Er ist es, er ist es nicht... - Stephanie van Outen - E-Book

Er ist es, er ist es nicht... E-Book

Stephanie van Outen

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Beschreibung

Marianne hat eigentlich keine Zeit für einen Mann. Zu sehr ist sie neben der Arbeit mit der Betreuung ihrer alten Mutter eingespannt. Dann lernt sie Carl kennen und hat zum ersten Mal seit Langem das Gefühl, dass aus ihnen etwas werden könnte.
Doch dann verschwindet ihre Mutter - und Marianne sieht sich mit einem alten Familiengeheimnis konfrontiert.

Für Fans der Kategorie Surprise, Suspense & Mystery!

Ebenfalls von der Autorin erschienen: "Du bist dran..." Als ihre Eltern außer Haus sind, lädt die 16-jährige Emily ihren Schwarm Eric zu sich ein. Doch dieser Besuch entwickelt sich zum Alptraum - nicht nur für Emily.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel – Er ist es

2. Kapitel – Er ist es nicht

3. Kapitel – Er ist es

4. Kapitel – Er ist es nicht

Leseprobe

Er ist es,

er ist es nicht…

Stephanie van Outen

Impressum

© / Copyright: Berlin 2017 - Stephanie van Outen

Anschrift:

Stephanie van Outen

c/o BJ-Autorenservice

Bianca Jantzen

Gildehauser Weg 140a

48529 Nordhorn

E-Mail: [email protected]

Lektorat: Bianka Bensch, www.bb-wortgewandt.de

Cover: Andreea Vraciu via www.99designs.de

Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären zufällig und nicht beabsichtigt.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

1. Kapitel – Er ist es

Ich habe einen Mann kennengelernt. Sein Name ist Carl und er ist ungefähr Mitte fünfzig. Genau weiß ich es nicht, er hat es mir noch nicht verraten, als ob ihm sein Alter peinlich wäre. Dabei bin ich mindestens genauso alt wie er, wahrscheinlich sogar zwei, drei Jahre älter. Ich habe ihm, um ihn aus der Reserve zu locken, sogar verraten, dass ich nächste Woche Dienstag Geburtstag habe und 58 Jahre alt werde. Das würden wahrscheinlich nicht viele Frauen freiwillig machen.

Ich habe ihn über eine dieser Webseiten im Internet kennengelernt. Zum Glück ist das heutzutage nichts Ungewöhnliches mehr, auch nicht für so eine alte Schachtel wie mich. Ich schätze diese erste, anonyme Art der Kontaktaufnahme sehr, denn ich gehöre bei Weitem nicht mehr zu den Geübtesten, wenn es ums Flirten geht. Ach, machen wir uns nichts vor, diese Zeit ist schon verdammt lange her. Anscheinend geht es vielen anderen ähnlich, denn ich habe im Internet haufenweise solcher Plattformen zur Partnersuche gefunden. Ich kenne sie mittlerweile alle, also zumindest die, die für meine Altersgruppe relevant sind. Ich suche diese Seiten regelmäßig nach neuen Inseraten ab. Sehr regelmäßig. Ich vergleiche das gern mit der Suche nach dem Knüllerangebot der Woche – ich bin geradezu süchtig danach, abends nach einem langen Tag mit einem Glas Rotwein in der Hand vor dem Computer zu sitzen und durch die Angebote zu klicken – immer auf der Suche nach dem einen Superschnäppchen, auf das ich die ganze Zeit gewartet habe. Und auch wenn ich es nur sehr ungern zugebe, ich habe abends meist nichts Anderes vor. Wenn ich mich dann an den Computer setze und nach neuen Bekanntschaften suche, habe ich nicht mehr das Gefühl, so allein zu sein.

Ich habe sehr schnell herausgefunden, wie Männer in ihren besten Jahren heutzutage bei der Partnersuche ticken und bei wem es sich eventuell lohnen könnte, dran zu bleiben - oder wer nur auf einen Seitensprung aus ist. Was nicht heißt, dass die Männer, bei denen es so weit kam, dass ich sie getroffen habe, sich tatsächlich als Superknüller entpuppt hätten. Im Gegenteil, wir reden hier eher vom Restpostenmarkt – mit den ganz staubigen Ladenhütern hinten in der Ecke. Es tut mir leid, ich sollte Männer nicht mit Waren vergleichen und sicherlich tue ich dem ein oder anderen Unrecht. Aber ich habe in den letzten zwei Jahren keinen getroffen, der nicht einen Knall von seiner Mutter, Ex-Frau, Kindern oder von seinem Job davongetragen hat - sofern überhaupt vorhanden, von der Mutter vielleicht einmal abgesehen. Es tummeln sich erstaunlich viele Männer im Netz, die noch nie, oder das letzte Mal vor zwanzig Jahren, eine Freundin hatten. Das erzählen sie mir natürlich nicht gerade heraus, aber ich habe dafür eine Antenne. Ein, zwei gezielte Fragen in diese Richtung und schon weiß ich, wie der Hase läuft.

Und nun habe ich Carl kennengelernt. Er hat mir geschrieben, dass seine letzte Beziehung 5 Jahre her ist, also etwas länger als bei mir und dass sie unschön zu Ende gegangen ist. Dito. Meinen Ex-Mann habe ich, seitdem die Scheidung durch ist, nicht mehr gesehen. Muss ich auch nicht. Ich weiß, dass er immer noch in derselben Firma in derselben Position arbeitet. Daran wird sich auch bis zur Rente nichts mehr ändern, da bin ich mir sicher. Ehrgeiz war ja nie seine Stärke – außer beim Biertrinken vielleicht. Mir unverständlich, wie diese Person, wegen der er mich damals verlassen hat, es immer noch mit ihm aushält. Ich bin ihr mittlerweile geradezu dankbar, dass sie ihn mir weggeschnappt hat. Wahrscheinlich braucht sie jemanden, den sie ordentlich rumkommandieren kann, da ist sie bei ihm genau an der richtigen Stelle. Leider habe ich viel zu spät gemerkt, dass er nicht in der Lage ist, eigene Entscheidungen zu treffen. Ich für meinen Teil möchte endlich jemanden, der sich auf einem Level mit mir bewegt. Mit Humor, Intellekt und Niveau. Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt. Ich suche einen ganz normalen Mann: ohne Macke, ungebunden (was nicht selbstverständlich zu sein scheint, deswegen erwähne ich es) und ohne verrückte Mutter, denn die habe ich selbst.

Apropos Mutter – meine ist natürlich der Meinung, dass ich gar keinen neuen Mann brauche, denn dann hätte ich ja gar keine Zeit mehr für sie. Dann wäre sie ganz einsam und könne auch gleich sterben, sie habe ja sowieso nicht mehr lang. Bla, bla, bla. Ich weiß, es klingt gemein, aber ich ertrage diese Leier nun schon seit 4 Jahren - praktisch seit sie erfahren hat, dass mein Ex-Mann und ich getrennte Wege gehen.

Das Schlimme ist, dass sie Recht hat. Sie hat seit letztem Sommer so stark abgebaut, dass ich es an manchen Tagen kaum wage, zur Arbeit zu gehen. Natürlich muss ich gehen, und genau dann rennt sie prompt im Nachthemd aus der Wohnung und schreit den Postboten an. Ist tatsächlich passiert, ihre Nachbarin hat es mir erzählt. Die arme Frau muss wirklich einiges aushalten, von dem Postboten mal ganz zu schweigen. Einmal, als sie frisch eingezogen war, hat sie sogar die Polizei gerufen, weil aus der Wohnung meiner Mutter lautes Geschrei kam. Dabei brüllte die nur das Gurkenglas an, das sie partout nicht aufbekommen hatte. Die Polizei hat meine werte Frau Mutter dann wohl mit einem Brotmesser in der Hand am Küchentisch gefunden, auf dem Tisch das Gurkenglas. Sie hatte das Klingeln nicht gehört, so dass die Polizei die Tür aufbrechen musste. Als sie sich wieder beruhigt hatte, hatte sie doch tatsächlich den Nerv, einen der anwesenden Männer zu fragen, ob er ihr das Glas aufmachen würde. Hat er natürlich gemacht, die Polizei ist doch schließlich dein Freund und Helfer. Diesen Leitsatz hat sich meine Mutter sehr zu Herzen genommen, denn sie rief danach noch einige Male bei der Polizei an, wenn sie wieder Hilfe im Haushalt brauchte.

Dann gibt es wieder Tage, an denen sie völlig normal ist, an denen es ihr peinlich wäre, wenn sie wüsste, dass sie tags zuvor jemanden angebrüllt oder die Polizei gerufen hat. Und das auch noch unter den Augen der Nachbarn. Es scheinen Phasen zu sein und jeden Morgen, wenn ich vor der Arbeit zu ihr komme, um sie zu versorgen, weiß ich nicht, ob sie einen guten oder einen schlechten Tag erwischt hat.

Aber nun bin ich schon wieder abgeschweift. Vielleicht hat meine Mutter sogar Recht, vielleicht habe ich nicht den Kopf frei für einen neuen Mann. Aber nun ist er, Carl, nun einmal plötzlich in mein Leben getreten und dagegen kann sie nichts machen. Und ich will nichts dagegen machen. Ich muss ihr ja erstmal gar nichts von ihm erzählen. Es bleibt mein kleines Geheimnis, wie bei Romeo und Julia - aber ohne den Selbstmord am Ende. Ach, so ein Quatsch! Ich bin eine erwachsene Frau. Ich habe ein Recht darauf, glücklich zu sein und es in die Welt hinauszuposaunen! Ob meiner Mutter das jetzt passt oder nicht.

***

Heute treffe ich mich das erste Mal mit Carl. Richtig, das erste Mal. Ich weiß, ich habe so euphorisch geklungen, dass man denken könnte, wir wären viel weiter. Tatsächlich haben wir uns bisher nur geschrieben – sehr viel geschrieben. Ich hätte ihn gerne angerufen, aber er wollte das nicht. Er telefoniere nicht gern, vor allem wenn er die Leute nicht kenne. Das hat mich ein wenig vor den Kopf gestoßen, denn ich habe das Gefühl, ich würde ihn schon ewig kennen, aber de facto hat er ja Recht. Ich bin wieder viel zu vorschnell und male mir nach ein paar netten, grammatikalisch korrekten Sätzen gleich das ganz große Ding aus. Und dann treffe ich mich mit Mr. Right und er zeigt mir Bilder von seinen Pudeln im Matrosenanzug. Alles schon passiert.

Ich sollte mich also zusammenreißen, einmal tief durchatmen und mich daran erinnern, dass ich eine starke, unabhängige Frau bin, die keinen Mann braucht, um sich vollwertig zu fühlen. Jetzt, wo ich das klargestellt habe, muss ich aber trotzdem gestehen, dass ich vor diesem Treffen tierisch aufgeregt bin. Ich habe bisher keinen Mann mehr als dreimal getroffen, bevor ich die Flucht ergriffen habe. Ich mache mir langsam Sorgen, dass ich viel zu anspruchsvoll bin. Aber bei Carl habe ich das Gefühl, dass sich daraus mehr entwickeln könnte.

***

Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich von ihm halten soll. Ich finde ihn interessant, aber irgendwie auch… distanziert. Und das finde ich wiederum interessant. Wir hatten uns im Stadtpark zu einem Spaziergang verabredet. Er wirkte sehr angespannt am Anfang, wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Er konnte mir kaum in die Augen sehen. Ich halte das in dem Alter für etwas übertrieben, aber wahrscheinlich war er noch nervöser als ich und wahrscheinlich wollte er alles richtigmachen. Das finde ich süß. Aber er wirkte irgendwie auch – komisch. Ich finde gerade nicht das passende Wort, um seine Art und Weise zu beschreiben. Ich habe ihn zum Beispiel gefragt, ob er Geschwister hat und darauf hat er sehr merkwürdig und abweisend reagiert, als ob das ein Thema wäre, über das man nicht spricht. Ich habe mich nicht getraut, weiter nachzubohren. Das hebe ich mir für später auf. Und dann hat er mich zehn Minuten später doch tatsächlich nach meiner Familie gefragt und fand das anscheinend überhaupt nicht komisch.

Und dann habe ich ihn darauf angesprochen, dass er mir wohl schon mal einen Besuch abgestattet hat. Ja, ich kannte ihn bereits, das habe ich ganz vergessen, am Anfang zu erwähnen! Also kennen ist übertrieben - er ist mein Postbote! Er stand vor drei Tagen vor meiner Tür und hat mir einen Brief überreicht. Angeblich war der Brief irgendwo runtergefallen und hatte eine Weile rumgelegen. Er hatte ihn gefunden und wollte ihn mir noch nachträglich bringen, für den Fall, dass es etwas Wichtiges war. Im ersten Moment fand ich das nett, habe mich bei ihm bedankt und meine Tür wieder zugemacht. Als ich später darüber nachdachte, fand ich diese Aktion zunehmend merkwürdig. Warum sollte der Postbote extra nochmal vorbeikommen? Er wäre mir doch gar nicht aufgefallen, wenn der Brief am nächsten Tag einfach im Briefkasten gelegen hätte. Nun ja, ich hatte diese Geschichte schon wieder abgehakt, aber als Carl dann am Eingang des Parks vor mir stand, war mir gleich klar, dass er der Postbote von vor ein paar Tagen war, auch wenn er keine Arbeitskleidung trug, sondern ein blaues Leinenhemd und eine helle Hose. Ich habe kurz überlegt, ob ich es wagen soll, ihn darauf anzusprechen, aber als unser Gespräch nach dem ersten Geplänkel über das schöne Wetter und den schönen Park recht schnell ins Stocken geriet, hatte ich das Gefühl, etwas sagen zu müssen und entschloss mich spontan, mit der Tür ins Haus zu fallen:

„Irgendwie habe ich das Gefühl, ich bin Ihnen schon einmal begegnet.“ Ich wollte ihm die Chance geben, sich zu outen, aber er tat ahnungslos. Lügen ist also schon mal nicht seine Stärke – nicht, dass das etwas Schlechtes wäre. Ich bohrte also weiter: „Sind Sie sicher, dass wir uns nicht schon einmal über den Weg gelaufen sind? Ich habe das Gefühl, das ist noch gar nicht so lange her.“

Er sagte wieder nichts und schaute mich gespielt ahnungslos an. Ich gab auf und ließ die Bombe platzen, indem ich betont so tat, als ob es mir gerade erst wieder eingefallen wäre: „Jetzt weiß ich, Sie sind der Postbote! Sie haben mir vor ein paar Tagen persönlich einen Brief vorbeigebracht.“

Ich schaute ihn demonstrativ an und beobachtete genau seine Reaktion. Er zuckte leicht zusammen und zog den Kopf ein wie eine Schildkröte, die einen Schlag auf den Panzer bekommen hatte. Er straffte sich dann gleich wieder, blickte auf den Boden und sagte erstmal nichts. Ich habe auch auf den Boden geblickt und genau in dem Moment fiel mir übrigens auf, dass er nicht auf die Linien des Gehwegs treten wollte, denn er war durch meine Enthüllung kurz aus dem Takt geraten und berichtigte nun seinen Schritt. Er tat dann so, als ob es ihm wieder einfallen würde, also zumindest glaube ich, dass er so tat. Es kann ja wirklich sein, dass das Zufall war. Aber er schien mir vom ersten Eindruck her nicht der Typ zu sein, der in seinem Leben besonders viel Raum für Zufälle lässt. Zumindest hatte dieses Nicht-auf-die-Linien-treten diesen Eindruck bei mir hinterlassen.

Er tat also so, als ob ihm unsere Begegnung wieder eingefallen wäre und sagte betont überrascht: „Oh, das waren Sie.“ Wobei das „Oh“ sich so echt anhörte wie in einer schlechten Schulaufführung. „Stimmt, jetzt wo Sie es sagen.“

Er lächelte mich etwas verunglückt an und das war, glaube ich, der Moment, in dem mein Herz das erste Mal an diesem Tag einen kleinen Hüpfer gemacht hat.

„Sie wollten wohl sichergehen, dass Sie es nicht mit irgendeiner verrückten Alten zu tun bekommen.“ Unwillkürlich dachte ich an meine Mutter. Ich schob das Bild von ihr in meinem Kopf demonstrativ zur Seite. Nicht jetzt. Ich wollte betont lässig über meinen Kommentar lachen, aber es kam etwas zu laut aus mir heraus. Und da war sie doch schon, die hysterisch kichernde Hexe. Fehlte nur noch, dass ich als Nächstes den Fettanteil seiner Finger überprüfte.

Ich wollte Carl keine Zeit lassen, dieselben verschrobenen Gedanken zu denken, daher schob ich schnell nach, dass ich froh war, dass er heute trotzdem den Weg in den Park gefunden hat. Erst dann dachte ich einige Sekunden nach: Hatte ich mir gerade selbst zugestimmt, dass ich eine verrückte alte Hexe war? Das wurde ja immer besser. Ich war versucht, mir an den Kopf zu klatschen. Es macht wirklich keinen Unterschied, ob man 17 oder 57 ist.

Der Rest des Gesprächs verlief dann zum Glück normal. Wir unterhielten uns nett, wir lachten ein bisschen, aber nicht ausgelassen, wir schafften es, Gesprächspausen zu überbrücken und Themen zu finden, über die wir reden konnten. Vielleicht habe ich ein bisschen zu viel über meine Mutter geredet. Ich hoffe, das hat ihn nicht abgeschreckt. Wir verabschiedeten uns eher zurückhaltend. Wir gaben uns nicht die Hand, das wäre zu förmlich gewesen, aber auch keinen Abschiedskuss. Ein solides, erstes Treffen, aber nicht der Superknüller des Monats, um diesen Vergleich noch einmal zu bemühen. Will ich ihn wiedersehen? Vielleicht. Keine Ahnung. Ach doch. Man weiß ja nie.

***

Ich bin auf dem Weg nach Hause, will aber vorher nochmal nach meiner Mutter sehen. Unter der Woche fahre ich morgens vor der Arbeit zu ihr, um ihr beim Anziehen und bei der Morgentoilette zu helfen und um mit ihr zu frühstücken. Nach der Arbeit mache ich meist ein paar kurze Besorgungen und fahre wieder zu ihr, um das gleiche Spiel am Abend noch einmal zu wiederholen. Mittags kommt dann ein Menü-Bringdienst, außer wie jetzt am Wochenende, da kümmere ich mich komplett um die Verpflegung.

Ich arbeite seit knapp anderthalb Jahren verkürzt. Das funktioniert nur, weil ich Unterhalt von meinem Ex-Mann erhalte, aber ich denke, lange wird er das nicht mehr mitmachen. Sein Anwalt hat mir - nicht gerade durch die Blume - mitgeteilt, dass mein werter Ex-Mann der Meinung ist, ich würde mich auf seinem Geld ausruhen. Ich habe mich darüber sehr geärgert, auch wenn mich seine Reaktion nicht überrascht. Er kennt meine Mutter, soll er doch täglich fünf Stunden mit ihr verbringen. Der würde mir nach einer Woche sein Geld schenken. Wahrscheinlich lässt er sich absichtlich nicht befördern, damit er nicht mehr Unterhalt zahlen muss. Warum heiratet er nicht seine Trulla, dann wäre er mich los. Na, ich will es nicht beschreien. Aktuell muss ich ihm ja regelrecht dankbar für seinen Unterhalt sein. Das eigentlich Schlimme ist, dass meine Mutter meine täglichen Anstrengungen und die Opfer, die ich bringe, nicht mal zu schätzen weiß: Dass ich für sie weniger arbeite und damit auch auf den Abteilungsleiterposten verzichten musste, auf den ich eigentlich schon lange hingearbeitet hatte. Dass ich kein Privatleben mehr habe, keine Hobbies, keine Verabredungen mit Freundinnen. Trotzdem beschwert sie sich jeden Morgen, warum ich schon wieder gehe und nachmittags, wo ich denn so lang gewesen wäre. Sie scheint mir nicht zu glauben, dass ich tatsächlich arbeite, sie scheint davon auszugehen, dass ich mich tagsüber anstatt mit meinen Kollegen heimlich mit anderen alten Frauen treffe. Anders kann ich mir ihre Eifersucht und ihre ständige Fragerei, wen ich getroffen und mit wem ich zu Mittag gegessen hätte, nicht erklären. Dabei hat sie sogar selbst Geheimnisse! Sie hatte schon mehrfach den Vermieter bei sich zu Gast, ohne, dass ich davon wusste. Der wollte ihr doch tatsächlich die Wohnung abschwatzen und sie davon überzeugen umzuziehen. Fast hatte er sie soweit, den Kündigungsvertrag zu unterschreiben, als ich genau in diesem Moment außer der Reihe bei ihr vorbeigekommen bin. Und das obwohl er genau wusste, dass meine Mutter die Konsequenzen überhaupt nicht absehen kann.

Ich mache mir nichts vor. Es muss etwas mit meiner Mutter passieren. Sie kann nicht mehr lange alleine bleiben und ich habe schon oft versucht, mit ihr über Alternativen zu sprechen. Theoretisch wäre in ihrer Wohnung genug Platz für mich und sicherlich wäre es auch die einfachste Lösung, aber noch lasse ich diesen Gedanken sich nicht in meinem Kopf breitmachen, sie klammeraffenartig jede Minute um mich zu haben. Wenn sie das jetzt hören würde, würde sie zum hundertsten Mal mit dem Mutter-Kind-Vergleich kommen und mir vor die Nase halten, dass sie mich als Kind ja auch ständig an der Backe hatte. Worauf ich dann zum hundertsten Mal entgegnen würde, dass ich als Kind nie grundlos die Polizei gerufen oder fremde Leute auf der Straße als Affenarsch bezeichnet habe.

Meine Mutter weiß, dass ich mir Sorgen mache, aber das ist untertrieben. Ich schrecke oft nachts hoch, weil ich geträumt habe, dass ihre Wohnung in lodernden Flammen steht, weil sie vergessen hat, den Herd auszuschalten. Ein Seniorenheim ist für meine Mutter jedoch schlicht indiskutabel und das kann ich sogar verstehen. Sie lebt seit 33 Jahren in ihrer Wohnung, zahlt gefühlt drei Äpfel Miete monatlich und hat, nachdem mein Vater bereits vor über 15 Jahren gestorben ist, keine Urlaube mehr gemacht. Tatsächlich hat sie diese Wohnung nie mehr länger als einen Tag verlassen. Aber was hilft es denn? Sie wohnt ganz oben und kann kaum noch die vielen Treppen bewältigen. Noch tut sie es ab und an, wenn ich dabei bin um sie zu stützen, aber es wird immer seltener und alsbald wird sie die Wohnung überhaupt nicht mehr verlassen. Von ihrem Kopf ganz zu schweigen. Dass sie neuerdings sogar den Postboten anbrüllt, sagt ja wohl alles. Da fällt mir ein, könnte es nicht sogar Carl gewesen sein, den sie da angebrüllt hat? Ich muss ihn gleich mal fragen, wenn wir uns das nächste Mal treffen. Dann weiß er gleich, worauf er sich einlässt. Obwohl… vielleicht besser doch nicht.

***

Als ich nach oben komme sehe ich schon auf dem Treppenabsatz, dass bei meiner Mutter die Wohnungstür aufsteht. Im ersten Moment denke ich noch: Oh Mann, jetzt muss der Einbrecher sich nicht mal mehr die Mühe machen einzubrechen. Ich trete über die Haustürschwelle und rufe leicht genervt nach meiner Mutter. Einmal, zweimal. Sie antwortet nicht. Ich gehe den Flur entlang, direkt ins Wohnzimmer. Dort ist sie nicht. Die Balkontür ist geschlossen und ausgesperrt hat sie sich auch nicht, das hätte ich sofort gesehen.

---ENDE DER LESEPROBE---