Epigene oder Wau Wau kommt und beißt - Rosa-Karina Reh - E-Book

Epigene oder Wau Wau kommt und beißt E-Book

Rosa-Karina Reh

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Beschreibung

Wer von dieser Erzählung erwartet, humorvoll unterhalten zu werden, um dem stressigen Alltag entfliehen zu können, der wird enttäuscht sein! – Zugegeben, es gibt auch solche Szenen, in denen Liebe und Momente des Glücks vorkommen; sogar ein wenig Ironie. Auch Sarkasmus kann man zwischen den Zeilen entdecken. Aber diejenigen, die dramatische Geschichten mögen und sich nicht scheuen, den eigenen realen noch ein paar fiktive Dramen hinzuzufügen, kommen wahrscheinlich auf ihre/seine Kosten. - Vielleicht gibt es sogar Leser/Innen, die das Interesse der Autorin teilen, Antworten auf Fragen nach dem zu suchen, was sich jenseits der Peripherie toxischer Alltagsphänomene verbirgt. – Haben Sie sich, liebe/r Leser/In schon mal die Frage gestellt, was Sie als Mensch ausmacht und wodurch Sie sich als Persönlichkeit definiert fühlen? – Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, was ICH eigentlich bedeutet, wenn Sie sagen: "Ich bin…!" – Wahrscheinlich vervollständigen Sie dann den Satz mit Ihrem Namen, Geschlecht, Beruf, Berufung oder anderen Identifikationen. Vielleicht fallen Ihnen in diesem Kontext auch verschiedene Ich-Anteile ihrer Persönlichkeit ein, die Ihnen missfallen! - Sind Sie dann schon mal auf die Idee gekommen, die Mitverursacher für Ihr So-Geworden-Sein dort zu suchen, wo Ihre Vorfahren Spuren durch Handeln, Fühlen und Denken hinterlassen haben? Sogenannte epigenetische Gen-Marker, die sich in dem Facettenreichtum Ihres heutigen ICH bemerkbar machen und ihr eigenes Handeln, Fühlen und Denken mitbestimmen. Möglicherweise freuen Sie sich gerade darüber, dass Sie sich nach dieser Information nun entspannt zurücklehnen können, weil Sie sich für fremdbestimmte Einflüsse schließlich nicht verantworten müssen! In allen Fällen gilt deshalb die Unschuldsvoraussetzung, weil alle eine Erblast in sich tragen, für die sie nicht verantwortlich sind! - Wirklich? – Und wer übernimmt die Verantwortung für das Handeln, Denken und Fühlen der zukünftigen Generation Beta? Die letzte Generation, die für die Rettung der Menschheit verantwortlich ist! In diesem Roman-Essay werden Lebensgeschichten von Menschen aus vier Generationen beschrieben, den sogenannten Traditionals / Kriegskindern, den Babyboomern/Kriegsenkeln, den Gen X und Y. - Die Intention der Autorin besteht darin nachzuspüren, ob sich Teile des Erbguts der Kriegskindergeneration (Gertrud, Martin, Walpurga und Helle), die als Jugendliche im Nationalsozialismus aufgewachsen sind, in den nächsten Generationen (Katharina, Fritz, Laszlo und Ada) epigenetisch wiederentdecken lässt; wahrscheinlich durch den jeweils vorherrschenden Zeitgeist modifiziert, aber noch erkennbar. – Von Interesse ist auch, Antworten auf die Fragen zu finden, ob ein Bedürfnis besteht, sich von der epigenetischen Erblast der Vorgänger-Generationen zu befreien und wie die praktische Umsetzung gegebenenfalls erfolgen könnte. – Die Protagonist/Innen verbindet eine Methode, die Widerstand genannt wird und trotz unterschiedlicher Inhalte gemeinsame Schnittmengen bei der Durchführung erkennen lässt.

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Seitenzahl: 480

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Rosa-Karina Reh

Epigene oder Wau Wau kommt und beißt

Eine Generationensaga

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Babyboomers Erblast – Kriegskinder

Kriegskinder-Schmerz

Kriegskinder – Tagebuch

Zwei Kriegsenkel

„Wau Wau kommt und beißt!“

Trümmerkinder

Flucht aus Bayern 1961

Das Kind

Tochter-Bashing

Scham

„Dein Blut ist unrein!“

„Ich bin so krank und keiner hilft mir!“

Katharinas Aufbruch

Alte Glaubenssätze zerschlagen

Berliner Kampfzone Wohngemeinschaft

„Wer immer mit derselben pennt, der wird bestimmt bald impotent!“

Das Andere in der Anderen erkennen

Der Billardabend

Alma, Phöbe und Katinka

Das Indientagebuch

Pushkar, 15.12. 84

Im Zug nach Ajmer

Babyboomer und Gen X

Fritz und Katharina Berlin 1989

Vater und Tochter

Alleinerziehend zwischen allen Fronten

Katharina als Referendarin - Eine Zustandsbeschreibung

Nacht- und Tagchimären

Das Andere im Anderen aushalten

Laszlo und Katharina – Eins

Laszlo und Katharina – Zwei

Inspiration

Der Beziehungsknoten wird fester

Laszlo und Katharina – Drei

Beziehungsfalle

Freundinnen zerren am Beziehungsknoten

Bei Freundinnen

Das Schreiben ist der Klebstoff

Mutter und Tochter

Kampfansagen

Nachtchimären

Corona kommt und beißt

Warten auf die Heim-Suchung / Februar 2020

Frühlingsgefühle

Die Apokalyptikerin

Jung gegen Alt

Das Alter kommt und beißt

Diktatur auf Abruf?

Neue Allianzen

Informations-Pandemien

Sichtbarer Feind

Alter, Krankheit, Tod – Krankheit

Den Vater loslassen

Schuld und Vergebung?

Lohengrin an der Bastei

Zwischen Traum und Wirklichkeit

Alte Rituale

Epigene?

Katharina und Ada

„Das ICH ist eine Illusion!“

Empathie mit sich selbst und allen anderen fühlenden Wesen

Katharina reflektiert

Reflektion

Katharinas Berufung

Das Andere im Anderen umarmen

Was war geschehen?

Wie ein Trauma weiter­ge­geben wird

Impressum neobooks

Vorwort

Epigene oder „Wau Wau kommt und beißt“

„Ein Baby musst du schreien lassen, sonst erziehst du dir einen Hausdrachen!“, sagt Gertrud. - „Wie ich darauf komme? Hast du das Erziehungsbuch von Johanna Harrer nicht gelesen? Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind? - Das lesen wir gerade beim BDM! Komm doch mal mit! Da erfährst du alles über Kindererziehung!“ – „Aber erzieht man nicht einen Widerstandskämpfer, wenn man die kleinen Dinger vernachlässigt?“, fragt Gisela und beginnt ihren aufgelösten Seitenzopf neu zu sortieren. – Wenn das Baby schreit und die Mutter nicht sofort hinrennt, lernen die von Anfang an Verzicht! Hart wie Kruppstahl müssen die Jungs für den Führer erzogen werden!“– „Und die Mädchen?“- „Ich werde von meinem Vater verprügelt! Das tut weh! Aber hat es mir geschadet? - Mädchen müssen früh lernen gefügig zu sein, um dem Führer zu gefallen!“, sagt Gertrud und schleudert ihre blonden Zöpfe ruckartig nach hinten. Erst den linken, dann den rechten. – „Meine Mutter sagt, dass Mädchen stark und wild sein sollen und sich nicht alles gefallen lassen dürfen! Auch, dass sie später nicht an den Herd gehören, sondern in einen Beruf!“, sagt Gisela mit Nachdruck in ihrer Stimme. - Erschrocken springt Gertrud vom Hocker: „Wenn du sowas sagst, dann musst du aufpassen, dass du nicht mitgenommen wirst!“ – „Wohin mitgenommen?“- „Wohin, weiß ich auch nicht! Aber…“- Gertrud sieht ihre Klassenkameradin besorgt, aber ratlos an. Jedesmal, wenn Walpurga den heißen Stein unter ihrer Bettdecke mit den Zehen berührt, durchfährt sie ein stechender Schmerz. Sie hätte eine Decke drüberlegen müssen, aber sie hatte keine finden können; es gab ja nur zwei und sie waren zu siebt. Und das dünne Bettlaken kann die Hitze nicht aufhalten. Andererseits ist ihre Gier nach ein bisschen Wärme so stark, dass sie den Schmerz dafür in Kauf nimmt. Mit ihren sieben Jahren ist das Bett inzwischen viel zu kurz geworden. Dabei gilt sie für ihr Alter als viel zu klein und dünn. So klein, dass sie mit der Einschulung noch ein Jahr hatte warten müssen. „Andererseits“, denkt Walpurga, „ist es auch egal, woher der Schmerz kommt.“ Den ganzen Tag lang war sie mit ihren dünnen Sommerschuhen durch den dicken Schnee gelaufen, aber den Schmerz hatte sie erst in der Schule gespürt. Solange die Betäubung wirkte, war es auszuhalten; aber dann, wenn sie nachließ, wenn die steif gefrorenen kleinen Füße allmählich auftauten, brach sich der Schmerz seine Bahn wie galoppierende Pferde über Glas. - Walpurga hatte noch nie Pferde über Glas galoppieren sehen. Aber den Glassplitterschmerz hatte sie schon oft gespürt, manchmal stärker, manchmal weniger. - Welcher ist am schlimmsten,“ denkt Walpurga. - Vorsichtig schiebt sie ihren großen Zeh in Richtung Stein, bis sie den Schmerz spürt und zulässt, dass er bis zur Wade hochzuckt und immer höher. „Der andere ist schlimmer!“, beschließt sie. „Der andere hat mich ganz…“- Dann war sie wohl eingeschlafen und in wilde Träume gesunken, denn plötzlich rasen von Peitschen angetriebene Pferde über ihren Körper hinweg, bis er am nächsten Morgen starr vor Kälte aufwacht. Vorsichtig schiebt sie ihren Zeh Richtung Stein, doch da ist nichts mehr. Sie kann den Stein nicht einmal spüren! War ihr Fuß nun auch zu Stein geworden? Kalt und gefühllos der ganze Körper. Walpurga erschrickt! Wenn sie nun wirklich zu Stein geworden wäre? Doch dann frohlockt es in ihr; nie wieder Mädchen sein müssen, einfach nur liegen bleiben dürfen! Nie wieder mit dünnen Sommerschuhen durch den Schnee in die Schule laufen müssen! Nie wieder Schläge spüren mit dem harten Stock. Nie wieder den wunden Po auf dem harten Schulstuhl danach! Sechs Stunden lang. Und wenn sie vor Schmerzen nicht mehr ruhig sitzen konnte und herum zu zappeln begann, gab es wieder Schläge, aber diesmal auf die Fingerspitzen. - Seitdem dieser fremde Mann, den sie Vater nennen musste, da war, Mama hatte gesagt -aus dem Krieg zurückgekehrt, war alles noch viel schlimmer geworden. So sehr Walpurga auch versuchte sich unsichtbar zu machen, er erwischte sie doch! Wenn sie ihm entkommen konnte, waren die anderen dran! Er hatte ja eine große Auswahl an Pos. Das Sich unsichtbar machen hatte sie bis zur Perfektion trainiert, ihr ganzes Leben lang. Ihre Augen waren ständig auf der Suche nach einem sicheren Versteck hinter Vorhängen, Schranktüren, Säulen oder Bäumen.– Wie Suchscheinwerfer gleiten die Blicke an ihr auf und ab – Katharina ist es gewohnt auf diese Weise begrüßt zu werden, wenn sie in den Semesterferien nach Hause kommt! Doch ist es ihr bislang nicht gelungen die missbilligenden Blicke und abfälligen Bemerkungen zu ignorieren und den Schmerz im Solar-Plexus auszublenden! – Diesen Ort der psychischen Demontage zu meiden, wäre keine Option! - Die Sehnsucht nach mütterlicher Wärme und der Hoffnung, irgendwann mit offenen Armen empfangen zu werden, sind stärker! Sie überwinden die Angst vor dem kalten, noch immer präsenten dunklen Raum ihrer Kindheit! Doch die Scham in einer emotionalen Sackgasse festzustecken, ist als Reisebegleiterin immer dabei! - Trotz ihres Alters und einer Psychotherapie will es ihr nicht gelingen das Kindheitstrauma zu überwinden und sich von der aussichtslosen Sehn-Sucht zu befreien. Einer Süchtigkeit danach von ihr in ihrem so Geworden-Sein angenommen zu werden; als Tochter! Ohne sich lebensphilosophisch und politisch verbiegen zu müssen! Wohl wissend, dass sie den Ansprüchen der Frau mit dem braun gefärbten Anders sein niemals gerecht werden kann, rollt sie den Stein, den die Mutter ständig hinunterrollt, wieder bergauf! – Was sich Katharina insgeheim von ihrer Odyssee durch verschiedene Wohngemeinschaften Berlins erhofft hatte, war die Aussicht auf einen Ort, an dem sie nicht ständig mit dem Ordnungstick ihrer Mutter konfrontiert werden würde! Stattdessen machte sie die immer wiederkehrende Erfahrung, dass es in jeder WG mindestens einen Mitbewohner gab, der es nicht geschafft hatte, die kleinbürgerlichen Indoktrinationen in der alten Welt zurück zu lassen. Mit den eingeschmuggelten kleinbürgerlichen Ordnungsprinzipien versuchten sie in einem oft zermürbenden Kleinkrieg den Feldwebel raushängen zu lassen, ohne den Tabubruch überhaupt zu bemerken. – Als deren Lieblings-Opfer fühlte sich Katharina in die längst überwundene kleinkarierte Klischee-Rolle einer deutschen Hausfrau wieder hineingezwängt. - Jedenfalls benötigte sie keine psychologische Ausbildung, um heraus zu finden, dass gewisse Mitbewohner ihren konditionierten Saubermann als Machtinstrument missbrauchen. Aus Rache für ihre eigenen demütigenden Erfahrungen mit postfaschistischen Erziehungsmethoden und Glaubenssätzen führten sie nun einen retrospektiven Stellvertreterkrieg. Durch die Identifikation mit dem Feind, also ihren Kruppstahl-Müttern, begannen sie die Emanzipationsbestrebungen weiblicher Mitbewohner zielgerichtet zu sabotieren. Alte Glaubenssätze zerschlagen? - Mit einem dicken Knüppel in der rechten Hand steht sie vor einem aufgetürmten Stapel aneinander gebundener Matratzen. Oben drauf liegt ein Zettel, der ihre Handschrift trägt. Auf dem Zettel steht mit großer Schrift: „Verkehrt zur Welt gekommen, verkehrt geblieben!“- Unschlüssig steht sie vor dem Stapel und muss an ihren verstorbenen Vater denken, dem sie diesen Glaubenssatz zwar zu verdanken hatte, aber darüber hinaus auch sehr viel mehr an Zuwendung und Unterstützung. Sein plötzlicher Tod hatte sie so sehr erschüttert, dass ihre Trauer in eine tiefe, mehr als ein Jahr andauernde Depression abstürzte, von der sie sich nur sehr langsam erholt hatte. - Und nun stand sie hier mit ihren Skrupeln auf einen seiner Glaubenssätze zu schlagen! - „Warum zögerst du? Schlag endlich zu!“, fordert die Seminarleiterin des Selbsthilfekurses Katharina auf. Mit leicht resigniertem Blick sagte sie: „Ich glaube, ich kann das nicht! Schließlich habe ich ihn doch so geliebt!“ - „Du erschlägst ja auch nicht deinen Vater selbst, nicht einmal symbolisch, sondern nur das, woran er selbst geglaubt hat! Hast du nicht ein ganzes Leben lang unter diesen Sätzen gelitten? Er wird schon wissen, was er dir angetan hat und dein Handeln aus einer anderen Dimension heraus verstehen!“- Vorsichtig und noch wenig überzeugt versuchte sie mit dem Knüppel zu zuschlagen, aber der Zettel sah danach noch fast unberührt aus, was sie beinahe mit Erleichterung zur Kenntnis nahm. - „Du musst stärker schlagen! Das Muster muss zerstört werden!“- Katharina versuchte es ein zweites Mal und spürte, wie sie bei jedem weiteren Schlag mutiger wurde! Und sie spürte noch etwas anderes: zuerst zwar Schuldgefühle, aber dann Wut und schließlich die pure Lust am Draufhauen. Sie schlug so lange, bis sie völlig erschöpft war und der Zettel endlich in mehreren Fetzen am Boden lag. - Zufrieden sammelte Katharina sie ein und steckte sie in eine Mülltüte, wo alle Fetzen aufbewahrt und später in ein „Reinigungsfeuer“ geworfen werden sollten. – Die Seminarleiterin lobt sie ausgiebig und reichte ihr einen neuen Zettel - „Babys musst du schreien lassen!“, las sie und spürte wie die Wut in ihr hochkochte! - Ohne Zögern begann sie so kräftig drauf los zu schlagen, bis der Zettel nach nur wenigen Schlägen zerfetzt war. Dasselbe Schicksal ereilte alle anderen Glaubenssätze mit denen ihre Mutter sie gefoltert hatte. „Du bist kein richtiges Mädchen! Nimm dir ein Beispiel an deinem Bruder!“- „Wie du wieder aussiehst! Man muss sich ja mit dir schämen“ - „Dein Blut ist unrein! Du stammst von Zigeunern ab!“…und so weiter. Laszlo hatte eine andere Beschäftigung gefunden. Zunächst wollte Katharina wieder einmal nicht wahrhaben, was sie vermutete. Es begann damit, dass er, die Fliegen, Wespen und sogar Motten rettete, indem er sie vorsichtig mit einem Wasserglas einfing und nach draußen beförderte, kein Wort über die im Mittelmehr verlor. Kein Anzeichen von Mitgefühl für das Schicksal dieser Menschen, die offenbar weniger Wert waren als die Insekten in der Wohnung; dann erst vorsichtig, aber letztlich immer häufiger von Überfremdung und den Auswirkungen einer islamischen Herrschaft sprach. - „Willst du, dass deine Tochter irgendwann verschleiert herumlaufen muss!“, entgegnete er Katharinas entrüsteter Reaktion, wenn sie ihm vorwarf, mit rechts außen zu sympathisieren. - Manchmal verlor sie auch endgültig die Geduld, denn als Achtundsechzigerin und ehemalige Antifa konnte und wollte sie sich nicht vorstellen mit einem postfaschistischen Sympathisanten das Bett zu teilen. - „Glaubst du, ich hätte Jahre lang gegen faschistoide Strukturen in dieser Gesellschaft gekämpft, um irgendwann meine Prinzipien zu brechen und mit so einem geistigen Brandstifter zusammen zu leben?“- „Für dich sind alle Faschisten, die eine alternative Meinung zu der vorherrschenden haben!“, brüllte er zurück. - „Alternative zu was? Zu Menschlichkeit etwa? Zu Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft den Menschen gegenüber, die aus ihrer zerbombten Heimat fliehen und das Risiko eingehen im Mittelmehr zu ertrinken? - Wo bleibt dein Mitgefühl, das du offensichtlich bloß Tieren entgegenbringen kannst!“- „Tiere sind unschuldig, Menschen nicht! Die sind doch selber schuld, wenn sie diese See untüchtigen Boote besteigen und das Risiko eingehen!“, blaffte er zurück. - Sprachlos und vor Wut zitternd war Katharina auf der Suche nach treffenderen Argumenten, fand aber immer nur neue abgedroschene Schlagworte, die er, oder war es seine Angst, in irrationale Stücke zerriss. Wenn ihm selber kein Argument mehr einfiel, begann er mit Hasstiraden auf die Medien, die wegen ihrer einseitigen Berichterstattung Schuld an allem hätten.– Irgendwann war Katharinas Stimme vom Herumbrüllen so heiser geworden, dass die Argumente in ihrem Hals anfingen zu kratzen und schließlich dort stecken blieben. Gleichzeitig war sie so aufgewühlt, dass sie dem Bewegungsdrang ihres Körpers nachgeben musste. Was sie nicht mehr sagen konnte, sagte ihr Körper. - Dann erkannte Katharina plötzlich die ganze Wahrheit. Es war nicht die Angst vor Überfremdung des deutschen Volkes, sondern die Angst vor der Homophobie, der islamischen, die ihn antrieb. Als heimlicher Queer wählte er nur das kleinere Übel! – Warten auf die Heim-Suchung. - Die Armee des unsichtbaren Feindes rückt immer näher. Es ist die Ungewissheit, die ängstigt, denn niemand kann diesen unheimlichen Gegner richtig einschätzen, kennt bislang weder Ursachen seiner Existenz, noch die Waffen, die er für die Eroberungszüge einsetzt! - Stilles Warten auf die Heim-Suchung mit der Gewissheit, dass es keine Fluchtmöglichkeiten gibt! - Stilles Warten mit den bangen Fragen nach der Schlagkraft des Feindes und ob die Widerstandskraft der eigenen Rüstung aus hochdosiertem Vitamin C, dreißig Sekunden Händewaschen und unverwüstlicher Optimismus ausreichen! - Ein grausames Wort „Triage“ macht die mediale Runde. - Noch gelten die Gesetze der Ethik auf der Basis des Grundgesetzes, wonach jede/r das Recht auf Unversehrtheit und einen Anspruch auf Lebensrettung hat! Ob das aber bei dem Voranschreiten der Pandemie noch Gültigkeit hat? - Oder ändern sich ethische Maßstäbe, wenn die Intensivstationen der Krankenhäuser mit schwerstkranken Menschen überschwemmt werden und zu wenig Beatmungsgeräte verfügbar sind? - Es soll in einigen Ländern bereits Praxis sein, den Alten die Geräte weg zu nehmen, wenn sie bereits angeschlossen worden waren, aber ein aussichtsreicherer Kandidat das Gerät benötigt. Ein darwinistischer Kampf ums Überleben, bei dem der Stärkere gewinnt! Darwin kontra Grundgesetz lautet das inoffizielle Motto der Stunde! - Was so alles möglich ist in Ausnahmezuständen! Neonazis reiben sich erstaunt das rechte Auge! „Leiden bestimmt das Leben, aber es kann durch dich selbst überwunden werden!“ - Das war die Botschaft, die sie erreicht hatte und die nun zu ihrem Repertoire neuer Glaubenssätze gehörte. Dabei spielt es gar keine Rolle, aus welchem Kontext sie zu ihr gelangten. Wichtig für sie war die Erkenntnis, dass sie es in der Hand hatte, selber bestimmen zu können, ob sie weiterhin leiden wollte oder nicht! - Die Frage war nur, wie es ihr gelingen konnte das Leiden zielführend zu überwinden! Es musste jenseits von Psychotherapie und Religion Methoden geben diese Erkenntnis in die Praxis umzusetzen! – Da Erfahrung Wissen schafft musste es auch eine Erfahrungs-Wissen-Schaft geben, die das Ziel verfolgte das Leiden von Körper, Psyche und Geist zu beenden oder wenigstens auf ein erträgliches Maß herunter zu fahren! –

Epigenetischer Stammbaum

vier Generationen

Kriegseltern , Kriegskinder, Kriegsenkel/Babyboomer, Kriegsurenkel/Gen x

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Martha, Schwester von Adolf verheiratet mit Else Käthe verheiratet mit Ernst

Tochter Gertrud Sohn Martin

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Gertrudverheiratet mit Martin

Tochter Katharina

Helleverheiratet mitWalpurga

Sohn Fritz

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Fritz liiert mit Katharinaliiert mitLaszlo

Tochter Ada

ADAliiert mit Karl

Babyboomers Erblast – Kriegskinder

Martha, Lüneburger Heide neunzehnhundertfünfunddreißig

„Lass sofort das Mädchen los!“- Martha, die ihr Patenkind nach langer Zeit besuchen wollte, wird nun Zeugin eines Vergehens, das sie genauso am eigenen Leib erlitten und als barbarische Erziehungsmethode ihr Leben lang verabscheut hatte! Erst durch ihren Vater, dann nach dessen Tod durch ihren eigenen Bruder. - Martha ist das jüngste von zehn Kindern. Während Adolf als ältester durch die Abwesenheit des Vaters schon sehr früh in die Rolle des Familienvorstandes hineingezwängt worden war, gelang es Martha aus der strengen Geschwisterhierarchie auszubrechen und den Weg in Richtung Freiheit wenigstens ein kleines bisschen kennenzulernen. - Dass sie von den kräfteehrenden Pflichten, die ein Großbauernhof allen Familienmitgliedern abverlangte weitestgehend ausgeschlossen wurde, hatte sie ihrer körperlichen Zerbrechlichkeit und ihrer mitfühlenden Mutter zu verdanken. Was jedoch niemand ahnte, war ein unbeugsamer Wille in diesem zarten Körper! Der Wille etwas aus sich zu machen das nichts mit diesen schmutzigen Tätigkeiten auf dem Hof zu tun hatte! Sie wollte Modeschöpferin werden! – Vorerst galt es jedoch klein anzufangen und sich in den schmalen Fußabdrücken der Mutter vorwärts zu bewegen, die vor und sogar ein paar Jahre nach ihrer Heirat Handarbeitslehrerin an einer Schule für -höhere Töchter- gewesen war. Doch nach dem dritten Kind musste sie ihre Arbeit aufgeben. Die eigene Mutter, Marthas Großmutter, fiel als Haushälterin und Betreuerin der Kinder aus, seitdem sie erkrankte und bettlägerig geworden war. So musste Marthas Mutter unfreiwillig und schweren Herzens das Klassenzimmer gegen Kuhstall, Kinder- und Krankenzimmer eintauschen. Anfang dreißig waren ihre blonden Haare zunächst unmerklich, dann immer sichtbarer, spätestens nach dem sechsten Kind, schneeweiß geworden. – Das Schicksal ihrer Mutter als Warnung an ihr eigenes erkennend, beschloss Martha die Weichen anders zu stellen; wohl wissend, dass der Weg raus aus Schmutz und Demütigungen hinüber zu anderen Ufern vorerst mit Schlägen gepflastert bleiben würde! Doch sie hatte es geschafft! - Was ihre Nichte betraf, so hoffte sie inständig, sie auf diesen Weg mitzunehmen. Sie wusste, dass das nicht einfach war! Als Frau nicht und schon gar nicht unter der Fuchtel einer Ideologie, die den Frauen nur eine Karriere in dem Betrieb namens FAMILIE garantierte! - Martha hatte Glück! Sie war rechtzeitig ausgestiegen! Aber für ihre Nichte, die sich neuerdings dem BDM angeschlossen hatte, sah sie mehr als Schwarz! Sie sah Braun! - Die braune Flut hatte so viele hoffnungsvolle Junge Mädchen mit sich fortgerissen und in ihren durchfluteten Gehirnen diesen schmutzigen Bodensatz zurückgelassen. - Warum ließen diese blühenden jungen Frauen die Versklavung ihres freien Willens zu? - Und Adolf, der es eigentlich besser wissen müsste, ließ das offensichtlich auch noch zu! Oder glaubte er etwa ihre neue Gesinnung durch Prügel austreiben zu können? - Welch ein De-ja-vu des Entsetzens, als Martha das Wohnzimmer betritt, aus dem sie bereits im Flur die Schmerzensschreie des Mädchens gehört hatte! - Alarmiert starrt sie nun auf das unbekleidete, blutüberströmte Hinterteil des jungen Mädchens, dessen zarter Körper bäuchlings auf den Oberschenkeln ihres Bruders liegt und schreit. Während sein muskulöser linker Oberarm den Oberkörper des Kindes fest im Griff hat, ragt der rechte Arm Peitsche schwingend in der Luft. - Marthas Bruder Adolf will gerade erneut mit der Pferdepeitsche kräftig ausholen, als Martha unerschrocken auf ihn zu stürzend, unmittelbar in seine Arme hineinfällt und diese noch rechtzeitig daran hindern kann das Folterinstrument für Pferde noch einmal Zweck zu entfremden. – „Was tust du da!“, brüllt sie ihn an. „Hast du mich nicht genug gequält? Reicht dir das nicht? Muss deine eigene Tochter nun auch daran glauben, du Sadist!“- Wohl wissend, dass sie gar nichts gegen ihn ausrichten kann, setzt sie dennoch ihre eigene Unversehrtheit aufs Spiel, angetrieben durch ihren unbeugsamen Willen. – Adolf war schon immer ein jähzorniger Mensch gewesen, daran hat sich trotz seiner politischen Gesinnung nichts geändert! Dass die Genossen der Arbeiterpartei so einen Schläger überhaupt akzeptieren, kann Martha nicht begreifen! Dass er nicht bei den Nazis gelandet ist, schon eher! Er folgte einfach nur der Tradition seiner Vorfahren, die als Arbeiter in der ansässigen Papierfabrik gearbeitet hatten. Da der eigene Hof nicht genug für alle abwarf, mussten die zahlreichen Geschwister neben ihrer Verpflichtung im Stall und auf dem Acker Geld dazu verdienen. Adolf, der von dieser Schufterei in der Fabrik weitgehend verschont worden war, hatte sich zu einem kräftigen und dünkelhaften Mann entwickelt. In einem Wahn von Selbstüberschätzung und Überheblichkeit ließ er weder Kritik noch Widerspruch zu und bekämpfte sie gewalttätig. – Obwohl Martha diese Verwerfungen seines Charakters aus tiefstem Herzen verachtete, hatte sie durchaus Mitgefühl für seine schwierige Kindheit, vor allem für die sehr schwere Verantwortung, die ihm bereits als Kind aufgebürdet worden war! Auch hatte sie großes Verständnis für seine Abscheu den Braunen gegenüber! In dieser Hinsicht gab es überhaupt keinen Widerspruch, denn sie selber misstraute dieser Ideologie aufs schärfste! Wahrscheinlich aus anderen Gründen als er! - Zum einen zweifelte sie an seiner intellektuellen Fähigkeit den politischen Unterschied zu begreifen; zum anderen widerstrebte ihr dieser Männlichkeitswahn in brauner Uniform mit dem missbrauchten Sonnenzeichen am Ärmel! - Abgesehen davon, dass ihr Männer schon immer suspekt erschienen, setzten diese Kreaturen auf ihre ursprüngliche Abneigung noch eins drauf! Allein der Gedanke, von so einem umarmt zu werden, versetzte sie in Panik! Sie konnte nicht verstehen, dass es Frauen gab, die diesen Unfug mitmachen, ja geradezu versessen sind einen von dieser zackigen Sorte zu ergattern! Sicher hätte Adolf auch zu deren Beuteschema gehört, wäre er der Partei beigetreten! Charakter und Statur sprächen dafür! - Ob er die Zeichen der Zeit bloß noch nicht erkannt hatte? Oder fühlte er sich dem politischen Geist seiner Eltern und Großeltern doch stärker verpflichtet? – Fast wäre es Martha aus Sorge um ihr Patenkind lieber gewesen, die braune Gesinnung hätte auch ihn eingeholt! Wahrscheinlich wäre Gertrud aus Protest gegen ihren Vater dann wenigstens nicht beim BDM gelandet! - Aber Martha hatte sie dennoch in ihr Herz geschlossen! Ein verführtes junges Mädchen würde bestimmt irgendwann zur Besinnung kommen! Davon war Martha überzeugt. – Wie konnte ein kräftiger Mann bloß auf die Idee kommen, so ein zartes Wesen zu schlagen! Die braune Gesinnung würde er sowieso nicht aus ihr heraus prügeln! Ganz im Gegenteil noch verstärken, zumal sie den Dickschädel von ihm geerbt hat! - Ihr Bruder war und ist immer noch ein Mensch, dessen Bewusstsein durch eine Spaltung zwischen Ideal und Wirklichkeit auseinanderfällt. Wie ein geprügelter Hütehund, der die ihm einst zugefügte Pein niemals vergessend immer wieder zubeißt! - Deshalb ruft sie dem jungen Mädchen nur noch hastig zu, so schnell wie möglich aufzustehen und das Haus zu verlassen. - Kaum hat sie zu Ende gesprochen, das junge Mädchen war inzwischen heulend hinausgelaufen, da wird sie auch schon von ihrem Bruder auf das Sofa geschupst. Martha kann ihr Gesicht gerade noch rechtzeitig hinter einem Sofakissen verstecken, da spürte sie auch schon die Peitschenhiebe auf ihrem Körper, deren Wucht aber von dem dicken, selbst geschneiderten Teddymantel abgemildert wird. „Ich zeige dich an, wenn du nicht sofort aufhörst!“ Adolf, der die gedämpften Worte hinter dem Kissen offensichtlich deutlich genug vernommen hat, hält inne. Er ist sich zwar sicher, dass die Polizei die Anzeige einer Frau nicht entgegennehmen würde, aber wissen konnte man das dennoch nicht! Seine Schwester war schon als junges Mädchen eine elegante blonde Erscheinung mit einer Respekt einfordernden Ausstrahlung gewesen! Und wer weiß, ob sie den nicht auch auf dem Polizeirevier bekommen würde! - Abgesehen davon ist er auch kein Parteimitglied! Und da er auch gar nicht vorhat eins zu werden, wäre er bestimmt irgendwelchen Schikanen ausgesetzt, wenn seine eigene Schwester ihn verpfeift! - Dabei war Schläge doch immer schon eine legitime Erziehungsmethode gewesen, die niemandem geschadet hat! Ihm nicht und seinen Geschwistern auch nicht! Nur durch den Schmerz konnte man wissen, was richtig und was falsch ist! Warum sollten Weiber verschont werden! Sie hatten es doch noch mehr verdient, diese Intrigantinnen und Verräterinnen wie seine Schwester eine ist! Hielt sich immer für was Besseres! Und Männer mochte sie auch nicht, sonst wäre sie längst verheiratet! Hat nur Flausen im Kopf! Dabei weiß doch jeder, dass eine Frau hinter den Herd gehört! Selbst die Genossen wissen das! - Aber man konnte nie wissen! Einige seiner alten Schulkameraden sind bereits braune Parteimitglieder und wären ihm wegen seines anderen Parteibuches nicht unbedingt wohlgesonnen! - Außerdem hat seine eigene Tochter ihn sowieso schon beim BDM verpetzt! Dieses Miststück! Neuerdings versuchen diese Nazis die jungen Leute mit dem Versprechen zu ködern, sie vor den Erziehungsmaßnahmen der Eltern zu beschützen, wenn sie bereit wären über deren politische Gesinnung zu berichteten. Genau das hatte ihn so wütend gemacht, als sie ihn damit unter Druck setzen wollte! Er konnte sich einfach nicht beherrschen und hatte ihr gedroht, sie so lange durchzuprügeln, bis ihr die Lust am BDM verginge. Aber immer wieder musste er in Erfahrung bringen, dass sie ungehorsam war und ihn hinterging. - Und Martha diese dumme Kuh, unterstützt sie auch noch! Dabei war die doch selber nicht in der Partei! - Den Weibern konnte man einfach nicht trauen! Eine ordentliche Tracht Prügel hat noch niemandem geschadet! Mir selbst ja auch nicht! Sogar Martha nicht, die immer noch aufgedonnert wie die Kaiserin von China naserümpfend über den Hof stolziert! - Gedankenversunken lässt er die Peitsche durch die Luft sirren. - Und weil er kein Opfer findet, die beiden Weiber waren ja aus dem Raum geflüchtet und seine Frau hat sich wieder mal in den Kuhstall zurückgezogen, müssen die hübschen Sofakissen dran glauben.

Kriegskinder-Schmerz

Gertrud, Lüneburger Heide 1936

Liebes Tagebuch, Vater ist ein Tyrann! Ich hasse ihn, wie niemanden sonst auf der Welt! Mutter kann mich nicht beschützen, denn sie hat Angst vor ihm! Ihm ist es egal, wen er schlägt, Hauptsache da liegt jemand! – Für mich hat hier niemand Zeit! Auch Mama nicht! Vater scheucht sie immer auf den Acker! Und Tante Martha kommt zu selten, um mich zu trösten! Ich traue mich gar nicht eine Freundin mit nach Hause zu bringen, wenn Vater da ist. Weil ich mich so allein fühle, habe ich mich in den Bund Deutscher Mädchen geflüchtet, denn da hören sie mir wenigstens zu! Die wissen alles über Vater! Sie haben mir versprochen ihn zu holen, wenn er mich weiter so schlägt! Die sagen, er sei ein Roter und die gehören sowieso ins Lager! - Aber das will ich auch nicht, denn dann wäre Mutter ja ganz alleine mit dem Hof und das würde sie nicht schaffen! Dann müsste sie den Hof verkaufen, wahrscheinlich an die Partei, aber das will ich auch nicht! Ich liebe die Tiere! Sie sind mein einziger Trost, wenn er mich wieder mal geschlagen hat! Kaum sind die Wunden verheilt, reißt er sie mit der Peitsche wieder auf und alles beginnt von vorne! Weil ich nicht mehr auf den harten Stühlen sitzen kann, hat mir Mutter einen Reifen für die Sitzfläche genäht und mit Watte ausgestopft, damit der Po nicht mehr so weh tut! Aber in der Schule darf ich den nicht benutzen! Ich versuche ja schon den Schmerz auszuhalten, aber manchmal geht das nicht! Dann zappele ich hin und her, bis der Lehrer kommt! Und dann muss ich die Handflächen auf den Tisch legen, damit er mit dem Stock auf die Handrücken schlagen kann. Das Gute an dem Schmerz ist, dass er von denen an meinem Po ablenkt! Aber auch von meinen Rückenschmerzen! Immer muss ich auf dem Feld die schweren Kartoffelkörbe tragen. Wenn einer voll ist, pfeift Vater auf der Trillerpfeife! Dann muss ich schnell hinlaufen und ihn zu dem Pferdewagen schleppen. Auch die Frauen, die auf den Knien sitzen und die Kartoffeln aus dem Boden holen, treibt er ständig an. Sagt, sie sollen sich beeilen und nicht so viel reden, was sie aber doch tun. Dann brüllt er herum, beschimpft sie und droht ihnen mit Entlassung. Weil sie aber Geld verdienen müssen, beeilen sie sich, sodass ich auch noch schneller laufen muss! Wenn ich langsamer werde, droht er mir Schläge! Als eine Frau das einmal mitbekam, sagte sie „Du Menschenschinder, Adolf!“ - Danach habe ich sie nie wieder gesehen. Abends kann ich vor Rückenschmerzen nicht einschlafen! Sage es Mama aber nicht! Auch nicht, wenn er mich wieder geschlagen hat! Sie hat schon genug Sorgen! Dafür habe ich ja Tante Martha. Sie hört mir so mitfühlend zu, dass ihr die Tränen kommen, will aber nicht, dass ich mit Erzählen aufhöre und nimmt mich in die Arme. Einmal har sie mir erzählt, dass sie auch geschlagen worden sei. Zuerst von ihrem Vater, dann von Adolf, als der Vater im Krieg war. Als ich sie fragte, warum, erzählte sie mir ihre Geschichte. Sie sei herzkrank gewesen und deshalb körperlich sehr schwach. Ihre Mutter, Oma, hätte sich dafür eingesetzt, dass sie keine schwere Arbeit machen musste. Aber das habe nicht allen gefallen! Vor allem ihrem Vater und Adolf nicht. Sie wollten ihr diese Flausen mit der Mode austreiben, wie sie behaupteten. Tante Martha hat sich aber nicht abschrecken lassen und mit der Hilfe ihrer Mutter, also Oma, hat sie das Nähen gelernt und dann begonnen Kleider zu entwerfen und zu schneidern. Viele habe sie selber getragen, trägt sie heute noch, aber die meisten habe sie mithilfe eines wohlhabenden Bekannten, dem Eigentümers der örtlichen Papierfabrik, an ein Modehaus in Hamburg verkaufen können. Einen Teil des Geldes hat die Mutter, also Oma, für die Haushaltskasse bekommen, den Rest hat Tante Martha für ein Fahrrad gespart und was sie sonst noch brauchte. Ich liebe und bewundere Tante Martha! So wie sie, möchte ich auch einmal werden, wenn ich groß bin! - Aber beim BDM sagen sie, Mädchen brauchen keine Ausbildung, die heiraten doch sowieso und gehören an den Herd! Vielleicht hat Tante Martha deshalb nicht geheiratet! Als ich sie einmal danach fragte, ist sie ganz rot geworden. Sie sagte, dass sie Männer nicht ausstehen könne! Warum sie deshalb ganz rot im Gesicht geworden ist, weiß ich nicht! Es ist doch ganz normal, dass Frauen keine Männer mögen! Ich mag auch keine! Aber das darf ich nicht sagen, dann werden alle wütend, vor allem Vater! Einmal bin ich mit dem Po auf einen Pinsel gefallen, ich meine auf die Spitze des Pinselstils. Jedenfalls sagen das alle, weil ich am Po stark geblutet habe. Aber dass es nicht der Pinselstil war, traue ich mich nicht zu sagen. Ich schäme mich so! Außerdem würde mich Vater zur Strafe wieder schlagen. Gut, dass es den BDM gibt und ich weiß, wo ich mich hinwenden kann! Dort hören sie mir zu! – Deine GertrudWalpurga / Niederbayern 1945 Jedesmal, wenn Walpurga den heißen Stein unter ihrer Bettdecke mit den Zehen berührt, durchfährt sie ein stechender Schmerz. Sie hätte eine Decke drüberlegen müssen, aber sie hatte keine finden können; es gab ja nur zwei und sie waren zu siebt. Und das dünne Bettlaken kann die Hitze nicht aufhalten. Andererseits ist ihre Gier nach ein bisschen Wärme so stark, dass sie den Schmerz dafür in Kauf nimmt. Mit ihren sieben Jahren ist das Bett inzwischen viel zu kurz geworden. Dabei gilt sie für ihr Alter als viel zu klein und dünn. So klein, dass sie mit der Einschulung noch ein Jahr hatte warten müssen. „Andererseits“, denkt Walpurga, „ist es auch egal, woher der Schmerz kommt.“ Den ganzen Tag lang war sie mit ihren dünnen Sommerschuhen durch den dicken Schnee gelaufen, aber den Schmerz hatte sie erst in der Schule gespürt. Solange die Betäubung wirkte, war es auszuhalten; aber dann, wenn sie nachließ, wenn die steif gefrorenen kleinen Füße allmählich auftauten, brach sich der Schmerz seine Bahn wie galoppierende Pferde über Glas. Walpurga hatte noch nie Pferde über Glas galoppieren sehen. Aber den Glassplitterschmerz hatte sie schon oft gespürt, manchmal stärker, manchmal weniger. „Welcher ist am schlimmsten,“ denkt Walpurga. Vorsichtig schiebt sie ihren großen Zeh in Richtung Stein, bis sie den Schmerz spürt und zulässt, dass er bis zur Wade hochzuckt und immer höher. „Der andere ist schlimmer!“, beschließt sie. „Der andere hat mich ganz…“ - Dann war sie wohl eingeschlafen und in wilde Träume gesunken, denn plötzlich rasen von Peitschen angetriebene Pferde über ihren Körper hinweg, bis er am nächsten Morgen starr vor Kälte aufwacht. Vorsichtig schiebt sie ihren Zeh Richtung Stein, doch da ist nichts mehr. Sie kann den Stein nicht einmal spüren! War ihr Fuß nun auch zu Stein geworden? Kalt und gefühllos der ganze Körper. Walpurga erschrickt! Wenn sie nun wirklich zu Stein geworden wäre? Doch dann frohlockt es in ihr; nie wieder Mädchen sein müssen, einfach nur liegen bleiben dürfen! Nie wieder mit dünnen Sommerschuhen durch den Schnee in die Schule laufen müssen! Nie wieder Schläge spüren mit dem harten Stock auf ihrem nackten Po. Nie wieder den wunden Po auf dem harten Schulstuhl danach! Sechs Stunden lang. Und wenn sie vor Schmerzen nicht mehr ruhig sitzen konnte und herum zu zappeln begann, gab es wieder Schläge, aber diesmal auf die Fingerspitzen. - Seitdem dieser fremde Mann, den sie Vater nennen musste, da war, Mama hatte gesagt -aus dem Krieg zurückgekehrt, war alles noch viel schlimmer geworden. So sehr Walpurga auch versuchte sich unsichtbar zu machen, er erwischte sie doch! Wenn sie ihm entkommen konnte, waren die anderen dran! Er hatte ja eine große Auswahl an Pos. Das Sichunsichtbar machen hatte sie bis zur Perfektion trainiert, ihr ganzes Leben lang. Ihre Augen waren ständig auf der Suche nach einem sicheren Versteck hinter Vorhängen, Schranktüren, Säulen oder Bäumen. – „Ob Steine auch Gefühle haben?“ Doch viel Zeit zum Nachdenken hat sie nicht mehr, denn schon hört sie ihre Mutter die Holztreppe hochknarren. Sie reißt die Zimmertür auf, stürzt auf Walpurgas Bett und zieht ihr die Bettdecke vom steif gefrorenen Körper. „Alle sind schon unten,“ schimpft sie, „los, los, raus hier! Du kommst zu spät in die Schule!“ - Und was das bedeutet, weiß Walpurga nur allzugut. Doch weil Walpurga noch immer glaubt, ein Stein zu sein, ist es ihr unmöglich einfach aufzustehen! Doch da hat ihre Mutter sie auch schon an den Zöpfen zerrend hochgezogen, bis sie automatisch fast senkrecht im Bett sitzt und nun endgültig weiß, dass sie einer sein könnte! Steine können sich zwar nicht von alleine bewegen, aber von anderen bewegt werden! Sie selber war auch eine andere, denn sie konnte machen, dass sich ihre Hände und Füße bewegen und nun auch der Rest des Körpers aus Stein vom Bett hoch. - Ob sie das wollte oder nicht, war eine andere Frage! - Hat sie denn einen eigenen Willen? - Sie kann diese Frage nicht beantworten, da sie es nicht wissen kann! Niemand hat es ihr verraten! Ob sie es jemals wissen würde? Vielleicht, wenn sie groß ist! - Der fremde Mann im Haus, wusste offenbar ganz genau, was er wollte, obwohl Walpurga oft an ein Tier auf der Jagd nach Beute denken muss, wenn sie diesem fremden Mann, der ihr Vater sein soll, irgendwo im Haus begegnet. War das Wille oder etwas anderes? Sie hatte ihre Katze oft beim Mäuse- oder Vogelfangen beobachtet und war in Tränen ausgebrochen. Wie konnte Mieze nur so grausam sein! Aber Mieze konnte auch lieb und zärtlich sein, der fremde Mann im Haus aber nie! Mama hatte gesagt, dass Mieze nichts dafür könne, dass sie nur ihrem Instinkt folgen würde! - Konnte der fremde Mann auch nichts dafür? Folgte er auch nur seinem Instinkt, wenn er so schlimme Sachen mit ihr tat, über die sie mit niemandem reden durfte, weil er sonst Mieze töten würde. Bei den Schlägen durften alle dabei sein und mit heulen, weil jede wusste, dass sie die nächste sein könnte! Aber das andere, das da draußen im Holzschuppen geschah, musste unbedingt geheim bleiben. Niemand, auch die Mama nicht, durften davon erfahren. Meist hielt er ihr mit der einen Hand den Mund zu, während er ihr mit der anderen zwischen die Beine fuhr und sie auseinanderzerrte. Und was dann geschah, hatte Walpurga vergessen. Oder war sie gar nicht mehr da? Wo war sie denn dann? Ihr Körper war nur noch ein Stein. Danach musste sie sofort ins Bett gehen, damit niemand etwas merkt. Dann lag sie Mutterseelen allein mit dem Geheimnis unter der kalten Bettdecke und legte die kleinen Fußsohlen an den heißen Stein, bis der Schmerz die Scham verbrannte. Sie hätte nur allzu gerne gewusst, ob ihre Schwestern dasselbe Geheimnis mit sich herumtragen müssen. Aber sie wagt nicht sie danach zu fragen. Von ihren Mitschülerinnen hatte Walpurga erfahren, dass zurück gekehrte Väter Menschen getötet hatten, dass sie es aber zuhause nicht tun würden. Aber da war sich Walpurga nicht so sicher…

Kriegskinder – Tagebuch

Gertrud, Lüneburger Heide 1944 bis 1946

Liebes Tagebuch, als ich gestern auf den Hof stand und gerade in den Pferdestall zu Pfanni gehen wollte, hörte ich plötzlich einen entsetzlichen Lärm am Himmel, der immer näher kam. Das letzte was ich vor der Ohnmacht sehen konnte war ein Tiefflieger, der direkt über unseren Hof flog. Dann wurde alles schwarz um mich. Als ich wieder zu mir kam, war der Lärm vorbei und ich lebte! Auch stand das Gebäude noch! Den Flugzeuglärm und die Bomben hatten wir bislang immer nur aus weiter Ferne gehört, aber gewusst, dass die alles in Schutt und Asche legen! Das waren die Engländer! Aber die Schlösser in Celle und Hannover blieb unbeschädigt, weil es zum britischen Königshaus gehört. Vielleicht haben sie deshalb auch die Dörfer der Kreisstadt nicht bombardiert! Vielleicht haben sie aber unser Dorf auch deshalb verschont, weil der Pilot mich gesehen hat und Mitleid mit mir hatte, einem jungen Mädchen mit langen Zöpfen, so ganz allein auf dem Hof! Vielleicht hat er an seine eigene Frau oder Tochter gedacht? Wahrscheinlich aber eher an die Geliebte, denn mit Töchtern hat „Mann“ ja wohl kein Mitleid! Oder waren die englischen anders? - Wohl kaum, denn sonst würden sie ja woanders keine Bomben auf die Töchter fallen lassen. Aber was können Frauen schon von Männern erwarten! – Deine Gertrud 

Liebes Tagebuch, der Krieg ist zwar endlich vorbei, aber seit gestern erfahre ich so etwas wie einen Krieg in mir selber! Es rüttelt und zerrt an meinen Nerven! Nicht bloß weil Vater wieder zu Hause ist und noch mehr herum wütet als vorher! Etwas viel Schlimmeres ist passiert! Als wir gestern beim Mittagessen saßen, sah ich wie ein Toter an unserem Küchenfenster vorbeihuschte. Mir wäre fast die Kartoffel im Hals stecken geblieben. Zuerst dachte ich es sei ein Albtraum, aber dann sah ich noch einen und noch einen und immer mehr! Ich sprang von meinem Stuhl auf und rannte zur Haustür, riss sie auf und sah mindestens ein Dutzend ausgemergelter halbtoter Gestalten in gestreifter Sträflingsbekleidung dort stehen. Sie starrten mich aus riesigen Augen an! Vor lauter Schreck, begann ich laut aufzuschreien. Dann eilte Mutter herbei und konnte mich gerade noch auffangen, sonst wäre ich auf den Steinboden geknallt. Noch mit mir im Arm fragte Mutter diese Menschen, woher sie kämen. „Aus Bergen Belsen!“, hatte einer geantwortet. „Die Engländer haben uns befreit! Und dann sind wir losgelaufen! Wir haben entsetzlichen Hunger und Durst! Gute Frau, können sie uns helfen?“ - Das alles hörte ich im Halbdämmer meiner Ohnmacht und dass Mutter sagte, sie würde ihnen sofort etwas zu essen kochen, aber was sie jetzt auf dem Tisch hätte, würde nicht für alle reichen! Sie sollten sich solange auf den Rasen setzen oder legen, bis sie fertig sei mit dem Kochen. Vorher wollte sie aber noch wissen, was sie in Bergen Belsen gemacht hätten und warum sie so dermaßen abgemagert sein und in Sträflingskleidern steckten. Ungläubige Augen starrten sie an, bis einer fragte, ob sie denn nicht wisse, was geschehen sei! Und dann begannen alle durcheinander zu reden und die schlimmsten Sachen zu erzählen, von denen wir ja gar nichts gewusst hatten. Mich hatte Mutter inzwischen auf einen Stuhl befördert und sich daneben gesetzt. Beide ignorierten wir das Gebrüll von Vater aus der Küche und konzentrierten uns auf die Schauergeschichten über Vergasung, Zwangsarbeit, Erschießungen, Hunger, Durst und Kälte. Danach waren nicht nur die Männer derartig erschöpft, dass sie sich einfach an Ort und Stelle niederfallen ließen, einige schafften es noch bis auf den Rasen zu kriechen. Mutter wies mich an, einen Eimer mit Wasser und eine Schöpfkelle zu holen und die Menschen da draußen mit Wasser zu versorgen, sie selbst rannte in die Küche und forderte Vater auf, ein großes Stück Speck aus der Räucherkammer zu holen, während sie selber einen Korb mit Kartoffeln aus dem Keller hoch schleppte. Dann begann sie diese zu schälen. Und nachdem ich die Menschen mit Wasser versorgt hatte, half ich ihm. Als Vater murrend und knurrend endlich mit dem Speck ankam, schnitt Mutter den Speck in Stücke und briet sie in der großen Pfanne; setzte zwei große Wassertöpfe auf, gab die geschälten und geteilten Kartoffeln hinein und später den gebratenen Speck. Als die Kartoffelsuppe fertig war, trugen wir Töpfe und Teller hinaus in den Garten und sahen zu wie diese armen Menschen die dünne Suppe gierig verspeisten. Mutter hatte inzwischen noch einen Brotlaib in Scheiben geschnitten und ich half ihr diese mit Butter zu bestreichen und Topfwurst draufzulegen. Man konnte gar nicht so schnell hinsehen, wie die Brote auf den Tellern verschwunden waren! Danach baten sie um eine Bleibe für die Nacht. Mutters skeptischem Blick wich ich bewusst aus, denn ich schlug vor, dass die Menschen doch auf dem Heuboden schlafen könnten. Und, man höre und staune, sogar Vater war damit einverstanden. Nachdem sie die nachmittägliche Mai-Sonne auf dem Rasen liegend genossen hatten, ließen wir sie die Leiter zum Heuboden hinaufsteigen, nachdem wir alle Decken zusammengesucht hatten, die im Haus aufzufinden waren. Nicht jeder bekam eine ab, aber sie würden sich auch zu zweit darunterlegen, sagten sie. Später beim Abwaschen unterhielten sich Mutter und ich über das Schicksal dieser Menschen, von dem wir nichts gewusst hatten! Wir heulten beide um die Wette, zum Teil auch aus Wut! Aus Wut über den Nationalsozialismus; zum Teil auch aus Wut über unsere eigene Naivität! Besonders ich schämte mich, dass ich so aktiv beim BDM mitgemacht hatte! Aber das ist eine andere Geschichte! Gute Nacht, liebes Tagebuch! Deine Gertrud

Guten Abend liebes Tagebuch, heute war ein anstrengender Tag! Morgens Kaffee gemahlen, dann gekocht und in Tassen gegossen und diese herum gereicht. Da es morgens geregnet hatte, mussten die Menschen in der Diele auf dem Boden sitzen. Dann haben wir unseren letzten Brotlaib zerschnitten, dick mit Butter und Wurst bestrichen und die Stullen herum gereicht. Während die Menschen wieder auf den Heuboden gekrochen waren, Schweine gefüttert und Kühe gemolken hatten, begannen Mutter und ich mit dem Kochen. Mutter holte Blut- und Leberwürste aus der Räucherkammer und legte sie in heißes Wasser, während ich einen Korb Kartoffeln aus dem Keller holte und diese ungeschält ins kochende Wasser warf. Zuerst wollte Mutternichts von ihrem eingelegten Sauerkraut opfern, gab dann aber doch meinem Betteln nach! War es das schlechte Gewissen oder das Mitleid, das uns die Vorratskammern plündern ließ? Und Vater kommentierte unsere Geschäftigkeit mit immer denselben Worten: „Das haben wir diesen Nazis zu verdanken! Ich habe ja nichts damit zu tun! Hab die nicht gewählt und war auch nicht in dieser Faschisten-Partei! Aber ihr konntet ja dem Charme dieser braunen Gesellen nicht widerstehen! Nicht wahr Gertrud!“ – Zum ersten Mal in meinem Leben musste ich Vater recht geben! Aber nur in diesem Punkt. Schließlich war er, der angebliche Sozialist und Menschenfreund ein Schläger! Das passt doch nicht zusammen! Ich weiß zwar nicht viel über diese Organisation, aber die Wörter sozial und demokratisch bedeuten doch, dass solche Schlägertypen wie Vater dort gar keine Heimat gehabt haben! - Als ich ihn vorhin danach fragte, wurde er wieder wütend! Sagte, dass er auch geschlagen worden sei, dass eine Tracht Prügel noch niemandem geschadet hätte und dass seine politische Gesinnung damit gar nichts zu tun hätte. - „Na dann hättest du doch auch gleich bei Hitlers Schlägertruppe anheuern können!“, sagte ich ziemlich gereizt. Allerdings mit dem Erfolg, dass ich schleunigst Reißaus nehmen musste, denn er hatte die Hand bereits zum Zuschlagen erhoben. Ich flüchtete mich auf den Heuboden mitten zwischen die Menschen. Dorthin würde er mir bestimmt nicht folgen! Zwar hätten mich die ausgemergelten Menschen gar nicht beschützen können, aber ein Schauspiel wollte er ihnen wohl doch nicht bieten. Schließlich hatten die ja genug Schlimmes erlebt! Das musste dieser jähzornige Tyrann auch erkennen! - Dort oben unterhielt ich mich mit ihnen und erfuhr so schlimme Details, dass ich wieder kurz vor der Ohnmacht war! Aber die Gespräche hatten auch eine heilsame Seite! Ich erkannte, dass ich nicht die Einzige war, die litt! Und dass ich mit meinem Leid glimpflich davongekommen war! Denn den Tod hatte ich nie vor Augen, jedenfalls nicht durch die Hand meines Vaters! Auch nicht bei dem Ereignis mit dem Pinselstil Dabei weiß ich bis heute nicht, ob das wirklich ein Pinselstil war! Wahrscheinlich haben die mir das so lange eingeredet, bis ich das selber geglaubt habe! Wahrscheinlich ist das auch besser so! Das einzige Mal, als der Tiefflieger über mir war, hatte ich Todesangst! Seitdem wird mir bei der kleinsten Aufregung übel und bin einer Ohnmacht ganz nahe! Das sei eine labile Konstitution, sagte der Arzt. Aber ich fürchte, dass es etwas anderes, viel Schlimmeres ist! Einige meiner Verwandten, auch meine Großmutter, hatten MS! Das ist eine Krankheit, die sich auf die übernächste Generation überträgt! Aber nun bin ich schon wieder bei mir! - Hier noch eine erfreuliche Nachricht: Tante Martha hat angeboten, gemeinsam mit ihren Freundinnen für die Menschen Bekleidung zu nähen! Weil sie es nicht schaffen in der kurzen Zeit für alle etwas herzustellen, sollen wir versuchen, Bekleidung zu sammeln. Ich habe schon mal damit in der Nachbarschaft angefangen, einen großen Sack voller Männerbekleidung nach Hause geschleppt und unter den Menschen verteilt. Wie froh die waren aus den gestreiften Sachen endlich rauszukommen! Die meisten Sachen gehörten den Männern, die nicht mehr nach Hause gekommen sind und waren viel zu weit für die ausgemergelten Körper! Aber sie sagten, es sei besser als das, was sie die ganze Zeit am Leibe getragen hätten! - Es sind viele Tränen geflossen, auch meine! Die meisten Frauen sagten, dass die Menschen aus den Lagern schlimmes erlebt hätten, aber wenigstens leben die noch! Was mit ihren Männern geschehen ist, könne niemand sagen. Manche Frauen wollten die Sachen nicht hergeben, weil sie hofften, dass die Männer doch noch zurückkommen. Warum ist Vater nicht dortgeblieben! Ohne ihn hatten wir zwar mehr zu tun, aber es war so friedlich ohne ihn! Es trifft immer die faschen!

Juni 1945, liebes Tagebuch, den BDM gibt es nun nicht mehr! Das heißt, den Namen müssen wir aufgeben, aber wir treffen uns noch regelmäßig, dürfen aber nicht mehr über den Nationalsozialismus sprechen! Wollen wir auch gar nicht, seit wir wissen, was mit den Menschen geschehen ist! Wir schämen uns sogar ein bisschen dafür, dass wir diese Politik mitgetragen haben! Jedenfalls fanden wir viele Ideen sehr gut! Und ehrlichgesagt, finde ich einiges noch immer gut! Aber drüber möchte ich lieber nicht schreiben! Womöglich liest das jemand irgendwann mal! Und das wäre unangenehm, vor allem, wenn Vater das liest! Aber die Erziehungsmethode, Babys schreien zu lassen, wie die einstige Bildungsministerin Harrer vertritt, dürfte ihm bestimmt gefallen! Er ist doch einer, der andere gern schreien hört! Warum also nicht auch Babys! Da wäre ich sogar ausnahmsweise mal seiner Ansicht! Denn auch ich finde, dass man sich kleine Haustyrannen heranzieht, wenn die Mutter das Baby jedesmal aus dem Körbchen nimmt und tröstet! Haustyrannen oder Weicheier! Beides ist schlecht für eine Gesellschaft! Sogar für eine demokratische! Mit der Demokratie beschäftigen wir uns gerade! Eigentlich Vaters Thema! Müsste es jedenfalls! Ist es aber nicht! Denn was er tut, hat mit Demokratie nichts zu tun! Warum hat er das nie begriffen? Tante Martha sagt, sowas kriegt man aus einem Mann nicht mehr raus, egal wie er politisch denkt! „Können Frauen das?“, habe ich sie gefragt und habe dabei an meine eigene Zukunft gedacht! Aber Martha meinte, sie selbst sei doch das beste Beispiel dafür, dass das klappt! „Es kommt immer auf die Gesinnung an!“, hat sie noch hinzugefügt. Aber ein wehmütiges Gefühl bleibt doch zurück! Als ob man ein Stück Heimat verloren hat! Geistige Heimat! Andererseits fühlt sich dieses Heimatgefühl irgendwie schmutzig an, man ekelt sich ein bisschen! Was mich aber am meisten ärgert, ist, dass Vater offensichtlich recht hatte mit seiner Abneigung den Nazis gegenüber! Dabei verhält er sich doch selber wie einer von der SS-Schlägertruppe! Aber das darf ich ihm natürlich nicht sagen! Naja, vielleicht liest er mein Tagebuch doch irgendwann! – Deine Gertrud

Liebes Tagebuch, stell dir vor, ich bin verliebt! Ich, die nie etwas mit Männern zu tun haben wollte, genau wie Tante Martha! Aber ich hätte niemals mit einer Frau zusammenleben können wie Tante Martha. Natürlich weiß niemand, warum sie mit einer Frau zusammenlebt. Alle denken, sie hat keinen Mann abgekriegt und wohnt deshalb mit einer Freundin zusammen. Aber mir hat Tante Martha alles erzählt! Dass sie die Frau in Hamburg bei einer Modeveranstaltung getroffen habe und sich zuerst nicht getraut hätte ihr ihre Liebe zu gestehen! Schließlich wusste sie auch gar nicht, ob die Frau überhaupt Frauen mag! Aber irgendwann hat Martha die Zeichen der Liebe wohl erkannt, wie sie selber sagte. Sie sei ganz rot geworden, wenn Martha sie ansah oder versehentlich berührt hatte. Irgendwann saßen sie so dicht nebeneinander, dass sich ihre Körper berührten und dann war es geschehen! Was genau, darüber hat sie nie gesprochen! Aber zwischen Mann und Frau scheint es genauso zu sein! Auf die Liebe kommt es an! Ich habe ihn auf dem Kartoffelfeld getroffen, wo er eine ältere Frau, wahrscheinlich seine Mutter aus Vaters Fuchtel befreit hat! - Aber vorher hat er mir geholfen, die schweren Körbe zu schleppen! Die seien doch für so ein zartes Wesen viel zu schwer, hatte er gesagt und mich mit seinen unglaublich großen graublauen Augen so angesehen, dass ich puterrot anlief und mich schnell wegdrehen musste, damit er es nicht sieht! - Aber zu spät! Sein schelmisches Lächeln verriet ihn! Nachdem er mir einen Korb abgenommen hatte, ging er zu der Frau, wegen der Ähnlichkeit wahrscheinlich seiner Mutter, die auf den Knien saß und die Kartoffeln aus der Erde sammelte. Doch bevor er sich neben sie niederließ, wohl um sie zu unterstützen, warf er mir einen, wie ich finde, viel zu langen Blick zu, der mich augenblicklich zu einer Salzsäule erstarren ließ! Dann löste sich die Erstarrung und verwandelte sich in eine Salzflut oder so ähnlich. Alles strömte und rauschte in deinem Körper, bis ich kurz vor einer Ohnmacht stand. Ich konnte mich gerade noch rechtzeitig auf den staubigen Boden gleiten lassen, bevor ich diesem Zustand endgültig nachgeben musste. Offenbar hatte mich der junge Mann die ganze Zeit beobachtet, denn als ich die Augen wieder öffnete, stand er plötzlich neben mir. Er schien besorgt zu sein, als er mich fragte, ob und wie er mir helfen könne. Doch bevor ich antworten konnte, kam Vater schon angelaufen und brüllte, dass jetzt noch keine Pause sei und dass ich sofort aufstehen solle. Das schien den jungen Mann zu empören, denn er stellte sich zwischen Vater und mich und sagte in ruhigem Ton, ob er nicht sehen könne, dass seine Tochter ohnmächtig geworden sei und dass er sie in Ruhe lassen müsse, damit sie sich schnell wieder erholen könne. Das schien Vater aber nicht zu beeindrucken. Er konterte: „Von wegen ohnmächtig! Ich kenne meine Tochter! Zu faul ist die! Und überhaupt, was geht Sie das an? Wer sind sie überhaupt?“ - Jetzt spitzte ich die Ohren, denn allzu gerne hätte ich gewusst, wer er war, wie er hieß und warum er erst jetzt hier erschienen war. Aber er schwieg, wandte sich von uns ab und ging wieder zu der älteren Frau, die vermutlich seine Mutter war. Noch immer ziemlich benommen, stand ich wieder auf und taumelte in Richtung gefülltem Kartoffelkorb. Der stand diesmal direkt neben der Mutter und ihrem vermutlichen Sohn. Der sprang sofort auf, griff den Korb und brachte ihn zu meinem Vater, der die Kartoffeln in einen halb vollen Sack rieseln ließ. Mit dem leeren Korb kam der junge Mann wieder zurück, stellte ihn zwischen sich und die ältere Frau. Nicht ohne mir vorher einen vielsagenden Blick zuzuwerfen, ließ er sich auf die Knie fallen und begann wieder in der staubigen Erde zu wühlen. Ich stand nur noch untätig herum, denn jedes Mal, wenn irgendwo ein Korb voll war, sprang er sofort auf, um ihn wegzutragen. Erst als es anfing zu dämmern ertönte Vaters Trillerpfeife als Signal für den Feierabend. Alle erhoben sich schwerfällig und taumelten in Richtung Kartoffelfeuer, das Vater inzwischen angezündet hatte und dem der köstliche Duft garender Kartoffeln entströmte. Alle versammelten sich um das Feuer und setzten sich schwerfällig auf alte Kartoffelsäcke. - Zuerst wusste ich nicht, wo ich mich niederlassen sollte, denn allzu gerne hätte ich mich neben ihn gesetzt! Wollte mich aber nicht aufdrängen! Er wahrscheinlich auch nicht, denn vor den Augen meines strengen Vaters, traute er sich sicher nicht! Damit ich ihn wenigstens sehen konnte, platzierte ich mich schließlich genau ihm gegenüber. Als alle damit beschäftigt waren mit langen Stöcken in der Glut nach den gegarten Kartoffeln zu stochern, Vater auch, nur er und ich nicht, durften sich unsere Blicke unbemerkt begegnen. - Mein Herz habe ich noch nie so laut gegen meine Brust bummern hören! Ich spürte das Echo bis unter die Schädeldecke. Mir wurde plötzlich so heiß, dass ich aufspringen musste, um mich wenigstens vor der Hitze des Feuers zu schützen! Aber das half fast gar nicht, denn die Hitze kam wie beim Fieber von innen! Als ich kurz in seine Richtung blickte, fand ich ihn dort nicht mehr und fürchtete, dass er gegangen sei. Aber da hatte ich mich getäuscht! Wie du dir sicher denken kannst, liebes Tagebuch, stand er plötzlich neben mir. So dicht neben mir, dass sich unsere Hände kurz berührten, was ein Zucken im Bauch auslöste. Erschrocken sah ich zu Vater hinüber! Der war im Gespräch mit einer Helferin und schien mein Fehlen noch nicht bemerkt zu haben! Aber das konnte nicht lange dauern! Deshalb flüsterte ich ihm zu, dass ich wieder zurückgehen müsse und dass ich morgen wieder auf dem Acker wäre. „Ich auch!“, flüsterte er zurück. Dann saßen wir wieder auf unseren Plätzen. Vater schien gottseidank nichts bemerkt zu haben. – Und nun sitze ich hier auf meinem Bett und lasse alle Eindrücke und Gefühle noch einmal durch mich hindurch ziehen! Und ich bin sicher, dass es Liebe ist! Genau das, was Martha auch erlebt haben muss, als sie den Körper der Frau neben sich spürte! Nun lebt sie schon Jahre lang mit ihr zusammen! Ob mir das auch passiert? - Ich freue mich schon riesig auf morgen! Aber ein bisschen Angst habe ich schon! Erstens wegen Vater, aber auch davor, was zwischen uns geschieht! Ob er überhaupt erscheint? Vielleicht hat er ja dieselben Ängste wie ich und kommt gar nicht! Das wäre schade! Aber seine Mutter wird sicher da sein, denn sie brauch die Arbeit auf dem Feld, um wenigstens ein bisschen Geld zu verdiehen1 Ich werde sie dann heimlich fragen, wie er heißt! Vielleicht sollte ich ihm einen Brief schreiben und ihr in die Hand drücken! Oder ist das unschicklich für ein Mädchen? - Beim BDM haben sie uns Mädchen immer geraten abzuwarten. Niemals die Initiative zu ergreifen! Wie die Blumen am Wegesrand, die gepflückt werden wollen. Die können ja auch nicht zu dem Mann hinlaufen, der ihnen gefällt! Die müssen ja auch warten, bis sie gepflückt und an das Herz gedrückt werden! - Ich fürchte, ich werde nicht schlafen können und morgen zu schwach sein! Aber Vater wird mich schon aufs Feld scheuchen! Darauf kann ich mich jedenfalls verlassen! – Deine Gertrud

Zwei Kriegsenkel

Katharinas Zangengeburt / Lüneburger Heide 1950

Jeder Mensch stirbt, wie er gelebt hat, heißt es. - Lebt jeder Mensch auch so, wie er geboren wurde? - Die abergläubische Hebamme empfindet Mitleid mit diesem armen Wurm, der sich so demonstrativ von der Welt zurückgezogen hat, noch bevor er sie kennen lernen darf. Und besorgt fragt sie sich, ob das Kind, so wie die Dinge im Moment lagen, diese Welt jemals kennenlernen würde! Der Embryo hatte der Welt sein Hinterteil entgegengestreckt und sich zum Schluss so gedreht, dass er beinahe quer vor dem Muttermund lag. Es ging nun weder vorwärts noch rückwärts! - Sie musste versuchen, es mit der Zange zu holen! Gertrud war inzwischen so erschöpft, dass ihr sogar die Kraft zum Schreien fehlte. Energielos dämmerte sie einer Ohnmacht entgegen. – Hin und her gerissen zwischen Mutter und Kind, entschied sich die Hebamme für das Leben des armen Wurmes. - Entschlossen setzte sie die Zange an die eine Hälfte des Hinterteils und versuchte den kleinen Körper in die Position zu drehen, die es der Zange ermöglichte, beide Hälften gleichzeitig zu greifen. Mit den Händen war es ihr trotz mehrfacher Versuche bislang nicht gelungen. Das Kind hatte sich offensichtlich an der Plazenta festgekrallt und leistete störrischen Widerstand. Wild entschlossen, diesen zu brechen, presste sie die beiden Zangengreifer an das hintere Körperteil, vergewisserte sich noch einmal, ob alle Teile erfasst worden waren, bevor sie zum Ziehen ansetzte. Dann beim dritten Versuch gab das blutige Etwas mit einem schmatzenden Geräusch nach und plumpste mit angewinkelten Armen und Beinen wie ein Frosch in die bereitgestellte Schüssel. - Nach dem Durchtrennen der Nabelschnur, die sich dem Kind um den Hals gewunden hatte, ergreift die Hebamme beide Beine und lässt das Mädchen kopfüber baumeln. Dann endlich, nach einem Klaps auf den Po, ertönt ein derartig kräftiges Lebenszeichen, das sogar eine halbtote wie Gertrud zum Leben aufweckte. Später beschreibt sie dieses Erlebnis der ersten Geburt in ihrem Tagebuch als eine Erfahrung, die sie über die Schwelle zwischen Leben und Tod geführt und noch niemals vorher ein derartig glückliches Gefühl von Freiheit empfunden habe! Und dass sie wie ein Vogel immer weitergeflogen sei, magisch angezogen von dem noch mehr Glück versprechenden Licht. Sie habe keine größere Sehnsucht gespürt, als ganz und gar in das Licht einzutauchen. Doch dann habe sie plötzlich eine ziemlich gebieterische Stimme vernommen, die ihr verboten habe, weiterzufliegen und sie gegen ihren Willen gezwungen habe zurück zu kehren und über die Schwelle in das Leben zurück zu gleiten, Die Stimme habe sie an ihre Pflicht als Mutter erinnert und dass ein kleines Wesen auf sie wartete. Sie habe das blutige Etwas dann von Weitem neben ihrem Körper gesehen und eine tiefe Abscheu empfunden! - Nur einen Wunsch habe sie gespürt, nämlich wieder zurück zu kehren auf die lichtdurchflutete andere Seite. Doch der schmerzhafte Ruck, den sie stattdessen empfand habe ihr klar gemacht, dass es nun kein Zurück mehr gab! Stattdessen dieses entsetzliche Geschrei jenseits von Glück! Jedenfalls habe sie kein Glück empfunden, als die Hebamme das schreiende Ungetüm an ihre Brust gelegt habe. Zwar sei es inzwischen gesäubert worden, aber der Ekel habe nicht weichen wollen! Auch nicht danach! Auch nicht später! 

Das Schreikind