Entführung im Himmelreich - Andreas Winkelmann - E-Book

Entführung im Himmelreich E-Book

Andreas Winkelmann

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Beschreibung

»Entführung im Himmelreich« ist die Fortsetzung des lustigen Krimi-Bestsellers »Mord im Himmelreich«. Kluger Cosy Krimi auf einem der schönsten Campingplätze Deutschlandsvoller Originale Der Campingplatz Himmelreich am Schwielowsee ist in Aufruhr: Der Bäcker ist verschwunden! Kein Bäcker heißt keine Brötchen, und das bedeutet schlechte Laune. Dauercamper und Ex-Schauspieler Björn Kupernikus und Annabelle Schäfer, seine neue Partnerin "in crime" entdecken den Lieferwagen des Bäckers in der Nähe des Sees; die Schuhe des Vermissten stehen am Ufer. Prompt geht die Polizei von Selbstmord aus. Fall gelöst? Sein Bauchgefühl sagt Kupernikus, dass mehr hinter der Sache stecken muss. Zumal es auch noch einen Einbruch in ein Hausboot gab. Dabei wurde die junge Besitzerin angegriffen. Von einem Motiv weit und breit keine Spur. Kupernikus und Annabell beginnen Fragen zu stellen, die sie bald tief in einen verzwickten Fall verwickeln. Campingkrimi für alle Fans des schrägen Humors Bestseller-Autor Andreas Winkelmann ist selbst ein leidenschaftlicher Camper und schon allerhand skurrilen Typen begegnet. Sein brummiger Privatermittler Björn Kupernikus hat einen wunderbaren Sinn für Humor. Und die weitgereiste Künstlerin Annabell steckt mit ihrer Lebensfreude selbst Kupernikus an. Entdecken Sie auch Band 1 der Campingkrimi-Serie: »Mord im Himmelreich« ist – wie die Thriller von Andreas Winkelmann – ein SPIEGEL-Bestseller.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 344

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Andreas Winkelmann

Entführung im Himmelreich

Kriminalroman

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Der Campingplatz Himmelreich am Schwielowsee ist in Aufruhr: Der Bäcker ist verschwunden! Kein Bäcker heißt keine Brötchen, und das bedeutet schlechte Laune. Dauercamper und Ex-Schauspieler Björn Kupernikus und Annabelle, seine Partnerin »in crime«, entdecken den Lieferwagen des Bäckers in der Nähe des Sees, die Schuhe des Vermissten stehen am Ufer. Prompt geht die Polizei von Selbstmord aus. Fall gelöst? Sein Bauchgefühl sagt Kupernikus, dass mehr hinter der Sache stecken muss. Zumal es auch noch einen Einbruch in ein Hausboot gab. Dabei wurde die junge Besitzerin angegriffen. Von einem Motiv weit und breit keine Spur. Kupernikus und Annabelle beginnen Fragen zu stellen, die sie bald tief in einen verzwickten Fall verwickeln.

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Kapitel 1

Szene 1

Szene 2

Szene 3

Szene 4

Szene 5

Szene 6

Szene 7

Szene 8

Szene 9

Szene 10

Szene 11

Szene 12

Szene 13

Szene 14

Kapitel 2

Szene 1

Szene 2

Szene 3

Szene 4

Szene 5

Szene 6

Szene 7

Szene 8

Szene 9

Szene 10

Szene 11

Szene 12

Szene 13

Szene 14

Szene 15

Kapitel 3

Szene 1

Szene 2

Szene 3

Szene 4

Szene 5

Szene 6

Szene 7

Szene 8

Szene 9

Szene 10

Szene 11

Szene 12

Szene 13

Szene 14

Ende gut, alles gut.

Rezepte

Tote Oma

Himmel und Hölle

Numako-Ecken

Kapitel 1

Szene 1

Kein Brötchen im Getriebe
Außen. Früher Morgen.
Campingplatz Himmelreich.

»Hier stimmt doch etwas nicht!«, rief die junge Frau.

Besonders hohe Nuancen in ihrer Stimme fanden ihren Weg in Björn Kupernikus’ Amalgamfüllungen und reizten die Zahnnerven.

Für lautes Sprechen, für Kommunikation im Allgemeinen war es an diesem Tag noch viel zu früh. Kupernikus hatte noch keinen Kaffee gehabt, und ohne Kaffee verweigerte sein Sprachzentrum die Arbeit. Also sparte er sich einen Kommentar.

Aber die junge Camperin vor ihm in der Schlange hatte recht. An keinem einzigen Tag, seitdem Kupernikus auf dem Campingplatz Himmelreich verweilte – immerhin schon mehr als drei Wochen –, hatte er morgens hier Schlange stehen müssen, um seine Brötchen zu bekommen.

Pinguin, die kleine Hundedame, die sich ebenso lange in seiner Obhut befand, wirkte auch bereits ungehalten. Sie stand nicht gern wartend herum.

»Ich hab in der Bäckerei angerufen, der Bäcker kommt sicher gleich um die Ecke«, versuchte Susi Sonnenschein, die Gäste zu beruhigen. Susi war Kupernikus’ Lieblingsmitarbeiterin im Campingplatz-Restaurant, ihr Name war Programm – und dazu noch echt. Egal, wie schlecht das Wetter oder wie nervig die Gäste, Susi strahlte.

Heute jedoch nicht ganz so hell. Verständlicherweise. Ein Campingplatz funktionierte wie ein gut eingestelltes Getriebe, alle Räder und Rädchen griffen ineinander, keines durfte ausfallen, schon gar nicht der Brötchenlieferdienst.

»Hoffentlich ist nichts passiert. Ein Unfall oder so.« Die Camperin wandte sich nun direkt an Kupernikus. Ihr Haar war blondiert, die Haut gebräunt, der Körper schlank, die Augen blau, die Kleidung beige. Sie mochte Anfang dreißig sein.

»Malst du den Teufel an die Wand, kommt er flugs auch angerannt«, entgegnete Kupernikus, der nichts von Schwarzmalerei hielt. Vom Dichten aber schon, das tat er sehr gern.

»Was meinen Sie damit?«, fragte die Frau.

»Ach, nichts, nur so eine Redensart.«

»Man muss aufpassen mit dem, was man nur so sagt. Worte sind Bestellungen ans Universum.«

»Sieh an«, sagte Kupernikus. »Und wohin wird geliefert?«

»Direkt ins Unterbewusstsein. Darüber sollte man keine Scherze machen.«

»Ach so, das wusste ich nicht.«

»Falls Sie mehr darüber wissen wollen, kann ich Ihnen meinen Kurs Ad Astra anbieten. Drei Sitzungen. Dreihundertzehn Euro plus Mehrwertsteuer – und Sie werden den Mehrwert zu schätzen wissen.«

»Mehrkornbrötchen würden mir zunächst reichen. Liefert das Universum die auch?«

Ihr Blick wurde streng. »Kann es sein, dass Ihre Spiritualität verkümmert ist?«

»Bitte, was?«

»Sie benötigen dringend Hilfe.«

»Finden Sie?« Kupernikus fand das nicht. An sich kam er ganz gut zurecht – obwohl er es mit dem Universum nicht so hatte und Online-Bestellungen generell vermied. Ein Verkäufer mit Hand und Gesicht betrügt dich nicht, war sein Motto. Jeff Bezos’ Hand hatte er bisher nicht geschüttelt.

Die Frau musterte ihn. »Kenne ich Sie von irgendwoher?«

»Nicht, dass ich wüsste«, sagte Kupernikus, obwohl er meinte, die Frau schon das eine oder andere Mal gesehen zu haben.

»Sie kommen mir aber bekannt vor. Sind Sie nicht dieser … dieser … nun sagen Sie schon …«

Zu allem Überfluss schnippte die Frau nun auch noch mit den Fingern. Ein Geräusch, das Kupernikus überhaupt nicht mochte.

»… dieser Schnüffler. Ja, genau. Der die Leiche aus dem See gezogen hat.«

Schnüffler!?

Was zu viel war, war zu viel.

»Komm, Pinguin, wir gehen.« Kupernikus trat aus der Schlange heraus und zog die kleine Hundedame an der Wäscheleine mit sich.

Er war nahe dran gewesen, Tatort-Kommissar zu werden, und würde sich hier nicht von einer Gesandten des Universums als Schnüffler betiteln lassen. So viel Stolz musste sein. Erst recht, solange sein Koffeinspiegel zu niedrig war für eloquente Konversation. Also trat er die Flucht nach vorn Richtung Rezeptionsgebäude an. Mit ein bisschen Glück würde ihm der blaue Bäckerwagen gleich entgegenkommen, dann könnte er seine Brötchen direkt in Empfang nehmen.

Kupernikus kam am Bootslager vorbei, dem großen Parkplatz, auf dem außerhalb der Saison die Boote abgedeckt ein trauriges Dasein ohne Wasser fristeten. Schiffe passten einfach nicht an Land, fand er.

Als Kupernikus die Rezeption des Campingplatzes erreichte, war der Bäckerwagen noch immer nicht in Sicht. Er schaute zu Pinguin hinab. »Gehen wir zur Bäckerei nach Caputh und holen unsere Brötchen dort? Was meinst du?«

Pinguin leckte sich die Lefzen und wackelte mit der Rute, was man als Einverständnis werten konnte.

Also marschierten sie los. Ihr Weg führte sie von der Wentorf-Insel, auf der sich der Campingplatz Himmelreich befand, in Richtung des kleinen Örtchens Caputh. Zu dieser frühen Tageszeit hatten sie den Weg für sich allein. Bäume streckten ihre Äste darüber, das Laub war längst gelb, braun, rot und tot und fiel zu Boden. Über dem Wasser des Sees lag weißer Nebel. Wärmendes Sonnenlicht fand seinen Weg durchs Blätterdach. Stille in Kupernikus’ Seele und Zahnfüllungen.

Augenblicklich fühlte er sich besser. Es war ja nicht so, dass er Menschen generell nicht mochte. Er mochte sie nur zu bestimmten Tageszeiten nicht, vergleichbar mit den Ruhezeiten eines Campingplatzes. Von zweiundzwanzig bis neun Uhr mochte er sie nicht, bis dreizehn Uhr dann schon, bis fünfzehn Uhr wieder nicht und so weiter.

Derart sinnierend, fiel Kupernikus etwa auf der Hälfte der Strecke eine Erscheinung in der Ferne auf. Zwischen Licht und Schatten wirkte sie geisterhaft, wie eine flackernde Fata Morgana, die sich auflöste, sobald man sich ihr näherte. In diesem Fall tat sie das aber nicht – Gott sei Dank, denn er erkannte bald Annabelle Schäfer.

Sie winkte und hielt dabei etwas in der Hand.

Bei näherer Betrachtung entpuppte es sich als gefüllter Beutel. Wenn Annabelle sich zum Abendessen oder Frühstück einlud, brachte sie stets die abenteuerlichsten Zutaten für Gerichte mit, von denen Kupernikus nie zuvor gehört hatte. Gerichte wie Hoppelpoppel oder Gottesbscheißerle beispielsweise. Er gab allerdings gerne zu, dass bisher alles sehr gut geschmeckt hatte – mit negativen Folgen für sein Bauchhöhlenfett. Sein Arzt hatte ihn mehrfach davor gewarnt, aber Kupernikus aß einfach zu gern.

Annabelle trug ein langes Kleid mit buntem Blumenmuster, dazu wegen der frischen herbstlichen Temperaturen eine dunkelblaue Jeansjacke, ein grünes Halstuch und an den Füßen blaue Birkenstock-Sandalen.

Kupernikus trug, was er immer trug: dunkelblaue Jeans ohne Löcher oder Risse, schwarze Lederstiefel, ein weißes Leinenhemd und die obligatorische schwarze Lederweste. Natürlich durfte auch die schwarze Baseballkappe mit dem weißen Schriftzug »Oldskull« nicht fehlen. Modisch war er nicht up to date, eher down to late. An ihm würde sich selbst ein Harald Glööckler die modischen Zähne ausbeißen. Aber in dieser Kleidung fühlte er sich wohl und sicher.

»Guten Morgen, Kupernikus, wie schön, dass Sie mir entgegenkommen. Ich habe uns Prosecco und andere Köstlichkeiten mitgebracht!«

Annabelle trank gern ein Gläschen Prosecco zum Frühstück. Essen und Trinken sollte glücklich machen, fand sie. Kupernikus mochte das süße Zeug nicht, stieß aber dennoch mit ihr an, weil ihm das Ritual gefiel.

Er ließ Pinguin von der Leine, und die kleine Hundedame lief auf ihren krummen Beinen hocherfreut auf Annabelle zu. Die beiden mochten einander sehr.

»Guten Morgen, Annabelle. Für einen Moment habe ich Sie für eine Fata Morgana gehalten.«

»Ach, wie schön. Wussten Sie, dass die Bezeichnung auf den Namen Fee Morgana aus der Artussage zurückgeht?«

»Was Sie nicht sagen«, antwortete Kupernikus abwesend und warf einen Blick in den Stichweg, der zum Schwielowsee hinunterführte. Dort schimmerte etwas blau, was da nicht hingehörte, wo alles grün sein sollte.

»Mein lieber Kupernikus, Sie wirken verstimmt. Wie kann das sein, wenn Sie doch mich zum Frühstück erwarten? Hatten Sie noch keine psychotropen Substanzen?«

»Bitte?«

»Kaffee, mein Lieber, ich meine Kaffee. Der gehört zu den psychotropen Substanzen und ist das weltweit am meisten konsumierte Alkoloid.«

Von der ehemaligen Lehrerin Annabelle konnte man immer etwas lernen.

»Keinen Kaffee«, brummte Kupernikus. »Stattdessen kosmische Belehrungen, vor allem aber keine Brötchen.«

»Sie sprechen in Rätseln. Warum haben Sie keine Brötchen?«

»Weil der Bäckerwagen im Wald steht.«

Kupernikus zeigte hinüber, und Annabelle folgte seinem Blick.

Sie schauten auf das Heck eines neuen blauen Transporters der Marke Ford. Der Spalt zwischen den Hecktüren trennte einen überdimensionalen Berliner mit Zuckerguss, aus dem die Marmeladenfüllung wie Blut herauslief. Darüber stand:

Was Mauske bäckt, wird gern gesnackt.

Die Fahrertür stand offen.

»Suspekt … äußerst suspekt«, grummelte sich Kupernikus in den Bart. »Im Himmelreich warten die Camper auf ihre Brötchen, und der Bäckerwagen steht im Wald.«

»Vielleicht musste der Fahrer dringend und hockt in den Büschen«, schlug Annabelle vor.

Diese Möglichkeit konnte man in Betracht ziehen, fand Kupernikus. Aber da das Himmelreich bereits mehr als eine halbe Stunde auf Brötchen wartete, müsste der Bäcker schon arg an Verstopfung leiden – oder an Diarrhö.

»Ich finde das merkwürdig«, sagte Kupernikus daher mit Blick auf den verwaisten Transporter. »Wir sollten zumindest nachschauen.«

Kupernikus ging voran, Annabelle folgte dichtauf. Sie schoben sich an der linken Seite des Transporters entlang, bis sie einen Blick auf den Fahrersitz werfen konnten.

»Niemand drin«, konstatierte Kupernikus.

»Hallo!«, rief Annabelle in den Wald hinein. »Ist hier jemand?«

Eine Taube fühlte sich offenkundig belästigt und stob laut flatternd davon. Ansonsten blieb es still im Unterholz.

»Da liegt ein Portemonnaie in der Ablage, und der Zündschlüssel steckt auch«, sagte Kupernikus und kratzte sich unter der Kappe. »Lassen Sie uns auf der Ladefläche nachschauen.«

Der Transporter verfügte über zwei Schiebetüren, eine rechts, eine links. Kupernikus ergriff den Griff der linken Tür und zog sie mit Schwung auf.

Verführerischer Duft schlug ihnen entgegen. In den Holzregalen lagen Graubrote, Weißbrote, Schwarzbrote sowie Baguettes in unterschiedlichen Längen.

Unter dem Regal befanden sich Körbe voller Brötchen. Normalitos, Roggen-Roller, Fitness-Flunder, Dinkelbatzen, Korn-Kracher, Käsematten, Mohn-Moppel und Chia-Schachteln – wer ließ sich eigentlich diese haarsträubenden Namen einfallen?

Kupernikus ging zum Heck und zog die Türen auf. Hinten drin befanden sich die Kuchenbleche. Butterkuchen, Streuselkuchen, Bienenstich, Eierschecke, Rührkuchen, Krapfen, Viktoria, Nussecken, Mandelhörnchen und Streuselschnecken.

Kupernikus lief das Wasser im Mund zusammen.

Daran waren die Streuselschnecken mit dem Marmeladenklecks in der Mitte schuld. Und auch die Nussecken. Und eigentlich auch die Mandelhörnchen. Für derlei Kleingebäck hatte er schon immer eine Schwäche gehabt, Bauchhöhlenfett hin oder her.

Annabelle begutachtete einen Korb mit Brötchentüten.

»Da sind unsere«, rief sie und zog eine Tüte heraus. Jemand hatte mit einem Kugelschreiber den Namen Kopernikus draufgeschrieben. Immer wieder wurde sein Name falsch geschrieben, darüber regte Kupernikus sich längst nicht mehr auf.

»Besser nicht anfassen!«, warnte er Annabelle. »Wenn hier ein Verbrechen geschehen ist, dürfen wir keine Spuren kontaminieren.«

Annabelle legte die Tüte zurück. »Natürlich, Sie haben recht, Kupernikus. Aber glauben Sie wirklich, dem Bäcker ist etwas zugestoßen?«

»Aus folgenden Überlegungen ziehe ich es zumindest in Betracht:

Warum steht der Wagen in diesem Waldweg?

Warum befinden sich Portemonnaie und Zündschlüssel im Wagen, der Bäcker aber nicht?

Warum ist er so lange überfällig?«

»Was sollen wir tun?«, fragte Annabelle. »Die Polizei informieren?«

»Haben Sie denn Ihr Handy dabei, Teuerste?«

»Natürlich! Sie nicht?«

»Das liegt wie immer im Camper. Aber bevor wir schlafende Hunde wecken, lassen Sie uns zunächst dort drüben nachschauen. Vielleicht nimmt der Bäcker ein Bad.«

Kupernikus zeigte den Weg hinunter. An seinem Ende, gut dreißig bis vierzig Meter entfernt, glitzerte der Schwielowsee. An seinem Ufer leuchtete etwas weiß, was da nicht hingehörte.

»Jetzt habe ich doch ein bisschen Angst«, sagte Annabelle und hakte sich bei ihm ein.

Kupernikus drückte die Schultern durch und zog den runder gewordenen Bauch ein. Sie erreichten das Ufer. Im Gras stand ein Paar Schuhe, die Schuhspitzen auf den See ausgerichtet. Weiße Sneaker. Sehr groß. Fünfundvierzig, schätzte Kupernikus. Teig- und Mehlreste klebten zwischen den Schnürsenkeln. Keine Frage, sie gehörten dem Bäcker.

Pinguin interessierte sich sehr für die offenbar intensiv duftenden Schuhe und beschnüffelte sie ausgiebig.

Kupernikus musste an einen Satz des Fährmanns von Caputh denken.

Einen holt der Schwielow sich jedes Jahr.

»Jetzt sollten wir wohl doch Kommissar Fass informieren«, sagte er.

Pinguin knurrte. Auf den Namen Fass reagierte sie immer so.

Annabelle zückte ihr Handy und rief die eingespeicherte Nummer an. Plötzlich schallte ein kurzer, abgehackter Schrei über den See, gefolgt von einem platschenden Geräusch, so als stürze jemand ins Wasser.

Szene 2

Des Bäckers Schuhe
Außen. Früher Morgen.
Ufer des Schwielowsees.

Kupernikus eilte mit Pinguin am Ufer entlang in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war.

Er vermutete den Bäcker in Not.

Fand allerdings eine gänzlich andere Situation vor.

Hinter einer Biegung dümpelten zwei SUP-Boards auf dem ruhigen See. Auf dem einen stand eine durchtrainierte Frau in kurzen Hosen und einer wärmenden Weste, das lange schwarze Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihre rechte Hand hielt das auf dem Board abgestellte Paddel, die linke stemmte sie in die Hüfte. Das zweite Board war leer. Die Person, die es gefahren hatte, versuchte offenbar gerade, aus dem Wasser zurück aufs Board zu gelangen. Dabei schlug sie verzweifelt mit den Beinen auf die Wasseroberfläche.

»Von hinten«, rief die Frau. »Reverse Cowboy, Darling. Solltest du kennen.« Sie lachte trocken und kehlig.

Da Kupernikus von der Entwicklung der Ereignisse ein wenig erschrocken war, dauerte es einen Moment, bis er begriff.

Bei der durchtrainierten Frau auf dem Board handelte es sich um die Rechtsmedizinerin Dr. Sabrina Petrich. Kupernikus hatte sie während des letzten Kriminalfalls im Himmelreich kennengelernt – und damit war auch ziemlich klar, wer da etwas hilflos im Wasser kämpfte.

Der Kommissar von Caputh.

Edgar Fass.

Der hatte sich nämlich in die Rechtsmedizinerin verguckt und ließ sich von ihr das Stand-up-Fahren beibringen. Wie es aussah, klappte das nur semi-gut. Aber darüber würde Kupernikus sich niemals lustig machen, denn auch seine Versuche waren bisher nicht von Erfolg gekrönt gewesen.

Ist der Körper vorn zu schwer, klappt Stand-up-Fahr’n nimmermehr.

»Kommissar!«, rief Kupernikus. »Das trifft sich ja gut. Wir haben gerade versucht, Sie anzurufen.«

Edgar Fass schaffte es nun doch noch auf das SUP, und tatsächlich sah er dabei aus wie ein Cowboy, der von hinten auf ein Pferd steigt. Erschöpft blieb er darauf sitzen. Also auf dem Board, nicht auf einem Pferd. Er trug einen schwarzen Neoprenanzug und Gummischuhe mit Noppen. Um den Hals hing eine transparente Hülle, darin steckte ein Smartphone. Das hatte etwas von einem Schüler auf Klassenfahrt.

»Ich weiß«, rief er zurück. »Herzlichen Dank dafür.«

Sabrina Petrich kam lachend ans Ufer gepaddelt. Ihre Armmuskulatur war spektakulär.

»Er hat das schon ganz gut gemacht«, sagte sie und legte an. »Aber als er nach dem Handy greifen wollte, ist er reingefallen.«

»Oh, das tut mir leid, wenn wir das gewusst hätten …«

»Wer ist wir?«, wollte Fass wissen.

»Kupernikus und ich«, übernahm Annabelle, die nachgekommen war.

»Was macht der Kommissar im Wasser?«, wollte sie wissen.

»Sie haben ihn reingeklingelt«, klärte Kupernikus sie auf.

»Oh, das tut mir so leid«, sagte Annabelle in einem Tonfall, der ihre Worte Lügen strafte. Ihr Verhältnis zu Fass war ambivalent, seitdem er damit gedroht hatte, Pinguin zu konfiszieren und in ein Tierheim zu stecken. Immerhin war sie Teil einer Mordermittlung gewesen.

Kommissar Fass war mittlerweile auf Knien ans Ufer gepaddelt. Aus dem nassen Haar lief Wasser über sein sauertöpfisches Gesicht, der Neoprenanzug stand ihm nicht besonders gut – insgesamt machte er einen bemitleidenswerten Eindruck.

»Es freut mich, wenn ich zur Erheiterung beitragen kann«, sagte er. »Gibt es auch einen Grund für den Anruf?«

»Aber natürlich«, antwortete Annabelle. »Der Bäcker ist verschwunden.«

»Wie bitte?«

»Thees Mauske, der Bäcker«, half Kupernikus und schob ein kleines Gedicht nach. »Das Himmelreich steht ohne Brötchen da, den Bäckerwagen im Wald ich sah, des Bäckers Schuhe noch dazu, das alles lässt mir keine Ruh.«

Mit einem sportlichen Sprung kam die Rechtsmedizinerin ans Ufer. »Das klingt nicht gut.«

»Mein Gedicht?«

»Die Umstände.«

»Deshalb haben wir Kommissar Fass angerufen.«

Pinguin knurrte. Auch ihr Verhältnis zu ihm war ambivalent.

Edgar Fass hatte Probleme, das Ufer zu erklimmen – er musste sich von Sabrina Petrich helfen lassen. Die streckte ihm die Hand entgegen und zog kräftig.

»Warum haben Sie nicht den Bäcker selbst angerufen?«, fragte Fass missmutig, als er festen Boden unter den Füßen hatte.

»Haben Sie die Nummer Ihres Bäckers gespeichert?«, hielt Annabelle dagegen. »Übrigens: Der Anzug steht Ihnen gut.«

»Zeigen Sie mir die Schuhe«, überging Fass den ironischen Kommentar. »Und halten Sie mir die Kröte vom Leib.«

Mit Kröte meinte er Pinguin. Okay, sie war klein, die Beine etwas krumm, dennoch fand Kupernikus sie hübsch, und er mochte es überhaupt nicht, wie Fass über sie sprach. Da es im Moment aber Wichtigeres gab, stapfte er kommentarlos voran.

Die anderen folgten.

Die mehlverklebten Sneaker standen noch so da, wie sie sie verlassen hatten. Ordentlich nebeneinander, die Schuhspitzen auf den See gerichtet.

»Keine Kleidung«, konstatierte Fass. »Schwimmen wird er also nicht.«

»Nur, wenn er in Badehose Backwaren ausliefert«, schob Annabelle nach und fing sich einen missbilligenden Blick vom Kommissar ein.

»Haben Sie niemanden im Wasser gesehen?«, fragte Kupernikus.

Fass schüttelte den Kopf. »Wir sind aus dem Wentorfgraben gekommen … da war niemand.«

Der Wentorfgraben verband den Petzinsee mit dem Schwielowsee und machte es möglich, eine Runde ums Himmelreich zu paddeln, die länger als eine Stunde dauerte und wunderschön war – hatte Kupernikus sich sagen lassen.

Alle schwiegen und blickten betreten auf den See hinaus.

Außer Pinguin. Die beschnüffelte abermals die Bäcker-Schuhe. Und hob dann das Bein, um dran zu pinkeln.

»Nein. Aus. Musst nicht«, rief Kommissar Fass und verscheuchte sie. Er nestelte das Handy aus der wasserdichten Hülle um seinen Hals, suchte eine Nummer und rief jemanden an.

»Kommissar Fass hier …«

Pinguin knurrte.

Das Gespräch dauerte nicht lang.

»In der Bäckerei sind sie ratlos«, sagte Fass. Sein Blick ging zwischen den Schuhen und dem Bäckerwagen hin und her, dann traf er eine Entscheidung. »Okay, das sieht ganz nach einem Suizid aus. Bitte verlassen Sie den Bereich.«

»Welchen Bereich?«, wollte Annabelle wissen.

»Na ja …«, Fass drehte sich in seinem unvorteilhaften Neoprenanzug im Kreis, »… das alles hier. Möglicherweise zerstören wir gerade Spuren. Das muss hier alles abgesperrt werden. Ich rufe den zentralen Ermittlungsdienst.«

Schwups, hatte er das Handy erneut am Ohr.

»Besser, Sie gehen«, flüsterte Sabrina Petrich. »Im Kommissarmodus ist er nicht zu Scherzen aufgelegt.«

»Sonst auch nicht, oder?«, sagte Annabelle.

»Sie würden sich wundern«, antwortete die Petrich und grinste.

Kupernikus zog Pinguin mit sich in Richtung des blauen Bäckerwagens, Annabelle folgte ihnen.

»Moment«, rief Annabelle, als sie bei dem Transporter angekommen waren, zog die Beifahrertür auf und nahm die Kopernikus-Brötchentüte raus. »Haben Sie die Brötchen schon bezahlt?«

»Ja, das habe ich. Seit geraumer Zeit verlangt der Bäcker Vorkasse. Warum auch immer.«

»Na dann …« Annabelle warf die Tür mit einem lauten Rums zu. »Wenn wir hier nicht gebraucht werden, können wir ebenso gut frühstücken.«

Gerade als sie die schmale Straße betreten wollten, schoss ein Streifenwagen mit Einsatzlicht, aber ohne Martinshorn vorbei Richtung Campingplatz.

Verdutzt schauten sie ihm hinterher.

»Was ist denn heute nur los?«, fragte Annabelle.

Szene 3

Das gekaperte Hausboot
Außen. Vormittag.
Hausboot auf dem Templiner See.

Solveig Bach hatte lange auf den Bäcker gewartet, und sie hätte vielleicht auch noch länger gewartet, doch als sich die Schlange der Camper auflöste, machte auch sie sich auf den Rückweg.

Ohnehin brauchte sie ihr Handy, um herauszufinden, was los war. Für die zehn Minuten, die es eigentlich dauerte, Brötchen zu holen, hatte sie es nicht mitnehmen wollen – es ruhte auf der Ladeschale in der Küche.

Ihre Gedanken verstiegen sich zu abenteuerlichen Kapriolen, das war immer so, wenn etwas Unvorhergesehenes geschah. Vor ihrem geistigen Auge sah sie den Bäcker tot über dem Lenkrad seines Lieferwagens hängen, gestorben bei einem Aufprall gegen eine dicke Eiche am Straßenrand. Sein geistiges Ich löste sich von seinem Körper, und diese ätherische Erscheinung, erfüllt von Liebe und Hoffnung, strebte dem Universum entgegen, in dem es beides im Überfluss gab.

Das Hausboot, auf dem Solveig derzeit lebte, lag ganz außen am letzten Steg in der Südbucht des Campingplatzes. Sie mochte zwar die Gemeinschaft des Platzes, schätzte aber auch die Privatsphäre in diesem Bereich.

Der Steg war ein wenig rutschig jetzt im Herbst, wenn sich frühmorgens Feuchtigkeit auf die Holzbohlen legte. Zudem kackten über Nacht gern die Enten drauf. Über dem Wasser des Templiner Sees lag noch Nebel, das gegenüberliegende Ufer war nicht zu erkennen. Irgendwo fuhr unsichtbar mit leisem Geräusch ein Motorboot. Die ersten Sonnenstrahlen ließen den Nebel weiß erstrahlen. Solveig blieb einen Moment stehen, um die einzigartige Szenerie tief in sich aufzunehmen. Der See strahlte Gelassenheit aus, und die wirkte sich auch auf sie aus. Hier draußen fand sie innere Ruhe. Das Wasser als magisches Element des Lebens und der Wiedergeburt nahm alle Last mit sich. Sie spürte deutlich, wie ihre befreiten Schultern sich hoben.

Etwas störte die Idylle.

Solveig spürte Blicke.

Suchend drehte sie sich um. Klar, ganz allein war man auf einem Campingplatz nie, auch nicht hier im abgeschotteten Bereich der Dauercamper, aber die Blicke, die sie spürte, waren anders. Nicht zufällig, sondern absichtlich und zudem intensiv.

Drüben, an dem anderen Steg, lag das Hausboot des Synchronsprechers und Schauspielers Charles Rettinghaus. Sie trug ihre Brille nicht, deshalb konnte sie nicht erkennen, ob jemand oben auf der Dachterrasse auf einem der Sitzsäcke saß oder hinter einem der Fenster stand, aber sie hatte schon früher den Eindruck gehabt, dass Rettinghaus sie beobachtete. Mitunter stand er mit einem Fernglas dort oben. Vielleicht tat sie ihm unrecht, und er war ein Hobby-Ornithologe, aber ganz geheuer war der Mann ihr nicht.

So schnell es auf den rutschigen Bohlen ging, eilte sie zu ihrem Hausboot. Noch auf dem Steg zog sie die Schuhe aus und überwand barfuß den Spalt zwischen Steg und Boot. Die geriffelten Holzbohlen fühlten sich kalt an unter den Füßen. Plötzlich fror Solveig. Sie würde sich einen heißen Ingwer-Kurkuma-Tee zubereiten und zusätzlich mit ein paar Yogaübungen aufwärmen.

Doch kaum hatte sie die Tür des Hausboots hinter sich zugedrückt, spürte sie, dass hier etwas nicht stimmte. Sie war ein sehr sensibler Mensch, viel zu durchlässig für diese laute, brutale, egoistische Welt, und ihre Sinne reagierten oft über – aber diesen Geruch bildete sie sich nicht ein.

Der war real.

In ihrem Hausboot roch es anders als noch vorhin, als sie zum Brötchenholen aufgebrochen war. Irgendwie mineralisch und nach … Algen.

»Fine?«, rief sie.

Ihre Katze reagierte immer, wenn sie nach ihr rief, maunzte zumindest, wenn sie nicht sofort angelaufen kam, weil sie mit Fellpflege oder dem Beobachten von Vögeln beschäftigt war.

Jetzt aber gab es keine Reaktion.

Durch einen schmalen Gang, von dem drei Türen abgingen, gelangte Solveig in das große Wohnzimmer mit dem verglasten Panoramablick auf den See hinaus. Noch bevor sie den Raum betrat, bemerkte sie ein kleines Motorboot, das neben ihrem Hausboot angelegt hatte – und das war nicht gestattet.

Im Wohnzimmer herrschte Chaos.

Schubladen waren herausgezogen und durchwühlt, Kleidung lag auf dem Boden verstreut.

Eine Bewegung links von ihr.

Schwarz und schnell.

Solveig schrie auf, schlug um sich und traf sogar.

Jemand grunzte, und die Hand, die sich schon auf ihren Nacken gelegt hatte, verschwand.

Auch wenn Angst ihren Verstand blockierte, wusste Solveig, dass bei ihr eingebrochen wurde. Weg, nur weg, war ihr einziger Gedanke.

Sie floh.

Zurück auf den Steg.

Laut schreiend rannte sie barfuß über das feuchte Holz, rutschte auf Entenkacke aus, landete mit einer fast perfekten Rolle vorwärts im Wasser und schlug sich den Kopf heftig an einem Holzpoller an.

Ihr schwanden die Sinne.

Sie ging unter.

Als sie auftauchte und nach Luft schnappte, war da plötzlich dieser Mann, der nach ihr griff, um ihren Kopf wieder unter Wasser zu drücken.

Szene 4

Wednesday Addams
Vormittag. Außen.
Campingplatz Himmelreich.

»Was ist denn nur los?« Kupernikus klang genervt – und war es auch.

Zurück auf dem Campingplatz, sah es nicht so aus, als würde er alsbald in aller Ruhe seinen ersten, zweiten und möglichst auch dritten Kaffee genießen können. Dabei hielt er für heute eine neue Bohne bereit, auf die er sich besonders freute.

»Vollkommen weird, Digga«, sagte Thiago, der sich von rechts aus einem Seitenweg kommend zu ihnen gesellte. Thiago war halb Finne, halb Brasilianer und im Himmelreich das Mädchen für alles. Und irgendwie konnte er auch alles, wie Kupernikus bei seinem letzten Fall festgestellt hatte. Sogar Capoeira.

»Angeblich hat es unten an einem der Hausboote einen Einbruch gegeben«, führte Thiago aus. »Total sus.«

Der junge Mann mit der beneidenswert braunen Haut trug eine Wollmütze, die die Ohren nicht verdeckte, dazu einen Hoodie mit der Aufschrift Life is better at the Himmelreich und eine kurze Hose im Camouflage-Look. Die Füße steckten in Gummilatschen. Kupernikus hatte Thiago noch nie in langen Hosen und mit geschlossenen Schuhen gesehen und war gespannt darauf, wie sich der Winter darauf auswirken würde – wenn er dann noch hier wäre. Also er selbst, nicht Thiago.

»Um Gottes willen!«, stieß Annabelle aus. »Ist jemand zu Schaden gekommen?«

»Kein Plan, Lady, bin gerade aus der Koje gefallen und weiß auch nicht mehr.«

Zu dritt gingen sie den Weg hinunter zum Südufer. Der Einsatzwagen stand vor einer Schranke, beide Türen offen, das Einsatzlicht drehte sich in munterem Blau.

»Die hatten es aber eilig«, sagte Kupernikus und ließ den Blick über den Platz gleiten.

Natürlich trieb die Neugierde alle Camper hinaus. Er sah Dutzende Menschen in bequemer Kleidung mit Kaffeetassen in den Händen, die alle in die gleiche Richtung starrten. Es wurde lamentiert, teils mit Händen und Füßen, und zweifelsohne nahmen die ersten Gerüchte ihren Siegeszug durchs Himmelreich auf.

»Gehen wir runter? Oder was sagst du, Locke?«

Seit dem letzten Fall, den Thiago und Kupernikus am Ende gemeinsam gelöst hatten, nannte der finnische Brasilianer ihn oft Locke, was eine Verniedlichung von Sherlock sein sollte. Davon hätte Kupernikus sich ja noch geschmeichelt gefühlt, bei Locke aber musste er immer daran denken, dass sein Haupthaar in dem Maße dünner wurde wie sein Bauch dicker. Und wenn Thiago ihn entweder Dicker oder Locke nannte, traf er damit zwei empfindliche Stellen zugleich, ohne es böse zu meinen.

»Na klar, Dicker«, sagte Kupernikus mit Betonung auf dem letzten Wort.

»Das heißt nicht Dicker, Digga, sondern Digga, mit zwei G und A hinten«, korrigierte Thiago ihn.

»Tja, jede Generation hat ihre eigene Sprache«, hielt Kupernikus dagegen. »Aber muss die unbedingt aufs Äußere abzielen?«

»Häh?«, machte Thiago.

»Mein lieber Kupernikus«, mischte sich Annabelle ein. »Ich glaube, Digga … oder Digger, steht zwar für Dicker, aber im Sinne von dicker Freund. Mit Ihrem Bauch hat das nichts zu tun.«

»Korrekt, Alter«, schob der brasilianische Finne nach. »Deine Chaya hat voll den Durchblick.«

»Das wusste ich doch«, sagte Kupernikus und schritt mit Pinguin an der Leine flott voran.

Der Weg führte an der Schranke vorbei hinunter ans Ufer.

Auf dem Steg, an dem die Hausboote lagen, gab es einen Menschenauflauf. Zwei Polizistinnen kümmerten sich um eine Person auf dem Boden, die Kupernikus nicht sehen konnte. Etwas abseits erkannte er dank der im Morgenlicht schimmernden Glatze Roger Gross, den Inhaber des Himmelreichs. Wie beinahe immer hatte er das Handy am Ohr, lief auf und ab und gestikulierte mit der freien Hand. Er war barfuß und trug einen orangefarbenen Bademantel, was darauf schließen ließ, dass die Ereignisse ihn aus dem Bett katapultiert hatten. Seine Tochter Henriette stand mit in die Hüften gestemmten Fäusten herum.

Als Roger sie erblickte, grüßte er, beendete das Telefonat und kam auf sie zu. Henriette folgte ihm.

»Was für ein Morgen!«, stieß Roger kopfschüttelnd aus.

»Was ist denn passiert?«, fragte Annabelle.

»Auf Solveigs Hausboot war ein Einbrecher. Sie kam gerade vom Brötchenholen zurück und hat ihn überrascht. Er hat sie angegriffen, sie fiel ins Wasser und …« Roger schüttelte verzweifelt den Kopf. »Sie hätte tot sein können.«

Annabelle stieß hörbar die angehaltene Luft aus. »Ist sie verletzt?«

»Sie hat sich den Kopf angestoßen und ist nicht ganz bei Sinnen … das war aber auch vorher schon so. Zum Glück hat Charles das Ganze vom Dach seines Hausboots aus beobachtet und ist ihr zu Hilfe geeilt. Er hat Solveig aus dem Wasser gezogen.«

»Und der Einbrecher?«

»Den nicht, der war ja nicht im Wasser.«

»Nein, wo ist er hin, meinte ich.«

»Ist wohl abgehauen, als Charles eingriff. Mit einem Boot.«

»Charles hat mit einem Boot eingegriffen?«, fragte Annabelle.

»Nein, der Täter ist mit einem abgehauen.«

Kupernikus schob seine Baseballkappe hoch, kratzte sich am Kopf und schüttelte selbigen. Ihm fehlten die Worte – was hauptsächlich daran lag, dass der Kaffeeentzug bereits ein kritisches Stadium erreicht hatte.

»Jetzt habe ich Angst und kann bestimmt nicht mehr schlafen«, sagte die kleine Henriette.

»Du sollst doch verschwinden, habe ich gesagt!«, fuhr ihr Vater sie an.

»Hast du keine Schule, junge Dame?«, wollte Annabelle wissen.

»Erst zur Vierten. Und nach der Sechsten wieder Schluss. Schule ist scheiße.« Henriette verschränkte die Arme vor der Brust.

»Los, Abfahrt!«, beharrte Roger, doch die Kleine machte keine Anstalten, auf ihn zu hören.

»Ich bin Lehrerin und kann dir Nachhilfe geben«, bot Annabelle an. »Am besten jetzt sofort, damit du nicht so viel verpasst.«

»Nee, ich muss los. Frühstücken und Zähneputzen und Zimmer aufräumen und so.«

Jetzt verschwand Henriette doch, und zwar so schnell sie konnte.

»Wir sind hier im Himmelreich«, echauffierte sich Roger Gross. »Hier passiert doch so etwas nicht.«

Kupernikus unterließ es, ihn darauf hinzuweisen, dass erst vor wenigen Wochen jemand in seinen Camper eingebrochen war und Pinguin entführt hatte. Das Himmelreich war wohl nur auf den ersten Blick ein idyllischer Ort. Wie überall, wo Menschen zusammenkamen, taten sich auch hier Abgründe auf. Und wenn man die nicht erwartete, wirkten sie meist umso tiefer.

»Übrigens: Der Bäcker ist verschwunden«, sagte Kupernikus.

»Was?«

»Der Bäcker. Thees Mauske. Seine Schuhe stehen am Schwielow. Blickrichtung Wasser.«

Mit wenigen Worten klärte Kupernikus den Chef des Himmelreichs darüber auf, was an diesem frühen Tag außer dem Einbruch sonst noch geschehen war.

»Der Mauske geht doch nicht ins Wasser«, sagte Roger. »Klar, der hat Probleme, seitdem jede Tankstelle Billigbrötchen verkauft, aber der ist ein echter Lebenskünstler. Ich mag den. Er lehnt sich gegen Regeln auf, ist unangepasst.«

»Es sieht aber danach aus«, hielt Annabelle dagegen. »Weshalb sonst sollten seine Schuhe am Wasser stehen?«

»Was weiß ich – vielleicht wollte er sie waschen«, sagte Roger, dann klingelte sein Handy. »Da muss ich kurz ran.«

»Digga, das ist doch sus. Da zieht einer seine Schuhe aus, um ins Wasser zu gehen, behält aber die Klamotten an? Nee, gloob ich nich’«, wandte Thiago ein.

Da hatte er einen Punkt, fand Kupernikus, der diesen Gedanken auch schon gewälzt hatte – allerdings ohne dieses sus, von dem er nicht wusste, was es bedeuten sollte. Wenn jemand sich in einer Kurzschlusshandlung umbringen wollte, passte das nicht zueinander. Andererseits: Was in den Köpfen der Menschen vorging, passte ja sehr oft nicht zueinander.

Aus dem Menschenpulk am Steg löste sich nun Charles Rettinghaus und kam zu ihnen herauf. Wie immer war er auffallend gut gekleidet. Blaue Sneaker, blaue Shorts, weißer Rollkragenpullover.

»Guten Morgen zusammen«, sagte er in seiner markanten Tonlage, in der die Stimmen einiger Hollywood-Größen mitschwangen.

»Da kommt der Held des Tages«, rief Annabelle und versetzte Kupernikus damit einen Stich. Beim letzten Fall hatte sie noch ihn so genannt, als er Pinguin von dem Paddelboard gerettet hatte.

»Wie gut, dass Sie rechtzeitig zur Stelle waren«, brummte Kupernikus. »Gar keine Paddelrunde ums Himmelreich gedreht heute?«

»Aus Zeitgründen leider nicht, ich muss gleich nach Potsdam, treffe dort den CEO von Netflix. Neue Serie, große Sache. Dass ich helfen konnte, war reiner Zufall. Ich saß mit einer Tasse Kaffee bei mir oben auf dem Dach und habe das Ganze beobachtet.«

»Aber den Einbrecher haben Sie nicht kommen sehen? Mit dem Boot?«, fragte Kupernikus.

Rettinghaus schüttelte den Kopf. »Da war ich wohl noch unten in der Küche. Kaffee kochen. Außerdem liegt Nebel über dem See, da sieht man nicht viel.«

»Soso.« Kupernikus tat es bereits weh, wenn jemand nur von Kaffee sprach. Zudem wusste er nicht so recht, was er von diesem Schauspieler und Synchronsprecher halten sollte. Irgendwie war der nicht greifbar, so, als versammele er all die Rollen und Typen in sich, die er im Laufe seines Lebens gespielt und gesprochen hatte.

Annabelle mit ihren feinen Antennen entging die Anspannung natürlich nicht, also grätschte sie dazwischen. »Haben Sie den Angreifer denn gesehen, als Sie eingriffen?«

»Ja, ganz kurz. Er wollte hinter Solveig her und … na ja, ich denke, wenn ich nicht gewesen wäre, hätte er sie sich auch geholt.«

»Und wie sah er aus?«, wollte Kupernikus wissen.

»Ich habe ihn nicht so gut gesehen, dass ich ihn beschreiben könnte. Ein Mann, denke ich …«

»Diese Solveig … sie ist Dauercamperin hier?«, fragte Annabelle weiter.

»Ich denke schon, aber so genau weiß ich das nicht. Sie lebt auch erst seit ein paar Wochen auf dem Hausboot.«

»Was macht sie beruflich?«

»Irgendwas Spirituelles. Selbstfindungskurse, mit dem Universum verschmelzen, so was.«

Kupernikus bekam Kopfschmerzen.

»Super! Michael Myers kommt!«, sagte Roger und steckte das Handy weg.

»Wer ist Michael Myers?«, fragte Annabelle.

»Na, der irre Killer aus Halloween, diesem Slasher-Film, nie gesehen?«

»Nee. Und der kommt hierher?«

»Na ja, ein Double. Zur Halloweenparty am Freitag. Das wird super! Ihr kommt doch auch, oder? Alle müssen sich verkleiden.«

»Ich gehe als Wednesday Addams!«, rief Henriette, die sich doch wieder herangeschlichen hatte.

»Junge Dame, Abfahrt, habe ich gesagt. Sonst ist Halloween für dich abgesagt.«

Henriette machte eine Schnute und zog von dannen.

»Wer, bitte, ist Wednesday Addams?«, fragte Kupernikus.

»Eine Teenagerin mit übersinnlichen Fähigkeiten und einer abgetrennten Hand als besten Freund. Voll cool«, erklärte Thiago.

»Ich brauche jetzt psychotropische Substanzen«, brummte Kupernikus. »Komm, Pinguin, wir gehen.«

Szene 5

Avocados für die Augen
Außen. Vormittag.
Campingplatz Himmelreich.

»Heute habe ich eine ganz besondere Bohne. Columbia Supremo von der Finca La Mejorana. Mittelkräftig, fruchtig, mit Noten von Karamell.« Kupernikus schloss die Augen und hielt die Nase über die Kaffeemühle. Dies war ein immer wieder unvergleichlicher Moment; wenn die Bohne aufgebrochen war und die Geheimnisse ihres Duftes preisgab. Dafür hatte er den richtigen Riecher. Da schlug das Herz des selbst ernannten Kaffee-Sommeliers höher.

»Aaah, wundervoll«, machte Kupernikus und spürte den Stress der Ereignisse von sich abfallen.

»Für mich bitte mit Milch«, fuhr Annabelle dazwischen. Sie war in der winzigen Küche seines kleinen Campers, den er Otto nannte, mit den Vorbereitungen fürs Frühstück beschäftigt.

»Ja, ich weiß«, brummte Kupernikus.

Seiner Meinung nach gehörte in einen Kaffee nichts außer Wasser und Kaffeepulver; keine Milch, kein Zucker, kein Flavour, und eine so edle Bohne zu verändern, war schon beinahe ein Sakrileg. Aber wenn Annabelle sich etwas wünschte, bekam sie ihren Wunsch auch erfüllt. Das gehörte sich so.

»Das Wasser darf für das Blooming nicht kochen, mehr als neunzig Grad sollte es nicht haben«, erklärte Kupernikus, während er das Pulver übergoss. »Sonst verbrennt der Kaffee!«

»Ich weiß, mein lieber Kupernikus. Sie haben es mir bereits einige Male erklärt. Sagen Sie, haben Sie eigentlich schon einmal an Ihre eigene Bohne gedacht?«

»An meine was?«, fragte Kupernikus entsetzt und bekam heiße Ohren.

»Eine personalisierte Kaffeebohne. Kupernikus-Kaffee oder so. Das ist doch eine schöne Idee.«

»Ach so«, sagte Kupernikus erleichtert. »Nein, habe ich nicht.«

»Sollten Sie. Haben Sie eigentlich auch ein scharfes Messer? Die sind alle stumpf.«

»Ach was, die gehen noch. Was wollen Sie denn schneiden?«

»Die Avocado.«

»Die was?«

Annabelle hielt ihm ein schrumpeliges grün-braunes Ei entgegen. »Avocado. Noch nie gegessen?«

»Äh … nein.«

»Das habe ich mir gedacht. Deshalb habe ich welche mitgebracht zum Frühstück. Avocados sind sehr gut für die Augen.«

»Aha. Meine Augen sind wunderbar in Ordnung.«

»Deshalb benutzen Sie Ihr Handy auch nicht, und wenn, halten Sie es weit weg.«

»Na ja, der Bildschirm ist sehr klein.«

»Nach der Logik müssten Sie es näher heranholen. Nein, nein, Ihre Augen sind wahrscheinlich nicht mehr die besten, mein Lieber.«

»Das wüsste ich aber.«

Annabelle zog ihr Handy hervor, rief etwas auf und hielt es Kupernikus in Leseentfernung hin.

»Was steht da?«

»Das kann kein Mensch lesen. Das ist viel zu klein geschrieben.«

»Wusste ich es doch. Sie brauchen eine Lesebrille.«

»Gar nicht.«

»Oh doch. Dies ist nämlich ein Online-Augen-Test – und Sie sind gerade durchgefallen, Kupernikus.«

»Gar nicht.«

»Doch.«

»Mist, die dreißig Sekunden sind längst um. Ich habe das Blooming versaut.«

Kupernikus war froh, sich nun um die Weiterverarbeitung des Kaffees kümmern zu können. Der Morgen war bisher aufregend genug gewesen, da konnte er keine Debatte um seine Sehfähigkeit gebrauchen. Geschwind trug er die French-Press und zwei Tassen hinaus und stellte sie auf dem Campingtisch unter der Markise ab. Dort standen bereits zwei Sektgläser und eine kleine Flasche Prosecco.

Die Tüte mit den Brötchen lag ebenfalls dort.

Vom Tisch aus ging der Blick auf den See hinaus, Solveigs Hausboot konnten sie aber nicht sehen – was Kupernikus ein wenig schade fand. Er hätte gern beobachtet, was dort weiterhin geschah. Irgendwann würde sicher Kommissar Fass auftauchen und sich der Sache annehmen, und wie man aus Erfahrung wusste, konnte da ein wenig kriminalistische Unterstützung von einem wie Kupernikus nicht schaden.

Nun, sei’s drum.

Es war ja nur ein Einbruch gewesen.

Interessanter war doch, was mit dem Bäcker geschehen war.

Annabelle kam mit einem Tablett heraus, auf dem alles stand, was sie für das Frühstück benötigten. Butter, Käse, Marmelade, Nutella – und vier Avocadohälften. In zwei Hälften steckten noch die runden dunklen Kerne.

»Sind die auch gut für die Augen?«, fragte Kupernikus.

»Machen Sie sich ruhig lustig«, entgegnete Annabelle. »Aber wussten Sie, dass man zu Pulver zermahlene Avocadokerne in Mexiko als Mäusegift einsetzt?«

»Bis eben wusste ich nicht einmal, dass es diesen Kern gibt.«

»Darin ist der Bitterstoff Persin enthalten, der ist für fast alle Haustiere giftig. In Mexiko mischen sie das Pulver mit Käse und Schmalz, die Mäuse fressen es und sterben.«

»Meine Teuerste, Ihr Wissen über Gifte gibt mir zu denken.«

Kupernikus wusste, dass Annabelle drei Ehegatten zu Grabe getragen hatte und einige hier in der Gegend sie schwarze Witwe nannten. Sorgen machte er sich deshalb aber nicht; einen herzlicheren und liebevolleren Menschen als Annabelle hatte er nie kennengelernt. Ihr zuliebe würde er sogar den Prosecco trinken.

Annabelle lachte herzhaft, dann probierte sie von dem Kaffee. »Ein Gedicht. Vielleicht sollte ich wirklich auf die Milch verzichten.«

»Unbedingt«, empfahl Kupernikus.

»Bei der nächsten Tasse – wenn Sie dafür eine Avocado essen.«

»Deal«, sagte Kupernikus und streckte die Hand aus. Annabelle schlug ein.

»Glauben Sie, der Bäcker hat Selbstmord begangen?«, fragte Annabelle, während sie die Brötchentüte öffnete, auf die jemand mit Kugelschreiber Kopernikus gekrakelt hatte.

»Vielleicht wollte er einfach nur die Füße ins Wasser halten, ist ausgerutscht, ertrunken und abgetrieben«, sagte Kupernikus.

»Nicht Ihr Ernst?«

»Na ja, die Menschen haben komische Gewohnheiten … wir sollten herausfinden, ob er schwimmen kann.«

Annabelle nahm die Brötchen aus der Tüte und legte sie in ein kleines Körbchen. Ein überflüssiger Vorgang, wie Kupernikus fand, aber sie legte Wert auf solche Kleinigkeiten – und er darauf, dass sie sich wohlfühlte.

»Nanu«, sagte sie. »Seit wann mögen Sie Mohnbrötchen?«

»Mochte ich noch nie«, antwortete Kupernikus. »Und habe ich auch nicht bestellt.«

»Dann ist da in der Bäckerei wohl ein Fehler passiert.«

Kupernikus schnappte sich ein Normalito, beschmierte es mit guter Butter und griff nach dem Glas mit Nutella.

»Apropos Gewohnheiten«, sagte Annabelle und nahm ihm das Glas aus der Hand. »Wir haben einen Deal. Avocado. Schon vergessen?«

»Aufs Brötchen?«

»Natürlich. Mit ein wenig Salz und Zitronensaft schmeckt das entzückend.«

»Aber doch nicht auf …«

»Oh doch!«, unterbrach sie ihn, nahm seine Brötchenhälfte, belegte sie mit der grünen Paste, die sie mit einem Löffel aus der schrumpeligen Hülle kratzte, streute Salz darüber und träufelte Zitronensaft darauf.

»Für die Augen«, sagte Annabelle und reichte Kupernikus die Brötchenhälfte. »Ein Ermittler braucht schließlich einen scharfen Blick.«

»Und einen guten Riecher. Das hier riecht nach nichts«, sagte Kupernikus, bevor er hineinbiss.

»Und schmeckt auch nach nichts«, nachdem er hineingebissen hatte.

»Darum das Salz und die Zitrone.«

»Mag ich nicht.«

»Es wird trotzdem gegessen. Nutella tötet den Urwald.«

Dagegen fiel Kupernikus kein Argument ein, also aß er schweigend das seiner Meinung nach verhunzte Brötchen. Zum Glück überdeckte die hervorragende Bohne des Kaffees den merkwürdig geschmacklosen Geschmack der Avocado.

»Ich habe den Bäcker hin und wieder getroffen«, sagte Annabelle nachdenklich. »Er machte stets einen sehr lebenslustigen Eindruck.«

»Vorsicht bei denen, die immer lachen«, gab Kupernikus kauend eine Lebensweisheit zum Besten, deren Wahrheitsgehalt er vor allem durch die Schauspielbranche verifiziert sah.

»Sie meinen, Fröhlichkeit treibt in den Tod?«

»Nein. Ich meine, wer immer lacht, versteckt seine Traurigkeit. Und die schafft sich dann irgendwann mit Macht Beachtung.«

Annabelle sah ihn interessiert an. »Mein lieber Kupernikus, ich mag Ihre tiefen Gedanken.«

»Ist das ein verstecktes Kompliment?«

»Nein, ein sehr offensichtliches – und ehrlich gemeintes.«

»Na dann, vielen Dank.«

»Gern geschehen.«

Kupernikus nahm das Mohnbrötchen in die Hand und betrachtete es nachdenklich.