Erebos 3 - Ursula Poznanski - E-Book

Erebos 3 E-Book

Ursula Poznanski

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Beschreibung

Erebos 3 ist SPIEGEL #1-Bestseller! Du hast nur eine Chance. Noch nie war diese Regel so wörtlich zu nehmen, und noch nie war der Einsatz so hoch. Zweimal ist Nick Dunmore bereits mit heiler Haut den Fängen des Spiels entkommen. Nun erwacht die Welt von Erebos erneut auf seinem Computer zum Leben und zwingt ihn, sich als Dunkelelf Sarius ihren Rätseln zu stellen. Er und seine Freunde werden auf eine Suche geschickt, ohne zu wissen, was sie eigentlich finden sollen. Doch eins ist klar: Es geht um Leben und Tod. Wessen Leben? Darauf gibt Erebos keine Antwort. Als Nick endlich begreift, was tatsächlich das Ziel ihrer Suche ist, ist es fast schon zu spät. - Dritter Band des Longsellers Erebos von Ursula Poznanski - SPIEGEL Bestseller-Autorin - Moderner Jugendbuchklassiker - Erebos wurde ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis - Hochspannender KI-Thriller (nicht nur) für Jugendliche

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Seitenzahl: 521

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Prolog

Kapitel 1 – Der verdammte Rucksack …

Kapitel 2 – Willkommen zurück, Sarius …

Kapitel 3 – Es ist nicht …

Kapitel 4 – Am nächsten Morgen …

Kapitel 5 – Der Bote akzeptierte …

Kapitel 6 – Nick verbrachte den …

Kapitel 7 – Bei Sonnenschein würde …

Kapitel 8 – Die Flaggen, die …

Kapitel 9 – Wir müssen ab …

Kapitel 10 – Der Kampf ist …

Kapitel 11 – Gelbe Augen mit …

Kapitel 12 – Denkst du, das …

Kapitel 13 – Von Dans Sorge …

Kapitel 14 – Der Sirenenton seines …

Kapitel 15 – An die Regeln …

Kapitel 16 – Der Ort, an …

Kapitel 17 – Die Northern Line …

Kapitel 18 – Erst jetzt gesehen …

Kapitel 19 – Während die anderen …

Kapitel 20 – Sarius hat in …

Kapitel 21 – Mit einem tiefen …

Kapitel 22 – Victor hatte nicht …

Kapitel 23 – Folgende Idee, sagte …

Kapitel 24 – Er ist ein …

Kapitel 25 – Es war drei …

Kapitel 26 – Nick hatte Derek …

Kapitel 27 – Den Sumpf zu …

Kapitel 28 – Was haben die …

Kapitel 29 – Als Nick die …

Kapitel 30 – Am nächsten Morgen …

Kapitel 31 – Sie betraten Boots …

Kapitel 32 – Nachmittag. Kaum dass …

Kapitel 33 – Fünf Minuten bevor …

Kapitel 34 – Während der gesamten …

Kapitel 35 – Die Arena leuchtet …

Kapitel 36 – Es war vier …

Kapitel 37 – Nick hatte Derek …

Kapitel 38 – Was tue ich …

Kapitel 39 – Mit brennenden Augen …

Kapitel 40 – Nick hatte eine …

Kapitel 41 – Wer bist du …

Kapitel 42 – Sarius liegt flach …

Kapitel 43 – Nick ließ den …

Kapitel 44 – Eine verfallene Stadt …

Kapitel 45 – Llothtaed verschlingt ihr …

Kapitel 46 – Das wird noch …

Kapitel 47 – Der Junge war …

Kapitel 48 – Lass uns zwei …

Kapitel 49 – Sie drehten eine …

Kapitel 50 – Der Ton des …

Kapitel 51 – Die Diskussion war …

Kapitel 52 – Er kann den …

Kapitel 53 – Es fällt Sarius …

Kapitel 54 – Es war Nick …

Kapitel 55 – Während die große …

Kapitel 56 – In Nicks Vorstellung …

Kapitel 57 – Nick hatte damit …

Kapitel 58 – Es war eine …

Kapitel 59 – Wenn man von …

Kapitel 60 – Zurück nach Sektor …

Kapitel 61 – Nick war erschöpft …

Kapitel 62 – Den ganzen restlichen …

Kapitel 63 – Er hatte bei …

Kapitel 64 – Eine Woche später …

Prolog

Er hat sich über Felsklippen gekämpft und durch einen zähen Sumpf voller Blutegel. Durch einen Wald mit schwarzen Bäumen, deren Wurzeln nach ihm gegriffen und ihn zu Fall gebracht haben. Zweimal ist er einen Hang hinabgestürzt und hat erneut feststellen müssen, wie schmerzhaft es ist, sich zu verletzen.

Schon beim ersten Kratzer hat ein unangenehmer, kreischender Ton eingesetzt, der mit jedem Sturz, jedem Schlag und jedem Biss lauter wird. Mittlerweile macht das Geräusch in seinem Kopf den Dunkelelfen fast wahnsinnig, aber jetzt, endlich, scheint er den gefunden zu haben, den er sucht.

Der hagere Mann, der auf einem schwarzen Pferd auf ihn zugaloppiert, trägt einen ebenso schwarzen Kapuzenmantel, der hinter ihm herflattert; die dunkle Rüstung darunter schimmert fahl im schwachen Mondlicht.

Doch erst, als der Ankömmling das Pferd zügelt und sich die Kapuze vom Kopf zieht, atmet der Dunkelelf voller Erleichterung aus.

Er hat sich nicht getäuscht. Vor ihm steht der, den sie immer den Boten genannt haben. Die gelben Augen in dem eingefallenen Gesicht blicken prüfend, der lippenlose Mund verzieht sich zu einer Mischung aus Lächeln und Zähnefletschen. »So sieht man sich wieder. Aber du hast dich verändert.«

»Nein«, sagt der Dunkelelf. »Du hast mich verändert, nicht wahr? Aber egal, ich bin so froh, dass ich doch noch hergefunden habe. So froh, dass du hier bist. Ich … ich habe eine Bitte.«

»Oh.« Der Bote bewegt sich im Sattel, die Rüstung klirrt. »Du kommst gleich zur Sache, ja? Legst keinen großen Wert auf Höflichkeit, richtig?«

Der Dunkelelf senkt den Kopf; der quälende Ton macht ihm das Denken schwer. »Doch. Ich … tut mir leid.«

Er fühlt den Blick des anderen auf sich. »Wie hast du hierher zurückgefunden?«

»Das war nicht leicht, ich habe lange gesucht. Da gab es eine Menge Hindernisse.«

»Und doch hast du dir die Mühe gemacht, sie zu überwinden. Ich wüsste gern den Grund dafür.« Der Bote greift in seinen Umhang und zieht ein rot leuchtendes Fläschchen heraus, das er dem Dunkelelfen zuwirft.

Der hat damit nicht gerechnet, fängt es ungeschickt auf, lässt es beinahe fallen. Kein Zweifel, er ist aus der Übung. Aber sobald er den Inhalt getrunken hat, verschwindet der kreischende Ton. Vor Dankbarkeit hätte er fast aufgelacht, obwohl ihm überhaupt nicht nach Lachen zumute ist.

»Also?« Der Bote treibt sein Pferd zwei Schritte näher heran. Ragt nun noch bedrohlicher über dem Dunkelelfen auf. »Du hast eine Bitte, sagtest du?«

»Ja.« Er blickt zum Himmel hinauf, wo sich ein geflügeltes Wesen gegen die runde Scheibe des Mondes abzeichnet, bevor es wieder in der Dunkelheit verschwindet. »Ich brauche Hilfe. Ich weiß etwas, das ich niemandem sagen kann. Ich habe einen großen Fehler gemacht und keine Ahnung, was ich jetzt tun soll. Ich habe gehofft, du …«

Er unterbricht sich. Worauf genau hat er eigentlich gehofft? Auf einen Ratschlag? Oder darauf, dass ihm jemand die Dinge aus der Hand nimmt? Alle Probleme für ihn löst?

Er beginnt zu erzählen, stockend zuerst, dann immer flüssiger. Die ganze Zeit über fixiert ihn der Blick des Boten, der so regungslos auf seinem Pferd sitzt, als wäre er eingefroren.

Erst als der Dunkelelf geendet hat, kommt wieder Bewegung in sein Gegenüber. »Und das alles entspricht der Wahrheit?«

»Ja. Natürlich!«

»Du weißt, dass ich das prüfen werde.«

»Ja. Tu das. Bitte.« Er sieht erwartungsvoll zu dem Reiter hoch. Weicht einen Schritt zurück, als dessen gelber Blick sich verdunkelt.

»Warum nimmst du nicht den einfachen Weg? Den, den alle anderen einschlagen würden?«

Darüber hat der Dunkelelf lange nachgedacht, wochenlang. Hat mehrere Anläufe genommen, aber jedes Mal kurz vor seinem Ziel kehrtgemacht. »Ich habe einfach Angst. Es würde nicht lange dauern, dann wüssten alle Bescheid, und dann …« Der Elf will sich nicht ausmalen, was dann passieren würde.

Den Boten scheint diese Antwort zufriedenzustellen. »Nun gut. Du hast mich zurückgeholt. Von hier an überlasse das Weitere mir.«

»Du kümmerst dich darum? Und du sagst niemandem, wer dich darum gebeten hat?« Es ist, als könnte der Dunkelelf zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder durchatmen. Drei Sekunden lang hält das Gefühl der Erleichterung an, dann sieht er das Lächeln des Boten.

»Ich kümmere mich darum«, erwidert der. »Allerdings auf meine eigene Art.«

»Was heißt das?«

Der Bote packt die Zügel fester; sein Pferd wirft schnaubend den Kopf hoch. »Es heißt, dass du keine Garantie erhältst. Dass der Ausgang der Sache ungewiss bleibt. Dass ich nicht nachhelfen werde, damit das passiert, was du dir wünschst.« Er beugt sich ein Stück vor. »Für mich ist unbedeutend, was auf dem Spiel steht. Im wahrsten Sinn des Wortes.« Sein Lächeln wird unnatürlich breit, es sieht erschreckend aus. »Du hast dich dafür entschieden zu schweigen. Mehr als das wird dir von nun an nicht mehr möglich sein.« Er zieht sich die Kapuze wieder über den Kopf. »Ich werde dich wissen lassen, wie es mit dir weitergeht.«

Der verdammte Rucksack war weg. Nick hatte ihn keine drei Minuten aus den Augen gelassen, hatte nur schnell Fotos von diesem Ententeich in Hampstead Heath schießen wollen. Der im Licht der Abendsonne unwiderstehlich schön ausgesehen hatte.

Um ihn herum war niemand zu sehen gewesen, außer zwei jungen Frauen, die ihre Kinderwagen vor sich hergeschoben hatten. Deshalb hatte Nick sich nichts dabei gedacht, den Rucksack kurz auf der nächstgelegenen Parkbank abzustellen. Und nun war er fort.

Fluchend blickte er sich um. Aber wer es auch gewesen war, der ihn beklaut hatte – er hatte sich blitzschnell aus dem Staub gemacht. Oder sie. Vielleicht hatten in den Kinderwagen ja gar keine Babys gelegen, sondern alle möglichen Arten von Raubgut.

Tja. Große Freude würde der Dieb mit seiner Beute nicht haben – den wertvollsten Inhalt, die Kamera nämlich, hatte Nick in Händen gehalten. Sein Geldbeutel steckte in der linken hinteren Jeanstasche, die Schlüssel in der rechten, das Handy wie immer griffbereit in der Jacke. Der Rucksack selbst war alt und abgewetzt gewesen und genauso wenig wert wie die paar Dinge, die Nick darin herumgetragen hatte: ein angebrochenes Paket Papiertaschentücher, eine abgelaufene Fitnesscenter-Mitgliedskarte, eine Wollmütze mit Mottenlöchern, einen Notizblock, ein paar Stifte. Ach ja, und eine Bürste, die praktisch gewesen war, seit Nick sein Haar wieder länger trug.

Leid tat es ihm eigentlich nur um den Anhänger, den Emily ihm geschenkt hatte. Einen Plüschraben mit übergroßen Kulleraugen namens Flox, den Nick an einem der Trageriemen montiert hatte. Der war ein Einzelstück gewesen, ein Mitbringsel aus New York, wo sie gerade wieder ein Fortbildungsseminar für Psychologinnen besuchte.

Raben hatten seit Beginn ihrer Beziehung eine besondere Bedeutung für sie beide. Sowohl er als auch Emily trugen ein entsprechendes Tattoo am Nacken, das Nicks Bruder Finn ihnen gestochen hatte. Finn war an der gleichen Stelle tätowiert – er und Nick hatten sich immer die Rabenbrüder genannt.

Doch wegen eines Plüschanhängers zur Polizei zu gehen war lächerlich, auch wenn Nick ihn insgeheim immer als Glücksbringer betrachtet hatte. Der sich aber sicher ersetzen ließ. Wenn Emily von dem Diebstahl erfuhr, brachte sie ihm vielleicht einen neuen mit.

Nick stand in der voll besetzten U-Bahn, als ihm zum ersten Mal dämmerte, dass etwas nicht stimmte. Sein Handy hatte mehrmals vibriert, als würde jemand anrufen. Die Nummer auf dem Display sah allerdings merkwürdig aus: 22032. Das konnte keine Telefonnummer sein.

Er überlegte kurz ranzugehen, aus reiner Neugier. Doch noch bevor er eine Entscheidung treffen konnte, brach der Anruf ab. Besser so. Wahrscheinlich war es bloß irgendeine Firma gewesen, die ihm etwas aufschwatzen wollte.

Kaum war er wieder an der frischen Luft, begann es zu regnen. Verdammter Mist, es war wirklich nicht sein Tag. Nick zog sich die Kapuze seines Sweaters über den Kopf und wollte loslaufen, als er am Ausgang der Station Bob zu ihm hochlächeln sah. »Na, wie war dein Tag?«

Beschissen, hätte Nick gern zurückgegeben, aber das war gegenüber jemandem, der auf zusammengefalteten Verpackungskartons schlief, eine ziemlich unpassende Ansage. Bob wohnte gewissermaßen hier. Er saß neben dem Ausgang der Station Barons Court, vor dem Holztor, auf dem »Privat« stand und das nie von jemandem benutzt wurde.

»Mir geht’s ganz okay«, sagte Nick, »war schon mal besser. Wie ist es bei dir und Nugget?«

Der kleine Mischlingshund in Bobs Schoß begann, bei der Erwähnung seines Namens mit dem Schwanz zu wedeln. Bob streichelte ihm über das hellbraune Fell. »Uns geht’s gut. Noch besser, wenn du ein bisschen Kleingeld hättest.«

Nick durchsuchte vergeblich seine Hosentaschen, aber in seiner Geldbörse fand er zwei Pfund und ein paar Pennys.

Bob grinste so breit, dass sein grauer Bart sich in alle Richtungen spreizte. »Wenn du wieder einmal Models brauchst, wir sind nicht ausgebucht.«

Nick lachte und machte sich auf den Heimweg. Tatsächlich hatte die kurze Begegnung seine Laune verbessert. Bobs sonniges Gemüt schaffte das jedes Mal. Er bezeichnete sich selbst als den Baron von Barons Court, und begrüßte alle, die von der Station aus täglich zur Arbeit fuhren, mit Namen. Manche mit ihrem echten, manche mit einem erfundenen.

Vor einem halben Jahr hatte Nick ihn gefragt, ob er ihn fotografieren durfte, für fünfzig Pfund und ein warmes Essen.

Die Bilder waren großartig geworden, eindrucksvolle Schwarz-Weiß-Porträts. Sie hatten definitiv dazu beigetragen, dass eine Starfotografin wie Carol Hardy sich für eine Zusammenarbeit mit Nick interessierte.

Sie hatte sich per Mail bei ihm gemeldet, weil sie gemeinsam mit Newcomern einen Bildband herausbringen wollte. Nun hoffte er jeden Tag, dass sie ihm endlich einen Vorschlag für ein Treffen machen würde, aber sie war derzeit in den USA, so wie die andere wichtige Frau in seinem Leben. Immerhin likte sie jeden seiner Instagram-Posts, sie hatte ihn also nicht vergessen.

Zu Hause angelangt, hängte er seine Jacke an den Haken im Flur, nahm die SD-Karte aus der Kamera und steckte sie in den Kartenleser am Computer.

Im gleichen Moment begannen die Rollläden vor den Fenstern sich zu senken, laut surrend. Stoppten auf halber Höhe und fuhren wieder hoch. Senkten sich erneut. Fuhren wieder hoch.

Na toll. Abgesehen von Nicks Computer, der Kaffeemaschine und dem Kühlschrank, der meistens leer war, waren die steuerbaren Jalousien das einzig Moderne in dieser Wohnung. Man konnte sie per Handy-App bedienen, wie der Vermieter stolz erklärt hatte, vielleicht auch, um von den feuchten Flecken an den Küchenwänden abzulenken. Dass sie sich nach Lust und Laune verselbstständigten, war neu.

Nick ließ sich auf die Couch fallen. Es war wirklich kein guter Tag gewesen. Seit zwei Jahren arbeitete er jetzt als Fotograf, und obwohl seine Bilder immer besser wurden, lief das Geschäft schlecht. Die Leute sparten an allen Ecken und Enden; bei Hochzeiten und Familienfeiern knipsten die meisten lieber selbst mit ihren Handys drauflos, als einen Profi zu bezahlen.

Wenn Carol Hardy sich nicht bald meldete, würde er sich einen zusätzlichen Job suchen müssen. Als Kellner vielleicht, oder als Aushilfe im Supermarkt. Tolle Aussichten.

Wieder vibrierte sein Handy, aber diesmal war es kein Anruf, sondern eine WhatsApp von seinem besten Kumpel Jamie.

Bist du am Mittwoch beim Pub-Quiz dabei? Ich will nicht wieder die Null in der Runde sein *smileyface*.

Das war ja sehr schmeichelhaft. Nick grinste.

Ich komme, wenn du zahlst, tippte er zurück. Bin völlig pleite. Dafür verspreche ich auch, nur falsche Antworten zu geben!

Jamie schickte ein Daumen-hoch-Emoji. Ich hätte auch noch ein Ticket für England gegen Mexiko, Sonntag in 14 Tagen, aber das müsstest du leider zahlen, fügte er hinzu.

Keine Chance. Nick hatte schon Jamies Vorschläge für ein gemeinsames Coldplay-Konzert und einen Comedy-Abend ablehnen müssen. Er hatte einfach kein Geld.

Sorry, schrieb er zurück. Mein Kontostand ist eine Katastrophe, aber sobald ein paar Aufträge reinkommen, bin ich für alles zu haben!

Er hätte eben doch etwas Vernünftiges lernen sollen, wie seine Eltern es ihm immer noch bei jeder Gelegenheit predigten. Voller Wut auf die Welt legte Nick das Handy beiseite. Setzte sich an den Computer.

Er würde von nun an noch mehr Mühe in seine Bilder stecken, irgendwann musste das doch Erfolge bringen. Die Fotos von Hampstead Heath, die er heute geschossen hatte, waren nur ein kleiner Schritt, aber besser als nichts. Sie waren für die Homepage eines neuen Hotels gedacht; dort hatte er auch schon die Zimmer fotografiert.

Er öffnete den Ordner. Sah sich die Ausbeute des Nachmittags an. Die Bilder waren gut geworden, selbst auf dem riesigen, hochauflösenden Monitor fand er kaum Verbesserungsmöglichkeiten. Viel Geld würde das Hotel zwar trotzdem nicht zahlen, aber es war besser als …

Eine Stimme unterbrach seine Gedanken. Sie drang aus den Boxen, die links und rechts des riesigen Monitors standen. Er wusste, wem sie gehörte, sie flüsterte sich immer wieder in seine Träume, doch jetzt war er zweifellos wach. Sie hatte nur ein Wort gesagt, aber Nick fühlte es immer noch im Raum hängen, als die Stimme es wiederholte.

»Sarius.«

»Willkommen zurück, Sarius.«

Ein Scherz, das musste ein Scherz sein. Es kam keinesfalls infrage, dass das Spiel ein drittes Mal sein Leben auf den Kopf stellte. »Sehr witzig«, sagte er mit belegter Stimme.

»Du freust dich? Umso besser. Wir haben diesmal etwas ganz Besonderes für dich vorbereitet.«

Das Foto des Teichs, das er auf dem Bildschirm geöffnet hatte, verdunkelte sich und zerfloss zu einer dunklen Landschaft. Augen leuchteten in den Büschen auf, dann bewegte das Bild sich weiter, durch einen Wald auf eine Schlucht zu.

Felswände aus schroffem schwarzen Stein. In Nebel gehüllte Bäume. Ein kleines Lagerfeuer, kurz vor dem Erlöschen.

Nick fühlte, wie sein Puls sich beschleunigte. Er kannte den Ort, und er hatte gehofft, ihn nie wieder sehen zu müssen. Dort hatte er, als er noch Schüler gewesen war, ein Gespräch mit einem Toten geführt.

Weiter ging es durch die Schlucht, über einen schmalen Fluss hinweg zum Eingang einer Höhle. »Nein«, hörte Nick sich sagen. »Ich mache diesmal nicht mit, okay?« Schon beim letzten Mal hatte sich die Rückkehr des Spiels durch Sabotage an seinen Fotos angekündigt. Damals hatte er gezwungenermaßen nachgegeben, hatte sich wieder in die Welt hineinziehen lassen.

Diesmal würde er das nicht tun.

Mit einem Ruck trennte er den Kartenleser von der Schnittstelle, um seine Fotos zu retten, und in der Hoffnung, dass dann einfach seine Desktopansicht erscheinen würde.

Was nicht passierte. Vor ihm öffnete sich jetzt die Höhle, beleuchtet von Fackeln in eisernen Halterungen. Ein riesiger dunkelgrüner Skorpion wurde sichtbar, verschwand aber sofort in einem der Seitengänge.

Nick schloss einige Sekunden lang die Augen. Das Spiel saß also wieder in seinem Computer. War vielleicht nie verschwunden gewesen, sondern hatte nur geschlafen und darauf gewartet, dass irgendein Impuls es erneut zurück ins Leben rief.

Hektisch tastete er nach seinem Smartphone und überprüfte die Apps. Hoffentlich hatte das Spiel sich nicht auch wieder auf sein Handy gestohlen, wie beim letzten Mal. Er wischte hin und her, auf der Suche nach dem roten Icon. Dem E, das für Erebos stand.

Doch davon war nichts zu sehen. Wenigstens ein gutes Zeichen. Im besten Fall hatte ein Bruchstück des Spiels irgendwo in den Tiefen von Nicks Dateien überlebt, war nun kurz an die Oberfläche geschwemmt worden, um Hallo zu sagen, und würde gleich wieder verschwinden.

Keine Spur mehr von dem Skorpion. Die Höhle lag verlassen da. Nick klickte auf die Mauern, den Steinboden, auf eine der Fackeln in ihrer eisernen Wandhalterung. Sie erlosch, und die restlichen fünf folgten, eine nach der anderen, bis nur noch Schwärze den Bildschirm füllte. Schwärze, die anhielt, als wäre das ganze System abgestürzt.

Nichts davon war neu für Nick. Ohne große Hoffnung hämmerte er auf die Escape-Taste ein, und als das nichts half, griff er nach seinem Headset und aktivierte die Bluetooth-Verbindung. Rückte das Mikrofon zurecht. »Was willst du, zum Teufel?«, fragte er in die Stille hinein.

»Zum Teufel. Teufel. Teufel«, hörte er sein eigenes Echo, seine eigene Stimme, mit jeder Wiederholung tiefer und verzerrter.

Gleichzeitig setzte ein Geräusch ein, ein Ticken wie von einer riesigen Uhr. Nick lauschte, erfüllt von einem Gefühl der Hilflosigkeit. Er hatte, kurz nachdem er zuletzt in die Machenschaften des Spiels hineingezogen worden war, einen neuen Rechner gekauft. Und natürlich die Daten des alten darauf übertragen. Dabei mussten auch Reste der Spieldateien mitgewandert sein, die jetzt zu neuem Leben erwachten. Was für ein bescheuerter Fehler.

Was, ganz gegen Nicks Willen, ebenfalls neu erwachte, war ein leichtes Prickeln in seinem Rücken, fast wie Vorfreude. Obwohl er genau wusste, wie rücksichtslos das Spiel mit denen umsprang, die es in seinen Klauen hielt. Wie kaltblütig es Menschenleben riskierte.

Aber das Erlebnis, die Welt, in die man eintauchte, das unvergleichliche Gefühl, ein Rätsel gelöst oder einen Kampf gewonnen zu haben – in keinem anderen Spiel hatte Nick das so empfunden wie in diesem.

Du Idiot, beschimpfte er sich selbst. Als ob du nicht mehr wüsstest, dass der Preis dafür immer zu hoch gewesen ist.

Die Schwärze auf dem Monitor begann nun, im Takt der tickenden Uhr zu pulsieren, und rote Buchstaben formten sich im Dunkel.

Dies ist Erebos.

»Ich weiß«, sagte Nick. »Ich weiß.«

Ein einzelner, halb verfallener Turm auf einem Hügel. Rundherum schiefe Steinhäuschen, hinter deren Fenstern Kerzenlicht flackert.

Und da, in der Mitte des Wegs, steht Sarius, der Dunkelelf, Nicks vertraute Spielfigur. Ein fahler, beinahe voller Mond lässt sein helles Haar so silbrig schimmern wie die Klinge einer Waffe.

Gutes Stichwort. Sarius sieht an sich hinunter. Das Schwert, das er am Gürtel trägt, ist neu, ebenso wie seine Stiefel und sein Brustharnisch, auf dem sich leuchtende Symbole bilden und wieder verschwinden, als würde eine unsichtbare Hand sie zeichnen.

»Ich will nicht«, hört er sich selbst sagen, in der hellen, klaren Elfenstimme, die der von Nick Dunmore kaum ähnelt. »Ich will nicht noch mal, verstanden? Ich habe wirklich andere Dinge zu tun.«

Keine Antwort. Nur der Ruf einer Eule aus dem nahe gelegenen Wald.

Sarius blickt sich um. Zu seiner Überraschung hat die Umgebung etwas Behagliches. Als würden nächtliche Wanderer in dieser Siedlung willkommen geheißen werden.

Einige Momente lang erlaubt er sich die Vorstellung, dass Erebos diesmal vielleicht wirklich nur spielen will. Dass es eine gute Idee sein könnte, den Turm, das Dorf und den Wald ein wenig zu erforschen – einfach nur so, als Zeitvertreib, der keine Folgen im wahren Leben nach sich ziehen wird.

Doch dann hört er in der Ferne Hufgetrappel, das rasch lauter wird, und er ahnt, wer sich da nähert.

Das Pferd, das auf Sarius zugaloppiert, ist schwarz gepanzert, der Reiter hat sich in den Steigbügeln aufgerichtet und über den Hals des Tieres gebeugt. Bereits jetzt sieht Sarius, wie es gelb unter der Kapuze hervorschimmert, und würde am liebsten davonlaufen.

Nur dass er nicht schnell genug wäre; außerdem scheinen seine Beine ihm nicht mehr zu gehorchen. Also harrt er aus, blickt dem Boten entgegen, der jetzt, nur wenige Meter entfernt, sein Pferd zügelt.

»Willkommen zurück, Sarius.« Er hebt eine knochige Hand zum Gruß. »Mein alter Freund.«

»Oh nein, das ist ein Irrtum.« Immer noch kann Sarius sich nicht fortbewegen. Steht trotz aller Bemühungen wie festgenagelt da. »Wir sind keine Freunde, ich wollte nicht herkommen, und ich will nicht wieder in deine Angelegenheiten verwickelt werden.«

Der Bote lächelt sein furchterregendes Lächeln. Zieht seine papierdünnen Lippen hinter die Zähne zurück. »Du weißt doch aber noch nicht, worum es geht.«

»Das ist mir egal. Und du würdest es mir ohnehin nicht sagen.«

Das Lachen des Boten gleicht dem Kreischen eines angreifenden Raubvogels. »Da hast du recht, Sarius. Siehst du, wir kennen einander gut. Deshalb habe ich dich zu mir gerufen. Weil ich um deine Stärken weiß. Und weiß, wozu du fähig bist.«

Das konnte man so oder so verstehen. Aber egal. Seine Antwort würde in beiden Fällen gleich ausfallen. »Ich möchte nicht. Ich habe keine Zeit und andere Probleme.«

»Du würdest es bereuen. Etwas Großes steht bevor.« Der Bote sagt es leichthin, und zu Sarius’ Erstaunen liegt keine direkte Drohung in seiner Stimme. Es klingt eher … mitfühlend.

»Das lass meine Sorge sein.« Damit versucht Sarius wieder, sich umzuwenden und zu gehen, aber das klappt immer noch nicht, verdammt. Er blickt erneut zu dem Boten hoch. »Du kannst mich also hier festhalten, schön. Aber du weißt sicher auch, dass ich dich theoretisch ganz leicht verschwinden lassen könnte. Ich muss nur einen Stecker aus der Wand ziehen, und schon bist du fort.«

Wieder lacht der Bote. »Ja. Aus deinem Blickfeld. Nicht aus deinem Leben.«

Er pfeift, hebt die Hand, und aus den Baumwipfeln des Waldes löst sich ein schwarzer Schatten, der auf den Boten zufliegt. Sich auf seiner Schulter niederlässt.

»Er war dein, jetzt ist er mein.« Wieder dieser mitleidige Ton.

Das Tier, das jetzt seinen Schnabel an der Wange des Boten reibt, ist ein Rabe. Nicht irgendeiner, sondern Nicks Rabe. Flox, der gestohlene Glücksbringer, hat die Seiten gewechselt und sieht Sarius aus riesigen Kulleraugen an. Nur dass die nicht mehr schwarz sind, wie bisher, sondern so gelb wie die seines neuen Herrn und damit bedeutend weniger niedlich.

»Wir wollen dich nicht unter Druck setzen, Sarius«, sagt der Bote sanft. »Aber es wird der Tag kommen, an dem du wünschen wirst, du hättest heute Ja gesagt.«

Sarius kämpft seine aufsteigende Wut nieder. »Ich fürchte, da irrst du dich.«

»Glaube mir, das tue ich nicht. Im Unterschied zu dir weiß ich beispielsweise, in wessen Besitz sich einige Dinge befinden, die du vermisst.« Er streicht über das glänzende Gefieder des Raben. »Manche Verluste ziehen ungeahnte Folgen nach sich. Du solltest das nicht unterschätzen.«

Damit ist eines klar: Der Rucksack ist nicht zufällig geklaut worden. Jemand hat einen Auftrag bekommen, wie das so üblich ist bei Erebos: Erledige eine Aufgabe in der realen Welt und erhalte eine Belohnung oder ein Level. Es muss also jemand gezielt auf eine Gelegenheit gewartet und ihn verfolgt haben. Vielleicht schon seit Tagen. Sarius schluckt seine aufsteigende Wut hinunter. Versucht sich noch einmal zu erinnern, was er in dem Rucksack bei sich gehabt hat.

Nichts Wertvolles und auch nichts, woraus ihm jemand einen Strick drehen könnte, wie Gras, zum Beispiel. Der gelbäugige Bastard soll sich seine Erpressungsversuche sonst wohin stecken.

»Es kann tatsächlich sein«, fährt der Bote fort, »dass von deiner Entscheidung mehr abhängt, als du dir jetzt ausmalen kannst. Dass du Leben aufs Spiel setzt. Das solltest du wissen, bevor du tatsächlich Nein sagst.«

In Sarius’ Erinnerung laufen die Bilder vom letzten Spiel wieder ab. Von einer alten Schule und einem aufgelassenen Flughafen. Er hatte so sehr gehofft, dass das seine letzte Begegnung mit Erebos gewesen sein würde. »Was willst du von mir?«

Der Bote scheint nur auf diese Frage gewartet zu haben. »Ich möchte, dass du Leute um dich sammelst. Eine eigene kleine Truppe, wenn du so willst.«

Sarius hat mit vielem gerechnet, damit aber nicht. »Leute? Du meinst, ich soll jemanden rekrutieren? Neues Futter für Erebos?«

Der Bote winkt ab, es ist eine ungeduldige Geste. »Nicht nötig. Du findest hier bereits ein Übermaß an geübten Kämpfern, die sich dir freudig anschließen werden.« Er tippt Flox sachte mit einem Finger an, woraufhin der Rabe sich abstößt und in den Wald zurückfliegt. »Erinnerst du dich an den Inneren Kreis?«

Und ob Sarius sich erinnert. Blood Work, Drizzel, Wyrdana und zwei, die er nicht persönlich gekannt hat.

»Deine erste Aufgabe wird es sein, deinen eigenen Kreis zusammenzustellen. Deine eigene Horde. Du führst sie an, du bist ihr Hüter. Finde vier Jäger und zwei Kämpfer. Zwei Späher und zwei listige Planer. Ich werde euch auf eine Suche schicken.« Das Pferd des Boten beginnt, unruhig zu tänzeln; er nimmt die Zügel kürzer. »Allerdings werdet ihr Rivalen haben, die ihr eigenes Ziel verfolgen. Wenn du also gewinnen willst, wähle deine Gefährten klug, mein Freund.«

Nicht dein Freund, denkt Sarius, aber diesmal schluckt er den Kommentar unausgesprochen hinunter. »Es wäre mir wirklich lieber, du würdest mich da rauslassen«, sagt er stattdessen. »Wenn du doch ohnehin genug andere Kämpfer hast, die du auf die Suche schicken kannst.« Er hält kurz inne. »Wonach eigentlich?«

»Es ist mir nicht erlaubt, dir das zu sagen.« Der Bote tätschelt den Hals seines Pferdes. »Aber wie es scheint, habe ich deine Neugier geweckt?«

»Irrtum.« Wieder versucht Sarius vergeblich, sich von der Stelle zu bewegen. »Lass mich gehen, und ich werde keine einzige Frage mehr stellen.«

Der Bote betrachtet ihn mit nachdenklich wirkendem Blick. »Ich wiederhole mich nur ungern«, sagt er nach einer Pause, die gerade lang genug gewesen ist, um Sarius Hoffnung schöpfen zu lassen. »Aber du würdest es bereuen. Du bist schlau und findig, das hast du bereits zweimal unter Beweis gestellt. Früher oder später wirst du auf jeden Fall begreifen, und dann wird es zu spät sein.«

»Ich habe keine Lust mehr auf deine Drohungen.«

»Wie du meinst.« Der Bote neigt den Kopf. »Es ist deine Entscheidung, und es ist nicht mein Leben, um das es ge…«

Noch bevor er fertig sprechen kann, wird auf einen Schlag alles dunkel. Doch das kommt für Sarius diesmal nicht überraschend, denn mit einem kurz entschlossenen Ruck hat er selbst dafür gesorgt.

Es ist nicht mein Leben, um das es geht.

Der Satz ploppte in den folgenden Stunden immer wieder in Nicks Gedanken auf, ließ sich aber schnell vertreiben. Diese mysteriöse Andeutung war einfach der letzte Versuch des Boten gewesen, Nick wieder zurück ins Spiel zu manipulieren. Doch diesmal hatte er sich geschnitten.

Zwei Tage lang blieb alles ruhig, und Nick triumphierte insgeheim. Er hatte dem Spiel im wahrsten Sinn des Wortes den Stecker gezogen – das hätte er wahrscheinlich schon beim letzten Mal versuchen sollen.

Denn Erebos schien seine Weigerung zu akzeptieren. Weder tauchte das rote E als neue App auf seinem Handy auf, noch hatte das Spiel seinen Computer lahmgelegt. Die Programme funktionierten, die Fotodateien blieben unbeschädigt. Es war, als hätte es die Begegnung mit dem Boten nie gegeben.

Als Nick allerdings am Dienstag gleich frühmorgens seine Mails checkte, fand er zwei beunruhigende Nachrichten mit sehr ähnlichem Inhalt vor. Eine Bäckerei hatte ihren Auftrag storniert – dort hätte er in zwei Wochen Torten fotografieren sollen. Die zweite Absage kam von einer jungen Sängerin, die eben ihre ersten Songs auf Spotify veröffentlicht und ihn für Porträtaufnahmen gebucht hatte.

Ich habe gelesen, was vorgefallen ist, schrieb sie, deshalb suche ich mir lieber einen seriöseren Fotografen. Ich bin sicher, dafür haben Sie Verständnis.

Bei Nick schrillten sämtliche Alarmglocken. Vorgefallen? Es war nichts vorgefallen, bisher waren alle seine Kunden happy mit seinen Fotos gewesen. Und mit ihm.

Die Bäckerei hatte in ihrer Mail nichts Derartiges angedeutet, aber auch ihre Nachricht war, na ja, eher kühl.

Dann dämmerte ihm etwas. Er öffnete Google, sah sich seine Bewertungen an, und mit einem Schlag war alles klar. Seit vorgestern waren acht neue dazugekommen – fünf davon mit einem, drei mit zwei Sternen.

Der Fotograf kam leider sichtlich angetrunken zu unserem Termin und war dann auch noch unhöflich, schrieb ein User, der sich Zelphy nannte. Er hatte seine halbe Ausrüstung vergessen, war während des Shootings hektisch und wollte möglichst schnell fertig werden. Die Bilder waren nicht einmal mittelmäßig – so hätten wir das auch zustande gebracht.

Ein Stern.

Die anderen Rezensionen waren kürzer, eine davon bestand nur aus zwei Worten: Nie wieder.

Den Blick starr auf sein Smartphone gerichtet, tappte Nick in die Küche und warf die Kaffeemaschine an. Er wusste, dass er noch nie alkoholisiert zu einem Termin aufgetaucht war. Oder Teile seiner Ausrüstung vergessen hatte. Noch nie. Die schlechten Bewertungen waren also von A bis Z erfunden, und man musste kein Genie sein, um sich zusammenzureimen, wer dahintersteckte.

Aber kampflos würde Nick sich nicht geschlagen geben. Er kippte seinen ersten Espresso hinunter, dann rief er bei der Bäckerei an. Erwischte auf Anhieb den Chef.

»Ich habe eben Ihre Mail bekommen, und ich vermute, Ihre Absage hat mit den Bewertungen im Internet zu tun?«

»Na ja. Ja. Wenn ich mir schon einen Profi leiste, dann möchte ich eben auch gute Ergebnisse.«

»Das kann ich verstehen.« Nick bemühte sich um einen besonders herzlichen Ton. »Die Sache ist nur die: An den Behauptungen ist nichts dran. Gar nichts. Da will jemand mir schaden, und es sieht ganz danach aus, als würde es klappen. Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, die Rezensionen noch einmal zu lesen, nachdem Sie mich doch schon gebucht hatten?«

Verlegenes Räuspern am anderen Ende der Leitung. »Also … jemand hat mir einen Link über das Kontaktformular auf unserer Homepage geschickt.«

Jemand, dachte Nick, der dafür sicher eine Belohnung erhalten hatte. »Sehen Sie. Das ist alles Absicht«, sagte er und kämpfte das Bedürfnis nieder, gegen die Wand zu treten. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Wir bleiben bei unserem Termin, und ich gebe Ihnen zehn Prozent Rabatt.«

Nach einigem Hin und Her ließ der Bäcker sich darauf ein, und Nick sank auf seinen wackeligen Küchenstuhl. Er war naiv gewesen. Er hätte wissen müssen, dass Erebos ihn nicht einfach vom Haken lassen würde.

Die Sängerin konnte er leider nicht auf die gleiche Weise überzeugen wie den Bäcker; ihr war anzuhören, dass sie Nick nicht mehr über den Weg traute, egal, was er sagte.

Den restlichen Tag über behielt Nick die Bewertungen im Auge, aber es kam keine neue mehr dazu. Dasselbe galt für Absagen, wobei eigentlich nur noch das Hotel in Hampstead Heath ihn hätte feuern können. Andere Aufträge gab es derzeit nicht.

Er setzte sich an den Computer, um die Bilder vom Sonnenuntergang am Ententeich in die Galerie seiner Homepage zu stellen. Gute Beispielfotos waren das Wichtigste, um neue Aufträge an Land zu ziehen. Fast noch wichtiger als gute Bewertungen.

Doch als Nick die Seite öffnete, sprang ihm sofort ein roter Balken ins Auge, der quer von der linken unteren zur rechten oberen Ecke verlief.

Da mein Terminkalender derzeit voll ist, kann ich im Moment leider keine neuen Aufträge mehr annehmen, stand in weißer Schrift auf dem roten Feld. Bitte melden Sie sich ab November wieder.

Fassungslos starrte Nick auf die Mitteilung, die da ohne sein Zutun aufgetaucht war. Und die er natürlich sofort wieder löschen würde.

Er versuchte, in den Bearbeitungsmodus zu gehen, aber das Passwort, das er schon verwendete, seit er diese Homepage erstellt hatte, wurde zurückgewiesen.

»Verdammt«, flüsterte er. »Mach das sofort rückgängig. Sofort.«

Nichts rührte sich. Nick schlug mit der flachen Hand auf sein Keyboard ein. »Hör sofort mit diesem Irrsinn auf«, schrie er, in dem Bewusstsein, wie lächerlich es war, einen Computer anzubrüllen.

Doch nun passierte tatsächlich etwas. Sein Mailprogramm öffnete sich, der Mauszeiger klickte ohne sein Zutun auf »Neue E-Mail«, und ein leeres Formular ploppte auf. Wie von Geisterhand wurden Adressat und Betreff ausgefüllt. Dann erschien Text im Nachrichtenfeld, und Nick fluchte so laut, dass man es wohl bis auf die Straße hörte.

Von: [email protected]: carol@hardy_photography.co.uk

Liebe Carol, dein Interesse an meinen Fotos freut mich natürlich, aber ich glaube, ich möchte doch lieber nicht mit dir zusammenarbeiten. Um ehrlich zu sein, finde ich, dass deine eigenen Arbeiten in den letzten Jahren ziemlich nachgelassen haben, und ich fürchte, ich werde von dir nicht mehr viel lernen können. Ist nicht böse gemeint, nur ehrlich. Trotzdem danke für dein Interesse und viele Grüße

Nick DunmoreShooting Star

Er las die Mail noch einmal, vergaß dabei zu atmen. Sah, wie der Mauszeiger über dem »Senden«-Button schwebte.

Wenn Carol Hardy diese Nachricht je zu Gesicht bekam, war Nick erledigt. So viel Arroganz würde sich herumsprechen; niemand würde mehr mit ihm zu tun haben wollen.

»Okay«, keuchte er. »Nicht abschicken. Ich spiele mit. Lösch das wieder, bitte.«

»Ich wollte dir nur einen Gefallen tun«, hörte Nick die Stimme des Boten aus den Lautsprechern dringen. »Du hast gesagt, du könntest meinem Wunsch nicht folgen, weil du keine Zeit hättest, und ich dachte, ich löse das Problem für dich.«

Das darf einfach nicht wahr sein, dachte Nick. Immer ich. Jedes Mal wieder ich. In London leben acht Millionen Menschen, aber statt sich jemanden zu holen, der sich voller Freude auf ein solches Abenteuer stürzen würde, wählt Erebos schon wieder Nick Dunmore als Opfer. Obwohl das Spiel wissen müsste, dass der sich mit Händen und Füßen wehren wird, weil er genau weiß, dass ihn nichts Gutes erwartet.

»Du wirst es nicht bereuen«, hörte er den Boten sagen, fast als hätte er Nicks Gedanken gelesen. »Du hast mein Wort. Du wirst es nicht bereuen.«

Dein Wort, dachte Nick eine halbe Stunde später, als er die Sonderangebote bei Tesco durchwühlte. Als ob das etwas wert wäre. Ich bereue es doch jetzt schon, und dann muss ich auch noch andere mit ins Verderben ziehen. Wie war das noch mal? Vier Jäger? Zwei Kämpfer?

Er legte eine Packung Milch und fünf Päckchen Nudeln in den Korb. Die konnte er zur Not auch mit Ketchup essen. Sparen war angesagt.

Trotzdem fand Nick sich am nächsten Abend in seinem Lieblingspub ein, wo Jamie schon wartete und ihn zu sich an den Tisch winkte. »Da bist du ja! Du kennst die anderen noch, oder? Mandy, Grace, Alan, Ralph – ihr erinnert euch an Nick?«

Er grüßte flüchtig in die Runde, die hauptsächlich aus Leuten bestand, die Jamie beim Jurastudium kennengelernt hatte. Am liebsten wäre er gleich wieder gegangen, aber er brachte es nicht über sich, seinem besten Freund die Freude zu verderben.

»Also.« Jamie blickte von einem zum anderen. »Wir waren gerade dabei, über den Namen unseres Quiz-Teams zu streiten. Alan schlägt Gerechtigkeit und Bier für alle vor, Grace hat Die Klagegeister ins Rennen geworfen.«

»Und meine Idee lässt du unter den Tisch fallen?«, beschwerte sich die junge Frau mit dem dunklen Zopf, die Mandy hieß.

»Oh, sorry.« Jamie beugte sich nach unten, als müsse er etwas auf dem Boden suchen. »Richtig. Die Gesetzeslückenbüßer. Auch nicht übel.«

Nick lachte mit, aber nur aus Höflichkeit. Er fühlte sich fehl am Platz, als Einziger ohne sicheren Job. Ohne große Karriereaussichten. Und ohne Geld, mehr als ein Getränk würde er sich an diesem Abend nicht leisten können.

Er hörte nur mit halbem Ohr mit, als Alan Team Lynchjustiz und Grace Team Einspruch vorschlugen. Ralph war gerade aufgestanden, um am Tresen die nächste Runde zu bestellen – und zu bezahlen. Irgendwann im Lauf des Abends würde wohl auch Nick an der Reihe sein. Dann würde er die Zähne zusammenbeißen und die letzten Pfund, die noch auf seinem Konto lagen, für Bier und Cocktails ausgeben. Vielleicht sollte er bei der Gelegenheit gleich fragen, ob der Pub Aushilfskräfte suchte.

Er bemerkte erst jetzt, dass Jamie ihn von der Seite her betrachtete. »Alles okay?«

Nick hob die Schultern. »Geht so. Miese Auftragslage.«

»Du erinnerst dich aber, dass du heute von mir eingeladen bist?« Jamie rempelte ihn freundschaftlich an. »Wir sind hier doch lauter Fachidioten, wir brauchen dringend jemanden, der noch etwas anderes vom Leben mitbekommt als nur Gesetzesartikel.«

Damit war nicht nur Nicks Problem gelöst – auch wenn es ihm unangenehm war, Jamie für ihn zahlen zu lassen – sondern gleichzeitig der Teamname fürs Quiz gefunden. Die Fachidioten.

Die, wie sich im Lauf des Abends herausstellte, natürlich alles andere als Idioten waren. Trotzdem kam Nick sich nicht völlig nutzlos vor: Er wusste, wer die Filmmusik zu »Der Herr der Ringe« komponiert hatte und dass die Hauptstadt von Mosambik Maputo hieß. Er erkannte vier Songs anhand der ersten drei Takte; mehr als jeder andere im Raum. Am Ende errangen die Fachidioten den zweiten Platz und feierten entsprechend.

Beinahe hatte Nick über diesem Spiel das andere, so viel Bedrohlichere vergessen. Doch jetzt, nach der Preisverleihung, fiel ihm alles wieder ein. Kämpfer sollte er suchen. Jäger. Planer.

Er war sicher, dass Jamie ein hervorragender Planer sein würde, aber er erinnerte sich noch zu genau, was das Spiel seinem Freund angetan hatte. Auf keinen Fall würde er ihn da mit hineinziehen.

Nein. Es gab allerdings jemand anderen, der sich mit Begeisterung auf Erebos einlassen würde. Und der gewitzt genug war, das Spiel auszutricksen.

Am nächsten Morgen stand Nick schon um acht Uhr vor Victors Tür. Er hatte sich nicht angemeldet, nur beim Aussteigen aus der Northern Line eine schnelle WhatsApp geschickt. Die Victor allem Anschein nach aber noch nicht gesehen hatte.

Nun, da er vor dem Haus angekommen war, packten ihn Skrupel. Nicht nur, weil er Victor vermutlich aufwecken würde – er war bekennender Langschläfer und arbeitete oft bis in die frühen Morgenstunden. Drehte YouTube-Videos, testete Spiele, schrieb Rezensionen für mehrere Magazine und hostete einen Gaming-Podcast.

Sondern auch, weil sein Gewissen ihm eigentlich verbot, einen guten Freund wie ihn erneut in Erebos mit hineinzuziehen.

Nick legte den Finger auf den Klingelknopf und ließ ihn dort unschlüssig liegen. Er würde Victor nicht rekrutieren, beschloss er. Er würde sich nur seinen Rat holen.

Mit diesem Vorsatz drückte er nun doch auf die Klingel, dann wartete er. Wartete eine halbe Minute. Eine ganze. Wenn Victor sich nicht rührte, würde Nick das als Zeichen nehmen und einfach wieder nach Hause …

»Hallo?« Victors schlaftrunkene Stimme drang durch die Gegensprechanlage. »Nick? Bist du das? Habe deine WhatsApp eben erst gesehen. Bist du noch da?«

»Ja. Tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe.«

»Schon okay. Komm rauf.«

Der Türöffner summte, Nick betrat das Stiegenhaus und fuhr mit dem Aufzug in den vierten Stock, dort stand Victors Wohnungstür bereits einen Spalt offen.

Nick trat ein. Aus der Küche hörte er Rumoren, Klirren, Wasserrauschen und dann Victors Stimme. »Earl Grey, Darjeeling oder Oolong?«

»Earl Grey, danke.« Er streifte die Schuhe von den Füßen und blieb an der Schwelle zur Küche stehen, geblendet von Victors Anblick.

Er trug einen Morgenmantel, der aussah, als hätte er ihn von einem Ritter der Tafelrunde ausgeliehen. Auf den ersten Blick hätte man glauben können, es handele sich um einen mittelalterlichen Waffenrock über einem Kettenhemd, doch auf den zweiten war klar, dass sowohl die metallisch glänzenden Ärmel als auch der mit Wappenlilien bedruckte Rest aus dickem Baumwollstoff bestanden.

Die Krönung aber waren Victors Hausschuhe: riesige orangefarbene Bärentatzen aus Plüsch.

»Bist du unter die Gralsritter gegangen?« Nick konnte den Blick nur mit Mühe vom Aufzug seines Freundes losreißen.

»Cool, oder?« Victor strich sich über den dunklen Bart, der ihm fast bis zur Brust reichte. »War ein Geschenk von meiner Rollenspiel-Runde. Extrem kuschelig. Ich will überhaupt nichts anderes mehr tragen.« Er schüttete Teeblätter in ein Sieb. »Setz dich schon mal ins Wohnzimmer, ich komme gleich.«

Nick folgte seiner Aufforderung und ließ sich im Wohnzimmer auf eines der fünf Sofas fallen. Ein dunkelrotes mit gelben Sternchen.

Er war überzeugt davon, dass es eine Wohnung wie diese kein zweites Mal gab. Nichts, absolut gar nichts passte zusammen, aber genau das machte es perfekt. Victor beschaffte sich seine häufig wechselnden Möbel prinzipiell von Trödelmärkten. Je schräger und ausgefallener ein Stück war, desto begeisterter schleppte er es zu sich nach Hause.

Dasselbe galt für die umfangreiche Teetassensammlung, die er in seiner Küche beherbergte. Die beiden merkwürdigen Gefäße, die er jetzt auf einem Tablett hereintrug, machten das mehr als deutlich: Eines sah aus wie eine zusammengerollte Schlange; der Schwanz bildete den Henkel, und auf der Seite glitzerten zwei grüne Augen. Das andere wirkte, als hätte Victor es heimlich aus dem Buckingham Palace geklaut. Der Griff schnörkelig geschwungen, der Rand vergoldet, um die bauchige Mitte wand sich eine Ranke aus zartrosa Porzellanblüten.

»So.« Er stellte das Tablett auf dem pinkfarben lackierten Couchtisch ab. »Und jetzt leg los.«

Um Zeit zu gewinnen, pustete Nick den aufsteigenden Dampf von seiner Schlangentasse. Beschloss dann, direkt auf den Punkt zu kommen. »Es ist zurück.«

»Es ist zurück? Was? Das übliche Mistwetter?« Victor warf einen Blick aus dem Fenster. »Stimmt. Ist aber keine Überraschung.«

Nick hätte es lieber nicht so deutlich ausgesprochen, aber er würde es darauf ankommen lassen.

»Das Spiel, Victor«, sagte er. »Erebos ist zurück. Ist wieder auf meinem Computer aufgetaucht, zum Glück bisher nur dort.«

Victor umfasste seine Blümchentasse mit beiden Händen. »Du hast es neu geladen? Hast du es im Netz gefunden?«

»Nein. Es ist ganz von selbst wieder aufgetaucht, wie beim letzten Mal.«

»Und du hast wieder gespielt?«

»Noch nicht. Ich habe versucht, mich rauszuwinden. War keine gute Idee, Erebos hat sofort begonnen, mir das Leben schwer zu machen. Sieh dir mal meine Rezensionen auf Google an. Oder meine Homepage.«

»Ach ja. Das gute alte Erpresserspiel.« Victor nahm einen vorsichtigen Schluck und verzog das Gesicht. »Soll ich versuchen, dich da rauszuhacken?«

Das hatte Nick sich auch gefragt. Seit der E-Mail an Carol Hardy, die sicher noch irgendwo sendebereit versteckt war, tat er das nicht mehr. »Nein. Ich fürchte, das wird Erebos nicht einfach hinnehmen.« Er nahm einen Schluck, verbrannte sich die Zunge, hustete. »Weißt du, was es diesmal von mir verlangt? Ich soll Leute rekrutieren. Einen Kampftrupp, wenn du so willst. Kämpfer, Planer, Jäger und …«

»Ha! Alles klar!« Victor strahlte über sein ganzes rundes, bärtiges Gesicht. »Deshalb kommst du zu mir, das ist ja fabelhaft! Denkst du, ich bin besser als Jäger? Oder als Kämpfer? Ach egal, ich bin in allem großartig.«

Es war, als wäre der Tag eben ein wenig heller geworden. »Du würdest wirklich mitmachen? Obwohl du weißt, wie riskant das ist?«

»Jajaja, riskant.« In Victors Augen funkelte Vorfreude. »Weißt du noch, was Erebos beim letzten Mal gesagt hat, mich betreffend? Dass es keine Verwendung für mich gibt! Da bin ich noch immer nicht drüber weg.« Er lehnte sich zurück, der ritterliche Bademantel klaffte ein Stück auf und ließ Brusthaar hervorquellen.

»Du rekrutierst mich. Und ich zeige dem gelbäugigen Bastard, was Sache ist.«

Er sprang auf, Tee schwappte auf seinen Mantel und den Boden, aber er schien es gar nicht zu bemerken. »Wie sagen wir dem Spiel denn, dass ich dabei bin?« Er war in den Nebenraum gelaufen, in sein sogenanntes Büro, das wie die IT-Zentrale einer mittelgroßen Firma aussah. Oder die Kommandozentrale eines Geheimdienstes. Mindestens acht Notebooks standen auf der Arbeitsfläche in der Mitte des Zimmers; an den Wänden rahmten zehn bis zwölf Desktopcomputer mit riesigen Bildschirmen den Raum zur Gänze ein.

Victor senkte per Fernbedienung die Rollläden vor den Fenstern ab und tauchte damit alles in dämmriges Halbdunkel. Dann warf er sich auf einen knallroten Gaming-Stuhl und zog einen zweiten, silbergrauen heran. »Komm, wir versuchen es über Google. Oder hast du so was wie einen Zugangscode für deine Rekruten?«

Er holte den Rechner, der vor ihm stand, aus dem Ruhemodus und heftete den Blick auf den überdimensionalen Bildschirm. Auf dem sich nicht das Mindeste tat.

»Hm.« Victor schaltete den Monitor aus und wieder ein, mit demselben Ergebnis. Er rollte zum nächsten Computer, doch auch dessen Bildschirm zeigte nichts als Schwärze.

»Ich glaube, Erebos weiß, dass ich hier bin. Ich habe ja mein Handy dabei, und ich wette mein leeres Bankkonto darauf, dass das Spiel doch irgendwie drinsitzt und mithört. Und schon alles für dich vorbereitet hat«, sagte er.

Wie zur Bestätigung drang nun aus den Lautsprechern, die rechts und links des Bildschirms platziert waren, leise Musik. Eine verheißungsvolle Melodie, untermalt von einem anhaltenden, tiefen Grollen. Wie dem bedrohlichen Knurren eines sehr großen Tieres.

»Na, so was«, sagte Victor. »Das ging ja schnell. Dann wird auch unser gelbäugiger Freund gleich auftauchen, nicht wahr? Hallihallo!« Er klopfte gegen das Computergehäuse wie gegen eine Tür. »Ich bin’s, dein alter Kumpel Victor!«

Etwas krachte, als wäre ein Berg eingestürzt. »Huch«, sagte Victor. »Hört sich nicht an, als würde Erebos sich freuen, mich wiederzusehen.«

Das Dunkel auf dem Bildschirm hellte sich auf, und eine Gestalt begann, sich abzuzeichnen. Allerdings war es nicht der Bote, sondern einer seiner Gnome, die er oft zum Übermitteln von Nachrichten einsetzte. Dieser hier war in graugrüne Fetzen gehüllt, die sich dunkel von seiner blassgelben Haut abhoben. Er blickte von Nick zu Victor und wieder zurück zu Nick. Dann legte er seine knotigen Hände über die Ohren. Wölbte sie ein wenig, und Nick verstand. »Er will, dass wir Kopfhörer aufsetzen.«

»Kein Problem.« Victor reichte ihm ein Paar und stülpte sich selbst ein Headset über. »Kannst du mich noch hören?«

»Laut und deutlich.«

Der Gnom verschwand, nicht ohne zuvor noch seine warzige schwarze Zunge herausgestreckt zu haben, und kurz darauf begann sich eine unwirtliche Landschaft zu formen. Kahle Hügel, verkohlte Baumstümpfe. Ruinen, die früher einmal ein Dorf gewesen sein mussten.

Nick ahnte, was als Nächstes kommen würde, und er behielt recht. Die Hufschläge eines Pferdes waren zu hören, näherten sich. Und dann erschien der Bote; sein Pferd setzte mit einem gewaltigen Sprung über eine der halb eingestürzten Mauern und kam knapp vor ihnen zum Stehen.

»Ich sehe, du hast Vernunft angenommen, Sarius.«

»Ich habe deiner Erpressung nachgegeben, wenn du das meinst.«

»Nenne es, wie du willst.« Er wandte sich Victor zu, wusste offenbar genau, wer an welcher Seite saß.

»Squamato. Willkommen zurück.«

Victor gab einen Laut von sich, angesiedelt in der Mitte zwischen Quieken und Lachen. »Squamato, genau! Das war der Name, den hatte ich schon wieder ganz vergessen.«

»Darin unterscheiden wir uns, du und ich.« Der Bote verengte die gelben Augen. »Ich vergesse nie etwas.«

»Dann weißt du auch noch, dass du mich letztens nicht dabeihaben wolltest?« Diese Tatsache schien Victor immer noch schwer auf der Seele zu liegen.

»Natürlich weiß ich das. Und es hatte seine Gründe, wie du vielleicht im Nachhinein begriffen hast.« Er schob seine Kapuze ein Stück nach hinten, entblößte bleiche Kopfhaut. »Diesmal ist das anders.«

Im Hintergrund sah Nick etwas auf einem der verbrannten Baumstümpfe landen. War das Flox? Hoffentlich nicht, denn der Vogel war nun zu Boden gehüpft und begann, an etwas zu fressen, das dort lag. Vielleicht ein totes Tier, vielleicht auch ein anderer Kadaver.

»Nun, Squamato«, fuhr der Bote fort. »Du bist also Sarius’ erster Gefolgsmann.«

Bei der neuerlichen Nennung seines Namens war Squamato aus dem Schatten eines der Bäume hervorgetreten. Ein Echsenmann, bekleidet mit Lederwams und kniehohen Stiefeln, der einen Bogen in der Hand und einen Pfeilköcher auf dem Rücken trug.

Der Bote hob in einer nachlässigen Bewegung die Hand zum Gruß. »Als Erster hast du die Wahl: Willst du Kämpfer sein? Jäger? Oder Stratege?«

Victor wechselte einen Blick mit Nick. »Was wäre dir am liebsten? Also, du wirst wahrscheinlich niemanden finden, der besser kämpft als ich, aber auch keinen schlaueren Kopf als meinen. Dann noch eher ein paar brauchbare Raufbolde.«

»Okay«, sagte Nick, und Victor wandte sich wieder dem Boten zu. »Stratege also, im Pläneschmieden bin ich grandios. Aber ich hoffe, ein bisschen kämpfen darf ich trotzdem.«

»Oh, keine Sorge.« Das Kinn des Boten zitterte leicht, als müsste er sich ein Lachen verkneifen. »Das darfst du. Und das wirst du.« Er warf Squamato einen Helm zu, verziert mit Hörnern wie denen eines Widders. »Wie wollt ihr euch nennen?«

»Uns nennen?«

Der Bote wirkte zunehmend ungeduldig. »Ihr bildet eine Horde. Ihr tretet gegen andere an. Ihr braucht einen Namen.«

»Squamatos Squad!«, rief Victor. »Boah, das fände ich großartig. Ist ja nur leider nicht meine Truppe. Also vielleicht eher … Sarius’ Sippe?«

Unwillkürlich waren Nicks Gedanken zum Vorabend zurückgekehrt. Als ebenfalls der Name für eine Gruppe gesucht worden war. Einer der Vorschläge war Team Lynchjustiz gewesen. Das passte nicht, aber es brachte ihn auf eine andere Idee.

»Die Galgenvögel«, sagte er.

Der Bote akzeptierte Nicks Vorschlag mit einem Lächeln, das nichts Gutes verhieß. »Galgenvögel.« Er hob die Hand, und aus dem Geäst eines nahe stehenden Baums glitt Flox heran. Er schien gerade gefressen zu haben, sein Schnabel war rot verfärbt, die sonst so drolligen Kulleraugen blickten bösartig auf Sarius herab. »Da hast du eine interessante Wahl getroffen. Du weißt sicherlich, dass es vor allem Raben waren, die sich in früheren Zeiten um die Galgenberge geschart haben – in Hoffnung auf Futter?«

»Ist mir nicht neu.«

»Nun gut. Ich schlage vor, ihr macht euch auf die Suche nach weiteren Galgenvögeln. Von nun an allerdings nur noch hier. In meiner Welt, nicht in eurer.«

Er ließ sein Pferd einige Schritte davontraben, dann brachte er es noch einmal zum Stehen und wandte sich um. »Wenn ihr einen Rat von mir wollt: Heute Nacht findet ein Arenakampf statt. Einer, der Einsen zu Zweien machen kann oder Fünfen zu Siebenen. Oder einen simplen Krieger zu einem Galgenvogel.« Damit gab er seinem Pferd die Sporen und galoppierte davon.

Flox erhob sich von der Schulter des Boten und begann, über Sarius und Squamato zu kreisen, nur um kurz darauf mit einem heiseren Schrei abwärtszustürzen, als wollte er angreifen. Bis sein dunkles Gefieder alles andere verdeckte und Schwärze den Bildschirm füllte.

»Galgenvögel!« Victor ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen, genussvoll. »Super Idee. Nur das mit den Einsen und Siebenen ist mir nicht ganz klar.«

»Level«, sagte Nick. »Erinnerst du dich nicht? Beim ersten Mal gab es mehrere Möglichkeiten upzuleveln. Entweder indem man anderen bei Arenakämpfen Level abnahm, oder indem man Aufträge erledigte. Lehrer vergiften und so.«

»Richtig! Oder ahnungslosen Buchhaltern Graffiti ans Haus sprühen, ich erinnere mich. Und man konnte immer nur die Level der Schwächeren sehen.« Er kratzte sich am Ohr. »Ist schon echt lange her, dass ich gespielt habe, und ich weiß, du siehst das anders, aber ich freue mich irgendwie schon drauf. Denkst du, wir treffen alte Bekannte, die wir dazuholen können?«

»Keine Ahnung«, sagte Nick. »Wir werden einfach das tun, was der Bote vorgeschlagen hat. Uns die Arenakämpfe ansehen und dort nach Talenten suchen.«

Victor hob einen silbern beringten Zeigefinger. »Aber da kaufen wir die Katze im Sack. Mir fällt spontan ein Freund ein, den ich gerne rekrutieren würde. Ein Spieletester, mit dem ich zusammenarbeite, der würde vor Freude ausflippen, wenn er etwas wie Erebos in die Finger bekäme!«

Nick hatte begonnen, an seinem linken Daumennagel herumzubeißen, bemerkte es erst jetzt und hörte sofort damit auf. »Der Bote hat gesagt, wir sollen uns an die Leute halten, die schon mit dabei sind.«

»Ach was. Der kann froh sein, wenn wir solche Profis ins Spiel bringen.«

»Es ist aber nicht einfach nur ein Spiel«, warf Nick ein, »das war es doch noch nie. Wenn ich das richtig verstanden habe, dann schickt es uns auf eine Suche. Allerdings verrät es natürlich wieder nichts Genaues. Wonach gesucht werden soll, zum Beispiel.«

»Eine Suche!« Victor zwirbelte seinen Kinnbart zwischen den Fingern. »Na ja, immerhin will Erebos diesmal nicht, dass wir jemanden killen, nicht wahr?«

»Wer weiß. Das eine schließt das andere ja nicht aus.«

»Zuerst suchen, dann killen?« Victor schien die Idee eher amüsant als erschreckend zu finden.

»Ich halte gar nichts für unmöglich«, sagte Nick düster. »Aber wenn es nur um eine harmlose Schnitzeljagd gehen würde, müsste man die Teilnehmer ja nicht erpressen, oder?«

»Da hast du allerdings recht.« Victor trank den Inhalt seiner Blümchentasse auf einen Zug aus. »Und wahrscheinlich oute ich mich gerade als Hornochse, weil mich das nur umso neugieriger macht.«

Sie einigten sich darauf, dass Victor bei seinem Freund zumindest vorfühlen würde. »Ich frage ihn.« Er scrollte bereits durch die Kontakte auf seinem Handy. »Er heißt Brody, und du wirst ihn mögen, warte nur ab, du …«

Rund um ihn erwachten sämtliche Monitore zum Leben. Blinkten erst mehrmals weiß; alle im gleichen Takt, es war, als schössen Blitze durch den abgedunkelten Raum. Dann schien es für Sekunden, als hätten sie sich wieder abgeschaltet, bevor sich überall gleichzeitig rote Buchstaben auf dem schwarzen Grund abzuzeichnen begannen.

Brody Maxwell

Wir kennen ihn.

Wir kümmern uns.

Überlass uns alles Weitere.

Victors fassungsloser Blick wanderte vom Display seines Handys zu den zahllosen Bildschirmen, die alle dasselbe verkündeten. »Das ist doch Quatsch«, brummte er. »Natürlich frage ich meine Leute selbst.«

Er tippte Brodys Nummer an und hielt sich das Telefon ans Ohr, ließ es nach ein paar Sekunden aber wieder sinken, sichtlich irritiert. Versuchte es noch einmal. »Nichts«, murmelte er. »Kein Freizeichen, keine Voicemail. Das gibt’s doch nicht.«

Er scrollte auf der Kontaktliste weiter, bis zu Nicks Nummer. Tippte sie an, und einen Atemzug später ging der Anruf durch. »An meinem Telefon liegt es nicht.«

»Nein.« Nick konnte den Blick kaum vom Bildschirm vor ihm wenden. Wir kümmern uns. »Beim letzten Mal hat Erebos sich auch sofort auf den Handys installiert. Da war es allerdings sichtbar, diesmal nicht, wie’s scheint.« Er hatte es geahnt, und hier war nun die Bestätigung. Erebos würde ihn wieder auf Schritt und Tritt überwachen. Jedes seiner Gespräche mithören, jede seiner Begegnungen registrieren.

Er sah Victor dabei zu, wie der noch einmal vergeblich versuchte, Brody zu erreichen. Keine Chance, es klappte weder über WhatsApp, SMS, Anruf oder irgendeine der zahlreichen Social-Media-DMs.

»Und, verlierst du gerade die Vorfreude?«, erkundigte Nick sich nach über zehn Minuten.

»Ganz im Gegenteil.« Victor hörte sich grimmig an. »Nur ein starker Gegner ist ein würdiger Gegner. Ich bekomme das schon noch hin.« Er legte sein Smartphone auf den Tisch und versuchte, ein Programm auf dem Computer zu öffnen, das nicht Erebos war. Zu Nicks Überraschung gelang ihm das tatsächlich, wenn auch erst beim dritten Versuch. Der schwarze Hintergrund und die rote Schrift verschwanden, ein harmloses Browserfenster wurde sichtbar.

»Mit einem hast du recht.« Victor ließ den Mauszeiger über dem Eingabefeld kreisen. »Ich werde niemanden mehr aus meinem Freundeskreis rekrutieren. Ich dachte, ich könnte die Leute vorher fragen, ob sie Lust haben, aber wie es aussieht, wird Erebos sie vor vollendete Tatsachen stellen.« Er seufzte. »Ich hoffe, Brody wirft nicht wieder seinen Rechner aus dem Fenster.«

»Wie bitte?«

Victor grinste. »Das hat er schon einmal getan, als ihm die CPU ex gegangen ist. Er neigt – wie soll ich sagen? – nicht dazu, seine Gefühle zu unterdrücken.« Victor setzte seine Tasse an die Lippen, bemerkte, dass sie leer war, und zog ein leidendes Gesicht. »Mal sehen, ob er demnächst mich aus dem Fenster wirft, wenn er feststellt, dass ich ihm Erebos eingebrockt habe.«

»Er hat wirklich seinen Computer …«

Victor kicherte. »Ja. Aber nur aus dem ersten Stock und in den Innenhof. Niemand ist zu Schaden gekommen, er hat nur ein paar Tauben traumatisiert.« Mit nachdenklicher Miene sperrte er sein Handy. »Vielleicht mache ich mich auf den Weg und sehe zu, dass ich ihn persönlich erwische. Und die anderen beiden auch.« Er warf einen Blick auf die Uhr. »Die Arenakämpfe starten heute Nacht, hat der Bote gesagt. Sehen wir uns dort?«

»Klar. Ich glaube aber nicht, dass ich mitkämpfen werde.«

»Mal sehen.« Victor erhob sich von seinem Stuhl und zog den Gürtel des Morgenmantels enger. »Bis dann, Galgenvogel.«

Nick verbrachte den restlichen Tag hauptsächlich damit, Zeit totzuschlagen. Er fuhr ziellos durch London, fotografierte, was ihm vor die Linse kam, und fühlte sich dabei wie ein Tourist.

Suchen sollten sie etwas, sagte der Bote. Vielleicht war Nick ja schon ganz in der Nähe und wusste es nur nicht?

Gegen halb sieben Uhr abends kam er wieder zu Hause an, schloss die Tür hinter sich doppelt ab und stand dann verloren in der unaufgeräumten Kochnische. Er hatte vorgehabt, Nudeln zu kochen, fühlte sich aber viel zu nervös, um etwas zu essen. Obwohl er sein Handy gut zehnmal abgesucht hatte, war das rote E, das beim letzten Mal ganz von selbst auf dem Display erschienen war, nirgendwo zu finden.

Was irgendwie noch schlimmer war. Denn Nick machte sich nichts vor: Erebos hatte Überwachungssoftware auf seinem Smartphone installiert.

»Du hast mir den Appetit verdorben«, sagte er und legte das Gerät auf die Anrichte. »Hilft mir immerhin, Geld zu sparen. Danke dafür.«

Halb und halb erwartete er, dass eine Reaktion kommen würde. Zwei gelbe Augen auf dem dunklen Display. Oder ein grinsendes Emoji. Oder, dass eine heisere Stimme aus dem Lautsprecher dringen würde. Gern geschehen, hähä.

Nichts Dergleichen passierte. Nick goss sich ein Glas Wasser ein und setzte sich vor seinen Rechner. Der Arenakampf würde erst in der Nacht stattfinden, das hieß, es blieben bis dahin noch mindestens drei Stunden, wahrscheinlich mehr.

Er öffnete Google, halb in der Erwartung, neue Ein-Stern-Bewertungen zu finden. Doch zu seiner Überraschung war das Gegenteil der Fall. Nicht nur waren die schlechten Rezensionen verschwunden, es waren vier Lobeshymnen mit voller Sternanzahl dazugekommen.

Belohnung für Gehorsam, dachte Nick bitter. Und sollte ich demnächst nicht artig sein, sind die ganz schnell wieder weg.

Vielleicht würde es schon genügen, den Namen von Victors Freund zu googeln, um das Spiel zu verärgern. Nick gab Brody Maxwell ins Suchfeld ein und konnte gerade noch den Blick auf das Bild eines jungen Kerls mit karottenrotem Haar erhaschen, bevor der Monitor sich verfinsterte.

Na bitte. Er hatte es ja geahnt. Erebos ließ nicht zu, dass man sich über die Leute schlaumachte, mit denen man es zu tun hatte. Das war beim ersten Mal schon so gewesen und auch beim zweiten Mal.

Er rückte seine Kopfhörer zurecht, über die er nun eine dieser Melodien hörte, die so lockend und verheißungsvoll waren. Gleichzeitig löste sich die Dunkelheit auf, die den Bildschirm ausfüllte, und da war Sarius.

Trommeln in der Ferne, die einen merkwürdig vertrauten Takt schlagen. Jubelrufe, dann ein Ton wie ein Fanfarenstoß. Haben die Kämpfe schon begonnen? So früh?

Sarius blickt sich um, doch die Umgebung kommt ihm nicht vertraut vor. Er erinnert sich noch gut an die Arena am Rand der Weißen Stadt, aber er glaubt nicht, dass er sich in der Nähe befindet.

Ein Blick auf die Lederstulpen seiner Handschuhe verrät ihm, dass er eine Acht ist. Gut, denkt er, ich muss nicht bei null anfangen. Oder bei eins, um genauer zu sein.

Ein alles erschütternder Knall lässt ihn zusammenfahren, unter ihm bebt der Boden, am Horizont steigt eine Rauchwolke auf. Vielleicht auch eine Staubwolke, das wäre möglich, es hat sich ganz so angefühlt, als wäre eine Burg in sich zusammengekracht.

Diese Richtung wird Sarius also nicht einschlagen. Er wendet sich um – und steht prompt wieder vor einem der Gnome, einem besonders hässlichen. Ockerfarbene Haut, durchzogen von violetten Adern, die hervortreten wie dicke Seile. Eine schiefe, warzenübersäte Nase. »Du bist zu früh«, krächzt der Gnom.

»War auch nicht mein Plan«, erwidert Sarius. »Ich hatte noch ein paar andere Dinge …«

»Uninteressant.« Der Gnom winkt ihn näher, die Nägel an seinen Fingern sind lang und dunkelrot. »Wenn du schon hier bist, mach dich gleich nützlich. Du wirst eine der Horden führen, richtig?«

»Äh. Ich denke ja.«