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Wissenschaftlicher Aufsatz aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Geschichte - Amerika, Note: keine, , Veranstaltung: keine, Sprache: Deutsch, Abstract: „Zuerst wird geprüft, ob du auf der Besucherliste stehst. Dann wirst du mit einem Metall- und Drogendetektor kontrolliert.“ Und dann öffnet sich auf Knopfdruck die massive Stahltür. Petra darf eintreten. Vor ihr liegt „eine fremde Welt“, unwirklich, „wie in einem Sciencefiction“. Was die junge Frau dort wirklich erwartet, ist allerdings keine Zukunftsvision, sondern eher ein Alptraum aus dem tiefsten Mittelalter. Es ist der Todestrakt des SCI Greene Gefängnisses von Waynesburg, Pennsylvania. „Wie ein Atombunker“, so kommt der Besucherin das Labyrinth dieser „weiten, langen Gänge“ vor. „Es ist hell, doch das Licht erreicht einen nicht. Und es kommt kein Ton von draußen nach drinnen, alles ist vollkommen geräuschisoliert.“ Grabesstille. „Nur wenn eine der vollautomatischen Schleusen in Bewegung gerät, dann ist das ein Lärm, als würde die Welt zusammen brechen.“ Wärter in kugelsicheren Plexiglaskabinen schleusen Petra auf diese Weise immer weiter hinein in den grauen Betonsarkopharg. Unheimlich sind ihre Gesten. „Sie sprechen nicht, geben nur Handzeichen.“ Die Frau aus Bocholt zweifelt daran, dass dies alles real ist. Egal, sie will endlich Jimmy sehen. Der 29jährige Jimmy Dennis ist Petras Brieffreund, eigentlich mehr noch, „er ist für mich wie ein Bruder“. Kennengelernt hatte sie ihn, als sein Fall im Internet vorgestellt wurde, zusammen mit einer Kontaktadresse. Jimmy wurde im Oktober 1992 wegen eines Raubmordes zum Tode verurteilt. Ein Mord, den er womöglich nicht begangen hat. „Als das Mädchen vor dem U-Bahnhof in Philadelphia erschossen wurde, war Jimmy gerade bei seinem Vater zu Besuch.“, erklärt Petra und zitiert die im Prozess unterdrückten Beweismittel. „Der Täter war nach Zeugenaussagen 1,80 Meter groß. Jimmy ist 15 Zentimeter kleiner.“ Schon der Einschusswinkel hätte ein ganz anderer sein müssen. „Aber die Polizei brauchte einen Täter.“ Unter massivem Druck der Beamten habe Charles Thompson, ein Bekannter, ihn, Jimmy, belastet. „Er sagte, er habe ihn in der fraglichen Nacht mit einer Waffe gesehen. Nicht mehr und nicht weniger.“ Genug, um Jimmy anzuklagen. [...]
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Veröffentlichungsjahr: 2003
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mich wie ein Bruder“. Kennengelernt hatte sie ihn, als sein Fall im Internet vorgestellt wurde, zusammen mit einer Kontaktadresse. Jimmy wurde im Oktober 1992 wegen eines Raubmordes zum Tode verurteilt. Ein Mord, den er womöglich nicht begangen hat. „Als das Mädchen vor dem U-Bahnhof in Philadelphia erschossen wurde, war Jimmy gerade bei seinem Vater zu Besuch.“, erklärt Petra und zitiert die im Prozess unterdrückten Beweismittel. „Der Täter war nach Zeugenaussagen 1,80 Meter groß. Jimmy ist 15 Zentimeter kleiner.“ Schon der Einschusswinkel hätte ein ganz anderer sein müssen. „Aber die Polizei brauchte einen Täter.“ Unter massivem Druck der Beamten habe Charles Thompson, ein Bekannter, ihn, Jimmy, belastet. „Er sagte, er habe ihn in der fraglichen Nacht mit einer Waffe gesehen. Nicht mehr und nicht weniger.“ Genug, um Jimmy anzuklagen. Es ist soweit. Jimmy wird vorgeführt. Wie ein Paket ist er zusammengeschnürt mit schwarzen Ledergurten, zusätzlich gefesselt mit Handschellen. „Es war hart, ihn so zu sehen.“, erinnert sich Petra. Getrennt durch eine Glasscheibe saß sie Jimmy gegenüber. „Ich auf einem Hocker mit Lehne, er auf einem Hocker ohne Lehne.“ Besuchszeit fünf Stunden. „Worüber spricht man fünf Stunden mit einem zum Tode Verurteilten ?“, nimmt Petra die nächste Frage vorweg. „Natürlich möchte er wissen, wie es seiner Familie geht, seinen Kindern.“ Die Familie, und auch Jimmys Eltern, sie leben in Philadelphia im Ghetto. Sie haben kaum das Geld für die vierhundert Kilometer bis Waynesburg. Aber Petra war vorher bei ihnen, kann das Neueste erzählen, Grüße übermitteln. „Sie sind so warmherzig“, erzählt sie von Jimmys Eltern, „da ist nie eine Distanz. Mum und Dad (so nennt Petra die beiden inzwischen) ertragen das alles mit viel Kraft.“ Kraft vor allem aus dem Glauben an Gott und aus dem täglichen Gebet. „Die ganze Familie ist sehr religiös. Dad ist seit über 60 Jahren Organist in fünf bis sechs Kirchen.“ Auch Petra betet inzwischen, genauso wie Jimmy. „Er hat noch was, woran er glaubt, ein starker Glaube. Und das ist die Ursache, warum Jimmy immer noch relativ zuversichtlich ist, während andere im Todestrakt den Verstand verlieren.“ So klammert sich Jimmy daran, doch noch freizukommen. „Unser Ziel ist es, einen neuen Prozess zu bekommen, mit neuen Beweisen, mit einer fairen Staatsanwaltschaft und einem
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fairen Richter.“ Dafür sammelt Petra Spenden, bezahlt damit die Ermittler in den USA. „Wir sind im Zugzwang, wir müssen die Unschuld beweisen.“ Fortschritte bei diesen Bemühungen machen deshalb einen großen Teil der Gespräche aus.
Die Todesangst bleibt. „Worunter Jimmy sehr leidet, ist der ständige Gedanke: werde ich wirklich irgendwann frei sein ? Wird es meine Familie dann noch geben ? Werde ich sterben ?“ So verbringt er Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr in seiner Todeszelle, Länge zwei Meter sechzig, Breite ein Meter achtzig. „Da hat alles seinen Platz, nämlich Jimmys Stahlbett und die Toilette. Das Essen wird durch einen Türschlitz geschoben.“ 23 von 24 Stunden täglich ist Jimmy in dieser Zelle eingesperrt. Manchmal gebe es „eine Stunde Hofgang - alleine in einem Käfig. Jimmy sagt, das sei ein Hundekäfig, da könne man noch nicht einmal richtig drin laufen.“ Ein immer gleicher Ablauf, der plötzlich an einem Tag im Jahre 1998 unterbrochen wurde. „Wachen marschierten vor der Zelle auf und brachten Jimmy in den Keller. Dort musste er sich nackt ausziehen, Gesicht an die Wand und ihm wurde der Hinrichtungsbefehl vorgelesen. Dann wurde ihm alles weggenommen, die Taschentücher, der Kamm, einfach alles.“ Mit diesem Ritual beginnt in Pennsylvania „Phase Zwei“ einer Exekution. Der Verurteilte wird über das genaue Datum und die Uhrzeit informiert, hat danach meist noch etwa vier Wochen zu leben. Unter verschärfter Bewachung. Wegen Selbstmordgefahr. Bei Jimmy allerdings wurde Phase Zwei wegen eines Aufschubs wieder abgebrochen. Es ging zurück in die jahrelange Warteschleife im Betonbunker von Waynesburg.
Die fünf Stunden sind um. „Ich weiß nie, ob ich ihn wiedersehe.“ Manchmal möchte Petra zum Abschied die Hand an diese Glasscheibe legen. „Aber das ist normalerweise das ‚final goodbye‘. Und das soll es nicht sein.“ (1)
Die Hoffnung, dass Jimmy Dennis freikommt, ist sehr gering. Über 700 Delinquenten wurden seit der Wiedereinführung der Todesstrafe in den USA im Jahre 1976 hingerichtet, davon allein 98 im Jahre 1999 und 85 im Jahre 2000, insgesamt in den 90er Jahren weit mehr als im Jahrzehnt zuvor (2). Während es in Europa spätestens seit Mitte der 60er Jahre einen