Endlich mal ankommen - Nils Petrat - E-Book

Endlich mal ankommen E-Book

Nils Petrat

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Beschreibung

Lebensfreude und Orientierung: Ankommen und einen Platz im Leben finden Wo kann ich Endlich mal ankommen? Was soll ich mit meinem Leben nur anfangen? Wo ist mein Platz im Leben? In Zeiten der Verunsicherung und Krise als Dauerzu-stand drängen Lebensfragen und der Wunsch nach Verortung und Freude im Leben. Zufriedenheit und Sinn im Leben zu finden ist eine herausfordernde Lebensaufgabe. Nils Petrat lädt in seinem christlichen Buch ein, gemeinsam auf die Suche zu gehen und ins Nachdenken über Sinnfrage und Sinnsuche zu kommen. - Lebenshilfe für Menschen in existentiellen Krisen und Zeiten der Umbrüche - Widerstandskraft und Persönlichkeitsentwicklung mit Hilfe christlicher Spiritualität - Erfrischendes und lebensnahes Buch für ein zufriedeneres Lebensgefühl - Rund 1,3 Mio. Menschen schauen das TV-Format "MOTZmobil" mit Nils Petrat auf PRO7 Mehr Lebenssinn durch den Kontakt mit sich selbst und christlich gelebter Spiritualität In diesem Buch finden Sie keine einfachen Antworten und Lösungen, sondern Entlas-tung und Fokussierung auf der Suche nach Halt und einem Platz im Leben. Getragen von Glaube, Liebe und Hoffnung spürt Nils Petrat den Suchwegen nach dem Kern des Lebens nach und lädt ein, die eigene Geschichte und Identität besser zu verstehen. In seinem Lebenshilfe-Buch zeigt der junge Priester auf, inwieweit Biografisches und Beheimatung einen Menschen prägen und wie die Begegnung mit sich selbst und an-deren bei der Suche nach einem gelingenden, sinnstiftenden Leben helfen kann.

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Nils Petrat

Endlich mal ankommen

Wie du deinen Platz im Leben findest

NILS PETRAT

Endlich mal ankommen

Wie du deinen Platz im Leben findest

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Klimaneutrale Produktion.

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem Papier.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch teilweise bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass bei Links im Buch zum Zeitpunkt der Linksetzung keine illegalen Inhalte auf den verlinkten Seiten erkennbar waren. Auf die aktuelle und zukünftige Gestaltung, die Inhalte oder die Urheberschaft der verlinkten Seiten hat der Verlag keinerlei Einfluss. Deshalb distanziert sich der Verlag hiermit ausdrücklich von allen Inhalten der verlinkten Seiten, die nach der Linksetzung verändert wurden, und übernimmt für diese keine Haftung. Die Internetlinks wurden, sofern nicht anders angegeben, zuletzt abgerufen am 15.12.2022.

© 2023 Bonifatius GmbH Druck | Buch | Verlag, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden, denn es ist urheberrechtlich geschützt.

Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt München, werkstattmuenchen.com

Umschlagfotos: © Tim Allgaier | telos communication

Satz: Bonifatius GmbH, Paderborn

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

eISBN 978-3-98790-906-1

Weitere Informationen zum Verlag:

www.bonifatius-verlag.de

Inhalt

1. Endlich mal ankommen. Macht das Sinn?

2. Die Suche nach dem Platz

3. Einen Platz finden – wozu eigentlich?

4. Wissen, wer ich bin

5. Wie der christliche Glaube bei der Platzsuche hilft

6. Navigation durch den Geist

7. Die eigene Berufung und das „Plus“ von Gott

8. Was beim Ankommen hilft

9. Berufung als „Gamechanger“

10. Und angekommen? Vom Glanz, der bleibt

Anmerkungen

1. Endlich mal ankommen. Macht das Sinn?

Macht es Sinn, ein Buch über den Sinn des Lebens zu schreiben? Ist es sinnvoll, den passenden Platz im Leben finden zu wollen? Und ist „Ankommen“ überhaupt erstrebenswert? – Mein Bauchgefühl sagt mir zunächst: „Absolut! Die Frage nach dem Sinn ist ein Megathema. Es gibt eine große Sehnsucht danach, endlich anzukommen.“ Aktuell finden sich unzählige Blogs und digitale Ratgeber zu diesem Thema. Besonders prominent besetzt ist beispielsweise das „Sinnsucher“-Portal www.sinnsucher.de mit Beiträgen von Benediktinerpater Anselm Grün oder der Autorin Stefanie Stahl. Selbst überregionale Zeitungen wie „DIE ZEIT“ führen mittlerweile eine eigene Online-Kategorie zu diesem Thema www.zeit.de/sinn sowie einen „Sinn-Newsletter“ mit dem Titel „Wofür leben wir?“ Und erst recht taucht die Frage nach dem Sinn in persönlichen Gesprächen sowie seelsorglicher Begleitung auf. Sie lautet dann ungefähr so:

Wo soll es mit mir hingehen, wo ist mein Platz?

Und dann ist da ja noch die Großwetterlage: In einer Zeit permanenter Verunsicherungen und Krisen (Krieg, Inflation, Klima, Corona) boomt die Suche nach Sinn und einem persönlichen Ankerplatz. Wie begegnet man unvermittelt auftretenden existenziellen Herausforderungen? Und wie geht man damit um, wenn Krisen zum gesellschaftlichen Dauerzustand werden? Die Krisen der Welt stellen Fragen an das Individuum.

Wir alle sind „Krisenmenschen“ – Soziologen sprechen vom „Ende der Illusionen“ und einer „erschöpften Gesellschaft“, Politiker von einer „Zeitenwende“ (das offizielle „Wort des Jahres“ 2022) und dem Bröckeln des gesellschaftlichen Zusammenhaltes. Das trägt zu einem Klima der allgemeinen Verunsicherung bei und macht die Frage nach dem persönlichen Lebenssinn und einem Ort des Ankommens umso drängender. Denn klar ist, dass wir in den zurückliegenden Monaten und Jahren bislang sicher Geglaubtes verloren haben, und wir merken, dass es so etwas wie Normalität nicht mehr gibt. Und da denke ich mir: Selbst aus dieser Erfahrung ließe sich hinsichtlich der Platzsuche durchaus etwas machen, wenn wir das nur wollten. Aber ist es wirklich so, dass wir alle nach dem Sinn suchen? Und ist das überhaupt zielführend? Drei Wortmeldungen aus der letzten Zeit haben mich nachdenklich werden lassen:

• In der „ZEIT“-Beilage „Christ & Welt“ ist mir ein Beitrag von Juliane Schiemenz begegnet.1 Die Redakteurin und Kommunikationswissenschaftlerin stemmt sich leidenschaftlich gegen die allgegenwärtige Sinnsuche und spricht vom „Wahn“, in allem einen Sinn zu sehen: „Sinn ist ein Schmerzmittel. Und eine Gesellschaft, die sich vor allem gut fühlen will, kann von Schmerzmitteln abhängig werden.“ Daher zweifelt sie an vorschnellen Sinnversprechen: „Das Leben ist leider kein riesengroßes Puzzle, in dem man die Bruchstücke einfach nur so zusammenlegen muss, dass sie eine Ordnung ergeben.“ Ganz persönlich und auf ihre Lebenssituation bezogen, die mit einer schmerzhaften Leid- und Verlusterfahrung einhergeht, hat sie die Einsicht gewonnen: „Die Erlaubnis zur Sinnlosigkeit, die ich mir selbst gab, befreite mich. […] Ich entdeckte, dass das Leben auch ohne Sinn schön war. Einfach so.“

Ist die Suche nach Sinn also nur ein Schmerzmittel, vergleichbar mit „Opium“ für uns krisengeschüttelte Wesen? Sollten wir uns also nicht besser von der Sinnsuche befreien?

Der Einspruch der Journalistin macht mir deutlich, wie wichtig es ist, genau zu überlegen, wie die Sinnfrage zu stellen ist und mit welchem Ziel. Geht es nur um ein harmonisches Glücksgefühl, das Bedürfnis nach Kontrolle, die passende und perfekte Ordnung, ein Leben in mentaler Schmerzfreiheit? Oder ist es nicht möglich, die Sinn- und Platzsuche auch offen, realistisch und leidsensibel anzugehen, eben nicht nur als Egotrip oder Beruhigungspille?

• Einen weiteren Einspruch, der sich ziemlich direkt gegen dieses Buch mit der Verheißung anzukommen richtet, entdeckte ich bei der „Stern“-Kolumnistin Amelie Graen.2 Sie sagt sehr deutlich, dass sie den Satz „Ich will endlich ankommen“ nicht mehr hören kann, und fragt sich, ob wir da nicht einem Ideal nacheiferten, dass es gar nicht gibt. Für die Autorin bedeutet „Ankommen“ nämlich Stillstand und sie vermutet hinter dem Wunsch eher eine Angst: die Angst vor Veränderungen, vor Neuem, vor Einsamkeit. Für sie ist es nicht vorstellbar, dass es den einen perfekten Ort, den supersicheren Job, den ewigen Platz, wo man für immer glücklich ist, geben kann. Bei ihr wird mir klar, dass das Thema „Ankommen“ tatsächlich oft mit Idealen und Wunschvorstellungen überfrachtet ist, die eher einengend und erzwungen wirken können.

Vielleicht ist der Wunsch nach dem Ankommen einfach viel weiter zu verstehen. Vielleicht innerlicher und etappenmäßiger. Und vielleicht bedeutet Ankommen alles andere als Stillstand. In diese Richtung möchte ich gerne weiterdenken und werde später auch noch mal kurz auf die Kolumnistin zurückkommen, die am Ende ihres Artikels eine interessante Beobachtung schildert, die dieser Spur schon ähnlich ist.

• Zu guter Letzt beschäftigt mich noch ein weiterer Seitenhieb. Er richtet sich direkt gegen mich als Theologen: „Sorry, liebe Theologen, aber ich halte es nicht aus, wenn ihr sprecht. Es ist so oft so furchtbar. Verschrobene, gefühlsduselnde Wortbilder reiht ihr aneinander und wundert euch, warum das niemand hören will. Ständig diese in den Achtzigern hängen gebliebenen Fragen nach dem Sein und dem Sinn, nach dem wer ich bin und werden könnte, wenn ich denn zuließe, dass ich werde, was ich schon längst war. Hä? – Ach bitte, lasst mich doch mit so was in Ruhe.“

Dieses Statement stammt von Erik Flügge, einem inzwischen zumindest in Kirchenkreisen sehr bekannten Autor und (Politik-) Berater. Zu meiner Zeit als Studierendenpfarrer in Paderborn hatte ich ihn eingeladen zu einer Diskussion in die Hochschulgemeinde. Und jetzt erinnerte ich mich wieder an seine Kritik. Mit seiner Abrechnung und Kritik an der Sprache der Theologen und der Kirche hat er sicher recht. Aber sind die Fragen nach dem Sein und dem Sinn, nach dem, wer ich bin und werden könnte, wirklich in den Achtzigern hängen geblieben?

Klar, oft nervt das ständige Fragen nach dem Wofür und Wozu. Können wir nicht einfach so leben, uns entspannt herumtreiben lassen wie ein Schiff ohne Kurs, je nach Wind und Strömung? – Das mag vielleicht kurzfristig schön und angenehm sein, so wie Urlaub, aber dauerhaft werden wir uns den Beziehungen, Verstrickungen und Zugehörigkeiten unseres Lebens nicht entziehen können, es sei denn als Eremit. Flügge meinte daher sicher auch eher den Stil, wie wir nach dem Sein und Sinn fragen, und nicht die Sache als solche. Insofern ermahnt mich das Ganze, lebensnah und konkret an Sinnfragen heranzugehen. Daher kommen in diesem Buch neben persönlichen Erfahrungen immer wieder auch Menschen zu Wort, die mir begegnet sind oder die ich begleiten durfte, ihren Platz zu finden.

Zwei dieser Begebenheiten haben mich ermutigt „dranzubleiben“, trotz aller berechtigten Anfragen an das Thema. Es handelt sich dabei einmal um ein Gespräch mit meinem Bruder, der mich in Frankfurt besuchte. Ein kritischer Geist, Mathematiker, der vorsichtig formuliert dem christlichen Glauben und der Kirche sehr skeptisch gegenübersteht. Ihm erzählte ich während einer Fahrradtour am Main von meinem Buchprojekt. Er ging direkt in die Vollen: „Und was kannst du als Theologe Sinnvolles dazu sagen? Was ist denn der Sinn unseres Daseins hier in dieser Welt?“ So unmittelbar konfrontiert wollte ich mich nicht lumpen lassen. Mir kam sofort die alte Katechismusfrage, die auch gleich am Anfang des Jugendkatechismus „Youcat“ steht, in den Kopf: „Wozu sind wir auf Erden?“ Mehr oder weniger wörtlich konnte ich auf dem Fahrrad die Antwort zitieren: „Wir sind auf Erden, um Gott zu erkennen und zu lieben, nach seinem Willen das Gute zu tun und eines Tages in den Himmel zu kommen.“ Über diese doch eher steile Vorlage begannen mein Bruder und ich dann ein richtig gutes Gespräch. Gott zu erkennen (mein Bruder, der Naturwissenschaftler, machte daraus: das Universum mehr und mehr zu erkennen), das Gute zu tun und eine Perspektive über den Tod hinaus zu haben (Himmel) – darüber macht es offenkundig Sinn nachzudenken, denn darin findet sich ein durchaus stimmiges Fundament.

Das hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, klar zu benennen, wo mein persönlicher Ausgangspunkt ist. Die Frage nach dem Sinn und stimmigen Platz im Leben erfolgt eben nicht im luftleeren Raum, sondern ich habe eine stets individuelle Perspektive. Und meine Sicht darauf ist das christliche Weltbild, einschließlich der „Himmelsperspektive“, sowie der Schatz der christlichen Spiritualität. Die große Frage „Wozu sind wir auf Erden?“ ist daher für mich verwoben mit der Frage nach meinem persönlichen Platz, worauf ich im geistlichen Teil des Buches ausführlicher eingehen werde.

Bei der anderen Begebenheit geht es um eine Begegnung in einem Burgerladen auf dem Frankfurter Römer. Wir waren dort essen mit Studierenden aus der „Zukunftswerkstatt“, in der ich 2022 mitgearbeitet habe, zum Abschluss vor der Sommerpause. Und wie so oft in Restaurants gab es eine sehr unübersichtliche Speisekarte mit gefühlt Hunderten von Wahlmöglichkeiten für die Spezialitäten. Und der gut aufgelegte Student, der uns bediente, fragte uns: „Habt ihr noch Fragen zur Karte oder auch darüber hinaus Fragen zum Leben?“ Da ich an dem Abend selbst auch sehr locker drauf war und mich tagsüber bereits mit meinem Buch beschäftigt hatte, antwortete ich: „Ja, ich hätte eine Frage über das Essen hinaus. Wie finde ich eigentlich meinen Platz im Leben?“ Seine Antwort kam prompt: „Da bist du bei mir an der richtigen Adresse. Ich studiere Psychologie. Kennst du John Strelecky? Lies sein Buch über den Sinn des Lebens, die „Big Five“. Außerdem bedenke bei allem, was du tust: Du musst nicht allen gefallen wollen.“

Wie krass! Volltreffer, dachte ich. Ehrlicherweise gestehe ich, dass ich mich anschließend bei meiner Gruppe erst einmal erkundigen musste, welche Bücher John Strelecky geschrieben hat und was seine „Big Five“ sind. Zum Glück wusste eine Studentin Bescheid, sie kannte vor allem den Bestseller von Strelecky („Das Café am Rande der Welt. Eine Erzählung über den Sinn des Lebens“), wusste aber auch, dass er das Buch „The Big Five for Life“ geschrieben hatte. Aha, dachte ich: Es braucht also eine gewisse literarische Orientierung – Bücher als Lebenshilfe – und sehr lebenspraktische Hinweise wie den Gedanken, dem individuellen Lebenssinn näherzukommen, ohne dabei allen gefallen zu müssen.

Wir haben an diesem Sommerabend in der Gruppe noch lange darüber gesprochen, was im Leben wirklich wichtig ist und wie man seinen Platz finden kann. Unser Kellner hatte uns da eine super Steilvorlage gegeben. Und mir wurde klar, wie sehr diese Fragen bei vielen jungen Menschen ganz obenauf liegen (nicht nur bei jungen) und dass ich mich auf die weitere Arbeit an meinem Buch freue. Nicht zuletzt wegen der Begegnung mit dem Psychologiestudenten wird es zu Beginn auch einige psychologische „Basics“ zum Thema Sinnsuche und Identität geben. Auch die „Big Five“ haben dann später noch mal ihren Auftritt, allerdings aus einem anderen Feld.

*

Was soll ich nur mit meinem Leben anfangen, wo ist mein Platz? – In einem größeren Essay der „jetzt-Redaktion“ der Süddeutschen Zeitung von Anfang 20223 zum Thema „Was soll ich nur machen mit meinem Leben?“ hörte sich das Feedback darauf so an:

„In diesen Hollywood-Biopics wissen alle schon als Kleinkinder, was ihre Berufung ist. Hatte ich nie. Die Schule bereitet einen auch überhaupt nicht darauf vor.“

„In der Abiphase sollte jeder in einem Kostüm kommen, das den Beruf darstellt, in dem man sich in zehn Jahren sieht. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung. Meine Mutter arbeitete in einem Krankenhaus, also habe ich einfach einen Kittel und ein Stethoskop von ihr geliehen, weil ich dachte, eine Ärztin erkennt man gut.“

„Ich glaube, die Globalisierung trägt auch dazu bei, dass man heute vor so vielen Potenzialen und Möglichkeiten steht. Und das erzeugt einen großen Druck, die wahre Selbstbestimmung zu finden. Man hat im Hinterkopf: Wenn ich die nicht finde, werde ich unglücklich. Und davon lässt man sich dann schnell einschränken.“

Wie so oft bei existenziellen Fragen gibt es auch bei diesem Thema keine schnellen und einfachen Antworten. Ich möchte dich daher mitnehmen auf einen Weg des Suchens und gemeinsamen Nachdenkens wie auch Nachspürens. Daher ist mir als „Vorwort“ auch eine Zeile aus dem Ende der 1990er-Jahre veröffentlichten Song „Everybody’s free (to wear Sunscreen)“4 wichtig, in der es übersetzt heißt: „Fühle dich nicht schuldig, wenn du nicht weißt, was du mit deinem Leben machen willst; die interessantesten Menschen, die ich kenne, wussten mit 22 nicht, was sie mit ihrem Leben machen sollten; einige der interessantesten 40-Jährigen wissen es immer noch nicht.“

Anders gesagt: Es geht vor allem um einen offenen wie ehrlichen Weg der Suche nach diesem Platz im Leben, nicht um ein schnelles Glücksversprechen: „Das Streben nach Glück kommt mir abstrus vor. Wichtig ist, sich aufgehoben zu fühlen, sich richtig zu fühlen“, so hat es mal die Kinderbuch-Autorin Gudrun Mebs in einem Interview treffend pointiert.5

Sich aufgehoben und „richtig“ zu fühlen, eine innere Stimmigkeit zu spüren, das bedeutet für mich ankommen. Auf dem Weg dahin gilt es natürlich, gewisse Entscheidungen und Weichenstellungen vorzunehmen, denn diese innere Stimmigkeit stellt sich nicht von selbst ein. „Endlich mal ankommen“, den eigenen Platz im Leben kennen, damit lebt es sich erfüllter. Ja, und diese Erfahrung machen zu dürfen, halte ich für verheißungsvoll und lohnenswert.

Sich aufgehoben und „richtig“ zu fühlen, das bedeutet für mich ankommen.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass ich es liebe, mir landende Flugzeuge anzusehen, wofür ich am Frankfurter Flughafen während meines Jahrs in der Mainmetropole natürlich beste Voraussetzungen hatte. Da bin ich des Öfteren zu einem Aussichtspunkt in Zeppelinheim geradelt und habe mir da lange die landenden Flugzeuge angeschaut: kleinere Charterflieger, Passagiermaschinen und riesige Transportflugzeuge. Das Landen und Ankommen zu beobachten, hat etwas Beruhigendes, fast Magisches für mich. Wie selbst die größten Flieger sanft und scheinbar mühelos auf der Landebahn aufsetzen und dann in den für sie vorgesehenen Andockbereich rollen. Ist das nicht auch ein schönes Bild für unser Leben? Bei allen Aufbrüchen, Umbrüchen und Unsicherheiten immer wieder die Landebahn in den Blick nehmen und landen dürfen. „Endlich mal ankommen“ – die Landeerlaubnis ist erteilt.

2. Die Suche nach dem Platz

Sie ist immer konkret und persönlich – die Suche nach dem Platz. Sie hat mit wichtigen Lebenserfahrungen zu tun, mit Ideen vom Leben und mit Entscheidungen, die wir getroffen haben. Sie gleicht einem persönlichen „Suchweg“, also dem Unterwegssein und dabei immer neue Etappen anzugehen. Den eigenen Platz zu suchen, bedeutet insofern, sich auf eine fortwährende Entwicklung einzulassen, denn eben dieser Platz im Leben wird uns heutzutage (vielleicht zum Glück) nicht mehr von Geburt an mitgegeben. Und in diesem Unterwegssein begegnet uns viel Unbekanntes. Sich darauf bei der eigenen Suche nach dem Platz einzulassen, braucht definitiv Vertrauen und Mut.

Wie ist dieser Entwicklungsprozess bislang bei mir abgelaufen? Daran möchte ich dich jetzt teilhaben lassen, dir aber auch immer wieder gedanklich den Ball zuspielen:

Kennst du ähnliche Situationen? Was sind zentrale Wegmarken auf deinem Suchweg? Wie versuchst du anzukommen?

Mein Weg hat natürlich viel mit der Entscheidung zu tun, Priester zu werden. Eine nicht ganz alltägliche Weichenstellung, die sich wahrscheinlich erheblich von deiner Berufswahl beziehungsweise deinem Berufswunsch unterscheidet. Doch ich gehe auf mein Priester-Werden hier nicht ein, um dich auch zu dieser Entscheidung zu locken (was einer jeden bekanntlich derzeit in der katholischen Kirche ja auch gar nicht möglich ist), sondern es geht mir um Entwicklungen, die mit dem Entscheidungsprozess im Zusammenhang stehen. Vielleicht magst du ihnen in meiner Geschichte nachspüren, egal, ob du nun Kirchenmitarbeiter, Bankkauffrau, Verkäuferin, Arzt, Lehrerin oder Rentner bist.

Und was ich direkt anschließen möchte: Mit dem Priestersein ist meine Platzsuche alles andere als abgeschlossen. Im Gegenteil! Sie befindet sich gerade, während ich diese Zeilen schreibe, in einer sehr intensiven Phase. Ich nenne sie „Die Suche nach dem Platz im Leben 2.0“. Mit Anfang 40 sitze ich nun hier in einem Zimmer eines Jesuitenhauses in Frankfurt am Main und stelle fest, wie ich immer mehr bei mir selbst und in meinem Leben ankomme … (Das ist kein Spoiler! Bitte lies weiter und denke nicht, mein Buch endet jetzt hier.) – Wie kommt das? Warum habe ich dieses Empfinden? War ich denn etwa bisher nicht (richtig) angekommen? Bei mir und in meinem Leben? Hatte ich nicht bereits entscheidende Weichen meines Lebens gestellt? Hatte ich mich nicht schon auf meinen vorgesehenen Platz im Leben gesetzt und mich dort eingerichtet? An dieser Stelle braucht es einen Blick zurück:

Seit meiner Jugend erlebe ich mich als einen leidenschaftlichen Sinnsucher, auch die Frage nach meinem persönlichen Platz im Leben beschäftigt mich schon lange. Mir wurde das im Alter von 15 und 16 Jahren erstmals so richtig deutlich. In dieser Zeit stand ich manchmal abends vor dem Schlafengehen noch länger am offenen Dachbodenfenster und schaute in den Sternenhimmel. Und da kamen sie dann, die Fragen in meinem Innern:

Was möchtest du eigentlich aus deinem Leben machen? Wo ist dein Platz? Wo gehörst du hin?

Ich erinnere mich auch an nächtliche Gespräche mit zwei, drei engen Freunden über den Sinn des Lebens, oft unterhielten wir uns nach Partys auf dem Weg nach Hause. Das waren ganz besondere Momente, in denen ich gespürt habe: Hier geht‘s wirklich ums Eingemachte.

Was wir uns damals im Detail für unser Leben überlegt und ausgemalt haben, weiß ich heute nicht mehr, aber wir waren uns einig: Wir wollten dazu beitragen, dass es in der Welt etwas besser und gerechter zugeht, und Schwächere unterstützen. Es musste doch „mehr“ geben als nur das Vordergründige, die Oberfläche, das schnell Vorbeiziehende. Wir spürten da eine Art „Auftrag“. Dass dieser bei mir darauf hinauslaufen würde, einmal Priester zu werden, hätten allerdings in diesen Nächten weder meine Freunde noch ich selbst jemals geahnt. Und natürlich auch nicht, was aus allen anderen einmal werden würde (Jurist, Beamter, evangelischer Pfarrer). Doch im Rückblick gesehen versucht heute jeder von uns, auf seinem Platz etwas von unserem „Idealismus“ jener Nächte umzusetzen. Vielleicht kennst du das …, wenn du nach Jahren mal zurückschaust, vielleicht sogar im Kreis deiner Freunde, und du staunst, wohin die persönlichen Reisen gegangen sind.

Doch wie kommt man eigentlich auf die Idee, für sich den persönlichen Platz im Leben im Amt des katholischen Priesters zu sehen und in dieser Aufgabe seinen Lebenssinn zu finden und anzukommen? – Das werde ich sehr häufig gefragt, in letzter Zeit (Stichwort: Kirchenkrise) sogar immer eindringlicher. In einer Phase, in der Menschen, auch aus meinem engsten Umfeld, zunehmend ihren Platz nicht mehr in der Kirche sehen, stellt sich die Frage umso mehr, warum ich denn einen Platz „mittendrin“ gewählt habe. Dafür habe ich viel Verständnis, denn die Liste der Gründe, weshalb man sich unwohl in und mit meiner Kirche fühlen kann, ist lang: die Erschütterungen durch die Aufdeckung von Missbrauch in der Kirche, die Vertrauenskrise durch Vertuschungen und Klerikalismus, der Reformstau wie auch die Vernachlässigung oder zuweilen gar der Ausfall von lebensnaher Spiritualität und heilsamer Seelsorge in der Kirche.

In Kurzform kamen da bei mir verschiedene Erfahrungen und Konstellationen zusammen. Nicht zuletzt eben auch meine gerade geschilderte grundsätzliche Offenheit für die Sinnsuche und diese Ahnung, dass es einen tiefgründigen Auftrag für die eigene Lebensreise geben könnte. Meilensteine auf meinem Weg waren auch Erfahrungen, die ich bei Friedens- und Wiederaufbau-Camps in Bosnien und Herzegowina machen durfte, an denen ich während meiner Abi-Zeit mehrfach teilgenommen habe. Auf dem Balkan hatte ja in den 1990er-Jahren zwischen den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens ein heftiger Bürgerkrieg getobt. Nun herrscht wieder, während ich dieses Buch schreibe, ein grausamer Krieg in Europa, und ich muss oft zurückdenken an die zerschossenen Häuser, zerstörten Schulen und Kindergärten in Bosnien. In einer dieser Schulen waren wir damals untergebracht, überall sahen wir die Einschusslöcher. Auch die Schilder vor gewissen Feldern oder Waldstücken mit der Aufschrift „Danger Mines!“ („Achtung Minen!“) werde ich nie vergessen.

Die Camps waren organisiert von „Caritas International“ und dem Jugendhaus Hardehausen des Erzbistums Paderborn. Wir waren circa 40 junge Leute, auch zwei junge Priester waren dabei. Und ich habe damals dort in Bosnien zum ersten Mal spürbar begreifen können, wofür es sich wirklich zu leben lohnt: anderen in ihrer Not beizustehen; ihnen konkret und hautnah zu helfen; zu sehen, wie zerbrechlich das Leben, der Frieden, eigentlich alles in dieser Welt ist. Und sich zu fragen: Was bleibt? Wonach richte ich mich in meinem Leben aus? Worauf setze ich? – Vielleicht waren diese Einsätze für mich ein Moment des Erwachens und des Erwachsenwerdens. Aber frag dich selbst doch mal:

Was ist, wenn vieles nicht mehr selbstverständlich ist? Wenn das Leben plötzlich ganz anders verläuft oder du es einmal aus anderer Perspektive siehst? Für was möchtest du dich dann einsetzen? Wofür stehen und leben?

Klarer sehen, wofür man eintreten will

Ich beobachte, dass viele junge Leute solch einen Moment des Erwachens bei einem Auslandsaufenthalt erleben. Es freut mich sehr, wie viele Jugendliche nach der Schule oder während ihres Studiums die Option wahrnehmen, ins Ausland zu gehen. Mir fällt da beispielsweise Fabian ein, den ich kennengelernt habe, als er noch „kleiner“ Messdiener im Sauerland war. Mittlerweile ist er ein Freund von mir und es ist mir eine Ehre, dieses Jahr seine kirchliche Hochzeit begleiten zu dürfen. Nach der Schule und Ausbildung ging Fabian für ein Jahr im Rahmen des Freiwilligendienstes „Missionar auf Zeit“ nach Chile. Dass er den Sprung nach Südamerika wagte, hat mich sehr beeindruckt, auch welche Erfahrungen er dort sammeln konnte. Und dass er heute ein engagierter Berufsschullehrer ist, dem sein Job richtig viel Freude macht und der sich für seine Schülerinnen und Schüler mächtig ins Zeug legt, hat wohl auch mit diesen Erlebnissen zu tun. Das Auslandsjahr hat ihm geholfen, seinen Platz und seine Berufung zu finden. Er selbst hat mir dazu mal gesagt:

„Das beste Fazit hat eigentlich meine Mutter nach dem Auslandsjahr gezogen: ‚Ich habe ein Kind gehen lassen und einen jungen Erwachsenen zurückbekommen.‘ Ich glaube, das trifft den Nagel auf den Kopf. Durch das Jahr habe ich angefangen, Dinge zu hinterfragen, eigenständige Gedanken zu entwickeln, meinen weiteren Weg zu planen. Ich habe gelernt, was Freundschaften ausmacht, und neue Werte dazugewonnen, die man in seinem deutschen Alltag so nicht erfahren und kennenlernen würde.“

Zwei Episoden aus Chile sind Fabian besonders in Erinnerung geblieben, sie haben auch mich sehr berührt, als er sie mir erzählte. Schon damals war Fabian dort auch im Kontext von Schule eingesetzt, und es gab da einen Jungen, Sebastian, den er betreuen musste. Dieser lebte am Wochenende bei seinen Großeltern auf dem ländlichen Bauernhof und unter der Woche im Internat, wo Fabian arbeitete. Sebastian war sehr klug, ist aber morgens nie richtig aus dem Bett gekommen, hat die Schule geschwänzt und seine Aufgaben selten richtig erledigt. Allerdings war er sehr interessiert an Computertechnik und Informatik. Eines Nachmittags diskutierte Fabian wieder mit ihm über seine Hausaufgaben und ermahnte ihn, dass er doch mal mehr investieren solle in seine Zukunft. Die Situation schaukelte sich hoch und Sebastian schrie irgendwann Fabian entgegen: „Was willst du Gringo (diffamierendes Wort für Ausländer in Chile) eigentlich? Ich will Informatik studieren, aber kann es nicht, weil ich nach der Schule auf das Land zurückmuss, um beim Arbeiten zu helfen, und du als Europäer kannst machen, was du willst, und hängst hier einfach nur deine Zeit ab.“

Fabian erzählte mir, wie sehr ihn diese Begegnung damals ins Grübeln gebracht hat. Als junger Freiwilligenhelfer fand er in der Situation zwar nicht die richtigen Worte und verließ den Raum, aber ein stechender Gedanke stieg damals in ihm auf und hat sich seither verfestigt: „Sebastian hat recht. Hier in Deutschland hat nahezu jeder die Möglichkeit zu erreichen, was er sich erträumt. In meiner Position als Lehrer wird mir das gerade jetzt immer deutlicher. Wir haben so viele Jugendliche, denen alles hinterhergetragen wird, und sie sehen einfach nicht, was das bedeutet. Sebastian wusste leider genau, wo sein Platz ist und dass er erst mal nichts daran ändern kann.“

Diese Geschichte macht mir bewusst, wie wichtig es ist zu spüren, was für ein Geschenk die „freie Platzwahl“ ist, die vielen jungen Menschen bei uns offensteht. Und dass es Menschen braucht, zum Beispiel einen Fabian in der Berufsschule, die vermitteln können, wie wertvoll diese Möglichkeit ist.

Nutze daher diese Chance! Du beklagst dich manchmal über zu viele Optionen? Ist das nicht besser, als nur eine Option zu haben und noch dazu eine, die dir eigentlich widerstrebt?

Noch etwas ist Fabian in Chile deutlich geworden: Mit den Händen zu geben ist wertvoller, als die Kreditkarte zu zücken. Das verdeutlichte er mir anhand eines Billardtischs. Während seines Jahres in Chile hat er nämlich mit einem deutschen Mitfreiwilligen einen solchen für das Internat selbst gebaut. Der Hintergrund für diese aufwendige Aktion war, dass die Jugendlichen ihr weniges Taschengeld oft in der Stadt fürs Billardspielen ausgegeben haben. Damit sie das Geld anderweitig verwenden können, sind die beiden Freiwilligen auf die Idee gekommen, einen solchen Tisch selbst zu bauen. Das Internet, die dortigen DIY-Anleitungen sowie ein bisschen handwerkliches Geschick sollten es schließlich möglich machen. Der Chef der beiden belächelte sie anfangs für ihr Vorhaben, aber als der Tisch dann fertig war und bespielt wurde, traute er seinen Augen nicht. Die Jugendlichen waren unfassbar dankbar und behandelten den Tisch sehr sorgsam. Fabian meint dazu:

„Man hätte auch Geld sammeln und einen Tisch kaufen können. Aber es hätte nicht denselben Effekt gehabt. Denn wir haben Zeit geschenkt. Auch das hilft mir in meiner heutigen Rolle als Lehrer weiter. Man muss als Lehrkraft die Person hinter den Schülerinnen und Schülern erkennen, ihre Arbeit wertschätzen und ihnen auch das Gefühl geben, dass man den Unterricht ein Stück weit für sie macht und nicht einfach nur, um feste Lehrpläne abzuarbeiten.“

Wenn ich Fabian über Chile erzählen höre, denke ich, dass sein Leben ohne diese Erfahrungen sicher anders verlaufen wäre. Die Begegnung mit anderen Realitäten kann jedoch helfen, klarer zu sehen, wofür man selbst eintreten will, wo der eigene Platz im Leben sein könnte.

Zurück zu mir und meinem „Wake-up-Call“ in Bosnien. Neben den berührenden sozialen, menschlichen und existenziellen Erfahrungen in Bosnien hat es mich dort auch in geistlicher Hinsicht voll „erwischt“. Ich entdeckte auf einmalige Weise die Person Jesus und sein Evangelium. Welche Kraft im Evangelium stecken kann, hatte mir zuvor niemand gezeigt oder auch nur überzeugend geschildert. Jetzt aber – ausgerechnet in einem kriegszerstörten Land – lernte ich auf einmal, wie greifbar im wahrsten Sinne des Wortes die Botschaft Jesu verstanden und gelebt werden kann.

Wir haben damals als Gruppe jeden Morgen das „Tagesevangelium“ gelesen, also den Bibeltext, der in der katholischen Gottesdienstordnung für den jeweiligen Tag vorgesehen ist. Und aus diesem Bibeltext hat immer jemand aus der Gruppe ein „Tagesmotto“ extrahiert. Denke ich daran zurück, fallen mir Mottos ein wie „Heute füreinander leben“, „Im Vertrauen auf Gott – Geben“, „Mutig den ersten Schritt wagen“ oder „Selig, die Frieden stiften“. Diese Leitwörter sollten wir im Herzen mit in den Tag nehmen: zur Arbeit auf die Baustellen, zu den Gesprächen mit den bosnischen Bewohnern des Ortes, zu den Begegnungen untereinander in der Gruppe. Und für mich ist dabei wirklich etwas Überraschendes passiert: Ich habe gespürt, dass die Worte der Bibel tatsächlich etwas bewirken, wie sie meine Gefühle und Haltungen an dem Tag veränderten, und zwar positiv …

So habe ich mich zum Beispiel mutiger gefühlt, die fremden Leute im Dorf anzusprechen. Oder wenn mich jemand aus unserer Gruppe sehr genervt hat, habe ich versucht, am Abend bei einem Bier das Gespräch mit ihm zu suchen. Auch mein Vertrauen in Gott wuchs in dieser Zeit, im Sinne von: Er ist wirklich an deiner Seite, du darfst ihm deine Ängste und deine Bitten anvertrauen, mit seiner Hilfe schaffst du den nächsten Schritt. Und konkret wurde es darin: Auch wenn du kein gelernter Maurer bist, wage es heute, mit deinen Mitstreitern deine Wand für den Wiederaufbau des Hauses zu mauern. Im Nachhinein muss ich sagen: Ich bin auf kaum etwas in meinem Leben so stolz wie auf diese Häusermauern, die ich für ein Haus in dem Dorf mit hochgezogen habe.

Für mich war es also eine kostbare Entdeckung, wirklich zu begreifen: „Ja, die Worte des Evangeliums tragen für mich eine tiefe Wahrheit in sich! Und ja, es lohnt sich, sich auf Jesus einzulassen!“

Ebenso wichtig wie der konkrete Hilfsdienst und das persönliche Entdecken der Bibel waren die Gespräche – mit den beiden Priestern, die das Projekt begleiteten, wie auch mit anderen Teilnehmenden, die schon mehr Erfahrungen im Glauben gesammelt hatten. Endlich konnte ich mal all meine Fragen stellen und hatte den Eindruck, ein echtes Gegenüber zu haben.

Zu meiner Heimatgemeinde hatte ich damals wenig Draht und dort in Glaubensdingen nahezu keinen Ansprechpartner. Das änderte sich nun, und dies zu erleben, war ein Geschenk und Durchbruch für mich. Während der langen Fahrten oder an den Abenden in der Unterkunft konnte ich gar nicht genug von den Gesprächen bekommen, selbst nach den Sommercamps hielt ich noch Kontakt. Es ging damals für mich auch darum, zu erfahren, wie andere nach dem Sinn des Lebens suchen beziehungsweise schon erste Antworten darauf gefunden haben, wo ihr Platz sein könnte.

Ohne diesen Austausch wäre vieles in meinem Leben sicher anders gelaufen. Denn darin wurde mir deutlich, welch vielfältige Möglichkeiten es gibt und dass es sich lohnt, das zu suchen, was einem wirklich entspricht und Sinn gibt. Das kann ein Handwerksberuf sein genauso wie die Arbeit als Entwicklungshelfer, Lehrer, Sozialarbeiter, Journalist oder eben Priester. Im Austausch mit anderen eröffnen sich Perspektiven, die man selbst gar nicht auf dem Schirm hat.

Dazu fällt mir die Geschichte einer jungen Frau ein, der ich in meinem Jahr in der „Zukunftswerkstatt“ begegnet bin. Sie ist Ärztin und war auch auf der Suche nach ihrem Platz im Leben. Sie spürte, dass sie gerne in einer (Ordens-)Gemeinschaft leben wollte. Aber all die „klassischen“ Frauenorden, die sie bis dahin erlebt hatte, sagten ihr nicht so recht zu. Eines Abends war dann eine Schwester aus einem ihr bisher unbekannten Orden zu Gast bei uns. Als Gemeinschaft saßen wir noch lange in der Küche zusammen, tranken Gin Tonic, erzählten und erzählten. Im Nachhinein war dieses abendliche Gespräch in der Küche der Durchbruch für die junge Frau. Sie sagte: „Ach, es gibt auch noch ganz andere Gemeinschaften, es gibt Ordensfrauen, mit denen man beim Gin über den Sinn des Lebens sprechen kann. Ja, da könnte mein Platz sein.“ Und tatsächlich! Sie ist in dieser Gemeinschaft gelandet und kommt dort immer mehr an.

Vielleicht machst du ähnliche Erfahrungen. Durch ein Gespräch mit anderen Menschen, vielleicht sogar bisher unbekannten oder ganz und gar fremden, wird dir etwas über deinen Weg klar. Solche Begegnungen sind eine Fügung, ein Geschenk.

Seit meinem Bosnien-Einsatz war mir jedenfalls klar, dass Jesus in meinem Leben irgendeine besondere Rolle spielen sollte. Ich beschloss, weiter „am Ball“ zu bleiben, lernte weitere engagierte Christen kennen, las oft in der Bibel, ging zur Messe, … es waren viele Gespräche, viele Gedanken. Und irgendwann, plötzlich und unmittelbar, wie aus heiterem Himmel, an einem Tag und zu einer Stunde, die ich heute noch genau vor Augen habe (es war in einer Kirche in meiner Heimatstadt Castrop-Rauxel), war er da – der Gedanke: Warum wirst du eigentlich nicht Priester?

Da fallen einem schon Gründe ein, so auch mir: der Zölibat, eine langweilige Kirche, nicht der angesehenste „Verein“ in der modernen Welt – aber die Frage blieb trotzdem! Ich habe mich schließlich entschieden: Du riskierst das jetzt einfach mal. Folge deiner Sehnsucht – gegen einige Widerstände, in mir selbst, in der Familie, …

Mutig sein und Vertrauen haben

Dem Thema „Widerstände“ bist du sicher auch schon das eine oder andere Mal begegnet, gerade, wenn man etwas tut oder sich für etwas entscheidet, was äußerlich betrachtet vielleicht nicht so attraktiv und „smooth“ erscheint. Ich habe schon häufiger erlebt, dass in manchen Familien der Haussegen erst mal schief hängt, wenn sich der Sohn oder die Tochter gegen ein Studium und für eine Ausbildung entscheidet, zum Beispiel im Handwerk oder im sozialen Bereich. „Dabei hast du doch so ein gutes Abi gemacht“, erzählten mir die Betroffenen aus Gesprächen mit ihren Angehörigen oft. Bei der Plakatkampagne des Zentralverbands des Deutschen Handwerks im Frühjahr 2022 musste ich daher schmunzeln; da stand auf einem Plakat: „Was gegen Handwerk spricht? – Meine Akademiker-Eltern.“

Im privaten Bereich ist es für junge Leute manchmal noch schwerer, der eigenen Überzeugung zu folgen, wenn es beispielsweise darum geht, welcher Partner oder welche Partnerin zu einem passt. Eltern und Freunde reden da gerne mit rein, wie ich in vielen Begleitgesprächen zu hören bekomme. Und daraus wächst natürlich eine innere Unsicherheit: Habe ich mich wirklich richtig entschieden?