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Fabian, ein Schüler aus Berlin im Jahr 2025, ist mit seinem Leben meistens zufrieden. Doch plötzlich wird er ins Weltall entführt. Bewohner des Planeten Mycra brauchen seine Hilfe, denn sie glauben, er ist ein Held. In diesem Weltraumabenteuer trifft Fabian auf viele besondere, ungewöhnliche und coole Außerirdische. Wie die Geschichte ausgeht, steht in den Sternen.
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Seitenzahl: 322
Veröffentlichungsjahr: 2020
Harald Böttcher
Ellipsenflibbsim All
© 2020 Harald Böttcher
Covergestaltung: Barbara Böttcher-Walkowiak
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-347-01985-0
Hardcover:
978-3-347-02016-0
e-Book:
978-3-347-01986-7
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Prolog
Rosenblütenblätterkuchen habe ich für dich gebacken. Wollen wir ihn beide heute essen? – B.
Wer war B? Vielleicht der neue Nachbarsjunge Benny? Ich kannte sonst kaum einen B. Ich schaute mir den Brief von allen Seiten an. Er war schön schnörkelig geschrieben auf rosa Papier und duftete besonders. Wieso auf Papier? Heutzutage schickt sich doch jeder Flobmails. Die riechen wenigstens nicht so komisch rosa. Außerdem hatte ich überhaupt keine Zeit. Ich musste trainieren. Ich zog meine Handschuhe an, tänzelte leichtfüßig vor und zurück und boxte in den Sandsack. Abwechselnd erst rechts, dann links, dann einmal antäuschen und voll in die Mitte. Wie immer verlor der Sandsack nach fünfzehn Minuten kläglich und ich gewann überlegen. Jubelnd reckte ich die Arme in die Höhe.
Juhu! Ich zog meine Handschuhe aus, schnappte mir das Seil und hüpfte jetzt auf der Stelle. Mindestens einhundert Hüpfer musste ich schaffen, doch meine Gedanken kamen nicht zur Ruhe.
Blubberbobby aus der Kuhle im Wald? Nein, der konnte ja nicht lesen. Oder etwa Barberella aus dem grünen Viertel am Rande der Stadt? Aber wieso sollte sie mir schreiben? Kannte sie überhaupt so Rosenblütenzeug?
Beim zweiundzwanzigsten Hüpfer verhedderte ich mich und schlug lang hin, obwohl ich wahnsinnig toll versuchte, mich abzufangen. Mist, das hat jetzt sowieso keynen Sinn.
Da seht ihr´s. Ich habe einen Sprachfehler, auch in meinen Gedanken. Wenn ich nervös bin, kann ich kein „ei“ sagen, sondern nur ein „ey“. Den Unterschied hört man zum Glück fast gar nicht. Auch das B verhedderte sich immer mehr in meinen Gedanken.
Schmeckt Rosenblütenblätterteig überhaupt? Ich duschte schnell, strich mir die lila Haare wild und zog Stachelkleidung über. Sorgsam steckte ich mir den Brief in die Hosentasche. Dann klingelte ich deutlich bei B, dem Nachbarsjungen.
Benny öffnete die Tür und blinzelte müde. Er sah schon etwas seltsam aus. Blass und dünn. Seine Haarfarbe war krass, sie erinnerte an verblichenes Gelb. Ich glaube, er kommt von irgendwo ganz weit her.
„Hi, ich bin Pynki, dreyzehn Jahre alt, von gegenüber. Hast du mir eynen Brief geschrieben?“
„Nein, eher nicht.“ Benny blinzelte wieder.
„Hast du mir eynen Kuchen gebacken?“
„Nein, wieso sollte ich?“ Benny wischte sich die Augen.
Ich zog den Brief hervor und hielt ihn Benny vor die Nase. „Ist das deyne Schrift?“
„Ja, das ist meine Schrift.“ Benny blickte mich hilflos an. „Möchtest du eine Limonade?“
„Ich möchte, dass du mir das erklärst.“ Ich rollte mit den Augen und streckte mich. „Limonade ist was für Kleinkinder. Ich trinke Starkmalz.“
„Okay, komm rein.“ Benny trat beiseite und führte mich in die Küche.
Ich war gespannt und schaute mich zurückhaltend, aber interessiert um. Im Küchenregal entdeckte ich einen merkwürdigen alten Apparat. Er sah aus wie ein Kästchen mit Henkel zum Wegwerfen. „Was ist das denn?“, fragte ich.
Benny strahlte, als er mir antwortete: „Das ist eine Kaffeemühle von meiner Oma.“
Ich versuchte, nicht allzu dumm auszusehen, als ich mich an den Tisch setzte: „Und was – ähm – ist Kaffee?“
Benny fischte uns eine Flasche Starkmalz und eine Flasche Limonade aus dem Kühlschrank, bevor er mir antwortete. „Entschuldige, das kannst du ja nicht wissen. Kaffee ist ein Getränk aus gemahlenen Kaffeebohnen. Die wachsen halt auf der Erde, wo ich herkomme. Bei euch auf Mycra wächst bloß Tee, oder?“
Ich sprang vom Stuhl. „Du bist eyn Außer-, eyn Außer-“
„Ich bin ein Mensch und kein Mycras, so wie du, ja. Aber du brauchst deshalb keine Angst zu haben, Pynki.“
„Ich habe keyne Angst! Das ist ja unglaublich!“ Ich griff mir schnell die Flasche, trank gierig daraus und musste sofort wieder spucken. „Igitt, Limonade, bäh.“ Ich stellte die Flasche auf den Tisch zurück und sah den großen Limonadenfleck auf Bennys T-Shirt. „Oh, das tut mir aber …“ Ich konnte nichts mehr sagen, weil ich plötzlich anfing zu lachen. Nachdem ich mich dann beruhigt hatte, ging es mir besser.
Benny erklärte es mir so: „Nach acht Jahren Flug durch das Weltall – wir waren in eine Art Winterschlaf versetzt worden – wachten wir hier auf Mycra wieder auf. Keine Ahnung, wie wir hierhergekommen sind. Seitdem versuchen wir hier klarzukommen. Mein Dad kann sich nur an wenig erinnern, deshalb habe ich für ihn auch den Brief geschrieben. Er ist für …“
„Für meyne Mutter?“, rief ich entsetzt. „Ich, ich …“ Ich konnte im Moment nicht klar denken. Schnell trank ich das Starkmalz aus und stand auf. „Ich muss jetzt gehen, Benny, war nett bey dir, vielen Dank.“
Zu Hause angekommen, riss ich mir die Stachelkleidung herunter, zog meine Joggingsachen mit den Springschuhen an und düste los. Ich musste das alles erst mal abschütteln. Raus aus der Wohngegend und hinein ins Gelände. Ich rannte über unwegsamen Boden, sprang über Wurzeln und schwang mich an Lianen durch den Dschungel. Das letzte Stück stakste und rutschte ich durch zuckerweichen Sandboden. Dies hier war meine Trainingsstrecke, denn ich wollte unbedingt auch in die Weiten des Kosmos fliegen. Dazu musste ich sportlich sein, besonders viel lernen und die Aufnahmeprüfung an der Ynterstella-Schule bestehen.
Ich blöde Gans! Wenn ich Benny ausfrage, habe ich Spezialwissen und bin allen überlegen!
Ich musste sofort wieder nach Hause und meiner Mutter den Brief geben. Vielleicht male ich ja noch ein paar von ihren Lieblingsblümchen dazu. Schwarzblaue Iris mit Goldtupfen. Oh, jetzt aber Tempo …
Leider konnten wir uns nur ein paar Mal treffen, denn Benny und sein Vater zogen kurz danach in einen anderen Teil von Mycra, wo das Klima besser für sie war und sie Kaffee anbauen konnten. Sie hatten mir ungefähr erklärt, wo die Erde liegt. Eigentlich um die Ecke, nur in einem anderen Spiralarm der Milchstraße. Die Flugroute hatte ich auswendig gelernt.
Das ist inzwischen alles drei Jahre her, meine Haare sind inzwischen blaubraun und Kaffee gibt es jetzt überall auf Mycra. Ob ihr es glaubt oder nicht, inzwischen ist ein Raumschiff auf dem Weg zu eurem blauen Planeten. Der Flug dauert zwar ein kleines bisschen. Aber das macht euch ja nichts. Bloß mir wird etwas langweilig.
Kapitel 1
Das Raumschiff schwebte lautlos über dem Meer.
„Wir brauchen einen Helden“, sagte Sepia zu ihrem Copiloten.
„Und wo sollen wir den finden?“, antwortete Rotko, während er mürrisch unter seinen Augenlappen hervorlugte.
„Wir haben den eindeutigen Auftrag: einen Erdbewohner aus der Milchstraße, einen Helden suchen, finden (notfalls überreden) und mitnehmen.“ Sepia schaltete lässig in den Erdbewohner-View-Modus, welcher bisher nur als Testversion in ihrem Kapselgelee vorhanden war. Das Kapselgelee war das Ergebnis der neuesten Technologie eines sich ständig weiterentwickelnden Gelee-Computers. Gebaut in den Werkstätten ihres Heimatplaneten Mycra, dessen Entfernung zur Erde in etwa 50 000 Lichtjahre betrug, was bekanntlich einem Katzensprung gleichkam.
Mit an Bord des in Form eines Bumerangs gearbeiteten Raumschiffs mit der Bezeichnung „Boomeye 3“ befand ich mich, als Auszubildende – ihr kennt mich ja schon, ich bin Pynki.
„Die besten Helden sind immer noch fünfzehn- bis achtzehnerdjährige Schülerinnen und Schüler, die haben die meiste Fantasie und eine Menge Zeit“, sagte ich.
„Und, wo sollen wir die finden?“, fragte Rotko, ohne auch nur ansatzweise seine grünen Zellen anzustrengen.
„Iich habe Helden in einer Schule gefunden!“ Das Kapselgelee machte auf sich aufmerksam, sagte aber leider sonst nichts mehr. Dafür reagierten die Spürsensoren in der Außenhaut des Raumschiffes, welche sich für intergalaktische Flüge selbsttätig ein- und ausklappen konnten.
„Achtung, Erdbewohner haben uns auf einem Überwachungsbildschirm entdeckt, sofortiger Ortswechsel wird angeraten. Zeitfenster 30 Sekunden.“
„Mist, warum immer so kurzfristig?“, fauchte Sepia. „Könnt ihr nicht eher Bescheid …?“
„Zeitfenster 20 Sekunden.“
„Alle in Abflugposition! Kapselgelee aktivieren! Zielkoordinaten berech…“
„Zeitfenster 10 Sekunden.“
„Dann eben nicht. Steuerung manuell, LOOOOS!“
Die Luft dehnte sich um das Raumschiff wie bei einem Bogen, dessen Sehne gespannt wird. Die Ausrichtung wurde konzentrisch justiert. Der Abflug stand unmittelbar bevor. Nur jemand mit außerordentlichen, um nicht zu sagen außerirdischen Sinnen konnte das minimale Schwanken überhaupt bemerken, welches zu diesem Manöver nicht passte – so, als ob etwas uns anrempelte.
So blieb ein leuchtender Rotationsfunke an der Stelle hängen, dort, wo gerade noch die „Boomeye 3“ in der Luft geschwebt hatte. Nichts deutete auf ihre Existenz hin, außer einem in den Fluten des Meeres versinkenden Spürsensor. Seine letzten Worte
„Zeitf… null … Sek…“
waren nicht mehr zu hören.
Bilderbuchschule
„Es gibt zwei Arten von Affen, die etwas intelligenteren – die Menschenaffen – sowie all die anderen, die noch nie aus ihrem Dschungel herausgekommen sind. Fabian! Was habe ich gerade gesagt?“
„Na, ähm, Herr Bio, dass es da erdgeschichtlich und biologisch zwei Arten gibt. Die Jüngeren, also die Kleineren, unterscheiden sich von den Größeren dadurch, dass …“
In diesem Moment begann die Schulglocke zu läuten und Fabian atmete erleichtert auf.
„Obligatorische Hofpause für alle, hinaus an die frische Luft. Wir sehen uns nach der Pause wieder hier. Fabian, du kommst bitte noch zu mir nach vorne.“
Was sollte das nun wieder? Er hatte sich alle Mühe gegeben, aufmerksam dem Unterrichtsgeschehen zu folgen.
Fabian erhob sich von seinem Platz und legte die kurze Distanz bis zum Lehrerpult einigermaßen aufgeweckt zurück. Das war jetzt schon zum wiederholten Mal, dass …
„Fabian, denk doch mal nach. Was willst du in deinem Leben erreichen? Glaubst du, mit deinem bisherigen Einsatz kannst du auch nur irgendwie erfolgreich sein? Was unterscheidet dich von den Affen? Doch nicht nur deine ausgebeulten Jeans oder so ein buntes T-Shirt. Schau mich an, durch lebenslanges Lernen habe ich es zu etwas gebracht. Sich immer wieder auf den Hosenboden setzen, aufraffen und nach Zielen streben, nach den Sternen greifen. Hast du denn keine Vorstellung davon, was alles möglich ist für den, der …“
Fabian hatte bereits nach dem zweiten Satz seines Biologie- und Klassenlehrers, Herr Bio, seine Ohren auf Durchzug gestellt. Er wollte zur Pause. Seine Freunde warteten auf ihn, er hatte wirklich Wichtigeres zu tun.
„… Fabian, ich will nur dein Bestes, sicher, auch ich war mal jung, aber …“
Fabian merkte es zu spät, er wurde ohnmächtig.
Kurz bevor er lang hinschlug, fasste Herr Bio ihn kräftig unter den Armen und verhinderte so einen Aufprall auf das frisch gewischte Linoleum.
„Pausenaufsicht! Ich brauche Hilfe!“, rief Herr Bio nervös.
Frau Mathe, Herr Kunst und Frau Sport schauten zur Tür herein. Jeder griff sich ein Ende von Fabian, während Herr Kunst beiläufig anmerkte: „Ach Herr Bio, hast du schon wieder einen Schüler mit deinem Unterricht gelangweilt? Da wäre ich auch eingeschlafen.“
„Herr Kunst, Biologie ist das bedeutendste Fach an dieser Schule“, sagte Herr Bio. „Ohne Biologie würde niemand sein Leben verstehen.“
„Als Nebenfach, Herr Kollege“, antwortete Herr Kunst, „da hat deine Biologie seine Berechtigung. Jedoch ist Kunst allein maßgebend. Ohne Kunst wäre jede Schönheit nur einfarbig und fade.“
Daraufhin meinte Frau Mathe: „Herr Kunst, auf deine bunten Collagen können wir doch alle gut verzichten. Mathematik aber ist die Königin der Wissenschaften. Gäbe es keine Mathematik, sähen alle Kreise aus wie glibbrige Quallen.“
„Nur Sport ist essentiell“, sagte Frau Sport. „Ohne Sport läuft doch hier gar nichts. So, und jetzt los!“ Zu viert joggten sie mit Fabian ins Krankenzimmer, legten ihn auf eine Trage, klatschten ihm einen nassen Lappen ins Gesicht, schlossen die Tür und entschwanden fröhlich in die Pause.
Lee
Lee-Wan-Loo spürte die Hitze auf seinem Gesicht. Nein, es war nicht die Heizung. Es war der blinkende Punkt, der sie verursachte. Tatsächlich zum ersten Mal auf seinem in den Schreibtisch eingearbeiteten Bildschirm. Auf SEINEM Bildschirm! Und diesmal kein grüner, sondern ein fetter roter Blinkpunkt.
Endlich! Action, und Go!
Er handelte in Sekundenbruchteilen, griff nach seiner Tasse Tee und verschüttete ihn heiß dampfend auf der Glasoberfläche.
„Eieiei! Mist, Mist, Miist!“ Fehlkoordination seiner beiden Hirnhälften. Er wischte eilig mit dem Ärmel seiner gelben Uniformjacke in senkrechten, waagerechten und kreisenden Bewegungen über das Sicherheitsglas des Überwachungsbildschirmes.
Warum jetzt? Wo sind Laaki und Luuki? - Irgs, beim Reisfuttern in der Kantine. Er zerrte das Mikrofon zu sich heran.
„Hallo, hier Lee-Wan-Loo! Alarmsignal, rot. Habe unbekanntes Objekt im ostchinesischen Meer, südlich von Ningbo, gesichtet. Die Koordinaten sind leider etwas verschwommen. Automatische Weiterleitung der Daten nach Peking in zwei Minuten. Übertrage sie mir digital und nehme den Düsenjet-one. Abflug in dreißig Sekunden, Ende!“
Ohne sich dessen bewusst zu sein, verschob er damit genau die Weiche, welche seinem Leben eine völlig neue Richtung geben sollte.
… Jacke zuknöpfen, durch die Schleuse in den Jet springen, Düsenjetelektronik hochfahren, Doppelgurt anlegen, Treibstoffzufuhr freigeben, ruhig bleiben …
Auch dieser Ablauf, hundertmal geprobt, war maßgeblicher Teil des Trainingsprogrammes, welches Lee-Wan-Loo vor vier Monaten im militärischen Ausbildungszentrum von Ning-bo mit – nein, leider ohne – Auszeichnung absolviert hatte. Nur zwei Kameraden, Laaki und Luuki, hatten das geschafft. Aber die waren ausgerechnet jetzt nicht hier. Dafür war er mit seinen 18 Jahren aber auch der Jüngste hier.
… vier Sekunden Aufwärmphase für die Technik, konzentriert den Helm aufsetzen – der Düsenturbo brüllte – beide Hände fest an die Lenkung, Startknopf vorwärts drücken …
und START!
Die Beschleunigung presste Lee die Luft aus der Lunge, Helmventile auf, langsam einatmen und nach vorne sehen, geschafft.
… automatisches Einlesen der Koordinaten, Erreichen des Zieles in zwanzig Sekunden.
Dort! Eine schillernde Banane über dem Wasser.
Was will die hier? Sind das Feinde oder Chinesen? Ich muss das klären.
„Hallo, hier spricht Lee-Wan-Loo, chinesisches Militär. Sie befinden sich unerlaubt in …“
Bss-bss-bss
„… bitte geben Sie sich zu erkennen!“
Was ist jetzt passiert? Wo bin ich!
Lee-Wan-Loo starrte auf seinen Bildschirm, dann aus dem Cockpit, egal, überall war dunkles Grün, kein Himmel und kein Meer war zu sehen.
Die Lenkung – keine Reaktion, Bremsen, Beschleunigung, Schleudersitz – keine Reaktion. Heißer Tee aus dem Automaten – Ja, funktionierte! Brauchte er aber jetzt nicht. Er musste sich zusammenreißen. Was hatte er über Notfälle gelernt? Ging der Funkkontakt zur Basis in Ning-bo noch?
„Ningbo! Könnt ihr mich hören? Könnt ihr mich sehen? Ich bin hier, ich lebe noch, ich bin´s, Lee!“
Krks-krks-krks
Das Knacken in der Leitung klang nicht gut. Was war jetzt noch möglich? Er war auf sich allein gestellt. Das war bei seinen bisherigen Notfällen unüblich. Irgendwer kam immer zu Hilfe, um ihn zu retten. Luft zum Atmen hatte er genug, laut Anzeige sogar für einige Tage. Verpflegung war auch in den dafür vorgesehenen Cockpitboxen. Er konnte leider überhaupt nicht erkennen, wo er sich befand. Flog er noch? Ein Blick auf seinen Bordcomputer brachte Gewissheit. Die Koordinaten änderten sich in rasantem Tempo. Er war unterwegs, fragte sich nur wohin und – wieso wurde er müde? Er hatte doch gut ausgeschlafen seinen Dienst angetreten. Der Kopf sackte ihm nach unten. Er versuchte noch einmal aufzusehen – vergeblich.
Bilderbuchschule
Ein gewöhnliches Schulgelände in Berlin. Altbau, Anbau, Sporthalle, Sportplatz, mächtige alte Bäume, Neupflanzungen und bunt zusammengewürfelte Mädchen und Jungen. Sie standen in einzelnen Gruppen auf dem idyllischen Pausenhof und konnten für ein paar Minuten das Lernen vergessen. Jan, Alexis und Bea drehten immer wieder ihre Köpfe zur Schultür. Sie warteten. Auf Fabian. Sie waren verabredet. Er kam nicht.
„Er wollte mir die neuen Lyrics mitbringen für nachher, zur Probe“, sagte Bea.
„Er wird schon kommen, die Akkorde stehen ja. E-moll, D-Dur und so´n Major-sieben-Griff“, antwortete Jan etwas genervt. Seit sie seine Schwester Bea gefragt hatten, ob sie als Sängerin in ihrer Band mitmachen wollte, war sie immer so zappelig, Mädchen eben. Jan war das glatte Gegenteil. Als Bassist war er eher etwas gröber veranlagt. Nachdenklich sah er zu Alexis, ihrem Schlagzeuger.
„Alexis, du siehst fertig aus. Stresst die Schule, hast du schlecht geschlafen letzte Nacht, oder …?“
„Ich musste den Rekord verbessern, bin jetzt bei Level 1024, habe ich echt hart erarbeitet“, antwortete Alexis stolz.
„Ok, Hauptsache du hältst den Beat nachher. Noch fünfzehn Minuten. Wieso …?“, Jan zuckte kurz. Er spürte einen Luftwirbel um sich herum und bemerkte ein Rascheln in den Bäumen. Dabei war es eigentlich windstill. Seltsam. Jan hatte keine Erklärung für diese unergründliche Natur.
Kapitel 3
Warum ist das Weltall krumm? Welche Ausdehnung besitzt das Universum überhaupt? Wie groß will es einmal werden? Alles bewegt sich und manches kreist, manches ellipst umeinander. Die Entfernungen zwischen Galaxien, Sternen und Planeten sind so groß, dass sie in Lichtjahren, ja sogar in Millionen von Lichtjahren gemessen werden. Unsere Galaxie, die Milchstraße, misst immerhin schon gute 100000 Lichtjahre im Durchmesser.
Auf der anderen Seite der Milchstraße, im Weltall verborgen vor neugierigen Erdfernrohren und insbesondere vor den Blicken des gefürchteten Hubble-Weltraumteleskops, treffen wir auf einen Planeten namens Quadrund. Dort gibt es außerirdisches Leben. Zwei davon, die Sternenkundigen Oldstephan und Stephil, beobachten und berechnen den Weltraum. Sie messen Entfernungen, Gravitationswellen und alles, was sie so finden. Manches beunruhigt sie.
Stephil erwachte aus einem unruhigen Schlaf. Aus unerfreulichen Träumen.
Er hatte es gestern durch seinen Planetenapparat schon wieder gesehen. Die Anzeichen wurden deutlicher. Er rollte herum und krabbelte aus seiner Liege. Stephil zog seine Hose und ein warmes Shirt an, schob seine Füße in die Sportschuhe und trat ins Freie. In die erste Helligkeit. Er fühlte ein schnelles Kribbeln im Magen, als er die majestätisch glänzenden Strahlen sah, die sich über das Zackengebirge am Horizont erstreckten. Ein Anblick, der sein Herz hüpfen ließ.
Diesen Ort verlassen? Niemals!
Die Tage waren kurz zu dieser Jahreszeit. Die Rufe der frühen Tiere, das Quäken und Schnattern war noch leise. Er ging die fünfhundert Schritte bis zum Haus von Oldstephan. Ihn musste er jetzt wecken. Gerade als er seinen Fuß unter den Torbogen setz…
„Hilfee, was …?“
Er fiel ins Nichts, bestimmt zwei Meter, dann flutschte etwas über ihn. Er versuchte dieses Etwas wegzustoßen und rief:
„He, was soll das? Du.“
Das Etwas sprang ihn an.
„Wer bist du? Du stinkst. Geh weg!“
Das Etwas sabberte etwas.
„Wo ist dein Herrchen?“
Das Etwas ließ von Stephil ab und schaute nach oben.
Oldstephan kam müde zur Tür:
„Mörph, wen hast du denn da gefangen? Doch nicht etwa Stephil?“
„Oldstephan, endlich! Befreie mich von diesem blöden …“
„Warte, ich helfe dir hoch. Mörph, mach mal Platz.“ Oldstephan ging zum Tor, reichte Stepil seine Hand und zog ihn mit einem Ruck aus der Falle heraus.
„Danke Oldstephan, ich verstehe nicht, weshalb du hier solche Vorsichtsmaßnahmen triffst. Du hättest mich ja wenigstens warnen können.“ Auch Mörph sprang aus der Grube und wedelte eifrig mit seinem Rüssel.
„Gut gemacht, Mörph.“ Oldstephan gab seinem Wachtier ein Leckerli und es verschwand damit im Versteck.
„Komm rein, Stephil, ich habe schlechte Neuigkeiten.“
„Du auch? Aber das Schlimmste wirst du noch gar nicht wissen.“
„Sag nicht. Du hast doch nicht etwa …?“
„Aber nein, wo denkst du hin. Der Tee ist alle.“
Oldstephan schloss sorgfältig die Tür hinter ihnen und führte Stephil in sein Arbeitszimmer.
Bei ihm sah es immer so aufgeräumt aus. Keine Klebezettel oder leuchtenden Dioden, keine angeknabberten Bleistifte. Nur ein einziges Blatt Papier lag auf seinem Schreibtisch. Stephil warf einen interessierten Blick darauf. Planetennotizen, eine Auswertung der gestrigen Beobachtungsdaten. Er stockte, seine Pupillen weiteten sich. Das konnte doch nicht wahr sein.
„Oldstephan, ich glaube ich brauche jetzt eine Sternenbrause. Hast du nicht eine Starke mit Nachbrennfaktor?“ Stephil ließ sich auf einen unbequemen Dreiecksstuhl sinken.
„Ich habe eine schön Fruchtige im Wandschrank. Aber pass auf, Stephil, davon bekommst du einen Ellipsenschwips.“ Oldstephan schenkte die Sternenbrause in zwei Tetraedergläser ein, streute eine Prise Asteroidenstaub darüber und prostete seinem jungen Kollegen zu.
„Und runter damit.“
Kapitel 4
Fabian lag bewegungslos mit einem kalten, nassen Tuch über dem Gesicht auf der Krankentrage. Er nahm Vogelgezwitscher und irgendein Rauschen war. Er fühlte sich, als ob er aus einem Flugzeug mit dem Fallschirm abgesprungen wäre. Er wischte das Tuch beiseite und erinnerte sich langsam wieder.
Ich habe wohl wieder mal vergessen zu atmen. Peinlich, dass mir das ab und zu passiert. Ob das an den Genen liegt? Bis jetzt hat das noch niemand rausgekriegt. Auch gut, so fällt für mich heute die nächste Unterrichtsstunde aus.
Fabian drehte sich um und schlief gemütlich wieder ein.
Mit einem Satz war ich mit Sepia auf dem Dach der Bilderbuchschule und wir sogen zum ersten Mal in unserem Leben Erdluft in unsere Lungen ein. Der milde Duft von Erde, Pflanzen und Tomatensoße ließ uns kurz innehalten. Geduckt gingen wir bis an den Rand des Daches und spähten ungläubig hinunter.
„Pynki, sieh nur, dort – lauter Helden.“
„Ooh, die sehen aus wie …“
„Ja, ich weiß, irgendwie komisch.“ Sepia fühlte sich unwohl. Das passierte ihr oft, wenn sie in der Nähe von Außermycrischen war.
„Süüß, können wir nicht zwei mitnehmen, falls einer verloren geht? Ich habe mir zwei Fangsäcke gegriffen. Nur zur Sicherheit.“
„Gute Idee Pynki, jeder fängt sich einen, komm mit.“
Mit schnellen Schritten waren wir an einer Dachluke, öffneten sie und stiegen die Stufen in die oberste Etage der Schule hinab. Lautlos schlichen wir den Flur entlang. Den Erwachsenen, den großen Erdlingen wollten wir nicht begegnen. Wir schauten nach rechts und links - leere Klassenräume. Es waren keine Schüler da. Verwundert erreichten wir das Treppenhaus und dann das Erdgeschoss. Hier versuchte Sepia über ihren Spezialarmreif Kontakt mit dem Kapselgelee herzustellen. Es musste uns sagen, wo wir den richtigen Helden finden sollten. Keine Verbindung. Sepia drehte ihren Armreif bis zur Einstellung: Kommandant. Auch Rotko meldete sich nicht. - Weshalb nicht?
Die Schulglocken fingen an zu läuten, wir zuckten zusammen. Die große Pause war zu Ende. Wir hörten den Lärm von hunderten sich nähernden Jugendlichen.
Was jetzt, dachte ich.
„Wir sollten hier nicht so rumstehen, schnell!“ Sepia stieß die nächstbeste Tür auf und wir huschten in den dunklen Raum. Ich schloss die Tür und atmete erleichtert auf. Bis wir eine Stimme hörten:
„Huch, wer seid Ihr zwei denn?“
Es war genau 10.40 Uhr mitteleuropäischer Zeit minus eine Stunde Sommerzeit am Montag, dem 7. April 2025. Was Sepia und Pynki aber nicht wussten, denn die mycrische Zeitrechnung, ausgehend von ihrem weit entfernten Planeten, war eine völlig andere. 7. Apryl 12025, um genau zu sein. Dies war der erste Kontakt. Der erste direkte Kontakt zwischen einem Erdling, auch genannt Mensch, der Gattung Homo sapiens, mit zwei Vertreterinnen des Planeten Mycra hier auf der Erde.
Man könnte sie Mycrianerinnen nennen, was aber falsch wäre, denn die Mycrianerinnen waren bereits seit dem 07. July 4223 ausgestorben. Was aber wiederum der Erdling nicht wusste. Sepia und Pynki waren zwei original Mycras, welche jedoch nicht auf seine Frage antworteten, so dass er sich gezwungen sah, sie ein weiteres Mal, jetzt aber exakter zu formulieren:
„Wer seid ihr? Ich bin Fabian.“
Sepia und ich drehten uns um. Wir sahen einen Helden. Er saß vor uns mit grauen Augen, mittelblonden und verstrubbelten Haaren. Jedoch ohne Ohr- und Nasenringe. Aber egal, besser so, als mit Antennen auf dem Kopf. Wir hoben unsere Hände zum Gruß. Sepia hatte in ihrer eine blaue Geleekapsel. Mit einigen Gesten machten sie ihm deutlich, er solle die Kapsel mit Wasser hinunterschlucken. Fabian tat es. Einen Geschmack hatte die Kapsel nicht. Die beabsichtigte Wirkung trat nach wenigen Sekunden ein. Er konnte mycrisch. Er verstand jetzt die Worte, die Sepia an ihn richtete.
„Wir heißen Sepia und Pynki und haben nur eine Frage an dich, die du leicht mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten kannst. Möchtest du für die nächsten ein bis zwei Erdjahre deinen Unterricht verpassen?“
„Das kommt darauf an.“
„Falsche Antwort.“ Sepia stülpte den Fangsack über Fabian und band ihn oben mit dem Glöckchenband zu, ehe Fabian auch nur die Möglichkeit hatte sich zu wundern.
„Wir erklären dir das später.“ Sepia nahm den Helden im Fangsack und legte ihn sich über die Schulter.
Eine beabsichtigte Nebenwirkung der Geleekapsel trat ebenfalls ein. Der Held wurde müde und schlief ein. Somit entfielen lästige Fluchtversuche oder gar lautes Hilferufen.
Ich zog den Vorhang zur Seite und schaute durch das Fenster. Die meisten Schülerinnen und Schüler waren wieder in ihre Klassen zurückgekehrt. Ein paar wenige standen noch auf dem Hof herum. Bei einigen sah ich glimmende Stängel am Mund. So etwas hatte ich in meiner Ausrüstung nicht dabei. Wofür die wohl gut waren?
„Jetzt bin ich dran.“
Damit drehte ich mich um und war vor Sepia an der Tür, die ich einen Spalt breit aufzog, um zu lauschen. Es war ziemlich ruhig im Gang. Ob lernen hier Spaß machte? Auf Mycra gefiel mir der Unterricht nicht besonders. Dort musste jeder in kurzer Zeit eine Unmenge an Fakten einsaugen und einlagern. Je mehr Fakten pro Fach ich zu mir nahm, um so mehr veränderten sich auch meine Körperproportionen. Das sah unschön aus. Also ließ ich lieber alle unwichtigen Daten beiseite, oder entsorgte sie heimlich in der Pause. Das hatte zum Glück niemand bemerkt, sonst hätte ich gar nicht mit auf diesen Einsatz fliegen dürfen. Ich wollte gerne wissen, wie das Lernen hier auf der Erde funktionierte.
Das werde ich alles meine Heldin fragen, wenn ich mir gleich eine fange. Weibliche Erdwesen sollen ja klüger sein als die männlichen. Hatte ich gehört. Stimmt das eigentlich? Vielleicht könnt ihr mir das sagen. Aus dem Erste-Hilfe-Raum hinaus und mit leisen Schritten schlichen wir schnell durch das Schulgebäude und kamen unten an der Schultür an. Gemeinsam drückten wir die beiden Flügel der Schultür auf und blickten in Richtung der noch verbliebenen Jugendlichen. Dort hinten sah ich meine Heldin stehen. Mal sehen, ob ich auch Glück habe.
Zwischenlandung
Just in diesem Moment klingelte ein Telefon im Deutschen Verteidigungsministerium. Da die Vorzimmerdame Evi nicht an ihrem Platz saß, nahm Oberst Hartmann das Gespräch entgegen, entgegen seiner Gewohnheit.
„Hier Oberst Hartmann, wer spricht?“
„Guten Tag, verehrter Herr Oberst Hartmann. Hier sprechen Laaki und Luuki, Luftfahrtpiloten aus Ning-bo. Wir übermitteln Ihnen die freundlichen Grüße unseres Ministers aus China. Unser ehrenwerter Herr Minister Hao Zhao möchte Ihnen als Zeichen unserer Völkerfreundschaft ein Päckchen Tee nebst Gebäck überreichen.“
Laaki und Luuki nahmen Haltung an und nickten eifrig in ihrem Cockpit.
„Ja, das ist ja schön, sehr nett. Ich hätte da noch einen Termin frei in der nächsten Woche. Donnerstag, wenn Ihnen das recht wäre?“
Das sind doch nur Nebenfiguren, dachte Oberst Hartmann und blätterte freudig in seinem Kalender.
„Gerne, Herr Oberst Hartmann, wir sind, könnte man sagen, auf der Durchreise, haben uns aber ein wenig verflogen. Wenn möglich, würden wir gerne heute noch bei Ihnen vorsprechen. Vielleicht wären Sie auch so freundlich, uns mit etwas Treibstoff für unseren Düsenjet auszuhelfen? Falls Sie einen kurzen Blick aus Ihrem Fenster werfen könnten, dann würden Sie …“ Laaki und Luuki winkten eifrig dem Herrn Oberst im Fenster des dritten Stockes zu.
„Waas! Sind Sie denn völlig verrückt! Das ist unmöglich! Sie sind unerlaubt in den deutschen Luftraum eingedrungen,
Sie sind ohne Landeerlaubnis HIER auf der Wiese neben dem Verteidigungsministerium … Alarm! An alle Einheiten – chinesischer Angriff …“
Alles ging plötzlich sehr schnell, schon nach zehn Minuten saßen Laaki und Luuki in einer Runde mit vielen interessiert dreinblickenden Menschen, Soldaten, Angestellten, Herrn Oberst Hartmann und Cafeteria-Personal an in aller Eile zusammengeschobenen Tischen. Kaffee wurde eingeschenkt. Oberst Hartmann ergriff das Wort.
„Es ist nicht zumutbar, sogar richtig unzumutbar, dass Sie als chilenische Piloten unangemeldet, ohne die diplomatischen Gepflogenheiten zu berücksichtigen, hier an diesen Tischen sitzen. Ich bitte um eine Erklärung!“
„Herr Oberst, das ist so nicht richtig. Wir bitten um Entschuldigung, aber die chilenischen Piloten kommen, wenn überhaupt, erst morgen. Sie wurden bisher nicht von unserem verehrten Herrn Minister Hao Zhao angefordert.“
„So ein Quatsch, erzählen Sie keine Märchen, Sie sitzen doch hier vor uns.“ Der Oberst wurde leicht nervös.
Fräulein Simone vom Cafeteriapersonal kam mit einem Kännchen Tee und trat an Laaki und Luuki heran.
„Darf ich ihnen beiden etwas chinesischen Tee einschenken, Sie trinken doch sicher keinen Kaffee? Und chilenischen Tee haben wir leider nicht im Angebot.“
Laaki und Luuki erhoben sich mit strahlenden Augen und verbeugten sich tief.
„Chinesisch oder chilenisch, das ist doch alles eine Soße. Weshalb sind Sie beide hier bei uns eingedrungen? Antworten Sie gefälligst, oder ich lasse Sie wegsperren.“
Oberst Hartmann wippte bereits unruhig auf seinem Stuhl.
„Herr Oberst, zwischen Soße und Tee gibt es einen Unterschied. Bei uns in China werden zu Reis schmackhafte Soßen gereicht, während Tee …“
„Aufhören! Ich ertrage das nicht mehr. Sie sagen mir jetzt sofort, wieso Sie hier sind. Was ist Ihre Mission?“ Der Oberst war aufgesprungen und lief bedrohlich auf und ab.
„Sehr geehrter Herr Oberst Hartmann, unsere Mission ist streng geheim.“ Laaki und Luuki hoben mit abgespreiztem kleinen Finger ihre Teetassen in die Höhe und labten sich am Tee.
Der Oberst fuchtelte mit seinen Armen. „Ich habe verstanden. Alle raus hier. Das Gespräch wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit und aller anderen hier Anwesenden fortgeführt.“ Er scheuchte alle raus, bis ihm noch einfiel. „Halt, Fräulein Simone, Sie bleiben bitte hier. Ich zittere immer so beim Teeeingießen, und wir wollen unsere Gäste auf ihrer geheimen Mission doch nicht bekleckern, oder was meinen Sie?“
Währenddessen klingelte das Telefon im Deutschen Verteidigungsministerium erneut. Vorzimmerdame Evi, wieder an ihrem Platz, nahm den Hörer ab und lauschte dem Bericht des anrufenden Herrn Minister Hao Zhao.
„Aber das ist doch kein Problem, Herr Minister, ich schicke gleich die Polizei zur Bilderbuchschule. Die wird sich darum kümmern. – Ja natürlich, ich werde Ihre guten Wünsche an unsere Ministerin gerne weiterleiten. Nein, das macht wirklich keine Umstände. Auf Wiederhören, und viele Grüße an die werte Gattin.“
Damit beendete Dame Evi das Gespräch und wählte sogleich die Nummer des Polizeipräsidiums in Berlin.
Auf der Boomeye 3
Hoho – endlich Zeit für einen Kontrollgang durchs Raumschiff. Rotko drückte sich aus dem Kommandositz hoch und warf den mobilen Sensorball an die Reflektorwand. Das war ein Spaß. Mal sehen, welche Taste aktiviert wird. Das konnte er vorher nicht wissen. Es war eine Überraschung.
Sofort blinkte die braune Leuchtdiode im Ball auf.
Mmh - Freigabe des Zugangscodes zum Laderaum im Unterdeck.
Ach, wie langweilig – aber Moment, dort hatte er ein paar Energiegetränke deponiert. Nicht schlecht, jetzt verspürte er, wenn er genau überlegte, ein besonderes Gefühl: Durst - viel Durst. Rotko überprüfte zur Sicherheit den Bordcomputer – abgeschaltet, das Kapselgelee war im Ruhemodus, prima! Der schnellste Weg in den Laderaum zu seinen Getränken war um die Ecke – der Lastenaufzug. Nur einige schnelle Schritte und er war an der Tür, Codetaste gedrückt und schon zwängte Rotko sich rein. Seine stämmigen Beine zog er ein. Er schloss die Tür, ließ den Hebel einrasten und wunderte sich, wieso Sepia und Pynki den Aufzug nie benutzten, als ihm ein Gedanke kam.
Zu spät! Das Metall knirschte, Rotko wurde durchgerüttelt und dann: Stille.
Nein, nein! Er hatte vergessen, den Lastenaufzug zu reparieren. Jetzt steckte er fest, hilflos zwischen oben und unten. So ein Drecksding! Der Aufzug war eine völlige Fehlkonstruktion. Immer lockerten sich die Bolzen und der Aufzug verkantete. Von innen kam Rotko da nicht dran. Vor Wut warf er den Sensorball auf den Boden und eine gelb-lila Leuchtdiode blinkte ihn freudig an. Gelb-lila mochte Rotko nicht. Er mochte überhaupt kein Rumgeblinke.
Doch daran störte sich die Leuchtdiode nicht. Endlich hatte auch sie mal eine Aufgabe zu erfüllen in ihrem kurzen interstellaren Leben. Sie erhöhte ihre Blinkfrequenz und eine einzelne Schweißperle rann Rotko über seinen Augenlappen.
Wie sollte Rotko sich aus dem Lastenaufzug befreien? Es ging nicht.
Wie sollte er soviel Klugheit Sepia nur erklären? Seine grünen Zellen rotierten vor Anstrengung, konnten ihm aber nicht helfen. Massenhaftes Denken waren sie nicht gewohnt.
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Lee-Wan-Loo öffnete irritiert die Augen. Gerade hatte er noch geträumt. Er konnte sich gut daran erinnern. Er befand sich von grünem Licht umgeben irgendwo im tiefen Ozean. Unzählige Clownfische umschwammen ihn, zupften mit ihren Schnutenmündern an seiner Kleidung – ziep, ziep! Vielleicht dachten sie, Chinesen seien eine leckere Speise. Sie schillerten gelb, orange, weiß, silberblau und altrosa. Lee freute sich riesig über die farbenfrohe Zuneigung. Die kleinen Fische waren hübsch anzusehen. Sie küssten seinen Helm. Sie mochten ihn, den tapferen Piloten.
Jetzt erkannte Lee jedoch die Realität. Er saß in seinem Cockpit. War er gelandet? Lee schaute aus den Cockpitfenstern und sah nur undeutlich, wo er sich mit seinem Düsenjet befand. Vielleicht in einer Unterseeforschungsstation? Oder aufgelesen von einem U-Boot? Auf alle Fälle irgendwo eingesperrt.
Diese Neuigkeit musste er erst einmal begreifen. Seine Nerven schleuderten Stromsignale durch seine Hirnsynapsen.
Was hatte man ihm im Überlebenstraining beigebracht? Erstmal checken! Egal was. Also versuchte er die Lage zu checken.
Er konnte denken. Gut.
Er war immer noch 18 Jahre alt. Auch gut.
Er konnte die Apparaturen und Anzeigen im Cockpit sehen. Sehr gut.
Er konnte sich bewegen. Aah, nicht so gut, die Sicherheitsgurte zerrten an ihm. Er legte sie ab, ließ seine Schultern kreisen und entspannte seine Muskeln. Immerhin, Wasser war nicht eingedrungen, er saß im Trockenen.
Funktionierte der Funkkontakt noch?
„Hallo, Ning-bo! Hier spricht Lee-Wan-Loo. Könnt ihr mich hören?“
Kein Kontakt. Lee schloss die Augen für vier Sekunden.
„Hallo, Ning-bo! Hiel splicht euel Lee-Wan-Loo. HÖLT IHL MICH?“
Auch kein Kontakt. Vielleicht auf einem anderen Kanal. Lee drehte vorsichtig am Rädchen zur Frequenzabstimmung, rutschte ab – ausgerechnet jetzt – und empfing plötzlich Signale. Er hörte eine Stimme.
„Hallo, Lee-Wan-Loo. Wir hören dich. Wir heißen Rosa und Altrosa. Wenn du dich umdrehst, kannst du uns sehen. Wir blinken hinter dir.“
Lee blickte sich vorsichtig um und erschrak. „Wer seid ihr? Sprechende Fische mit Leuchtaugen?“
Rosa und Altrosa hüpften erheitert. „Aber nein, wir sind zwei ausgebildete Dolmetschersensoren. Du kannst ruhig aus deinem Blechdings aussteigen und dich zu uns gesellen.“
Bilderbuchschule
Plötzlich leuchtete Sepias Armreif weiß auf. Das Kapselgelee versuchte sich auf dem Notfallkanal zu melden. Das konnte nur eines bedeuten. Etwas musste passiert sein. Sepia presste sich an die Wand der Turnhalle, drehte den Armreif auf Empfang und konnte ihrer Auszubildenden im Moment nicht helfen. Sie sah nur noch, wie ich über den Schulhof rannte in Richtung der Schüler, dann hörte sie schon die ersten Worte des Kapselgelees.
„Haallo Sepia, du musst sofort abbrechen, hörst du mich? Aktion abbrechen.“
Ich war nur noch wenige Meter von meiner Heldin entfernt und sehr gespannt, wie nun diese zweite Begegnung mit einem Erdwesen ablaufen würde.
In diesem Moment drehte diese sich um, hob gekonnt eine Augenbraue und sah mich erstaunt an. „Möchtest du etwa eine schnorren? Ich habe aber nur noch diese übrig. Die Jungs wollten sowieso gerade gehen, weil der Rauch sie nervt.“
Die beiden Jungs machten sich vom Acker und schauten mich irritiert an. „Tschüss, Bea, bis nachher.“ In Gedanken waren sie wahrscheinlich bei Musik und Klamotten.
Bea streckte mir einen Stängel entgegen, während ich ihr aufmunternd eine glitzernde silberne Geleekapsel unter die Nase hielt. Nach dem Austausch der Friedensgeschenke, schluckte Bea die Kapsel herunter und nun stand dem Anwerbungsgespräch nichts mehr im Wege.
„Hi Bea, ich heiße Pynkinella Epsyluth. Du kannst mich Pynki nennen. Weißt du, was du mal werden möchtest?“
Bea dachte nach. Pynki, was für ein seltener Name. „Am liebsten möchte ich Sängerin werden oder … Astrobiologin auf der Suche nach außerirdischem Leben im All.“
Bea reichte mir ein Feuerzeug. Ich drehte es in meiner Hand, wusste aber nichts damit anzufangen.
„Das klingt gut, ich könnte dir ein echt interessantes Angebot machen. Du könntest mit mir nach Mycra reisen und echt coole Außerirdische kennenlernen. Natürlich nur unter gewissen Bedingungen.“ Ich wippte mit meinen Sternenclips am Ohr und musterte Bea dabei aufmerksam, gab ihr das Feuerzeug zurück und legte noch das Glöckchenband dazu.
„Mycra, wo liegt das? Und was für Bedingungen meinst du? Wovon redest du?“ Bea steckte das Feuerzeug weg und spielte mit dem Glöckchenband in ihrer Hand. „Deine Haarfarbe sieht auch so außerirdisch aus, blaubraun, echt seltsam. Passt aber gut zu deinen blaubraunen Augen.“
Ich sah mich um, keine Spur von Sepia. Wo blieb sie nur?