Entwicklungsbegleitung autistischer Kinder in Krippe und Kita - Klaus Kokemoor - E-Book

Entwicklungsbegleitung autistischer Kinder in Krippe und Kita E-Book

Klaus Kokemoor

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Beschreibung

In Kitas und Krippen ist eine deutliche Zunahme von Kindern mit einer Diagnose aus dem Spektrum Autismus zu beobachten. Um die besonderen Verhaltensweisen autistischer Kinder besser verstehen und somit angemessener darauf reagieren zu können, bedarf es eines Perspektivwechsels, so der Autor Klaus Kokemoor. Er erläutert in seinem Buch, was Autismus überhaupt ist und warum sich autistische Kinder oftmals "anders" fühlen. Darüber hinaus zeigt er auf, wie sich Autismus in den Alltag von Krippe und Kita integrieren und sensibel inkludieren lässt. Zahlreiche praktische Fallbeispiele verschaffen pädagogischen Fachkräften ganz konkrete Sichtweisen und erleichertern den Transfer in den Kita-Alltag.

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Klaus Kokemoor

Entwicklungsbegleitung autistischer Kinder in Krippe und Kita

Klaus Kokemoor

Entwicklungsbegleitung autistischer Kinder in Krippe und Kita

Neue Denk- und Handlungsansätze bei Betrachtung, Diagnose und Förderung

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2023

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlagkonzeption und -gestaltung: Röser MEDIA GmbH & Co. KG, Karlsruhe

Satz: Röser MEDIA GmbH & Co. KG

Lektorat: Caroline Baumer, Freiburg

Umschlagmotiv: © Louis

Fotos im Innenteil: S. 9: © romrodinka - iStock.com;S. 49: © Tatsiana Volkava - iStock.com;S. 81: © Solstock - iStock.com; S. 107: © FatCamera - iStock.com;S. 135: © aquaArts studio - iStock.com; S. 153: © heloni - iStock.com

E-Book-Konvertierung: Röser MEDIA GmbH & Co. KG, Karlsruhe

ISBN Print 978–3-451–39418–8

ISBN E-Book (EPUB) 978–3-451–82861–4

ISBN E-Book (PDF) 978–3-451–82860–7

Inhalt

Einleitung

1. Autismus – Begegnung mit einer anderen Kultur?

1.1 Ein anderes Von-der-Welt-Bild

1.2 Die Diagnose Autismus

1.3 Früherkennung

1.4 Dem Kind einen Namen geben

1.5 Ursachen und Hintergründe

1.6 Gluten- und Kaseinunverträglichkeit

1.7 Entwicklung der Symptome

2. Von der Selbstbezogenheit zur Verbundenheit

2.1 Die Bedeutung der Interaktion

2.2 Das Auftauchen des Anderen

2.3 Den Handlungen des Kindes Bedeutung verleihen

2.4 Das Spüren von Verbundenheit

2.5 Der gemeinsame Bedeutungsraum

2.6 Nachahmung und symbolisches Spiel

3. Die Entwicklungsbegleitung autistischer Kinder

3.1 Was heißt Entwicklungsbegleitung?

3.2 Die Marte-Meo-Methode

3.3 Das Kind mit der Gemeinschaft verbinden

3.4 Innere und äußere Bilder

3.5 Körper, Geist und Seele

3.6 Die Spiele der tiefgreifenden Rückversicherung

4. Der pädagogische Alltag mit dem autistischen Kind

4.1 Die handlungsbegleitende Sprache als Orientierungshilfe

4.2 Essen in der Gemeinschaft

4.3 Morgenkreis

4.4 Die Bedeutung für die anderen Kinder

4.5 Der besondere pädagogische Raum

4.6 Kooperation

5. Der erweiterte Rahmen der Entwicklungsbegleitung

5.1 Zusammenarbeit mit den Eltern

5.2 Der Rahmen der Eingliederungshilfe

5.3 Begleitende Therapie

5.4 Spiel, Sport, Körperarbeit

6. Schlussgedanken

Literatur

Hinweis

Über den Autor

Einleitung

In Kindertagesstätten lässt sich eine deutliche Zunahme von Kindern mit der Diagnose aus dem Spektrum Autismus beobachten. Doch die meisten Diagnosen werden erst um das Alter von neun Jahren gestellt (vgl. Lange et al. 2017, S. 29). Dabei formulierte Leo Kanner schon 1943 die bis heute gültige Aussage: „Wir müssen also annehmen, dass diese Kinder mit der angeborenen Unfähigkeit zur Welt gekommen sind, den normalerweise biologisch angelegten, affektiven Kontakt zu den Menschen herzustellen“ (Kanner 1943, zit. nach Frith 1992, S. 19). Bei der Beurteilung, ob ein Kind als autistisch gilt und ob sich daraus ein Unterstützungsbedarf ableitet, lassen wir also wertvolle Zeit für eine mögliche Entwicklung verstreichen. Aus diesem Grund müssen wir einige fundamentale Veränderungen vornehmen.

In der Regel sind es die Eltern, die sehr früh spüren oder erkennen, dass ihr Kind nicht so auf ihre Angebote eingeht, wie sie es erwarten oder von Geschwisterkindern gewohnt sind. Familien werden jedoch oft lange vertröstet, denn die diagnostizierenden Ärzte und Ärztinnen warten bei der Diagnosestellung auf spezifische Symptome. Treten diese ein, haben sie sich aber beim Kind schon gefestigt. Tatsächlich können wir die Anlage für das Spektrum Autismus schon um das erste Lebensjahr herum erkennen. Obwohl Kinder, die von Geburt an nicht auf die sozialen Einladungen ihrer Eltern reagieren, nicht zwangsläufig spezifische Symptome entwickeln müssen, brauchen sie Unterstützung. Bereits in der Krippe und Kita sollte darum hinterfragt werden, wo die Schwierigkeiten liegen, nicht in den so essenziellen und entwicklungsfördernden wechselseitigen Dialog gehen zu können.

Diese sehr frühe und ganzheitliche Betrachtung ist auch wichtig, weil das Umfeld anders auf Kinder mit besonderen Verhaltensweisen reagiert. Kinder, die uns nicht zu Interaktionen einladen, erfahren auch selbst weniger Interaktionsangebote, und für Kinder, die nicht mit uns sprechen, benutzen wir weniger Worte. Um dieser Sogwirkung etwas entgegenzusetzen, ist es nötig, dem Kind, seinen Eltern sowie den pädagogischen Fachkräften so früh wie möglich Unterstützung anzubieten. Die Entwicklungsbegleitung, die ich aus meiner jahrzehntelangen Erfahrung heraus hier beschreibe, bietet allen Beteiligten Orientierung und Sicherheit. Sie ist ein Angebot, das dem Kind gleichzeitig eine Alternative aufzeigt, Schritt für Schritt seine stereotypen Handlungen loszulassen. Und sie ermöglicht eine echte Begegnung.

Um sowohl einen Perspektivwechsel herzustellen als auch dem Kita-Kind die nötige Begleitung geben zu können, eignet sich die videobasierte Methode Marte Meo. Sie gibt den ratsuchenden Fachkräften und Eltern präzise Antworten auf ihre Fragestellungen und zeigt sehr genau die Qualität der Interaktion mit dem autistischen Kind. Alle im Folgenden ausgeführten Fallbeispiele resultieren darum aus diesen Beobachtungen.

Ein Wechselspiel zwischen Szenen aus der Praxis, Gedanken aus der Entwicklungspsychologie sowie farbig markierten O-Tönen von Betroffenen reichern im Buch die Auseinandersetzung mit dem Thema an und fordern zur Selbstreflexion auf. Auch die Symptome werden aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Aus den Besonderheiten bei der Entwicklung von autistischen Kindern können wir im Umkehrschluss ableiten, wie wichtig eigentlich das ist, was zwischen den Menschen geschieht. So gesehen verfolgt die hier beschriebene Entwicklungsbegleitung den Ansatz, Kinder mit und ohne herausfordernde Verhaltensweisen in ihrer individuellen Entwicklung zu unterstützen: „Der Schlüssel zum Autismus ist der Schlüssel zum Wesen des Menschen“ (Wing 1996, zit. nach Dornes 2010, S. 137).

Ansprache von Menschen mit Autismus

Auf die Frage, wie wir Menschen aus dem Spektrum Autismus ansprechen sollten, sagte mir eine Autistin: „Ich bin Autistin, denn zu einem Christen sagt man ja auch nicht ‚ein Mensch mit Christus‘.“ Susanne Schäfer schreibt hingegen: „Es fühlt sich besser an, dass die Forscher heute über Menschen mit Autismus, statt über Autisten sprechen“ (Schäfer 1997, S. 136).

Tom Harrendorf, diagnostizierter Asperger-Autist, löst diese Gegensätze im Interview so auf: „Mir ist es ganz, ganz wichtig, dass dieser Formalität nicht zu große Beachtung geschenkt wird. Das hat schlicht und ergreifend den Hintergrund, dass sowieso jeder dort andere Vorlieben hat. […] Und mir persönlich ist es einfach wichtig, dass mein Gegenüber mich nicht beleidigen möchte, mich nicht kränken möchte, dass der nur positive Absichten mir gegenüber hat. Und wenn er das wollte, kann er das mit jeder Formulierung tun“ (Harrendorf 2022). Ich möchte dieser Haltung folgen und schreibe darum mal von Kindern mit der Diagnose Autismus, autistischen Kindern, Betroffenen oder einfach nur Kindern. Denn am wichtigsten erscheint es mir, sie nicht in eine Schublade zu stecken, sondern ihre besondere Persönlichkeit in den Mittelpunkt der Begegnung zu stellen.

1.

Autismus – Begegnung mit einer anderen Kultur?

1.1 Ein anderes Von-der-Welt-Bild

Wir können davon ausgehen, dass das Verhalten des Kindes erst einmal sinnhaft ist (vgl. Jantzen 2018, S. 160). Die Symptome, die Autismus beschreiben, geben uns zunächst keine Information darüber, was Autismus genau ist oder wie er sich für autistische Kinder anfühlt. Die Symptome sind eine bewusste oder auch unbewusste Reaktion des Kindes darauf, nicht hinreichend mit seinen Mitmenschen in eine Wechselbeziehung gehen zu können, und nicht das Resultat eines genetischen Programms (vgl. Hobson 2003, S. 192 f.). Donna Williams beschreibt die autismusspezifischen Verhaltensweisen als Verteidigungsmechanismen, die auftreten, wenn Betroffene mit Gefühlen und Erwartungen überfordert sind (vgl. Williams 1999). Symptome sind pauschale Aussagen zum Autismus und bleiben eine Draufsicht, die uns helfen soll die Kinder in eine Kategorie einzuordnen. Wenn wir jedoch verstehen wollen, was Autismus wirklich ist, so sollten wir uns mit den Beschreibungen und Erzählungen von persönlich Betroffenen beschäftigen. Dieser Perspektivwechsel bleibt zwar immer nur eine Annäherung an das einzelne Kind mit seiner ihm eigenen Biografie, seinem spezifischen genetischen Potenzial, doch er hilft uns eher Grenzen zu wahren und das Kind nicht mit missverständlichen, eigenen Vorstellungen zu überfordern. „Kartoffeln und Möhren können jedenfalls damals wie heute ein schönes Bild auf meinem Teller ergeben. Für mich ein Bild der Klarheit und Ruhe. – Tief versunken in meinem Tellerbild hörte ich kaum etwas von dem was um mich herum gesprochen wurde“ (Brien 2011, S. 4). Das Zitat von Matthias Brien gibt uns hier einen kleinen Einblick in seine Perspektive.

Die Zusammenarbeit mit Matthias, der die Diagnose Asperger-Syndrom erst mit 50 Jahren erhielt, hat für mich die Sicht auf das Thema Autismus vertieft und um sein Von-der-Welt-Bild erweitert. Wir sind uns einig darin, dass wir mit unserer Aufmerksamkeit, unseren Handlungen und unseren Worten an das anschließen müssen, was das Kind in der aktuellen Situation durch sein Tun zum Ausdruck bringt, um es nicht mit unseren Erwartungen, die oft konträr zum Erleben oder Bedürfnis des Kindes liegen, zu überfordern. Es ist wichtig, an sein Handeln, seine Welt anzuschließen, um es konstruktiv in seiner Entwicklung zu begleiten und ihm Orientierung zu geben. Das Kind spürt durch dieses Vorgehen keine Widersprüche zu seiner autistischen Sicht, es kann den Anderen dadurch gut in seiner Nähe akzeptieren, es geschieht nun für Momente nichts, was nicht vom Kind gewollt ist. Mit dem Anschließen an die andere Lebensform, anderen Verhaltensweisen, anderen Handlungen und möglichen Gefühle über unsere Aufmerksamkeit und Worte kreieren wir für das Kind eine Realität, die ihm sonst oft nicht begegnet (vgl. Brien, in Kokemoor 2016, S. 150).

Die Menschen, die ich in diesem Buch zu Wort kommen lasse, sind beeindruckende Menschen, die über ihre Gedanken und die damit verbundenen Bilder zeigen, über welche besondere Weltsicht sie verfügen. Doch sie bringen auch immer wieder ihr Leid zum Ausdruck, welches damit verbunden ist, oft überfordert und von unserer Realität ausgeschlossen zu sein. „Ich schien einfach nirgendwo hineinzupassen, als ob ich in eine falsche Welt hinein geboren wäre. Das Gefühl, nie ganz dazugehörig und geborgen, sondern immer irgendwie getrennt und abgeschnitten zu sein, lastete schwer auf mir“ (Tammet 2008, S. 104).

Ich bin der Auffassung, es gibt einen zusätzlichen Leidensdruck, der durch gesellschaftliche Bedingungen, die verständlichen Sorgen der Eltern sowie durch Unverständnis im Umfeld verstärkt wird. Doch dieses Unverständnis ist wiederum verständlich, denn es ist so schwer, eine Vorstellung davon zu haben, wie sich die Welt eines autistischen Kindes oder einer erwachsenen Person anfühlt.

Der Körper

Eine Beobachtung, die ich besonders intensiv in der therapeutischen Begleitung von autistischen Kindern machen konnte, aber mit deren Erkenntnis ich auch heute noch arbeite, ist die Schwierigkeit des Kindes, ein gutes Gefühl zum eigenen Körper zu haben. William, auf den ich später noch zurückkommen werde, scheint mich nicht oder kaum wahrzunehmen, als er vor mir steht und immer wieder mit dem kleinen Plastikschlauch wedelt. Dann baue ich vor ihm auf dem Boden einen kleinen Turm aus Holzbauklötzen auf, um ihn in das Spiel mit dem Turm einzuladen. William, der im Langsitz direkt neben dem Turm sitzt, scheint jedoch keine Notiz davon zu nehmen. Ich nehme daraufhin seine Füße in meine Hände und drücke die Fußspitzen vorsichtig Richtung Knie, um die Spannung auf seine Achillessehne zu erhöhen und somit sein Gefühl zu seinem Körper zu optimieren. Als ich dieses mit den Worten „eins, zwei, drei, dschubs!“ mehrere Male wiederhole, schmeißt er den Turm bei meinem dritten Versuch mit Schwung und absichtsvoll um. Ich sage daraufhin freudig: „Ooooh, du schmeißt den Turm um und ich bau ihn wieder auf!“, während ich den Turm wieder aufbaue.

Wir lachen uns beide an und dieses Beziehungsspiel mit dem Turm, welches alle Eltern von nicht autistischen Kindern kennen, setzt sich fort. Dieses Spiel war William erst möglich, als er seinen Körper, sein Körperselbst, spüren konnte. Viele Kinder können sich auch erst zu uns in Beziehung setzen, wenn sie sich hinreichend spüren.

Temple Grandin ist Autistin und Professorin für Tierverhalten an der Universität von Illinois. Weil sie ihren Körper nicht gut spürt, hat sie für sich eine Druckmaschine entwickelt, in welche sie sich täglich legt, um sich besser zu spüren und zu entspannen. „Als kleines Mädchen hatte sie sich danach gesehnt, gewiegt und umarmt zu werden, sich aber gleichzeitig vor jeglichem Körperkontakt gefürchtet.“ – „Ihre Maschine arbeitete exakt so, wie sie es sich erhofft hatte, und erzeugte genau das Gefühl von Ruhe und Freude, von dem sie seit ihren Kindertagen träumte“ (Sacks 2003, S. 363 f.). Peter Schmidt beschreibt seine Beziehung zu seinem Körper wie folgt: „In den Momenten, wo ich so da bin, fühle ich mich gefangen in mir selbst und schwer. Ich erlebe mich als ganz großes Gnubbel. Als ein Körper mit Gnubbeln. […] Ich versuche die Gnubbel abzuschütteln. Es gelingt mir nicht. Sie gehören offenbar irgendwie zu mir“ (Schmidt 2015, S. 17).

Autismus ist vor allem auch mit der Schwierigkeit des Kindes verbunden seinem Körper hinreichend zu spüren. Viele dieser Kinder spüren keine Verbindung zwischen den einzelnen Teilen des Körpers und nehmen ihren Körper nicht als Einheit war. Aus diesem Grund lieben es diese Kinder, im Außen Einheiten herzustellen, die als eine Art Spiegelbild ein wohliges Körperbild erzeugen sollen. „Ich hatte viele kleine Matchbox-Autos, die ich in langen Reihen auf der Marmor-Fensterbank aufzustellen pflegte. Mit Geldmünzen spielte ich auf die gleiche Weise“ (Schäfer 1997, S. 38). „Alles in eine Reihe zu legen, Gegenstände nach Kategorien zu ordnen und in die gleiche Richtung gucken zu lassen, gab mir Frieden“ (Williams 1994, S. 68). Doch wenn wieder mal dieses Spiel durcheinandergebracht wird, verwandelt sich das wohlige Gefühl schnell in Frust, existenzielle Not oder Panik. Es geht mit einem Verlustgefühl am eigenen Körper einher. „Verliert ein Mensch den Bezug zu seinem Körper, verliert er sein Selbstgefühl und steht der Welt entfremdet gegenüber“ (Esser 1995, S. 19).

Dieser Entfremdung setzt das autistische Kind eine Art eigene Wirklichkeitskonstruktion von der Welt gegenüber, in der wohltuende Stereotypen Orientierung, Sicherheit und Strukturierung geben können. Die oft stereotyp ausgeführten Rituale geben Sicherheit in einer als chaotisch erlebten äußeren Welt und helfen dabei, das Gefühl der eigenen Existenz zu spüren (vgl. Theunissen 2020, S. 41). Doch die Wirklichkeitskonstruktion des autistischen Kindes bleibt ein fragiles Konstrukt, da es in der Regel wenig flexibel ist, dessen Bedeutung von der Umwelt nicht erkannt oder verkannt wird und oft mit vielen Denkleistungen verbunden ist. Dabei können wir mit unserem Körper die Bedeutung von Situationen oder Begegnungen viel verlässlicher und schneller wahrnehmen als mit dem Intellekt (vgl. Rogers 1976, S. 38).

Der Geist

„Ich musste über jede soziale Interaktion nachdenken. Ich beobachtete ständig, versuchte herauszufinden, welches die beste Verhaltensweise war, doch ich gehörte nie dazu. Wenn andere Studentinnen für die Beatles schwärmten, bezeichnetet ich ihre Reaktion als ISP – als interessantes soziologisches Phänomen. Ich war eine Wissenschaftlerin, die versuchte, die Verhaltensweisen der Eingeborenen zu ergründen. Ich wollte teilhaben, doch ich wusste nicht, wie“ (Grandin 1997, S. 166). Die Schwierigkeit, die Bedeutungen von sozialen Situationen zu verstehen, die vor allem im Körper verankert ist, liegt in der Schwierigkeit dieser Kinder, sich vom Anderen emotional bewegen zu lassen und sich somit emotional verbunden zu fühlen (vgl. Dornes 2010, S. 147).

Wenn Matthias von der Polizei angehalten und gefragt wird, ob er etwas getrunken hat, antwortet er mit: „Ja!“ Wir würden immer mit Nein antworten, obwohl wir bereits Tee oder Kaffee getrunken haben, weil wir wissen, dass mit der Frage der Polizei der Verzehr von Alkohol gemeint ist. Dies ist ein kulturell oder sozial verankertes Verhalten. Autistische Kinder bleiben ohne diesen Ausgleich und erhalten sich eine Art eigene Kultur, die sie in unseren kulturellen Zusammenhängen oft scheitern lassen. „Ich sage dir, ich bin überall ein Ausländer, nicht zuletzt in Deutschland“ (Steindal, zit. nach Schäfer 1997, S. 239). Wir können den Kindern nicht all diese kulturellen Zusammenhänge, die oft mit Doppeldeutigkeiten verbunden sind, erklären. Doch wir sollten die Kinder immer wieder in wechselseitige emotionale Austauschprozesse einladen, um eine Verbundenheit zu den zwischenmenschlichen Ereignissen herzustellen und sie somit an die Vorstellung von Anderen heranzuführen (vgl. Dornes 2010, S. 159).

Autistische Kinder müssen viele Alltagssituationen über das Denken lösen und Anweisungen oft über den Geist in Handlungen übersetzen. Aus diesem Grund reagieren sie nicht selten mit einer Zeitverzögerung oder gar nicht, weil wir in der Zwischenzeit schon die nächste Anweisung gegeben haben. Ich benutze gerne den Vergleich mit unserer ersten Fahrstunde, bei der unsere Bewegungsabläufe und Handlungen noch nicht automatisiert waren, sondern einzeln gedacht werden mussten. Man sieht Fahrschülern und -schülerinnen diese Gedankenleistungen sofort an. Sie fahren nicht mit dem Körper, sondern mit dem Kopf. Eine Anweisung, die wir dem autistischen Kind geben, muss aus diesem Grund vom Kind oft erst in einen Handlungsplan übersetzt werden, was Zeit braucht, die wir ihm nicht automatisch einräumen. Wir denken oder fühlen dann nicht selten eine Verweigerung beim Kind.

Die Seele

Wir werden uns dem Seelenleben sowie dem subjektiven Welterleben des autistischen Kindes auch über die Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie und Säuglingsforschung annähern. Wenn wir den Worten von Martin Buber folgen, der sagt: „Der Mensch wird erst am Du zum Ich!“ (Buber 1965, S. 32), müssen wir uns fragen, welches Bild oder welches Empfinden das autistische Kind von sich selbst hat, wenn es den tonisch-emotionalen Dialog mit seinen Eltern und den folgenden Betreuungspersonen nicht intensiv gelebt hat. Mit „tonisch-emotional“ ist ein Dialog gemeint, der von Affekten und körperlichen Empfindungen (Spannung und Entspannung) begleitet wird.

Von Geburt an leben wir zunächst einen intensiven Kontakt mit unseren Eltern, der letztlich die Verbundenheit zu ihnen und darüber hinaus zu anderen Menschen ausmacht. Im Laufe des Reifungsprozesses empfinden wir unser Selbst als einzelnen, abgegrenzten, integrierten Körper; wir empfinden ein Selbst als Handlungsinstanz, ein Selbst, das unsere Gefühle wahrnimmt, unsere Absichten fasst und Pläne schmiedet. Ein Selbst, das unsere Erfahrungen in Sprache umsetzt und unser persönliches Wissen mitteilt. Doch grundlegend für diese Perspektive, unter der wir alle interpersonellen Vorgänge organisieren, wird die Art und Intensität sein, wie wir uns in Beziehung zu Anderen erleben (vgl. Stern 1998a, S. 18). So gesehen liegt die Kernproblematik des autistischen Kindes und die Ursache für die Entwicklung der Symptome darin, nicht hinreichend in der Lage zu sein, sich mit seinen Mitmenschen in Beziehung zu setzen (vgl. Hobson 2003, S. 23).

Diese Betrachtungsweise ergibt sich auch aus den Beobachtungen, die ich von Kindern in rumänischen Kinderheimen machen durfte. Ich beobachtete dort 1989 viele Kinder, die aufgrund einer Deprivation Symptome aus dem Spektrum Autismus zeigten. Sie konnten diese Symptome wieder loslassen, als die extreme Vernachlässigung aufgehoben wurde und sie angemessene Zuwendung in Pflegefamilien erhielten (vgl. Hobson 2003, S. 190). Wichtig ist hierbei jedoch zu betonen, dass diese Kinder nicht mit der Schwierigkeit auf die Welt gekommen sind, in Wechselbeziehung zu gehen, sondern diese Schwierigkeit von außen verursacht wurde. Das autistische Kind kommt mit der Schwierigkeit auf die Welt, nicht hinreichend mit seinen Eltern in eine Wechselbeziehung gehen zu können, obwohl die Eltern ihnen dieses Angebot zur Verfügung stellen – ein Angebot elterlicher Zuwendung, welches beispielsweise auch bei den Geschwisterkindern zu einem anderen Entwicklungsverlauf führt. Doch auch bei autistischen Kindern, die mit der Schwierigkeit geboren wurden, konnte ich nun oft beobachten, wie sich Symptome abmildern, verändern, verschwinden oder sich gar nicht erst entwickeln, wenn es uns gelingt die Schwierigkeit, in Wechselbeziehung zu gehen, zu verändern.

Symptome können allerdings in der Regel nur in den Hintergrund treten, wenn das Kind auf einem anderen Weg Sicherheit und Orientierung erfährt. Jedes Verhalten ist aus Perspektive des Kindes erst einmal als sinnhaft zu betrachten, auch wenn es von außen als Unsinn oder ohne Sinn bezeichnet wird. „Die Klinke der Kellertür bat um Aufmerksamkeit […]. Nach kurzer Zeit bildete sich aus dieser Begeisterung ein Muster, das Belohnung in sich selbst fand. Hunderte Male hintereinander drückte ich die Klinke nach unten, ließ sie nach oben federn und berauschte mich an dem zweifachen Auf und Ab. Gab es einen schöneren Klang als das Klacken einer Türklinke? Ja: Das Klacken zweier Türklinken“ (Brauns 2002b, S. 29 f.).

Die Entscheidung, sich eher mit der dinglichen Umwelt und den Gedanken, die es darum gibt, zu beschäftigen, weil der Mensch ein Wesen von hoher Komplexität und geringer Vorhersehbarkeit ist, ist jedoch ein Weg, der die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen und sozialer Beziehungen nicht kompensieren kann. „Das aber heißt nicht, dass bei diesen Kindern das universelle Bedürfnis des Menschen nach dem Menschen nicht bestehen würde“ (Feuser 2021, S. 361).

Die in diesem Buch beschriebene Entwicklungsbegleitung setzt an dieses universelle Bedürfnis an und verändert die Bedingungen für das Kind so, dass es die Einladung in die Beziehung leichter umsetzen kann. Wir greifen hierfür die so wichtigen Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie auf und stellen auch die Bedeutung des zwischenmenschlichen Kontaktes in den Mittelpunkt, um diesen kulturellen Unterschied aufzuheben und eine wechselseitige Annäherung zu ermöglichen. Es ist eine Einladung in den Dialog mit dem autistischen Kind, welcher sich an seinem Handeln und seinem Sein orientiert, um die Bereitschaft zu diesem Dialog vonseiten des Kindes überhaupt erst zu ermöglichen. Wir holen es dort ab, wo es ist, und gehen in Resonanz zu seinem Handeln. Denn erst wenn sich das autistische Kind durch das Feedback des Anderen als Akteur oder Akteurin erlebt, kann es die Handlungen und Absichten des Anderen verstehen. Kinder müssen Andere als Agierende mit bestimmten Absichten erkennen, um das Wissen und die kognitiven Fähigkeiten zu nutzen, welche sich in diesem kulturellen Milieu manifestieren (vgl. Tomasello 2002, S. 96). Es geht bei dieser Entwicklungsbegleitung um eine wirkliche Begegnung, bei der auf physischer und sozialer Ebene Interaktion ermöglich werden soll, um in der Folge eine tiefgreifende Identifikation mit dem Anderen wirksam werden zu lassen. „Ich lerne von anderen, indem ich sie spiegele, und ich kann von ihnen lernen, wenn sie mich spiegeln“ (Williams 1994, S. 95).

1.2 Die Diagnose Autismus

„Es war ein ganz großer Terz, mich in den Kindergarten zu bewegen, da hieß es, ich müsste mal zum Psychologen gehen, weil das so ungewöhnlich war, dass ich mit niemandem in Kontakt gegangen bin. […] Die Diagnose habe ich erst sehr viel später bekommen, mit siebzehn!“ (Harrendorf 2022).

Ein ganz wesentlicher Schwerpunkt dieses Buches liegt darin, eine Veränderung an der traditionellen Art und Weise, wie und wann wir Autismus diagnostizieren, herbeizuführen sowie unsere Gedanken und Grundhaltung zum Autismus zu erweitern. Es sollte das Ziel sein, sehr frühzeitig Hinweise zu erkennen, die darauf hindeuten können, dass sich bei einem Kind Autismus entwickeln könnte, um ihm sowie seinem sozialen Umfeld unsere Unterstützung anzubieten, bevor sich Symptome beim Kind und im System manifestieren. Die meisten Autismus-Diagnosen werden gestellt, wenn die Kinder bereits eingeschult sind. Dieses ist ein Zeitpunkt, zu welchem sich die Symptome schon sehr gefestigt haben (vgl. Busse 2008, S. 1). Doch nicht nur das Kind lebt schon einige Zeit mit den Symptomen und ihren Vorboten, auch seine Eltern, die möglichen Geschwister und die pädagogischen Fachkräfte in den Kindertagesstätten haben Verhaltensweisen entwickelt, wie sie auf die Besonderheiten reagieren und die oft von Sorgen, Ängsten und Unsicherheiten dominiert werden. „Als bei meinem Sohn Autismus diagnostiziert wurde, waren mein Mann und ich völlig erschlagen und gleichzeitig auf eine merkwürdige Weise befreit. Befreiung mag hier als seltsame Reaktion erscheinen, aber über fast zwei Jahre hatten wir uns mit dem Unbekannten befasst. Es war einfach furchtbar und wir wussten nie, ob wir auf dem richtigen Weg waren“ (Lewis 2002, S. 195).

Hier ist dringend ein Paradigmenwechsel erforderlich, um die Kinder und deren Familien zu einem Zeitpunkt zu unterstützen, zu welchem wir die Bildung von Symptomen noch verhindern oder abmildern können. Doch bevor ich dieses Vorgehen beschreibe, möchte ich auf die traditionelle Sicht von Autismus eingehen, weil sie heute noch zum Gesamtbild dazugehört und viele autistische Kinder im letzten Kindergartenjahr oder im Grundschulalter danach klassifiziert werden. Darüber hinaus bietet die klassische Diagnose weiterhin die Grundlage, um externe und interne Unterstützungen für das Kind zu erhalten, und gibt seinen Eltern eine Erklärung, nach welcher sie möglicherweise lange gesucht haben.

Die Klassifikation

Die Diagnose Autismus, bei der eine deutliche Zunahme zu verzeichnen ist (vgl. Schneider 2021, S. 160), wird als tiefgreifende Entwicklungsstörung nach den Klassifikationssystemen des ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation und des US-amerikanischen DSM-IV vorgenommen. In beiden Systemen gibt es Klassifikationsmodelle, die eine Unterscheidung der verschiedenen Formen von Autismus vornehmen. Die häufigsten Formen sind der frühkindliche Autismus (Kanner-Autismus) sowie das Asperger-Syndrom. Sowohl Leo Kanner (1943) als auch Hans Asperger (1944) beschreiben Kinder, die sich von der Außenwelt zurückgezogen haben (vgl. Frith 1992, S. 17). Neben dieser Selbstbezogenheit wurde inzwischen erkannt, dass es mehr Übereinstimmungen als zunächst vermutet zwischen den verschiedenen Formen von Autismus gibt. Die Übereinstimmungen liegen in den Schwierigkeiten der sozialen Interaktion, sich wiederholenden Interessen und Aktivitäten sowie dem Wunsch nach Gleicherhaltung der Umwelt. Vor diesem Hintergrund sprechen wir heute von dem Autismus-Spektrum bzw. einer Autismus-Spektrum-Störung, die seit dem Frühjahr 2013 im DSM-5 beschrieben wird. Der Begriff Autismus-Spektrum wird von Selbstorganisationen autistischer Personen wie dem ASAN bevorzugt, die der Meinung sind, dass Autismus nicht grundsätzlich als Krankheit oder Störung dargestellt werden darf, da viele Symptome oder Verhaltensweisen auch nicht als Störung zu sehen sind, sondern als sinnvolles Verhalten. Ein Verhalten, das eine logische Konsequenz, sinnvolle Stabilisation oder eine Reaktion von autistischen Kindern und Erwachsenen auf eine schwer zu erfassende Umwelt ist (vgl. Jantzen 2018, S. 160).

Im DSM-5 sind die bisherigen Erscheinungsbilder von Autismus eingearbeitet und zur Autismus-Spektrum-Störung zusammengefasst:

A. Dauerhafte Defizite in der sozialen Interaktion (die nicht für eine allgemeine Entwicklungsverzögerung sprechen) in allen drei Unterkategorien:

1. Defizite in der sozialen Wechselseitigkeit (z. B. im Rahmen einer normalen Konversation; reduzierter Austausch von Interessen oder Emotionen; reduzierte Initiative oder Vermeidung sozialer Interaktion)

2. Defizite in der nonverbalen Kommunikation im Rahmen sozialer Interaktion (z. B. schlecht integrierte verbale und nonverbale Kommunikation; fehlender Blickkontakt, schwache Körpersprache, Mimik oder Gestik; Defizite im Verständnis und Gebrauch nonverbaler Kommunikation)

3. Defizite in der Entwicklung und Aufrechterhaltung von Beziehungen, entsprechend dem Entwicklungsstand (z. B. Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung von Interaktionen in verschiedenen sozialen Kontexten; Schwierigkeiten beim gemeinsamen Fantasiespiel und bei der Schließung von Freundschaften; scheinbares Desinteresse an anderen Personen)

B. Eingeschränkte, repetitive Verhaltensmuster, Interessen oder Aktivitäten in mindestens zwei von vier Unterkategorien:

1. Stereotype(r) oder repetitive(r) Sprache, motorische Bewegungen oder Gebrauch von Objekten (z. B. einfache, motorische Stereotypien; Echolalie, repetitiver Umgang mit Objekten; idiosynkratische [eigensinnige] Sätze)

2. Exzessives Festhalten an Routine, ritualisiertes Sprachverhalten (verbal, nonverbal), ausgeprägter Widerstand gegenüber Veränderungen (z. B. motorische Rituale; Beharren auf Routine oder gleichförmige Nahrung; sich ständig wiederholende Fragen; Veränderungsangst bzw. extreme Stressreaktionen bei schon geringen situativen Veränderungen)

3. Stark eingeschränkte, fixierte Interessen, die mit „abnormer“ Intensität oder Fokussierung einhergehen (z. B. starke Bindung an ungewöhnliche Objekte; eng umschriebene, exzessive, perseverative Beschäftigung mit ungewöhnlichen Dingen oder Interessen)

4. Hyper- oder Hypo-ausgeprägtes (Wahrnehmungs-)Verhalten im Hinblick auf sensorische Reize oder ungewöhnliches Interesse an sensorischen Umgebungsreizen (z. B. scheinbare Gleichgültigkeit gegenüber sensorischen Reizen wie Schmerz, Hitze, Kälte; ablehnende Reaktionen in Bezug auf bestimmte Geräusche oder Gewebe; übermäßiges Beschnuppern oder Berühren von Objekten; Faszination in Bezug auf leuchtende oder sich drehende Objekte)

C. Die Symptome sollten in der frühen Kindheit zutage treten (müssen aber noch nicht voll ausgebildet sein und können im Erwachsenenalter kompensiert werden).

D. Die Gesamtheit der Symptome begrenzen und beeinträchtigen das Alltagsverhalten (everyday functioning).

(Abb. aus: Theunissen, G. (Hrsg.). (2020): Autismus verstehen. S. 23 f. Stuttgart: Kohlhammer Verlag)

Ich werde in Kapitel 1.7 noch näher darauf eingehen, wie die einzelnen Symptome entstehen, wie sie als Verhalten einzuordnen sind und was sie möglicherweise für das einzelne Kind bedeuten. In meiner Tätigkeit als Fachberater für das Thema Inklusion werde ich sehr häufig auf Kinder hingewiesen, bei denen die pädagogischen Fachkräfte die Vermutung haben, es könnte sich um Kinder aus dem Spektrum Autismus handeln. Diese oder ähnliche Klassifikationsmodelle sind eine Hilfestellung, Kinder nicht zu pauschal – weil sie sich beispielsweise zurückziehen, nicht mit anderen Kindern spielen oder keinen Blickkontakt zeigen – dem Autismus zuzuordnen. Bei dieser Betrachtung oder den klassischen Diagnoseverfahren müssen immer mehrere Verhaltensweisen aus den unterschiedlichen Kategorien zusammenkommen, damit wir von Autismus sprechen.

Es gibt keine Handlung ohne Grund

Doch diese Klassifikationsmodelle sowie viele Diagnoseverfahren haben Nachteile. Sie bleiben auch pauschal, da sie nie die Einzigartigkeit des Individuums abbilden. Wir finden in diesen Instrumenten lediglich Angaben über Defizite, obwohl Symptome, wie wir schon gehört haben, oft auch einen Versuch darstellen, eine schwierige Situation zu bewältigen (vgl. von Lüpke 2015, S. 60). Die Diagnose Autismus löst dadurch oft eine ganz bestimmte Vorstellung aus, was diese Kinder jetzt brauchen, um in unserer Gesellschaft zurechtzukommen, ohne ihre Persönlichkeit hinreichend zu berücksichtigen. So werden dem autistischen Kind nicht selten mit aufwendigen Methoden, wie einer Verhaltenstherapie nach ABA (Applied Behaviour Analysis), schrittweise mit Belohnungssystemen Verhaltensweisen antrainiert, die aus Sicht der Therapeutin oder des Therapeuten für das Kind sozial relevant sind. Weiter wird versucht unerwünschtes Verhalten zu korrigieren und den Kindern unsere Vorstellung von der Welt zu vermitteln, ohne dabei den Sinn ihres Handelns zu respektieren. „Wird der Sinnaustausch verweigert, muss ich mir eine eigene Welt schaffen, die Sinn bewahrt, da ansonsten das Denken zusammenbricht“ (Jantzen 2018, S. 161). Es ist entscheidend zu erkennen, dass sich das Bild oder die Vorstellung von der Welt von innen nach außen entwickelt und nicht einfach vorgegeben werden kann. Wenn wir uns hingegen damit beschäftigen, welchen Sinn oder Hintergrund das spezifische Symptom des einzelnen Kindes hat, erfahren wir etwas mehr über das Kind.

Weiter braucht die Feststellung einer Diagnose und der Weg, den wir damit einschlagen, um eine Maßnahme bewilligt zu bekommen, oft sehr viel Zeit, die wir nicht haben. Es ist wichtig, uns nicht von den Diagnosen abhängig zu machen, sondern mit den Menschen unmittelbar mit der Entwicklungsbegleitung zu beginnen. Wir sollten einen auf vielen Ebenen effizienteren Weg wählen, der uns das Kernproblem vor Augen führt, Ressourcen aufzeigt und uns gleichzeitig die Möglichkeit erteilt, unmittelbar zu handeln, um eine Veränderung einzuleiten. Die in diesem Buch beschriebene Entwicklungsbegleitung ist ein klares Handlungskonzept, in welchem die Interaktion mit dem autistischen Kind im Zentrum unserer Aufmerksamkeit steht, und verweigert sich der Festschreibung Autismus sowie einer Reduktion auf Schicksal oder Genetik (vgl. Baumann 2007, S. 142).

1.3 Früherkennung

Die Bedeutung der Frühintervention für den Entwicklungsverlauf der Kinder, die sich nicht hinreichend in Wechselbeziehung setzen können und daraus Autismus entwickeln können, wird heute noch total unterschätzt (vgl. Feuser 2021, S. 366). Wie oben bereits angesprochen ist ein weiteres großes Problem der Zeitpunkt der Diagnose, der oft weit über das dritte Lebensjahr hinausgeht. „Denn die herkömmlichen Diagnosesysteme bilden den Autismus so ab, wie er sich am vertrautesten zeigt: nämlich mit typischer Symptomatik des Vorschulalters“ (Busse 2008, S. 1). So werden Eltern oder pädagogische Fachkräfte immer wieder vertröstet, wenn sie in Sorge darüber sind, der Rückzug oder der mangelnde Blickkontakt des ein- oder zweijährigen Kindes könnte ein Hinweis auf Autismus sein. Natürlich bilden sich viele der klassischen Symptome in ihrer Klarheit erst heraus, wenn das Kind ein gewisses Alter erreicht hat. Das Fantasiespiel beginnt, wenn die Kinder zwei Jahre alt sind, und wenn sie in diesem Alter noch keine verbale Sprache zeigen, sind wir noch nicht beunruhigt. Wir sind schon in dieser Betrachtung zu fixiert auf Aspekte, die in ihrer Entwicklung zu erwarten sind, obwohl viele Eltern schon recht früh an ihrem Säugling Verhaltensweisen erkennen, die sie ungewöhnlich finden. Denn schon die erste Stufe der primären Intersubjektivität, bei der das Kind auf die Signale und Einladungen der Bezugspersonen mit Augenkontakt, einem Lächeln, ersten Gesten oder Hochnehmen der Arme reagiert, ist auffällig. Das Social Referencing der zweiten Stufe, bei dem sich der Säugling um den neunten Lebensmonat in unsicheren Situationen, über Face-to-Face-Interaktion eine Rückversicherung holt, fehlt nahezu vollständig (vgl. Dornes 2010, S. 138).

In einer Früherkennung können wir zu jeder Zeit in den frühen Interaktionsmomenten mit den Eltern oder den pädagogischen Fachkräften in der Krippe beobachten, welches Kind nicht hinreichend auf soziale Einladungen eingeht. Für die Früherkennung der spezifischen Verhaltensweisen, die die Qualität von Interaktion ausmachen, taugen die herkömmlichen Instrumente nicht, da sie den Blickwinkel auf kindliches Verhalten legen, welches erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erkennen ist (vgl. Busse 2008, S. 1).

Früherkennung um das erste Lebensjahr

Der Säugling nimmt ab sechs Monaten wahr, dass die Bewegungen der Menschen zielgerichtet oder absichtsvoll sind. Beispielsweise versteht er die Blicke seiner Eltern auf Objekte als zielgerichtet (vgl. Dornes 2010, S. 148). Autistischen Kindern gelingt dieses nicht, da sie aufgrund ihrer mangelnden affektiven Ansprechbarkeit im Säuglingsalter sich von den gefühlsbetonten Äußerungen ihrer Eltern nicht emotional bewegen lassen und den Anderen somit nicht als intentionales Wesen wahrnehmen (vgl. Hobson 2003, S. 107).

Schon zwischen dem neunten und zwölften Monat wird deutlich, ob das Kind eher das Alleinsein genießt und nicht oder nur selten reagiert, wenn es bei seinem Namen gerufen wird. Es zeigt auch keinen oder nur kurz Blickkontakt, wenn es hochgenommen wird, und hinterlässt den Eindruck, als weiche es dem Blickkontakt aus. Wir können schon in dieser Zeit bei manchen Kindern beobachten, wie sie immer wieder ihre Finger oder einen beliebten Gegenstand vor den Augen bewegen. Dieses Verhalten wirkt dabei jedoch nicht spielerisch forschend, sondern eher einem sich wiederholenden, fast schon stereotypen Handlungsmuster folgend. Auch bei der alltäglichen Versorgung wirkt es schnell angespannt oder unzufrieden, wenn bestimmte gewohnte Abläufe nicht eingehalten werden können (vgl. Dornes 2010, S. 138).

Susanne Schäfers Mutter beschreibt ihre Tochter in ihrem Tagebuch. „Sie lächelt immer, wenn sie auf der Wickelkommode liegt, […] immer in die rechte Ecke. Da kann man sprechen und locken, wie man will […]. Sie hat dort oben ihren (unsichtbaren) Lachpartner. – Über ihrem Babykorb hängt der rote Fisch an einem dünnen Faden – den liebt sie und schaut ihn immer an. – Sie mag singen sehr gern. – Protest gibt es immer gegen das Anziehen für draußen, besonders bei der Mütze. – Sie will immer hochkommen, wenn sie auf meinem Arm liegt, aber wenn sie im Korb liegt, da rührt sie sich nicht, um hochzukommen“ (Schäfer 1997, S. 22).

Dieser Bericht einer Mutter macht deutlich, dass Eltern schon sehr früh die Erfahrung machen, mit ihrem Kind nicht so verbunden zu sein, wie sie es sich wünschen und wie sie es auch bei möglichen Geschwisterkindern erlebt haben oder in anderen Eltern-Kind-Beziehungen beobachten. Dieses Erleben führt in der Regel schon sehr früh zu einer Verunsicherung bei den Eltern und diese Verunsicherung kann Sorgen, Stress sowie die Angst, als Eltern zu versagen, auslösen. Nun weisen neurobiologische Forschungen darauf hin, wie sich Stress, der auch mit körperlichen Spannungszuständen einhergeht, auf die Beziehungs- und Resonanzfähigkeit der Eltern auswirkt (vgl. Bauer 2005, S. 34 f.). Diese Verunsicherungen lassen sich sehr früh in den Interaktionsmomenten zwischen dem Kind und seinen Eltern beobachten. Dieser Entwicklung sollten wir vorbeugen, denn bei manchen Kindern können wir schon im Alter von sechs Monaten Besonderheiten in der Aufmerksamkeit und im Antwortverhalten beobachten, die jedoch nicht zwangsläufig zur Folge haben müssen, dass sich hieraus Autismus entwickelt, sondern es das Risiko gibt, es könnte sich Autismus entwickeln (vgl. Baumann 2007, S. 137).

Ich bin der Auffassung, dass Kinderärzte und -ärztinnen bei der U-6-Untersuchung, wenn das Kind etwa ein Jahr alt ist, beobachten können, ob es zur geteilten Aufmerksamkeit (Triangularität) fähig ist. Es geht darum, genau zu beobachten, ob das Kind eine innere Verbundenheit zu seinen Eltern entwickelt hat, was sich dadurch ausdrückt, den Anderen an seinem Erleben teilhaben zu lassen. In dieser Entwicklungsphase zeigt es auf Gegenstände und fordert seine Eltern und Andere dazu auf, die Gegenstände zu benennen. Es sind also ganz einfache Beobachtungen, die uns die Information geben können, dass das Kind etwas für den kindlichen Entwicklungsprozess Elementares noch nicht entwickelt hat. Nicht selten tragen die Eltern die Eindrücke, dass ihr Kind etwas Bestimmtes noch nicht entwickelt hat, als Sorgenbild in sich. Manchmal wird es auch durch den Freundeskreis, Verwandte oder pädagogische Fachkräfte an sie herangetragen. Vor dem Hintergrund dieser Sorge, die oft in Verbindung mit einer Verunsicherung im Handeln steht, ist es wichtig, sehr früh an Lösungen zu arbeiten, um die Eltern nicht mit ihrer Sorge alleinzulassen, sondern ihnen früh eine Hilfe anzubieten, die sich an ihren eigenen Ressourcen orientiert.

Früherkennung um das zweite Lebensjahr

Entscheidend für eine Früherkennung von Kindern um das Alter von 18 Monaten sind das Fehlen von bestimmten Verhaltensweisen: das Zeigen auf einen Gegenstand, um Andere darauf aufmerksam zu machen, und das Folgen der Blickrichtung des Interaktionspartners oder der Interaktionspartnerin, das spontane Als-ob-Spiel, das Interesse an anderen Menschen und das gemeinsame Spiel (vgl. Dornes 2010, S. 141). Es gibt ganz einfache, für jede Kinderarztpraxis abzufragende Indikatoren, die den Eltern Auskunft darüber geben könnten, ob ihr Kind einer – wie Dr. Jochen Busse es präzise beschreibt – „Autismus-Risikogruppe“ angehört (vgl. Busse 2008, S. 133 f.). Wenn ein anderthalbjähriges Kind nicht mit dem Finger auf Gegenstände deutet, nicht auf Kontaktsignale reagiert und noch nicht zum symbolischen Spiel in der Lage zu sein scheint, ist dieses ein wichtiger Hinweis (vgl. Hobson 2003, S. 101).

Erkennen von Hinweisen

Der Erziehungswissenschaftler Georg Feuser, der sich seit fünf Jahrzehnten mit dem Thema Autismus beschäftigt, ist der Auffassung, dass es möglich ist, die ersten Auffälligkeiten in der frühesten Kindheit, etwa schon beim Stillen oder in der Krabbelgruppe, zu erkennen (vgl. Feuser 2021, S. 366). Es sollte uns hierbei jedoch um ein Erkennen gehen und nicht um eine Festlegung von Symptomen, die in einer Diagnose mündet, die unser weiteres pädagogisches Denken und Handeln einschränkt. Vielleicht sollten wir uns in der Früherkennung darauf verständigen, nach Hinweisen zu suchen, und nicht von Symptomen sprechen, denn Symptome verführen uns möglicherweise dazu, folgenden Rückschluss zu ziehen: Das Kind ist autistisch und somit durch ebendiese Symptome gezeichnet. Die Beobachtungen sollten uns Hinweise darüber geben, was das Kind in seiner sozial-emotionalen Entwicklung noch nicht entwickelt hat und wo es und seine Eltern bzw. andere Personen aus seinem Umfeld unmittelbar Unterstützung brauchen.

Vor dem Hintergrund der positiven Entwicklung ihrer autistischen Kinder wünschen sich viele Eltern, die mit Marte Meo gearbeitet haben, sie hätten schon viel früher mit der Methode gearbeitet – in einem Stadium, in dem ihr Kind zwei, drei oder vier Jahre alt gewesen ist.

1.4 Dem Kind einen Namen geben

Ich denke, es wird deutlich, wie einfach es sein kann, mögliche Vorboten für einen anderen Entwicklungsverlauf eines Kindes zu erkennen. Ich spreche hier ausdrücklich nicht von den Vorboten von Autismus oder Autismus-Risikokindern, obwohl sich diese darunter verbergen, sondern von Kindern, die nicht hinreichend mit ihren Eltern und ihrer Umwelt in eine Wechselbeziehung gehen. Wir befinden uns bei diesen Beobachtungen im Bereich der Früherkennung, die nicht zwangsläufig mit einer Diagnose verbunden sein muss. Denn eine Diagnose wie z. B. Autismus könnte auch schnell zur Folge haben, bestimmte, zu funktional an den Symptomen ausgerichtete autismusspezifische Methoden wie beispielsweise ABA anzuwenden oder die Kinder in Sondereinrichtungen zu betreuen. Mit einer Diagnose geht auch schnell die Befürchtung einher, die Diagnose ziehe in der Folge automatisch eine Anzahl weiterer spezifischer Symptome nach sich, die sich nicht korrigieren lassen.

Früherkennung bedeutet hier lediglich zu erkennen, ob oder welche Fähigkeiten zur Interaktion das Kind entwickelt hat und welche es noch entwickeln sollte. Maria Aarts drückt es sehr einfach und klar aus: „Ich weiß noch nicht, was das Kind hat, aber ich weiß, was es braucht“ (Aarts 2021). Es geht also darum, früher wahrzunehmen, was das Kind und seine Eltern oder auch pädagogische Fachkräfte in der Kindertagesstätte, die mit diesen Kindern arbeiten, brauchen.

Im Kern benötigen die Kinder sowie ihre Bezugspersonen eine unmittelbare Unterstützung, um die zwischenmenschliche Interaktion herzustellen oder wiederherzustellen, damit das Kind die Bausteine der sozial-emotionalen Entwicklung durchleben kann (vgl. Janert 2003, S. 18). Mit der Marte-Meo-Videointeraktionsanalyse (siehe Kapitel 3.2) haben wir die Möglichkeit, Eltern und pädagogische Fachkräfte für die Bedeutung des Interaktionsverhaltens zu sensibilisieren und Ressourcen in unserer Wahrnehmung hervorzuheben, die wir alle in uns tragen. Wir sehen auf die Momente, die die Protagonisten und Protagonistinnen schon entwickelt haben, und zeigen ihnen an ihrem eigenen Handeln, wo sie interaktives Verhalten in Bezug auf ihr Kind, von welchem wir noch nicht wissen, ob es sich möglicherweise in Richtung Autismus-Spektrum-Störung entwickeln würde, erweitern müssen.

In der Unterstützung von pädagogischen Fachkräften hat sich für mich in den letzten Jahren sehr deutlich abgebildet, welche Kinder dem Spektrum Autismus zuzuordnen sind und welche Kinder lediglich Verhaltensweisen zeigen, die diesem Erscheinungsbild sehr ähneln. So werde ich häufig in Kindertagesstätten gerufen, weil die Erzieher und Erzieherinnen den Eindruck haben, die Verhaltensweisen eines Kindes könnten dem Spektrum Autismus zuzuordnen sein. Hierzu gehören Verhaltensweisen wie z. B. „nimmt keinen Blickkontakt auf“, „spielt nicht mit anderen Kindern“ oder „kann nicht mit Veränderungen umgehen“. Nicht selten reagieren die Fachkräfte mit einer Zurückhaltung auf diese Kinder, da sie eben keine Einladung in die Kommunikation erleben oder denken, bei einem autistischen Kind hätten sie keine Handlungsoptionen, da sie für deren Begleitung nicht ausgebildet sind.

Die Handlungen der Eltern nachspielen

Lena ist zwei Jahre alt und zeigt kein Interesse an anderen Kindern. Sie nimmt auch keinen Blickkontakt zu Kindern und Erwachsenen auf. Die Eltern beschreiben die Schwierigkeiten, die sie mit Lena haben, wenn sie beispielsweise spontan nach draußen gehen wollen oder sich im Tagesablauf von ihrer Tochter etwas ändert. Bei meinem Besuch in der Krippe einer Kindertagesstätte mache ich folgende Beobachtung. Lena betrachtet beim gemeinsamen Anschauen eines Bilderbuches genau wie die anderen Kinder die Objekte, die sich im Bilderbuch abbilden. Während die anderen nach dem Betrachten der einzelnen Bilder – der Ente, dem Schwein oder der Gans – immer wieder kurz einen rückversichernden Blickkontakt zur Erzieherin aufnehmen, die dieses sprachlich begleitet, blickt Lena nur auf die Abbildungen im Buch. Ich bitte eine Erzieherin, ihre Worte direkt auf die Handlungen und das Erleben des Mädchens zu richten, um zu sehen, ob sich bei Lena nun Blickkontakt einstellt. In der Folge benennt die Kollegin die Handlungen von Lena sehr deutlich mit Worten, doch es gibt weiterhin keinen Blickkontakt. Lena zeigt auch keinen Austausch von Emotionen über Gestik und Mimik. Sie bleibt in ihrem Erleben für sich und gibt keinerlei Anzeichen, andere in ihr Erleben mitzunehmen, was auch die Eltern zunehmend besorgt. Lena bringt hier ein Verhalten zum Ausdruck, welches wir auch von autistischen Kindern kennen, die ihre Eltern nicht an ihrem inneren Bewegtsein teilhaben lassen. Daraus resultiert dann eben, dass auch die Erwachsenen irgendwann nachlassen, diese so wichtige Bezogenheit zum Kind herzustellen. Wie oben bereits erwähnt kann ich diese Beobachtung immer wieder in der Kindertagesstätte machen. Kinder, die uns nicht über ihre Augen, ihre Emotionen oder ihre Worte zu Kommunikation einladen, bleiben allein, da sie weniger Ansprache erhalten.