Empfindsame Reise, Tagebuch des Brahmanen, Satiren, kleine Schriften - Laurence Sterne - E-Book

Empfindsame Reise, Tagebuch des Brahmanen, Satiren, kleine Schriften E-Book

Laurence Sterne

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Beschreibung

Laurence Sterne zum 250. Todestag: Das perfideste Buch der Weltliteratur in der kongenialen Neuübersetzung von Michael Walter. Ganz Europa lag diesem Buch zu Füßen – und Deutschland dabei vorneweg Mitten im Krieg macht sich ein Engländer seiner angeschlagenen Gesundheit wegen nach Frankreich auf und erlebt dort verschiedenste Gefühlsverstrickungen. Das ist der Plot. Wichtiger als der aber ist das Innenleben der Hauptfigur Yorick, eines "man of infinite jest". In diesem Buch wird erstmals den Seelenregungen des Individuums aufs Genaueste nachgespürt – und der Erfolg des Romans war unglaublich: Er wurde europaweit ein Seller, Freundeskreise nannten sich nach den Figuren des Romans, "Yorick- Büsten" wurden aufgestellt, fabrikmäßig Andenken mit Motiven des Buches produziert, und eine ganze Epoche der deutschen Literatur heißt nach diesem Buch: die Empfindsamkeit. Sein Autor erweist sich in der als Meister der Zweideutigkeit: Während in seinem Vorgängerbuch Tristram Shandy noch anarchisch die Zote polterte und das Lachen fontänengleich aus der Bauchregion platzte, tuscht Sterne in der Empfindsamen Reise mit feinstem Pinselstrich subtile Erotik und leise Ironie. Nur wer genau liest, bemerkt, dass dort Literatur wird, was Sigmund Freud erst hundert Jahre später entdeckte: Das Leben des Menschen ist bestimmt von Sexualität. Sterne zeigt sich als der beste Psychologe seiner Zeit, weiß aber auch, dass er dieser eher prüden Zeit um ein Jahrhundert voraus ist – und lockt seine empfindsamen Leser auf vergnüglichste Weise in die Falle. Erstmalig überhaupt ist dies für deutsche Leser nun auch nachzuvollziehen – denn Michael Walters Neuübersetzung ist nicht nur kongenial – sie ist auch die erste deutsche Übersetzung, die nichts verschweigt. "Der freieste Schriftsteller aller Zeiten" (Friedrich Nietzsche), "Der Paganini der Abschweifungen" (Harry Rowohlt), "Der schönste Geist, der je gewirkt hat" (Goethe) – ungezählt sind die Verneigungen, Kniefälle und Lobeshymnen auf den Erfinder des modernen Romans. Autoren von Lessing bis Diderot, von Sigmund Freud bis Nabokov, von Borges bis Mann, von Marias bis Arno Schmidt, von Rushdie bis Calvino verehrten ihn und lernten von ihm.

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Laurence Sterne

Eine empfindsame Reise, Briefe an Eliza, Tagebuch des Brahmanen, Satiren, Kleine Schriften

Neu übersetzt von Michael Walter, kommentiert von Michael Walter und Anke Albrecht, benachwortet von Wolfgang Hörner

Kurzübersicht

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Inhaltsverzeichnis

EINE EMPFINDSAME REISE DURCH FRANKREICH UND ITALIEN. VON MR. YORICK.

EINE EMPFINDSAME REISE &C. &C.

CALAIS.

DER MÖNCH.

DER MÖNCH.

DER MÖNCH.

DIE DESOBLIGEANTE.

VORREDE IN DER DESOBLIGEANTE.

CALAIS

AUF DER STRASSE.

DAS REMISENTOR.

DAS REMISENTOR.

DIE SCHNUPFTABAKDOSE.

DAS REMISENTOR.

AUF DER STRASSE.

DIE REMISE.

DIE REMISE.

DIE REMISE.

AUF DER STRASSE.

MONTREUIL.

MONTREUIL.

MONTREUIL

MONTREUIL.

EIN FRAGMENT.

MONTREUIL.

DAS BIDET.

NAMPONT.

NAMPONT.

AMIENS.

DER BRIEF.

DER BRIEF.

PARIS.

DIE PERÜCKE.

DER PULS.

DER EHEMANN.

DIE HANDSCHUHE.

DIE ÜBERSETZUNG.

DER ZWERG.

DAS BLÜMLEIN.

EINE EMPFINDSAME REISE DURCH FRANKREICH UND ITALIEN. VON MR. YORICK.

DIEFILLE DE CHAMBRE.

DER PASS.

DER PASS.

DER GEFANGENE.

DER STAR.

DIE ANREDE.

LE PATISSIER.

DER DEGEN.

DER PASS.

DER PASS.

DER PASS.

DER PASS.

CHARAKTER.

DIE VERSUCHUNG.

DIE ÜBERWINDUNG.

DAS GEHEIMNIS.

DIE GEWISSENSFRAGE.

DAS RÄTSEL.

LE DIMANCHE.

DAS FRAGMENT.

DAS FRAGMENT.

DAS FRAGMENT UND DAS BOUQUET.

EIN WERK DER MILDTÄTIGKEIT.

DES RÄTSELS LÖSUNG.

PARIS.

MARIA.

MARIA.

MARIA.

DAS BOURBONNOIS.

DAS ABENDESSEN.

DAS GRATIAS.

DER DELIKATE FALL.

BRIEFE AN ELIZA

FORTSETZUNG DES TAGEBUCHS DES BRAHMANEN

EIN POLITISCHES MÄRLEIN, &C.

MEMORANDUM.

POSTSKRIPT.

DER SCHLÜSSEL.

EIN FRAGMENT IN RABELAIS’SCHER MANIER

1stes Kap.

2tes Kap.

EIN IMPROMPTU

EIN IMPROMPTU

ZWEI EPITAPHE

MEMORANDUM

ENGLISCHE FEINHEIT, DEUTSCHE EXZESSE UND DIE ALLGEGENWART DER TRIEBE

DIE DEUTSCHEN ÜBERSETZUNGEN

WEITERFÜHRENDE LEKTÜRE

Inhaltsverzeichnis

EINEEMPFINDSAME REISEDURCHFRANKREICHUNDITALIEN. VON MR. YORICK.

BAND I.

EINEEMPFINDSAME REISE&C. &C.

– IN Frankreich, sagt’ ich, greift man die Chose besser an –

 

– Ihr wart in Frankreich? fuhr mein Gentleman mit dem artigsten Triumph der Welt rasch gegen mich los. – Seltsam! sprach ich, dieweil ich die Sache erwog, daß eine Seereise von einundzwanzig Meilen zu Schiffe, denn weiter ist’s schlechterdings nicht von Dover nach Calais, einem Manne solche Vorteile schafft – ich will den Grund davon ersehen: so gab ich denn das Diskutieren drein – lief stracks auf meine Stube, packte ein halb Dutzend Hemden und ein Paar schwarz-atlaßne Kniehosen – »der Rock, den ich trage«, sagt’ ich und blickte auf den Ärmel, »dünkt mich noch schicklich« – belegte einen Platz in der Kutsche nach Dover; und da das Paketboot um Neun den nächsten Morgen segelte – hatte ich mich um Drei zur Mittagstafel mit einem fricassierten Huhn so untrüglich in Frankreich niedergelassen, daß, wäre ich selbige Nacht an einer Indigestion verblichen, die ganze Welt den Vollzug des Droits d’aubaine[*][1]nicht hätte hindern können – meine Hemden und mein Paar schwarz-atlaßne Kniehosen – Mantelsack[2] und Alles wären dem König von Frankreich[3] angestorben – selbst das kleine Bild, das ich so lange getragen und wovon ich Dir, Eliza[4], so oft gesagt, ich wolle es mit in mein Grab nehmen, hätte man mir vom Halse gerissen. – Schimpflich! – sich des Wrackguts eines arglosen Passagiers zu bemächtigen, den Eure Untertanen an ihre Küste gewinkt – beim Himmel! Sire, das ist nicht wohlgetan; und es schmerzet mich in der Seele, daß es der Monarch eines so gesitteten und höflichen und ob seiner zarten Empfindung und seines Feingefühls so renommierten Volkes ist, mit dem ich rechten muß ––

Allein, ich habe ja noch kaum den Fuß in Eure Ländereien gesetzt ––

CALAIS.

ALS ich mein Mittagsmahl verzehrt und auf das Wohl des Königs von Frankreich getrunken, um mich deß zu getrösten, daß ich keinen Groll wider ihn hegte, sondern im Gegenteil Hochachtung für seinen menschenfreundlichen Sinn –– da erhob ich mich ob der Aussöhnung um einen Zoll gewachsen.

 

– Nein – sagt’ ich – die Bourbonen sind durchaus kein grausames Geschlecht: sie mögen irregehen, just wie andere Menschen, doch liegt ihnen eine gewisse Sanftmut im Blut. Bei diesem Bekenntnis fühlte ich eine zartere Ergießung auf meiner Wange – wärmer und dem Menschen wohltätiger als ein Burgunder (zumindest solcher um 2 Livre[5] die Flasche, wie ich soeben getrunken) hätte auswirken können.

 

– Gerechter Gott! sagte ich und stieß mit dem Fuß meinen Mantelsack beiseite, was liegt an den Gütern dieser Welt, die doch nur unsern Sinn erbittern und viele unserer gutherzigen Brüder so grausam ins Zerwürfnis zieh’n, wie’s ja bisweilen geschieht?

 

Wenn der Mensch mit den Menschen Frieden hält, wieviel leichter denn eine Feder wiegt dann das schwerste Metall in seiner Hand! Er holt seinen Beutel herfür, und indem er ihn leichten Sinnes und locker hält, blicket er in die Runde, als suche er eine Kreatur, auf daß er ihr etwas daraus zufließen lasse – Als ich dies tat, fühlte ich jedes Gefäß meines Leibes schwellen – die Adern pochten allesamt freudig in eins, und jede das Leben erhaltende Kraft verrichtete ihr Werk mit so wenig Friktion, daß es die ärgste physical precieuse[6] in Frankreich würde beschämt haben: bei all ihrem Materialismus hätte sie mich doch schwerlich eine Maschine heißen können –

 

Ich bin gewiß, sprach ich zu mir, ich hätte ihren Glauben umgestürzt.

 

Das Zutun dieser Vorstellung führte die Natur damals auf ihre äußerste Höhe – mit der Welt war ich bereits zuvor im Frieden, und hiermit ward der Vertrag mit mir selbst besiegelt –

 

– Wäre ich König von Frankreich, rief ich – welch ein Augenblick für eine Waise, ihres Vaters Mantelsack von mir zu erbitten!

DER MÖNCH.

CALAIS.

KAUM daß mir die Worte entschlüpft, trat ein armer Mönch vom Orden des heiligen Franziskus[7] ins Zimmer, etwas für sein Kloster zu erbitten. Niemand möchte seine Tugenden als Spielball in der Hand des Zufalls wissen – und der Eine mag großmütig sein, so wie ein Anderer vielleicht hochmögend – sed non, quo ad hanc[8] – oder wie auch immer – denn Ebbe und Flut unserer Körpersäfte ermangeln der ordentlichen Begründung; sie könnten, so viel ich sehe, von den nämlichen Ursachen abhängen, als welche auch die Gezeiten regieren – es würde unserem Ruf oftmals nicht schaden, glaubten wir dies: ich meinesteils zumindest wäre gewiß in manch einem Falle ungleich zufriedener, sagte die Welt, »ich hätte einen Handel mit dem Mond gehabt, worin ja weder Sünde noch Schande liege«, als wenn sie es glatterdings für mein Tun und Handeln erklärte, worin von beidem doch so viel läge.

 

– Doch dem sei wie ihm wolle. Den Moment, da ich ihn ins Auge faßte, beschloß ich zum voraus, ihm keinen einz’gen Sou zu geben; drum schob ich die Börse ein – knöpfte die Tasche zu – warf mich ein wenig in die Brust und trat ihm gravitätisch entgegen: es lag wohl etwas, fürcht’ ich, Abschreckendes in meiner Miene: ich sehe seine Gestalt diesen Augenblick vor mir und glaube, es eignete ihr etwas, das eine bessere Behandlung verdiente.

 

Der Mönch, dies verriet mir die Lücke in seiner Tonsur, ein paar versprengte weiße Haare an den Schläfen machten den Rest, mochte um die siebenzig sein – allein nach seinem Blick zu schließen und dem gewissen Feuer darin, welches mehr durch Höflichkeit denn durch die Jahre gemäßigt wirkte, konnte er nicht über die sechzig zählen – die Wahrheit mochte mitten inne liegen – Er war gewiß fünfundsechzig; und der allgemeine Eindruck seiner Züge, unerachtet daß Etwas vor der Zeit Furchen hineingezogen zu haben schien, stimmte zu dieser Rechnung.

 

Es war einer jener Köpfe, wie Guido[9] sie oft gemalt – milde, bleich – durchdringend, fern jedwedem gemeinen Begriff einer feisten, genügsamen, den Blick an die Erde gekehrten Ignoranz – er blickte vorwärts; indes doch so, als blicke er auf Etwas jenseits dieser Welt. Wie einer seines Ordens zu diesem Haupte kam, das weiß am besten noch der Himmel, welcher es auf die Schultern eines Mönchleins pflanzte: allein, es hätte einem Brahmanen[10] geziemt, und wär’s mir in den Ebenen Hindostans[11] begegnet, ich hätte ihm Reverenz gezollt.

 

Sein übriger Umriß ist mit wenig Strichen gegeben; man könnte ihn von jeglicher Hand abzeichnen lassen, denn weder war er elegant noch sonst Etwas, außer wozu Charakter und Ausdruck ihn eben machten: eine dünne, schmale Figur, ein wenig über die gewöhnliche Größe, wofern sie dieses Merkmal nicht durch ihre gebeugte Stellung verlor – doch war es eine bittende Haltung; und wie sie sich meiner Einbildung itzt präsentiert, gewann sie dadurch mehr, als sie verlor.

 

Als er drei Schritte ins Zimmer gesetzt, stund er still; und indem er sich die Linke auf die Brust legte, (die Rechte hielt einen schlanken, weißen Reisestab umfaßt) – machte er sich, während ich dicht an ihn trat, mit einer kleinen Geschichte von der Bedürftigkeit seines Klosters und der Armut seines Ordens bekannt – und tat’s mit solch schlichtem, gutem Anstand – auch sprach aus der ganzen Manier von Blick und Gestalt etwas so Vergebung Heischendes – ich muß behext gewesen sein, daß es mir nicht ins Herz drang –

 

– Ein besserer Grund war, ich hatte im Voraus beschlossen, ihm keinen einz’gen Sou zu geben.

DER MÖNCH.

CALAIS.

– WIE so wahr, sprach ich, als Replik auf den empor gesandten Blick, womit er seine Anrede geendigt hatte – wie so wahr – und sei der Himmel die Zuflucht derer, die sich keine andere wissen als die Mildtätigkeit der Welt, denn deren Bestand, wie ich wohl besorge, langt bei weitem nicht aus, die vielen großen Ansprüche zu befriedigen, so man stündlich an sie stellt.

 

Als ich die Worte große Ansprüche äußerte, streifte sein Blick flüchtig den Ärmel seiner Kutte – ich empfand die ganze Schwere des Verweises – ich bekenne, sagte ich – ein rauhes Habit und dies nur einmal in drei Jahren, bei magerer Kost – das sind nicht eben große Dinge; und den wahren Jammer macht, wo man in der Welt mit so geringem Fleiße dazu kommen kann, daß Euer Orden sie sich zu verschaffen trachtet, indem er nach einem Kapitale eifert, welches den Lahmen, den Blinden, den Betagten und den Gebrechlichen gehört – auch dem Gefangnen, welcher darniederliegt und die Tage seiner Trübsal zählt und abermal zählt, er schmachtet gleichfalls nach seinem Anteil daran; und wäret Ihr vom Orden der barmherzigen Brüder[12], statt von dem des heiligen Franziskus, arm wie ich bin, fuhr ich fort und deutete auf meinen Mantelsack, mit Freuden sollte er Euch aufgeschnürt worden sein für den Loskauf der Unglücklichen – Der Mönch bezeigte mir eine artige Verbeugung – vor allen anderen freilich, fuhr ich fort, besitzen die Unglücklichen unseres eignen Landes fürwahr das erste Anrecht; und ich ließ an unserer eignen Küste Tausende im Elend zurück – Der Mönch gab ein herzliches Nicken – als wolle er sagen, Gewißlich doch, es haust des Elends viel genug in jedem Winkel der Welt, so gut als in unserem Kloster – Doch wir unterscheiden, sagte ich, indem ich ihm die Hand auf den Kuttenärmel legte, um ihm den Verweis zu vergelten – wir unterscheiden, mein guter Pater! zwischen denen, die bloß das Brot ihrer eignen Müh’n zu verzehren trachten – und jenen, die das Brot andrer Leute essen und sonst kein andres Absehen im Leben haben, als es in Faulheit und Ignoranz hinzubringen, um Gottes willen.

 

Der arme Franziskaner antwortete nichts: eine hektische Röte huschte ihm über die Wangen, vermochte sich dort aber nicht zu halten – die Natur schien ihm keine Ressentiments mehr gelassen zu haben; er bezeigte keines – sondern ließ den Stab in die Armbeuge sinken, preßte beide Hände entsagungsvoll an die Brust und beurlaubte sich.

DER MÖNCH.

CALAIS.

GLEICH einem Stich fuhr’s mir ins Herz, den Augenblick, da er die Türe schloß – Pah! sagt’ ich mit erborgter Ungerührtheit zu dreien Malen – indes verschlug es nichts: Jede schroffe Silbe, so mir entfleucht, bestürmte mir erneut die Phantasie: Ich besann mich, daß mir dem armen Franziskaner gegenüber einzig das Recht gebührte, ihn abzuweisen; und daß allein dies schon genug der Strafe war für den Enttäuschten, auch ohne Dreingabe barscher Worte – Ich bedachte sein graues Haar – seine artige Gestalt schien wieder einzutreten und mich sanft zu fragen, welchen Tort er mir getan? – und weshalb ich mich solcher Art wider ihn betrüge – Ich hätte zwanzig Livre für einen Advokaten gegeben – Ich habe mich sehr übel aufgeführt; sprach ich zu mir im Stillen; doch bin ich ja eben erst zu meinen Reisen aufgebrochen; und will unterwegs wohl beßre Manieren lernen.

DIE DESOBLIGEANTE.

CALAIS.

WENN ein Mensch schon unvergnüglich mit sich ist, so hat’s doch einen Vorteil, daß es ihn nämlich in eine treffliche Gemütsverfassung bringt, einen günstigen Handel zu schließen. Dieweil man nun durch Frankreich und Italien unmöglich ohne eine Chaise reisen kann – und die Natur uns gemeinhin zu dem treibt, wozu wir am besten taugen, ging ich hinaus zum Kutschenhof, etwas dergleichen für meine Zwecke, wo nicht zu kaufen, so doch zu mieten: eine alte Desobligeante[**] in der hintersten Ecke des Hofes hatte es mir beim ersten Anblick in solchem Maße angetan, daß ich alsgleich hineinstieg, und weil er mit meiner Stimmung ganz leidlich harmonierte, befahl ich dem Hausknecht, mir Monsieur Dessein, den Eigentümer des Hôtel, herbeizuexpedieren – indes sich der Monsieur Dessein[13] aber in die Vesper absentiert hatte, und ich geringe Neigung trug, dem Franziskaner zu begegnen, den ich auf der gegenüberliegenden Hofseite im Gespräch mit einer eben beim Gasthof angelangten Dame gewahrte – zog ich den Taffet-Vorhang zwischen uns, und alldieweil ich mir’s vorgesetzt, meine Reise zu beschreiben, holte ich Feder und Tinte herfür und verfaßte die Vorrede dazu in der Desobligeante.

VORREDEIN DERDESOBLIGEANTE.

SCHON so manchem peripatetischen Philosophen[14] kann nicht verborgen geblieben sein, Daß die Natur, kraft ihrer unbestreitbaren Autorität, gewisse Barrieren und Gatter errichtet hat, dem Mißvergnügen des Menschen Schranken zu setzen: sie hat ihren Zweck in höchst schlichter und kommoder Manier erzielt, indem sie ihm die schier unüberwindliche Verpflichtung aufgibt, daheim sowohl sein Behagen zu befördern als auch seine Leiden zu erdulden. Einzig dort hält sie für ihn die Dinge parat, welche am besten taugen, an seinem Glück zu partizipieren und einen Teil jener Bürde zu tragen, die doch in allen Ländern und zu allen Zeiten noch stets zu schwer gewesen ist für ein Paar Schultern. Freilich, wir sind mit der unvollkommenen Fähigkeit begabt, unser Glück bisweilen über ihre Grenzen hinaus zu spannen, allein es findet sich so eingerichtet, daß, aus Mangel an Sprachkenntnissen, Verbindungen und Bekanntschaften sowie aufgrund der andersartigen Erziehung, Sitten und Gebräuche, uns derart zahlreiche Hemmnisse entgegenstehen, wollen wir unsere Empfindungen außerhalb unserer eigenen Sphäre mitteilen, daß die Sache dadurch häufig vollends zur Unmöglichkeit gerät.

 

Hieraus folgt allemal, daß der Ausgleich des empfindsamen Handels allzeit zu Lasten des expatriierten Abenteurers geht: er muß das, wozu er wenig Gelegenheit findet, zu dem Preis kaufen, den andere fordern – ohne tüchtigen Abschlag wird sein Umgang selten als Entgeld genommen – und weil ihn dies, nebenbei bemerkt, immerfort in die Hände billigerer Makler treibt, um nur überhaupt einen Verkehr zu haben, so bedarf’s keiner großen Weissagekunst, seine Gesellschaft zu erraten –

 

Dies bringt mich zum Kernpunkt und naturgemäß (wofern mir das Geschaukel dieser Desobligeante ein Fortkommen denn erlaubt) sowohl zu den Beweg- als zu den Zweckursachen des Reisens –

 

Müßiggänger, welche ihre Heimat verlassen und ins Ausland gehen, tun dies aus einem Grund oder mit Gründen, die in einer dieser Hauptursachen wurzeln –

Gebresten des Körpers,

Gebrechlichkeit des Geistes oder

Unumgängliche Notwendigkeit.

Unter die ersten beiden rechnen all jene, die zu Lande oder zu Wasser reisen und an Dünkel, Neugier, Eitelkeit oder Milzsucht laborieren, eingeschlossen sämtliche Unterabteilungen und Kombinationen in infinitum[15].

 

Die dritte Klasse umfaßt das ganze Heer pilgernder Märtyrer; insonderheit jene Reisenden, welche ihre Reisen mit dem Privilegium des Klerus[16] antreten, entweder als Delinquenten unter Aufsicht von Hofmeistern, welche ihnen die Obrigkeit anrät – oder als durch die Grausamkeit ihrer Eltern und Vormünder des Landes verwiesene junge Gentlemen unter Aufsicht von Hofmeistern, welche ihnen Oxford, Aberdeen und Glasgow[17] empfehlen.

 

Es existiert noch eine vierte Klasse, doch deren Zahl ist so gering, daß sie keine besondere Abteilung verdiente, bestünde für ein Werk dieser Art nicht die Erfordernis, allergrößte Pünktlichkeit und Akkuratesse walten zu lassen, um einer Vermengung der Charaktere zu wehren. Und diese Männer, von denen ich rede, sind solche, welche übers Meer gehen und in der Fremde weilen, mit der Absicht, Geld zu sparen, und zwar aus diversen Gründen sowie unter diversen Vorwänden: indes sie aber eben sowohl sich selbst als Anderen eine erkleckliche Portion unnötiger Unannehmlichkeiten ersparen könnten, wollten sie nur ihr Geld daheim sparen – und da ihre Reisegründe weniger verzwickt sind als bei irgendeiner anderen Sorte Emigranten, so werde ich diese Gentlemen kenntlich machen mit der Bezeichnung

Einfache Reisende.

Sonach reduzieret sich der ganze Zirkel der Reisenden auf folgende Rubriken.

Müßige Reisende,

Wißbegierige Reisende,

Lügnerische Reisende,

Dünkelhafte Reisende,

Eitle Reisende,

Milzsüchtige Reisende.

Alsdann folgen die Reisenden aus Notwendigkeit.

Der pflichtvergessene und schurkische Reisende,

Der unglückliche und unschuldige Reisende,

Der einfache Reisende,

Und endlich (mit Verlaub) Der

Empfindsame Reisende (worunter ich meine eigene Wenigkeit verstehe) als welcher gereiset ist, worüber Rechenschaft abzulegen ich mich nunmehr niedersetze – ebenso sehr aus Notwendigkeit und besoin de Voyager[18] wie jeder andere dieser Klasse.

 

Ich weiß dabei recht wohl, daß, dieweil sich meine Reisen so gut wie meine Betrachtungen als gänzlich anderer Wurf erzeigen werden als die diejenigen meiner sämtlichen Vorgänger, ich eine gesonderte Nische ganz für mich allein hätte beanspruchen dürfen – jedoch käme ich dem Eitlen Reisenden ins Gehege, wollte ich die Aufmerksamkeit auf mich lenken, eh’ ich keine bessere Begründung dafür vorweisen könnte als die schiere Neuartigkeit meines Vehikels.

 

Meinem Leser, wenn er sich selbst unter die Reisenden zählt, mag’s genügen, daß er mittels Studium und Nachsinnen hierüber befähigt wird, sich seinen eigenen Platz und Rang in dem Verzeichnisse anzuweisen – ein nächster Schritt zur Selbsterkenntnis; denn man kann alles wetten, daß ihm noch bis auf diese Stunde ein zarter Hauch und eine gewisse Ähnlichkeit dessen anhaften, was er eingesogen oder mit sich hinausgetragen.

 

Der Mann, der als erster die Burgunderrebe ans Kap der Guten Hoffnung verpflanzte (merke, es war ein Holländischer), ließ sich’s im Traum nicht einfallen, er werde den nämlichen Wein am Kap trinken, den die nämliche Rebe auf Frankreichs Hügeln hervorbrachte – dazu war er zu phlegmatisch – zweifellos jedoch gewärtigte er, einen weinartigen Saft zu trinken; ob indessen gut, schlecht oder leidlich – er war in dieser Welt hinlänglich bewandert, um Bescheid zu haben, daß dies nicht in seinem Belieben stand, sondern daß über seinen Erfolg das entscheiden würde, was man insgemein Zufall heißet: gleichwohl hoffte er das Beste; und in diesem Hoffen und durch ein maßloses Vertrauen auf die Stärke seines Kopfes und die Tiefe seiner Besonnenheit mochte Mynheer in seinem neuen Weinberg womöglich beides zuschanden bringen und durch die Aufdeckung seiner Scham eine Zielscheibe für den Spott seiner Landsleute abgeben.

 

Just so ergeht es dem armen Reisenden, der zur See und mit der Post die gesitteteren Königreiche des Globus bereist, auf der Jagd nach Wissen und Verfeinerung.

 

Wissen und Verfeinerung lassen sich allerdings gewinnen, wenn man zu diesem Behufe zur See und mit der Post reist; ob aber nützliches Wissen und echte Verfeinerungen, dies bleibt einzig eine Lotterie – und selbst da, wo dem Glücksjäger Erfolg beschieden, muß das gewonnene Kapital behutsam und besonnen eingesetzt werden, um überhaupt Profit abzuwerfen – da aber die Chancen hinsichtlich des Erwerbs wie des Gebrauchs ganz ungeheuer anders stehen, so halte ich dafür, Ein Mann würde noch genauso weise handeln, brächte er es über sich, ohne ausländisches Wissen und ohne ausländische Verfeinerung zufrieden zu leben, zumal wenn er in einem Lande lebt, das an beidem keinen so gänzlichen Mangel leidet – und fürwahr, wie viel Herzeleid hat es mir nicht oft und zu wiederholten Malen gemacht, mußte ich beobachten, wie viele garstige Wege der wißbegierige Reisende beschritten hat, um Aussichten zu ergattern und Entdeckungen auf den Grund zu gehen; was alles man, wie Sancho Pança zu Don Quixote sagte[19], trockenen Fußes auch zu Haus hätte haben können. Unser Jahrhundert ist so von Licht durchströmt, daß wohl kaum ein Land oder Winkel in Europa existiert, dessen Strahlen sich nicht kreuzten und ineinander mengten – Mit den meisten Wissenszweigen verhält es sich auch größtenteils wie mit der Musik auf einer italienischen Gasse, an der ebenfalls jene Anteil haben können, die nichts bezahlen – Doch es lebt keine Nation unter dem Himmel – und Gott (vor dessen Richterstuhl ich dermaleinst werde treten und Rechenschaft geben müssen von diesem Werk) ist mein Zeuge – daß aus mir keine Prahlsucht spricht – Doch es lebt keine Nation unter dem Himmel, die reicher wäre an vielseitiger Gelehrsamkeit – wo man die Wissenschaften schicklicher umwerben und gewisser erobern könnte als hier, wo die Kunst ermutigt und schon so bald in Aufschwung kommen wird – wo die Natur (nehmt alles nur in allem) sich so wenig stiefmütterlich zeigt – und wo, zum guten Schluß, mehr Witz und Mannigfaltigkeit des Charakters blühen zur geistigen Ernährung – Wohin denn also, werte Landsleute, des Weges –

 

– Wir kommen nur diese Chaise zu besehen, sprachen sie – Aller gehorsamster Diener, sagte ich, indem ich herfürsprang und den Hut abzog – Uns verlangte nur zu wissen, sagte der eine, der mich ein wißbegieriger Reisender dünkte – von wannen wohl ihre Bewegung rührt. – Die Erschütterung, sagt’ ich kaltsinnig, beim Schreiben einer Vorrede macht’s – Dies ist mir gar neu, sagte der andere, ein einfacher Reisender, daß jemand eine Vorrede schreibt in einer Desobligeante. – Es hätte sich besser angelassen, sagt’ ich, in einem Vis a Vis[20].

 

– Weil ein Engländer sich nicht auf Reisen begibt, um Engländer zu sehen, so entfernte ich mich nach meinem Zimmer.

CALAIS

WIE ich den Corridor nach meinem Zimmer hin durchschritt, bemerkte ich, daß außer mir noch etwas dort seinen Schatten warf; wirklich war es auch Mons. Dessein, der Eigentümer des Hôtel, der mir, just aus der Vesper[21] gekommen und den Hut unterm Arm, höchst beflissen folgte, um mich an meine Bedürfnisse zu erinnern. Beim Schreiben war mir alle Lust auf die Desobligeante gründlich vergangen; und weil Mons. Dessein nur ein Achselzucken dafür erübrigen mochte, als komme sie für mich unmöglich in Frage, so schoß mir augenblicks durch den Sinn, daß sie irgendeinem unschuldigen Reisenden gehören mußte, der es bei der Rückkehr in die Heimat Mons. Desseins Biedersinn überlassen hatte, das Beste daraus zu machen. Vier Monate waren verflossen, seit die Chaise ihre Carrière durch Europa im Winkel von Mons. Desseins Kutschenhof geendigt hatte; und da sie von dort bereits als zusammengeflicktes Ding hinausgerollt war, so hatte sie, ob sie gleich am Mont Cenis[22] zweimal zerlegt worden, durch ihre Abenteuer doch wenig gewonnen – am wenigsten freilich durch den viele Monate langen unbeklagten Aufenthalt im Winkel von Mons. Desseins Kutschenhof. Viel ließ sich allerdings nicht zu ihren Gunsten vorbringen – etwas aber schon – und wenn ein paar Worte das Elend aus der Not retten können, dann verabscheue ich den Mann, der imstande ist, damit zu knausern.

 

– Wäre ich nun Eigentümer dieses Hôtel, sagte ich und tippte Mons. Dessein mit der Spitze meines Zeigefingers vor die Brust, so würde ich es mir unweigerlich angelegen sein lassen, mir diese unglückselige Desobligeante vom Halse zu schaffen – sie stehet da und überhäuft Euch mit Vorwürfen, so oft Ihr daran vorübergeht –

 

Mon Dieu![23] sagte Mons. Dessein – Ich habe keinerlei Interesse dabei – Ausgenommen jenes Interesse, sagte ich, das Männer von einer gewissen Denkungsart, Mons. Dessein, an den eigenen Empfindungen nehmen – Ich bin überzeugt, einem Manne, der ebenso gut ein Herz für andere hat wie für sich selbst, muß jede regnichte Nacht, verbergt es nur nach Kräften, aufs Gemüte schlagen – Ihr leidet, Mons. Dessein, so sehr als wie der Karren –

 

Es ist mir allzeit so begegnet, daß wenn in einem Kompliment gleich viel Saures wie Süßes steckt, ein Engländer stets in Verlegenheit gerät, ob er es annehmen oder die Finger davon lassen soll: niemals so bei einem Franzosen: Mons. Dessein bezeigte mir eine Verbeugung.

 

C’est bien vrai[24], meinte er – Allein in diesem Falle würde ich nur eine Bangigkeit gegen eine andere eintauschen, obendrein mit Verlust: Denkt Euch doch nur einmal, mein werter Sir, wenn ich Euch eine Chaise gäbe, welche in Stücken ginge, eh’ daß Ihr noch auf halbem Wege nach Paris wäret – denkt Euch doch nur einmal, wie sehr ich dafür büßen müßte, einem Mann von Ehre eine so empfindliche Meinung von mir beigebracht zu wissen und wohl oder übel der Gnade d’un homme d’esprit[25] ganz und gar ausgeliefert zu sein.

 

Die Pille war akkurat nach meinem eignen Rezept gedreht; also konnte ich nicht umhin, sie zu schlucken – und indem ich Mons. Dessein gleichfalls eine Verbeugung bezeigte, verfügten wir uns, ohne fernere Spitzfindigkeiten, selbander[26] nach seiner Remise[27], das Wagenmagazin zu inspizieren.

AUF DER STRASSE.

CALAIS.

ES muß allerdings eine feindselige Welt sein, wo der Käufer (und gelte es auch nur eine schäbige Postchaise) mit dem Verkäufer zwecks Beilegung ihrer Unstimmigkeiten nicht auf die Gasse treten kann, ohne alsogleich in die nämliche Gemütsverfassung zu geraten und seinen Vertragspartner mit demselben Blick zu messen, als schritte er mit ihm nach Hyde Park Corner zum Duell. Sintemal ich im Fechten ein Stümper bin und Monsieur Dessein keineswegs die Spitze bieten kann, merkte ich zuinnerst den Umlauf all der diversen Anwandlungen, die in einer solchen Situation gewöhnlich rege werden – ich durchbohrte Monsieur Dessein mit dem Blick – nahm ihn beim Gehen aufs Korn, bald im Profil – bald en face[28] – vermeinte, er ähnele einem Juden – dann einem Türken – mißbilligte seine Perücke – verfluchte ihn bei meinen Göttern – wünschte ihn zum Teufel –

 

– Und all dies soll im Herzen auflodern wegen der lumpigen Summe von 3 oder 4 Louisdor, worum ich doch allenfalls geprellt werden kann? – Niedrige Leidenschaft! sagte ich, indem ich auf dem Absatz kehrtmachte, wie man bei einem jähen Umschwung des Gefühls ganz unwillkürlich tut – niedrige, schnöde Leidenschaft! Deine Hand ist wider Jedermann[29] und Jedermanns Hand wider dich – Gott behüte! sagte sie und hob die Hand vor die Stirne, denn ich hatte justament Fronte vor der Dame gemacht, welche ich im Gespräch mit dem Mönch gesehen – sie war uns unvermerkt gefolgt – Gott behüte, fürwahr! sagte ich und bot ihr meine – Sie trug ein Paar schwarze Seidenhandschuhe, offen nur an Daumen und zwei Vorderfingern, und so nahm sie meine Hand ohne Vorbehalt – und ich führte sie vor das Tor der Remise.

 

Monsieur Dessein hatte mehr als fünfzig Mal über den Schlüssel diablieret[30], bevor er inne ward, daß er den falschen mit sich führte: wir waren ebenso ungeduldig wie er, das Tor aufgeschlossen zu sehen; und so befaßt mit dem Hindernis, daß ich, bald ohne es zu wissen, in einem fort ihre Hand hielt; dergestalt daß Monsieur Dessein uns miteinander zurückließ, ihre Hand in der meinen, unsere Gesichter gegen das Remisentor gekehrt, und versprach, in fünf Minuten zu retournieren[31].

 

Nun ist ein Gespräch von fünf Minuten in solch einer Situation gleich wertvoll als eines von ebenso vielen Jahrhunderten, bei welchem die Gesichter gegen die Straße gewandt sind: im letzteren Falle speist es sich aus den äußeren Dingen und Begebenheiten – starren die Augen auf ein lebloses Nichts – so speist man es rein aus sich selbst. Schon ein einziger Augenblick des Stillschweigens nach Monsieur Desseins Entfernung wäre der Situation verderblich gewesen – die Dame hätte sich unfehlbar umgedreht – darum begann ich augenblicks die Konversation. –

 

– Allein worin die Versuchung lag, (denn ich schreibe nicht, um die Schwachheiten meines Herzens auf dieser Tour zu rechtfertigen, – sondern um davon zu berichten) – dies soll ebenso schlicht geschildert werden, wie ich sie empfand.

DAS REMISENTOR.

CALAIS.

ALS ich dem Leser sagte, ich hätte deswegen keine Lust verspürt, der Desobligeante zu entsteigen, weil ich den Mönch in eindringlichem Gespräch mit einer just beim Gasthof angelangten Dame gewahrte – da sagte ich ihm die Wahrheit; aber ich sagte sie ihm nicht zur Gänze; denn ebenso hemmten mich Erscheinung und Gestalt der Dame, mit welcher er sprach. Argwohn keimte in mir und flüsterte, er berichte ihr den Vorfall: drauf kam ein Mißton in mein Inneres – ich wünschte ihn nach seinem Kloster.

 

Fliegt das Herz dem Verstande voran, so erspart es der Urteilskraft unsägliche Mühe – ich war gewiß, sie gehörte einer besseren Klasse an – gleichwohl gedachte ich ihrer nicht weiter, sondern machte mich ans Verfassen meiner Vorrede.

 

Der Eindruck kehrte mir wieder, als ich ihr auf der Straße begegnete; die schüchterne Freimütigkeit, womit sie mir die Hand reichte, verriet, so glaubte ich, ihre gute Erziehung und ihren feinen Takt; und wie ich sie geleitete, spürte ich eine liebliche Fügsamkeit, welche mein ganzes Gemüt mit heiterer Gelassenheit erfüllte –

 

– Guter Gott! wie ließe sich ein solches Geschöpf von einem Manne nicht um die ganze Welt führen! –

 

Noch blieb mir ihr Gesicht verborgen – doch was verschlug’s; denn das Gemälde ward im Nu entworfen, und lange bevor wir beim Remisentor angelangt, hatte die Phantasie den ganzen Kopf vollendet und ergötzte sich ebenso sehr daran, daß er ihrer Göttin so gut ließ, als wäre sie danach auf den Grund des TIBER getaucht[32] – aber Du bist eine verlockte und verlockende Lose; und ob Du uns gleich des Tages siebenmal mit deinen Bildern und Vorstellungen umgaukelst, so tust Du es doch mit großem Zauber, und Du zierest deine Bilder mit den Gestalten so vieler Engel des Lichts, daß es schandbar ist, sich mit Dir zu entzweien.

 

Als wir vor dem Tor der Remise standen, zog sie die Hand von der Stirne ab und ließ mich das Original sehen – ein Gesicht von ungefähr sechsundzwanzig Jahren – von einem hellen, durchscheinenden Braun, schlicht im Putze, ohne Rouge und ohne Puder – nicht eigentlich schön im kunstrichterlichen Sinne, allein es lag darin etwas, das mich in meiner dermaligen Stimmung weit mehr einnahm – es war anrührend; mich dünkte, es trüge den Ausdruck des Witwenschmerzes, und zwar in jenem Stadium der Linderung, wo die beiden ersten Paroxysmen[33] des Grams überwunden sind und man beginnt, sich still in den Verlust zu schicken – doch mochten auch tausend andere Kümmernisse diese Linien gezogen haben; gar zu gern hätt’ ich gewußt, was sie verursacht – und stand halb im Begriff zu fragen (würde der bon ton[34] der Konversation es wie in den Tagen Ezras[35] gestattet haben) – »Was fehlet dir? Und worum beunruhigest du dich? Und warum ist dein Sinn bedrückt?« – Kurzum, ich empfand ein Wohlwollen für sie; und beschloß, auf diese oder jene Weise mein Scherflein[36] Artigkeit einzulegen – wenn nicht gar Dienstbegier.

 

Dies also nun waren meine Versuchungen – und in der Stimmung, ihnen Raum zu geben, ließ man mich mit der Dame allein, ihre Hand in meiner und unsere beiden Gesichter näher am Remisentor als unbedingt vonnöten.

DAS REMISENTOR.

CALAIS.

GEWISS, schöne Dame! sagte ich, indem ich ihre Hand um einen Hauch emporhob, muß dies einer von Fortunas wundersamen Einfällen sein: zwei einander gänzlich Fremde bei den Händen zu fassen – verschiedenen Geschlechts, vielleicht aus völlig andern Hemisphären und gemeinsam binnen eines Augenblicks in eine so cordiale[37] Lage zu versetzen, als die Freundschaft selbst kaum würde haben herbeiführen können und hätte sie auch einen ganzen Monat drauf projektiert –

 

– Und Euer Nachsinnen hierüber zeigt an, wie sehr, Monsieur, Euch jene durch diesen Zufall verlegen macht. –

 

Wenn die Lage unseren Wünschen entspricht, so ist nichts verfehlter als ein Fingerzeig auf die Umstände, welche sie bewirkten: Ihr dankt Fortunen, fuhr sie fort – mit Fug und Recht – das Herz wußte es und war’s zufrieden; und wer, außer einem englischen Philosophen[38], hätte es sich einfallen lassen, dem Verstande ein Avis[39] zu geben, das Urteil abzuändern?

 

Sowie sie dies sagte, entzog sie mir ihre Hand mit einem Blick, der mich eine hinlängliche Auslegung des Textes dünkte.

 

Es ist ein klägliches Bild, das ich hier von der Schwachheit meines Herzen gebe, indem ich bekenne, daß es Martern litt, die würdigere Veranlassungen ihm nicht hätten schaffen können. – Ich kränkte mich über den Verlust ihrer Hand, und die Art, wie ich sie verloren, goß weder Öl noch Wein in die Wunde[40]: nie noch in meinem Leben hatte ich den Schmerz blöder Unterlegenheit so erbärmlich verspürt.

 

Die Triumphe eines wahrhaft weiblichen Herzens über derlei Schlappen währen kurz. Nach wenigen Sekunden schon legte sie ihre Hand auf meinen Rockaufschlag, um ihre Entgegnung zu schließen; und also gelangte ich, auf die eine oder andere Art, Gott weiß wie, in meine vorige Lage.

 

– Sie wußte nichts hinzuzufügen.

 

Augenblicks entwarf ich ein andres Gespräch für die Dame, denn sowohl aus dem Geist als aus der Moral des Voraufgegangenen schloß ich, daß ich mich über ihren Charakter getäuscht hatte; allein, als sie mir das Gesicht zuwandte, war der befeuernde Geist der Erwiderung verflogen – die Muskeln entspannten sich, und ich sah wieder denselben schutzlosen Blick des Kummers, der zuerst meine Teilnehmung geweckt hatte – Betrüblich! solche Munterkeit als Beute des Grams zu sehen. Sie dauerte mich aus dem Grunde meiner Seele; und mag’s auch einem stumpfen Herzen noch so lachhaft erscheinen, – ich hätte sie in meine Arme schließen und caressieren[41] können, auf offener Straße, ohne darob zu erröten.

 

Die pochenden Pulse in meinen Fingern, die ihre drückten, vermittelten ihr, was in meinem Innern vor sich ging; sie senkte den Blick – einen Lidschlag lang herrschte Schweigen.

 

In dieser Pause, fürcht’ ich, ließ ich mir wohl ein leises Bestreben abmerken, ihre Hand enger zu umfassen, spürte ich doch, wie’s sich in der meinigen zart regte – nicht als wolle sie mir ihre entziehen – sondern als erwäge sie es – und ich würde sie unfehlbar ein zweites Mal verloren haben, hätte mir nicht der Instinkt mehr als der Verstand die letzte Auskunft in derlei Gefahren gewiesen – sie nämlich lose und auf eine Weise zu halten, als wolle ich sie meinerseits jeden Augenblick freigeben; so ließ sie es hingehen, bis Monsieur Dessein mit dem Schlüssel erschien; und derweil überlegte ich, wie sich der üble Eindruck revidieren ließe, den die Geschichte des armen Mönchs, so er sie ihr erzählt, ihrem Busen zu meinem Nachteil eingepflanzt haben mußte.

DIE SCHNUPFTABAKDOSE.

CALAIS.

JUST als mir der Gedanke in den Sinn geriet, war der gute alte Mönch an die sechs Schritte entfernt; er hielt indes nicht geradewegs auf uns zu, sondern schien noch zu schwanken, ob er uns stören solle oder nicht. – Gleichwohl blieb er mit unsäglichem Freimut stehen, sobald er in unsere Nähe gelangte; und da er gerade eine hörnerne Schnupftabakdose in der Hand hielt, streckte er sie mir geöffnet hin – Ihr sollt meinen versuchen – sagte ich, indem ich meine Dose zückte (die klein war und von Schildkrot) und ihm in die Hand gab – Ein erlesenes Stück, sagte der Mönch; so erweist mir die Gunst, versetzte ich, die Dose anzunehmen, wie sie eben ist, und zwickt Ihr eine Prise daraus, so entsinnt Euch zuweilen, daß es die Versöhnungsgabe eines Mannes gewesen, welcher Euch einmal unfreundlich begegnete, doch nicht von Herzen.

 

Der arme Mönch ward blutrot. Mon Dieu! sagte er und preßte die Hände aneinander – nie noch seid Ihr mir unfreundlich begegnet. – Ich sollte meinen, sprach die Dame, dies sähe ihm nicht gleich. Itzt war’s an mir zu erröten; indes aus welchen Regungen, dies zu zergliedern überlasse ich den Wenigen, welche es zu dergleichen drängt – Verzeiht mir, Madame, erwiderte ich – wohl bin ich ihm unfreundlich begegnet; und ganz ohne Grund – ’s kann gewiß nicht sein, sagte die Dame. – Um Gott! beteuerte der Mönch mit einer Wärme, die ihm nicht eigen schien – die Schuld trifft mich und meinen unbedachten Eifer – dem widersprach die Dame, und im Verein mit ihr beharrte ich, ein so wohl eingerichteter Geist wie der seine könne doch unmöglich jemandem anstößig sein.

 

Nie hatte mir geahnt, daß eine Zankerei sich den Nerven als so angenehm und wohltätig erweisen könnte, wie ich es damals fühlte. – Wir schwiegen eine Weile, ohne eine Spur jener törichten Peinlichkeit zu empfinden, die sich einzustellen pflegt, wenn man in einem solchen Kreise einander zehn Minuten stumm ins Gesicht blickt. Unter diesem Stilleschweigen rieb der Mönch seine hörnerne Dose am Ärmel seiner Kutte; und sobald sie durch die Reibung einen Hauch von Glanz gewonnen – machte er eine tiefe Verbeugung und sagte, es sei nun freilich zu spät für die Entscheidung, ob es die Schwäche oder die Trefflichkeit unseres Gemüts gewesen, die uns in diesen Zwist geführt – doch sei dem wie ihm wolle – er bitte mich, wir möchten unsere Dosen tauschen – Bei diesen Worten bot er mir mit einer Hand die seine dar, indes er mit der anderen meine entgegennahm; und nachdem er sie geküßt – barg er sie mit überströmendem Wohlwollen im Blick an seinem Busen – und nahm Abschied.

 

Ich bewahre diese Dose wie die äußeren Andachtsmittel meiner Religion[42], um meinen Geist zum Bessern zu fördern: und verlasse auch wahrhaft selten das Haus ohne sie; und habe mit ihr schon zu wiederholten Malen den artigen Sinn ihres Besitzers herbeibeschworen, um den meinen gehörig einzurichten im Getümmel und Gerangel dieser Welt; dem seinen hatte sie, wie mich seine Geschichte lehrte, reichlich Beschäftigung geboten, bis er ungefähr in seinem fünfundvierzigsten Jahre, nach übel vergoltenen Kriegsdiensten und einer in den zärtlichsten Herzensdingen erlittenen Enttäuschung, dem Degen wie dem schönen Geschlecht Valet gesagt[43] und ebenso wohl in seinem Kloster wie in sich selbst Zuflucht genommen hatte.

 

Eine gewisse Verzagtheit befällt mich, da ich nun hinzufügen muß, daß mir in Calais bei meiner letzten Durchreise auf meine Erkundigung nach dem Vater Lorenzo[44] die Auskunft zuteil ward, er sei vor beinah drei Monaten verstorben und liege nicht in seinem Kloster begraben, sondern seinem Wunsche gemäß auf einem anhangenden kleinen Kirchhof gegen sechs Meilen entfernt: Ich verspürte ein starkes Verlangen, zu sehen, wo sie ihn hingebettet hatten – als ich mit seiner kleinen Horndose in der Hand an seinem Grabe saß und zu seinen Häupten ein paar Nesseln ausraufte, die dort gänzlich fehl am Platze schienen, so verursachte mir dieses alles zusammen eine so gewaltige Gemütsbewegung, daß ich in eine Flut von Tränen ausbrach – aber ich bin weich wie ein Weib; und ich bitte die Welt, nicht zu lächeln, sondern mich zu bedauern.

DAS REMISENTOR.

CALAIS.

ICH hatte ihre Hand über die ganze Zeit nicht losgelassen; und so lange gehalten, daß es unziemlich gewesen wäre, sie freizugeben, ohne sie zuvor an meine Lippen zu drücken: Blut und Lebensgeister der Dame, welche gleichsam aus ihr gewichen, kehrten zurück, da ich’s tat.

 

Wie nun die beiden Reisenden, so im Kutschenhof mit mir parlieret, just in diesem kritischen Augenblick von ungefähr vorbeipassierten und unsern vertrauten Umgang merkten, so setzten sie’s sich freilich in den Kopf, wir müßten zum wenigsten Gatte und Gattin sein; sobald sie denn vor das Remisentor kamen, verweilten sie, und der Eine, der wißbegierige Reisende nämlich, befragte uns, ob wir den nächsten Morgen wohl nach Paris abgingen? – Ich könne allein für mich einstehen, sagte ich; und die Dame setzte hinzu, sie wolle nach Amiens. – Daselbst speisten wir gestern zu Mittag, sagte der einfache Reisende – Man kömmt stracks durch die Stadt, erklärte der andere, auf dem Wege nach Paris. Ich wollte ihm schon meinen tausendfält’gen Dank abstatten für den Fingerzeig, Amiens läge auf dem Wege nach Paris; indes ich eben die kleine Horndose meines armen Mönches gezückt, um mir eine Prise zu gönnen – so bezeigte ich ihnen nur eine schlichte Verbeugung und wünschte glückliche Überfahrt nach Dover – sie genierten uns nicht weiter –

 

– Ei, was könnte es groß schaden, sagte ich mir, die betrübte Dame zu bitten, meine Chaise mit mir zu teilen? – und welch gewaltiges Unheil sollte daraus denn schon erwachsen?

 

Jede gemeine Leidenschaft und üble Neigung in meinem Wesen schlugen Alarm auf, als ich dies in Vorschlag brachte. – Du wirst genötigt sein, ein drittes Pferd[45] zu mieten, sagte der GEIZ, und das wird dir 20 Livre aus dem Beutel locken. – Weder weißt Du, wer sie ist, mahnte der ARGWOHN – noch in welche Patsche Dich dieser Handel bringen könnte, flüsterte die FEIGHEIT –

 

Des sei gewiß, Yorick! sagte die KLUGHEIT, man wird es ausschreien, Du seiest mit einer Maitresse auf und davon und dieserhalb zum Stelldichein nach Calais gekommen –

 

– Du kannst hernach nimmermehr, rief laut die HEUCHELEI, dein Antlitz frei vor aller Welt zeigen – oder, sprach die SCHÄBIGKEIT, in der Kirche avancieren – oder etwas anderes darinne sein, sagte der STOLZ, denn ein lausiger Präbendar[46].

 

– Doch artig ist es allemal, sagte ich – und da ich gemeiniglich meinem ersten Antriebe gehorche und darum selten dieser Kabalen achte, welche, meines Wissens, zu nichts anderem taugen, als das Herz mit einer demantenen Rinde zu umwallen[47] – so drehte ich mich alsogleich nach der Dame um –

 

– Allein sie war unvermerkt entschwebt, dieweil die Sache in mir zur Verhandlung kam, und hatte, bis ich zu meinem Entschlusse gelangt, bereits zehn oder zwölf Schritte die Straße hinunter getan; darum setzte ich ihr weit ausschreitend nach, um ihr auf die aller manierlichste Art das Anerbieten zu machen; als ich jedoch bemerkte, wie sie unterm Gehen die Wange leicht in die Hand lehnte – gemessenen, nachdenklichen Schrittes ging und den Blick, als sie so Fuß vor Fuß setzte, beständig an die Erde heftete, da kam’s mir ein, sie möchte bei sich die nämliche Sache erwägen. – Gott steh’ ihr bei! sagte ich, sie muß, ebensogut wie ich, irgendeine Schwiegermutter oder Tartuff’sche Tante[48] oder ein kindisches altes Weib zu diesem Kasus konsultieren: da ich den Prozeß nicht stören wollte und es mir galanter dünkte, sie eher durch Dezenz denn Überrumpelung zu gewinnen, machte ich kehrt und spazierte ein- oder zweimal vor dem Remisentor hin und her, während sie seitwärts sinnend auf und ab wandelte.

AUF DER STRASSE.

CALAIS.

ALLDIEWEIL es in meiner Vorstellung beim ersten Anblick der Dame festgeschrieben stand, »daß sie einer besseren Klasse angehöre« – und ich hernach, gleich unbestreitbar wie das erste, als zweites Axiom[49] aufgestellt hatte, Daß sie eine Wittib sei und die Züge der Betrübnis im Gesicht trug – so trieb ich’s nicht darüber hinaus; für die Lage, die mir Plaisier schuf, genügte dieser Boden – und wäre sie bis zur Mitternacht dichte bei mir geblieben, ich würde getreulich an meinem System festgehalten und sie nur unter dieser allgemeinen Idee aufgefaßt haben.

 

Kaum hatte sie sich auf zwanzig Schritte absentiert, so verlangte etwas in mir nach einer spezielleren Erkundigung – der Gedanke an eine endgültigere Trennung regte sich – womöglich sähe ich sie niemals wieder – das Herz möchte soviel bewahren wie es vermag – und mich verlangte nach den Spuren, auf denen meine Wünsche den Weg zu ihr finden konnten, im Fall ich selbst ihr nie mehr begegnen würde: mit einem Wort, ich wollte ihren Namen erfahren – den ihrer Familie – ihren Stand; und so wie ich wußte, wohin sie ging, so wünschte ich auch zu wissen, woher sie kam: indes sah ich keine Möglichkeit, all diese Auskünfte zu erlangen: hundert kleine Delicatessen[50] standen dem entgegen. Ich projektierte ein halbes Schock[51] verschiedener Pläne – Sie frei von der Leber weg zu fragen – dies schien undenkbar.

 

Ein französischer Capitän, klein und debonaire[52], der die Straße herabtänzelte, bewies mir, es war ein Kinderspiel; denn indem er mitten zwischen uns hüpfte, just als die Dame zum Remisentor zurückkam, empfahl er sich meiner Bekanntschaft, und eh’ daß er sich noch recht angezeigt, bat er, ich möchte ihm die Ehre erweisen, ihn der Dame vorzustellen – ich war selbst nicht vorgestellt worden – drauf kehrte er sich nach ihr um und tat’s gleichwohl, indem er sie fragte, ob sie von Paris gekommen? – Nein: sie sei auf dem Wege dorthin, sagte sie. – Vous n’etez pas de Londre?[53] Das sei sie nicht, erwiderte sie. – Dann muß Madame durch Flandern gekommen sein. – Apparamment vous etez Flammande?[54] sagte der französische Capitän. Die Dame gab zur Antwort, es sei an dem. – Peutetre, de Lille?[55] fügte er hinzu – Sie sagte, sie stamme nicht aus Lille. – Oder aus Arras? – oder Cambray? – oder Gent? – oder Brüssel? Sie antwortete, sie stamme aus Brüssel.

 

Er hätte die Ehre gehabt, sagte er, bei dem Bombardement der Stadt im letzten Kriege[56] präsent zu sein – ihre Lage wäre vorzüglich, pour cela[57] – und sie sei voller Noblesse[58] gewesen nach der Vertreibung der Kaiserlichen durch die Franzosen (die Dame machte einen flüchtigen Knicks) – hierauf erstattete er ihr Bericht über das Treffen und den Anteil, so ihm dabei zugefallen – bat um die Ehre, ihren Namen zu erfahren – und entfernte sich.

 

– Et Madame a son Mari?[59] – sagte er im Umwenden, als er bereits zwei Schritte getan hatte – und ohne sich noch bis zu einer Antwort zu gedulden – tänzelte er die Straße entlang.

 

Hätte ich gleich auch sieben Jahre die feine Lebensart studiert, dies wäre mir nicht von der Hand gegangen.

DIE REMISE.

CALAIS.

ALS uns der kleine französische Capitän verließ, erschien Mons. Dessein, den Remisenschlüssel in der Hand, und führte uns prompt in sein Wagenmagazin.

 

Das erste, was mir ins Auge stach, als Mons. Dessein das Remisentor aufschwang, war eine andere alte, ramponierte Desobligeante: und ob sie gleich das genaue Abbild von jener bot, die’s mir nur eine Stunde zuvor im Kutschenhof so angetan – verursachte mir ihr bloßer Anblick doch itzt eine widrige Empfindung; und ich dachte, es muß ein schäbiger Filz sein, in dessen Herz zuerst der Gedanke hatte kriechen können, ein solches Vehikel zu konstruieren; wenig mehr Nachsicht empfand ich dem Manne gegenüber, der drauf verfallen mochte, es zu benutzen.

 

Ich merkte, daß die Dame sich ebensowenig darüber enthusiasmiert[60] zeigte wie ich: darum führte Mons. Dessein uns weiter vor ein Paar Chaisen, welche Seit’ an Seite standen, und erklärte zu ihrer Empfehlung, sie seien von den Lords A. und B. erworben worden, um die grand tour[61] zu machen, jedoch nicht über Paris hinausgelangt, und darum in jeder Hinsicht so gut als neu – Sie waren zu gut – also schritt ich fürder zu einer dritten, die dahinter stand, und begann sogleich um den Preis zu feilschen – Sie wird freilich kaum Platz für Zwei bieten, sagte ich, indem ich den Schlag öffnete und hineinkletterte – Besitzt die Güte, Madam, sagte Mons. Dessein ihr den Arm bietend, einzusteigen – Die Dame zauderte eine halbe Sekunde und stieg ein; und weil der Hausknecht in diesem Augenblicke Mons. Dessein Zeichen machte, ihn sprechen zu wollen, schlug dieser den Kutschenschlag hinter uns zu und entschwand.

DIE REMISE.

CALAIS.

C’EST bien comique, wie drollig, sagte die Dame lächelnd bei dem Gedanken, daß wir uns durch ein paar unsinnige Zufälle nun schon zum zweiten Mal miteinander allein gelassen fanden – c’est bien comique, sagte sie –

 

– Fehlt freilich noch, sagte ich, als Pfiff der drollige Gebrauch, den die Galanterie eines Franzosen davon machen würde – nämlich im ersten Augenblicke Liebeserklärungen anzutragen und im zweiten seine Person.

 

Das ist ihre Force: versetzte die Dame.

 

Zum wenigsten nimmt man dies an – und wie es dahin kommen konnte, fuhr ich fort, bleibt mir rätselhaft; doch sie genießen nun einmal den gewissen Ruf, sich besser auf die Liebe zu verstehen und sich ihr geschickter zu befleißigen als jedes andere Volk auf Erden: mir persönlich gelten sie allerdings für Erzstümper und in Wahrheit als die miserabelsten Schützen, welche Cupidos Geduld je auf die Probe stellten.

 

– Was für ein Einfall, sich der Liebe zu befleißigen durch Sentiments[62]!

 

Ebenso leicht könnt’ ich mir’s beifallen lassen, einen feinen Anzug aus Flickflecken zu schneidern: – und dies gar – piff paff puff – gleich beim ersten Anblick mit einer Erklärung zu tun – heißt den Antrag und die eigene Person obendrein mit allen pours und contres[63] der Prüfung eines unerhitzten Verstandes überliefern.

 

Die Dame merkte auf, als erwarte sie, daß ich weiterspräche.

 

Bedenket ferner, Madam, fuhr ich fort, indem ich meine Hand auf ihre legte –

 

Der Ernste haßt die Liebe um des Namens willen –

 

Der Eigensüchtige haßt sie um seiner selbst willen –

 

Der Heuchler um des Himmels willen –

 

Und daß uns alle, alt wie jung, der schiere Schall des Wortes zehnmal ärger schreckt, als er uns Schaden tut – Welch einen Mangel an Kenntnis in diesem Zweige des Umgangs verrät ein Mann, der sich das Wort früher von den Lippen gehen läßt, als wenigstens ein oder zwei Stunden nach der Zeit, da sein Schweigen darüber zur Qual gerät. Eine Reihe kleiner, stiller Aufmerksamkeiten, weder so unverblümt, daß sie beunruhigen – noch so unbestimmt, daß sie mißdeutet werden möchten, zuweilen ein zärtlicher Blick, begleitet von wenigen oder gar keinen Worten – so bleibt die Natur die Herrscherin, und sie richtet’s nach ihrer Façon. –

 

So behaupte ich im Ernste, sprach errötend die Dame, daß Ihr mir die ganze Zeit lang Liebeserklärungen gemacht.

DIE REMISE.

CALAIS.

MONSIEUR Dessein kehrte zurück, um uns aus der Chaise zu lassen und der Dame zu melden, der Graf von L–––, ihr Bruder, sei soeben im Hôtel abgestiegen. Ob ich mich gleich der Dame unendlich gewogen fand, kann ich doch nicht sagen, daß mich diese Wendung so recht von Herzen freute – und ich mußte ihr dies auch bekennen – Vereitelt es doch einen Vorschlag, Madam, sagte ich, welchen ich Euch soeben zu tun gedachte –

 

– Ihr braucht mir den Vorschlag nicht eigens zu bezeichnen, unterbrach sie mich, indem sie ihre Hand auf meine Hände legte. – Ein Mann, guter Sir, macht selten einer Frau ein freundliches Anerbieten, ohne daß ihre Intuition ihr’s nicht schon etliche Augenblicke vorher verriete –

 

Die Natur wappnet sie damit, sagte ich, zu ihrem unmittelbaren Schutze – Mir scheint indessen, sagte sie und schaute mir ins Gesicht, ich hatte nichts Arges zu befürchten und war, um aufrichtig gegen Euch zu sein, entschlossen, es anzunehmen. – Hätte ich’s getan – (sie hielt einen Augenblick inne) – ich glaube, Euer Wohlwollen würde mir eine Geschichte entlockt haben, die Mitleid zur einzig gefährlichen Sache auf dieser Reise gemacht hätte.

 

Unter diesen Worten litt sie, daß ich ihr zweimal die Hand küßte, und mit einem Blick, worin sich Zartgefühl und Kummer mischten, entstieg sie der Chaise – und sagte Adieu.

AUF DER STRASSE.

CALAIS.

NIEMALS in meinem Leben habe ich einen Handel um 12 Guineen[64] so geschwinde abgemacht: die Zeit quälte sich mir dahin nach dem Verlust der Dame, und da ich wußte, daß mir, bis ich mich in Bewegung gesetzt, ein jeder Augenblick so gut wie zwei erscheinen würde  – bestellte ich spornstreichs Postpferde und schritt nach dem Hôtel.

 

Gott! sagte ich, als ich die Stadtglocke vier schlagen hörte und mich besann, daß ich wenig über eine einz’ge Stunde zu Calais geweilt –

 

– Welch große Fülle von Abenteuern kann in dieser kleinen Lebensspanne Einer auflesen, dessen Herz an allem Anteil nimmt, und der, weil er Augen hat zu sehen, was Zeit und Glück ihm ohne Unterlaß auf seinem Wege darbieten, sich nichts entgehen läßt, worauf er mit gutem Anstand die Hände legen darf. –

 

– Trägt dies nichts ein – so wird’s etwas anderes tun – gleichviel – es ist ein Versuch mit der Natur des Menschen – die eigene Mühe ist mein Lohn – das ist genug – die Freude am Experiment hat meine Sinne und die feinen Teile meines Blutes rege erhalten und Schlaf über die gröberen gebracht.

 

Mich dauert der Mann, der von Dan bis nach Berseba[65] reisen und rufen kann, ’s ist alles öd und leer – und das ist es auch; und so muß die ganze Welt dem erscheinen, der die Früchte, die sie zu bieten hat, nicht veredeln will. Fürwahr, sprach ich, indem ich munter in die Hände klatschte, wär’ ich in einer Wüste, ich wollte schon etwas darinnen finden, das meine Zuneigung erregte – Böte sich nichts Besseres, ich heftete sie an eine süß duftende Myrte oder suchte mich einer melancholischen Zypresse innig zuzuwenden – ich buhlte um ihren Schatten und grüßte sie freundlich ihres Schirmes willen – ich schnitzte ihnen meinen Namen ein und schwüre, sie seien die herrlichsten Bäume der ganzen Wüste: welkte ihr Laub[66], ich wollte mich zur Trauer gewöhnen, und jauchzten sie, ich stimmte in ihr Jauchzen ein.

 

Der gelahrte SMELFUNGUS[67] reiste von Boulogne nach Paris – von Paris nach Rom – und so fürder – doch er trug den Spleen[68] und die Gelbsucht im Gepäck, und jeder Gegenstand, an dem er vorüberkam, erschien ihm farblos oder entstellt – Er gab eine Schilderung davon, allein es war nur die Schilderung seines elenden Befindens.

 

Ich begegnete Smelfungus im weiten Säulenrund des Pantheon – er trat eben heraus – ’s ist weiter nichts als eine ungeheure Hahnenkampfarena[***], sagte er – Ich wünschte, Ihr hättet über die Venus von Medici nichts Übleres gesagt, erwiderte ich – denn auf der Durchreise durch Florenz war’s mir zu Ohren gekommen, er sei gegen die Göttin ausfällig geworden und übler mit ihr umgesprungen als mit einer gemeinen Gassenhure ohne noch den mindesten Anlaß.

Zu Turin traf ich abermals den Smelfungus, er befand sich auf der Heimreise; und er wußte mit einer traurigen Geschichte jammervoller Abenteuer aufzuwarten »und sprach darin von manchem harten Fall, von schreckender Gefahr zu See und Land, und von den Kannibalen, die einander schlachten: die Anthropophagen[69]« – er sei bei lebendigem Leibe geschunden und mißhandelt und ärger traktiert worden als St. Bartholomäus[70], und zwar an jeder Station, die er passierte –

 

– Aller Welt, rief Smelfungus, will ich’s kundtun. Ihr tätet besser daran, sagte ich, es Eurem Arzte kundzutun.

 

Mundungus[71], unendlich vermögend, machte die ganze Tour; reiste von Rom nach Neapel – von Neapel nach Venedig – von Venedig nach Wien – nach Dresden, nach Berlin, ohne auch nur eine hochherzige menschliche Begegnung oder ersprießliche Anekdote zu berichten; indes er war stur geradezu gefahren, ohne rechts noch links zu schauen, auf daß nicht Liebe oder Mitleid ihn von seiner Straße locken möchten.

 

Friede sei mit ihnen! Wofern sie ihn finden können; doch selbst der Himmel, wäre es denn möglich, mit einer solchen Gemütsart dort hinein zu gelangen, ermangelte der Mittel, ihn zu schenken – alle seligen Geister würden sie auf Schwingen der Liebe umschweben, ihre Ankunft zu preisen – Nichts anderes würden die Seelen von Smelfungus und Mundungus vernehmen als immerzu neue Jubelgesänge, neue Liebesergießungen und neue Beglückwünschungen zu ihrer gemeinsamen Seligkeit – Ich bedauere sie herzlich: sie haben keinen Sinn für dieses Werk mit hinaufgebracht; und dürften Smelfungus und Mundungus schon in die glückseligste Wohnung des Himmels einziehen, sie wären der Glückseligkeit doch so fern, daß die Seelen von Smelfungus und Mundungus auch dort Buße täten bis in alle Ewigkeit.

MONTREUIL.

EINMAL hatte ich meinen Mantelsack hinten von der Chaise verloren, und zweimal war ich im Regen ausgestiegen und das eine Mal davon bis an die Knie im Kot versunken, um dem Postillon beim Aufpacken und Festschnüren behilflich zu sein, ohne noch auszumitteln, woran es eigentlich mangelte – Und erst als ich in Montreuil angelangt, wo mich der Wirt fragte, ob ich nicht eines Bedienten ermangele, da kam’s mir ein, daß just dies das Ding sei.

 

Ein Bedienter! Der mangelt mir leider partout, sprach ich – Dieweil, Monsieur, sagte der Wirt, es gibt hier nämlich einen gewandten jungen Burschen, der es sich höchlich zur Ehre anrechnen würde, einem Engländer zu Diensten zu sein – Weshalb denn aber lieber einem Engländer als einem anderen? – Sie sind so generös, sagte der Wirt – Ich lasse mich totschießen, wenn mich das nicht einen Livre kostet, sprach ich zu mir, gleich heute Abend – Aber sie verfügen auch über die Mittel, Monsieur, fügte er hinzu – Macht einen Livre obendrein, sprach ich – Erst letzten Abend war’s, sagte der Wirt, qu’un my Lord Anglois presentoit un ecu a la fille de chambre[72] – Tant pis, pour Madlle Janatone[73], sagte ich.

 

Da nun Janatone des Wirtes Tochter war und er mich für einen Anfänger im Französischen nahm, so erlaubte er sich die Freiheit, mich zu belehren, ich hätte nicht sollen sagen tant pis, sondern tant mieux. Tant mieux, toujours, Monsieur[74], sagte er, wenn etwas zu gewinnen steht – tant pis, wo nicht. Es läuft auf eins hinaus, sagte ich. Pardonnez moi[75], sagte der Wirt.

 

Ich werde keine trefflichere Gelegenheit finden, um ein für allemal anzuzeigen, daß, weil tant pis und tant mieux zwei der großen Angeln sind, worinnen die französische Conversation geht, ein Fremder sehr wohl beraten sein möchte, sich in ihrem Gebrauch recht wacker zu üben, ehe er nach Paris kömmt.

 

Ein vorwitziger französischer Marquis verlangte an der Tafel unseres Gesandten von Mr. H––[76] zu wissen, ob er H–– der Dichter[77] sei? Nein, sagte H–– nachsichtig – Tant pis, erwiderte der Marquis.

 

Es ist H–– der Geschichtsschreiber, sagte ein anderer – Tant mieux, sagte der Marquis. Und Mr. H––, welcher ein Mann von vortrefflichem Herzen ist, dankte verbindlich für beides.

 

Nachdem der Wirt mich in diesem Punkte rectifizieret [78]hatte, rief er La Fleur herein, so hieß der junge Mensch, von welchem er gesprochen – bemerkte aber zuvor, was dessen Fähigkeiten betreffe, sei er so frei, hierüber nichts verlauten zu lassen – Monsieur wisse selber am besten, was ihm anstünde; für die Treue des La Fleur allerdings bürge er mit seinem ganzen Vermögen.

 

Die Art, wie der Wirt dies sagte, lenkte meine Gedanken unverzüglich auf den bevorstehenden Handel – und La Fleur, welcher draußen in jener atemlosen Erwartung harrte, die jeder von uns Erdensöhnen schon irgendwann einmal verspürt hat, trat herein.

MONTREUIL.

ICH bin leicht allen Arten von Menschen gleich auf den ersten Blick zugetan; indes niemals leichter, als wenn ein armer Teufel daherkommt und einem so armen Teufel, als ich einer bin, seine Dienste anträgt; und dieser Schwäche eingedenk, gestatte ich meiner Urteilskraft allemal, genau deswegen einen gewissen Abschlag zu tun – nämlich mehr oder weniger gemäß des mich bestimmenden Modus wie des vorliegenden Kasus – und, so darf ich hinzufügen, auch des Genus der Person, welche ich regieren soll.

 

Als La Fleur ins Zimmer kam, entschieden – nachdem ich alles mir mögliche in Abzug gebracht – der lautere Blick und Anstand des Burschen die Sache sogleich zu seinem Vorteil; darum stellte ich ihn vorneweg ein – und hernach die Frage, wozu er tauge: Indes seine Fertigkeiten, sprach ich, werden sich mir erschließen, wenn ich ihrer bedarf – obenhin kann ein Franzose ja reineweg alles.

 

Nun konnte der arme La Fleur in der Welt nichts als die Trommel rühren und ein paar Märsche auf der Querpfeife blasen. Ich war entschlossen, mit seinen Fertigkeiten auszulangen; und ich kann nicht behaupten, daß meine Schwäche jemals so sehr von meiner Klugheit ausgespottet worden wäre als bei diesem Versuch.

 

La Fleur hatte bereits früh im Leben, tapfer wie die meisten Franzosen, einige Jahre gedient; als er nach Ablauf dieser Zeit jener Regung Genüge geleistet und zudem gefunden, daß die Ehre des Trommelschlagens wahrscheinlicher Weise ihren vollen Lohn in sich selbst trug, insoweit als sie ihm keine weitere Laufbahn zu fernerem Ruhme eröffnete – so retirierte er a ses terres[79] und lebte comme il plaisoit a Dieu[80] – will sagen, von der Luft.

 

– Und itzt, sprach die Klugheit, hast du einen Trommelrassler gemietet, der dir bei deiner Tour durch Frankreich und Italien aufwarten soll! Pah! sagte ich, macht nicht die Hälfte unseres Adels dieselbe Runde mit einem rasselköpfigen compagnon du voiage[81] und muß über dieses noch den Pfeifer und sonst allen Teufel bezahlen? Wenn ein Mensch es vermag, sich durch eine equivoque[82] aus einer so ungleichen Partie herauszuwickeln – ist er nicht übel dran – Aber Er kann gewiß noch etwas anderes, La Fleur? sagte ich – O qu’oui[83]! – Gamaschen schneidern und ein bißchen auf der Geige spielen – Bravo! sagte die Klugheit – Traun, ich selber spiele die Baßviole, sagt’ ich – das schickt sich trefflich. – Den Bart zu scheren und die Perücke zu frisieren weiß Er, La Fleur? – Er sei zu Allem guten Willens – Das ist dem Himmel genug! unterbrach ich ihn – und sollt’ auch mir genügen – Wie nun das Abendbrot aufgetragen ward, und ich zur einen Seite meines Stuhls einen vifen[84] englischen Stöberhund zu sitzen hatte und auf der andern einen französischen Domestiken mit so viel Fröhlichkeit im Gesicht, als die Natur je in eines malte – so war ich recht nach Herzenslust mit meinem Reich zufrieden; und wüßten die Monarchen, was sie eigentlich wollten, sie möchten ebenso zufrieden sein, als ich es war.