Erlebtes und Erlauschtes aus dem Erzgebirge - Jürgen Hermann - E-Book

Erlebtes und Erlauschtes aus dem Erzgebirge E-Book

Jürgen Hermann

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Beschreibung

Man kannte Jürgen Hermann bisher vor allem als lustigen Musikanten. Im vorliegenden Buch zeigt er sich jedoch auch von einer anderen Seite. Neben vielen eigenen Liedern schreibt er auch Gedichte und heitere Geschichten in erzgebirgischer Mundart.Einige davon hat er in diesem Buch auf die ihm eigene Art zu Papier gebracht. Wer so viele Jahre auf der Bühne steht, hat eben schon so manches gesehen und gehört. Allen Mundartgeschichten folgt auch eine hochdeutsche Übertragung. So ist ein Buch für Freunde des Erzgebirges aus nah und fern entstanden, ganz gleich wie groß die jeweilige Erfahrung im Umgang mit dem erzgebirgischen Dialekt ist.

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Jürgen Hermann

Erlebtes und Erlauschtes aus dem Erzgebirge

Band 1

Verlag Robin Hermann

Impressum

Alle Rechte vorbehalten

© 2009 Verlag Robin Hermann, Chemnitz

1. eBook-Auflage 2016

Layout: Robin Hermann

Illustrationen: Dietmar Weber

Lektorat: Thomas Uhlig

ISBN 978-3-940860-27-9

www.verlag-rh.de

Soll jeder redn wie er denkt

Vom Filzteich noch de Greifenstää

dos gieht dir ganz schie in de Bää,

su sogn se rund um Annabarg.

Is Gotteshaus, dos haaßt dort Kärch.

Um Schwarzenbarg do härt mersch aah.

De Haxen haaßen dort de Baa.

Soll jeder redn wie er denkt,

mir kriegn doch alle nischt geschenkt.

Wenn mir aah unnere Eignarten habn,

de Hauptsach is, mir haltn zamm.

Un gehärn mir aah ze Sachsen noch,

su bleibn mir Arzgebirger doch.

Mir warn scho früher deitsch un frei.

Dos wolln mir aah in Zukunft sei.

Wenn hot de Wirtschaft mol ne Kris,

su schnell kriegn mir net kalte Füß,

denn arm warn mir schu all mei Tog.

Von uns do kimmt net gleich ne Klog.

Un wenn’s mol wieder aufwärts gieht,

dann klingt noch immer unner Lied,

wie früher huch in Himmel nauf:

»Mei Arzgebirg Glück Auf, Glück Auf!«

Vorwort

lech bi ja aagntlich e Musikant un kaa Geschichtenschreiber, ober wenn iech die ganzen Begaabnheiten, die iech im Lauf der Zeit gesammelt hob, net in en Büchel niederschreib, hob ich Bedenken, doss die schön Zoten verlorn ginne, oder in Vergassenheit geroten. Im Moment gibt’s aah noch genügnd Zeitzeign, die bestätign könne, doss die Geschichtle, von die ich derzöhln will, aah wirklich passiert sei. De merschten Begaabnheiten hob iech salber erlabt, un die annern hob iech mir von Leiten derzöhln lossen, die aah zum größten Taal noch am Laabn sei un dos alles bestätign könne. Die Agehörign un Nachfahrn von dan »Hauptdarstellern« in mein Buch mögn mir verzeihe, un die nimmer of der Walt sei, mögn in Friedn ruhe un wärn emende fruh, wenn se erlaabn könnten, wie ihre Persone in die Geschichtle weterlaabn.

Iech hob an mannign Stelln de Name e bissl geännert, weil iech ja niemand beleidign will, un wer in die Dörfer wuhnt, wu alles passiert is, der wass suwiesu, war gemaant is. Wer halt ganz genau wissen will, wer dos war, muss miech salber frogn, oder in mei Konzeptbüchel neigucken, wenn iech mol gestorbn bi. Bisweiln hob iech aah de richtign Name eigesetzt, aber iech verrot net, an welcher Stell.

Dos is ganz aafach nutwennig, domit mir niemand gerichtlich nein Arsch zwicken ka, wie de Arzgebirger sogn täten.

Die Geschichtn aus der eichenen Familie nam iech voll of meine Kapp un mei Mutter hot mir ze Laabzeiten ihrn Segn derzu gaabn. Su übertriebn stolz sei mir net, doss mer über unnere »Stöck«, die im Laabn passiert sei, net mietlachen könnten.

Mit dere perfekten Schreibweis haut dos aah net richtig hie bei mir, aber wos is in der »arzgebirgischen, aarzgebirgischen, erzgebirgischen« Schreiberei dä wirklich richtig? Iech hob mich in der Schreibweis an die vom Manfred Blechschmidt aus Erla gehalten, weil mer die immer noch de vernünftigste ze sei scheint. Alles lecht mir do zwar aah net ei, ober hauptsachlich halt iech mich do dra. De richtign Arzgebirger, die’s verstieh wolln, die wardn‘s scho laasen könne (übrigns aah de Arzgebirgler). De Hauptsach is, doss sette lustign Schnorgn for de Nochwalt net verlorn ginne. In dan Sinne wünsch iech alln viel Spaß beim Laasen.

Vorwort (Hochdeutsch)

Eigentlich bin ich ja Musiker und kein Buchautor. Manchmal habe ich jedoch Bedenken, dass all die schönen Geschichten, die ich im Laufe der Zeit gesammelt habe, in Vergessenheit geraten, wenn ich sie nicht in einem Büchlein niederschreibe. Im Augenblick gibt es auch noch genügend Zeitzeugen für all die folgenden kleinen Anekdoten. Viele der Begebenheiten habe ich selbst erlebt, andere habe ich mir aus erster Hand erzählen lassen. Da ich mit meinem Buch natürlich niemandem zu nahe treten möchte, habe ich an vielen Stellen die Namen und Handlungsorte verändert. Dennoch bin ich mir sicher, dass viele der »Hauptdarsteller« oder deren Angehörige schmunzeln werden, wenn sie sich zwischen den Zeilen wieder finden und sehen, wie ihre Personen in diesen Geschichten fortleben.

Ein Großteil der Leser aus den wirklichen Handlungsorten wird sicher ohnehin erkennen, wer für die entsprechenden Hauptfiguren Pate gestanden hat. Bisweilen habe ich auch einmal die richtigen Namen verwendet. Sicherheitshalber möchte ich aber erklären, dass eventuelle Übereinstimmungen mit wirklichen Personen reiner Zufall und unbeabsichtigt sind. Das ist einfach notwendig, um mir möglichen Ärger mit irgendwelchen »Rechtsverdrehern« zu ersparen.

Für die Geschichten aus meiner eigenen Familie übernehme ich die volle Verantwortung. Meine Mutter gab mir vor ihrem Tod den Segen dazu, wie sie es bei all meinen Projekten immer tat. So übertrieben eitel sind wir ja auch nicht, dass wir über die eigenen »Storys« nicht herzhaft mitlachen zu könnten.

Natürlich kann ich hier nicht mit dem perfekten Schreibstil aufwarten, denn erstens bin ich kein Schriftsteller, und zweitens: Welche »erzgebirgische, aarzgebirgische, arzgebirgische« Schreibweise ist denn nun wirklich richtig? In meinem Buch habe ich versucht, mich hauptsächlich an die von Manfred Blechschmidt vorgeschlagene Schreibung zu halten, die mir – trotz einiger Unklarheiten – die vernünftigste zu sein scheint. Die Erzgebirger, die es verstehen wollen, werden es schon lesen können und hoffentlich an vielen Stellen schmunzeln. (Übrigens auch die Erzgebirgler) In diesem Sinne wünsche ich viel Spaß beim Lesen.

E Nacht an die se ewig denken wardn

Der grausame Krieg war endlich vorbei. Aah in der Rasche gabs meh Leit als Wuhninge. Dos kam hauptsachlich durch die vieln tausend Bargleit, die aus alle Himmelsrichtunge ins Arzgebirg geströmt kame.

Alle wollten se unnergebracht sei. Aah mei Voter suchet als gebürtiger Rascher e Wuhning. Er hatt sei Mad, de Elfriede kennegelernt. 1943 hattn se geheirat un 1947 kriegeten se vun damalign Bürgermaaster endlich e Wuhning.

Dos war ober e ganz besondere. Of dan alten »Deitschen Turnplatz« an der Pöhler Stroß stond e baufällige Turnbarack vun ehemalign 68er Deitschen Turnverein. En Turnverein gabs nimmer, ober die Barack war aabn gebliebn un es Wichtigste war, se stand laar. Su is der Harry mit seiner Elfriede un ihrn klenn Gung Peter dortn eigezugn. Viel hatten se ja net neizestelln, ober se habn sich schu leidlich eigericht. Ogelagn vun dan Treibn in der Rasche, log die Barack umgabn von Wiesen un Falder. Sugar e klaaner Balkon war draußen dra. E schlimme Zeit wars trotzdam, denn elektrisches Licht gobs dort net un es Wasser musst aus en Brunne mit ner Wasserpump hunnert Meter vun Haus entfernt of ner Wies gehult wardn. Als »Scheißgang« hatten se außer Haus e klaanes Holzhaisel mit en Harzel in der Tür aufgestellt, wos später aah e paar mol ümgekippt is, ober su weit sei mer ja noch net.

Zer Orundung dar makabren Idylle kam noch, doss es Pöhler Bussel1, mit Gebimmel gleich am Haus vorbeidampfet un doderbei en arteigne Geruch verbraaten tat.

1947 kam a e russische Militäreinheit nein Emaillierwark. Die Soldaten habn nu dan Turnplatz als Exerzierplatz genutzt. De Hermanns hatten ball racht gute Beziehunge zu die Offiziere hargestellt. De Soldaten hatten ja suwuesu nischt ze sogn un fei aah nischt ze lachen. Nu wur in dera schlachten Zeit aah viel gemaust un do hatt der Harry erreicht, doss die russischen Soldaten seine zwölf Hühner bewacheten un aah sei Zieg, wumit natürlich net sei schiene Fraa gemaant is. Su labeten se bescheidn un zefriedn in de Zeit.

Der Winter 1947 war net gerode mild un Feiering gobs aah net viel, ober de Hermanns hatten Glück. Der Lokführer Sonntag aus der Rasche hot immer wenn er an der Barack vorbeigefahrn is, es Bussel orndtlich unter Dampf gesetzt. Wie zufällig sei dann egal e paar Kuhln vun der Lok runtergefalln un de Hermanns hatten wieder for en Tog e warme Stub.

Aamol, es war en Tog vor Weihnachten, do hot sich de Elfriede mit e paar Zigaretten beim Lokführer bedanken wolln, dar se ober in dan Dampf net komme saah hot. Prompt krieget se e Schaufel Kuhln nein Gesicht, wuva se bis zu ihrn Tud noch e Narb am Aach hatt. Bei der Rückfahrt hot der Lokführer sich gewunnert, warum de Elfriede en Koppverband getrogn hot.

In Frühgahr ´48 kame nu die Sportler vun der Sparte Fußball un finge dermiet ah, dan alten Sportplatz wieder harzerichten. Neies Laabn kam in die Ogeschiedenheit vun Harry seiner Familie. De Fußballspielerei ging lus. Hunnerte vun Zuschauern taten zugucken, habn vor Begeisterung geschriern un ihr Mannschaft agetriebn. Domols warn de Rascher in ihrn schmucken weinruten Dress racht gut un habn mannign überlagene Gegner »niedergeknüppelt«.

Um die Spiele aah ordtlich duchführn ze könne, musst su ewos wie e Umklaadraum for de Spieler har. Nu war der Harry stes e guter un hilfsbereiter Mensch. Er stellet sei gesamtes Awaasen for den Fußballsport zer Verfügung. Weil ja bekanntlich for su e Spiel fünfezwanzig Mann gebraucht wardn, lässt sich leicht ermassen, wie dos in dan Harry seiner guten Stub zuging.

Besondersch krass warsch noch de Spiele, wenn de Spieler drackig un verschwitzt, de enn veraargert un streitsüchtig un de annern in überlegener Manier un glücklich in de Stub neidrängleten, sich in de Schüsseln un Töpp versuchten ze waschen, un sich wieder agezugn habn. Bei dar Prozedur habn se sich merschtens noch de unmöglichsten Schimpfwörter an de Köpp geschmissen. Der Harry un de Elfriede habns ertrogn, immer e weng ze schlichten versucht un geholfen, wu se när kunnten.

Un itze kum iech zum aagntlichen Thema! Besonnersch gruß war de Frad, als sich in Harry seiner Familie wieder ewos Klaanes agekündigt hot. Domit die Geschicht net ze lang werd, will iech mich bluß of mei Geburtsnacht beschränken, die Nacht von 4. zum 5. Juli 1948.

Ne Harry sei Fraa war also schwanger un de Zeit war aah scho fast üm. Am vierten Juli nochmittogs hatten sich de Hermanns noch of ne Knochen2 aufgehalten, wu ne Harry seine Eltern in der Gifthütt3 wuhneten. Un wie ze vermuten, hot sich dos gruße Ereignis aah sachte agekünnigt. Wie se sich of ne Hamwaag gemacht habn, musst der klaane Peter zu sein Glück gleich bei der Oma Hedwig bleibn.

De erschten Wehe, uhne die suwos nu mol net ogieht, setzeten schu ei, wie se drham in de Bud neikame. Der Harry hot sei Elfriede nein Bett geschafft, wie sich dos gehärt un laafet lus, e Hebamme huln.

Bei der Russenkasern kam er wie immer uhne agehalten ze wardn fix vorbei. Se habn ne ja vun Exerzierplatz gekannt. Nu rennet er zer Hebamme Ulbrich Lene, die in der »Neie Sarch« wuhnet.

Spät warsch wurdn un de Frau Ulbrich war scho ze Bett. Der Harry hot se aus‘n Schlof geklingelt un se hot aah versprochen, sofort ze kumme. Der Harry war zefriedn, is ehamgerammelt un hot dort vun sen Erfolg bericht. Draußen warsch derweile stuckrammelfinster wurdn, denn der Mond kunnt net durch de Wolken scheine un alle beede habn nu gewart, doss die Hebamme kumme sollet. De Zeit kam ne vür wie e Ewigkeit, ober die Fraa war net ze saah.

Der Harry hot nu e Petroleumlamp vors Haus gehängt, doss de Hebamme aah ne Waag finden sollt. De Zeit verging un die Fraa kam un kam net. Längst hat der Harry alles aufgereimt. Sugar en grußen Topp mit haaßen Wasser hat er of ne Ufen gestellt. Der Harry war su aufgerecht, als tät er dos Kind salber kriegn. Er lief immer wieder vors Haus un gucket sich bal de Aagn ausn Kopp noch der Hebamme. Wu war dä die när gebliebn? Hatten se ebber de Russen gekascht?

Of aamol gobs en Kracherts un gleich drauf tats aus Richtung Stroß tüchtig wimmern. Dos hot bal geklunge wie e schwaches »Hilfe!«. Der Harry is aah gleich übern Platz gerannt un hot dos Elend gesaah. De Hebamme log gammernd in Gros. Se war rachts eigebugn un dann geleich of die Petroleumlamp zugefahrn. Dodurch war se dan steiln Rand nei, hatt en Überschlog mit ihrn Fahrrod gemacht un nu log se vollkomme bewegungsunfähig dort.

Wos wollt der Harry machen? Laafen kunnt die sehr rampesierte Fraa nimmer, also hot er se quar übern Sportplatz nei der Stub of’s Kannapee geschleppt. Wie sich gleich rausstellet, hat se sich tatsächlich es Knöchel an Fuß gebrochen. Nu hatt der Harry zwee wimmernde Weiber in der Stub. De Hebamme gob vun Kannapee aus de Aweisunge für de kummende Geburt. Die hot sich nu schu kräftiger agekündigt. Wos sollt nu bluß wardn?

Der Harry war weder e Hebamme noch e Dokter, hat aber itze zwee Weiber ze betreie. Nu war guter Rot teier. En rettenden Eifall hat de Frau Ulbrich. Se maanit, doss der Harry schnell de Pöhler Hebamme huln sollet. Sofort machet sich mei Harry zun Loch naus un is mit der Ulbrichn ihrn Fahrrod, wos noch halbwaags in Takt war, in de Pöhl gestrampelt. In der stockfinstern Nacht hot er nu die Fraa ausn Bett getrommelt. Die rufet raus: »Haben Sie Ihren Wagen mit?«

Nu du Ugelick! Der Harry kunnt sich net emol e vernünftigs Fahrrod leisten zu dera schlachten Zeit. Der Harry hot e weng rümgebrammelt, weil er sich e bissel schaame tat. Wie se rauskam, hot se zwar erscht dumm geguckt, aber der Harry hot se aafach of de Lenkstang gesetzt un mit dera eigenartign Fuhr gings mit Karracho is Vugelwalle vür in Richtung Harrys Armenvilla.

Itze hatt der Hausherr schu drei Weiber in der Stub un der Schwaaß is ne taals vor Aufregung, ober aah vor Astrengung in Ströme über de Stirr geloffen. De Pöhler Hebamme hot nu de wardnde Mutter sachgeracht betreit. Der Harry hot sich kaputt wie e Hund in de Eck gesetzt un dacht, er hätt endlich sei Ruh. Pustekuchn! Kaum hat er sich gesetzt, fing de Frau Ulbrich aah schu wieder gottsgammerlich a ze wimmern, weil ses vor Schmerz nimmer ausgehalten hot. »Ich ka nimmer!«, sat se un der Harry sollet doch emol fix ne Richter Doktor huln.

Mit hängende Schultern wieder zun Tampel naus, mit der Ulbrichen ihrn Fahrrod an der Kasern vorbei zun Richter Ernst, wos der Rascher Landarzt war. Längst war Mitternacht vorbei, ober wie er bei Richters geklingelt hot, kam ne Dokter sei Fraa an de Tür. »Mein Mann liegt schwer krank im Bett und braucht selbst ärztliche Hilfe«, sat ne Doktor sei Fraa.

Se hot sich ober überredn lossen un wollt ihrn Ma in dan dringenden Fall emol vertraaten. Of der Lenkstang ben Harry wollt se ober dann doch net mietfahrn. Der Harry sollet när ihr Auto in Gang brenge, weil de Batterie e weng niedergewirtschaft wär.

Do derva verstand der Harry wos. Ne erschten Gang nei dera Kist un es Bargel nunner arolln lossen. Zum Glück sprang er gelei a un der Motor tat laut aufheiln. De Frau Richter setzet sich ans Steier un lus gings Richtung Pöhler Stroß. Der Harry hot ihr noch laut nochgeruft, doss se ne Motor ja net ostelln sollt, wenn se hinten akimmt!

Entweder war se schu ze weit wag, oder der Harry hot net laut soot gepläkt. Jednfalls, wu er wieder is Dingel hinter kam, stond es Auto mit ogeschaltne Motor vor der Barack. Do is der sonst eher ruhige Harry doch e weng grantig wurdn un hot allerhand Tiername for die Frau Richter gebraucht, die hir net ubedingt aufgezöhlt wardn müssen. Er machet de Tür auf, un nu hatt der Harry vier Weibsen in der Stub. Dos gruße Ereignis war immer noch net eigetraaten. De Frau Richter hat dos Hebammebaa untersucht un gelei fachmännisch geschient. Nu wur de Frau Ulbrich in’s Richterauto geschlaaft.

Wie ze erwarten, is die Bud natürlich nimmer agesprunge. Wos nu machen? E Auto zum Oschleppen musst har. Der Harry hot sich wieder of de Socken gemacht, diesmol när hunnert Meter bis zer Pöhler Stroß. Do stellet er sich hie un hot wieder gewart. Domols noch ne Krieg war noch net su viel Verkehr wie heit, un de Russen habn ja aah net jeden vorbeigelossen.

Su is de Nacht noch volterscht rümgewaasen, wie endlich e Wismut-SIS-Bus aagebrummt kam. Der Harry hot ne agehalten, un es Elend derzöhlt. »Mach mer«, sat der Fahrer, der ne Harry aah kenne tat, is dos glittschige Waagel no of dan Sportplatz gefahrn un hot der Richtern ihr Auto an Bus nagehängt.

Su aafach, wie se sich dos gedacht hatten, ging dos aber dann doch net. Of dann feichten un sumpfign Gros habn sich de Räder vun dan SIS durchgedreht un er kam dos Bargel nimmer nauf. Wodurch es Dokterauto natürlich aah net agesprunge is.

Nu war wieder guter Rot teier. Ne Busfahrer wursch aah langsam haaß, denn er musst ja de Bargleit zer Arbit fahrn. »Mir müssen dan festen Bahnkörper vun Pöhler Bussel erreichn, nochert habn mer gewunne«, maanit do der Busfahrer un hatts schu bereit, doss er sich of dan Hickhack eigelossen hot.

Irgndwie habn se die paar Meter bis of den Gelaaskörper aah geschafft un sei nu ganz langsam of de Bahnschwelln hiegerumpelt. Weit warsch ja net bis zu dan Wirtschaftswaag, dar vun Bahndamm wieder of de Pöhler Stroß geführt hot. Se warn e paar Meter hie, do häret der Harry e lautes Pfeifen aus Richtung Pöhl. E Blick of de Uhr, ach du Schrack (agntlich hatt er Scheiße gesat, ober dos schrebbt mer in an aständing Buch net, maant mei Fraa!) Der erschte Schichtzug kam von Pöhler Bahnhuf ageschnauft.

Den Busfahrer habn sich de Fußzehnäl aufgerollt un de Haar standn ne ze Barg. Wie der geölte Blitz is der Harry aus dan Fahrerhaus rausgesprunge un flitzet dan Pfeifen un Klingeln entgegn. An Vugelwalle kam der Zug scho um de Kurv rüm. Der Harry hot mit de Arm geschlegelt un geschriern, wos es Zeig hält, ober der Zugführer war wahrscheinlich en Moment uaufmerksam un hots net geleich bemerkt. Der Harry, gelamper wie er war, is naabn der Lok haargerannt un hot aus voller Kahl geplägt. Endlich hatt‘s der Lokführer spitzkriegt un hot es Bussel agehalten.

Er hot ne Harry gekannt un wur schnell über de Lage aufgeklärt. Gleich wur de Lok in gewohnter Manier unter Dampf gesetzt, domit die Sparrguschen in Zug net saah kunnten, wos do vorne vür sich gange is. Der SIS un es Richterauto hinten dra rumpleten nu weter an dan Zug na un kurz vor der Lok is dos Gespann of besogten Wirtschaftswaag ogebugn.

E paar Minuten drauf rollet der Zug wieder weter, als wär gar nischt gewaasen un kaaner in dan Zug hot gemerkt, wos do vorne aagntlich richtig lus war. Beim Vorbeifahrn an besochter Holzbarack kunnt sich’s der Lokführer net verkneifen, noch emol soot lang un laut mit der Lok ze pfeifen. Of die Art hot er ne klenn Jürgen Hermann, also suzesogn miech, ganz harzlich of dera Walt begrüßt.

Aah iech muss mein total geschafften Voter dann wuhl mit lang ahaltenden Geschrei begrüßt habn.

Alle warn se nu wieder zefrieden, e neier Tog war agebrochen un mei Voter kunnt endlich emol in ner gemütlichn Eck e Mütz Schlof nochhuln.

Wenns for die Geschicht net su viel Zeitzeign gaabn tät, un wenn der Rascher Ortschronist Siegfried Hübschmann die net wahrheitsgetrei un sehr genau aufgeschriebn hätt, dann tät ich dos salber net su richtig glaabn. Aber 1948 ging halt doch noch alles ziemlich drunter un drüber un iech muss immer lachen, wenn iech mir vürstell, wie mei Voter domols gekreiselt is.

E Nacht an die se ewig denken wardn

–––––––

1 e dampfbetriebne Schmalspurbah

2 Barg in der Rasche

3 e ehemalige Vitriolhütt, wu se früher Eisenvitriol haargestellt habn

Eine Nacht an die sie ewig denken werden (Hochdeutsch)

Der schreckliche Krieg war endlich vorüber und wie in vielen Erzgebirgsdörfern, so gab es auch in Raschau zu jener Zeit mehr Menschen, als in den wenigen vorhandenen Wohnungen unterzubringen gewesen wären.

Das lag vor allem auch an den vielen tausend Bergarbeitern, die damals aus allen Himmelsrichtungen ins Erzgebirge strömten. In diesen entbehrungsreichen Tagen war auch mein Vater – ein gebürtiger Raschauer – auf der Suche nach einer Wohnung.

Schon 1943 hatte er seine Elfriede geheiratet. Eine Wohnung wurde dem jungen Paar jedoch erst vier Jahre später vom damaligen Bürgermeister zugeteilt. Außerdem handelte es sich hierbei um ein nicht ganz gewöhnliches Heim:

Auf dem alten »Deutschen Turnplatz« an der Pöhlaer Straße stand die baufällige Baracke des ehemaligen 68‘er Deutschen Turnvereins. Da der Verein nicht mehr existierte und die Baracke somit leer stand, konnten Harry und Elfriede zusammen mit ihrem kleinen Sohn Peter dort einziehen.

Sie besaßen zwar nur sehr wenig, um ihre »neue« Wohnung einzurichten, machten aber dennoch das Beste daraus. Umgeben von Wiesen und Feldern lag ihr Heim etwas abseits von Raschau und hatte sogar einen kleinen Balkon am Eingang zu bieten.

So idyllisch es sich hier auch anhören mag, die Realität sah leider anders aus: Elektrischer Strom war nicht vorhanden und das Wasser musste umständlich von einer Wasserpumpe aus hundert Metern Entfernung herangeholt werden. Als Toilette diente ein im Freien aufgestelltes Holzhäuschen mit einem herzförmigen Loch in der Tür. Das fiel später ein paar Mal um, aber darauf komme ich noch zu sprechen.

Zudem fuhr das so genannte »Pöhler Bussel«1 unter Dampf und ständigem Läuten direkt am Haus vorbei. Dabei verbreitete es immer einen recht eigenartigen Geruch.

Etwa zur gleichen Zeit wurde eine russische Militäreinheit im örtlichen Emaillierwerk stationiert. Der alte Turnplatz diente dieser Kompanie dabei als Exerzierplatz. Bald schon hatten die Hermanns recht gute Beziehungen zu den Offizieren geknüpft. Die einfachen Soldaten hatten ohnehin nicht viel zu sagen und leider auch nichts zu lachen. In jener Zeit waren Diebstähle an der Tagesordnung und glücklicherweise konnte Harry durch seine Beziehungen erreichen, dass die russischen Soldaten ein Auge auf seine zwölf Hühner und seine Ziege hatten, womit natürlich nicht seine hübsche Frau gemeint war. So lebten sie eine Zeit lang bescheiden, aber zufrieden.

Den Winter 1947 konnte man nicht gerade als mild bezeichnen und Brennstoffe galten als Mangelware. Die Hermanns hatten aber Glück, denn immer wenn Lokführer Sonntag aus Raschau an der Baracke vorbeifuhr, setzte er seine Bahn ordentlich unter Dampf. Wie durch Zufall fielen dann stets ein paar Kohlen von der Lok und Familie Hermann hatte wieder einen Tag lang eine warme Stube.

An einem Tag kurz vor Weihnachten hatte Elfriede sich dafür mit ein paar Zigaretten beim Lokführer bedanken wollen. Der sah sie aber vor lauter Dampf nicht am Bahndamm stehen. So bekam Elfriede prompt eine Schaufel Kohlen ins Gesicht, wovon später noch eine kleine Narbe am Auge zurückblieb. Auf der Rückfahrt wunderte sich der Lokführer dann sicherlich, warum sie einen Kopfverband trug.

Im Frühjahr ’48 kamen die Sportler der Sparte Fußball und begannen damit, den Sportplatz wieder herzurichten. In die Abgeschiedenheit von Harry und Familie zog nun neues Leben ein. Die Zeit der regelmäßigen Fußballspiele begann.

Hunderte von Zuschauem sahen bei den Turnieren zu, schrien vor Begeisterung und feuerten ihre Mannschaft an. Damals waren die Raschauer in ihren schmucken weinroten Trikots recht erfolgreich und besiegten so manch überlegen geglaubten Gegner.

Um die Spiele ordnungsgemäß durchführen zu können, benötigte man natürlich auch eine Art Umkleidekabine. Harry, ein stets guter und hilfsbereiter Mensch, stellte dem Fußballsport deshalb sein gesamtes Anwesen zur Verfügung. Da für solch ein Spiel ja bekanntlich mindestens fünfundzwanzig Mann nötig sind, lässt sich leicht ermessen, wie es bei solcher Gelegenheit in Harrys guter Stube zuging. Besonders rau wurde es meist aber erst nach dem Spiel, wenn alle Akteure verschwitzt und streitsüchtig in die Wohnung drängten. Dort wuschen sie sich dann in den bereitgestellten Schüsseln und Töpfen und zogen sich schließlich wieder um. Während dieser Zeit flogen dann meist die unmöglichsten Schimpfworte durch den Raum.

Harry und Elfriede aber ertrugen es, versuchten zu schlichten und halfen, wo sie nur konnten. Nun möchte ich aber endlich zum eigentlichen Thema kommen.

Die Freude in Harrys Familie war besonders groß, als sich ein zweites Kind ankündigte. Damit die Geschichte jedoch nicht zu lang wird, möchte ich mich hier nur auf die Geburtsnacht beschränken, nämlich die Nacht vom vierten zum fünften Juli 1948.

Harrys Frau war hochschwanger und der Geburtstermin in greifbare Nähe grückt. Am Nachmittag des vierten Juli hatten sich die Hermanns noch auf dem Knochen2 aufgehalten, dort wo Harrys Eltern in der so genannten Gifthütte3 wohnten.

Wie zu vermuten, kündigte sich das große Ereignis langsam an. Als sie sich auf den Nachhauseweg machten, musste der kleine Peter zu seinem Glück bei Oma Hedwig bleiben. Die ersten Wehen, ohne die so etwas nun einmal nicht abläuft, setzten bereits beim Eintreffen in ihrer Wohnung ein.