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Mit jeder Geschichte, die das Leben für Dich schreibt, ergreifend, unglaublich, humoresk, traurig und schön, gedeiht immer auch eine junge Knospe in Deinem Herzen. Als zarte Blüte wird sie sich Dir öffnen, wenn Du sie siehst und sie nicht weiter vor der Welt versteckst. Auf die gleiche Weise öffnet sich Dir auch das Leben. Und neu wird, was in Dir erblühen darf. In sechzehn kurzprosaischen Herzenstexten blickt Poetin Jennifer Hilgert durchs Schlüsselloch unterschiedlichster Leben, mal liebevoll leise, mal messerscharf ironisch, aber immer auf der Suche nach der aufblühenden Knospe der Hoffnung. Die Autorin hinterfragt was »man« so tut oder sagt und lässt aus Alltagsmomenten wertvolle Gedankenwelten wachsen. Pflanze Geschichten in Dein Herz und lass sie erblühen
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Seitenzahl: 114
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Wie eine
Rose, die erblüht,
wird auch die Liebe
Dich mit all ihrem
Blüten und Bluten
zu Dir & anderen
fühlen.
Für Ronja, Felix & Fabian
Wolkenwind
Herr Anton mitten im Frühling
Schnittmuster
Frühlingsgeblühe
Mein Name bedeutet Rosengarten
Brötchenseiten
Liebesschwur
Liveticker
Neuanfang
Baccara aus Pakistan
Der Weg
Von Frauen, die Schnittblumen kaufen
Das Zeitschwein
Du wirst dich mir nicht erwidern
Wahlwiederholung
Kein Gedicht zum Schluss
Nachwort
Danksagung
Triggerwarnung
KOMM, lass uns ergeben sein. Dem Papier. Dem Wind. Und auch den Wolken. Wild und frei. Wunder wollen wir zählen, so lange es noch möglich ist und sie sich ergeben auf ihren eigenen Wegen.
Werfen wir uns ins Wohlergehen. Das Wolkengeschehen wird zu unserem Leben. Kommen und gehen, immer mit dem Fluss, und nie dagegen.
Im Liegen lässt es sich besser träumen. Wir werden eins in unseren Luftschlössern. Formen Fantasien aus Wolken. Öffnen verschlossen gehaltene Zimmer in unseren Köpfen, die niemand zuvor betrat.
Ich schreibe uns fest. In jedem Herzen ihre eigene Geschichte hängt. An jedem Tag. Die Bilder der Vergangenheit sind in Stein gemeißelt, doch wir können sie durchbrechen wie ein Flugzeug die Schallmauer.
Nur für uns schreibe ich ein Manifest. In dem du Wolke bist. Und ich frei wie ein Regenkind. Der Wind tut sein Übliches, doch übel ist er nicht, denn im Verwehen ist er meisterlich. So treiben wir und geben uns wie einst als Kinder doch dem Leben hin.
Komm, wir überlassen uns dem Fluss des Lebens. Die Taten, die wir begehen, sind nicht vergebens, wenn wir lieben – was wir tun und uns begehren. Nur die Guten sieht man selten von Außen. Doch warum vertrauen wir uns nicht einander an? Trauen uns nicht aneinander ran? Geben wir uns nicht beide hin? Warum setzen wir uns nicht beide aus? Uns und was auch immer?
Vielleicht, weil du nicht fließen willst.
Und ich bin keine Wolke.
Es liegt sicher an der Richtung. Es kann so schlimm nicht werden. Lass uns dem Wind ergeben sein, ihm eine gute Partnerin zu werden. Richten wir unseren Blick doch einmal auf den Horizont und justieren neu, was uns beengt. Eine Windrose schafft das doch auch!
GÄNSEBLÜMCHEN gesellten sich zu den Krokussen auf dem saftigen Rasen. Als weißer Tupfenteppich drängelten sie sich dicht an dicht und reckten ihre Köpfchen der Sonne entgegen. Die wilden Tulpen brachen aus ihrem gewohnten Umfeld. Bald würde die Fette Henne wieder in voller Blüte stehen. Und auch die Hortensien grünten sich ordentlich mit den Frühlingstrieben der Zierkirsche zurecht, während die Schneeglöckchen sich schon längst in Szene gesetzt hatten. Man nannte sie ja nicht umsonst Frühlingsvorboten.
»Er ist ein Lügner. Der Frühling. Sagt man ihm doch nach, alles kehre mit ihm zurück«, kam es dem Herrn Anton.
Ein heller Stoffläufer bedeckte die Mitte des schweren Holztisches. Obgleich Herr Anton sich nicht danach fühlte, den Frühling nun auch noch in sein Wohnzimmer zu holen, schmiegte sich der Stofffetzen mit dem brüllenden Blütenaufdruck wie eine Blumenwiese ins triste Wohnzimmerbild. Die Kaffeeluft, die höchstpersönlich auf Herrn Antons eigenhändiges Mahlwerk zurück zu führen war, bestieg seine knollige Nase und verströmte den unverwechselbar nussigen Duft in seiner kleinen Wohnküche. Den Osterkranz hatte Herr Anton bereits in Scheiben geschnitten und das Marmeladenglas mit dem rot-weiß gemusterten Deckel neben den Brotkorb gestellt. Sein liebstes Service deckte den Tisch. Zwar ein Teeporzellan, das der Ostfriesenrose, aber was sollte der Geiz. Der Kaffee stellte keine Ansprüche aus welchem Behältnis man ihn servierte. Das waren sowieso alles nur selbstauferlegte Maßregelungen, allenfalls nachhallende Sätze seiner Mutter in seinem Kopf. Das Rosenmuster jedenfalls fragte nicht, ob man aus ihm Kaffee oder Tee trank.
Das Küchenfenster stand sperrangelweit geöffnet. Die Sonne hatte es zuvor nicht geschafft, das Glas mit ihren wärmenden Strahlen zu durchdringen. Regentropfen hatten sich mit Schneeflocken und Pollenflug zum Frühlingsanfang abgewechselt und es sich Schicht für Schicht auf der Fensterscheibe gemütlich gemacht.
»Den Guten regnet es aufs Grab, den Schlechten auf den Hochzeitstag«. Woher entstammten solche Bauernregeln? Handbemalte Eier hingen an den Weidenkätzchenzweigen seines Gartens. Eier, die Herr Anton eigenmündig ausgepustet hatte. Was für eine Sauerei, hatte er gedacht und genau das äußerte auch die Nachbarin einmal über seinen Garten. Verwildert war er, sein Garten, wie er selbst, doch liebte ihn Herr Anton wie er war.
Schokovarianten aller Art erwarteten die Kinder der Nachbarschaft in den Moosnestern und Herr Anton fieberte immer noch auf den Anruf seines Vaters, der sich nicht einstellen würde. Irgendein Nachbarskind würde schon noch kommen, die vorbereiteten Osternester auszuheben, da war Herr Anton sich sicher. Doch so lange er an diesem Ostersonntag auch wartete, niemand klingelte an seiner Tür. Nicht am Morgen. Nicht am Nachmittag. Und auch am Abend ließ sich keiner blicken. Niemand aus seiner Familie, nicht eine Menschenseele seines Bekanntenkreises. Nicht mal sein Patenkind.
Der Frühling war gekommen und Herr Anton blieb mit all diesem Erwachen alleine. Also deckte er kurzerhand den großen, schweren Holztisch ab, schüttete den Kaffee in den Abfluss und stellte das Marmeladenglas zurück in den Kühlschrank. Die Osterkranzscheiben setzte er geduldig und fein säuberlich wieder zusammen und führte sie dem Küchentuch zurück. Er nahm die dekorierten Eier vom Strauch, schloss das Fenster, den Frühling aus und aß die Schokolade. Er schickte die Vögel zurück in den Süden und nahm sich für den nächsten Lenz vor, etwas schlechter vorbereitet, dafür aber umso weniger alleine zu sein. »Begegnest du der Einsamkeit, dann leiste ihr Gesellschaft«, nun nervte ihn auch noch sein Abreißkalender.
In dreihundertfünfundsechzig Tagen – da wäre es doch immerhin schon ein Jahr und eine Woche her, seit er seinen Vater verloren hatte. Nicht in der Menge. Sondern aus seinem Leben. Sein Vater war gestorben. Mitten im Frühling. An einem wunderschönen Tag im April und Herr Anton hatte gelernt, dass der Frühling ein Lügner war. Nicht alles kam mit ihm zurück. Aber der April macht ja bekanntlich, was er will.
MANCHMAL denke ich an die frische Klinge meines Rasierers.
Glatt. Silbern. Sie glänzt, wiegt man sie im Taghell hin und her. Schön ist sie. Gefährlich schön. Scharf. Sie kann den Tod bringen. Oder Leben retten. Luftröhrenschnitt. Dringt spielend leicht in rohes Fleisch. In Gedanken halte ich sie an meine Narben. Die einst Wunden waren.
Meine Haut, sie ist bereits gezeichnet. Mit Zeichen der Vergangenheit versehen. Einer schmerzvollen Zeit. Aus Versehen geschah da nichts. Sie erzählen von alten Geschichten und neuen Tagen, aber den immer gleichen Schmerzen. Die ohne zu fragen niemand ganz versteht. Begegnungen mit dem, was sich gestern nennt. Das Früher im Hier und Heute. Ich selbst habe mich gezeichnet. Für immer schwer markiert. War meine eigene beste Beute.
Drückte ich sie viel zu oft erst sanft hinein, die Klinge ohne Klang, folgte in Trance versetzt ihrem Bann. Bereit, den Widerstand zu spüren. Sah ihr nach und den roten Spuren. Mit der Risikogefahr ins Gefecht zu ziehen, ich muss es wieder tun. Mit den Gedanken Spannung spielen, den Druck erhöhen. Auge in Auge mit Messers Schneide, um – am Ende doch nichts zu machen.
Diese Erinnerungen verblassen wie ein Hauch beschlagenes Badezimmerspiegelglas, doch viel zu oft stand ich dem gläsernen Tod näher als dem schönen Leben. Es gütig sein zu lassen, wie ein Kind, das lieber bockt, statt artig singt und damit aus der Reihe winkt. Darauf besinne ich mich erst jetzt, nach Therapie an Therapie, wohlbedacht auf mein inneres, verlassenes, kleines Ich.
Freiheit ist die Möglichkeit, alles tun zu können und doch nichts zu machen. Und die Klinge, sie stimmt ihr altes Lied doch hin und wieder an und ob ich mit ihr ringe und sie mit mir und mein Gewissen mit meinem ungesunden Tatendrang. So wie jetzt.
Zunächst streiche ich sie ganz sacht, dann immer drängender über die weichen, unberührten Hautstellen, die ich sanft zuvor mit ambrosischen Ingredienzien von Rosenöl benetzte wie im alten Ägypten Tote beim Bestattungsritual. Mit meinen gefühlsleeren Fingerkuppen fahre ich Hautkonturen nach, wie andere Strecken auf der Landkarte. Ohne zu wissen, wo ich ankommen werde.
Langsam verwandeln die Stellen sich in die tiefdunkelsten Schluchten und wechseln sich dann wieder mit den höchsten Höhen ab. Mir wird heiß und kalt. Wo ecke ich an? Oben oder unter? Dort, wo es mir zu eng wird. Die Linien präsentieren mir ihr strenges Gesicht. Aus Feinheiten erwachsen gewaltige Gemeinheiten, vermischen sich mit meinen inneren Stimmen, die immerzu auf meine Fehler pochen und es immer wieder tun, indem sie auf ihnen herumreiten wie der Teufel auf seinem lahmenden Pferd, der nichtvorhandenes Öl ins Feuer kippt und Rosensalz in Wunden streut. Mich in Scham einnebeln und mir Lösungen verwehren, das haben sie drauf, diese Kopfgeister. Und sie sind dabei unerträglich laut wie Lieder von Rosenstolz.
Sie lassen nicht zu, dass ich mich von ihnen löse, von ihrem Klebstoff, der aus Versagens- und Verlassensängsten gemacht ist und den sie mir in Form eines lebenslänglichen Schuldscheins vorlegen und immer wieder anheften wollen. Die innerlich wachsenden Monster, sie tun mir weh und sich vor meinem geistigen Auge auf. Entpuppen sich als Tsunamis, die sich vom offenen Meer an Land fressen, alles platt walzen und mich im Nachhinein verstört und einsam zurück lassen. Sie hinterlassen eine Spur der Verwüstung, in der keine Linie, keine Landschaft mehr zu erkennen ist.
Ich zeichne (mich) weiter und signiere meine lebensmüden Gedanken mit meinen Initialen. Ich trage sie mit langen Ärmeln und stehe nur zu ihnen, wenn ich nackt in der Dunkelheit liege. Dennoch rede ich über sie, das nimmt ihnen die Gewalt, den Raum, die Luft zum Bemitleiden. Ich quittiere meine Persönlichkeit mit einer Störung und gesunde im gleichen Augenblick, weil ich viel weiter bin, noch viel reifer als bisher, weil ich ehrlich zu mir und der Welt bin.
Großartig ist, wer zu seinen Fehlern steht! Und doch, gibt es immer wieder diese Momente, in denen es schwierig für mich wird. Zeichne ich nun schon geraume Zeit mit Fingerspitzen statt mit Klingen und lasse mir mit Tinte Rosen unter die Häute (die Schwimmhaut und meine zweite, sie ist aus Mut gemacht) stechen, für jeden Schmerz aus Kindertagen eine neue, male ich mir gerade, ohne Schnitt, dafür in den buntesten Farben aus, wie es wäre, wenn ich mein Leben doch beenden würde.
Die Wildrosen auf meinen Handrücken verschwinden. Die Ranken auf meinen Oberarmen auch. Nicht in Wirklichkeit, denn was erst einmal unter die Haut gegangen ist, bleibt für immer. Doch die Dornen werden gieriger. Alte Bekannte – Musterschnittmengen – melden sich. Der Druck wird größer. Jedes Mal, wenn ich es schaffe, mich nicht schaffen zu lassen, ist ein kleiner Erfolg.
Tintennadelngemalte Rosenzweige auf meinen vorgezeichneten Körperstellen. Hin und wieder gieße ich sie hin mit Tränen und keinen Blüten im Haar, dafür mit Roses-Playlist auf den Ohren, merke ich, wie nah ich meinen Gefühlen und Ängsten, dabei weit entfernt von meiner Ratio bin.
Mit hohem Energieaufwand versuche ich mich zusammenzureißen. Es ist so anstrengend stark und vernünftig zu sein. Doch mit viel Kraft erzeuge ich Wärme und komme ins Schwitzen. Langsam trete ich meiner Vernunft immer näher gegenüber. Ich erkenne, ich habe mich sprichwörtlich in der Hand. Mit einem Schnitt wäre alles vorbei. Würde ich Geschichte werden, in einem Meer aus Zeit, Zukunft, Jetzterleben und Vergangenheit still versinken. Immer werde ich es sein, die am Zug ist. Doch wann wäre es mein letzter?
Und umso mehr ich verstehe, welche Macht ich über mein Leben, dass ich mich wortwörtlich im Griff habe, umso mehr sehe ich dieses rosige Stück Haut, mein Fleisch, mein Blut als mein Musterstück, buchstäblich mein eigenes liebevolles Laster, als mein Leben an. Auf die Weise, wie ich es führe, (ver)lebe, (ver)liebe, kann ich es auch verlieren, wie niemand sonst.
Mit dem Gedanken wird mir neu ums Herz. Und warm (und die Vernunft wird stärker). Auch ohne festen Glauben bitte ich den Rosenstrauch um einen Gottesrat. Prompt erhalte ich die Antwort: Der Strauch beginnt zu blühen wie einst Nikos Kazantzakis’ Mandelbaum.
Nein, ich will keine Schnitterin mehr sein. Ich bin kein Tod. Mein Gewissen wiegt leichter und es reift in mir die Rose, in der Himmel und Erde Platz finden. Die Schultern lockern sich. Geliebte Worte, gut gemeinte Gedanken, schenke ich mir. Sie formen und auch weiten sich, verlängern und bereichern mich und mein Leben wie einst das »Masnawi« des großen persischen Mystikers Dschalal ad-Din Rumi, das zu den Perlen islamischer Poesie gehört. Mein Herz wird weit und brennt lichterloh mitten ins Leben zurück.
Ja, ich könnte mich jederzeit beenden – wenn ich es wollte. Ja, ich könnte meiner Sehnsucht nach dem Nichts nachgeben und ja, ich könnte meinen Träumen, all meinen Wünschen, all meinem Sehnen – ihr Leben nehmen. Ich hätte es andererseits auch schon bereits ihres Mutes beraubt haben können.
Aber ich lebe noch. Verdammt nochmal, ich lebe noch!
Ich werde mich nicht weiter vermissen. Ich fühle wieder Leben in mir. Statt es zu tun, lasse ich es zu gleichen Teilen ruhn’ und die 301 gerade sein. Ich schenke mir diesen einen Moment der Entscheidungsfreiheit und hoffe insgeheim, dass auf ihn noch viele weitere folgen werden. Jeder Erfolg ist ein Erfolg.
Diese Einsicht, Kontrolle abzugeben und dabei nichts zu verlieren. Ganz im Gegenteil. Im Kampf um das Kräftemessen über mein eigenes Leben zu gewinnen: Tolle Aussichten! Dieses Energieelixier aus einem riesigen JA, das auch Platz für scharenweise NEINS enthält wie die p-q Formel Quadrate.
Die Geltungsgunst, meine eigenen Gedanken zu gestalten und mein gebeuteltes Vergangenheits-Ich dem Leben zurück zu führen, einem Leben, in dem ich mir, statt meine Seele weiter zu beschneiden, Rosen tätowiere, mit Fingerspitzen und Tinte spiele – bedeutet mir meine eigene kleine Welt.