ihre Aufregung wuchs schlagartig ins Unermessliche, ihre Hände wurden schweißnass, ihr Herz raste. Maé öffnete die Nachricht und begann zu lesen. Bereits der erste Satz ließ Maé vor Freude strahlen. Ich freue mich von dir zu hören. Nach so langer Zeit des Schweigens, erkundigte sie sich natürlich auch nach Maés beruflichem Werdegang und schrieb abschließend noch einige Sätze über sich, dass sie mittlerweile wieder in ihrer alten Heimat unterrichtete und dort sehr glücklich war.

Maé war so gerührt von Élises liebevollen Worten, dass sie sogar mit den Tränen kämpfen musste.

Einige Tage später schrieb sie Élise erneut eine Nachricht und traf sich am selben Nachmittag  mit ihrer besten Freundin. Lena hatte ein neues Backrezept ausprobiert und brauchte Maé als Testesserin. Das ließ sie sich nicht zweimal sagen und nahm die Einladung gerne an. Bei Kaffee und Kuchen konnte man zudem wunderbar über die jüngsten Ereignisse quatschen.

Lena kam auch sofort auf Maés derzeitiges Lieblingsthema zu sprechen. „Was gibt es neues bei deiner Élise?“

„Du wirst es nicht glauben, aber ich habe ihr geschrieben und sogar schon eine Antwort erhalten.“

„Das klingt ja schon mal nicht schlecht. Was hat sie denn geschrieben?“

Nun gab es für Maé kein Halten mehr und sie geriet ins Schwärmen. „Sie hat geschrieben, dass sie sich freut von mir zu hören und selbstverständlich wollte sie wissen was ich so mache. Sie wusste sogar noch ganz genau in welcher Klasse ich gewesen bin und wer damals meine Klassenlehrerin war. Ist das nicht irgendwie seltsam, dass sie sich ausgerechnet an mich noch erinnert? Ich meine, mal ehrlich, meine Schulzeit liegt schon eine gefühlte Ewigkeit zurück und sie hat in der Zeit hunderte Schüler unterrichtet. Trotzdem kann sie sich noch an mich erinnern.“

„Ich finde das gar nicht so seltsam“, meinte Lena. „Lehrer haben ein unglaublich gutes Gedächtnis und können sich nach Jahren immer noch an fast alle ihre Schüler erinnern. Ich habe mich schon oft gefragt wie die das machen und ob das möglicherweise die Zulassungsvoraussetzung fürs Studium ist.“

Maé lachte. „Na ja, wenn das so wäre, wie du denkst, wäre einer meiner Lehrer aus der Berufsschule nie Lehrer geworden. Er lebte frei nach dem Motto: Wozu soll ich mir die Namen meiner Schüler einprägen, wenn sie in drei Jahren ohnehin wieder weg sind? Wir haben drei Jahre lang im Unterricht Namensschilder aufgestellt.“

„Ausnahmen gibt es überall.“

„Du versuchst ja bloß wieder mir das Ganze auszureden.“

„Als ob ich dir etwas ausreden kann“, sagte Lena und verdrehte die Augen. „Du machst doch immer was du willst, aber ich finde du solltest nicht zu viel in die ganze Sache hinein interpretieren. Bloß weil sie sich an dich erinnert, heißt das noch lange nicht, dass sie auch dasselbe für dich empfindet.“

„Was nicht ist, kann ja noch werden.“ Maé klang fest entschlossen, was Lena beunruhigte.

„Hast du denn inzwischen eine Idee, wie du weiter vorgehen willst?“

„Na ja, nicht wirklich. Ich denke, ich werde erstmal abwarten, wie sich das ganze weiter entwickelt, ob sie mir wieder schreibt oder nicht.“

„Ich drücke dir auf jeden Fall die Daumen, obwohl ich nicht glaube, dass sie sich wieder bei dir meldet.“

„Vielen Dank auch. Du machst mir echt Mut.“

„Was denn? Ich werde ja wohl noch meine Meinung dazu äußern dürfen, aber jetzt mal zu einem anderen Thema: Du hast mir noch gar nicht gesagt, wie dir mein Kuchen schmeckt?!“

„Der ist echt gut“, beeilte Maé sich zu sagen, ehe sie das nächste Stück in den Mund schob.

„Das Rezept hat mir eine Arbeitskollegin gegeben.“

„Hattet ihr wieder zu viel Freizeit im Büro, dass ihr die neuesten Rezepte austauschen konntet?“, sagte Maé mit ironischem Unterton in der Stimme.

Lena zuckte mit den Schultern. „Irgendwie muss man seine acht Stunden Arbeit täglich ja erfüllen, außerdem profitierst du ja jetzt davon. Apropos Arbeit, was macht eigentlich deine Schreiberei? Ich brauche so langsam wieder Lesenachschub oder willst du, dass ich mich langweile?“

„Ich habe so viele Ideen im Moment, dass ich an mehreren Projekten gleichzeitig arbeite, deshalb geht es irgendwie an keiner Stelle so richtig weiter.“

„Dann mach mal voran. Ich bin neugierig. Auf was kann ich mich denn demnächst freuen?“

Nun gab es für Maé kein Halten mehr. Normalerweise sprach sie nicht so gerne über ihre Ideen, aber bei Lena machte sie eine Ausnahme, schließlich war sie ihre beste Freundin und bot sich nur zu gerne als Testleserin an.

Nachdem sie Lena ihre neuesten Ideen bis ins kleinste Detail erzählt hatte, kam sie noch einmal auf das ursprüngliche Thema zurück.

„Warum denkst du, dass Élise sich nicht mehr melden wird?“

„Ich wusste, dass du das Thema für heute noch nicht ruhen lassen kannst“, sagte Lena lachend. „Nun ja, ich denke einfach sie sieht nicht wirklich einen Sinn darin dir mehrfach zu schreiben. Ich glaube ihr, dass sie sich wirklich gefreut hat, dass du dich bei ihr gemeldet hast, aber du bist für sie nun mal nicht mehr als eine ehemalige Schülerin und davon hat sie so viele, warum solltest gerade du für sie etwas Besonderes sein? Sie hätte keine Chance mehr ihrer Arbeit nachzugehen, wenn sie mit jeder Schülerin in Kontakt bleiben würde.“

„Keine Ahnung, vielleicht weil ich ihr zeige, dass ich sie mag, was man von vielen anderen Schülern nicht gerade behaupten kann. Außerdem hat längst nicht jede Schülerin Interesse daran, mit seiner Lehrerin in Kontakt zu bleiben. Die meisten sind froh, wenn sie ihre Lehrer endlich los sind.“

„Warte einfach ab“, versuchte Lena Maés Spekulationen zu beenden. „Du wirst ja sehen was passiert. Ich versuche lediglich dir im Vorfeld die Augen zu öffnen, damit du dir nicht so große Hoffnungen machst, schließlich bist du meine beste Freundin und ich kann nicht tatenlos dabei zusehen, wie du in dein Unglück rennst.“

„Vielleicht habe ich ja auch Glück und sie verliebt sich auch in mich.“ Maé wollte ihre Hoffnung nicht so leicht begraben und klammerte sich an dieser Vorstellung fest.

„Ich würde es dir wünschen, aber bitte steigere dich nicht zu sehr da rein. Erinnerst du dich noch an die letzte Frau, in die du verliebt warst? Du warst nach ihrer Abfuhr so am Boden, dass ich Monate gebraucht habe, um dir die Freude am Leben zurückzugeben.“

„Ich weiß, aber diesmal wird das nicht passieren. Ich spüre einfach, dass etwas zwischen uns ist.“

Lena erwiderte darauf nichts mehr. Maé wollte ihre Einwände ohnehin nicht hören. Sie musste ihre eigene Erfahrung machen und das Einzige, was sie tun konnte war, für Maé da zu sein, wenn es wieder einmal schief ging und Maé mit gebrochenem Herzen am Boden lag.

 

Als Maé nach Hause kam, startete sie sofort ihren PC, um ihre E-Mails abzurufen. Élise hatte noch nicht wieder geschrieben und ihre nervöse Vorfreude wich einer bleiernen Traurigkeit. Sie versuchte sich damit zu trösten, dass Élise viel zu tun hatte. Es war schließlich nicht mit dem bloßen Unterrichten ihrer Schüler getan, hinzu kam noch das Korrigieren von Klassenarbeiten, die nächsten Stunden mussten vorbereitet werden und um ihre Familie musste sie sich auch kümmern. Da war es doch nur verständlich, dass sie nicht jeden Tag online war.

Abends lag sie hellwach im Bett und konnte nicht abschalten, geschweige denn einschlafen, weil ihr tausend Dinge durch den Kopf gingen. Sie dachte darüber nach, wie sie Élise zeigen konnte, wie viel sie ihr bedeutete. Es sollte etwas Besonderes sein, so wie Élise etwas Besonderes für sie war.

Nach langem Grübeln hatte sie schließlich eine Idee: Dreißig Tage lang wollte sie Élise jeden Tag eine kleine Freude machen, indem sie jeden Tag einen Briefumschlag öffnen sollte, der  ein kleines Geschenk enthielt. Glücklich über ihre Entscheidung, konnte sie endlich einschlafen.

Am nächsten Morgen setzte sie ihre nächtliche Idee in die Tat um und machte sich, sobald die Geschäfte in der Stadt geöffnet hatten, auf die Suche nach Dingen, die sie in die Briefumschläge stecken konnte. Nach ein paar Stunden war sie zufrieden mit ihren Einkäufen und kehrte nach Hause zurück.

Nun kam der zweite Teil ihres Vorhabens und es galt, die ersten Briefumschläge zu füllen. Maé steckte all ihre Liebe in diese Briefe und musste die ganze Zeit an Élises zauberhaftes Lächeln denken, wenn diese die Briefe öffnete. Sie hoffte so sehr, dass sie Élise damit eine Freude machen konnte, auch wenn eine leise Stimme in ihrem Unterbewusstsein gewisse Zweifel äußerte. Vielleicht war das alles auch etwas viel für den Anfang und sie erschreckte Élise mehr damit, als ihr Freude zu bereiten. Doch wenn Maé sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, zog sie ihr Ding bis zum Ende durch, oft genug, ohne auf die Stimme der Vernunft zu hören.

Insgesamt brauchte sie drei Tage, um ihr Vorhaben zu vollenden, dann endlich lag der große Briefumschlag vor ihr, der nun alle 30 kleineren Umschläge beinhaltete.

Maé hatte sich überlegt Élise zunächst nicht den Absender des Briefes mitzuteilen und ihr erst im letzten Briefumschlag eine Telefonnummer zu nennen, die sie anrufen sollte, um zu erfahren wer der Absender war. Zuerst plagte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie Élise so lange im Ungewissen lassen wollte, dann aber wurde ihr bewusst, dass Élise sie anhand des Poststempels ohnehin schnell entlarven konnte und sie fühlte sich nicht mehr ganz so mies.

 

Am nächsten Tag brachte sie den Brief zur Post. Kaum hatte sie das Postgebäude wieder verlassen, wich die Vorfreude und hinterließ eine gewisse Panik. Sie wäre am liebsten wieder zurückgegangen, um den Brief zurückzuholen, denn möglicherweise war ihre Idee doch nicht so gut.

Maé fuhr spontan bei Lena vorbei, um ihrer besten Freundin ihr Herz auszuschütten und sich ihren Rat zu holen.

„Das hast du nicht wirklich getan?“, fragte Lena kopfschüttelnd, nachdem Maé sie auf den neuesten Stand gebracht hatte.

„Doch, habe ich“, erwiderte Maé nun noch unsicherer, zog den Beleg der Post aus ihrer Tasche und reichte ihn Lena.

„Findest du nicht, dass du damit etwas übers Ziel hinausgeschossen bist? Was soll sie denn denken, wenn so ein Brief bei ihr ankommt?“

„Einerseits denke ich ja schon, dass es etwas zu heftig ist, aber…“

„Aber, aber…“, unterbrach Lena ihre Freundin. „Warum hast du nicht ein einziges Mal auf dein Bauchgefühl gehört? Du hast erst Ruhe, wenn du dich wieder mal komplett zum Affen gemacht hast.“

„Das stimmt doch gar nicht! Außerdem finde ich nicht, dass man sich zum Affen macht, wenn man jemandem seine Zuneigung zeigt“, verteidigte sich Maé.

„Du musst es aber doch nicht immer gleich so übertreiben. Das hat in der Vergangenheit schließlich auch nicht funktioniert.“

„Élise wird das verstehen. Sie hat dasselbe Sternzeichen wie ich und fühlt genauso.“

„Jetzt fängst du wieder mit diesem Esoterikkram an.“ Lena verdrehte genervt die Augen.

„Dann bist du also überzeugt davon, dass sie sich nicht freut?“, hakte Maé noch einmal nach.

„Das habe ich nicht gesagt und ich denke schon, dass sie sich freut. Wer freut sich nicht über so etwas, aber sie wird dir in 30 Tagen deshalb kein Liebesgeständnis machen und wenn du ehrlich zu dir selbst bist, erhoffst du dir das.“

Maé wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, denn insgeheim musste sie sich eingestehen, dass Lena Recht hatte. Sie hoffte, dass Élise ihre Gefühle erwiderte, wusste aber gleichzeitig, dass das total abwegig war.

„Ich will doch nur nicht, dass du dir zu große Hoffnungen machst und dann enttäuscht wirst“, sagte Lena und umarmte Maé. „Es bringt doch nichts, wenn ich dir auch noch einrede, dass du mit Élise zusammen kommst. Dafür sind Freunde schließlich da, damit sie dir die Augen öffnen, wenn du vor lauter rosaroten Liebeswolken die Wahrheit nicht mehr siehst.“

„Du schaffst es trotzdem nicht, mir die Hoffnung zu nehmen“, sagte Maé trotzig.

„Dann mach doch was du willst“, erwiderte Lena wütend. „Sage aber hinterher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“

„Keine Sorge. Ich weiß, was ich tue.“ Mit diesen Worten verließ Maé die Wohnung, ohne sich zu verabschieden.

Lena blieb besorgt zurück. Sie wusste nicht mehr was sie noch sagen sollte, um Maé von ihrem Weg abzubringen. Es war der falsche Weg und sie konnte nicht verstehen, warum Maé das nicht einsehen wollte.

 

3. Kapitel

Wieder einmal lag Maé in dieser Nacht grübelnd in ihrem Bett, fürchtete sich einerseits vor Élises Reaktion, spürte aber andererseits auch eine gewisse Vorfreude. Sie konnte kaum den nächsten Morgen erwarten, denn dann erreichte der Brief sein Ziel.

Die kleine Auseinandersetzung mit Lena machte ihr allerdings zu schaffen. Warum konnte Lena nicht verstehen, dass Élise die richtige Frau für sie war, die Frau, auf die sie all die Jahre gewartet hatte?

Auch am nächsten Morgen konnte Maé sich kaum auf ihre Arbeit konzentrieren. Sie schrieb mehrere Seiten an ihrem neuen Roman und musste hinterher feststellen, dass sie ausschließlich für den Papierkorb gearbeitet hatte. Alle paar Minuten sah sie auf die Uhr und fragte sich jedes Mal, ob ihr Brief bereits angekommen war.

Sie wurde auch eine gewisse Angst nicht los, dass der Brief nicht ankam, obwohl diese Angst mehr als unbegründet war. Um auf Nummer sicher zu gehen, gab sie die Nummer des Einschreibens im Internet ein, mit der sie die Sendung verfolgen konnte und stellte erleichtert fest, dass der Brief sein Ziel bereits erreicht hatte. Nun musste sie nur noch hoffen, dass die Sekretärin der Schule den Brief an Élise weiterleitete, doch sie vertraute darauf, dass alles gut ging und stellte sich den ganzen Tag vor, wie Élise den Brief in Empfang nahm. Sie war bestimmt total überrascht von jemandem Post zu bekommen, der nicht mal seinen Absender nannte.

Eigentlich hatte Maé damit gerechnet, dass Lena sich meldete. Normalerweise hielt sie es nie lange aus, mit Maé Streit zu haben, aber diesmal hielt sie sich zurück und Maé war ein wenig enttäuscht darüber, schaffte es aber auch nicht über ihren Schatten zu springen und den ersten Schritt zu tun.

Am Abend lag sie in ihrem Bett und dachte an den ersten Brief, den Élise vielleicht im Laufe des Tages geöffnet hatte. 29 Tage musste sie nun noch warten, bis Élise sich hoffentlich meldete. Die Zeit kam ihr endlos lang vor und sie wusste nicht, wie sie so lange durchhalten sollte.

 

Erst drei Tage später stand Lena vor ihrer Tür. Es war lange her, dass sie wegen eines Streits so lange nicht miteinander gesprochen hatten.

„Ich wollte mich bei dir entschuldigen“, sagte sie etwas zerknirscht, nachdem Maé die Wohnungstür geöffnet hatte.

„Ist schon in Ordnung, du hast es schließlich nur gut gemeint.“

Kurz darauf saßen sie im Wohnzimmer. Sie hatten sich sofort gegenseitig verziehen und tauschten sich nun darüber aus, was in den letzten Tagen geschehen war.

„Hast du noch mal was von deiner Élise gehört?“, fragte Lena.

„Nein, bis jetzt noch nicht. Sie hat nicht wieder geschrieben, aber meinen Brief müsste sie inzwischen haben.“

„Bereust du es noch nicht, dass du ihr den Brief geschickt hast?“

„Wieso sollte ich das bereuen? Das Einzige, was ich bereue ist, dass ich mich für 30 Briefe entschieden habe, denn ich halte die Warterei kaum aus.“

„Tja, da musst du jetzt wohl durch und du kannst bloß hoffen, dass sie sich am Ende auch bei dir meldet.“

„Das wird sie, schließlich will sie ja auch wissen wer ihr geschrieben hat, obwohl sie das anhand des Poststempels ja ohnehin schon herausgefunden hat. Ich denke, so viele Kontakte hat sie bei uns in Wallheim auch nicht.“

Na ja, ich drücke dir auf jeden Fall die Daumen und wenn du Ablenkung brauchst, weißt du ja, dass ich für fast jeden Spaß zu haben bin.“

„Das ist gut zu wissen.“

 

Als Maé abends in ihrem Bett lag, war sie erleichtert, den Streit mit Lena aus der Welt geschafft zu haben, denn in den letzten Tagen hatte sie ihr sehr gefehlt.

Maé überlegte, was Élise am heutigen Tage in ihrem Brief vorgefunden hatte und dachte erneut an die unendlich vielen Tage, die sie noch warten musste. In diesem Moment wünschte sie sich nichts sehnlicher als die Zeit vorwärts drehen zu können.

 

In den nächsten Wochen zählte Maé alle paar Tage nach wie viele Tage noch verblieben. Die Zeit, bis zum letzten Briefumschlag, wollte einfach nicht vergehen. Zwischendurch bekam sie immer wieder Zweifel, ob es richtig gewesen war, ihr zu schreiben und sie fragte sich, ob Élise sich tatsächlich bei ihr meldete und wie sie wohl reagierte, wenn sie erfuhr, wer hinter den Briefen steckte. Irgendwann waren es nur noch vier Tage bis zum letzten Brief und Maé konnte die Spannung kaum noch ertragen.

Den Tag verbrachte sie mit Recherchen zu ihrem Roman. Als sie am Nachmittag kurz innehielt und an Élise dachte, beschlich sie plötzlich eine merkwürdige Angst. Sie hatte auf einmal Angst vor Élises Anruf und wünschte sich für einen kurzen Moment, sie möge sich nie melden. Sie wusste nicht, was sie Élise sagen sollte, obwohl sie in den letzten Wochen ständig versuchte, sich Antworten auf die möglichen Fragen zurechtzulegen, die Élise ihr womöglich stellen  würde. So schnell wie die Gedanken gekommen waren, verflüchtigten sie sich aber auch wieder und sie widmete sich erneut ihrer Arbeit.

Am Abend schaute sie sich ihre Lieblingsserie im Fernsehen an und war für eine Weile von Élise abgelenkt. Plötzlich klingelte ihr Handy und das Display zeigte eine unbekannte Nummer an. Maés Herz begann wie verrückt zu rasen. Oh mein Gott, das ist sie, das kann nur Élise sein, dachte Maé.

Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken nicht ans Handy zu gehen, doch dann hätte sie zurückrufen müssen, was noch viel schlimmer gewesen wäre. Es war einfacher angerufen zu werden, als selbst anzurufen. Wenn man angerufen wurde, konnte man sich im Vorfeld nicht so viele Gedanken über den Gesprächsverlauf machen und stundenlang vor dem Telefon sitzen, weil man nicht den Mut hatte anzurufen. Sie war plötzlich so aufgeregt, dass sie glaubte ohnmächtig werden zu müssen, wenn sie Élises Stimme hörte.

Maé nahm das Gespräch mit einem einfachen „Hallo“ entgegen und spürte wie ihr Herz raste.

„Hallo, hier ist Élise Thalheim. Mit wem spreche ich denn?“

Offenbar weiß sie doch nicht, dass ich hinter dem ganzen stecke, dachte Maé. Oder sie tut nur so, als ob sie es nicht weiß. Sie nannte Élise ihren Namen und war trotz ihrer Aufregung überglücklich sie am Telefon zu haben. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie zum letzten Mal so glücklich gewesen war in ihrem Leben.

Élise bedankte sich überschwänglich für die Briefe und gestand Maé, noch nie etwas so Schönes bekommen zu haben.

Maé war unendlich erleichtert, dass Élise ihr nicht böse war, wegen des anonymen Briefes.

„Wie bist du darauf gekommen mir so etwas zu schicken?“, fragte sie.

Maé wusste nicht, was sie antworten sollte. Mit dieser Frage hatte sie zwar gerechnet und sich im Vorfeld auch eine Antwort zurechtgelegt, trotzdem fühlte sie sich komplett überrumpelt. Am liebsten hätte sie ihr einfach die Wahrheit gesagt, aber die Worte „weil ich Sie liebe“, brachte sie einfach nicht über die Lippen. Sie lagen ihr auf der Zunge, kamen ihr aber zu gewagt vor.

Schließlich antwortete sie: „Weil ich Ihnen einfach eine Freude machen wollte.“ Kaum hatten die Worte ihren Mund verlassen, schalt sie sich selbst dafür, denn sie klangen selbst in ihren Ohren furchtbar.

Maé spürte, dass Élise mit dieser Antwort nicht wirklich zufrieden war, aber sie nahm es so hin und fragte nicht weiter nach, stattdessen erkundigte sie sich wie es Maé ging, fragte auch nach ihrer beruflichen Situation.

Sie unterhielten sich eine ganze Weile und Maé genoss es, endlich nach so langer Zeit, Élises Stimme zu hören.

Erst nach über zwanzig Minuten verabschiedeten sie sich voneinander, dabei hätte Maé noch ewig mit ihr weiter plaudern können, die ganze Nacht am liebsten und das, obwohl sie normalerweise ungern telefonierte.

Nach dem Gespräch fühlte Maé eine Freude und Leichtigkeit in ihrem Körper, die sie so lange nicht mehr gespürt hatte. Sie war überglücklich und hätte die ganze Welt umarmen können. Das Strahlen wollte gar nicht mehr aus ihrem Gesicht verschwinden. Glücksschmetterlinge flatterten in ihrem Bauch und sie wünschte sich sehnlichst dieses Gefühl festhalten zu können. Warum konnte man solch ein gewaltiges Glücksgefühl nicht in einer Schatulle einschließen und herausholen, wenn es einem richtig schlecht ging?

Sie konnte sich an diesem Abend auf nichts mehr konzentrieren und rief sich stattdessen immer wieder Élises Stimme ins Gedächtnis zurück, ging das Gespräch nochmal durch. Es war wundervoll gewesen mit Élise zu sprechen, dennoch war das Gespräch nicht mal annährend so verlaufen wie Maé es geplant hatte. Die ganzen letzten Wochen hatte sie jeden Abend im Bett gelegen und sich überlegt, was sie Élise alles sagen wollte. Doch so war das doch immer: Man plante ein wichtiges Telefonat tage- beziehungsweise wochenlang im Voraus und dann kam alles komplett anders.

Maé beruhigte sich damit, dass sie von nun an wohl öfter mit Élise sprechen oder schreiben würde. Der erste Schritt für eine gemeinsame Zukunft mit Élise war getan, dessen war sich Maé sicher.

 

4. Kapitel

Am nächsten Morgen war von der Euphorie nicht mehr viel übrig. Als sie erwachte, vermisste sie Élise nur noch mehr als vor dem Telefonat mit ihr. Am liebsten hätte sie Lena angerufen, doch die war auf der Arbeit und kam erst am späten Nachmittag nach Hause.

Lustlos setzte sie sich an den Schreibtisch und versuchte zu schreiben, aber konzentrieren konnte sie sich nicht. Das ging nun schon eine ganze Weile so. Bisher war ihr das Schreiben nie schwer gefallen, immer konnte sie wie auf Knopfdruck drauflos schreiben, aber in der letzten Zeit war einfach der Wurm drin. Es konnte doch nicht sein, dass Élise sie so aus dem Konzept brachte. In den letzten Jahren war sie häufiger unglücklich verliebt gewesen, aber noch nie hatte sie jemand so durcheinander gebracht, dass sie nicht mehr in der Lage war zu schreiben. Vielleicht lag es daran, weil Élise ein ganz besonderer Mensch für sie war, weil sie anders war, als all die Frauen, in die sie zuvor verliebt gewesen war.

Schließlich entschied sie sich die Arbeit ruhen zu lassen und stattdessen ins Schwimmbad zu fahren, um sich abzulenken und zu entspannen. In aller Eile packte sie alles, was sie brauchte, in eine Tasche und fuhr los.

Eine halbe Stunde später ließ sie sich ins warme Wasser gleiten, schwamm einige Runden und steuerte die Massagedüsen im Wasser an. Sie lehnte sich entspannt zurück und genoss es, dass die warmen Wasserblasen an ihrer Haut blubberten. Lange saß sie einfach nur da und hing ihren Gedanken nach. Für einen Moment stellte sie sich vor mit Élise gemeinsam im Schwimmbad zu sein, doch da dieser Gedanke sie wieder traurig machte, versuchte sie die Gedanken an Élise ganz weit weg zu schieben. Stattdessen dachte sie über ihre Arbeit nach, denn sie musste dringend an ihrem Roman weiter schreiben und hatte schon viel zu viel Zeit verloren.

Als sie genug davon hatte, sich im Wasser aufzuhalten, suchte sie sich einen freien Liegestuhl, machte es sich gemütlich und beobachtete das Treiben im Wasser. Sie liebte es, das Geschehen in der Welt zu beobachten, unfreiwillig Gespräche zu belauschen und daraus ihre eigenen Geschichten zu spinnen.

Bevor sie am frühen Abend das Schwimmbad verließ, schwamm sie noch einige Bahnen im warmen Wasser, bevor sie zu den Duschen und Umkleiden ging.

 

„Was machst du denn hier?“, fragte Lena, als sie Wohnungstür öffnete und Maé sah.

„Störe ich dich gerade?“

„Nein, komm rein! Ich wollte dich sowieso später noch anrufen. Es gibt nämlich Neuigkeiten.“

Eine Minute später saßen sie zusammen im Wohnzimmer.

„Gibt es einen bestimmten Grund für dein Kommen oder hast du einfach nur gespürt, dass ich Neuigkeiten für dich habe?“

„Wenn ich komme, gibt es immer einen Grund, das müsstest du doch mittlerweile wissen.“

„Das stimmt allerdings“, meinte Lena und betrachtete Maé interessiert. „Irgendetwas ist vorgefallen, das sehe ich dir an. Du wirkst irgendwie traurig und nachdenklich.“

„Élise hat sich gemeldet“, platzte es aus Maé heraus.

„Im Ernst? Wann? Was hat sie gesagt?“

Lena war mit einem Mal total aufgeregt. Als Maé schwieg, erlosch Lenas spontane Euphorie jedoch schnell wieder.

„Moment mal…sie hat sich gemeldet und du bist traurig. Das passt irgendwie nicht zusammen. Was hat sie denn Schlimmes zu dir gesagt?“

„Eigentlich war das Gespräch mit ihr total schön, denn sie hat sich sehr gefreut über meine Briefe und gesagt, dass sie noch nie so was Schönes bekommen hat.“

„Das hört sich doch gut an. Ich verstehe gar nicht, warum du traurig bist? Etwas Schöneres hätte sie nicht sagen können.“

„Ja schon, aber… ich glaube, ich habe das Gespräch mit ihr komplett vermasselt.“

„Das glaube ich nicht. Erzähl mal! Worüber habt ihr sonst noch geredet?“

„Sie hat mich gefragt, wie ich auf die Idee mit den Briefen gekommen bin und weißt du was das Schlimmste ist: Die ganzen Wochen habe ich mich gedanklich auf das Gespräch mit ihr vorbereitet, habe mir überlegt, was ich auf diese Frage antworten kann, denn ich wusste, dass sie mir diese Frage stellt. Als es aber dann darauf ankam, habe ich bloß geantwortet: Weil ich Ihnen eine Freude machen wollte. Wie kann man denn nur so blöd sein? Sag mir das mal! Das wäre die Gelegenheit gewesen ihr von meinen Gefühlen zu erzählen.“

„Nun ja, die Formulierung war etwas unglücklich gewählt“, meinte Lena. „Aber es wäre auch nicht gut gewesen mit der Tür ins Haus zu fallen und ihr von deinen Gefühlen zu erzählen. Wie hat sie denn auf deine Antwort reagiert?“

„Sie war überrascht, jedenfalls habe ich das durchs Telefon gespürt und ich habe auch gemerkt, dass sie mit dieser Antwort alles andere als zufrieden war. Sie hat aber danach nicht mehr weiter nachgefragt.“

„Was hättest du denn genau zu ihr gesagt? Es ist ja nicht ganz einfach die richtigen Worte für ein Liebesgeständnis zu finden“, fragte Lena nach.

„Die Wahrheit natürlich, dass ich sie liebe und sie eine tolle Frau ist und ob du es glaubst oder nicht, aber ich hatte die Worte schon auf der Zunge, habe mich aber nicht getraut sie auszusprechen. Das wäre die perfekte Gelegenheit gewesen und ich mache einen Rückzieher.“

„Glaub mir, es war besser so. Mit einem Liebesgeständnis hättest du sie womöglich ganz schön überfordert. Außerdem bin ich mir sicher, dass sie sowieso weiß was du für sie empfindest, auch wenn du es nicht ausgesprochen hast. Zumindest ahnt sie etwas. Die Frau bringt eindeutig mehr Lebenserfahrung mit und weiß längst was Sache ist.“

„Meinst du wirklich sie weiß Bescheid?“

„Na klar, was glaubst du denn, was sie schon alles erlebt hat. Möglicherweise bist du nicht mal die erste Schülerin, die etwas von ihr will, schließlich ist sie nicht erst seit gestern Lehrerin. Wie ging euer Gespräch denn weiter?“

„Na ja, sie hat die üblichen Fragen gestellt, wie es mir geht und was ich beruflich mache. Weißt du was ich besonders süß fand? Am Anfang unseres Gesprächs hat sie mich gefragt, ob es für mich in Ordnung ist, wenn sie mich duzt oder ob sie mich siezen soll. Ich hätte nie gedacht, dass sie sich darüber Gedanken macht.“

„Du bist nun mal inzwischen erwachsen geworden und in den höheren Klassen oder in der Berufsschule wird man von den Lehrern gesiezt.“

„Ich weiß, das fand ich damals gewöhnungsbedürftig in der Berufsschule, weil es so ungewohnt war.“

„Du schweifst vom eigentlichen Thema ab“, sagte Lena. „Wie seid ihr denn nun verblieben, habt ihr vor in Zukunft in Kontakt zu bleiben?“

„Ich weiß nicht, die Verabschiedung war irgendwie merkwürdig. Sie hat gesagt, ich soll sie auf dem Laufenden halten, als ich dann zu ihr gesagt habe, dass ich mich auch sehr freuen würde, wenn wir in Kontakt bleiben, hat sie nur gesagt: Mal sehen. Ich habe ihr richtig angemerkt, dass ihr die Vorstellung irgendwie Angst gemacht hat und ich würde gerne wissen warum. Zu guter Letzt hat sie mir auch noch alles Gute für die Zukunft gewünscht. Das klang schon mehr nach Abschied als danach, miteinander in Kontakt zu bleiben, auch wenn ich das nicht wahrhaben will. Oder wie würdest du das deuten?“

„Ich sehe das auch so.“ Das klingt wirklich nicht danach, als ob sie an einem weiteren Kontakt Interesse hat. Ich habe dir ja von Anfang an gesagt, dass du bei der Frau keine Chance hast. Vergiss sie einfach!“

„Das kann ich nicht.“

„Bitte, wenn du dich unbedingt unglücklich machen willst. Sie hat kein Interesse an dir und im Grunde deines Herzens weißt du das auch. Vielleicht freut sie sich tatsächlich, wenn du ihr in fünf Jahren mal wieder schreibst, aber so lange willst du doch wohl nicht warten?! Das Leben ist zu kurz, um es zu verschwenden. Es gibt so viele tolle Frauen auf der Welt, da musst du dein Herz nicht jahrelang an eine Frau verschenken, die absolut nichts von dir will und noch dazu hetero ist. Mach einen Haken hinter die ganze Sache und vergiss sie. Bewahre dir die Erinnerung an sie, die du jetzt hast, im Prinzip ist es doch eine gute Erinnerung. Wenn du sie weiter bedrängst, endet es vielleicht im Streit und damit musst du dann für den Rest deines Lebens leben. Ich habe da übrigens etwas, das dich bestimmt auf andere Gedanken bringen wird.“

Lena verließ den Raum, kam kurz darauf zurück und reichte Maé einen Briefumschlag.

„Was ist das? Habe ich meinen eigenen Geburtstag vergessen oder haben wir heute Freundschaftsjubiläum, oder so?“

„Schau doch mal rein, dann weißt du es“, sagte Lena und man konnte ihr anmerken, dass sie vor Spannung und Vorfreude beinahe platzte. Am liebsten hätte sie Maé sofort und ohne Umschweife gesagt, was sich in dem Umschlag befand.

Maé öffnete den Umschlag, zog zwei Bogen Papier heraus und warf einen kurzen Blick darauf.

„Und was sagst du?“, fragte Lena und strahlte ihre beste Freundin an.

„Das sind Flugtickets. Willst du verreisen?“

„Nicht nur ich werde verreisen, du kommst auch mit“, verkündete Lena. „Na, was sagst du?“

„Hast du im Lotto gewonnen oder aus welchem Grund komme ich zu der Ehre, dass du mir einfach so ein Flugticket schenkst?“

„Das wäre toll, wenn ich mal im Lotto gewinnen würde, aber ich glaube es ist wahrscheinlicher, dass ich vom Blitz getroffen werde. Nein, pass auf! Mein Chef hat mich beauftragt das Partyleben in der Türkei unter die Lupe zu nehmen. Er plant eine Investition in diese Richtung, allerdings hat er bisher noch nichts Genaues verraten und da Party machen alleine keinen Spaß macht, habe ich ihm noch ein zweites Flugticket aus den Rippen geleiert. Du kommst doch mit, oder?“

„Ich weiß nicht…wann soll es denn losgehen?“

„Wie kannst du denn da noch überlegen? Du bist zeitlich flexibel und du bekommst eine Woche Urlaub für lau. Außerdem, wen soll ich denn bitte sonst mitnehmen, wenn du jetzt absagst? Komm schon, gib dir einen Ruck!“

Maé betrachtete die Tickets in ihrer Hand und suchte nach dem Abflugdatum. „Der Flug geht ja schon übermorgen“, rief sie. „Hättest du mich nicht mal etwas eher fragen können? Du weißt doch, dass ich für eine derartige Entscheidung ein paar Tage Bedenkzeit brauche.“

„Ich habe doch auch erst heute Morgen davon erfahren. Na und, das passt doch gerade ganz gut. Vielleicht lenkt dich das von Élise ab und möglicherweise lernst du sogar eine tolle Frau kennen.“ Lena versuchte mit allen Tricks ihrer Freundin die Reise schmackhaft zu machen.

„Na klar, am besten eine türkische Frau und ehe ich mich versehe, haben ihre Brüder, Cousins oder Onkel uns beide umgebracht.“

Lena verzog genervt das Gesicht. „Wer hat denn etwas von einer türkischen Frau gesagt? Ich meine natürlich eine Deutsche, die mit uns im selben Hotel ist, vielleicht auch jemand vom Animationsteam.“

„Ich will aber keine andere Frau kennenlernen, schließlich habe ich Élise.“

Lena hielt es für besser nichts mehr dazu zu sagen, obwohl sie die passende Entgegnung schon wieder parat hatte. Sie wollte nicht schon wieder Streit mit Maé haben, der letzte war ihr noch in lebhafter Erinnerung. Stattdessen fragte sie. „Also was ist jetzt: Kommst du mit oder kommst du mit?“

„Na meinetwegen, du lässt mir ja doch keine Ruhe mehr.“

„Ein bisschen mehr Begeisterung, bitte! Immerhin werden wir eine Woche in einem 5 Sterne Hotel residieren und das alles ohne einen Cent dafür zu bezahlen. Du musst zugeben, das ist fast besser als ein Lottogewinn.“

Irgendwie hat Lena ja Recht, dachte Maé. Eine solche Gelegenheit bekam sie vielleicht nie wieder und sie wäre ein absoluter Idiot, wenn sie sich das entgehen ließ. An Élise denken, konnte sie von überall auf der Welt und Élise würde sich so schnell nicht wieder bei ihr melden, wenn sie sich überhaupt nochmal meldete, denn daran zweifelte Maé inzwischen sehr.

 

5. Kapitel

Sehr unsanft setzte das Flugzeug auf der Landebahn auf. Noch nie war Maé bei der Landung so dermaßen durchgeschüttelt worden, allerdings war es das zu erwartende Ende eines ebenso unruhigen Fluges gewesen. Maé fühlte sich nicht ganz wohl und konnte Lenas Euphorie nicht teilen.

„Wir sind da“, jubelte sie neben ihr und wäre am liebsten aufgesprungen, um aus dem Flugzeug zu stürmen und sich ins Abenteuer zu stürzen. Doch noch hatte das Flugzeug seine endgültige Parkposition nicht erreicht und rollte träge dahin.

Maé hatte sich immer noch nicht entschieden, ob sie sich über den unerwarteten Urlaub mit ihrer besten Freundin freuen sollte oder nicht. Eigentlich hatte sie nur zugestimmt, um ihre Ruhe zu haben. Lena konnte sehr hartnäckig sein, wenn sie sich mal etwas in den Kopf gesetzt hatte.

Nun befand sie sich über 3000 Kilometer von zu Hause entfernt und musste sofort wieder an Élise denken, die nun so weit weg von ihr war. Sie gestand sich ein, dass es eigentlich völlig egal war, wo auf der Welt sie sich befand, Élise interessierte sich nicht für sie.

Nachdem sie ihr Gepäck beisammen hatten, begaben sie sich auf die Suche nach dem Bus, der sie zu ihrem Hotel bringen sollte.

„Das ist jetzt aber nicht dein Ernst?“, fragte Maé, als sie den klapprigen, kleinen Bus sah, dessen weiße Lackierung aufgrund zahlreicher Rostflecke nur noch zu erahnen war. „Sagtest du nicht etwas von einem 5 Sterne Hotel?“, vergewisserte sich Maé noch einmal.

„Natürlich fahren wir in ein 5 Sterne Hotel“, versicherte Lena ihr. „Ich habe mir die Bewertungen angesehen und die sind absolut top. Die Leute haben nichts zu beanstanden und vor einem halben Jahr, wurde es sogar ausgezeichnet, als eines der besten Hotels in der Türkei.“

„Na ja, der Bus wurde da offensichtlich nicht berücksichtigt“, murmelte Maé halblaut vor sich hin.

„Was weiß denn ich und nun hör endlich auf zu meckern. Ich will nicht, dass der Busfahrer dich hört. Lass uns lieber einsteigen, bevor die besten Plätze weg sind.“

„Ich wette, der Fahrer spricht ohnehin nur türkisch und versteht uns gar nicht. Ich finde, wir sollten noch etwas warten. Vielleicht ist der Bus dann voll und wir können mit einem anderen fahren.“

„Das glaubst du doch wohl selbst nicht. Stell dich nicht an.“ Ehe Maé protestieren konnte, hatte Lena sie schon mit sich in den Bus gezogen.

Der Fußboden war mit Teppichen ausgelegt, an den Fenstern hingen selbst gehäkelte Gardinen, die Sitze hatten die besten Zeiten hinter sich und sahen sehr mitgenommen aus.

„Warum können wir nicht mit einem der großen, modernen Reisebusse fahren?“, jammerte Maé vor sich hin. „Dieser hat wahrscheinlich nicht mal eine Klimaanlage.“

„Du bist doch sonst auch nicht so empfindlich“, meinte Lena. „Hab doch auch mal ein bisschen Mitgefühl. Der Busfahrer muss wahrscheinlich seine Frau und sechs Kinder mit diesem Bus ernähren und hat kein Geld, um sich einen neuen zu kaufen.“

„Na, wenn du meinst. Ich werde jetzt jedenfalls versuchen einzuschlafen, dann merke ich wenigstens nicht, wenn ich während der Fahrt sterbe.“

Lena erwiderte nichts mehr und schmunzelte stattdessen vor sich hin.

Es stiegen außer ihnen nur noch eine handvoll weitere Menschen ein, bevor es losging.

Die Fahrt verlief etwas holprig und sehr rasant. Das waren keine guten Voraussetzungen für Maé, die Fahrt schlafend zu überstehen und auch, dass der Bus an allen Ecken und Enden klapperte und knirschte, machte die Sache nicht besser.

Schließlich kamen sie aber unbeschadet an und betraten den luxuriösen Eingangsbereich des Hotels.

„Wieso schlafen wir in getrennten Zimmern?“, fragte Maé, nachdem sie sich auf die Suche nach ihren Zimmern gemacht hatten. „Ein Doppelzimmer für uns beide hätte doch auch gereicht oder hast du Angst, dass ich über dich herfalle?“

„Unsinn, ich weiß doch, dass du nichts von mir willst. Ich dachte nur, du findest es nicht so prickelnd, wenn ich einen Typen abschleppe und du daneben liegst und zugucken musst.“

Maé verzog angewidert das Gesicht. „Ich dachte, du bist zum Arbeiten hier?!“

„Ja schon, aber das Leben besteht ja nicht nur aus Arbeit und es gibt hier sicher jede Menge heiße Typen.“

„Ja genau, Typen die nur das Eine wollen“, sagte Maé verächtlich.

Lena zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Na und? Ich bin jung, ich bin Single und ich will Spaß haben. Vernünftig sein kann ich noch lange genug.“

So hatte Maé sich ihren Urlaub nicht vorgestellt. Sie war jedenfalls nicht hier, um irgendjemanden abzuschleppen oder sich abschleppen zu lassen.

Mit gemischten Gefühlen bezog sie ihr Hotelzimmer, das glücklicherweise genau neben Lenas Zimmer lag und ließ sich erschöpft aufs Bett sinken. Am liebsten wäre sie wieder nach Hause geflogen. Das Hotel war zwar wirklich der Hammer, da hatte Lena ihr nicht zu viel versprochen, aber sie fühlte sich trotzdem nicht wohl.

Ein Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken.

Maé, ist alles okay bei dir?“, rief Lena.

Maé öffnete ihr die Tür.

„Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht. Ich habe geklopft und gerufen, aber du hast nicht geantwortet. Ich war kurz davor jemanden zu rufen, der die Tür öffnet.“

„Ich war bloß in Gedanken. Was sollte mir denn schon passiert sein?“

„Das ist mal wieder typisch für dich. Immer träumst du vor dich hin. Waren es wenigstens angenehme Träumereien?“

„Ich habe nicht geträumt, ich habe nachgedacht. Das ist was völlig anderes.“

„Gut, ist ja jetzt auch egal. Ich wollte was essen gehen, kommst du mit?“

Maé schloss sich Lena an und sie machten sich auf die Suche nach dem Restaurant.

Kaum saßen sie gemütlich an einem Tisch, wurden auch schon die ersten Kellner auf sie aufmerksam. Sie hatten ein untrügliches Gespür dafür, dass Frischfleisch in ihrem Revier war und starteten sofort erste Flirtversuche, auf die Lena bereitwillig einging. Maé war allerdings sehr genervt davon und hatte keine Lust sich anflirten zu lassen und von Männern schon mal gar nicht. Außerdem war sie mit ihren Gedanken bei Élise. Niemandem außer Élise gehörte ihr Herz.

„Musst du hier sofort alle Typen heiß machen?“, fragte Maé wütend, sobald sich die Schar der Kellner verzogen hatte.

„Sei doch nicht gleich wieder so empfindlich. Ich bin hier, um Spaß zu haben.“

„Und welche Rolle hast du mir dabei zugedacht? Ich dachte, wir beide machen uns einen schönen Urlaub, unternehmen etwas zusammen, haben Spaß… Man braucht doch keine Männer, um Spaß zu haben.“

„Du vielleicht nicht, aber ich schon. Nun komm, gönne mir doch mal ein bisschen Spaß. Nirgendwo hat man so viel Männerauswahl wie im Urlaub, alle sind locker, es gibt keine Verpflichtungen…“

Maé wurde klar, dass mit Lena nicht zu reden war und so beschloss sie, das Beste aus der Situation zu machen und gegebenenfalls ihre Zeit allein zu verbringen. Wenn Lena keine Zeit mit ihr verbringen wollte, sollte ihr das auch recht sein.

Nach dem Abendessen war es draußen bereits dunkel und Maé hätte sich am liebsten in ihr Zimmer zurückgezogen, um sich auszuruhen, doch Lena hatte andere Pläne für den Abend.

„Ich bin dafür, dass wir uns das Animationsteam anschauen. Die abendliche Unterhaltungsshow fängt gleich an, das sollten wir uns auf keinen Fall entgehen lassen.“

„Du willst doch nur schauen, ob ein netter Typ für dich dabei ist“, stellte Maé sichtlich genervt fest.

„Na und, hast du etwas dagegen? Vielleicht ist ja auch eine nette Frau für dich dabei“, sagte Lena und zwinkerte ihr zu.

„Ja sicher und die steht dann rein zufällig auch auf Frauen. Das glaubst du ja wohl selbst nicht. Meistens haben die ohnehin alle untereinander etwas am Laufen. Wenn man so lange und intensiv zusammenarbeitet, bleibt das auch gar nicht aus, außerdem habe ich Élise, gegen sie hat keine andere Frau auch nur die geringste Chance.“

„Ich habe dir schon so oft gesagt, dass du dich in etwas verrennst. Élise will nichts von dir und deshalb werdet ihr niemals zusammen kommen, also schlag sie dir endlich aus dem Kopf. Außerdem ist sie viel zu alt für dich, sie könnte locker deine Mutter sein.“

„Was hat Liebe denn mit dem Alter zu tun? Erstens sieht man Élise ihr Alter nicht an und zweitens ist sie im Herzen jung geblieben und nur das zählt.“

„Dir ist echt nicht mehr zu helfen, aber wenn du dich unbedingt unglücklich machen willst, bitte.“

Inzwischen waren sie an ihrem Ziel angekommen und suchten sich einen Platz im Theater.

Nur widerwillig setzte Maé sich neben Lena. Sie war erst wenige Stunden hier und jetzt schon fest davon überzeugt, dass dieser Urlaub ein absoluter Reinfall werden würde. Noch nie zuvor waren sie sich so uneinig gewesen. Maé konnte nicht verstehen, warum Lena sich in letzter Zeit jedem Mann gleich an den Hals werfen musste. Was war nur in sie gefahren?

Sie musste allerdings zugeben, dass die Show wirklich lustig war. Es wurden verschiedene Sketche vorgeführt, bei denen Maé teilweise vor Lachen keine Luft mehr bekam.

„So und was machen wir nun?“, fragte Lena, nachdem das abendliche Unterhaltungsprogramm zu Ende war. „Sollen wir an der Bar noch was trinken?“

„Ich würde mich jetzt lieber hinlegen. Ich bin echt fertig von der Reise.“

„Sei doch nicht so ein Spießer“, sagte Lena. „Schlafen kannst du, wenn du alt und grau bist, aber wahrscheinlich übst du schon mal für das Zusammensein mit deiner Élise. Mit ihr brauchst du schließlich auch nicht mehr wegzugehen.“

Der letzte Kommentar von Lena, ließ das Fass endgültig überlaufen. Maé bemerkte wie Wut in ihr aufstieg und die ließ sie diesmal auch raus.

„Das muss ich mir echt nicht anhören. Du bildest dir ein Urteil über Élise, obwohl du sie nicht kennst.“

„Ach, kennst du sie denn? Soweit ich weiß, hast du bisher erst ein einziges Mal mit ihr gesprochen.“

„Na und, ich kenne sie besser als du und es ist mir egal, ob Élise mit mir abends weggeht oder nicht, mit ihr ist alles schön. Außerdem müsstest du so langsam wissen, dass ich gar nicht der Typ bin, der gerne Party macht.“

Nach diesen Worten wendete Maé sich von ihrer Freundin ab und schlug den Weg zu ihrem Zimmer ein. Sie wollte allein sein. Sollte Lena doch machen was sie wollte.

Zweimal verlief sie sich in der unbekannten Umgebung, bevor sie endlich ihr Zimmer erreichte.

Obwohl sie todmüde war, lag sie noch eine Weile wach, ehe sie einschlief.

 

Am nächsten Morgen wurde Maé durch ein lang anhaltendes Klopfen an ihrer Zimmertür geweckt, das sie zuerst ignorierte. Sie wusste, dass es Lena war, aber sie war immer noch wütend auf ihre Freundin. Als Lena jedoch anfing zu rufen und dann auch noch ihr nicht vorhandenes Gesangstalent zur Schau stellte, gab sie sich einen Ruck und öffnete die Tür.

„Was willst du?“, fragte Maé abweisend und konnte ihre Wut nicht verbergen.

Lena sah ziemlich zerknirscht aus. „Ich wollte mich bei dir entschuldigen. Es tut mir leid, dass ich gestern Abend so blöde Sprüche losgelassen habe. Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist.“

„Entschuldigung angenommen“, antwortete Maé nun schon wieder etwas versöhnlicher. „Dennoch gibt es noch einige Punkte, die wir unbedingt klären müssen“, setzte Maé hinzu.

„Okay, ich weiß zwar jetzt gerade nicht, worauf du hinaus willst, aber du wirst es mir sicher erklären.“

„Deine Kommentare sind in letzter Zeit ganz schön verletzend und ich weiß, dass du deine ganz eigene Meinung zum Thema Élise hast, aber das kann man auch etwas netter formulieren. Hinzu kommt, dass ich nicht verstehen kann, warum du dich neuerdings jedem x-beliebigen Typen an den Hals werfen musst. Du warst doch sonst auch nicht so. Außerdem hast du es gar nicht nötig, dich den Kerlen so anzubieten. Wo bleibt dein Stolz? Ich dachte, wir verbringen einen lustigen Urlaub miteinander, mit viel Spaß und guter Laune und ganz ohne irgendwelche Männer oder Frauen. Urlaubsbekanntschaften halten ohnehin nicht lange.“

„Warum hast du plötzlich was dagegen, wenn ich mich mit Männern treffe?“

„Ich habe nichts dagegen, dass du dich mit Männern triffst, aber kannst du damit nicht warten, bis wir wieder zu Hause sind? Ich dachte, wir beide machen uns eine schöne Woche.“

„Mir ist einfach klar geworden, dass das Leben zu kurz ist, um spießig zu sein und deshalb werde ich jeden Mann daten, der mir gefällt.“

Maé konnte über Lenas Einstellung nur den Kopf schütteln. Sie fragte sich, wer oder was ihre Freundin so verändert hatte. Sie waren immer ein gutes Team gewesen, aber jetzt war Lena ihr richtig fremd geworden.

„Wenn du das so siehst, sollten wir den Urlaub am besten weitgehend getrennt verbringen. Ich habe nämlich keine Lust dir dabei zuzuschauen, wie du dich den Männern an den Hals wirfst.“

„Was ist denn los mit dir?“, fragte Lena.

„Das frage ich dich. Du scheinst nicht mal zu merken, wie sehr du dich verändert hast. Ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt gehst.“

Lena schaute Maé für einen Moment überrascht an. Damit hatte sie nicht gerechnet, doch dann drehte sie sich abrupt um und verließ das Zimmer.

Maé atmete erleichtert auf. Sie hoffte, dass Lena bald wieder zur Vernunft kam, solange war es das Beste erstmal auf Abstand zu gehen, um ihre Freundschaft nicht komplett zu zerstören.

Den ganzen restlichen Tag bekam sie Lena nicht mehr zu sehen. Wahrscheinlich machte sie bei allen sportlichen Aktivitäten mit, für die die männlichen Mitglieder des Animationsteams stündlich die Urlauber aufforderten. Maé konnte darauf getrost verzichten. Sie machte das ganze Jahr keinen Sport, da brauchte sie im Urlaub erst recht nicht damit anfangen. Stattdessen lag sie am Strand, betrachtete die anderen Urlauber, belauschte Gespräche, machte sich darüber Notizen und schrieb an ihrem Roman weiter. Zwischendurch suchte sie Abkühlung im Meer. Das war für Maé ein perfekter Urlaubstag.

 

Abends stand Lena wieder vor ihrer Tür, um sie zum Essen abzuholen.

„Hast du etwa keinen geilen Typen gefunden, der dich zum Abendessen begleitet?“, konnte Maé sich nicht verkneifen zu sagen.

„Musst du immer gleich so beleidigt und nachtragend sein? Ich habe ganz tolle Neuigkeiten für dich und um deine Frage zu beantworten: Ich habe heute eine ganze Menge gut aussehende Männer kennengelernt, aber ich ziehe es vor den Abend mit dir zu verbringen.“